Samstag, 31. Oktober 2009

871.

Die Brachvögel waren dann sehr schnell wieder mehr mit sich beschäftigt, flogen zu einem Ort, an welchem sie sich zu versammeln pflegten, wenn die Tage kürzer und die Nächte ziemlich kalt wurden, und der erzählende Kranich kam tatsächlich, tief gerührt von Mos Besorgnis, aber ebenso schnell darum bemüht, jeden Zweifel an seiner völligen Souveränität sofort auszuräumen, ich und herumirren, sagte er, während er wie üblich seine Federn ausschüttelte und amüsiert Mos Niesen beobachtete, ich werde schon etwas mit mir anzufangen wissen, wenn ich hier gerade störe, aber ich freue mich natürlich, wenn die Luft wieder rein ist und man mich empfangen kann.

Freitag, 30. Oktober 2009

870.

Es ist doch schlimm, sagte Mo, die sich seit zwei Tagen ständig zwischen der Fensterbank und der Ecke mit ihrem Fell hin und her bewegte, der erzählende Kranich wollte doch kommen, aber bestimmt ist er, als er die vielen Brachvögel gesehen hat, wieder weggeflogen und irrt nun hilflos durch die kalten Lüfte, anstatt mit uns die kanadische Sängerin zu beweinen, die von Koyoten zerbissen wurde, und sie verlangte von der Kreativleitung, wenigstens einen Titel von ihr einzusetzen:http://www.youtube.com/watch?v=uz9Bc0JXeRo&feature=related

Donnerstag, 29. Oktober 2009

869.

Es stellte sich heraus, daß alles halb so schlimm war, "nur weil die Leute Krähenschwärme und Taubenschwärme und zu Zeiten Starenschwärme eher gewohnt sind als die der Brachvögel, muß man sich doch nicht gleich so aufregen, und warum soll Robin Hood nicht auch seine Anhänger haben, nicht wahr," sagte cool lächelnd der Kwaliteitswart, als er am anderen Morgen in das "Bistro" trat, und schließlich, "ihr Geflöte ist ein wenig harmonischer als das Gekrächze der Krähen und anhörlicher als das Schrastern der Pestvögel, und wenn der Lichteinfall ein wenig behindert wird durch ihr üppig geplustertes Gefieder, so kann man nur feststellen, daß es auch ohne diese Einschränkung heute in lichtmäßiger Hinsicht nicht zum Besten stünde," na klasse, sagte der Oberassistent, dann ist die Welt ja nur positiv, findet vielleicht einer ein Filmschen mit "Singing in the Rain"?

Mittwoch, 28. Oktober 2009

868.

Als die freundliche Cousine des Mr. Precuneus die ersten honneurs hinter sich hatte, rief Karomütze in höchster Aufregung an, denn ein ganzer Schwarm von Brachvögeln war soeben in die Hauptstadt geflogen, um eine gigantische Sabotage-Aktion aus den Lüften durchzuführen mit dem Ziel, Robin Hood zu rehabilitieren, und sie belagerten massiv die Fensterbänke der EinSatzLeitung, da diese fast als letzte in aller Offenheit daran festhielt, daß es anständiges und unanständiges Verhalten gebe, welches nicht allein durch das Recht, aber sicher auch nicht gegen es definiert werde, die Brachvögel indessen waren sehr sicher, daß sie es besser wüßten, und verliehen dieser ihrer Ansicht erheblich lärmenden Nachdruck.

Dienstag, 27. Oktober 2009

867.

Es war Freund Karomütze bisher nicht gelungen, den mittlerweile nicht mehr gar so neuen Praktikanten zu einer Autofahrt zu bewegen, zu wahnsinnig erschienen diesem nach der ersten Fahrt die aggressiv und zugleich irgendwie „ordentlich“ überhöhten Geschwindigkeiten und Fahrgewohnheiten der Leute, wobei er den Eindruck, daß Karomütze selbst einer der besonders schlimmen Fahrer war, nicht verheimlichte; so hatte Mr. Precuneus auch an diesem Tage das freundliche Angebot des Sicherheitsbeauftragten, eine entfernte Verwandte mit dem schwarzen Alfa vom Hauptbahnhof abzuholen, abgelehnt und ging zu Fuß über das von großen Repräsentations- und Regierungsgebäuden locker bestreute riesige Freigelände im Machtzentrum der Hauptstadt, nicht schlecht staunend über Details in der Flächengestaltung vor dem Bahnhof, welche ihm erst jetzt ins Auge fielen: es gab dort mehrere Ebenen, und ihre Übergängen fächerten sich, durch helle Linien markiert, zu flachstufigen treppenähnlichen Verbindungen auf, als würde der unwahrscheinlich leer wirkende Platz vor dem Bahnhof sich augenzwinkernd in die Unebenheiten des Bodens schicken, und Mr. Precuneus dachte, es hat etwas von Resignation in Stein, Beton und Asphalt, er würde seine Cousine als erstes auf diese drollige Idee der Deutschen aufmerksam machen, aber es gefiel ihm auch wieder, denn es paßte zu dem grauen Himmel und den insgesamt entspannt umeinander her wandelnden Menschen, und er dachte, sie wird für solche merkwürdigen Bodengestaltungen kein Auge haben, sie wird sich erst einmal nur wundern, wie wenig die Leute einander anrempeln und wie seltsam kahl alles aussieht.

Montag, 26. Oktober 2009

866.

Mo und die Kreativleitung waren wieder einmal die letzten in der EinSatzLeitung, denn die Kreativleitung dachte unentwegt darüber nach, wie man zu dem Bericht über die Peitschenhiebe für eine saudi-arabische Journalistin etwas Sinnvolles schreiben könne, es fiel ihnen beiden aber absolut nichts dazu ein, rein gar nichts.

Sonntag, 25. Oktober 2009

865.

Dame Ö hatte es innerhalb von zwei Tagen nicht vermocht, aus ihrem Sohne herauszubringen, warum er sich in seinem Studium betrug wie er sich betrug und warum er nicht im Semester weile, sie versuchte es mit Strenge, sie versuchte es mit Milde, sie versuchte es mit nachgerade übergriffiger Fürsorge und mit nachgerade vernachlässigend resignierter Abwendung, sie sprach mit Freundinnen und Freunden, Bekannten und Verwandten, und wenn ihr jemand sagte, du mußt etwas flexibler reagieren, reagierte sie flexibel, wenn ihr jemand sagte, du mußt ein bißchen konsequenter sein und mal bei einer Linie bleiben, versuchte sie auch das, aber schließlich war die einzige Linie, die ihr als ihre wirklich eigene einfiel, immerhin in sich eine flexible, und wenn sie soweit war, kehrte endlich wieder Gelassenheit ein, mit der sie sagen konnte, Söhnchen, du solltest dich ein wenig erholen und dich dann wieder um deine Studien kümmern, wobei kümmern durchaus auch heißen kann: herausfinden, was dich so sehr stört (denn daß dich etwas stört, ist ja offensichtlich) und ob es eine andere Richtung gibt, in die du leichter und froher vorangehen könntest, und wenn er sie dann anschnauzte, daß sie das nur sage, weil sie unbedingt mit einem erfolgreichen Sohn glänzen wolle, bat sie ihn ergeben, sie nicht anzuschnauzen, und wenn er dann fortfuhr, herumzuwettern, sie verstehe ihn nicht, es gehe überhaupt nicht um das Studium, aber sie sei ja absolut nicht in der Lage, irgendwas von ihrem Sohn zu verstehen, verzog sie sich und deklamierte laut Shakespeare, yet him for this, my love no whit disdaineth, sons of the world may stain when heaven’s sun staineth, und wenn er dann ankam und sagte, du hast ein o und ein u verwechselt, es geht um Sonnen der Welt, nicht um Söhne der Welt, dann lachte sie nur, was du nicht sagst, und sagte schließlich, irgendwohin mußt du aber wohl mit deiner Freude an Präzision, bilde dir nur nicht ein, daß du dem entkommst.

Samstag, 24. Oktober 2009

864.

Am Abend eines langen Tages hatte Mr. Precuneus seine neue Wohnung eingerichtet - oder doch wenigstens schon einmal ein Zimmer, in welchem er fortan zu arbeiten gedachte, wenn er nicht gerade im Büro der EinSatzLeitung wäre, und er hatte für alle Bekannten und EinSatzKräfte, welche ihm dabei geholfen hatten, die Wohnung so auszustatten wie er es brauchte, eine große Kiste Bier geholt, nun saßen sie zwischen noch nicht ausgepackten Kartons und bereits zusammengefalteten ausgepackten um einen Tisch und erzählten sich etwas, einer sagte, diese Community-Sachen, Sie verstehen, ein anderer erklärte das Wesen des Campaignings, und obwohl überwiegend von Dankbarkeit erfüllt konnte Precuneus sich nun nicht mehr zurückhalten, sondern platzte los: eine ganze Horde von Campaignern hat mal über Monate auf meine Mutter eingetrommelt mit Bildern und Musik zum immerselben Thema, das sie längst kannte und dessen Botschaft auch wirklich nicht so schwer zu verstehen war, es ging um einen Dialog mit irgendwem, und ihr müßt euch das bei uns ungefähr so vorstellen, daß dann, egal wo sie hingeht in ihrem Dorf, jeder irgendwie das Wort Dialog in sein Geschwatze einbaut, bis meine Mutter sich sogar einmal mit der zweiten Frau vom Bürgermeister unterhielt, mitten auf dem Marktplatz, und als das Wort Dialog fiel, fing meine Mutter an genau der Stelle, immer noch mitten auf dem Marktplatz an, laut herumzuschreien und zu rufen, wenn ihr unbedingt einen Dialog erreichen wollt, warum REDET ihr dann nicht mit mir DIREKT darüber, mit wem und warum ich dialogisieren soll, und als sie sah, daß alle etwas erschrocken waren, und weil sie wußte, daß sehr bald in der einen Ecke Gekicher, in der anderen möglicherweise gefährlicher Zorn ausbrechen würde, fügte sie schnell hinzu, weil es überhaupt nichts GIBT, worüber mit irgendwem ein Dialog geführt werden müßte, ihr habt euch einfach nur in den KOPF gesetzt, Campaigning statt Reden, weil euch irgendwer den Floh ins OHR gesetzt hat, daß man damit GARANTIERT zum Ziel kommt, mit Reden hingegen nicht, nur wieso soll mich das dann AUSGERECHNET VOM REDEN überzeugen???? und da mußten alle lachen, denn sie erinnerten sich plötzlich daran, daß sie die Trainer der Campaigner im Grunde auch irgendwie albern oder doch wenigstens seltsam aufgeregt gefunden hatten, und die zweite Frau des Bürgermeisters schenkte meiner Mutter eine Gans, weil eine Gans so eine perfekte Form hat, und weil wir sie in Afrika so selten fangen.

Freitag, 23. Oktober 2009

863.

Bevor er, um seiner Langeweile im trüben Grau der Tage abzuhelfen, wieder einmal ein wohlbekanntes Fenster in der Hauptstadt anfliegen würde, gedachte der erzählende Kranich, noch einmal in den Niederungen der minderen Sprachen vorbeizuschauen, um möglicherweise eine lustige Anekdote über die Damen und Herren Pestvögel zu kolportieren, und es wurde ihm auch geschenkt, indem er einen erstaunlichen Streit zwischen dem alten Oberpöbler und einer jungen Dame mit anhören konnte, in welchem letztere ihm mitteilte, sie werde die Niederungen der minderen Sprachen verlassen, sie habe ihrerseits noch immer den Mitpestvögeln, welche ihre besondere Zuneigung errungen hätten, das Gehampel irgendwelcher Rivalitäten um ihre Person erspart und sich ihrerseits sehr klar verhalten, man habe sie schon über Jahre aigrieren müssen, um sie dahin zu bringen, auch einmal einen bevorzugten Mitpestvogel in eine Rivalität zu nötigen, sie habe sich damit nicht unmäßig wohl, sondern eher klamm und breit gefühlt und gehofft, von diesem lächerlichen Kampfmittel inkünftig keinen Gebrauch mehr machen zu müssemn, lieber wetteifere sie um den schönsten und schnellsten Flug und dergleichen nützliche Dinge, sie erwarte ein Nämliches von dem hier nistenden und jagenden Pack leider vergeblich, vielmehr entblöde sich offenkundig auch ein weitgereister Pestvogel wie der zuweilen noch in der EinSatzLeitung sein minderes Glück versuchende Schrasterer nicht, weiblichen Artgenossen, die ihn keinesfalls um seine Meinung gebeten hätten, ein fröhlich miteinander um irgendwelche pestvogeligen Günste und Dünste rivalisierendes Verhalten als das ihnen gebührende zu ergreifen, sie danke höflich und wünsche ihm von Herzen, daß er in sein Nest kommen und dort erst einmal heftig um seine Pestvogelin rivalisieren müsse, sprachs und flog davon, und der erzählende Kranich, welcher sich jedes Wort gemerkt hatte, nahm einen langsam beginnenden, dann immer schneller werdenden Anlauf, um sich seinerseits in die Lüfte zu schwingen und das Abheben recht gründlich zu genießen, tut mir leid, rief er der tapferen kleinen Pestvogelin noch zu, daß ich nicht auf Sie warten kann, aber mir würden die Flügel kalt, wenn ich mich auf Ihr Tempo einstellte, ich hätte mich sonst ausgesprochen gern unterwegs mit Ihnen unterhalten.

Donnerstag, 22. Oktober 2009

862.

Im Haushalt der Chefin hingegen fragte das Kind am Frühstückstisch, Mama, könntest du mir ein paar Eigenschaften des "Guten" sagen, man hat uns darüber komische Sachen erzählt, und die Chefin sagte, nach kurzem Nachdenken, während dessen sie ein wenig nervös mit der Zeitung raschelte, es ist weich gegen Weiches und macht sich unter dem Anprall unpassender Härten unsichtbar, solange es kann, um zäh zu überleben, und sie unterdrückte einen Anflug von Besorgtheit, um die liebenswürdige Fröhlichkeit nicht zu versäumen, mit der das Kind, seinerseits eher obenhin unzufrieden mit der Auskunft, sagte, so stellen sie es in der Regel nicht dar, bei ihnen sind die Guten immer die Helden, und die Chefin sagte, die wollen wir ja auch immer wacker ehren, wenn sie wirklich Helden des Guten sind, aber manchmal ist es wichtig, einfach zu überleben, und zu viel Opfermut wäre da schlecht, wo er dazu führte, daß sich immer dieselben auf immer dieselbe Weise opfern oder aufopfern, macht ihr schon "Dilemma-Situationen"?

Mittwoch, 21. Oktober 2009

861.

Als Dame Ö an diesem Abend nachhause kam, merkte sie schon beim Öffnen der Tür, daß jemand da sein mußte, und tatsächlich brannte nicht nur Licht in ihrem Wohnzimmerchen, sondern es roch überdies nach einer Sorte Rauch, die in Deutschland nicht ganz erlaubt ist, und in ihrem Lieblingsohrensessel, auf welchen sie sich wie immer gefreut hatte, lümmelte sich mit glasigen und rotgeränderten Augen der Herr Sohn, welchen sie selbstverständlich im Semester gewähnt hatte, tatsächlich hatte sie ihn just an diesem Abend einmal anrufen wollen, um sich zu erkundigen, wie denn sein neuer Stundenplan aussehe und ob er für die im letzten Augenblick abgegebene Seminararbeit schon eine Note bekommen habe, aber nun saß er also da, zu allem Überfluß die Wonnegeräusche einer schweren Erkältung verbreitend, und mitten im Flur türmte sich seine Schmutzwäsche.

Dienstag, 20. Oktober 2009

860.

Karomütze hatte sich mit Mr. Precuneus verabredet, um nach Feierabend einmal etwas über Land zu fahren, man hält das doch nicht aus, sagte Precuneus, während er den Gurt festzurrte, den ganzen Tag nur immer diese Häuser und den grauen Himmel, man hat mir so viel vom schönen Herbstlaub erzählt, das will ich nun doch mal sehen, wohin fahren wir denn, Seen, sagte Karo, aber bitte nicht so viel quatschen, und Mr. Precuneus grinste ergeben, um Zeit für einen neuen Einfall zu gewinnen, denn er meinte, irgendwie würde er diese Schlitzfresse (das Wort hatte er vom Kumpel gehört, und er verwendete es ganz arglos, Böses vermochte er darin nicht zu erkennen) doch zu interessanteren als den bisherigen Äußerungen bewegen.

Sonntag, 18. Oktober 2009

859.

Der klitzekleine Forschungsminister seufzte schwer, als er die freundliche Frage des Demokratiebeauftragten vernommen hatte, denn er hatte gar nicht mehr damit gerechnet, daß dieser ihn so nett ansprechen würde, naja, sagte er, eigentlich war ich mit der Arbeit mit Ihnen schon immer ganz zufrieden, aber zuweilen wünschte man sich eine eigene Abteilung, die ein wenig zugeschnitten wäre auf den Bedarf eines kleinen Forschungsministers, die Wahrheit braucht ... ihre eigene Blase, na klar doch, sagte der Kwaliteitswart, indem er seine langen Gräten auf dem Freischwinger zurechtlümmelte, welchen er sich gegenüber vom Schreibtisch des Demokratiebeauftragten so hingerückt hatte, daß er aus dem Fenster schauen konnte, zugleich aber auch recht deutlich den im Raume auf und ab schreitenden Demokratiebeauftragten sowie den klitzekleinen Forschungsminister, der mitten auf dem Schreibtisch des Demokratiebeauftragten durch Schaukeln auf einem recht groß geratenen Locher ein unangenehmes Quietschen regelmäßig verursachte, im Blick hatte, und es lag Streit in der Luft.

858.

Die Chefin und das Kind saßen beim Frühstück, das Radio lief, es gab einen Bericht über eine von diesen jungen Damen, die auf den Kühlerhauben von Autos herumhängen müssen, wenn Autos auf Messen präsentiert werden, sie wurden auch interviewt, eine sagte, sie langweile sich etwas, man müsse den ganzen Tag so viel Unsinn reden, aber man verdiene ganz gut, ist so ähnlich wie Kellnern, sagte das Kind, da muß man auch zu vielen Idioten nett sein und sich Unsinn anhören und ihn mitlabern, wenn man gute Arbeitsbedingungen halten will, dafür machen sie einem blöde Komplimente, naja, sagte die Chefin, wer es zu was bringen will, muß auch an anderen Stellen viel Unsinn reden und am besten selbst dran glauben, sagte die Chefin, wir zum Beispiel, die einzigen, denen wir erlauben können, ab und zu mal was Wahres zu sagen, sind die Kreativleitung und Mo, und die können wir, je mehr sie bringen, schon kaum noch schützen, denn das, was die Laberer verwerten können, das ziehen sie schnell ab, und den Rest halten sie für Blödsinn, den sie anonym beerdigen müssen, die Kreativleitung gräbt sich ein und produziert immer mehr, zum Dank für das, was man davon abzockt, sagt man ihr, sie soll mal initiativ werden und mehr rausgehen, dann mag man sie auch und nimmt sie in die Laberergemeinschaften auf, man fragt sich bloß, wo die Leute, wenn die Kreativleitung auch noch lieber labert und Kontakte pflegt anstatt zu produzieren, dann abzocken und über wen sie sich dann die Mäuler zerreißen und an wem sie ihren übergriffigen Besorgtheitsstuß auslassen wollen, und das Kind fragte, gehts also gerade nicht so gut, sonst erzählst du nicht so viel über deine Arbeit, stimmt, sagte die Chefin, geht gerade nicht so gut, Karomütze schafft die Sicherheit nicht mehr alleine, die vielen widersprüchlichen Signale machen ihn fertig, Mr. Precuneus hat sich noch nicht richtig eingearbeitet, der Buchhalter hat nichts mehr zu halten, die allgemeinste Verteidigung und die Leitung Öffentlichkeit sind noch nicht wieder zurück, die Brachvögel und die Pestvögel sichern jeweils ihre Vereinsinteressen und hacken nur herum, und die Warte sind auch unzuverlässig, scheint mir, da sagte das Kind, ihr schafft das schon, und machte sich auf, um seine Sachen zu machen, die Chefin steckte ihr noch was zu und sagte, du machst es schön, das freut mich.

Samstag, 17. Oktober 2009

857.

Der naseweise Sinologe hatte den Eindruck, er sei ein wenig zu kurz gekommen, vor lauter Glotzen auf die Darstellung und Selbstdarstellung des Objekts seiner Studien bei der Buchmesse werde die Auskunft des Experten zunehmend für überflüssig gehalten, dabei sei man auf seinesgleichen nun wirklich dringend angewiesen, um zu verstehen, was dort geredet werde, Sie müssen bedenken, erläuterte er einem imaginären Publikum, wobei er vor dem häuslichen Spiegel immer ein wenig gleichsam pumpend in die Knie ging und sich wieder erhob, ein Lächeln (hierbei verzog er sein kaukasisches Gesicht zu verschiedenen Abstufungen des Grinsens) bedeutet beim Sineser durchaus etwas anderes als bei uns (etwa das Lächeln der Kreativleitung, Chinesen würde sich dadurch belästigt und kontrolliert fühlen), und die größte Freude macht man einer Chinesin durch einen völlig ungelächelten innigen Blick, man tue das aber nicht zu ausgiebig, sonst bildet sie sich noch etwas ein, und im Griff hat sie den Mann sowieso, da muß man nicht noch entgegenkommen...

Freitag, 16. Oktober 2009

856.

Warum ist diese Geschichte so unkommentiert geblieben, fragte Mr. Precuneus am anderen Morgen die Kreativleitung, und die Kreativleitung sagte, sie wisse es nicht, vielleicht zu glatt, vielleicht habe man nichts damit anfangen können, vielleicht zu lang, und Mr. Precuneus grinste sein breites Grinsen und sagte, aber das Reichstagsgebäude hat schön ausgesehen an dem Abend, oder?

Donnerstag, 15. Oktober 2009

855.B

Im Herbst, wenn seine Artgenossen sich gesammelt und auf den großen Flug Richtung Süden gemacht hatten, pflegte der erzählende Kranich, welcher ein ungewöhnlich kultiviertes Tier war und sich von so primitiven Dingen wie Zugvogelrhythmen gänzlich unabhängig gemacht hatte, doch immer ein wenig melancholisch zu werden. Es gab dagegen nur ein Mittel, das zuverlässig wirkte. Er mußte, obwohl die kälter werdende Luft ihm bei seinem dafür nicht gemachten Gefieder sehr zuzusetzen pflegte, ein wenig in der Gegend herumfliegen oder schreiten und die Gespräche der für den Winter besser ausgestatteten Wesen um ihn her belauschen. Am Ufersaume des Sees, an und in welchem er mit ausgewählten Artgenossen manchen schönen Sommerabend verbracht hatte, dazu mit Kormoranen und Fischreihern und Haubentauchern, erging er sich, in tiefes Nachdenken versunken, zugleich aber auch jene freischwebende Aufmerksamkeit für alle Geräusche, die in seinen Ohren ständigen Wohnsitz hatte, langsamen Schrittes mit sich führend. Er mußte nicht lange schreiten, um bald Zeuge einer heftigen Auseinandersetzung zwischen seinem alten Freund, dem kleinen Brachvogel, und einem der öberen Brachvögel zu werden. "Du mußt erst einmal ganz leer werden," sagte soeben der öbere Brachvogel, "dann wird sich dein Herz wieder öffnen für die Weisheit, die unsere großen Meister in ihren Schriften niedergelegt haben, für den obersten Brachvogel, unser aller Herr, und zugleich auch für alle anderen Brachvögel, und du wirst merken, wie ein warmes Gefühl der Gemeinschaft mit allen Wesen dich durchströmt und dein böser Trotz und Eigendünkel dich verläßt." Der kleine Brachvogel aber schien mit dieser Auskunft äußerst unzufrieden zu sein und sagte mit einer leicht ins Nasale spielenden Stimme, er glaube, die Leere werde allgemein sehr überschätzt. Eine Verärgerung in der Stimme des öberen Brachvogels war nicht mehr zu überhören, als dieser erwiderte: "Wenn du dich so über alle Einsichten weiser und erfahrener Brachvögel hinwegsetzt, mußt du dich auch nicht wundern, daß man dich nicht nur nicht mag, sondern dir immer wieder feindselig zusetzt. Selbst ich, der ich dich bei solchen Anlässen noch immer unter meine Fittiche genommen und verteidigt habe, verliere so nach und nach die Geduld mit dir."
Der erzählende Kranich, nachdem er dieses gehört hatte, dachte, es sei hier doch eine gute Gelegenheit, Gutes zu tun. Vorsichtig Zweiglein um Zweiglein zur Seite pickend, trat er aus dem Gebüsch hervor, welches ihn zuvor den Blicken der Eifernden verborgen hatte, und sagte nach kurz genickter Begrüßung: "Über die Leere sind viele erschütternd verkehrte Lehren im Umlauf, meine Lieben, und vielleicht hat überhaupt nur eine einzige Vogelart der Welt wenigstens zu Zeiten und in ihren größeren Exemplaren eine etwas richtigere Idee für den angemessenen Ort der Leere gekannt." "Und welche sollte das wohl sein," fragte der obere Brachvogel, welchem die Freundschaft zwischen dem kleinen Brachvogel und dem erzählenden Kranich keineswegs entgangen und schon lange ein Dorn im Auge war, "es werden wohl rein zufällig die Kraniche sein, wie?" "Die Kraniche, die Kraniche," flötete der kleine Brachvogel in eifrigem Entzücken, aber der erzählende Kranich wiegelte ab und sagte kultiviert, das tue doch hier gar nichts zur Sache, wichtig sei vielmehr, daß man verstehe, wie diese furchtbaren Irrtümer richtig gestellt werden könnten. "Üblicherweise," fuhr er fort, "üblicherweise denken wir, ein Wesen, das sich um ernste Weisheit bemühe, müsse erst einmal ganz leer werden, bevor eine neue Idee, eine neue liebevolle Regung für die Welt, eine neue Einsicht in ihm Platz greifen könne. So haben Sie es soeben ja auch in bester Absicht Ihrem jungen Artgenossen nahegelegt, nicht wahr," und der öbere Brachvogel schüttelte seinen krummen Schnabel und sagte, "ja natürlich, ich brauchte Sie keineswegs, um mir das zu wiederholen." "Nun," erläuterte der erzählende Kranich in ungewöhnlich belehrlustiger Laune weiter, "Tatsache ist, daß jeder, der einem anderen empfiehlt, sich erst einmal leer zu machen, dieses nur tut, um sich selbst oder etwas, das er für 'seine große Sache' hält, den größtmöglichen, nämlich einen unangefochtenen Platz im Gemüte desjenigen, dem er die Leere empfiehlt, zu schaffen. Irgendein Gott, ein Heiliger oder eine Idee soll an die Stelle der eitlen Nichtigkeiten treten, mit denen wir nach Ansicht solcher Lehren unsere Köpfe abergläubisch befüllen." "So ist es," bestätigte mit streng angelegten Flügeln nachgerade salutierend der öbere Brachvogel. "Und eben hier liegt auch das Problem," fuhr der erzählende Kranich fort, "denn ob nichtig oder nicht, eine Idee oder ein Gefühl für unsere Artgenossen oder eine erhabene oder niedrige Nichtigkeit können wir nun einmal nur annehmen, wenn wir auch zuhause sind; es sind die Vögel, die keine Nester haben, welche sich betäuben müssen, nicht die, in deren Nestern es hübsch bunt wimmelt, und alles andere ist doch Blödsinn, den sich nur Leute ausdenken, die wissen, wenn sie wollen, haben sie auch wieder mehr. Aber wirklich aus ihren innersten Häusern vertrieben sind just jene, die dem Rat folgen und sich ganz leer machen; diese werden dann auch beherrscht von jedem, der in diese Leere eintritt - und sind die perfekten Schwarmvögel, welche ausziehen, um alles, was Nichtschwarm ist, zu beseitigen. Aus diesem Grunde gehört Ihre so fein und rücksichtsvoll klingende Lehre von der Leere trotz der schönen und wirklich sympathischen Weisheiten, mit denen Sie sie zu umgeben pflegen, leider aufs engste zusammen mit den Gewalttaten, die in allen Vogelschwärmen immer wieder verübt werden, wenn es um die Frage, wie leer man andere machen dürfe, geht." "Sie erzählen einen gefährlichen Unsinn," sagte der öbere Brachvogel, "und wofür plädieren denn wohl die eingebildeten Kraniche?" "Sie plädieren nicht so sehr, aber sie haben sich etwas Schönes ausgedacht," antwortete ungerührt der erzählende Kranich und schmunzelte dem kleinen Brachvogel mit den äußersten Spitzen seiner Schwungfedern freundlich zu, "sie lassen den Platz des obersten Weisheitslehrers leer, sie überlassen die Leere ihm, und gewinnen so die Fülle zurück, die sich sonst nur als Machtfülle derjenigen, die sich gegenseitig die Idee der Leere zuschieben, entfalten kann, nicht aber als eine Fülle erlaubter Regungen." Der kleine Brachvogel verstand nicht recht, der große Brachvogel schüttelte ärgerlich sein Gefieder, und der erzählende Kranich seufzte resigniert. In einem letzten Anlauf sagte er: "Die Idee, daß der Platz der großen gemeinsamen Sache leer bleibt, damit alle, die auf ihn kommen, das Ihre mitbringen können, mir hat sie immer eingeleuchtet, und ich dachte, sie könnte euch in eurem Streit vielleicht eine Entlastung sein. Ich sehe, daß das nicht der Fall ist, so will ich denn auch nicht weiter stören," damit zwinkerte er dem kleinen Brachvogel noch einmal freundlich zu, deutete dem großen Brachvogel gegenüber eine Verbeugung an, und schritt, trotz allem aufgeheitert, langsam weiter am Saume des Sees, an und in welchem er manchen schönen Sommerabend mit ausgewählten Artgenossen und anderen Vögeln verbracht hatte.

855.

Seltsam geräuschlos flatterten ein paar Krähen über das Reichstagsgebäude hinweg, dessen Sandsteinfassade in der untergehenden Sonne eines ungewöhnlich kalten Oktoberabends in mattintensivem Rotorange leuchtete, als Mo aus ihrem Bündel der heimwärts spazierenden Kreativleitung endlich einmal wieder einen knitterigen Zettel für die B-Ebene zusteckte.

Mittwoch, 14. Oktober 2009

854.

Die Chefin, die in diesen Tagen viele EinSatzKräfte zum Zwecke der freundlichen Vermahnung einzubestellen hatte, geriet allmählich in etwas wie eine Laune, denn es wurde doch gar zu schlimm, und nach dem neunten Einzelgespräch bat sie den Oberassistenten zum Diktat, während sie noch am Telefon mit der Kreativleitung Themen erwog, zuerst schlug sie vor, er möge nunmehr eine Adresse an die Innung der Obst- und Gemüsehändler aller Farben schreiben, die sollten doch mal gegen die notorische Unterbewertung ihrer Tätigkeit protestieren, schließlich müsse jeder durchgeknallte Banker seinen askesegstählten Körper, aus dessen erhabener Augenhöhe er auf kleine Mädchen mit und ohne Kopftücher herabblicke, mit just ihren Produkten wenigstens marginal ernähren, und man habe Zweifel, ob die drei Tomaten, die er möglicherweise in seiner übermenschentypisch knapp bemessenen Freizeit auf seinem Balkon züchten könne, dazu ausreichen würden, aber dann sagte sie, ach, lassen wir das, irgendwie ist das auch nicht richtig, dieses ganze Theater um so eine Sache, vielleicht schreiben Sie lieber etwas darüber, wie verknallt die Leute hier in ihre Technik sind, anscheinend hat Mo das ja dem guten Mr. Precuneus zugekichert, wie verknallt sie in ihre Technik sind, daß sie sie einerseits universal verbreiten, andererseits aber trotzdem ganz für sich alleine haben wollen, das ist doch interessant, ja, sagte sie, sich allmählich wieder begeisternd, machen Sie das, die Liebe zur Bombe, die uns noch mit dem finstersten Bombenbastler eigentümlich verbindet, solange wir vor allem darauf starren, und dann sagte sie erschöpft, das geht doch auch nicht, also lassen wir es beim Lob des Obst- und Gemüsehandels, aber bitte nur des legalen, desjenigen, der nicht betrieben wird mit ergaunerten Produkten wie der Mohnhandel, sondern des ehrlichen ernsthaften Handels mit ehrlich und ernsthaft angebautem und von den Bauern für einen guten Preis erworbenem Obst und Gemüse, und danken wir dem Banker und seinen Tomaten, daß er uns einen Grund und Anlaß gegeben hat, dieses Marktsegment mit anderen, so aufmerksam strengen (denn es wird viel Obst und Gemüse geschmuggelt, und dagegen muß wirklich etwas gemacht werden) wie dankbaren Augen zu betrachten, wie wäre das.

Dienstag, 13. Oktober 2009

853.

Er hatte sich wohl ein wenig zu lange in der Kreativabteilung aufgehalten, der Mr. Precuneus, denn in der übrigen EinSatzLeitung hatte sich plötzlich etwas von jener allgemeinen Stimmung gegen die Kreativleitung, welche am Anfang geherrscht hatte (diese zimperliche Ziege, die Stunden mit nutzlosem Zeug verbringe und keinen stramm phallischen Satz herausbringe usw.), allmählich und unter der Protektion sowohl des ehemaligen Chefs als auch der neuen Chefin aber einer gelegentlich sogar freundlichen Duldung gewichen war, erneut zusammengeballt, um sich nun dem Praktikanten entgegenzuwerfen, welcher ja ein wenig prekärer da zu stehen schien (und diese Dinge laufen nun einmal nach unveränderlich archaischen Mustern ab, je prekärer, desto bäng) und sich nun wunderte, als Karomütze ihm entgegenspitzte mit der Frage, na, was haben Sie denn so Amüsantes mit diesem lächerlichen, honigverschleckerten Mo zu besprechen gehabt, daß Sie so kichern mußten die ganze Zeit, wie, Mr. Precuneus aber, von etwas breiterer Gemütsart, buffte den jungen Mann jovial an die Schulter und sagte, ich glaube, ich verstehe jetzt sehr viel besser, was ihr hier für Schwierigkeiten habt im Land, man muß eben doch nicht die Feisten fragen, die fast so klamm und breit nisten wie die Pestvögel und irgendeine Wonne daran haben, Brüller herzig und Ressentiment goldig zu finden, sondern vielleicht eher mal die, die sich zwar kaum halten können, aber aus ihren etwas riskanter exponierten Abseiten alles sehr genau beobachten, und, ohne weiteres zu erläutern, ging er sodann direkt ins "Bistro" und meinte, als Karomütze ihm etwas verblüfft und natürlich auch empört und überhaupt nicht richtig aufgeklärt , aber schon einmal den Diskurswart und den Buchhalter in seine Nähe zu rücken trachtend, hinterher trottete, ja, die ehrenwerte Dame Mo scheint ein bißchen mehr zu tun als zu schlafen und zu zittern und Äpfel in Honig zu stippen, und ich denke, daß Sie immer so gar sehr auf Sicherheit achten, ist ja sehr schön, aber überdenken Sie auch gelegentlich die Konzepte Ihrer hochfortschrittlichen Trichterbefragungen und hyperinnovativen Bräsigkeiten?

Montag, 12. Oktober 2009

852.

Mach doch mal das Radio aus, murrte der Demokratiebeauftragte, der ein wenig mitgenommen aus dem Wochenende zurückgekehrt war, als der Diskurswart nicht ohne den Ausdruck eines gewissen Entzückens die Kommentare einer amerikanischen Sicherheitsdame zum Afghanistan-Einsatz der Amerikaner mitschreiben zu wollen schien, soo toll und neu ist das nun auch wieder nicht, was sie zu sagen hat, ich meine, Taliban ist nicht gleich Taliban, und manche machen es auch nur gegen Geld, das Talibanen, also wirklich, der Diskurswart aber sagte, mach dich nur lustig, man muß über jeden Fortschritt in der Differenzierung froh sein, und wenn sie damit die Lage entschärfen können, die Lage entschärfen, die Lage entschärfen, grantelte der Demokratiebeauftragte, wie wäre es, wenn sie dazu erstmal feststellten, daß ihnen die zivilen Toten der Leute dort auch leid tun, und der Diskurswart staunte, aber als die Chefin hereinkam, unterbrach er sich lieber, denn die mochte das nicht, daß diese ernsten Sachen zu Gegenständen in einer - ja, in was denn, grummelte der Demokratiebeauftragte unbeeindruckt weiter, ist es etwa nicht wahr, daß wir hier alle sitzen und Radio hören, und der Diskurswart sagte, ich geh ja schon, während die Chefin sich dem Demokratiebeauftragten vorschlug, doch einmal mit in ihr Büro zu kommen.

Sonntag, 11. Oktober 2009

851.

Als die Chefin sich nach dieser Sitzung auf den Heimweg machte, verfiel sie bei schlechtestem Wetter wie von selbst in ihren Falkengang, durch den sie, wenn nötig, die Menschen, welche ihr entgegenkamen, regelrecht zu durchpflügen schien, sie unterbrach sich in dieser kleinen sportlichen Zwischenübung noch für diese oder jene kleine Besorgung (der Kühlschrank war leer, das Kind mußte bekocht werden und für einen geplanten Besuch bei Freunden brauchte sie etwas zum Mitbringen) und wurde unter dem Gewicht der Besorgtheiten allmählich langsamer, bis sie schließlich an einer durch Bauarbeiten verursachten Verengung des Gehweges stehen blieb, um Entgegenkommende vorbeizulassen, bescheiden lächelnd, froh über jeden, der sie nicht ansprang und nicht sagte "ach ist das nicht die," sondern ihr bestenfalls durch einen freundlichen Blick zu verstehen gab, daß er sie erstens erkenne, zweitens schätze und drittens ihre sonnabendliche Privatheit respektiere.

Samstag, 10. Oktober 2009

850.

Sitzung der EinSatzLeitung

Anwesend: Chefin, Buchhalter, Kreativleitung, Dame Ö, Oberassistent, die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse, der Minderheitler mit den grünen Borsten, Karomütze, Mr. Precuneus

Entschuldigt: Leitung Öffentlichkeit, Allgemeinste Verteidigung, der klitzekleine Forschungsminister, der Demokratiebeauftragte

Sitzung ohne Warte

Sitzungeleitung: Chefin
Protokoll: Dame Ö


Tagesordnung:
TOP 1: Bericht zur Lage der EinSatzLeitung (Chefin)
TOP 2: Sonstiges

Wieder einmal ist es eine eher tumultarische Sitzung, das muß etwas mit dem Herbstwetter zu tun haben. Die Chefin eröffnet mit einem kleinen Vortrag, in dem sie eher allgemein über die Weltlage spricht, von den Nobelpreisen und dem erstaunlichen Mißverhältnis zwischen voller Akzeptanz der naturwissenschaftlichen Entscheidungen und der ungewöhnlichen Kritiklust, die in diesem Jahre vorzüglich die Nobelpreisvergabe für Frieden und Literatur betroffen zu haben scheinen, und anstatt sich in einer der laufenden Debatten zu positionieren, hebt sie an, des längeren und breiteren zu thematisieren, inwiefern die Menschen wohl die im engeren Sinne naturwissenschaftlichen Entwicklungen a großzügig überfinanzieren und b engherzigst unterfinanzieren, eine außerordentlich steile These, die man von ihr so nicht erwartet hat und mit heftigen Zwischenrufen bedenkt. Die Chefin erwidert, wie man es von ihr sehr wohl gewohnt ist, man werde selbstverständlich im Anschluß an ihre Ausführungen Gelegenheit zu gründlicher Debatte haben es sei aber außerordentlich stö … und so weiter. Das Benehmen in der EinSatzLeitung läßt zu wünschen übrig, obwohl die Kreativleitung das unentwegt weiter kichernde Mo rücksichtsvollerweise auf seinem Fell gelassen hat. Die weiteren Thesen der Chefin sind weniger auffallend und provokativ, Rettungsaufrufe für politische Gefangene aller Farben außer der braunen, nochmalige Ermahnungen, bei den EinSätzen den Grundauftrag der Schaffung stabiler Strukturen nicht zu vergessen, und ein Plädoyer für die Freiheit der Kunst von der Größe eines mittleren Teelichts.

Die Protokollantin hat sich die Freiheit genommen, diesen Kommentar auch in der Sitzung auszusprechen, sogleich stürzte sich der Buchhalter auf sie, als wäre er der weiße Ritter der Chefin und sagte, es sei unerträglich, wie hier eine Person mit altmodischen Manieren, unmöglichen Kleidern und einer autonomen Augenbraue sich erlaube, ihr Protokollantenamt zu mißbrauchen (ich habe wörtlich zitiert, der Buchhalter ist für seine verbalen Ausfälle ja bereits einschlägig und über die engen Grenzen der Republik hinaus bekannt). Die Chefin ihrerseits sorgt an dieser Stelle dankenswerterweise wieder für Ordnung, ohne indes verhindern zu können, daß dieser Praktikant, dieser Precuneus, die ganze Zeit in der Ecke sitzt und mit der Kreativleitung herumkichert. Die Chefin hat mir und dem Buchhalter dann aber bedeutet, dazu zu schweigen, man müsse die Dinge sich ein wenig entwickeln lassen.

TOP 2:

Der Minderheitler mit grünen Borsten erklärt, bei ihm hätten sich alle, die nicht wegen Erziehungsurlaub entschuldigt seien, mit grippalen Infekten abgemeldet, und er sagt, wer regelmäßig Sport treibt, nur gesunde Nahrung zu sich nimmt und täglich kalt duscht, der bekommt so etwas nicht. Auch hier entsteht wieder ein völlig irrationaler Tumult, die Leute zanken sich eine geschlagene Viertelstunde lang darüber, ob man eine Grippeschutzimpfung vornehmen lassen solle oder nicht, und ob nur gegen die Schweinegrippe oder auch gegen anderes.

Die Chefin plaudert am Ende noch ein chinesisches Geheimrezept aus, und dann gehen alle schnell in ihr Wochenende. Im Radio reden sie unentwegt vom Kuscheln, weil es so "gemütlich kalt" sei draußen.

Freitag, 9. Oktober 2009

849.

Der Herbsttag war noch einmal hochhimmelig sonnig, das Ahorn auf der Straße fing an, seine Blätter rot zu verfärben, und auf dem Balkon gegenüber sah die Dame Chefin, als sie von ihren Aktenbergen aufblickte, letzte blaue Windenblüten im Gewirr der Blätter, man hat zu wenig Zeit, sich dieser Dinge zu erfreuen, dachte sie, und sie erinnerte sich plötzlich der Klagen, welche der ehemalige Chef ihr vorgetragen hatte darüber, daß man als Chef so wenig zum schreiben komme, sie selbst hatte dieses Problem eigentlich nicht, denn niemals drängte die Haselnußäugige ein Ausdruckswille an die Tastatur, und so konnte sie üblicherweise ruhig ihre Aktenberge abarbeiten, aber als sie an diesem Tage die kleinen Herbstzeichen am innerstädtischen Ort der EinSatzLeitung sah, da dachte sie, schöner als eine Sitzung der EinSatzLeitung vorzubereiten wäre es doch, einfach ein wenig durch die Wälder zu wandern und wenigstens für eine halbe Stunde mit dem Kind oder der Kreativleitung auf einer Seebank sitzend deutsche Sätze wie kleine flache Steine über die Wasseroberfläche springen zu lassen.

Donnerstag, 8. Oktober 2009

848.

Na das war aber knapp, sagte der Buchhalter mit einem breiten Grinsen, als er die Kreativleitung aus ihrer Abteilung kommen sah, wo sie schnell noch vor 24.00 irgendeinen beliebigen EinSatz abgesetzt hatte, und die Kreativleitung seufzte: stimmt.

Mittwoch, 7. Oktober 2009

847.

Ja was fällt denen denn ein, sagte die Dame Ö, als sie gemeinsam mit der Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse auf dem Heimweg von einem kurzen Besuch bei der Leitung der Abteilung Öffentlichkeit und ihrem "schon mächtig stramm" gewordenen Baby an einem Plakat vorbei kam, auf dem eine große populäre Zeitung damit warb, daß sie täglich einen Hit lande, nehmen Sie's als Ansporn, schlug die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse vor, und lassen Sie auch öfter mal was Hitverdächtiges aus der Kreativabteilung wachsen, vor allem erzählen Sie bitte unbedingt noch einmal, wie tiefschwarz Mr. Precuneus ist, wie unangenehm Ihnen sein nicht unerheblicher Bauchansatz ist, wie grell bunt er sich kleidet, wie sehr sein Akzent zwischen englischen und französischen Elementen herumschwimmt, wie unangenehm Ihnen die Lücke zwischen seinen Vorderzähnen ist, und daß Sie es überhaupt nicht ertragen würden, wenn er jetzt etwa anfangen würde, jeden Tag in Ihrem Büro herumzuhängen, aber die Dame Ö, völlig erschrocken, blieb mitten auf der Straße stehen, drehte die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse ein wenig zu sich hin, achtete sorgfältig darauf, daß ihre stets lebhafte Braue nicht ausriß, sah der Minderheitlerin tief in die Augen und fragte: Sie halten mich also allen Ernstes für eine Rassistin, ja?

Dienstag, 6. Oktober 2009

846.

Mr. Precuneus hatte durchaus gewußt, daß das Herzstück der EinSatzLeitung, die Kreativabteilung, nichts zu tun hatte mit jenen Phantasien, die man sich allgemein von EinSatzZentralen zu machen pflegte, und die üblicherweise von eher grausig-staubigen oder gar blutigen Realitäten zerstört zu werden pflegten, Mr. Precuneus hatte durchaus gewußt, daß in dieser EinSatzLeitung statt der Schaltzentralenbürokraten an ihren Geräten nichts weiter als eine Dame mit grünlicher Hautfarbe überwiegend auf einem einfachen Teppich lebe, die ein Mo bei sich aufgenommen hatte und außerordentlich unberechenbar sei in ihren Produktionen, mochte sie auch unentwegt an einem offen ausgestellten Wandteppich arbeiten, der sich anscheinend stündlich änderte wie die Wetterkarte im Fernsehen, Mr. Precuneus hatte selbstverständlich alle möglichen Mo-Episoden gelesen, aber es gehörte zur Größe seines Wesens, daß er sich, wenn er wirklich neugierig war auf jemanden oder etwas, vollkommen frei machen konnte von Vorerwartungen, ohne auch nur ein Winziges von seiner lebhaft anteilnehmenden Neugierde zu verlieren, und so geschah es ihm, daß er, kaum war Mo auf ihn zugestürmt, in dem Gespräch mit diesem Wesen und der Kreativleitung Stunden verbrachte, in denen es viel und großes Gelächter gab, aber auch herzinnige Momente des Wisperns und eine Vertrautheit, die ihm fast so groß erschien wie die mit seinen wirklichen Geschwistern im fernen Benin, und keines von den Dreien bemerkte, wie die Zeit verging und wie der Himmel sich allmählich verhängte, wie Regentropfen schwer auf die Fenstersimse fielen und wie irgendwann auch die letzte der anderen EinSatzKräfte das Gebäude verließ, um in einen wohlverdienten Feierabend zu gehen.

Montag, 5. Oktober 2009

845.

In diesem Lande muß man ein Satiriker sein, um ungestraft eine maßvolle und mittlere Position zu beziehen, seufzte der Diskurswart, als er im Tagesspiegel vom Sonntag den Kommentar von Harald Martenstein gelesen hatte, alle anderen haben Schaum vor dem Mund und gelten deswegen als nüchtern (oder doch eindeutig identifizierbar), oder sie schwafeln jenes abscheuliche Zeug von den Mühen der Ebenen (die sie immer den anderen nahelegen), den Wonnen von Disziplin (die sie gern selbst durchsetzen würden) und der Erhabenheit der Zumutungen (mit denen sie immer dazu beitragen wollen, daß man tapfer lächelt und ich bin glücklich sagt, während man sich etwas Widerliches zumutet), ja, fuhr er fort, es sieht nachgerade so aus, als würden die Leute in Deutschland unter positivem Denken keineswegs eine gewisse Konzentration auf das, was noch machbar, was in einer Situation vielleicht auch gut ist und was nach vorne führt, verstehen, wie es mal gemeint war, als es zu uns herüberschwappte, nein, in Deutschland scheint positives Denken vielmehr - und als er dieses sagte, warf er sich regelrecht in die Brust, denn er hielt es für einen bedeutenden, zum Aphorismus durchaus geeigneten Satz - zu bedeuten, daß man sagt, Verzichten, Leiden, Maßhalten, Disziplin üben sei in sich schön und recht eigentlich betrachtet und im Grunde genommen erheblich schöner als Genießen, Fröhlichsein, Mal-über-die-Stränge-Schlagen und Dinge etwas entspannter zu sehen, ja, schob er sinnig lächelnd nach, ich glaube, so verhält es sich in Deutschland, und er war ein bißchen enttäuscht, als der Kwaliteitswart immer noch nur diesen niederländisch-gelangweilt-entspannten Blick drauf hatte und scheinbar unbewegt fragte, ob eigentlich in den letzten Stunden jemand was aus der Kreativabteilung oder von Mr. Precuneus gehört habe.

Sonntag, 4. Oktober 2009

844.

Wieder einmal unternahm der naseweise Sinologe mit dem klitzekleinen Forschungsminister einen Ausflug im wild dekorierten Einkaufswagen, und an diesem Tage fand man in ihrer Begleitung den Demokratiebeauftragten und die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse: vertieft in lebhafte Gespräche blieben sie hin und wieder ein paar Schritte zurück, aber der naseweise Sinologe, welchen das Geschnarre des Klitzekleinen über den ewigen Untergang des Abendlandes und die bedrohlicher werdenden Veränderungen der Welt immer relativ schnell langweilte, sofern nicht von den Sinesern gesprochen wurde, wartete stets auf sie, ein Verhalten, das er auch nicht aufgegeben haben würde, wenn die beiden plötzlich Hand in Hand gelaufen wären, worauf manches hinzudeuten schien, nahm der heimlich durchaus sehr aufmerksame Klitzekleine an, aber als die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse dem Demokratiebeauftragten sagte, ebenso gut könnten Sie mir den alten Vorwurf "odium humani generis" machen, Sie wissen wohl nicht, auf welchem Glatteise Sie sich hier bewegen mit Ihrem Plädoyer für beliebige Gemeinschaftstümelei und gegen absonderliche Speisevorschriften, da dachte er, na, das wird wohl nichts mehr heute mit meiner Unterhaltung durch die jungen Leute, und also versuchte er lieber selbst noch einmal, die bemerkenswerte Disziplin der Chinesen vor dem klitzekleinen Forschungsminister so zu loben, daß dieser ihm möglichst eifernd widersprach.

Samstag, 3. Oktober 2009

843.

Mo hatte sich während des Gespräches der beiden buntesten EinSatzKräfte aus ihrem Schal gelöst, sich würdevoll mit ihrem blauen Mantel angetan (es war ihr natürlich zu den nimmersatten Ohren gekommen, daß Mr. Precuneus sie ihres Namens wegen für eine Respektsperson hielt, weil der Name in seiner Heimat diese bestimmte Bedeutung hatte) und sich bereit gemacht, nun auch dieser Erwartungen würdig auf die beiden am Fenster zu zu trippeln, aber irgendwie waren die Gesichter der Sprechenden so entwaffnend, daß sie ihrer Würde ein wenig vergaß und einfach fröhlich auf sie zu hopste, sich von der Kreativleitung auf die Fensterbank heben ließ, und aus ihrem grauen Gesicht mit glühend interessierten Augen den Gast verschlang, während sie ihm mit weise wackelnden Ohren vorquatschte, sie sei in letzter Zeit ein wenig besorgt gewesen um die Kreativleitung, welche sich in irgendeinem Stadium fortgeschrittener Langeweile befunden zu haben schien, seit sie über ihren winzigen Flirt mit dem Kwaliteitswart hinweg gekommen sei, und - da wurde sie von der Kreativleitung unterbrochen, die bemerkte, wir wollen hier bitte nicht über mich reden, sondern über Dich, mein Kleines, denn nach Dir sich zu erkundigen ist unser Gast doch hier.

Freitag, 2. Oktober 2009

842.

Als Mr. Precuneus in der ihm eigenen Mischung aus Lässigkeit und Herzlichkeit schließlich die Kreativabteilung betrat, wurde er zunächst von der Kreativleitung sehr freundlich begrüßt und aufgefordert, auf einem der nah am Fenster stehenden Stühle Platz zu nehmen, ob er sich den Stuhl auch so hinstellen dürfe, daß er in Ruhe das gesamte Atelier und den Wandteppich in Augenschein nehmen könne, fragte der eigenartige Praktikant, und die Kreativleitung, nicht wirklich gewöhnt an so höfliche Aufmerksamkeit, sagte, gewiss, gerne, und es entging ihr natürlich nicht, daß Precuneus mit großer Neugierde jenes Bündel aus kariertem Schal und Fell in Augenschein nahm, das ihm als Wohnsitz von Mo gerüchteweise beschrieben worden war, das er aber, da er tatsächlich die Souveränität der Kreativleitung respektierte, niemals heimlich in Augenschein genommen hatte wie andere EinSatzKräfte dies für ihr gutes Recht zu halten schienen, ihm wiederum entging nicht, daß es ihr nicht entging, aber in einvernehmlichem Lächeln gelang es beiden, sich einander zuzuwenden und ein Gespräch über Farben und Produktionstechniken zu führen, bis Mr. Precuneus schließlich direkt auf die Frage lossteuerte, warum Mo von der Kreativleitung angenommen worden sei und zu ihr Vertrauen gefaßt habe und nicht etwa zu einem der Warte, dem klitzekleinen Forschungsminister oder der Chefin oder der Dame Ö, und die Kreativleitung faßte den Gast herzlich am Arm und sagte, wissen Sie, für diese direkte Frage, die so einfach wie den anderen Umschleichern unmöglich ist (eine Ausnahme bildete hier erstaunlicherweise der ehemalige Chef), müssen Sie mir erlauben, Sie dem erzählenden Kranich bei seinem nächsten Besuch vorzustellen, Mo, Du hast gehört, was er gefragt hat, kannst herauskommen.

Donnerstag, 1. Oktober 2009

841.

Jetzt soll man auch noch die Vandalen gut finden, knurrte der ehemalige Chef, und legte die Zeitung aus der Hand, ich finde, irgendwo hört es doch mal auf mit den Umdeutungen der Geschichte, aber als seine Gattin ihn auf eine kleine Glosse zu Papst und Spinne und Arachne aufmerksam machte, da hellte sich sein Gesicht so sehr auf, daß es seine Eheliebste fast schon wieder verdroß, und sie sagte, diese Götter hatten auch eine eigenartige Doppelmoral in Sachen Hochmut.

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