Donnerstag, 31. Dezember 2009

932.

Die haselnußfarbenen Augen der Chefin leuchteten etwas matt aus ihrem von der Kälte geröteten Gesicht, als sie in der EinSatzLeitung eintraf, um ihre Sylvesteransprache abzusetzen, und die diensthabenden EinSatzKräfte, Karomütze und Mr. Precuneus, waren sehr bedürftig nach einem tröstenden Wort, da ein enger Freund von Precuneus unter den Opfern des letzten Anschlags war; sie überblickte die Lage schnell und entschied, ihre bereits fertige Rede, in der sie viele Scherze über Don Qixote und anderes untergebracht hatte, noch einmal zu überarbeiten und erst am andern Tag eine Neujahrsansprache zu halten, sie sagte, sie werde nur eben nachhause fahren, um ihr Kind entweder zu holen oder mit einer besonders dicken Umarmung zu einer befreundeten Familie zu bringen, danach werde sie die Sylvesternacht in der EinSatzLeitung verbringen, sie bitte darum, unterdessen noch andere EinSatzKräfte anzurufen und kurzerhand eine spontane kleine Feier zu arrangieren, es sei eine schreckliche Sache - nun sei es nur umso wichtiger, sich für das kommende Jahr zu stärken und zu sehen, was zu machen sei.

Mittwoch, 30. Dezember 2009

931.

Die Nachfrage nach der allgemeinsten Verteidigung beantwortete diese von sich aus, als sie am anderen Tag die Kreativleitung anrief, welche für diesen Anruf ihr intensives Gespräch mit der Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse unterbrach, und als die Kreativleitung an ihren Platz zurückkehrte, lächelte sie versonnen und sagte, manche Männer sind wirklich sehr gerührt von sich, leider wissen sie selten, was sie damit anrichten, du sprichst in Rätseln, sagte die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse, will der Kwaliteitswart jetzt persönlich zu den Flüchtlingslagern der Hmong gehen, um die Deportationen zu verhindern, ach nein, sagte die Kreativleitung, viel banaler, er befindet sich auf seinem Hausboot selbst an jener Kreuzung, an der diese jungen Männer ihren Frauen nur drei Wege lassen: entweder die Frau tut still so, als würde sie es so machen, wie er es richtig findet, obwohl sie die bessere Einsicht und den größeren Überblick hat, und verlegt sich eher aufs heimliche Dirigieren, oder sie geht, weil ihr das alles zu lästig ist und sie auf dem geraden Weg aber nicht durchkommt, oder sie vernachlässigt das heimliche Dirigieren und das dem-Mann-das-Gefühl-geben-daß-sie-ihn-nicht-zu-weit-aber-gut-genug-durchschaut-und-in-allem-liebt zu sehr für seinen Geschmack, schämt sich dessen, da sie ihre Pflichten ja kennt, und wird unversehens zum Problemfall, an dem er seine Analysekünste erprobt, so würde ich das, was mir die junge Dame gerade mal vorgeweint hat, zusammenfassen, ich habe ihr gesagt, letzteres darf sie keine halbe Stunde lang zulassen, alles andere müsse sie machen, wie es ihrer Gefühlslage am besten entspreche, es komme mir eigentlich so vor, als verstünden sich die beiden doch recht gut.

Dienstag, 29. Dezember 2009

930.

Das Gespräch im Chefinnenbüro verlief sehr anders als die Kreativleitung es sich vorgestellt hatte, die Chefin war verärgert, sagte, du mußt dich mal um Mo kümmern, man erkennt so nicht, daß sie weiter gegen den Fanatismus an schreibt, mit dem die Leute auch in unserer Kunst schon wieder alles durch Blut beglaubigen wollen und ihre Messerleidenschaften für pädagogisch halten, ich weiß, du redest von China, zum Beispiel (Liu wird verhaftet, prompt "ist ein Stern geboren" - das ist dort vielleicht etwas wie Trost, nur hier ist es immer begleitet von der Botschaft von der Verhaftung als Wertschöpfung) aber unseren Provinznasen leuchtet es so nicht ein, man hält sie - und dabei verwies die Chefin auf einen Stapel von Stellungnahmen und Expertisen und Gutachten und Einwendungen - für eine Narzißmus-Figur usw., du kennst dich gut genug aus um zu wissen, welche Folgen das hat, und die Kreativleitung nickte grünlich --- schwierig, da eine Verteidigung zu finden, sagte sie schließlich, apropos, wo bleibt denn eigentlich die allgemeinste Verteidigung, aber dann erinnerte sie sich ihres eigenen Schwurs und sagte, okay, also einen Haken, wir machen heute mal was anderes: zum Beispiel erklären wir einem Redakteur von der FAZ, der ein anonymes Tagebuch in seinem Büro gefunden hat, sich über dessen Unzulänglichkeit mokiert und sich nun wundert, daß niemand für dieses Tagebuch die Verantwortung übernehmen will, in dem die deutsche Geschichte nicht vorkomme, diesem Herren Redakteur also halten wir einen Vortrag über Gattungen und erklären ihm, daß Tagebücher keine Tageszeitungen sind und daß man in ihnen nur das unterbringt, was man entweder mit Datum erinnern will, weil es - anders als die Tagesereignisse - dem Vergessen anheimfallen wird, und oftmals vor allem das, was man anders als das politische Tagesgeschehen nicht mit den Bekannten und Verwandten am Tisch besprechen und auch nicht in die Artikel, an denen man im Büro gearbeitet hat, schreiben kann, daß Tagebücher, m.a.W., nicht die wahren Gedanken des Schreibers mitteilen (er hielte sich denn für besonders bedeutend und schriebe immer schon für die Nachwelt), sondern Beiprodukte sind, Abfallhaufen, die der "Eigenethnologe" auch nicht sofort beseitigen wird, die aber auch nicht gerade vollumfänglich Auskunft geben über sein Leben und seine Gedanken, sondern eben nur über den Müll derselben.

Montag, 28. Dezember 2009

929.

Sie triumphierten und bramabasierten, sie quatschten und tratschten, sie rätschten und watschten und freuten sich, denn nachdem sie eine Frau fast zu Tode geprügelt hatten mit ihren Maßnahmen, da glaubten sie staunend zu entdecken, daß sie doch ein Herz habe, denn sie blutete ja, und für diesen Beweis hatte es sich doch, so bestätigten sie schulterklopfend einander, gelohnt, sich mit Gewalt und Schmutz zu beflecken, las die Kreativleitung in einem kleinen Text, den Mo ihr angereicht hatte, mein liebes Mo, sagte sie, wie bin ich froh zu wissen, daß du weißt, daß wenigstens ich immer auf deiner Seite sein werde und allen, die im Rahmen einer normativ-dogmatischen oder vermeintlich deskriptiv-durchschauerisch-psychologischen sogenannten Liebesordnung versuchen werden, auf dich zuzugreifen und über dich zu verfügen und dir deine Geschichten umzulügen und dich in Dienste zu stellen, in denen du nichts zu suchen hast, und dich mit Leuten und Sachen zu versöhnen, die vor lauter Balken nicht aus den Augen gucken können, aber jahrelang an ein paar Schüppchen auf deiner Haut herumgemäkelt haben, wie bin ich froh, daß wir wenigstens eine schwache Chance haben, ihnen zu entkommen, und nun müssen wir freilich unsere Truppen gut aufstellen, denn sonst ziehen sie uns für ihre ein, dich zur Erbsenzählerin in der Feldküche, und mich zum gefälligen Herumwedeln mit bunten Pappschildchen, auf denen ich ihnen die Weltordnung erklären soll, wenigstens mal den Kinderchen, und wenn wir das nicht wollen, dann müssen wir weiter behandelt werden, bis wir brav ins Joch gehen wie die Ochsen, und wehe, wehe wir sprechen dies auch noch aus, dann wird es nur umso schlimmer kommen, nicht Mo, aber Mo, entsetzt von allem diesem und erschöpft von der Arbeit an einem größeren Stück, das die Kreativleitung in den Wandteppich zu weben gedachte, war bereits wieder eingeschlafen, und die Kreativleitung legte sie vorsichtig wieder auf ihr Fell, deckte sie mit dem karierten Schal zu und ging noch einmal die Dinge durch, die sie mit Karomütze und der Chefin zu besprechen gedachte.

Sonntag, 27. Dezember 2009

928.

Die Leitung der Abteilung Öffentlichkeit beschloss ihre Familienferien im Kreise von Freundinnen und Freunden, und da sie immer eine kleine besondere Note in ihren Arrangements brauchte, hatte sie darum gebeten, daß alle irgendwie etwas Buntgestreiftes tragen oder mitbringen sollten - mit dem Ergebnis, daß nicht nur vielerlei Streifchen und Schleifchen an Kindern und Erwachsenen zu sehen waren (selbst die Servietten waren gestreift, denn ihr neues Service wies nicht nur an den Gefäßrändern zarte Streifchen auf), sondern daß eigentlich immer jemand mit Kamera herumlief und Streifenfotos nahm (es wäre eine wirklich außergewöhnliche Aufgabe für einen der Hobbyfotografen gewesen, einen streifenfreien Film zu produzieren), aber zuweilen kamen trotzdem Gespräche auf, und einmal gelang sogar eine betretene Stille, als der Demokratiebeauftragte, welcher in seiner Ecke unter den stets wachsamen Augen und Ohren der Gastgeberin immer wieder ein paar borstige Sätze in die Runde warf (er langweilte sich unter diesen Designern einfach schnell und suchte selbsttätig nach Belebung der Konversation durch ernsten Stoff), mit Grabesstimme zu einer Dame sagte, "die Massenseele mag an sich vielleicht nicht existent und deswegen in Geschmacksdingen leicht dirigierbar sein, aber in ihrer ganzen Roheit kommt sie zur Wirklichkeit und zur Erscheinung, sobald einer sich ihren Bedürfnissen mutwillig zu entziehen scheint."

Samstag, 26. Dezember 2009

927.

Mir sind eigentlich die geraden Zahlen lieber, sagte das Kind, nachdem es 27 Kerzen am Baume gezählt hatte, außerdem ist mir langweilig, aber die Chefin hörte es nicht, denn sie war in der Küche sehr mit dem Braten und anderem beschäftigt, da ein ganzer Schwarm Tanten und Onkel zu einem Festessen erwartet wurde, nun rief sie schon, das Kind solle bitte helfen, den Tisch zu decken, aber das Kind hörte nicht, es hatte soeben beschlossen, draußen auf dem Balkon ein Experiment mit Harsch zu machen, das war wichtiger.

Freitag, 25. Dezember 2009

926.

Na, wie gefällt dir die Welt heute, fragte die Gattin des ehemaligen Chefs ihren zum Weihnachtsbesuch zuhause weilenden Sohn, und dieser antwortete, noch etwas verschlafen, dieselbe alte Scheibe wie immer, viele Knäste, in denen viel zu viele Menschen sitzen, die da nicht hingehören, egal ob in China oder woanders, aber in manchen Ländern schon sehr massiv, und ich frage mich, ob ich einem fernen Freund in einem fernen Land einen Weihnachtsgruß schicken darf, oder ob ihn das in Schwierigkeiten bringen könnte, da streichelte die Gattin des ehemaligen Chefs ihrem Sohn die Wange und sagte, kannst du dich nicht bei irgendwem erkundigen, ob das geht, bei wem denn, sagte der Sohn, ich wüßte nicht, wer da klarsieht, frag doch mal deinen Vater, sagte die Gattin des ehemaligen Chefs, ach der, sagte der Sohn, der macht sich wieder wichtig, indem er irgendeinen Wichtigtuer kennt, und am Ende kann ich meinen Freund nicht grüßen, aber der wird trotzdem eingesperrt, das funktioniert doch alles nicht, und die Gattin des ehemaligen Chefs straffte ihren Rücken, denn sie wußte nun wieder, welchen Komplikationen sie für die kommenden Tage entgegenzusehen hatte.

Donnerstag, 24. Dezember 2009

925.

Die Chefin wünscht im Namen der EinSatzLeitung insbesondere allen EinSatzKräften der zivilen (Feuerwehr, Krankenhäuser, Pflegeheime, Polizei usw.) und der militärischen Bereiche, aber auch allen anderen Leuten ein Weihnachtsfest, das so friedlich und froh sein soll, wie es nur irgend geht, feiert schön!

Mittwoch, 23. Dezember 2009

924.

Die Weihnachtsfeier wurde eine richtige Sause, natürlich, gesaust mit Gesang und Kuchen und Kaffee und Wein in einem mildbunt beleuchteten Lokal am Rande der neuen Mitte, und als sie gerade reichlich erschöpft in ihrer kleinen behaglichen Häuslichkeit angekommen war, klingelte das Telefon der Dame Ö, es war der ehemalige Projektentwickler, der ins Telefon bellte, es wäre doch schöner gewesen, man hätte ihn auch eingeladen, immerhin habe er mal dazu gehört, zur EinSatzleitung, er sei ein Mann der ersten Stunde, und die Dame Ö fragte, warum er sich deswegen ausgerechnet an sie wende, gebe es nicht eine Leitung der Abteilung Öffentlichkeit, eine Chefin und einen Demokratiebeauftragten, da wurde der ehemalige Projektentwickler, der offenbar schon ziemlich einen im Tee hatte, pampig und sagte, man habe übrigens Dokumente über sie, durch die sie in ein ziemlich klägliches Licht gestellt werde, ja, man müsse sich fragen, warum sie, da sie offenkundig - wie ihm die mit ihrem Falle betrauten Analytiker übereinstimmend versichert hätten - eine gewisse Kumulation verschiedener Störungen, die teils ins Masochistische spielten, habe, warum sie da gerade ihn so gar nicht mehr ertrage, das sei doch symptomatisch, eigentlich besage es doch das Gegenteil, und die Dame Ö, die hier eigentlich entnervt sofort aufknallen wollte (obwohl man ja, wie schon mehrfach festgestellt, heute keine Hörer mehr effektvoll aufknallen kann, eine mißliche Nebenwirkung des technischen Fortschrittes), konnte sich doch nicht verkneifen, in wütender Verachtung jener uneingeladenen und unbefugten Überprüfung irgendwelcher Dokumente, welche ihr ehemaliger Gatte da offenbar irgendwem vorgelegt hatte, zu fragen, wo denn die betreffenden Herrschaften Analytiker gewesen seien, als man im Unterricht über Durcharbeiten, Kunstproduktion und dergleichen gesprochen habe, sollte jemand den Wunsch und einen ernsten Grund haben, sie selbst zu befragen, werde sie jederzeit die passenden Antworten geben, er erinnere sich doch wohl, wie das gehe, sodann wünschte sie entspannt ein recht fröhliches Neues Jahr und beendete das Gespräch, nicht ohne anschließend nun doch noch eines der Beckett-Bücher aus dem Regal zu ziehen und sich selbst laut daraus vorzulesen, denn man schläft besser, wenn man zuvor ein wenig gelacht hat, also über wirklich lustige Sachen, sagte sie, und ist denn Beckett etwa nicht lustig?

Dienstag, 22. Dezember 2009

923.

Dem Kwaliteitswart hatte sich nicht wirklich erschlossen, warum er so um seine Hausbootfahrt gebracht worden war, aber am Montagabend lag vorläufig alles Dienstliche hinter ihm und der allgemeinsten Verteidigung, so daß sie noch in der Nacht gen Westen aufgebrochen waren, und während die Frau am Dienstagabend mit dem Kind durch Amsterdams weihnachtliche Straßen und Grachten tingelte, suchte der Kwaliteitswart, um schnell noch einem Wunsch von Mr. Precuneus zu entsprechen, die noch gar nicht so alte Archivaufnahme heraus, auf der Buffy St. Mary ihr Lied „Love lifts us up“ singt; als er sie ansah, mußte er Precuneus recht geben, nichts konnte melancholischer sein als der Anblick einer indianischen Sängerin, die – in verzweifelt gesucht wirkendem Anschluß an die weiße Peacenik-Bewegung – nun ein von ihr komponiertes Lied vortrug, von dem ohne ihren Vorspruch, den man nur gracious nennen konnte, alle gedacht haben würden, es wäre eine Fälschung, denn hatte das nicht Joe Cocker zuvor soviel kraftvoller gesungen?

Montag, 21. Dezember 2009

922.

Dramatische Sitzung der EinSatzLeitung

Anwesend: Alle EinSatzKräfte, alle Warte und jede Menge Mehrheitler und Minderheitler

Sitzungsleitung: Chefin

Protokoll: Der klitzekleine Forschungsminister

Tagesordnung:
1. Zuständigkeiten
2. Protokolldisziplin
3. Jahresbilanz
4. Verschiedenes

TOP 1:
Die bisherige Liste der Zuständigkeiten hatte nicht festgelegt, wer für die Einberufung der Sitzungen im regelmäßigen Turnus zuständig ist, so daß dies bisher in die Zuständigkeit der Chefin und ihres - unterdifferenzierten - Büros gefallen war, in dem weiter keine feste Sekretärin zugegen ist. Dies wird geändert, ab jetzt ist die Buchhaltung mit Oberassistenten gehalten, die Sitzungen rechtzeitig anzuberaumen.

TOP 2:
Die Protokolldisziplin für das Neue Jahr sieht pro Tagesordnungspunkt nur noch einen Satz vor, dies liegt in der Logik der Institution und hindert die gefährdeten EinSatzKräfte am Schwatzen.
Der Tagesordnungspunkt wird wild diskutiert und Zustimmung wird schließlich nur mit einer hauchdünnen Mehrheit erreicht, manche prognostizieren Aufstände, und da die Regel noch nicht in Kraft ist, wird dieser Hinweise nicht unterdrückt.

TOP 3:
Die Lesung der verschiedenen Punkte der Jahresbilanz fällt lang aus, das Ergebnis kurz, man ist noch da, man hat gearbeitet, man wird weiter arbeiten. Wurde geboren, arbeitete und starb. Sagte einmal ein Philosoph über einen anderen, aber davon versteht hier ja niemand etwas.

TOP 4:
Ein Ornithologe hat sich beworben um vollgültige Mitgliedschaft in der EinSatzLeitung. Er kommt zu spät, sagt die Chefin, die Vogelkonferenz ist wegen der internen Konflikte der Brachvögel und des schlechten Benehmens der Pestvögel auf unbestimmte Zeit vertagt, aber für weitere Fragen wird dem Ornithologen angeboten, ggf. ein paar womöglich leicht honorierte Beratungsgespräche zu führen. Er wird sich bedanken, sagt Dame Ö, welche die Bewerbung vermittelte.

Die Chefin verabschiedet sich kurz und, wie die EinSatzKräfte der ersten Stunde finden, etwas zu herzlos von allen, man merkt ihr Nervosität an, da war es doch etwas ganz anderes mit dem Chef, sagen viele, aber die Kreativleitung verteidigt die Chefin und sagt, es werde ja noch eine eigene Weihnachtsfeier unter der 924 geben, sie macht im übrigen darauf aufmerksam, daß vor 900 EinSätzen die erste Sitzung der EinSatzLeitung mit erheblich schlimmeren Turbulenzen begonnen hatte, eine Einsicht, die doch für die Langeweile dieser Sitzung durchaus an Dank denken lasse, aber der Buchhalter ist anderer Ansicht und hält damit nicht hinter den Berg.

Ende der Sitzung, alle eilen in die Geschäfte, um letzte Geschenke zu kaufen.

Samstag, 19. Dezember 2009

921.

In seinem unnachahmlichen Schweizer Grundton hatte der ehemalige Chef nicht von Kräuseln, sondern von einem Rundümmeli gesprochen, dachte der Sicherheitsbeauftragte, als er, ein aufgeregtes Schnattern der Dame Ö im "Headset" seines Telefons, bei eisglatter Straße mit dem schwarzen Alfa ein solches Rundümmeli drehte, und es war ein Wunder, daß gerade kein anderes Auto mit zu geringem Sicherheitsabstand in der Nähe war, aber als er dann wie durch ein weiteres Wunder in sauberer Parallele zur Leitplanke auf dem Seitenstreifen stand, fragte er entgeistert seine Paranoia, was sie nun aus zwei derartig glücklichen Zufällen zu machen gedenke, die Paranoia aber sagte, fällt nicht in mein Fachgebiet, fragen Sie die Kollegen, und schlief weiter, und erst jetzt bemerkte Karomütze, daß Dame Ö unentwegt ins Telefon rief, geht es Ihnen noch gut, was machen Sie denn, warum antworten Sie nicht, Sie könnten sich doch wenigstens verabschieden, es erwartet ja niemand, daß Sie auf der eisglatten Autobahn ausgerechnet über Shakespeare-Übersetzungen reden, aber Sie sind doch sonst nicht auf den Mund gefallen, Herr Karomü… schon gut, sagte Karomütze, es gab nur einen kleinen Zwischenfall, ist aber nichts passiert, machen Sie sich keine Sorgen, wir reden morgen weiter, die wichtigsten Tagesordnungspunkte für morgen dürften wir doch haben, oder, und er betonte, in Erinnerung an den ehemaligen Chef, das R beim Oder ein kleines bißchen mehr als in seiner Landessprache üblich.

920.

"Ein Hase und ein Lumpenhund, wer nicht meiner Nichte zu Ehren trinkt, bis sich sein Gehirn auf einem Beine herumdreht wie ein Kräusel," summte die Dame Ö gerade vor sich hin, "der Schlegel ist doch wirklich ein guter Übersetzer gewesen," als ein Eilanruf sie ereilte, die Chefin wars, um mitzuteilen, daß ganze zehn Tage lang ignoriert worden sei, wie sehr man unter 910 die fällige Sitzung der EinSatzLeitung verpasst habe, wie so etwas möglich sei, und ob überhaupt in keiner der sekretariatsähnlichen Abteilungen noch gar in der Buchhaltung irgendwer an diesen Dingen mitdenke, ob sie wirklich alles selbst machen müsse, ihre haselnußfarbenen Augen brummten, ihr Schädel sirrte, "und komischerweise," sagte sie, "komischerweise sind nun Sie die Letzte, auf die ich meine Hoffnung setze für einen rettenden Einfall, was sollen wir nun bitte tun, was meinen Sie?"

Freitag, 18. Dezember 2009

919.

Ach du Schreck, eine Wandzeitung, sagte die Kreativleitung, als sie aus dem Chefinnenbüro trat, und lachte, das hatten doch früher diese bundesrepublikanischen Fiktional-Kommunisten immer, sie hörten was, riefen, Mann, ist das üüübel, müssen wir gleich eine Wandzeitung zu machen, und schon stand so ein Ding im Korridor der Schule, daneben einer mit Lederjacke und Megaphon, war es nicht so, aber die Chefin stimmte in den heiteren Erinnerungston nicht mit ein, sondern sagte, meine Lieben, wer immer dafür verantwortlich ist, das wird ein Nachspiel haben, natürlich machen wir es hier nicht wie die zu recht (und leider noch viel zu wenig) verschämten „Machtknalltüten“ (was für ein Wort, sagte sie, und schüttelte etwas fassungslos den Kopf), also keine hochsuggestiven, mit Druckmitteln bewehrten Pseudoverhandlungen aus dem Off, sondern wir machen es richtig, wir laden alle nacheinander vor und reden mit ihnen, Oberassistent und Mo bilden keine Ausnahme, drum rate ich euch, ruft alle schon mal bei der allgemeinsten Verteidigung an und lasst euch beraten, so geht das nicht, wir haben hier Entscheidungsfindungsprozesse mit Zuständigen, da wird nicht einfach eine Wandzeitung gemacht, und der Oberassistent hinter seiner nur angelehnten Tür fragte sich, wie sie nur darauf gekommen war, daß er etwas damit zu tun haben könne.

Donnerstag, 17. Dezember 2009

918.

Während die Kreativleitung sich mit der Chefin, dem klitzekleinen Forschungsminister, dem Demokratiebeauftragten, der Leitung Öffentlichkeit und dem Kwaliteitswart über die B-Ebene unterhielt, wurde in den Fluren gemeutert: der Buchhalter, welcher aus irgendeinem Grunde der Dame Ö und diesem Precuneus zu imponieren suchte, indem er neuerdings immer sagte "also wir hier in der Buchhaltung," hatte einsehen müssen, daß er damit bei Dame Ö wenig Eindruck schinden konnte, und war nun auf ein weiteres Mittel verfallen, sich interessant zu machen, indem er nämlich Öl in Dame Ös bekanntermaßen brennende Skepsis gegen Mo (sie sah in ihr ein trotziges Kind, weiter nichts, und Mo benahm sich dann zuweilen auch danach) goß, so auch heute, na, Mo, sagte er, werden deine B-Ebenen auch immer schlechter, ja, das kommt davon, wenn man sich nicht an die Regeln hält und nur Trotz im frühvergreisten Schrumpfgesicht bewegen kann, Trotz und Hass, jawohl, sagte er, das sind die Kräfte, mit denen man die Regeln bricht, und es ist erstaunlich, wie viel davon hier geduldet wird, erstaunlich!

Mittwoch, 16. Dezember 2009

917.

Mo hatte eine neue B-Ebene fertig, welche sie stolz präsentierte, aber die Kreativleitung bestand darauf, erst mit der Chefin zu sprechen, denn es sei darin ein zwar mehrdeutiger, aber in einer Auslegung den Eindeutigkeitsfanatikern doch allzu sehr zuarbeitender Gedanke, von dem sie nicht sicher sei, daß er aussprechbar wäre in dieser Welt, ohne die ohnehin prekäre Situation der EinSatzLeitung weiter zu belasten (bedenke doch, was unsere schlichte kleine Tatsachenerzählung von gestern schon wieder für einen Spekulationsunsinn hervorgerufen hat!), die Chefin war aber gerade wegen eines Auslandseinsatzes nicht zu erreichen, so daß Mo vertröstet werden mußte und ein wenig maulig ans Fenster ging, um zu bemerken, daß in dem Baum vor dem Haus heute neben ein paar Krähen auch einige etwas aufgeplusterte Brachvögel hockten, von denen Mo - schlecht gelaunt, wie sie nunmehr war - bemerkte, sie sitzen da und sehen aus, als wären sie stolz darauf, daß sie genau so blöd sind wie alle anderen und verstanden haben, daß man nur genauso blöd sein muß, wie alle anderen, weil die Welt nun mal so ist, ach Mo, sagte die Kreativleitung, vielleicht fallen den anderen EinSatzKräften so gute Kommentare zu Deiner B-Ebene ein, daß wir sie wirklich morgen übernehmen können, das wäre doch was, oder?

Dienstag, 15. Dezember 2009

916.

Zufällig hatte sich der Kollege Pestvogels – ER, in seiner geballten und geschnäbelten Belgizität! – soeben im Anfluge auf das Haus befunden, in welchem die EinSatzLeitung residierte, als er Zeuge eines ungewöhnlichen Blazerabwurfes wurde, in dessen Verlauf ein Damenblazer ungefähr auf der Höhe des dritten Stockwerks eines Berliner Miteshauses (Marke Neue Heimat) im Geäst eines blattlosen Linden- oder Ahornbaumes hängen blieb, ein Vorgang, der sodann mehrere Büros des Berliner Grünflächenamtes beschäftigte, bevor schließlich ein beherzter Nachbar beherzt seine 3 m lange Angel von ihrem Dasein als nutzloses Kellerutensiel augenblicksweise erlöste und das Damenoberbekleidungsstück souverän beim dritten Anlauf aus seiner ästlichen Kalamität befreite, und der Kollege Pestvogels wunderte sich so sehr, daß er für mehrere Stunden vergaß, die EinSatzLeitung mit seinen neuesten Theorien zu behelligen.

Montag, 14. Dezember 2009

915.

Und was war es denn nun, was den klitzekleinen Forschungsminister so wenig Interesse nehmen ließ am Emanationswesen, wollte der Kwaliteitswart wissen, denn es erschien ihm ein wenig absurd, angesichts der drängenden Weltprobleme sich mit den pseudoesoterischen Nebenfragen einer Sinologenvergafftheit zu befassen, aber ein bißchen Theorie, dachte er, ein bißchen Theorie, das könnte doch...

Sonntag, 13. Dezember 2009

914.

Der erzählende Kranich hatte sich unterdessen wieder in der Kreativabteilung eingefunden, denn es war nun doch sehr kalt draußen, und der Anblick eines schmiedeisernen Artgenossen, der hinter dem Fenster eines Kuriositätenladens in der Kantstraße einen dunkelgrün getulpten gläsernen Lampenschirm auf seinem Schnabel zu balancieren hatte, machte ihn nicht eben wärmer - Mos Wiedersehensfreude hingegen sehr.

Samstag, 12. Dezember 2009

913.

Der klitzekleine Forschungsminister wurde besucht vom naseweisen Sinologen, freilich ohne daß die beiden auch nur in Erwägung zogen, mit dem gelben Einkaufswägelchen loszuziehen, denn der Sinologe, üblicherweise nicht übermäßig interessiert an den Wissensschätzen des Klitzekleinen, hatte, angestoßen durch die Formulierung "semi-seriell" und die pseudokabbalistischen Spekulationen einer Bekannten, an welcher er ein Interesse nahm, um Aufklärung über das Emanationswesen gebeten, und nachdem der klitzekleine Forschungsminister erst abgewehrt hatte - gehen Sie doch damit bitte zu irgendeinem Coach, hatte er gesagt, der wird es Ihnen austreiben, Sie können es auch mit einem veritablen Psychiater versuchen, oder Sie suchen sich unter den Chinesinnen eine weniger esoterisch aufgelegte Freundin, dann müssen Sie Ihr Köpfchen auch nicht mit diesem Zeug belasten, Ihre derzeitige Angebetete wird sowieso nur sagen, auf alles dieses komme es gar nicht an, da können Sie sich noch so viel Wissen anplaudern lassen - war er schließlich doch bereit gewesen, zumindest etwas weiter ausholend zu erläutern, warum ihn gerade diese Aspekte irgendwelcher Schöpfungsspekulationen immer herzlich wenig interessiert hatten.

Freitag, 11. Dezember 2009

912.

So schnell geht er dann auch wieder vorbei, so ein Schnellwagentag, sagte der Kwaliteitswart, als er im "Bistro" den Buchhalter traf, der ihm etwas zu gute Laune hatte, da er soeben seinen Jahresbericht abgeliefert hatte, haben Sie eigentlich mal gezählt, wie sich die B-Ebenen-Frequenzen entwickeln, folgt das irgendeiner Theorie, Chaostheorie, Spieltheorie, irgendwas, oder ist das auch bloß so ein semi-serielles Gebrabbel, und da der Buchhalter nicht gleich antwortete, setzte er noch nach, mir geht diese EinSatzLeitung doch allmählich auf die Nerven, ich glaube, ich guck mich mal direkt in Amsterdam um, wenn wir jetzt wieder dahin fahren; semi-serielles Gebrabbel, wat soll'n dit, is det wieda holländisch oda-watt, fragte der Buchhalter, und es sah nicht gut aus, wie er lachte, mochte es ihm selbst auch Spaß machen, Sie müßten sich mal die Zähne richten lassen, versuchte es der Kwaliteitswart wieder, und die Kreativleitung, die drüber zu kam, weil sie mal wieder einen Kaffee holte, wunderte sich sehr, denn sie verstand nicht, was ihn biß, und sie lächelte grünlich und sagte, einen schönen Feierabend dann noch, Sie sollten nicht mehr zu lange machen.

Donnerstag, 10. Dezember 2009

911.

Der Buchhalter verzog seinen Mund zu einer kleinen Enttäuschung, als ausgerechnet der Kumpel von Karomütze, der von der GSG 9, am Telefon war und sagte, na, Porschetag heute oder wie seeickdet?

Mittwoch, 9. Dezember 2009

910.

Mo trippelte in diesen Tagen mit besonders großen Ohren über den Korridor, vergaß ihre Äpfel, vergaß ihren Honig und lauschte immer, ob sie nicht aus dem "ich-bin-dann-mal-weg" der Insula noch mehr heraushören könne, die Malediven, Madagaskar, da war doch mal was, und als man ihr berichtete, daß der Bundestag gerade über den Piratenschutz abstimme, und als sie die Kreativleitung mit halb sorgenvollem, halb kühnem Gesicht auf ihrem Teppich liegend fand, die Füße auf dem Drehstuhl, Stift in der Hand, Notizbuch daneben und leise die Lippen bewegend, um neue Sätze zu bilden, da wisperte Mo ihr ins Ohr, der Demokratiebauftragte und die Chefin hätten gesagt, man müsse doch einen Weg finden, freundschaftlichen Gedankenaustausch, die zufällig gleichzeitige oder auch zeitversetzte Entstehung von einem Gedanken bei verschiedenen Menschen und Gedankenpiraterie voneinander zu unterscheiden, aber ich, sagte Mo, indem sie ihrerseits die Sitzfläche des Drehstuhls erkletterte, ich weiß eigentlich nicht, wie das gehen soll, und manchmal hilft nur ein bißchen Drehen dazu, sich wieder etwas lockerer zu machen, da unterbrach die Kreativleitung ihr Murmeln und lachte.

Dienstag, 8. Dezember 2009

909.

Nachwuchs Ö und der Sohn des ehemaligen Chefs planten ihre Winterurlaube und telefonierten miteinander, sie kicherten wie üblich über den alten Witz "Mutter sagt zum Sohn, ich will doch nur dein Bestes, Sohn sagt zur Mutter, das kriegst du aber nicht," und im übrigen konnten sie nur feststellen, daß sie sich sehr auseinanderentwickelt hatten, was soll's, sagte Nachwuchs Ö, und der Sohn des ehemaligen Chefs sagte, übrigens fliege ich dann im Neuen Jahr auf ein Praktikum nach Japan.

Montag, 7. Dezember 2009

908.

Die B-Ebene hast du immer noch nicht geliefert, Mo, sagte Mr. Precuneus, als er am Montagmorgen in die Kreativabteilung schaute, warum nicht, ich dachte, du hättest da was am Wickel, wieso sagt man „am Wickel,“ unterbrach er sich, was ist überhaupt ein Wickel, Mo aber sprang auf ihn zu, zupfte an seiner heute besonders dezenten schilfgrünen Beinbekleidung herum und sagte, ich habe mich mit dem kleinen Brachvogel unterhalten, der sehr nett ist, er hat gesagt, nicht alle Religionen und Kirchen machen Inquisitionen, er hat gesagt, viele gar nicht Religiöse machen aber Inquisitionen, dann haben wir noch ein bißchen gelacht, dann habe ich angefangen, alles nochmal umzuschreiben, ist das schlimm?

Sonntag, 6. Dezember 2009

907.

Bevor sie sich in die Weihnachtsbäckerei stürzte, traf sich die Chefin noch schnell mit der Kreativleitung, um ein Redemanuskript durchzusprechen, und als die Kreativleitung sagte, du mußt doch nun nicht in jedem Satz das Wort team schreiben, fragte die Chefin - anstatt gleich loszulegen, wie sehr ihr manchmal das gewaltige Ego der Kreativen auf die Nerven gehe, es stehe doch für nichts - was hast du eigentlich dagegen, und die Kreativleitung sagte, als Sowieso-Teamerin fühlt man sich immer falsch ermahnt, verstehst du, je öfter es beschrien wird, desto weniger sicher scheinen sich die Leute doch ihrer Sache zu sein, und was sie dann machen, das kennen wir alle, sie bauen falsche begriffliche Gegensatzpaare auf (Teamgeist gegen Egoshooting usw.) und suchen den, der den falschen Geist hat, um sich selbst auf der richtige Seite zu fühlen, das habe ich dagegen, und ich weiß, du kannst es besser, man würdigt einfach die, die etwas gut gemacht haben, mit dem, was sie gut gemacht haben, mehr braucht es doch nicht für den Zusammenhalt, wer dauernd mehr fordert und vom Zusammenhalt redet, macht erstens Feindsuche nötig und zweitens macht er sich unglaubwürdig bei wirklich Engagierten und mästet die, die meinen, mit einem bloßen Bekenntnis zur richtigen Sache und zum Team als solchem wäre es getan, also überlegs dir, ich würde einfacher und bestimmter sprechen an deiner Stelle, aber vielleicht bin ich genau deswegen nicht an deiner Stelle, also mach es mal, wie du es am besten kannst, ich mach meins, und die Chefin dachte, seltsam, wieso lass ich die eigentlich meinen Job machen?

Samstag, 5. Dezember 2009

906.

Die Gattin des ehemaligen Chefs trug selbstgebackenen Honigkuchen und Zimtsterne auf, der Tee duftete wie eh und je, die zarten Porzellantassen wirkten ein klein wenig transparent in den sehr weißen Händen der Dame des Hauses, in allem diesem räkelte sich die Dame Ö, welche zu Besuch gekommen war, behaglich und freute sich schon auf den ersten Schluck des köstlichen Heißgetränks, als der ehemalige Chef - welcher lange keine Gelegenheit mehr bekommen hatte, so richtig herumzumosern - knurrte, ihr macht ja bißchen was richtig in der EinSatzLeitung, aber was ist eigentlich aus dem Gouvernantenlexikon geworden, es gibt überhaupt keine Lemmata mehr, selbst die FAZ beklagte sich neulich schon über das Schweigen der Lemmata, und wie überrascht war er, als Dame Ö antwortete, Hölderlin hat in seiner dritten Fassung von Mnemosyne diese wunderschönen Zeilen "und es girren
Verloren in der Luft die Lerchen und unter dem Tage weiden
Wohlangeführt die Schafe des Himmels"
einfach weggelassen, verstehen Sie mich bitte nicht falsch, ich meine nicht daß wir uns auch nur im Entferntesten mit diesem Großen messen könnten oder wollten oder uns vermessen wollten oder dergleichen und dann womöglich zur Strafe noch in einem Turm enden, bewahre, aber vielleicht dürfen auch wir Leichtfertigen einmal etwas einfach weglassen, wenn es selbst einem wie Hölderlin gestattet ist, und die Gattin des ehemaligen Chefs versuchte, ein sich ankündigendes Gewitter auf dem Gesicht ihres Gatten abzuwenden, indem sie sagte, wie wäre es, diese Idee dennoch wieder aufzugreifen und uns am Ende zum Beispiel etwas über das Wort "Biedermann" zu erzählen, wäre das nichts - da resignierte der ehemalige Chef, wie seine Gattin es beabsichtigt hatte, und griff nach einem Stück Honigkuchen, lediglich den einen oder anderen verbitterten Blick in ihre Richtung schießend, es war doch früher alles ein wenig besser gewesen, und auch die Gäste schöner.

Freitag, 4. Dezember 2009

905.

Es ist Adventszeit, meine Damen und Herren, und Sie stehen hier unbekerzt herum und tuscheln, was ist los, sagte die Chefin, als sie herzutrat, und der Demokratiebeauftragte wisperte ihr schnell etwas Erklärendes ins Ohr, ach so, sagte die Chefin, sich sogleich wieder an alle wendend, ich werde bei Mr. Precuneus anrufen, entscheidend scheint mir zu sein, wie er sich selbst gesprächsweise zu seinen orakelnden Fähigkeiten, wenn es sich denn dabei um mehr als ein Gerücht handelt, äußert, ich persönlich bin freilich sicher, daß dieser Mensch mit dem erkenntniskritischen Vorbehalt erheblich sorgfältiger umzugehen versteht als die meisten Leute, die sich ihrer gewaltigen Instinkte im selben Atemzuge rühmen, mit dem sie sich auch als superrational ausgeben, und nur aus dieser Differenz erklärt sich, wenn ich die Sache richtig verstehe, daß man überhaupt auf die Idee verfallen konnte, das Lob seiner außerordentlichen Fähigkeiten auch als beleidigend aufzufassen, nein?

Donnerstag, 3. Dezember 2009

904.

Am anderen Tag verstummte das Getuschel über die Frage, ob die Beschreibung des Mr. Precuneus denn nun rassistisch oder sonst fies gewesen sei oder nicht, kaum, er selbst war nicht erschienen, die Chefin wollte gern an irgendeine Form gehobenen Tratsches glauben, Karomütze war ernsthaft empört, desgleichen der Kwaliteitswart, Dame Ö empörte sich über die Empörung, und die allgemeinste Verteidigung ließ über E-Mail wissen, sie finde, man dürfe dieses Thema nun auf keinen Fall aufbauschen.

Mittwoch, 2. Dezember 2009

903.

Seit seinem Erscheinen fiel Mr. Precuneus auf durch eine außergewöhnliche Vielfalt an Begabungen, deren größte freilich mit Beginn der dunklen Jahreszeit ganz allmählich wie unter einer dicken Schicht aus vielen dünnen Stoffen hervorzuleuchten begann, täglich ein bißchen heller, und während alle anderen es nur vage merkten, während Karomütze etwa knurrte, er muß Fieber haben, er glüht ja so, und die Dame Ö ihn mit gehobener Braue kritische betrachtete, fragte der immer sehr zupackende Kwaliteitswart unumwunden die kleine Mo, um was es sich denn dabei ihrer Meinung nach wohl handeln möchte, und Mo zögerte keine Sekunde mit ihrer Antwort: er erfindet die kuriosesten Fälle und Verwicklungen, und zufällig haben sie dann gerade irgendwo auf der Welt wirklich genauso stattgefunden!

Dienstag, 1. Dezember 2009

902.

Gemeinsam schaffen wir es, wir müssen die Leute zu gemeinsamem Handeln motvieren, das ist ein schmerzhafter Lernprozess, der viele Opfer fordert, rhabarberrhabarberrhabarber, gnatzelte der Kwaliteistwart, ich verstehe nicht, wie die Leute ernsthaft Geld und Zeit inverstieren, um sich immer dieselben Floskeln vorbeten zu lassen, mal auf Flipcharts, dann als Powerpoint, dann in Form eines hochmögenden Vortrags, wer hört denn da noch zu, das ist doch absurd, ich möchte keine solchen Fortbildungen mehr machen, du seierst den Leuten dann gegen Geld dermaßen einen an die Kante und weißt ganz genau, bereits in dem Augenblick, in dem sie vor dir sitzen und nachseiern - sie kennen es alles schon und halten es DESWEGEN aufgrund irgendeines rästelhaften Mechanismus (können die das nicht mal in Bielefeld erforschen, oder haben sie schon?) für wahnsinnig innovativ - planen sie im Koppje schon die nächste Intrige, je überzeugender sie von Gemeinsamkeit schwafeln, desto sicherer kannst du sein, also was soll das bringen, und der Demokratiebeauftragte fragte, hast du eine bessere Idee, ich meine nicht, Experimente und Druck und exemplarische Konflikte auswählen und daran Gemeinsamkeit erzwingen usw. (wo es eigentlich um ganz andere Fragen geht), und der Kwaliteitswart sagte, nej, aber ich glaube einfach, daß da, wo weniger Zwang ist, wo Idiosynkrasien und Rivalitäten und Aversionen und Einzelgängereien genauso geduldet werden wie irgendein infantiles Einheitsgemampe und irgendein militaristischer Mannschaftsgeist und irgendeine pathetische Gefolgschaft, daß es da besser geht, und ich weiß nicht, wieso den Leuten immer erst richtig wohl ist, wenn sie endlich wieder bei Demut, Dienst, Gehorsam, Gemeinschaftsgeist und großer Sache mit großen Opfern angekommen sind, ich werde das nie begreifen, sagte er, es kommt mir vor wie eine große schwarze geistige Verdunkelungsglocke über den modernsten urbansten Gebieten, oder weißt du eine Stadt oder eine Partei oder irgendein Gesellschaftssegment, in denen man nicht jede Menge Späne fallen läßt, um alle auf diese etwas dürftige Schwafellinie zu bringen?

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