Derweil sah es im Büro der Kreativleitung wie folgt aus:Mo erholte sich rasch wieder. Als sie eine Weile bewässert worden war, hob sie ihr Köpfchen, schaute in das besorgte Gesicht der Kreativleitung und fragte, warum sie denn so besorgt drein schaue. Ja, sagte die Kreativleitung, das weiß ich eigentlich auch nicht so genau. Es ging Dir nicht so gut, was war denn? Das weiß ich auch nicht so genau, sagte Mo, mir war einfach schlecht und ich mußte mich erbrechen, und dann war ich erschöpft. Na, das gibt’s ja manchmal, sagte die Kreativleitung. Darfs schon mal etwas Apfel sein, gut geschält, mit ein ganz klein wenig Honig? Ach nein danke, sagte Mo, ich will erstmal schlafen, hinterher vielleicht, und sie kletterte vom Schoß der Kreativleitung zu Boden, suchte sich ein etwas abgedunkeltes Plätzchen in einer hinteren Ecke des Büros, rollte sich zusammen und schlief wieder ein. Okay, dachte die Kreativleitung, nun also wieder der Wandteppich und ich. Wo stehen wir denn. Und sie dachte, es sei wirklich fällig, mal etwas länger über das Ehepaar Ö zu rapportieren. Was aber war dazu zu sagen? Sie dachte, wenn der Kwaliteitswart jetzt hier wäre, wäre es leichter, ich könnte es ihm erklären, und dabei würde es sehr viel deutlicher werden (und jawohl, hier wird der Bildunsgauftrag mal wieder erledigt, es denken jetzt bitte alle an Heinrich von Kleists „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Sprechen“ und an das Marionettentheater).
Der Kwaliteitswart war aber nicht da. Immerhin war sein Bild eine gute Erinnerungsbrücke zum EinSatz 309, in welchem zuletzt konzeptionell über die Paarungen gesprochen worden war.
Und hundert EinSätze weiter hatte nun also die neue Zeit eines der beiden Paare – das schwächere von beiden - auseinandergebracht und die Dame dieser Partei in die Hollywoodschaukel im Garten des ehemaligen Chefs. Natürlich würde beim gegenwärtigen Stand der Dinge der eine oder andere Angehörige geraten haben: na geht doch mal für drei Jahre oder für mehr oder weniger, auf Abstand, danach wird es schon wieder. Jeder entwickelt sich für sich ein wenig weiter, und danach kommt man in neuer Ordnung zusammen. Sie müsse realistisch sein, einen besseren als diesen Partner werde sie nicht finden. Und was dergleichen schöne Mechanismen mehr sind.
Aber das wäre alles mit der Gattin Ö, so wie sie hier konzipiert ist und uns wöchentlich unter die Augen tritt, keineswegs zu machen, denn diese hat ja viel zu viel Sinn für reale Zeit. Für jeden Atemzug. Das hat sie irgendwie so bei sich. Und so wird es eher – überlegte die Kreativleitung, die ein wenig vom Leben verstand – zu recht paradoxen Situationen in ihrem Leben kommen: aus Zorn über die Achtlosigkeit ihres Gatten, mit der er den Augenblick versäumte, hat sie ihn glatt in die Wüste geschickt (und übrigens ohne jede Mühe damit, seinen Standpunkt zu verstehen, es ist nur so, daß die beiden nicht zusammenpassen und daß sie nicht die Absicht und nicht einmal die Möglichkeit hat, daran etwas zu ändern), und die Tatsache, daß sie nun erst recht allein ist, beeindruckt sie nicht im allergeringsten, man kann ihr auf öffentlichen Plätzen küssende Paar noch und nöcher vorführen, man kann sie verlocken und treten, um endlich wieder versöhnlich zu sein und dem Gatten ein Plätzchen in ihrem Heim anzubieten und auf Familie zu machen: es wird mit ihr nicht zu machen sein. Jetzt hat sich dieses ereignet, und so muß sie jetzt tun, was sie zu tun hat. Und überhaupt: Für sie ist ein Mann stets dieser bestimmte. Ist einer zu diesem Bestimmten geworden (mit jenem Element von Nichtmachbarkeit und als Geschenktem, das einmal dabei ist), hat er sehr viel Spielraum und muß sich ziemlich viel Mühe geben, den Platz wieder loszuwerden. Ist dieser bestimmte aber einmal gründlich erledigt, verwandelt er sich nicht zurück in irgendeinen, den man, weil man gerade mal einen Mann brauche, zu einem bestimmten sich erwählen könne. Dieser bestimmte Mann hat sie nun aber – ohne daß wir darüber auch nur das winzigste Detail zu berichten hätten, dergleichen überlassen wir gern anderen Skribenten – gekränkt, sehr schwer, sehr öffentlich, von schlimmeren als kränkenden Dingen zu schweigen, damit ist er für sie erledigt. Sie wird, wie sie gebaut ist, finden, es solle ihm gut gehen. Das schon. Warum sollte sie seinen Schaden wünschen. Nein, sie wird anstreben, alle möglichen Aufteilungen verträglich und vertraglich zu regeln und ihm stets mit Höflichkeit zu begegnen, solange es nur ganz klar ist, daß sie mit ihm nichts, aber auch wirklich gar nichts mehr persönlich zu tun zu haben wünscht und ein Recht auf ihre Sicht der Dinge behaupten und in gleicher Würde durch dieselbe Gesellschaft gehen kann wie er. Nur darum geht es ihr, und verweigert man es ihr, wird ihr außer dem ehemaligen Gemahl gleich auch noch jeder egal, der sich für berechtigt hält, hier strafend und treibend in eine andere Richtung zu wirken.
Wir stellen hier fest, dachte die Kreativleitung: Sobald sie aus der Ehe heraus ist, gewinnt diese Dame an Format, ja, man staunt geradezu, was sie plötzlich alles kann. Das passt zum Sittengewebe der Zeiten, ja, das müßte gehen. Es ist zugleich der Probefall darauf, wie ernst es die Leute mit der Freiheit meinen.
Denn natürlich kommen dann sofort die konservativen Kräfte, welche in solchen Fällen noch immer nach der Devise „Versöhne und herrsche“ gehandelt haben – und nur in solchen Fällen, in anderen reden sie viel von Versöhnung, aber machen Ernst eher mit weiteren Spaltungen, gegenüber welchen sie notfalls auch mehr als zwei Augen zudrücken, in solchen Fällen aber, in denen eine Gattin richtig abspenstig wird, da wollen sie lieber mit aller Gewalt ihr ganzes Herz untersuchen und umkrempeln, als sich damit abzufinden und sie in ihrer Distanzierung anzuerkennen. Und diese konservativen Kräfte, wenn sie nur recht ausgebufft sind, können so eine Dame wie Gattin Ö ganz schön unter Druck setzen. Da dergleichen in unseren modernen Breiten und in unseren Zeiten aber als unsittlich und nicht zeitgemäß gilt, tun sie das – so erwog die Kreativleitung das weitere Vorgehen – aus einer Art Off. Mit dem Ergebnis, daß die Gattin Ö sich etwas einfallen lassen muß, wie sie dennoch und nun erst recht wieder Herrin der Lage mindestens hinsichtlich ihres eigenen kleinen Lebens werden könnte, die sie doch auch irgendwie zu sein wünscht, ob das nun bis ins Letzte philosophisch und ethisch ud glückstheoretisch zu rechtfertigen ist oder nicht. Und es wird ihr gar nichts anderes übrigbleiben, als nun also ihrerseits in jenes Off hinein zu sprechen und sich Verbündete zu suchen. Das gemeine Volk wird über Rosenkriege reden wollen, sogar das ehemals chefliche Paar wird sich möglicherweise zu solchen Reden hinreißen lassen, aber wenigstens dieses Paar wird doch, da es eine reale Liebe pflegt, keine unrealistischen Phantasien von machinierter Liebe aufziehen: so ist (im Gegenparadox zum Einsamkeitsparadox der nach eigenem Wunsch und aus Ernst gegenüber der Liebe Geschiedenen) gerade das heilste Paar der sicherste Schutz vor Zwangsverpaarungen, dachte die Kreativleitung. Und wie wird der Gatte sich verhalten, wird er einen Krieg führen wie wir dergleichen täglich hören müssen, sollen wir ihm das erlauben, oder wollen wir gnädig sein und eine Mediation gelingen lassen? Wie sollte die aussehen? Wie soll es dazu kommen? Soll der Demokratiebeauftragte helfen? Soll die Gattin Ö eher hölzerner werden oder eher eleganter und lebendiger?
Wenn das Letztere (und dies wollte sie entschieden so, und auch den abgelehnten Gatten wollte sie nicht völlig schlecht dastehen lassen, aber das kriegen wir später), dann müssen wir von der anderen Seite anfangen, dachte die Kreativleitung. Dann müssen wir so, wie wir einmal dabei sind, sagen: erst braucht sie mal eine eigene Funktion. Denn sonst scheitert alles schon am Namensstreit. Sie galt immer als Gouvernante. Lassen wir sie doch in der Öffentlichkeitsabteilung eine kleine Funktion übernehmen – nein, das wird nicht gut sein, so auf dem ehemaligen Feld ihres Gatten, aus dem er halb herausgekegelt wurde, halb sich selbst gekegelt hat, nein, sie wird vielleicht eher die neue Vorzimmerdame der Chefin, oder, noch besser, sie wird eine Expertise für Pest- und Brachvögel entwickeln und sich in der teilnehmend beobachtenden Kooperation mit der Vogelwelt ein wenig lockern und zu neuer Aktivität aufschwingen, da hat sie den ihr angemessenen Job, das ist es überhaupt. Aber wie wird es dann mit den Begegnungen mit dem ehemaligen Gatten? Nun, wenn die Offler mit ihren verrückten Versöhnungsallüren aufhören, wird das kein Problem sein. Er wird dann und wann herumranzen, aber das wird sich legen, und sie wird eisig höflich an ihm vorbeigucken, bis es zur Unterzeichnung eines Abkommens gekommen sein wird, mit dem beide leben können und durch das sie von dem Druck der Offler befreit und in ihrer Distanzierung anerkannt ist. Aber die Offler werden nicht aufhören. Brachvogel allen voran wird die gesamte Vogelschar mit Ausnahme des erzählenden Kranich mobilisieren, und das kann sehr unangenehm werden, wenn man nur einen Sicherheitsbeauftragten und ein kränkliches Mo hat. Was macht man also mit ihnen? Man läßt sie ausführlich zu Worte kommen, natürlich. So ausführlich, daß die Dame, die bereits zu Beginn unserer Weberei das Käthchen aus Shakespeares Widerspenstigenzähmung nicht mochte, gar nicht mehr weiß, was sie tun soll? Und dann?
Dann wird sie vielleicht etwas scheinbar vollkommen Verrücktes tun. Aber was? Vielleicht selbst verreisen, vielleicht eine andere Wohnung beziehen, vielleicht merkwürdige Anzeigen aufgeben? Oder ganz gleichmütig in grauen Kostümen die letzten Jahre, in denen sie noch eine Chance hätte auf eine neue Verbindung, dahingehen lassen in stumm-beharrlichem Widerstand gegen unzumutbare Zumutungen? Sich dann einreihen in die Riege der einsamen älteren Damen, die in früheren EinSätzen schon beschworen worden waren, und sich abfinden damit, daß es das gewesen sein wird?
Die Kreativleitung kam einstweilen nicht weiter. Es mußte aber etwas geschehen auf diesem Felde, so viel war klar, und es mußte ein Mittel geben, den Kwaliteitswart anzulocken, um mit ihm zu sprechen, etwas an diesem Mann stimulierte sie, da war nun einmal nichts zu machen. Dies war wie es war, Nebenwirkungen – wie etwa Einsamkeit und Ergebenheit in die Aussicht, selbst den Anforderungen eines solchen Menschen nicht zu genügen – mußten in Kauf genommen werden. Nur so ließen sich derartige Attacken in Würde ertragen. Sie seufzte vor sich hin, schaute aufs schlafende Mo und dann aus dem Fenster, lauschte auf die fremdartigen Musikklänge, die an diesem Tage vom Hof kamen, betrachtete an der offenen Seite ihres Büros das neben vielen prächtigen Pflanzen etwas kümmerliche Gewächs, welches als einziges noch keinen Terrakotta-Topf abbekommen hatte, und ging erst einmal ins „Bistro.“
Mo, da war sie ganz zuversichtlich, würde in Ruhe schlafen. Sie würde dem kleinen Wesen etwas Apfelmus mitbringen, so zum Anfang, und ein winziges Tröpfchen Honig druntermischen.
Die EinSatzLeitung schreibt mit Gästen ein Buch. Pro Tag darf jede Person einen Satz einsetzen, die EinSätze werden fortlaufend numeriert. Auf der B-Ebene gibt es längere narrative Stücke. Die EinSatzKräfte und ihre Texte sind sämtlich rein fiktiv und frei erfunden. Alle Rechte bei der Autorin.
17 Kommentare:
Es heißt "Teile und herrsche" - divide et impera - nicht versöhne und herrsche, wo gibt es denn bitte sowas!
Es wird wieder niemand diesen Paradoxienformalismus verstehen!
Außerdem ist die arme Gattin Ö ziemlich übel aufgestellt, und der neue Projektleiter auch.
Das sehe ich nicht so, lass sich die Sache doch mal entwickeln.
Ihr habt alle immer die falschen Sorgen.
Du hingegen immer die richtigen, ja.
Mir ist von irgendeinem Off nichts bekannt, und wenn die Leute sich aneinander in der Öffentlichkeit zu schaffen machen, gucke ich sowieso weg.
Alte Krampfhenne, dann hast dus doch trotzdem schon gesehen.
Darf ich mal um etwas mehr Aufmerksamkeit für unseren Besuch und unsr olympisches Anliegen bitten.
Das Wochenende ist bald vorbei, und nächste Woche auch die Frist für die Erledigung meines Auftrags.
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Es ist sehr heiß.
Ich komme nicht. So schon gar nicht.
Ich finde, die Konservativen werden unterschätzt.
Mir wird det hier allet zu komplex.
Ich finde es eher unterkomplex, vor allem den Komplexitätswart selbst.
Die Ankunft und den EinSatz der guten Konservativen erwarten wir stündlich, wir würden sie auch begrüßen.
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