Mittwoch, 31. März 2010

1023.

Der Minderheitler mit den grünen Borsten hatte die Idee, er könne über Ostern mal verreisen, und er, der sonst recht wenig in Computer schaute, fand sich blätternd, suchend und surfend, ja, er betrat sogar Plattformen, auf denen er sich sonst nie herumtrieb, weil er plötzlich meinte, irgendwo da draußen könne vielleicht jemand sein, dem auch gelegentlich oder dauerhaft grüne Borsten wüchsen, und da er es so noch nie betrachtet hatte, begann dieser Gedanke ihn ein wenig zu interessieren.

Dienstag, 30. März 2010

1022.

Der Buchhalter wollte sich eigentlich beschweren, er könne so nicht arbeiten, drei Regelbrüche in der Kommentarstrecke zu einem in sich schon heiklen EinSatz, er wolle nicht unbedingt mehr Gehalt fordern, aber doch bessere Bedingungen, die Chefin müsse sich auch mal, statt sich nur mit der Kreativleitung einzuplaudern, hinter IHN stellen - er WOLLTE sich wie gesagt beschweren, aber als sein Blick auf die Zahl fiel und ihm bewußt wurde, daß man wirklich soeben den tausendsten EinSatz schreibe, da wurde er ganz starr, und es ging wohl nicht nur ihm so, denn Kommentare gab es an diesem Abend keine.

Montag, 29. März 2010

1021.

Als die Chefin für den Tag so weit durch war und ihre Bürotür hinter sich zu zog, sah sie zufällig, daß der erzählende Kranich mit Mo die Kreativabteilung verließ, und so entschloß sie sich spontan, bei der alten Freundin "einzugucken," denn ein Gespräch a deux mit dieser irgendwie entspannenden Person fehlte ihr schon seit längerem - besonders nach diesem Tag, an dem anscheinend nur Eins-zu-Einsler, Sportsblondinen, wie sie Robert Musil und Thomas Mann in ihren schlimmsten Briefen nicht übler hätten charakterisieren können, und einige wenige knarzgrade Menschen beider Geschlechter, mit denen man immerhin auskommen konnte, unterwegs waren, aber nichts, rein gar nichts Leichtes, Freundliches, Helles, Buntes und Seelenruhiges - und vorsichtig pochte sie an die nicht ganz geschlossene Tür.

Sonntag, 28. März 2010

1020.

Wie gestern schon bemerkt war der Samstag ein schöner Frühlingstag gewesen, genutzt vom naseweisen Sinologen, Mr. Precuneus, Dame Ö, dem klitzekleinen Forschungsminister und der Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse nebst Mo gemeinsam einen längeren Spaziergang durch die Stadt zu unternehmen (Mo und der klitzekleine Forschungsminister saßen auf dicken Kissen im gelblackierten Wagen, während die größer geratenen Herrschaften abwechselnd das Gefährt schoben), alle unterhielten sich mit allen, bis sie auf den Gehweg der Monumentenbrücke kamen, von dem aus man einen "spektakulären" Blick auf städtisches Gelände genießen konnte, was alle mit vielen Ahs und Ohs und "guck-mal-dahinten-das-Springerhochhaus" taten: da plötzlich verfiel Mo, welche die ganze Zeit über durch die Gitter des gelben Einkaufswagend auf den Gehweg gestarrt hatte, in eine Art Trance und es fidelte aus ihr heraus "wie wunderbar diese Brücke sich über die Gleise streckt, als wäre sie die römische Wölfin, die - Bauchseite nach oben - mit ihrem Leib die Bahnstrecke überbrückt," und während alle sich wunderten, wie sie auf diese schräge Idee komme, sprang Mo im Einkaufswagen herum, boxte ihr Kissen und sagte, sie würde gern ein Stück zu Fuß gehen, man könne sie doch später wieder auflesen, wenn man fertig sei mit dem Ah und Oh des Herumguckens auf blöde Häuser, Balkons und dergleichen.

1019.

Typisch, schrie der Buchhalter, irgendwelche Idioten haben gedacht, man nehme ihnen nicht eine Stunde weg, sondern gebe ihnen eine dazu, und jetzt haben wir den Salat, 3 Minuten zu spät zum EinSatz!

Freitag, 26. März 2010

1018.

Ach Mo, jetzt quengel doch nicht so, jammerte die Kreativleitung, nimm einfach diese Zeichnung hier und lass mich ein wenig machen, denn sie hatte eine dringende Terminsache zu erledigen - Mo aber, die fand, es sei an der Zeit, den sehr warmen sehr blauen Mantel nicht durch den grauen Kittel, sondern durch etwas NEUES zu ersetzen, quengelte weiter und fand das vorgeschlagene Bild nicht witzig, denn sie sorgte sich um den Kopf der armen Wildgans.

Donnerstag, 25. März 2010

1017.

Wenn die Dame Chefin im Winter die Bahnen nutzte, fühlte sie sich immer so zerbeult, weshalb sie es vorzog, wenn irgend möglich ihre Arbeitswege zu Fuß zurück zu legen, denn das erfrischte sie, und sie fragte sich, warum eigentlich nicht auch auf den Gehwegen zuweilen kleine Dichtungen zu sehen waren, wie man sie schließlich auch im Internet finden konnte, einige von ihnen vielleicht sogar geeignet, einsamen Herzen, die ihren Einsatzgenossen nur für wenige Minuten an irgendwelche Bildschirme entfliehen konnten, ein wenig aus der Seele zu sprechen, wie zum Beispiel das folgende kleine Gedicht, das ihr Kind aus dem web gefischt hatte als Vorboten eines ungeheuerlichen come-backs: http://www.youtube.com/watch?v=gbZVdj_d62M

Mittwoch, 24. März 2010

1016.

Der naseweise Sinologe, welcher am Vortage sich ein wenig gemopst hatte mit Kenntnissen der Peking-Oper, ist den treuen Leserinnen und Lesern des EinSatzBuches bekannt als einer, der stets mit einem gelblackierten Einkaufswagen durch die Gegend schiebt, an dem irgendwelche Gegenstände befestigt sind, er ist aber nicht bekannt als ein ganz gewöhnlicher U-Bahn-Fahrgast, als solcher allerdings ließ er am Mittwoch die Stadt auf sich wirken und staunte nicht schlecht, als er einen der Helden seines Freundes, des klitzekleinen Forschungsministers auf den Bildschirmen der U-Bahn-Sender zitiert fand mit dem Satz: "Was nützt die schönste Gesundheit, wenn man sonst ein Idiot ist," er zückte sofort sein Handy, made in Japan, und brüllte in den Hörer, das müßtest du lesen, sie zitieren deinen Adorno in den U-Bahnen!

Dienstag, 23. März 2010

1015.

Am anderen Tag hatte die Dame Ö Geburtstag, natürlich war sie weit davon entfernt zu verraten, den wievielten, aber sie spendierte nicht nur einen großen dänischen Butterkuchen zu Obstsalat (sie lebte sehr gesund) und Sekt, sie ließ auch die EinSatzLeitung an dem einzigen Zugeständnis teilhaben, das sie an die neuerdings etwas sehr in Szene gesetzten Jazzfans zu machen bereit war, und es war Mo, die als erste die Zipfel ihres sehr blauen Mantels packte und auf dem Tisch herumtanzte, als diese Musik erklang: http://www.youtube.com/watch?v=AJA2x_m0uy8&feature=fvw

Montag, 22. März 2010

1014.

Sitzung der EinSatzLeitung

Sitzungsleitung: Chefin

Protokoll: Buchhaltung

Anwesend: Kerntruppe minus Kreativleitung (abgemeldet wegen Heuschnupfen, diese Zimperliese) plus Warte (sogar der Komplexitätswart gibt sich die Ehre)

Tagesordnung:

1. Beschwerden seitens der politischen Deuter
2. Anfragen wegen des Endes
3. Sonstiges

TOP 1: Die Chefin stellt verschiedene Briefe vor, in denen etwa behauptet wird, der erzählende Kranich sei eine Figur der Schleichwerbung für die Lufthansa, Brachvogel ein Florian Geyer gegen das (oder den?) Zölibat und das Ganze sowieso eine heimliche Werbung für Jazzradio. Die Warte hätten ihr in verschiedenen Tonlagen nahegelegt, auf diese Einwürfe zu reagieren, auch ein Ornithologenclub mache sich immer wieder bemerkbar und müsse beachtet werden, sodann eine Projektlertruppe, die drohten, eine große Kampagne zu machen, um die Diskriminierung des Projektwesens aufzuhalten. Die Chefin bekennt offen, daß sie dagegen ist, derartigen Dingen mehr Aufmerksamkeit als die routinierten Antworten aus der Abteilung Öffentlichkeit zu schenken. Ihr zur Abstimmung gelangender Vorschlag lautet, Mr. Precuneus gelegentlich zur Mitsichtung problematischer Fälle einzuladen. Eine solide Mehrheit entscheidet dafür.

TOP 2: Aus dem Kreis der Warte ergeht die Anfrage, bei welcher Zahl das EinSatzBuch zuende sein solle. Eine unreferierbare Zahlendebatte zieht sich über drei bis vier Stunden, danach wird beschlossen, mit offenem Ende weiter zu machen. Versuche, die Kreativleitung zu erreichen, die immer mal etwas von einem bevorstehenden Ende geunkt hatte, schlagen fehl.

TOP 3: Der Minderheitler mit den grünen Borsten fragt nach, ob es eigentlich demnächst mal Tarifverhandlungen geben könne. Es wird beschlossen, über diese Frage nachzudenken, Wiedervorlage bei der nächsten Sitzung, Minderheitler übernimmt Organisation eines kleinen Kommittees zur Entwurfentwicklung.

Die EinSatzKräfte schaffen es nicht, den Raum zu räumen, bevor die Putztruppe kommt.

Sonntag, 21. März 2010

1013.

Eigentlich finde sie es nicht so gut, schon im Hauptteil mit den Musikfilmen zu kommen, sagte die Kreativleitung, als sie den letzten Eintrag gelesen hatte und nun verdrossen vom Bildschirm auf und in den Regen sah, aber manchmal findet man zu schöne Sachen, die Entscheidung aber, ob sie lieber aus dem Golden Note Book von Doris Lessing die Stelle zitieren solle, an der über Mrs. Boothby berichtet wird, oder in Ergänzung zum früher einmal zitierten A Song is Born den folgenden Link >http://www.youtube.com/watch?v=Ci9lo_wCYZQ&NR=1< einstellen solle, übergab sie aber dem erzählenden Kranich, welcher sie nach Rücksprache mit Mo überzeugte, für den Link zu entscheiden, das sei gerade bei diesem Wetter sehr viel schöner, "und nicht die Möwen über den Türmen übersehen!"

Samstag, 20. März 2010

1012.

Als Karomütze an den Schirm trat, um mitzuteilen, daß die Sitzung der EinSatzLeitung am kommenden Montag, dem 22. März 2010 unter der Nummer 1014 stattfinden werde, um den EinSatzKräften ein geruhsam verregnets Frühlingswochenende zu ermöglichen und Zahlenspekulanten ein wenig Futter zu geben, meinte er, es müsse ein Leckerbissen aus seiner Globensammlung den Anschluß an den letzten EinSatz versüßen, und präsentierte den folgenden Link: http://www.youtube.com/watch?v=wyLjbMBpGDA.

Freitag, 19. März 2010

1011.

Die Chefin in ihrem Büro lächelte ausgewogen, als der Demokratiebeauftragte für die Tagesordnung der nächsten Sitzung empfahl, einen Dank an die lieben Medien zu formulieren, da sie in letzter Zeit die EinSatzLeitung mit so herrlichen Anregungen versorge wie etwa jenem Bericht über die Befreiung der Nerze in Brandenburg, auch hätte die Kreativleitung zu einem Liede im Radio heutigen Tages recht anhörlich geträllert; gefragt, was ihr an dem Lied so gefalle, habe sie gesagt, die Konstruktion des Textes ist absurd, sie geht vorwärts und rückwärts nicht auf, es kommt immer ein fettes Ressentiment herum, überhaupt jage sie neuerdings im Radio nur noch nach Song-Texten und Nachrichten, die NICHT vor Ressentiment und dicken Hälsen strotzten, und es sei unfassbar wenig, aber wenn, dann sei sie immer gleich so dankbar, kurzum, sagte der Demokratiebeauftragte, wir haben allen Grund dankbar zu sein, und das sollen wir dann doch auch mal ausdrücken, er wog die Worte sorgfältig, er wägte sie auch, und er legte sie mit spitzen Fingern auf die unsichtbare Waage vor den Augen der Dame Chefin, aber diese schien in keiner Weise aus- oder anzuschlagen, sondern lächelte in undurchsichtiger Ausgewogenheit so unerbittlich weiter, daß der Demokratiebeauftragte eine Wut in sich aufsteigen fühlte, welche, wenn er gewußt hätte, daß ihr visuelles Gedächtnis noch mit der Halskette einer international bedeutenden Politikerin beschäftigt war, ins Maßlose gesteigert worden wäre, denn war nicht er vor ihr, bedeutend und um Anerkennung ringend, sie aber, herzlos, cheflich, nein, das konnte nicht wahr sein, und es war besser, daß er von dieser kleinen Abschweifung seiner Vorgesetzten nichts wußte, mochte der Preis auch sein, daß er ebenso wenig ahnen konnte von ihrem Mitleid, ihrer Güte und ihrer Freude über seinen doch fast schon kühn zu nennenden Vorstoß.

Donnerstag, 18. März 2010

1010.

Was, sie haben die Nerds freigelassen, brüllte Mr. Precuneus breit grinsend in den Telefonhörer, ja wer kommt denn auch auf die Idee, irgendwelche Nerds erst einzusperren und sie dann freizulassen, so blöd muß man ja erstmal … lassen Sie mich mal, schrie Karomütze, indem er dem Kollegen den Hörer aus der Hand nahm, und dann quäkte er nicht etwa Verzeihung-unser-Kollege-hat-einen-Migrationshintergrund-er-weiß-nicht-wie-gefährlich-die-kleinen-Raubtiere-sind-und-daß-es-sich-keineswegs-um-frühtraumatisierte-Computerfreaks-handelt in den Hörer, sondern brüllte völlig enthemmt, diese militanten Tierschützer haben sich immer schon in die eigenen Knie geschossen und das ganze Land verwüstet und dabei noch große Reden geschwungen, wie toll sie sind und was sie alles Großartiges machen, wir kommen sofort, wenn die EinSatzLeitung eine dieser Feuerwehrrutschen hätte, er hätte den Kollegen geschnappt und wäre runtergerutscht, aber so mußten sie schon die Treppen nehmen, und ein Blaulicht für den Alfa hatten sie auch nicht, aber Rasen geht, oder, sagte Mr. Precuneus, und grinste sich schon wieder eins über die durchgeknallten Vorschriften der, wie sagt der Kwaliteitswart nochmal, der Moffen, oder?

Mittwoch, 17. März 2010

1009.

Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, sagte der erzählende Kranich, zog den Kopf wieder ein, schloß das Fenster und verzog sich hinter die spanische Wand, die zu seinem Schutze in der Kreativabteilung errichtet worden war, nur um sogleich entsetzt wieder hervorzustaksen, denn dort hatte ein Mauersegler gesessen und gefragt, ob man sich nicht vielleicht ein wenig über das Segeln unterhalten wolle, eine Frage, die den wintermüden Kranich mindestens so erschreckt hatte wie die Anwesenheit des kleinen Kerlchens.

Dienstag, 16. März 2010

1008.

Es ist eine komische Gewohnheit der Deutschen, bemerkte Mr. Precuneus in die Gesichter der milde den Blick senkenden Gattin des ehemaligen Chefs und ihres Gatten sowie in das ein wenig angespannt wirkende Gesicht der Kreativleitung, daß sie ihr Bier so sehr kalt so sehr schnell kippen, aber man kann sich wirklich daran gewöhnen, und dann wischte er mit dem Handrücken einen Rest Schaum aus seinem Gesicht und fragte die Kreativleitung, ob ihr gelegentliches Grünwerden vielleicht mit diesen Biergewohnheiten zusammen hängen könne, er habe den Eindruck, es könne insbesondere mit dem alkoholfreien Bier, das sie vorzuziehen scheine … aber die Kreativleitung sagte Papperlapapp, es ist einzig und allein eine Frage der Anspannung, ich habe es leider nicht unter Kontrolle, aber beim Weben stört es eigentlich nicht, und dann meine ich, es ist in sich auch eine durchaus kleidsame Farbe, nein?

Montag, 15. März 2010

1007.

Der Minderheitler mit den grünen Borsten war noch nicht restlos beruhigt.

Sonntag, 14. März 2010

1006.

Dame Ö pflegte in ihrem wohlrestaurierten schmalen Küchenschranke manches zu verwahren, dessen Sinn sich dem gelegentlich in der Küche herumwerkelnden Nachwuchs nicht unmittelbar erschloss, etwa ein altes Joghurtglas mit Schraubverschluß, in dem sehr gelbe kristalline Klumpen, in deren Innerem wiederum kleine rote Fädchen zu sehen waren, seit Monaten ruhten, und als der Nachwuchs an diesem verregneten Märzsonntag auf der Suche nach Nervennahrung für die Arbeit an seiner schriftlichen Prüfungsleistung den Schrank durchwühlte, während im Hintergrund aus gegebenem Anlaß das "Double-Soul" von Seeed abgespielt wurde, fragte er, das Glas vor der Nase der verdutzten Dame schwenkend, was er immer schon mal fragen wollte: Mama, was ist bitte das hier, was hebst du eigentlich immer für einen Krempel in deinem Schrank auf, was soll das sein, Fädchen von Hamamelisblüte im gelben Eise zur Anfertigung faltenmordender Gesichtsmasken oder was, und die Dame Ö sagte, wenn du die Musik oder was du so nennst ein wenig leiser machen würdest, könnte ich geneigt sein, es dir zu verraten, mein Herz, in der blauen Dose da oben sind übrigens Kekse, die du glaube ich sehr gern ißt.

Samstag, 13. März 2010

1005.

Die Samstagsschicht hatte Mo, den klitzekleinen Forschungsminister und Mr. Precuneus in der Kreativabteilung zusammengeführt, Mo saß in ihrem sehr blauen Mantel im Schneidersitz auf der Fensterbank der Kreativabteilung, der klitzekleine Forschungsminister lehnte behaglich an dem Topf, in dem eine mittelgroße Kamelie ihre letzte blaßrosa Blüte zeigte, und Mr. Precuneus gefiel es recht gut im Schaukelstuhl, der neuerdings in Fensternähe stand bzw. gegenwärtig leicht schaukelte, ein interessantes Möbel, sagte Mr. Precuneus, als er sich setzte, und sodann sprachen die drei angeregt über die erstaunlichen Auswirkungen von langanhaltender radikaler Ohnmacht, vor allem aber darüber, wieso das Denken der meisten zeitgenössischen Richtungen die den in diesem Prozeß aktiven Menschen fast immer unbewußte, im Kern also "bewußtseinsohnmächtige" wiederholentliche Erzeugung von neuen real zu radikal Ohnmächtigen gemachten Menschen erzwinge, und was der klitzekleine Forschungsminister "Reifizierung" nannte, nannte Mo einfach Einkerkerung, und Mr. Precuneus sagte, ihm komme es immer vor wie eine "Wesensbeklopptheit" des alteuropäischen Denkens, ein Wort, über welches der Klitzekleine gerade in raschelndes Gelächter verfiel, als die Tür mit merkwürdigen Nebengeräuschen geöffnet wurde und der Minderheitler mit den grünen Borsten sich hindurchdrängte, tief beleidigt dreinschauend, da er in den letzten Wochen und Monaten von der Kreativabteilung sträflichst vernachlässigt werde, was ihm besonders schmerzlich auffalle angesichts der Tatsache, daß neuerdings die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse … o nein, jetzt bitte nicht so einen Kleinkram, was sollen wir denn mit dem nun machen, seufzte der klitzekleine Forschungsminister, aber Mo hatte ein wenig Mitleid, und Mr. Precuneus strahlte über beide Backen und sagte, Ihnen wollte ich immer schon gern mal ein paar Fragen stellen!

Freitag, 12. März 2010

1004.

Wenn es abends später wurde - und es wurde oft später im Büro der Chefin - hatte sie neuerdings das Vergnügen, auf der anderen Straßenseite ein Fenster zu sehen, das permanent orange beleuchtet war, mit einem dieser blauleuchtenden Bildschirmrechtecke, und sie dachte, blau, blau, war da nicht was, richtig, ich wollte doch die Kreativleitung bitten, morgen mal was über Griechenland zu machen, das ist doch auch ganz interessant, und mit einem herzhaften Gähnen tippte sie auf die Ausknöpfchen ihres Computers, lüftete noch einmal kräftig, während das Gerät "herunterfuhr," holte Mantel und Schirm aus dem Garderobenschrank und dachte bei sich, das Kind wird wieder seit Stunden zuhause herumhängen, ach nein, es hat ja heute Besuch von der Freundin, na da wird es ja aussehen, aber sie freute sich auch und ging dann mal los.

Donnerstag, 11. März 2010

1003.

Hat eigentlich irgendwer Genaueres über den Besuch des Herrn X. zu berichten, fragte die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse und den ewig rotgeränderten Augen an diesem Morgen im "Bistro" völlig unvermittelt, und Karomütze fragte sich schon, was sie ausgerechnet zu so einer Frage veranlasste, aber er konnte diesem Gedanken nicht nachhängen, denn der Demokratiebeauftragte erzählte mit unwiderstehlichem Näseln, daß Herr X. die erstaunliche Beschwerde vorgebracht habe, das Russische sei in letzter Zeit etwas zu kurz gekommen, und um diese Sache recht anschaulich zu machen, habe er ein Filmchen vorgeführt, das wirklich nicht als schmeichelhaft bezeichnet werden könne, zumal im EinSatzBuch zu zeiten ganz andere kleine Einblicke in große russische Kulturproduktion genommen worden seien, aber er ist doch Niedersachse, wandte die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse ein, was hat er denn mit Russen zu schaffen, es muß sich um eine Wahlverwandtschaft handeln, sagte der Demokratiebeauftragte, er sagte, er würde sogar einen Aufruf zur Befreiung Chodorkowskys diesem völligen Verschweigen der russischen Welt vorziehen, und das erstaunte nicht nur die Minderheitlerin.

Mittwoch, 10. März 2010

1002.

Was will der denn hier, welche Sorte Vogel will das sein, nicht Pest-, nicht Brach-, nicht Kranich, was bitte ist das für ein Vogel, fragte ein völlig entnervter Buchhalter, als er am Mittwochmorgen sein Bürofenster nicht öffnen mochte, weil ein ölverschmierter Fischreiher sich lang auf dem Sims ausgestreckt hatte und sich nicht recht regen wollte, den Demokratiebeauftragten, welcher das Tier sogleich in Augenschein nahm und erbleichte, denn allein konnte der unmöglich in diesem Zustand auf die Fensterbank im vierten Stock gekommen sein, und besonders lebendig sah er auch nicht mehr aus.

Dienstag, 9. März 2010

1001.

Es wäre der richtige Tag, um über die Begegnung zwischen einer Parkuhr und einem Bauarbeiter zu berichten, sagte Karomütze, als er der Kreativleitung ihre Mo anreichte, finden Sie nicht, und die Kreativleitung sagte, die einzige andere Lösung, die mir eingefallen ist, war zu sagen: befreit Scheherazade und ihre Schwestern, aber besonders begeistert bin ich davon auch nicht.

Montag, 8. März 2010

1000.

Das ist jetzt doch irgendwie peinlich, dachte die Kreativleitung, und morgen wirds noch schlimmer, antwortete Mo, hab ich was gesagt, fragte die Kreativleitung, du hast etwas gedacht, sagte Mo, und man sah deinen Augen an, was, sagte Mo, son Quatsch, sagte die Kreativleitung, ich kann auch Zahlen lesen, sagte Mo, und in diese Art Gespräch waren sie noch vertieft, als der erzählende Kranich hereinschneite, auch nicht mehr so aufwendig wie früher, und sagte, die Artgenossen haben Probleme, sie sind schon hier, aber der Frühling noch nicht.

Sonntag, 7. März 2010

999.

Nine-nine-nine, schrie Mr. Precuneus, und Karomütze brüllte Nein-nein-nein, und der Kwaliteitswart sagte nej-nej-nej, die beiden ersten beeindruckenden Wortbeiträge gaben die Sicherheitstypen zu je verschiedenen Zeiten vor dem Fernsehschirm im "Bistro" von sich, während die je gegnerische Mannschaft ihren jeweiligen Favoriten das eine oder andere Tor reinballerte, wohingegen (jawohl, wohingegen, ab und zu müssen auch wir uns eine häßliche Schwellung erlauben) der Kwaliteitswart die Idee, den Sicherheitstypen allein die EinSätze zu überlassen, mit einem dreifachen nej kommentierte, hoffend, daß damit für einmal auch die Kommentarebene erledigt sein würde.

Samstag, 6. März 2010

998.

Sie hätten mir schon den Wochenenddienst für morgen zuschieben können, diese Idioten, das haben sie mit Absicht gemacht, zur 999, da wäre mir was eingefallen, aber 998, wen soll so eine Zahl interessieren, und was bitte soll einem dazu einfallen, murrte der Buchhalter, als er vor dem Bildschirm seines Bürorechners saß und faden Tee in sich hineinschüttete, der bei den geringen Temperaturen, die er in seinem Büro gelten ließ, unangenehm schnell abgekühlt war, die Stunden zogen sich wie der Käse in einer billigen Lasagne, und es wollte ihm einfach nichts einfallen, am liebsten hätte er zum Hörer gegriffen und die Kreativleitung fernmündlich angeschnauzt, aber die ließ sich neuerdings einfach gar nichts mehr gefallen, so ließ er es eben bleiben.

Freitag, 5. März 2010

997.

Mr. Precuneus hatte einen schmissigen Bericht geschrieben über die Schwierigkeiten der EinSatzLeitung und daß dieselbe einer gleichsam fürsorglichen Belagerung unbedingt bedürftig sei, es sei nachgerade katastrophal, wie wenig die Europäer imstande seien, ihre Angelegenheiten ohne afrikanische Hilfe zu regeln, es fehle ihnen an den elementarsten Kenntnissen dessen, worauf es im Leben recht eigentlich ankomme, und völlig unerklärlich sei ihm, wie es ihnen jemals habe gelingen können, ihre technische Überlegenheit so einzusetzen, daß man sie auch für geistig überlegen hielt und die Belehrungen durch die Kolonisatoren zu deren Nutzen und Frommen, nein, letztlich eben doch auch zu ihrem Schaden, geglaubt habe: sein Aufenthalt in Europa sei, kurzum, eine Mission von höchster Bedeutung, dies sehe auch die Chefin der EinSatzLeitung ganz genau so (eine Aussage, welche die Chefin großzügigst selbst bestätigt hatte), und nun kam tatsächlich die Genehmigung von seiner Heimathochschule, die ihm erlaubte, seine segensreiche Tätigkeit als missionierender Sicherheitspraktikant noch eine Weile fortzusetzen, eines Tages werden wir noch Brandenburg zu einer ghanaischen Kolonie machen, schrieb sein unmittelbarer Vorgesetzter humorig darunter, aber das mißfiel dem Precuneus doch, denn, so sagte er stirnrunzelnd, ich wüßte welche, die glauben sowas wirklich und halten es für Selbstverteidigung, wenn sie dagegen Prügel einsetzen.

Donnerstag, 4. März 2010

996.

Der Kwaliteitswart war an diesem Abend sehr darauf aus, ein Bier mit Karomütze zu trinken, denn von Berlin aus hatte er die Vorgänge in seiner Heimat mit Besorgnis beobachtet, und sie hatten ihn mehr beschäftigt als alle möglichen anderen Tagesfragen, ja, es erschien ihm plötzlich die Vorstellung unwiderstehlich, man müsse große Zäune um Amsterdam errichten, oder Hecken oder sowas, Inwasserdeiche, was auch immer, damit bloß nicht einer von diesen Rechten auf die Idee verfallen möge, in dieser herrlichen Stadt das zu tun, was er "aufräumen" nennen würde, aber wir können doch nicht plötzlich selbst anfangen, Mauern zu bauen und Gräben zu graben, sagte er, das kann es doch nicht sein, was aber dann?

Mittwoch, 3. März 2010

995.

Guckmaguckmaguckma, schrie das Kind, welches, Mo auf der Schulter, auf der Rückbank des Fahrzeugs der Chefin saß, hinter uns schon wieder so ein Auto, fetter Daimler, Typ um 60 am Steuer, neben ihm so eine kleine asiatisch aussehende Frau, wie in den Vietnamfilmen, bloß daß da die Männer jünger sind, wie kommt das bloß, Mama, und warum machst du das nicht, und Mo kicherte und sagte, vielleicht ist das seine Tochter, ein Adoptivkind, oder die Freundin seiner Tochter oder seines Sohnes und er fährt sie nachhause, und sie zupfte ein wenig an den roten Locken des Kindes herum, nicht wahr, du wirst jetzt nicht glauben, daß es immer so ist wie du es dir vorstellst, die Chefin aber schmunzelte und sagte, naja, das Patriarchat ist nicht aufgrund eines Treppenwitzes entstanden, sondern weil es schon ein paar natürliche Nachteile für Frauen gibt, mein Schatz, aber wenn man bedenkt, wie stark und dauerhaft die sind, dann kann man doch eigentlich nur staunen, daß es manchmal so aussieht, als könnten daraus auch Vorteile werden, für einzelne, aber vielleicht auch für immer mehr.

Dienstag, 2. März 2010

994.

Am Dienstag-Vormittag lief die Leitung der Leitung der Abteilung Öffentlichkeit etwas heiß, denn aufgrund einer Beschwerde der chronischen Begleitung des Herrn X. aus Niedersachsen fühlten sich plötzlich etliche Journalisten bemüßigt nachzufragen, warum man denn so gar nichts mehr von der eigentlichen Begegnung zwischen diesem und dem "kleinen Protokoll" berichte, da müsse doch und da könne doch und was denn bitte dahinter usw., und die Leitung der Abteilung Öffentlichkeit wurde schließlich ganz nervös, aber da sie einen Kursus in positivem Denken absolviert hatte, gelang es ihr fast perfekt, diese ihre Nervosität als eine Herausforderung zu begreifen und anzunehmen und auch einmal die Chance darin zu sehen, zum Beispiel zu sagen, ach wissen Sie, Sie sind bereits der Viertelvorzwölfte, der sozusagen original eins zu eins dieselbe Frage stellt, natürlich haben Sie sich nicht abgesprochen, schon gar nicht haben Sie abgekupfert, Sie haben einfach nur ganz aus sich heraus die einzig angemessene Frage formuliert, nicht wahr?

Montag, 1. März 2010

993.

"Gin in Tonic" summte der Buchhalter, der als letzter das Licht ausgemacht hatte, als er durch die Nacht zu seiner Wohnung ging, indem er auf den Unmengen kleiner Steine herumknirschte, welche auf den Wegen der Hauptstadt in wenig beneidenswerter Gedrängtheit den Menschen unter die Füße kamen, "Gin in Tonic -- der Mond nimmt ab, wann war der schon mal voll -- Gin in Tonic, Gin in Tonic, wer weiß schon, was man tun und lassen soll," und dann schwenkte er, indem er in einen besonders dunklen Weg einbog, um auf "Taube in Grün, nach des Winters weißer Sintflut ausgeflogen zu den Weidekätzchen am Kanal, hat dein Mona Lisa Mund gelogen, der mir 40 Winternächte stahl," und nicht einmal eine Katze war da, erschrocken zur Seite zu springen vor seiner mantelkragengequetschten Stimme, es ist eine Ödnis, so mitten in der Stadt, dachte der Buchhalter, und sie werden nie dagegen ankommen, im Leben nicht, sagte er, als er glücklich vor der Tür "seines" Mietshauses angekommen war, und er mußte lächeln bei dem Gedanken, wie er sich noch ein Jahr zuvor aufgeregt hatte über die vielen kleinen Steinchen, die einem immer im Profil des jahreszeitadaequaten Schuhwerks feststaken.

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