Donnerstag, 31. Dezember 2009

932.

Die haselnußfarbenen Augen der Chefin leuchteten etwas matt aus ihrem von der Kälte geröteten Gesicht, als sie in der EinSatzLeitung eintraf, um ihre Sylvesteransprache abzusetzen, und die diensthabenden EinSatzKräfte, Karomütze und Mr. Precuneus, waren sehr bedürftig nach einem tröstenden Wort, da ein enger Freund von Precuneus unter den Opfern des letzten Anschlags war; sie überblickte die Lage schnell und entschied, ihre bereits fertige Rede, in der sie viele Scherze über Don Qixote und anderes untergebracht hatte, noch einmal zu überarbeiten und erst am andern Tag eine Neujahrsansprache zu halten, sie sagte, sie werde nur eben nachhause fahren, um ihr Kind entweder zu holen oder mit einer besonders dicken Umarmung zu einer befreundeten Familie zu bringen, danach werde sie die Sylvesternacht in der EinSatzLeitung verbringen, sie bitte darum, unterdessen noch andere EinSatzKräfte anzurufen und kurzerhand eine spontane kleine Feier zu arrangieren, es sei eine schreckliche Sache - nun sei es nur umso wichtiger, sich für das kommende Jahr zu stärken und zu sehen, was zu machen sei.

Mittwoch, 30. Dezember 2009

931.

Die Nachfrage nach der allgemeinsten Verteidigung beantwortete diese von sich aus, als sie am anderen Tag die Kreativleitung anrief, welche für diesen Anruf ihr intensives Gespräch mit der Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse unterbrach, und als die Kreativleitung an ihren Platz zurückkehrte, lächelte sie versonnen und sagte, manche Männer sind wirklich sehr gerührt von sich, leider wissen sie selten, was sie damit anrichten, du sprichst in Rätseln, sagte die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse, will der Kwaliteitswart jetzt persönlich zu den Flüchtlingslagern der Hmong gehen, um die Deportationen zu verhindern, ach nein, sagte die Kreativleitung, viel banaler, er befindet sich auf seinem Hausboot selbst an jener Kreuzung, an der diese jungen Männer ihren Frauen nur drei Wege lassen: entweder die Frau tut still so, als würde sie es so machen, wie er es richtig findet, obwohl sie die bessere Einsicht und den größeren Überblick hat, und verlegt sich eher aufs heimliche Dirigieren, oder sie geht, weil ihr das alles zu lästig ist und sie auf dem geraden Weg aber nicht durchkommt, oder sie vernachlässigt das heimliche Dirigieren und das dem-Mann-das-Gefühl-geben-daß-sie-ihn-nicht-zu-weit-aber-gut-genug-durchschaut-und-in-allem-liebt zu sehr für seinen Geschmack, schämt sich dessen, da sie ihre Pflichten ja kennt, und wird unversehens zum Problemfall, an dem er seine Analysekünste erprobt, so würde ich das, was mir die junge Dame gerade mal vorgeweint hat, zusammenfassen, ich habe ihr gesagt, letzteres darf sie keine halbe Stunde lang zulassen, alles andere müsse sie machen, wie es ihrer Gefühlslage am besten entspreche, es komme mir eigentlich so vor, als verstünden sich die beiden doch recht gut.

Dienstag, 29. Dezember 2009

930.

Das Gespräch im Chefinnenbüro verlief sehr anders als die Kreativleitung es sich vorgestellt hatte, die Chefin war verärgert, sagte, du mußt dich mal um Mo kümmern, man erkennt so nicht, daß sie weiter gegen den Fanatismus an schreibt, mit dem die Leute auch in unserer Kunst schon wieder alles durch Blut beglaubigen wollen und ihre Messerleidenschaften für pädagogisch halten, ich weiß, du redest von China, zum Beispiel (Liu wird verhaftet, prompt "ist ein Stern geboren" - das ist dort vielleicht etwas wie Trost, nur hier ist es immer begleitet von der Botschaft von der Verhaftung als Wertschöpfung) aber unseren Provinznasen leuchtet es so nicht ein, man hält sie - und dabei verwies die Chefin auf einen Stapel von Stellungnahmen und Expertisen und Gutachten und Einwendungen - für eine Narzißmus-Figur usw., du kennst dich gut genug aus um zu wissen, welche Folgen das hat, und die Kreativleitung nickte grünlich --- schwierig, da eine Verteidigung zu finden, sagte sie schließlich, apropos, wo bleibt denn eigentlich die allgemeinste Verteidigung, aber dann erinnerte sie sich ihres eigenen Schwurs und sagte, okay, also einen Haken, wir machen heute mal was anderes: zum Beispiel erklären wir einem Redakteur von der FAZ, der ein anonymes Tagebuch in seinem Büro gefunden hat, sich über dessen Unzulänglichkeit mokiert und sich nun wundert, daß niemand für dieses Tagebuch die Verantwortung übernehmen will, in dem die deutsche Geschichte nicht vorkomme, diesem Herren Redakteur also halten wir einen Vortrag über Gattungen und erklären ihm, daß Tagebücher keine Tageszeitungen sind und daß man in ihnen nur das unterbringt, was man entweder mit Datum erinnern will, weil es - anders als die Tagesereignisse - dem Vergessen anheimfallen wird, und oftmals vor allem das, was man anders als das politische Tagesgeschehen nicht mit den Bekannten und Verwandten am Tisch besprechen und auch nicht in die Artikel, an denen man im Büro gearbeitet hat, schreiben kann, daß Tagebücher, m.a.W., nicht die wahren Gedanken des Schreibers mitteilen (er hielte sich denn für besonders bedeutend und schriebe immer schon für die Nachwelt), sondern Beiprodukte sind, Abfallhaufen, die der "Eigenethnologe" auch nicht sofort beseitigen wird, die aber auch nicht gerade vollumfänglich Auskunft geben über sein Leben und seine Gedanken, sondern eben nur über den Müll derselben.

Montag, 28. Dezember 2009

929.

Sie triumphierten und bramabasierten, sie quatschten und tratschten, sie rätschten und watschten und freuten sich, denn nachdem sie eine Frau fast zu Tode geprügelt hatten mit ihren Maßnahmen, da glaubten sie staunend zu entdecken, daß sie doch ein Herz habe, denn sie blutete ja, und für diesen Beweis hatte es sich doch, so bestätigten sie schulterklopfend einander, gelohnt, sich mit Gewalt und Schmutz zu beflecken, las die Kreativleitung in einem kleinen Text, den Mo ihr angereicht hatte, mein liebes Mo, sagte sie, wie bin ich froh zu wissen, daß du weißt, daß wenigstens ich immer auf deiner Seite sein werde und allen, die im Rahmen einer normativ-dogmatischen oder vermeintlich deskriptiv-durchschauerisch-psychologischen sogenannten Liebesordnung versuchen werden, auf dich zuzugreifen und über dich zu verfügen und dir deine Geschichten umzulügen und dich in Dienste zu stellen, in denen du nichts zu suchen hast, und dich mit Leuten und Sachen zu versöhnen, die vor lauter Balken nicht aus den Augen gucken können, aber jahrelang an ein paar Schüppchen auf deiner Haut herumgemäkelt haben, wie bin ich froh, daß wir wenigstens eine schwache Chance haben, ihnen zu entkommen, und nun müssen wir freilich unsere Truppen gut aufstellen, denn sonst ziehen sie uns für ihre ein, dich zur Erbsenzählerin in der Feldküche, und mich zum gefälligen Herumwedeln mit bunten Pappschildchen, auf denen ich ihnen die Weltordnung erklären soll, wenigstens mal den Kinderchen, und wenn wir das nicht wollen, dann müssen wir weiter behandelt werden, bis wir brav ins Joch gehen wie die Ochsen, und wehe, wehe wir sprechen dies auch noch aus, dann wird es nur umso schlimmer kommen, nicht Mo, aber Mo, entsetzt von allem diesem und erschöpft von der Arbeit an einem größeren Stück, das die Kreativleitung in den Wandteppich zu weben gedachte, war bereits wieder eingeschlafen, und die Kreativleitung legte sie vorsichtig wieder auf ihr Fell, deckte sie mit dem karierten Schal zu und ging noch einmal die Dinge durch, die sie mit Karomütze und der Chefin zu besprechen gedachte.

Sonntag, 27. Dezember 2009

928.

Die Leitung der Abteilung Öffentlichkeit beschloss ihre Familienferien im Kreise von Freundinnen und Freunden, und da sie immer eine kleine besondere Note in ihren Arrangements brauchte, hatte sie darum gebeten, daß alle irgendwie etwas Buntgestreiftes tragen oder mitbringen sollten - mit dem Ergebnis, daß nicht nur vielerlei Streifchen und Schleifchen an Kindern und Erwachsenen zu sehen waren (selbst die Servietten waren gestreift, denn ihr neues Service wies nicht nur an den Gefäßrändern zarte Streifchen auf), sondern daß eigentlich immer jemand mit Kamera herumlief und Streifenfotos nahm (es wäre eine wirklich außergewöhnliche Aufgabe für einen der Hobbyfotografen gewesen, einen streifenfreien Film zu produzieren), aber zuweilen kamen trotzdem Gespräche auf, und einmal gelang sogar eine betretene Stille, als der Demokratiebeauftragte, welcher in seiner Ecke unter den stets wachsamen Augen und Ohren der Gastgeberin immer wieder ein paar borstige Sätze in die Runde warf (er langweilte sich unter diesen Designern einfach schnell und suchte selbsttätig nach Belebung der Konversation durch ernsten Stoff), mit Grabesstimme zu einer Dame sagte, "die Massenseele mag an sich vielleicht nicht existent und deswegen in Geschmacksdingen leicht dirigierbar sein, aber in ihrer ganzen Roheit kommt sie zur Wirklichkeit und zur Erscheinung, sobald einer sich ihren Bedürfnissen mutwillig zu entziehen scheint."

Samstag, 26. Dezember 2009

927.

Mir sind eigentlich die geraden Zahlen lieber, sagte das Kind, nachdem es 27 Kerzen am Baume gezählt hatte, außerdem ist mir langweilig, aber die Chefin hörte es nicht, denn sie war in der Küche sehr mit dem Braten und anderem beschäftigt, da ein ganzer Schwarm Tanten und Onkel zu einem Festessen erwartet wurde, nun rief sie schon, das Kind solle bitte helfen, den Tisch zu decken, aber das Kind hörte nicht, es hatte soeben beschlossen, draußen auf dem Balkon ein Experiment mit Harsch zu machen, das war wichtiger.

Freitag, 25. Dezember 2009

926.

Na, wie gefällt dir die Welt heute, fragte die Gattin des ehemaligen Chefs ihren zum Weihnachtsbesuch zuhause weilenden Sohn, und dieser antwortete, noch etwas verschlafen, dieselbe alte Scheibe wie immer, viele Knäste, in denen viel zu viele Menschen sitzen, die da nicht hingehören, egal ob in China oder woanders, aber in manchen Ländern schon sehr massiv, und ich frage mich, ob ich einem fernen Freund in einem fernen Land einen Weihnachtsgruß schicken darf, oder ob ihn das in Schwierigkeiten bringen könnte, da streichelte die Gattin des ehemaligen Chefs ihrem Sohn die Wange und sagte, kannst du dich nicht bei irgendwem erkundigen, ob das geht, bei wem denn, sagte der Sohn, ich wüßte nicht, wer da klarsieht, frag doch mal deinen Vater, sagte die Gattin des ehemaligen Chefs, ach der, sagte der Sohn, der macht sich wieder wichtig, indem er irgendeinen Wichtigtuer kennt, und am Ende kann ich meinen Freund nicht grüßen, aber der wird trotzdem eingesperrt, das funktioniert doch alles nicht, und die Gattin des ehemaligen Chefs straffte ihren Rücken, denn sie wußte nun wieder, welchen Komplikationen sie für die kommenden Tage entgegenzusehen hatte.

Donnerstag, 24. Dezember 2009

925.

Die Chefin wünscht im Namen der EinSatzLeitung insbesondere allen EinSatzKräften der zivilen (Feuerwehr, Krankenhäuser, Pflegeheime, Polizei usw.) und der militärischen Bereiche, aber auch allen anderen Leuten ein Weihnachtsfest, das so friedlich und froh sein soll, wie es nur irgend geht, feiert schön!

Mittwoch, 23. Dezember 2009

924.

Die Weihnachtsfeier wurde eine richtige Sause, natürlich, gesaust mit Gesang und Kuchen und Kaffee und Wein in einem mildbunt beleuchteten Lokal am Rande der neuen Mitte, und als sie gerade reichlich erschöpft in ihrer kleinen behaglichen Häuslichkeit angekommen war, klingelte das Telefon der Dame Ö, es war der ehemalige Projektentwickler, der ins Telefon bellte, es wäre doch schöner gewesen, man hätte ihn auch eingeladen, immerhin habe er mal dazu gehört, zur EinSatzleitung, er sei ein Mann der ersten Stunde, und die Dame Ö fragte, warum er sich deswegen ausgerechnet an sie wende, gebe es nicht eine Leitung der Abteilung Öffentlichkeit, eine Chefin und einen Demokratiebeauftragten, da wurde der ehemalige Projektentwickler, der offenbar schon ziemlich einen im Tee hatte, pampig und sagte, man habe übrigens Dokumente über sie, durch die sie in ein ziemlich klägliches Licht gestellt werde, ja, man müsse sich fragen, warum sie, da sie offenkundig - wie ihm die mit ihrem Falle betrauten Analytiker übereinstimmend versichert hätten - eine gewisse Kumulation verschiedener Störungen, die teils ins Masochistische spielten, habe, warum sie da gerade ihn so gar nicht mehr ertrage, das sei doch symptomatisch, eigentlich besage es doch das Gegenteil, und die Dame Ö, die hier eigentlich entnervt sofort aufknallen wollte (obwohl man ja, wie schon mehrfach festgestellt, heute keine Hörer mehr effektvoll aufknallen kann, eine mißliche Nebenwirkung des technischen Fortschrittes), konnte sich doch nicht verkneifen, in wütender Verachtung jener uneingeladenen und unbefugten Überprüfung irgendwelcher Dokumente, welche ihr ehemaliger Gatte da offenbar irgendwem vorgelegt hatte, zu fragen, wo denn die betreffenden Herrschaften Analytiker gewesen seien, als man im Unterricht über Durcharbeiten, Kunstproduktion und dergleichen gesprochen habe, sollte jemand den Wunsch und einen ernsten Grund haben, sie selbst zu befragen, werde sie jederzeit die passenden Antworten geben, er erinnere sich doch wohl, wie das gehe, sodann wünschte sie entspannt ein recht fröhliches Neues Jahr und beendete das Gespräch, nicht ohne anschließend nun doch noch eines der Beckett-Bücher aus dem Regal zu ziehen und sich selbst laut daraus vorzulesen, denn man schläft besser, wenn man zuvor ein wenig gelacht hat, also über wirklich lustige Sachen, sagte sie, und ist denn Beckett etwa nicht lustig?

Dienstag, 22. Dezember 2009

923.

Dem Kwaliteitswart hatte sich nicht wirklich erschlossen, warum er so um seine Hausbootfahrt gebracht worden war, aber am Montagabend lag vorläufig alles Dienstliche hinter ihm und der allgemeinsten Verteidigung, so daß sie noch in der Nacht gen Westen aufgebrochen waren, und während die Frau am Dienstagabend mit dem Kind durch Amsterdams weihnachtliche Straßen und Grachten tingelte, suchte der Kwaliteitswart, um schnell noch einem Wunsch von Mr. Precuneus zu entsprechen, die noch gar nicht so alte Archivaufnahme heraus, auf der Buffy St. Mary ihr Lied „Love lifts us up“ singt; als er sie ansah, mußte er Precuneus recht geben, nichts konnte melancholischer sein als der Anblick einer indianischen Sängerin, die – in verzweifelt gesucht wirkendem Anschluß an die weiße Peacenik-Bewegung – nun ein von ihr komponiertes Lied vortrug, von dem ohne ihren Vorspruch, den man nur gracious nennen konnte, alle gedacht haben würden, es wäre eine Fälschung, denn hatte das nicht Joe Cocker zuvor soviel kraftvoller gesungen?

Montag, 21. Dezember 2009

922.

Dramatische Sitzung der EinSatzLeitung

Anwesend: Alle EinSatzKräfte, alle Warte und jede Menge Mehrheitler und Minderheitler

Sitzungsleitung: Chefin

Protokoll: Der klitzekleine Forschungsminister

Tagesordnung:
1. Zuständigkeiten
2. Protokolldisziplin
3. Jahresbilanz
4. Verschiedenes

TOP 1:
Die bisherige Liste der Zuständigkeiten hatte nicht festgelegt, wer für die Einberufung der Sitzungen im regelmäßigen Turnus zuständig ist, so daß dies bisher in die Zuständigkeit der Chefin und ihres - unterdifferenzierten - Büros gefallen war, in dem weiter keine feste Sekretärin zugegen ist. Dies wird geändert, ab jetzt ist die Buchhaltung mit Oberassistenten gehalten, die Sitzungen rechtzeitig anzuberaumen.

TOP 2:
Die Protokolldisziplin für das Neue Jahr sieht pro Tagesordnungspunkt nur noch einen Satz vor, dies liegt in der Logik der Institution und hindert die gefährdeten EinSatzKräfte am Schwatzen.
Der Tagesordnungspunkt wird wild diskutiert und Zustimmung wird schließlich nur mit einer hauchdünnen Mehrheit erreicht, manche prognostizieren Aufstände, und da die Regel noch nicht in Kraft ist, wird dieser Hinweise nicht unterdrückt.

TOP 3:
Die Lesung der verschiedenen Punkte der Jahresbilanz fällt lang aus, das Ergebnis kurz, man ist noch da, man hat gearbeitet, man wird weiter arbeiten. Wurde geboren, arbeitete und starb. Sagte einmal ein Philosoph über einen anderen, aber davon versteht hier ja niemand etwas.

TOP 4:
Ein Ornithologe hat sich beworben um vollgültige Mitgliedschaft in der EinSatzLeitung. Er kommt zu spät, sagt die Chefin, die Vogelkonferenz ist wegen der internen Konflikte der Brachvögel und des schlechten Benehmens der Pestvögel auf unbestimmte Zeit vertagt, aber für weitere Fragen wird dem Ornithologen angeboten, ggf. ein paar womöglich leicht honorierte Beratungsgespräche zu führen. Er wird sich bedanken, sagt Dame Ö, welche die Bewerbung vermittelte.

Die Chefin verabschiedet sich kurz und, wie die EinSatzKräfte der ersten Stunde finden, etwas zu herzlos von allen, man merkt ihr Nervosität an, da war es doch etwas ganz anderes mit dem Chef, sagen viele, aber die Kreativleitung verteidigt die Chefin und sagt, es werde ja noch eine eigene Weihnachtsfeier unter der 924 geben, sie macht im übrigen darauf aufmerksam, daß vor 900 EinSätzen die erste Sitzung der EinSatzLeitung mit erheblich schlimmeren Turbulenzen begonnen hatte, eine Einsicht, die doch für die Langeweile dieser Sitzung durchaus an Dank denken lasse, aber der Buchhalter ist anderer Ansicht und hält damit nicht hinter den Berg.

Ende der Sitzung, alle eilen in die Geschäfte, um letzte Geschenke zu kaufen.

Samstag, 19. Dezember 2009

921.

In seinem unnachahmlichen Schweizer Grundton hatte der ehemalige Chef nicht von Kräuseln, sondern von einem Rundümmeli gesprochen, dachte der Sicherheitsbeauftragte, als er, ein aufgeregtes Schnattern der Dame Ö im "Headset" seines Telefons, bei eisglatter Straße mit dem schwarzen Alfa ein solches Rundümmeli drehte, und es war ein Wunder, daß gerade kein anderes Auto mit zu geringem Sicherheitsabstand in der Nähe war, aber als er dann wie durch ein weiteres Wunder in sauberer Parallele zur Leitplanke auf dem Seitenstreifen stand, fragte er entgeistert seine Paranoia, was sie nun aus zwei derartig glücklichen Zufällen zu machen gedenke, die Paranoia aber sagte, fällt nicht in mein Fachgebiet, fragen Sie die Kollegen, und schlief weiter, und erst jetzt bemerkte Karomütze, daß Dame Ö unentwegt ins Telefon rief, geht es Ihnen noch gut, was machen Sie denn, warum antworten Sie nicht, Sie könnten sich doch wenigstens verabschieden, es erwartet ja niemand, daß Sie auf der eisglatten Autobahn ausgerechnet über Shakespeare-Übersetzungen reden, aber Sie sind doch sonst nicht auf den Mund gefallen, Herr Karomü… schon gut, sagte Karomütze, es gab nur einen kleinen Zwischenfall, ist aber nichts passiert, machen Sie sich keine Sorgen, wir reden morgen weiter, die wichtigsten Tagesordnungspunkte für morgen dürften wir doch haben, oder, und er betonte, in Erinnerung an den ehemaligen Chef, das R beim Oder ein kleines bißchen mehr als in seiner Landessprache üblich.

920.

"Ein Hase und ein Lumpenhund, wer nicht meiner Nichte zu Ehren trinkt, bis sich sein Gehirn auf einem Beine herumdreht wie ein Kräusel," summte die Dame Ö gerade vor sich hin, "der Schlegel ist doch wirklich ein guter Übersetzer gewesen," als ein Eilanruf sie ereilte, die Chefin wars, um mitzuteilen, daß ganze zehn Tage lang ignoriert worden sei, wie sehr man unter 910 die fällige Sitzung der EinSatzLeitung verpasst habe, wie so etwas möglich sei, und ob überhaupt in keiner der sekretariatsähnlichen Abteilungen noch gar in der Buchhaltung irgendwer an diesen Dingen mitdenke, ob sie wirklich alles selbst machen müsse, ihre haselnußfarbenen Augen brummten, ihr Schädel sirrte, "und komischerweise," sagte sie, "komischerweise sind nun Sie die Letzte, auf die ich meine Hoffnung setze für einen rettenden Einfall, was sollen wir nun bitte tun, was meinen Sie?"

Freitag, 18. Dezember 2009

919.

Ach du Schreck, eine Wandzeitung, sagte die Kreativleitung, als sie aus dem Chefinnenbüro trat, und lachte, das hatten doch früher diese bundesrepublikanischen Fiktional-Kommunisten immer, sie hörten was, riefen, Mann, ist das üüübel, müssen wir gleich eine Wandzeitung zu machen, und schon stand so ein Ding im Korridor der Schule, daneben einer mit Lederjacke und Megaphon, war es nicht so, aber die Chefin stimmte in den heiteren Erinnerungston nicht mit ein, sondern sagte, meine Lieben, wer immer dafür verantwortlich ist, das wird ein Nachspiel haben, natürlich machen wir es hier nicht wie die zu recht (und leider noch viel zu wenig) verschämten „Machtknalltüten“ (was für ein Wort, sagte sie, und schüttelte etwas fassungslos den Kopf), also keine hochsuggestiven, mit Druckmitteln bewehrten Pseudoverhandlungen aus dem Off, sondern wir machen es richtig, wir laden alle nacheinander vor und reden mit ihnen, Oberassistent und Mo bilden keine Ausnahme, drum rate ich euch, ruft alle schon mal bei der allgemeinsten Verteidigung an und lasst euch beraten, so geht das nicht, wir haben hier Entscheidungsfindungsprozesse mit Zuständigen, da wird nicht einfach eine Wandzeitung gemacht, und der Oberassistent hinter seiner nur angelehnten Tür fragte sich, wie sie nur darauf gekommen war, daß er etwas damit zu tun haben könne.

Donnerstag, 17. Dezember 2009

918.

Während die Kreativleitung sich mit der Chefin, dem klitzekleinen Forschungsminister, dem Demokratiebeauftragten, der Leitung Öffentlichkeit und dem Kwaliteitswart über die B-Ebene unterhielt, wurde in den Fluren gemeutert: der Buchhalter, welcher aus irgendeinem Grunde der Dame Ö und diesem Precuneus zu imponieren suchte, indem er neuerdings immer sagte "also wir hier in der Buchhaltung," hatte einsehen müssen, daß er damit bei Dame Ö wenig Eindruck schinden konnte, und war nun auf ein weiteres Mittel verfallen, sich interessant zu machen, indem er nämlich Öl in Dame Ös bekanntermaßen brennende Skepsis gegen Mo (sie sah in ihr ein trotziges Kind, weiter nichts, und Mo benahm sich dann zuweilen auch danach) goß, so auch heute, na, Mo, sagte er, werden deine B-Ebenen auch immer schlechter, ja, das kommt davon, wenn man sich nicht an die Regeln hält und nur Trotz im frühvergreisten Schrumpfgesicht bewegen kann, Trotz und Hass, jawohl, sagte er, das sind die Kräfte, mit denen man die Regeln bricht, und es ist erstaunlich, wie viel davon hier geduldet wird, erstaunlich!

Mittwoch, 16. Dezember 2009

917.

Mo hatte eine neue B-Ebene fertig, welche sie stolz präsentierte, aber die Kreativleitung bestand darauf, erst mit der Chefin zu sprechen, denn es sei darin ein zwar mehrdeutiger, aber in einer Auslegung den Eindeutigkeitsfanatikern doch allzu sehr zuarbeitender Gedanke, von dem sie nicht sicher sei, daß er aussprechbar wäre in dieser Welt, ohne die ohnehin prekäre Situation der EinSatzLeitung weiter zu belasten (bedenke doch, was unsere schlichte kleine Tatsachenerzählung von gestern schon wieder für einen Spekulationsunsinn hervorgerufen hat!), die Chefin war aber gerade wegen eines Auslandseinsatzes nicht zu erreichen, so daß Mo vertröstet werden mußte und ein wenig maulig ans Fenster ging, um zu bemerken, daß in dem Baum vor dem Haus heute neben ein paar Krähen auch einige etwas aufgeplusterte Brachvögel hockten, von denen Mo - schlecht gelaunt, wie sie nunmehr war - bemerkte, sie sitzen da und sehen aus, als wären sie stolz darauf, daß sie genau so blöd sind wie alle anderen und verstanden haben, daß man nur genauso blöd sein muß, wie alle anderen, weil die Welt nun mal so ist, ach Mo, sagte die Kreativleitung, vielleicht fallen den anderen EinSatzKräften so gute Kommentare zu Deiner B-Ebene ein, daß wir sie wirklich morgen übernehmen können, das wäre doch was, oder?

Dienstag, 15. Dezember 2009

916.

Zufällig hatte sich der Kollege Pestvogels – ER, in seiner geballten und geschnäbelten Belgizität! – soeben im Anfluge auf das Haus befunden, in welchem die EinSatzLeitung residierte, als er Zeuge eines ungewöhnlichen Blazerabwurfes wurde, in dessen Verlauf ein Damenblazer ungefähr auf der Höhe des dritten Stockwerks eines Berliner Miteshauses (Marke Neue Heimat) im Geäst eines blattlosen Linden- oder Ahornbaumes hängen blieb, ein Vorgang, der sodann mehrere Büros des Berliner Grünflächenamtes beschäftigte, bevor schließlich ein beherzter Nachbar beherzt seine 3 m lange Angel von ihrem Dasein als nutzloses Kellerutensiel augenblicksweise erlöste und das Damenoberbekleidungsstück souverän beim dritten Anlauf aus seiner ästlichen Kalamität befreite, und der Kollege Pestvogels wunderte sich so sehr, daß er für mehrere Stunden vergaß, die EinSatzLeitung mit seinen neuesten Theorien zu behelligen.

Montag, 14. Dezember 2009

915.

Und was war es denn nun, was den klitzekleinen Forschungsminister so wenig Interesse nehmen ließ am Emanationswesen, wollte der Kwaliteitswart wissen, denn es erschien ihm ein wenig absurd, angesichts der drängenden Weltprobleme sich mit den pseudoesoterischen Nebenfragen einer Sinologenvergafftheit zu befassen, aber ein bißchen Theorie, dachte er, ein bißchen Theorie, das könnte doch...

Sonntag, 13. Dezember 2009

914.

Der erzählende Kranich hatte sich unterdessen wieder in der Kreativabteilung eingefunden, denn es war nun doch sehr kalt draußen, und der Anblick eines schmiedeisernen Artgenossen, der hinter dem Fenster eines Kuriositätenladens in der Kantstraße einen dunkelgrün getulpten gläsernen Lampenschirm auf seinem Schnabel zu balancieren hatte, machte ihn nicht eben wärmer - Mos Wiedersehensfreude hingegen sehr.

Samstag, 12. Dezember 2009

913.

Der klitzekleine Forschungsminister wurde besucht vom naseweisen Sinologen, freilich ohne daß die beiden auch nur in Erwägung zogen, mit dem gelben Einkaufswägelchen loszuziehen, denn der Sinologe, üblicherweise nicht übermäßig interessiert an den Wissensschätzen des Klitzekleinen, hatte, angestoßen durch die Formulierung "semi-seriell" und die pseudokabbalistischen Spekulationen einer Bekannten, an welcher er ein Interesse nahm, um Aufklärung über das Emanationswesen gebeten, und nachdem der klitzekleine Forschungsminister erst abgewehrt hatte - gehen Sie doch damit bitte zu irgendeinem Coach, hatte er gesagt, der wird es Ihnen austreiben, Sie können es auch mit einem veritablen Psychiater versuchen, oder Sie suchen sich unter den Chinesinnen eine weniger esoterisch aufgelegte Freundin, dann müssen Sie Ihr Köpfchen auch nicht mit diesem Zeug belasten, Ihre derzeitige Angebetete wird sowieso nur sagen, auf alles dieses komme es gar nicht an, da können Sie sich noch so viel Wissen anplaudern lassen - war er schließlich doch bereit gewesen, zumindest etwas weiter ausholend zu erläutern, warum ihn gerade diese Aspekte irgendwelcher Schöpfungsspekulationen immer herzlich wenig interessiert hatten.

Freitag, 11. Dezember 2009

912.

So schnell geht er dann auch wieder vorbei, so ein Schnellwagentag, sagte der Kwaliteitswart, als er im "Bistro" den Buchhalter traf, der ihm etwas zu gute Laune hatte, da er soeben seinen Jahresbericht abgeliefert hatte, haben Sie eigentlich mal gezählt, wie sich die B-Ebenen-Frequenzen entwickeln, folgt das irgendeiner Theorie, Chaostheorie, Spieltheorie, irgendwas, oder ist das auch bloß so ein semi-serielles Gebrabbel, und da der Buchhalter nicht gleich antwortete, setzte er noch nach, mir geht diese EinSatzLeitung doch allmählich auf die Nerven, ich glaube, ich guck mich mal direkt in Amsterdam um, wenn wir jetzt wieder dahin fahren; semi-serielles Gebrabbel, wat soll'n dit, is det wieda holländisch oda-watt, fragte der Buchhalter, und es sah nicht gut aus, wie er lachte, mochte es ihm selbst auch Spaß machen, Sie müßten sich mal die Zähne richten lassen, versuchte es der Kwaliteitswart wieder, und die Kreativleitung, die drüber zu kam, weil sie mal wieder einen Kaffee holte, wunderte sich sehr, denn sie verstand nicht, was ihn biß, und sie lächelte grünlich und sagte, einen schönen Feierabend dann noch, Sie sollten nicht mehr zu lange machen.

Donnerstag, 10. Dezember 2009

911.

Der Buchhalter verzog seinen Mund zu einer kleinen Enttäuschung, als ausgerechnet der Kumpel von Karomütze, der von der GSG 9, am Telefon war und sagte, na, Porschetag heute oder wie seeickdet?

Mittwoch, 9. Dezember 2009

910.

Mo trippelte in diesen Tagen mit besonders großen Ohren über den Korridor, vergaß ihre Äpfel, vergaß ihren Honig und lauschte immer, ob sie nicht aus dem "ich-bin-dann-mal-weg" der Insula noch mehr heraushören könne, die Malediven, Madagaskar, da war doch mal was, und als man ihr berichtete, daß der Bundestag gerade über den Piratenschutz abstimme, und als sie die Kreativleitung mit halb sorgenvollem, halb kühnem Gesicht auf ihrem Teppich liegend fand, die Füße auf dem Drehstuhl, Stift in der Hand, Notizbuch daneben und leise die Lippen bewegend, um neue Sätze zu bilden, da wisperte Mo ihr ins Ohr, der Demokratiebauftragte und die Chefin hätten gesagt, man müsse doch einen Weg finden, freundschaftlichen Gedankenaustausch, die zufällig gleichzeitige oder auch zeitversetzte Entstehung von einem Gedanken bei verschiedenen Menschen und Gedankenpiraterie voneinander zu unterscheiden, aber ich, sagte Mo, indem sie ihrerseits die Sitzfläche des Drehstuhls erkletterte, ich weiß eigentlich nicht, wie das gehen soll, und manchmal hilft nur ein bißchen Drehen dazu, sich wieder etwas lockerer zu machen, da unterbrach die Kreativleitung ihr Murmeln und lachte.

Dienstag, 8. Dezember 2009

909.

Nachwuchs Ö und der Sohn des ehemaligen Chefs planten ihre Winterurlaube und telefonierten miteinander, sie kicherten wie üblich über den alten Witz "Mutter sagt zum Sohn, ich will doch nur dein Bestes, Sohn sagt zur Mutter, das kriegst du aber nicht," und im übrigen konnten sie nur feststellen, daß sie sich sehr auseinanderentwickelt hatten, was soll's, sagte Nachwuchs Ö, und der Sohn des ehemaligen Chefs sagte, übrigens fliege ich dann im Neuen Jahr auf ein Praktikum nach Japan.

Montag, 7. Dezember 2009

908.

Die B-Ebene hast du immer noch nicht geliefert, Mo, sagte Mr. Precuneus, als er am Montagmorgen in die Kreativabteilung schaute, warum nicht, ich dachte, du hättest da was am Wickel, wieso sagt man „am Wickel,“ unterbrach er sich, was ist überhaupt ein Wickel, Mo aber sprang auf ihn zu, zupfte an seiner heute besonders dezenten schilfgrünen Beinbekleidung herum und sagte, ich habe mich mit dem kleinen Brachvogel unterhalten, der sehr nett ist, er hat gesagt, nicht alle Religionen und Kirchen machen Inquisitionen, er hat gesagt, viele gar nicht Religiöse machen aber Inquisitionen, dann haben wir noch ein bißchen gelacht, dann habe ich angefangen, alles nochmal umzuschreiben, ist das schlimm?

Sonntag, 6. Dezember 2009

907.

Bevor sie sich in die Weihnachtsbäckerei stürzte, traf sich die Chefin noch schnell mit der Kreativleitung, um ein Redemanuskript durchzusprechen, und als die Kreativleitung sagte, du mußt doch nun nicht in jedem Satz das Wort team schreiben, fragte die Chefin - anstatt gleich loszulegen, wie sehr ihr manchmal das gewaltige Ego der Kreativen auf die Nerven gehe, es stehe doch für nichts - was hast du eigentlich dagegen, und die Kreativleitung sagte, als Sowieso-Teamerin fühlt man sich immer falsch ermahnt, verstehst du, je öfter es beschrien wird, desto weniger sicher scheinen sich die Leute doch ihrer Sache zu sein, und was sie dann machen, das kennen wir alle, sie bauen falsche begriffliche Gegensatzpaare auf (Teamgeist gegen Egoshooting usw.) und suchen den, der den falschen Geist hat, um sich selbst auf der richtige Seite zu fühlen, das habe ich dagegen, und ich weiß, du kannst es besser, man würdigt einfach die, die etwas gut gemacht haben, mit dem, was sie gut gemacht haben, mehr braucht es doch nicht für den Zusammenhalt, wer dauernd mehr fordert und vom Zusammenhalt redet, macht erstens Feindsuche nötig und zweitens macht er sich unglaubwürdig bei wirklich Engagierten und mästet die, die meinen, mit einem bloßen Bekenntnis zur richtigen Sache und zum Team als solchem wäre es getan, also überlegs dir, ich würde einfacher und bestimmter sprechen an deiner Stelle, aber vielleicht bin ich genau deswegen nicht an deiner Stelle, also mach es mal, wie du es am besten kannst, ich mach meins, und die Chefin dachte, seltsam, wieso lass ich die eigentlich meinen Job machen?

Samstag, 5. Dezember 2009

906.

Die Gattin des ehemaligen Chefs trug selbstgebackenen Honigkuchen und Zimtsterne auf, der Tee duftete wie eh und je, die zarten Porzellantassen wirkten ein klein wenig transparent in den sehr weißen Händen der Dame des Hauses, in allem diesem räkelte sich die Dame Ö, welche zu Besuch gekommen war, behaglich und freute sich schon auf den ersten Schluck des köstlichen Heißgetränks, als der ehemalige Chef - welcher lange keine Gelegenheit mehr bekommen hatte, so richtig herumzumosern - knurrte, ihr macht ja bißchen was richtig in der EinSatzLeitung, aber was ist eigentlich aus dem Gouvernantenlexikon geworden, es gibt überhaupt keine Lemmata mehr, selbst die FAZ beklagte sich neulich schon über das Schweigen der Lemmata, und wie überrascht war er, als Dame Ö antwortete, Hölderlin hat in seiner dritten Fassung von Mnemosyne diese wunderschönen Zeilen "und es girren
Verloren in der Luft die Lerchen und unter dem Tage weiden
Wohlangeführt die Schafe des Himmels"
einfach weggelassen, verstehen Sie mich bitte nicht falsch, ich meine nicht daß wir uns auch nur im Entferntesten mit diesem Großen messen könnten oder wollten oder uns vermessen wollten oder dergleichen und dann womöglich zur Strafe noch in einem Turm enden, bewahre, aber vielleicht dürfen auch wir Leichtfertigen einmal etwas einfach weglassen, wenn es selbst einem wie Hölderlin gestattet ist, und die Gattin des ehemaligen Chefs versuchte, ein sich ankündigendes Gewitter auf dem Gesicht ihres Gatten abzuwenden, indem sie sagte, wie wäre es, diese Idee dennoch wieder aufzugreifen und uns am Ende zum Beispiel etwas über das Wort "Biedermann" zu erzählen, wäre das nichts - da resignierte der ehemalige Chef, wie seine Gattin es beabsichtigt hatte, und griff nach einem Stück Honigkuchen, lediglich den einen oder anderen verbitterten Blick in ihre Richtung schießend, es war doch früher alles ein wenig besser gewesen, und auch die Gäste schöner.

Freitag, 4. Dezember 2009

905.

Es ist Adventszeit, meine Damen und Herren, und Sie stehen hier unbekerzt herum und tuscheln, was ist los, sagte die Chefin, als sie herzutrat, und der Demokratiebeauftragte wisperte ihr schnell etwas Erklärendes ins Ohr, ach so, sagte die Chefin, sich sogleich wieder an alle wendend, ich werde bei Mr. Precuneus anrufen, entscheidend scheint mir zu sein, wie er sich selbst gesprächsweise zu seinen orakelnden Fähigkeiten, wenn es sich denn dabei um mehr als ein Gerücht handelt, äußert, ich persönlich bin freilich sicher, daß dieser Mensch mit dem erkenntniskritischen Vorbehalt erheblich sorgfältiger umzugehen versteht als die meisten Leute, die sich ihrer gewaltigen Instinkte im selben Atemzuge rühmen, mit dem sie sich auch als superrational ausgeben, und nur aus dieser Differenz erklärt sich, wenn ich die Sache richtig verstehe, daß man überhaupt auf die Idee verfallen konnte, das Lob seiner außerordentlichen Fähigkeiten auch als beleidigend aufzufassen, nein?

Donnerstag, 3. Dezember 2009

904.

Am anderen Tag verstummte das Getuschel über die Frage, ob die Beschreibung des Mr. Precuneus denn nun rassistisch oder sonst fies gewesen sei oder nicht, kaum, er selbst war nicht erschienen, die Chefin wollte gern an irgendeine Form gehobenen Tratsches glauben, Karomütze war ernsthaft empört, desgleichen der Kwaliteitswart, Dame Ö empörte sich über die Empörung, und die allgemeinste Verteidigung ließ über E-Mail wissen, sie finde, man dürfe dieses Thema nun auf keinen Fall aufbauschen.

Mittwoch, 2. Dezember 2009

903.

Seit seinem Erscheinen fiel Mr. Precuneus auf durch eine außergewöhnliche Vielfalt an Begabungen, deren größte freilich mit Beginn der dunklen Jahreszeit ganz allmählich wie unter einer dicken Schicht aus vielen dünnen Stoffen hervorzuleuchten begann, täglich ein bißchen heller, und während alle anderen es nur vage merkten, während Karomütze etwa knurrte, er muß Fieber haben, er glüht ja so, und die Dame Ö ihn mit gehobener Braue kritische betrachtete, fragte der immer sehr zupackende Kwaliteitswart unumwunden die kleine Mo, um was es sich denn dabei ihrer Meinung nach wohl handeln möchte, und Mo zögerte keine Sekunde mit ihrer Antwort: er erfindet die kuriosesten Fälle und Verwicklungen, und zufällig haben sie dann gerade irgendwo auf der Welt wirklich genauso stattgefunden!

Dienstag, 1. Dezember 2009

902.

Gemeinsam schaffen wir es, wir müssen die Leute zu gemeinsamem Handeln motvieren, das ist ein schmerzhafter Lernprozess, der viele Opfer fordert, rhabarberrhabarberrhabarber, gnatzelte der Kwaliteistwart, ich verstehe nicht, wie die Leute ernsthaft Geld und Zeit inverstieren, um sich immer dieselben Floskeln vorbeten zu lassen, mal auf Flipcharts, dann als Powerpoint, dann in Form eines hochmögenden Vortrags, wer hört denn da noch zu, das ist doch absurd, ich möchte keine solchen Fortbildungen mehr machen, du seierst den Leuten dann gegen Geld dermaßen einen an die Kante und weißt ganz genau, bereits in dem Augenblick, in dem sie vor dir sitzen und nachseiern - sie kennen es alles schon und halten es DESWEGEN aufgrund irgendeines rästelhaften Mechanismus (können die das nicht mal in Bielefeld erforschen, oder haben sie schon?) für wahnsinnig innovativ - planen sie im Koppje schon die nächste Intrige, je überzeugender sie von Gemeinsamkeit schwafeln, desto sicherer kannst du sein, also was soll das bringen, und der Demokratiebeauftragte fragte, hast du eine bessere Idee, ich meine nicht, Experimente und Druck und exemplarische Konflikte auswählen und daran Gemeinsamkeit erzwingen usw. (wo es eigentlich um ganz andere Fragen geht), und der Kwaliteitswart sagte, nej, aber ich glaube einfach, daß da, wo weniger Zwang ist, wo Idiosynkrasien und Rivalitäten und Aversionen und Einzelgängereien genauso geduldet werden wie irgendein infantiles Einheitsgemampe und irgendein militaristischer Mannschaftsgeist und irgendeine pathetische Gefolgschaft, daß es da besser geht, und ich weiß nicht, wieso den Leuten immer erst richtig wohl ist, wenn sie endlich wieder bei Demut, Dienst, Gehorsam, Gemeinschaftsgeist und großer Sache mit großen Opfern angekommen sind, ich werde das nie begreifen, sagte er, es kommt mir vor wie eine große schwarze geistige Verdunkelungsglocke über den modernsten urbansten Gebieten, oder weißt du eine Stadt oder eine Partei oder irgendein Gesellschaftssegment, in denen man nicht jede Menge Späne fallen läßt, um alle auf diese etwas dürftige Schwafellinie zu bringen?

Montag, 30. November 2009

901.

Am Montagmorgen erwachte der klitzekleine Forschungsminister kurz bevor die anderen EinSatzKräfte kamen, es war unbequem gewesen auf der Fensterbank, der Buchhalter hatte ihn nicht geweckt, und die Welt schien sich auf eine Weise weiter zu drehen, die ihm Unbehagen bereitete, obwohl er doch durchaus daran gewöhnt sein konnte.

Sonntag, 29. November 2009

900.

Es ist eine bemerkenswerte Zahl, sagte der Buchhalter, schade nur, daß wir uns irgendwie doch mit Siebenmeilenschritten den letzten EinSätzen nähern, können wir das vielleicht noch einmal diskutieren, man gewöhnt sich doch so an die eigene Existenz, mag sie auch so virtuell sein wie sie will, und warum kommt Mo nicht mit der B-Ebene rüber, und wie ist das eigentlich mit der Geschichte von der absurdesten Fahndungspanne der Welt, hatte da nicht der Mr. Precuneus was versprochen, aber es war Sonntag, außer dem Buchhalter war nur das Faxgerät anwesend und in Alarmbereitschaft, alle Computer aus, der Buchhalter übte Logarithmen unelektronisch, und irgendwo zusammengerollt auf einer der Fensterbänke schlief der klitzekleine Forschungsminister, denn der wollte im Eigenexperiment erkunden, wie es einem Mediziner ergeht, der das ganze Wochenende nicht aus seiner Schicht kommt, das sind auch so Fragen, die eine EinSatzLeitung wenigstens anmerkungsweise mal klären muß, hatte er gesagt und den Buchhalter beauftragt, ihn gelegentlich mit dringlicher Stimme zu wecken, um auch hier realistische Bedingungen zu simulieren, aber der Buchhalter fand das entweder zu blöd oder war zu träge oder er ahnte nicht, daß diese Sache noch Folgen würde haben können.

Samstag, 28. November 2009

899.

Wieder keine Einladung an die Vögel herausgeschickt, sagte der Diskurswart, was soll das noch geben, und die Chefin sagte dem Demokratiebeauftragten, erklären Sie es ihm, der Demokratiebeauftragte aber sagte, ich habe hier gerade noch die Eingabe des klitzekleinen Forschungsministers, er möchte bitte erläutern, daß er in einer in irgendeinem Text getanen Äußerung über Ehe und Familie, die anscheinend von irgendwelchen Konservativen als Freibrief zur Erpressung monogamen Verhaltens und von irgendwelchen Freaks als Bedrohung des Grundrechts auf Ehescheidung mißverstanden worden sei, nichts weiter habe sagen wollen als daß in vielen Menschen der Wunsch nach einer monogamen Ehe angelegt sei, welcher sich auch mit den Erfordernissen eines gesellschaftlichen Lebens in Würde und Respekt bestens vereinbaren lasse, aber natürlich habe er - ausgerechnet - mit der Anerkennung dieses Wunsches, der für manche Menschen ein Ideal werde, das Recht, Menschen, die anders fühlen, anders leben, mehrere Anläufe mit verschiedenen Menschen brauchen oder ganz einfach völlig anders orientiert seien, schlechter zu stellen als diejenigen, die das relativ seltene Glück haben usw., was soll das denn, fragte der Demokratiebeauftragte, wozu diese langen Ausführungen, und die Chefin sagte, mir hat er es gesprächsweise so erklärt, daß er einen großen Auftritt in Verurteilung aller Versuche, Menschen unter eine bestimmte symbolische Ordnung zu pressen und da als Fahnen laufen zu lassen, vorbereite, und es sei gegen einige der Vögel erforderlich, hier in Erläuterung früherer Äußerungen die Grenzen zwischen den Verfechtern solcher Fahnentypen und seiner grundliberalen Auffassung sehr deutlich zu ziehen, Sie wissen doch, diese Vollblutakademiker ebenso wie die Künstler tun sich etwas schwer damit, die Dinge handlich zu machen, und sie sind ja auch nicht dazu da, das zu tun, eine Gesellschaft, die sich keine fürs Komplizierte zuständigen Menschen außerhalb irgendeiner eng umgrenzten Käfighaltung mehr leistet, hat doch abgedankt, ist Verwertungsgemeinschaft geworden, und so redeten sie hin und her, bis der Buchhalter kam und mit dem Diskurswart gemeinsam fand, man müsse nun diese Einladung herausschicken, die Chefin aber beschied, man solle lieber später und dann eine gut vorbereitete Konferenz einberufen als schlecht vorbereitet diese Vogelleute einladen, deren Machtverhalten doch bekannt sei.

Freitag, 27. November 2009

898.

Mo sah kurz auf und sagte, sie sitze an was, aber sie müsse sich sehr die Ohren zuhalten, um es zustande zu bringen, denn von den Trommelklängen aus dem Medienbusch kämen ihr allzu viele allzu bekannt vor, ach ja, sagte die Kreativleitung, und bot ihr ein Paar Kopfhörer an, extra klein, mit Musik ihrer Wahl.

Donnerstag, 26. November 2009

897.

Meine liebe kleine Mo, sagte der klitzekleine Forschungsminister (wobei er sich sehr anstrengen mußte, nicht kleines Mo zu sagen, denn das klang doch viel liebevoller, aber es, aber es, es wollte das ja nicht gelten lassen, und um sich keine beleidigte Schulterzuckerei einzufangen, mußte er wohl oder übel die korrekte Anrede wählen), ich vermisse Deine kleinen B-Ebenen, da war schon länger nichts mehr, mir scheint, Du bist zu oft unterwegs, und es ist doch ein wenig schade, aber Mo, aber Mo, Mo schleckte sich nur die Finger sauber vom Honig und sagte, ich habe einen alten Brief von einer Marianne Hoppe gefunden und noch einen von einem Mann, den man Momolo nannte, und ich denke eben noch nach, und damit sprang sie mit einem gewagten Satz vom Tischchen, trippelte aus dem "Bistro" und verfing sich fast im langen Mantel der Dame Ö, welche soeben angerauscht kam, wütend vor sich hin schnaubend, meine natürliche Autorität einsetzen um - what? - um für irgendwen die Polizeifrau zu spielen, also wer bin ich denn bitte, und Herr X., der Milchzar aus Nieder- oder Obersachsen, welchen sie im Schlepptau mit sich führte, sagte mit einem flehenden Blick, aber verstehen Sie denn nicht, ich brauche eine Frau, die mich richtig festhält, und Dame Ö, anstatt sich geschmeichelt zu fühlen, brach nun in mehr als Schnauben aus, ja und Sie glauben wirklich, Frauen hätten nicht anderes zu tun als jemanden, der sich selbst nicht bei ihnen halten kann, nun ihrerseits festzuhalten, ich muß doch sehr bitten, kein Wunder, daß Ihnen Ihre Geliebte abhanden gekommen ist, aber daß Sie - sagte sie dann mit einem etwas versöhnlicher werdenden Tonfall - sogleich zu uns eilen, um sich zu beklagen und unseren Rat einzuholen, das freut uns natürlich, eine Bemerkung, die zu Mos und des Klitzekleinen Erstaunen tatsächlich etwas wie ein entspannteres Fastlächeln auf das Gesicht des Niedersachsen zauberte.

Mittwoch, 25. November 2009

896.

Guck mal, was ich hier Schönes gefunden habe, sagte der Kwaliteitswart begeistert, denn irgendwie mußte es doch gelingen, die allgemeinste Verteidigung aufzuheitern, die einigermaßen sauer war, weil sie am Wochenende zum Hausboot hatte fahren wollen, nun aber wegen einer Veranstaltung in Berlin bleiben mußte, eine ganz tolle Sache über die Puppe dieses Surrealisten, schwärmte der Mann, ach, seufzte die Frau, war das nicht der, der die Ansicht hegte, der Mann im Haus erspart den Therapeuten, na, sagte die allgemeinste Verteidigung, schon wieder grinsend, der Mann im Haus erspart die Axt, würde ich sagen, aber gute Ergebnisse in Sachen Axtersatz werden zuweilen auch von Wanzen und versteckten Kameras erzielt ... du unterhältst dich zu oft mit diesem durchgeknallten Sicherheitsbeauftragten, antwortete der Kwaliteitswart nach kurzem Zögern, and the bad mood was all his, lachte Mr. Precuneus, der in höherem Auftrag am anderen Ende einer Wanze alles mit anhörte.

Dienstag, 24. November 2009

895.

Da habt ihr mir ja was eingebrockt, sagte die Dame Ö am anderen Morgen der Kreativleitung und einem Mo, welches von seinem Kranich-Ausflug noch hochzufrieden vor sich hin schmunzelte, ist euch eigentlich klar, was es bei manchen Leuten bewirkt, wenn sie Filmausschnitte wie die gestern eingestellten sehen, und die Kreativleitung sah dem Gesicht der Dame die Spuren einer gepeinigten Nacht an, ging auf sie zu, nahm sie in den Arm (es war etwas schwierig, denn die Dame trug wieder eine ihrer steiferen Eigenkreationen) und sagte, lassen sie dich immer noch nicht in Ruhe mit ihren lästigen Fragen und Ausforschungen, worauf die Dame Ö sich nach kürzestem Entspannen schnell wieder straffte, losmachte, die Braue hob und sagte, natürlich nicht, da ist anscheinend einerseits jemand sehr besorgt, ich könnte mich mit dieser Filmmaus identifiziert und irgendwen in meiner Phantasie nicht freigegeben haben, und andererseits möchte plötzlich jemand an meine „wahren weichen Gefühle herankommen,“ an meine, also ich muß doch sehr bitten, wenn er es bei den Jüngeren versuchen würde, haltet euch bloß jung, Kinder, schmunzelte sie dann, denn wenn sie erst ihre Mutterprobleme an euch ausagieren, weil ihr in das Alter gekommen seid, dann wird es noch schlimmer, dann müssen sie euch als letzte Liebesgabe etwas wie einen Segen entreißen, während man sie eigentlich nur sich selbst überlassen und nichts weiter mit ihnen zu schaffen haben möchte, und die Kreativleitung lächelte ihr freundliches Lächeln und sagte, jaja, es ist ja nicht so, daß nichts davon zu uns durchdränge, aber ist es nicht viel schöner, selbst eine Spielerin in der Sache zu sein als immer nur der Ball, und sollten wir uns nicht, trotz der wirklich bescheuerten Rolle, die von der schreibenden ungarischen Baronesse hier der Heldengattin nur erlaubt wird, für einen Moment lieber mit Sir Percy identifizieren, da mußte Dame Ö auch lachen und sagte, ich wußte gar nicht, daß du neuerdings wieder Sinn für diese Spiele entwickelt hast, warst du nicht noch zu Beginn deiner Tätigkeit unbeschreiblich weiblich, und die Kreativleitung antwortete, man läßt den Damen nur allzu selten eine andere Wahl, nun gut, muß man sich dann sagen, wenn sie es immer noch so brauchen, dann spielen wir nach ihren Mustern, halten uns den Blick trotzdem frei, und geben dann eben wieder den regredierten Clown, nein?

Montag, 23. November 2009

894.

Nachdem der erzählende Kranich bei fast schon verstörend mildem Wetter mit der gesamten Kreativabteilung einen Sonntagsspaziergang durch die Stadt unternommen hatte, gelegentlich dessen er Mo und dem kleinen Brachvogel zeigte und erläuterte, wieso er ein so besonderes Attachement (das müssen Sie jetzt französisch aussprechen) zu Berlin empfinde, daß er es vorziehe, seine Artgenossen ohne ihn in den Winter des Südens fliegen zu lassen - er hatte nämlich kostbares Gedenken an einen alten Vorfahren im Wappen der Familie Mendelssohn gefunden und mußte dieses immer mal wieder ansehen, so wie die Kreativleitung immer gern in den Hof der Jägerstraße 54 trat, um wohlgefällig das Haus zu betrachten, in dem früher die Treffen bei Rahel Levin stattgefunden hatten - schlug er vor, man könne doch noch einen bestimmten Film sehen, den er zwar in vielem entsetzlich kitschig finde, der aber auch sehr komische Seiten habe, man müsse freilich die Version von 1934 sehen, und so holten sie sich gemeinsam eine Kopie des Films Scarlet Pimpernel und erfreuten sich insbesondere an den künstlich debilen Auftritten des großen Helden.

Sonntag, 22. November 2009

893.

Während die Chefin und Dame Ö mit dem jeweiligen Nachwuchs diskutierten (und sie diskutierten noch lange), hatte die Kreativleitung den Kwaliteitswart und Mr. Precuneus zu einer kleineren Unterredung eingeladen, denn sie hatte schwere Bedenken gegenüber der Einladung der Vogelwelten, nicht so sehr wegen Mo, die wirke auf sie nun schon seit längerem ausgesprochen ruhig und munter, sondern wegen dieser unerquicklichen und anscheinend unentscheidbaren Debatten mit dem pestigsten der Pestvögel, welcher, kaum erzähle man ihm von je nach Produktion erforderlichen verschiedenen Arbeitsweisen mit den entsprechenden Einstimmungsphasen (wozu er einen nötige mit seinem ewigen Geschraster von Effizienz usw.), anfange, mit seinen Kollegen über bipolare Störungen zu faseln, und wenn man sich hinreißen lasse, auf seine Fragen nach Wahl und Einsamkeit und Energierecourcen usw. zu antworten, in ein psychotechnokratisches Gewäsch verfalle, bei dem die kritisch aufmerksame Zuhörerin ebenso wie der der Sache nach ja mit Pestvogels Anliegen völlig einverstandene obere Brachvogel nichts weiter als Zwangsverfamiliarisierung mit beliebigem, durch Druck "zusammenzuschweißendem" Partner (ausgewählt nach ebenfalls wieder sehr technischen Kriterien) hören könne, und sie verstehe nicht, wie man diesem geistig-seelisch minderbemittelten, zur Demokratie nur dem Scheine nach reifen Vogelpack auch nur eine Bühne bieten, geschweige denn, wie man auf die Idee verfallen könne, diesen Rotten ausgerechnet die Kreativabteilung zum Fraße vorwerfen zu können, und der Kwaliteitswart war ziemlich genervt von der Beunruhigung der Dame, sie könne doch mal ein bißchen gelassen sein, meinte er, während Mr. Precuneus sagte, man müsse in der Tat mit der Chefin sehr deutlich reden, denn die Vogelwelt sei ihrer Selbstdefinition nach tatsächlich nicht in der Lage, eine gleichberechtigte Gesprächssituation auch nur zu ertragen, geschweige denn aufrecht zu erhalten, es handele sich nun einmal um Raubvögel, die von den Eiern lebten, welche andere Vögel legten, da sei man mit "postkolonialem Diskurs" völlig machtlos, nach seiner Erfahrung helfe es nicht einmal, ihnen klar zu machen, daß eine Welt, in welcher es nur Pestvögel und Brachvögel und nach ihren Maßstäben zurechtgestutzte andere Wesen gebe, nicht einmal die Pestvögel und Brachvögel selbst würde tragen können, insofern sei diese Angelegenheit tatsächlich something for the security, aber vor allem eine besonders schwere Herausforderung an den Diskurswart und die Chefin selbst.

Samstag, 21. November 2009

892.

Was ich nicht begreife, sagte Nachwuchs Ö, der sich allmählich wieder in eine Balance gebracht, sein Studium wieder aufgenommen hatte und nun mit seiner Mutter am Frühstückstisch der Chefin und ihres Kindes saß, ist, wie du es aushalten kannst, ohne irgendeinen Mann oder eine Frau zu leben, jetzt, da ich auch nur noch zu Besuch komme, und da das Kind der Chefin sich der Frage mit Blick auf die Mutter anzuschließen schien, antwortete diese für beide Damen: wir werden euch sicher nicht verraten, wie das geht und was der Grund ist, nur eines solltet ihr bitte nie vergessen – und hierbei wandte sie sich, die Braue der Dame Ö ignorierend, ausschließlich ihrem Kind zu – wenn ich liebe, wie ich dich liebe, dann so dauerhaft und innig, wie ich dich liebe, und darum schwafle ich nicht darüber herum, sondern lasse es die fühlen, die ich liebe, beantworte aber in Kampfgesprächen nur Fragen, die meine Kampfseite betreffen, und allein bin ich vielleicht, weil die Menschen oft gerade die Erfüllung jedenfalls der guten oder der vernünftigen ihrer Forderungen am wenigsten ertragen können, lieber zerren und zuckeln sie in meiner Generation an einer Frau, die sie zu erfüllen versucht, ohne ihr eigenes Gefühlswesen zu verleugnen, solange herum, bis sie sie in eine ihrer Ecken gestellt haben, Heilige, Hure oder sonstewas, denn alles, was nicht in diese Schemata passt, ertragen sie nicht, und wenn man das sehr gründlich begreifen mußte, wird man außer einem Kind zuhause niemanden mehr wollen, dem man es wieder und wieder zu erklären hätte, aber man hält ihnen natürlich, wo immer man kann, Spiegel vor, die man sehr sorgfältig in einsamer Arbeit oder guter Kooperation mit dieser würdigen Menschen erarbeitet.

Freitag, 20. November 2009

891.

O, das war ganz schlecht, sagte Karomütze, als es blitzte, zu dem Demokratiebeauftragten, welcher an diesem Tag auf dem Beifahrersitz des schwarzen Alfa saß, ich habe schon so viele Punkte, und der Demokratiebeauftragte sagte, man soll auch nicht Auto fahren wie ein Tausendsassa, sondern die BVG benutzen und ordentlich aufpassen, das kann auch nur einer sagen, der keine Ahnung hat von Sicherheitsfragen, wütete Karo, und überhaupt, und plötzlich mußte der Demokratiebeauftragte seine lähmende Langmut mit ziemlicher Gewalt gegen sich selbst aufrechterhalten, denn Karo schäumte und kochte weiter, diese Deutschen, die haben sowieso einen Knall, sagt mein neuer Freund Mr. Precuneus, kaum haben sie mal ein starkes Erlebnis wie diese Sache mit der Mauer, werden sie süchtig, wollen überall Mauern zu Fall bringen, Grenzen überwinden, Menschen miteinander ins Gespräch bringen, Verständnis wecken und was nicht alles, er meint, die merken gar nicht, daß das nur eine neue Uniform ist, mit der sie ihre gewalttätigen Menschenmacherphantasien ausleben, was sagen Sie dazu, sagte er plötzlich, denn er merkte, daß der Mann neben ihm irgendwie anfing, Techniken des Ruhigbleibens zu exerzieren, und der Demokratiebeauftragte sagte, wir haben doch den Precuneus auf diese Beobachtung gebracht, und nun geht er damit hausieren, und die, die ihn geschickt haben, bringt er immer noch nicht davon ab, auf alle möglichen schleimigen Weisen Verständnis für die barbarischsten Eroberungsfeldzüge ergaunern zu wollen, und Karo sagte, woher wollen Sie das denn schon wieder wissen, also wer steckt hier eigentlich mit wem unter welchen Decken, und was ist eigentlich unsere Aufgabe?

Donnerstag, 19. November 2009

890.

Der erzählende Kranich hatte die EinSatzLeitung wieder verlassen und seinen alten Lieblingsplatz an einem großen brandenburgischen See bezogen, in der Nähe einer seltsam leicht und fast italienisch wirkenden, recht nah am Wasser gebauten Kirche, die seinem Gemüt wohltat allein durch den Anblick ihrer ausgewogenen Formen und der Farben ihrer Ziegelhaut, er genoß hier die für die Jahreszeit zu warmen Tage und streifte so durch die Uferbepflanzung, um zu hören, ob er nicht diese oder jene Winzigkeit aufschnappen könne für seinen nächsten Aufenthalt in der Kreativabteilung, in welcher die Dame Ö soeben das Fenster aufriß, froh, daß alles von Federn gereinigt worden war und man sich wieder bewegen konnte wie in einem kultivierten Raume, es war ja hier mehr wie in einem Hühnerstall, sagte sie zu Mo, die sie mit einem kleinen wehen Blick erstaunt ansah.

Mittwoch, 18. November 2009

889.

Am Mittwochabend verließ die Chefin als letzte die EinSatzLeitung, hochzufrieden mit ihrem Tagewerk, versonnen vor sich hinlächelnd, denn es war ihr gelungen, eine Einladung an die Vogelscharen aufzusetzen, mit der sie hoffen durfte, noch das letzte der widerwärtigen Tiere verschreckt zu haben: Schlauberger vermuten in schlecht formulierten Einladungen solche Finten, und erst am Vorabend hatte sie interessante Verschwörungstheorien gehört, nach denen gewisse Leute, die des odium humani generis im allgemeinen sehr verdächtig seien, ihre Selbstverteidigungsnöte regelmäßig durch vorbeugende Schläge selbst provozierten, und niemand hatte gesagt, daß das Verschwörungstheorien seien, auch sie selbst nicht, denn immerhin gibt es in der Welt politische Ränke, und die Chefin hatte sich nur zu Dingen äußern wollen, von denen sie etwas zu verstehen glaubte, aber mitgenommen hatte sie ganz etwas anderes, nämlich Lust auf das zweifelhafte Vergnügen, einmal nicht die Position des Opfers eines solchen Ränkespiels zu imaginieren, sondern die einer Ränkeschmiedin, gleichsam im Selbstversuch, und sie hatte sehr gestaunt, wie gut sich das anfühlte - zugleich aber hatte sie als die am Schreibtisch sitzende bemerkt, daß ihr die Idee, sich wirklich nicht mehr um Verstandenwerden auch in einer gewissen das Übliche übersteigenden komplexeren Gedankenwelt zu bemühen, mehr Unbehagen bereitet hatte als der gewohnte Stress jener vergeblichen Versuche, den Belehrungen und Durchschauereien der umgebenden Kleinkrämer einen ernsten, freundlichen Widerspruch entgegenzusetzen, und dieses als Ergebnis fand sie, aus welchen Gründen auch immer, irgendwie gut, fröhlich pfeifend zog sie die Tür hinter sich zu und sah gerade noch, wie der alte Kollege Pestvogel angerauscht kam und schnell wieder abdrehte, denn eigentlich hatte er die Idee gehabt, in ihren Papierkörben ein Argument für seine Theorien zu finden, schrieb man nicht beständig von versteckten Krankheiten, Korruptionen und dergleichen, die mußten da einfach was verstecken, so wie die schon guckte, und die Chefin sah den Pestvogel wieder mit dieser doch garantiert unechten Freundlichkeit an, grüßte ihn und sagte, Sie brauchen nicht weiter zu suchen, Kollege, ich gestehe alles, ich lüge unaufhörlich und in Wahrheit ist alles so wie Sie es sagen, ich lüge, ich lüge, und Sie haben es herausgefunden, Sie und Ihr grandioses Team, und sie lachte, aber die Tür blieb ihm verschlossen.

Dienstag, 17. November 2009

888.

Ich schwöre, es ist nicht wegen der Zahl, daß wir uns heute in letzter Minute zu Wort melden, hackte die Kreativleitung in die Tastatur, wir sind wirklich nicht abergläubisch, oder allenfalls der klitzekleine Forschungsminister klammheimlich, sondern wir haben einfach die Zeit nicht gefunden, es war so viel zu tun, und dann habe ich mich auch geärgert, weil sich die Chefin und Mr. Precuneus die ganze Zeit über Mo und mich unterhalten haben, und über den durchgeknallten Karo, während der Buchhalter herumschrie, so eine Zahl, und keiner macht was, ja, was soll man da dann machen?

Montag, 16. November 2009

887.

Am anderen Morgen saß Mr. Precuneus schon im „Bistro,“ als die Chefin hereinkam, die vor allen anderen ihren Kaffee zu holen pflegte, denn ihr Amt, anders als das frühere, brachte die Notwendigkeit eines gewissen Abstandes zu den anderen EinSatzKräften mit sich, ein Umstand, der sie manchmal noch ein wenig schmerzte (besonders, wenn aus gewissen Rängen das ins Gewöhnliche spielende Blahblah des Ressentiments ertönte, welchem sie offene Kritik entschieden vorzog, aber es haben eben nicht alle Leute diesen Schneid), üblicherweise hatte sie sich jedoch daran gewöhnt und wahrte also den Abstand mit einer gewissen Resignation, stets froh über alle Gelegenheiten, bei denen er innerhalb des üblichen Rahmens auch mal überwunden werden konnte, und nun war sie überrascht, von diesem Praktikanten, der irgendwie immer so viel mehr zu sein schien als ein Praktikant, mit einem breiten Lächeln begrüßt zu werden, guten Morgen sagte er, guten Morgen sagte sie, und irgendwie geschah es, daß er sich erhob und neben sie trat, und sie sagte nach kurzem Überlegen, vielleicht möchten Sie Ihren Kaffee in meinem Büro mit mir trinken, ich habe den Eindruck, Sie hätten doch etwas auf dem Herzen – worauf Mr. Precuneus, welcher sich allmählich an die unzeremoniöse Direktheit in der EinSatzLeitung gewöhnt hatte, einen kleinen abwehrenden Impuls (: was bildet die sich denn ein, ich hatte sie abfangen wollen, um sie mal in Verlegenheit zu sehen und wie sie wirklich ist, sie soll morgens immer etwas daneben sein, stattdessen gibt sie hier die Souveräne und lädt mich ein, so geht das nicht :) überwinden mußte, von dem er selbst wußte, daß er wohl mehr aus den Hormonen als aus irgendeiner die EinSatzLeitung betreffenden Überlegung kam, und sie nahmen einander gegenüber Platz und begannen, sich ein wenig über die jeweiligen Befindlichkeitn, Herkünfte und Umstände zu unterhalten, bald aber mehr über Karomütze und sein Verständnis von Sicherheitsfragen sowie über die eigentümliche Position der Kreativleitung und Mos, über die Precuneus sich nicht genug wundern konnte.

Samstag, 14. November 2009

886.

Was hat dich eigentlich damals bewogen, Sicherheitsbeauftragter werden zu wollen, fragte die Schwester des Oberassistenten Karomütze, als dieser gemeinsam mit dem Oberassistenten bei ihr am Sonntagsbrunchtisch saß, und Karomütze sagte, ich war auf den Fall eines Menschen getroffen, welcher in völliger Unwissenheit über das, was man mit ihm trieb, gehalten wurde und einfach keinen Zugang zu validem Wissen bekam, zugleich aber selbst so gewissenhaft war, daß er sich (es war ein frommer jüdischer Mensch) strikt an das Gebot hielt, niemanden eines Kapitalverbrechens zu beschuldigen (ihm schien bereits die Beschuldigung einer Verurteilung gleichzukommen), wenn er nicht mindestens zwei glaubwürdige Zeugen habe, und dieser Mensch konnte sich, weil er einfach die Wirklichkeit, in der er lebte, nur erahnen, aber nicht klar erkennen konnte, einfach nicht befreien und litt entsetzlich, am schlimmsten war für ihn, daß er zwar neben üblen Feinden auch Förderer an seiner Seite spürte, die aus dem Hintergrund agierten, aber nicht einmal diese wagten es, das, was Rufmörder ihnen als Beweisstück zugespielt hatten, um sie gegen ihn aufzubringen, ihm vorzulegen und ihn danach zu befragen, so daß er keine Gelegenheit bekam, Dinge wirklich zu klären und unter Freunden wie Feinden gleichermaßen leiden mußte, jederzeit in völliger und ahnungsvoller Unwissenheit darüber, was wirklich gespielt wurde, und es wäre doch einfach nur Klarheit gewesen, was ihm hätte helfen können - da habe ich gedacht, Menschen wie diesem möchte ich helfen können, und da ich in jener Zeit unseren ehemaligen Chef kennenlernte, der mich sehr ermunterte, meine Kampfsportausbildung durch andere technische und kommunikative Elemente zu ergänzen, habe ich das gemacht, und ja, so wurde ich Sicherheitsbeauftragter der EinSatzLeitung, und der Oberassistent riß sich sehr zusammen, denn er wollte diese kleine Anbandelei nicht stören, mochte er persönlich auch keinen Geschmack an der etwas überschätzten "Heiligenstory" des unter seiner karierten Mütze immer noch mit ziemlich wilden Locken beschopften Schlitzmauls haben.

885.

Als Nachwuchs Ö am Wochenende einem seiner Freunde von der Arbeit seiner Mutter erzählen wollte, wußte er nicht so recht, was er eigentlich sagen sollte, die haben da so einen Diskretionsfimmel, sagte er, sie erzählen manchmal ganz schön peinliche Sachen, aber sie haben zum Beispiel ein striktes Verbot, Namen von Kindern zu nennen, sie verraten kaum, ob die ganz kleinen Kinder Mädchen oder Jungen sind, aber zugleich erzählen sie den wüstesten und wildesten Unsinn aus dem Innenleben der diversen Figuren, und das alles nennen sie einen "literarischen Blog" und behaupten sogar, er hätte etwas mit richtigen Einsätzen zu tun, obwohl seit mehr als zwei Jahren niemand versteht, was eigentlich, so wie auch keiner so genau weiß, was es mit all den komischen Tieren, insbesonder Vögeln auf sich hat, und in welcher Beziehung es zu den Musikfilmen steht, die sie immer so schubweise ausgraben, aber irgendwie ist meine Mutter daran immer noch beteiligt, sagte er, und hat noch nie Einspruch eingelegt, wenn wieder mal einer sich über ihre Augenbraue lustig gemacht hat, und sein Freund sagte, meine Mutter ist Sachbearbeiterin in einer Hausverwaltung, und ich finde, das ist eigentlich ein ganz guter Job.

Freitag, 13. November 2009

884.

Die Kreativleitung, als sie Mo das am Morgen übliche Tellerchen mit Apfelscheiben und Ahornsirup vorsetzte, war durch die Funde aus den Jazz-Archiven ein wenig beschwingt und stellte Mo die Frage, wie ausgerechnet sie plötzlich auf die Idee verfallen sei, einen Pianisten zu zeigen, da sie doch sonst eher allergisch reagiere, und sie rechnete mit irgendeiner empörten Zerfahrenheit, Mo aber antwortete fröhlich schmunzelnd, die Pianos können ja nichts dafür, daß mich mein Wärter so genervt hat, und außerdem kann man, wenn man sehr belästigt wird von Sachen, die einem durchaus als "eigene" untergeschoben werden sollen, wie das die Herrschaften Pestvögel, auf deren Besuch wir uns hier vorbereiten, doch immer wieder versuchen, schließlich nur so reagieren wie der alte Arlo, dachte ich, also entweder so, oder indem man eben einfach mal zeigt, wie es richtig geht - das machen Aretha und ihr Pianist doch sehr gut, und die Kreativleitung staunte nicht schlecht.

Donnerstag, 12. November 2009

883.

Während in der EinSatzLeitung noch bis in den Abend auf die Einbestellung der Vogelwelt hingearbeitet wurde, waren der Kwaliteitswart und die allgemeinste Verteidigung mit ihrem Nachwuchs für ein verlängertes Wochenende auf dem Hausboot angekommen (immerhin hatte der Kwaliteitswart das vorausgegangene Wochenende mit den auszubildenden zukünftigen Gutachtern reichlich angestrengt verbracht, und der "Erziehungsurlaub" der allgemeinsten Verteidigung war noch nicht ganz zuende), aber während die junge Frau nach Fütterung des Kindes sich auf dem Sofa ein wenig von dem leisen Schaukeln des Bootes einwiegen ließ, wohlgefällig die langen Gräten und den üppig geschwungenen Mund ihres Liebsten betrachtend, sauste dieser mit seinen Blicken im Flimarchiv herum und murmelte ein wenig fahrig, manchmal wäre ein Buchhalter auch hier gut, oder weißt du noch, in welchem EinSatz wir die erste Folge von "A song is born" hatten, ich dachte, die zweite könnte man der EinSatzLeitung für das bevorstehende Spektakel anbieten, immerhin kommt darin eine tolle Version von "Mocking Bird" vor...

Mittwoch, 11. November 2009

882.

Der Chefin kam das Protokoll Karomützens fast - wenn auch auf eher dialektische Weise - entgegen, ebenso einige Einwendungen der Kommentatoren, konnte sie so doch in aller Ruhe wieder einmal zeigen, daß es auf ihren Zähnen durchaus Haaransätze gab, und sie bestellte der Leitung Öffentlichkeit, es sei an der Zeit, den Herrschaften Pestvögeln, die sich ja nun immer wieder bemerklich machten mit unfaßbar debilen pseudowissenschaftlichen News aus ihren Branchen, alltäglich gespült auf die Monitore der EinSatzLeitung, einmal eine Einbestellung zuzustellen, am besten zu einer Fortbildung von der Art, wie der Kwaliteitswart sie seit einiger Zeit erfolgreich an Begutachtungsaspiranten betreibe, da ist noch Luft drin, sagte sie, nur maßvoll grinsend, sehr viel heiße Luft, auf die sie so stolz sind, unsere mit einem gewissen ideologischen Erbe etwas zu entspannt umgehenden Pseudopazifisten, Psychologisten, Versöhnungskitschler und Alarmisten, und eine kleine Vogelschule zur gefälligen Entlastung von einer gewissen Neigung zu verschmockter Verblödung könnte doch sehr nützlich sein, übrigens auch interessant für Brachvögel und Kunstfreunde, stellen Sie sich vor, lachte sie der Leitung Ö am Telefon zu, da habe ich doch tatsächlich neulich in einer Ausstellung einen Satz über eine Kunst gelesen, welcher die Vergeblichkeit der sinnlichen Strebungen als dasjenige klassifizierte, was diese Kunst auszeichne, und ich habe gedacht, die sollten doch auch mal ein bißchen Nachhilfe bekommen, die so etwas schreiben, die wissen doch gar nicht, was sie sagen, und ich meine, Dame Ö wäre für die Kursleitung nicht die schlechteste Besetzung, was meinen Sie?

Dienstag, 10. November 2009

881.

Sitzung der EinSatzLeitung

Anwesend: Chefin, Kreativleitung (nebst Mo), Leitung Ö (nebst Kleinchen), Dame Ö, Sicherheitsbeauftragter, Buchhalter, Demokratiebeauftragter, Oberassistent, Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse, Minderheitler mit grünen Borsten, Kwaliteitswart, Diskurswart, Komplexitätswart, Mr. Precuneus

Entschuldigt: Der klitzekleine Forschungsminister (Erforschung des neuen Virus im Selbstversuch), Verteidigung K (Angst vor Viren und um ihr Kind)

Protokoll: Karomütze


Tagesordnung:

1. Rede der Chefin über die allgemeine Ordnung
2. Sicherheitsfragen und Demokratie
3. Verschiedenes

TOP 1:
Die Chefin redet und redet und redet, sehr allgemein, sehr unverständlich, aber allen zu Gefallen. Alle hören zu und klatschen. Niemand widerspricht. Manche schlafen.

TOP 2:
Der Demokratiebeauftragte redet und redet und redet, sehr allgemein, sehr unverständlich, aber allen zu Gefallen. Alle hören zu und klatschen. Niemand widerspricht. Manche schlafen.

TOP 3:
Der Kwaliteitswart schlägt vor, einem Herrn Twombly eine Kooperation vorzuschlagen, es müßte doch möglich sein, aus dem Spruch "Amsterdam wil ook een Muur," welchen er am 12. Oktober 1983 in der Herrentoilette einer Kruezberger Kneipe gesehen haben will, ein echtes Kunstwerk zu machen. Die Chefin ermuntert, rät aber, sich nicht so viel Hoffnung zu machen, Herr Twombly neige nicht dazu, sich bei seiner Produktion dreinreden zu lassen. Der Buchhalter verdreht die Augen. Mo macht hustend ein fürchterliches Spektakel, da kriegen alle Angst vor der Schweinegrippe und die Sitzung wird überstürzt beendet.

(Erst nachträglich korrigiert der Kwaliteitswart im Protokoll das in der Urfassung schlechte Niederländisch, Karo war einfach zu selten in Amsterdam, obwohl weit und breit keine Mauer zu sehen ist)

Montag, 9. November 2009

880.

Die Chefin gibt bekannt, daß die Sitzung der EinSatzLeitung aus gegebenem Anlaß auf den morgigen Tag verschoben wird, und wünscht allen zu den verschiedenen heute zu bedenkenden Anlässen die richtigen Gedanken.

Sonntag, 8. November 2009

879.

Der erzählende Kranich hatte für ein paar Tage Wohnung genommen in der Kreativabteilung, von wo aus er ein und aus flog, oft nahm er Mo mit, Sie müssen es sich so ähnlich vorstellen wie bei Nils Holgerson und den Gänsen mit den finnischen Zahlen als Vornamen, Mo war über die Ausflüge sehr glücklich, die Kreativleitung hatte zu tun (sie spinnt, sagte der erzählende Kranich, man gibt ihr nichts, man hält sie kurz, man ist mies zu ihr, man läßt sie hängen und versucht sie umzubauen, will ihr Sympathien für Leute und Arbeiten abquetschen, die sie doof findet, und Sympathien abgewöhnen, wo sie Leute und Arbeiten mag, man erzählt ihr, daß sie alles falsch macht, wenn sie klagt, fährt man ihr über den Mund, sie soll mal ihre Eigenverantwortung erkennen, und wenn sie sagt, tu ich, und wenn ich aus der die Konsequenz ziehe, setze ich meine Qualifikationen in Zukunft ein, um euch alle über den Tisch zu ziehen, indem ich euch schlechte Häuser als gute verkaufe und dabei endlich Geld verdiene, und ihr könnt mich mal, dann sagt man ihr, sie soll sich mal ein bißchen bemühen, mal bei einer Sache bleiben, auch mal verzichten usw., dabei verzichtet sie dauernd auf alles, mehr als eine von den anderen EinSatzKräften, obwohl man ihr das auch noch als krankhaftes Verhalten auslegt, in alledem hat sie keine Chance, und was macht sie, sie bunkert sich trotzdem ein und liefert trotzdem dauernd irgendwelche ziemlich anständigen Produkte, die sonst keiner liefern könnte, sie muß wirklich einen ernsten Schaden haben, sagte der erzählende Kranich zu Mo, als er eines Morgens mit ihr ausflog, um den Streit der Kormorane und der Fischer aus der Nähe zu besehen, und was kann man denn da tun, Mo sagte, ich versuche es gerade über Precuneus, den scheint sie zu mögen, und die Chefin schützt sie ja auch, wir könnten ihr ein schönes Glas Honig mitbringen oder eine Blume, der Kranich sagte, wie sollen wir das bitte transportieren, ich bin ja ein starker Junge, aber du bist mir eigentlich schon schwer genug) und die Dame Ö blieb, wenn sie konnte zuhause, er ist ein bißchen eingebildet, aber erzählt schön, er ist auch insgesamt ein durchaus ordentliches Tier, sagte sie, aber diese Federn, und sie nieste viel.

Freitag, 6. November 2009

878.

Heute, in unserer dritten Sitzung, wollen wir aus gegebenem Anlaß ein wenig über das Wesen der Probe räsonnieren, sagte der Kwaliteitswart, welcher ein Wochenendseminar unterrichtete in allgemeiner Begutachtungskunde, es gibt hier grob gesagt zwei Typen, der eine Typ (ab jetzt Typ 1) ist der normale: je besser im Training, desto besser auch in der Realität oder im Wettbewerb oder im Ernstfall, der andere Typ (ab jetzt Typ 2) ist der Pechstein-Typ, der uns hier aus gegebenem Anlaß besonders interessiert: der kann das Training nicht ernst nehmen und bringt regelmäßig volle Leistung nur im Ernstfall, der hat generell ein Problem mit Plänen und Konzepten einerseits, mit den Standards "gleichmäßiger Affektlagen" andererseits, weil seine Weise, vorausschauend zu sein, ein ungeheures Spektrum umfasst, das die Instinktreaktion im Ernstfall enorm verbessert, aber auch dazu führt, daß er überall da, wo angebliche Belastbarkeit und Gleichmaß angeblich getestet werden, aus demselben Grund, aus dem er im Ernstfall für besonders viele Lagen einen besonders guten Instinkt hat, aus der Kurve fliegt, denn dieser Typ wird durch alle Arten von "Fake" massiv irritiert, weil er sie fast immer bemerkt und sich über Leute ärgert, die so etwas ohne Not mit ihm machen; dieses Phänomen, das wir hier den Typ 2 im Umgang mit Belastungen nennen wollen, hat wiederum Auswirkungen auf das Begutachtungswesen im allgemeinen, da der Gutachter als solcher immer nur mit virtuellen Situationen arbeiten kann, durch sein Hinzutreten jeder wirklichen Situation eine Aura von "Fake" verleiht und ganz grundsätzlich nur für den ersten Typ zu irgendeiner brauchbaren Aussage kommen kann, während er sich auf den zweiten, für den er nie zu einer sinnvollen Aussage kommen kann, lediglich destruktiv auswirkt - weshalb ich Sie eigentlich mit dieser Einsicht nachhause schicken könnte, aber das wäre dumm von mir, ich will ja mit Ihnen etwas Geld verdienen, machen wir uns also daran, aus dieser Feststellung, die jeder Lebenserfahrene bestätigen wird, unsererseits eine Begutachtung fehlerhafter Gutachten zu machen, so lernen Sie auch gleich am meisten für den Ernstfall, sogar für Gutachter vom Pechstein-Typ - und er wunderte sich, daß in der zweiten und dritten Reihe etliche Leute zu gähnen oder zu tuscheln anfingen, denn er hatte sich von seiner bahnbrechenden Einsicht und ihrer endlichen Bekanntgabe doch etwas mehr Wirkung versprochen.

877.

Du glaubst nicht im Ernst, daß heute einer nachguckt, ob noch was kommt, sagte der Demokratiebeauftragte zur Kreativleitung, als diese sein Ansinnen, mit ihm irgendwo mal abhotten zu gehen, mit der Begründung ablehnte, sie müsse noch einen EinSatz schreiben, dann dachte er, er müsse ihr auch etwas anbieten, und sagte: wenn du unbedingt was schreiben willst, schreib, daß ich mich maßlos darüber aufrege, wenn Leute Demokratie als Exportartikel des Westens bezeichnen, fertig, da machte die Kreativleitung runde Augen.

Donnerstag, 5. November 2009

876.

Mr. Precuneus, after having poured some six bottles of bear on top of his fervent admiration for the musical performance of his Beninian buddy during the celebration of the Blue Note Label in the Jewish Museum of Berlin, was in need of professional transportation, in order to arrive safely at his new home.

Mittwoch, 4. November 2009

875.

Wie üblich beschwerte sich die Chefin nicht über den EinSatz des Buchhalters, sondern bedankte sich unüberschwenglich für seine Bereitschaft, einen Satz zu schreiben, sie selbst sei von der Kreativleitung zwar pünktlich des Morgens angerufen und über einen Ausfall wegen schwerer Erkältungssymptome unterrichtet worden, habe aber versäumt, Ersatz zu bestellen, zu engagiert sei sie gewesen in der Bearbeitung anderer Anfragen, und erst nach dieser Einleitung sagte sie, es ist aber unklug, solche Sätze zu schreiben, sehen Sie, da sind doch immer Leute, Eins-zu-Einsler und andere, die dann gleich Bummelei vermuten, und übrigens sprechen Sie das Berlinerisch eines typischen Zugereisten aus der rheinischen Provinz, seit wann leben Sie eigentlich hier?

Dienstag, 3. November 2009

874.

Der Letzte macht det Lüscht aus, murmelte der Buchhalter, als er nochmal durch alle Räume ging, aber dann sah er, daß das Kreativbüro anscheinend den ganzen Tag über leer geblieben war, es war ungeheizt, Mos Fell nicht am Platz, der Teppich so sauber wie am Morgen nach dem Durchmarsch der Reinigungskräfte, der Computer kalt, ja haben wir denn heute gar keinen EinSatz, fragte er entgeistert, haben wirklich alle nur nach Washington geschaut, oder was war los?

Montag, 2. November 2009

873.

Der Montag war so verregnet, daß man erst nach Sonnenuntergang aufleben konnte, fand der Demokratiebeauftragte, der wetterfühlig war, und anstatt dem fetzigen Vorschlag der Leitung Öffentlichkeit zu folgen, hatte er mit dem ebenfalls eher verdrießlich an den großen Pflanztopf gelehnten klitzekleinen Forschungsminister ein Gespräch geführt, welches auf seinem Höhepunkte (!) ungefähr so verlaufen war: was ist eigentlich Ihrer Meinung nach schlechte Theorie, hatte der Klitzekleine gefragt, und der Demokratiebeauftragte hatte geantwortet, na, eine, die sich nicht als allgemeingültig erhärten lässt natürlich, ha, hah, hahahahahah, habe ich Sie, hatte da der Restforschungsmininster gerufen und war aufgeregt auf der Fensterbank hin und her gerannt, den Eifer gleichsam mit den Beinen wegtretend, das Gegenteil ist der Fall, rief er, indem er einen Radiergummi von der Fensterbank kickte, das genaue Gegenteil, und, konzilianter werdend, als er sah, wie dem Demokratiebeauftragten das Kinnlädchen fiel, jedenfalls in den Humanwissenschaften ist eine Theorie umso schlechter, je allgemeiner sie ist, je mehr sie also von der Einzelheit und Einzigkeit des Einzelnen absieht und glaubt, Rezeptlein vergeben zu dürfen für das Zusammenleben hie und da, ohne zu bedenken, daß für einen eine Sache funktionieren kann, die für einen anderen überhaupt nicht funktioniert, und daß für A mit B nicht gelten muß, was für A mit C gelte usw., aber das ist doch eine auf Allgemeingültigkeit bedachte Theorie, was Sie da aufstellen, sagte empört der Demokratiebeauftragter, schon daß Sie A und B sagen, zeigt doch, wie sehr Sie selbst verallgemeinern, wenn auch nur die Nichtverallgemeinerbarkeit, also Sie sind mir vielleicht einer, ist ja kein Wunder, daß Sie so klein sind, und da setzte sich der klitzekleine Forschungsminister resigniert wieder auf das ausgetrocknete Stempelkissen und sagte, ich gebe zu, die Theorien, die ganz und gar versuchen, sich auf das Einzelne zu werfen, die sind noch nicht sehr weit gediehen, aber trotzdem dürfen Sie mir doch zugeben, daß es schlechte Theorie ist, wenn man unterdifferenziert arbeitet und die schlechthinnige Untheoretisierbarkeit der letzten menschlichen Dinge nicht beachtet, aber sicher, sagte der Demokratiebeauftragte, und verzeihen Sie bitte, daß ich mir einen Augenblick der Häme nicht verkniffen habe.

Sonntag, 1. November 2009

872.

Wir wirken anscheinend stilbildend, murmelte die Leitung der Abteilung Öffentlichkeit so schläfrig wie selbstzufrieden, als sie nach ausgiebiger Frühgymnastik nun ihren Morgengrüntee und die fürs Wochenende zuständige Zeitung in Arbeit nahm, während ihr Kindchen nach durchkrähter Nacht friedlich in seinem Bettchen lag, und der Herr am anderen Ende des Tisches, der jede einzelne Nacht bereute, die er in diesem Haushalt zubrachte, denn es war immer laut, sagte, ihr seid schon ein bißchen eingebildet, vor allem du, du hast doch ewig nichts mehr beigetragen, ach du Armer, sagte die Leitung der Abteilung Öffentlichkeit und tunkte ihr Giabattabrot in das leckere Olivenöl, das sie sich in diesem Laden mit den Ölzapfstellen in hübsche kleine Fläschchen zu füllen und zum Frühstück dann in kleinen Schälchen auf die Teller zu stellen pflegte, du hast wieder schlecht geschlafen nicht, aber was mehr kann ich machen als das Kleine etwas herumzutragen, wenn es nachts schreit, und trotzdem dann und wann eine halbe Stunde schlafen, tut mir dennoch leid, daß du es so ungemütlich hast bei uns, aber guck mal, lies mal selbst, es ist als hätten die Redakteure dieser Wochenzeitung in ihrem Letztbeitrag sich vorgenommen, Karomützens sämtliche Verschwörungstheorien zu bestätigen und zu beschwichtigen in einem, sie stellen sich selbst als einen boshaften Haufen von sinnlose Debatten antizipierenden Meinungsmachern und SäueDurchDörferHetzern vor, das hat einen gewissen Schneid, sagte sie, man bekommt tatsächlich Lust, mal wieder ins Büro zu gehen und einen Anruf zu lancieren, der bewirken würde, daß man sie persönlich kennenlernen könnte, die restalkoholisierten unrasierten mit der boshaften Oberschreierin.

Samstag, 31. Oktober 2009

871.

Die Brachvögel waren dann sehr schnell wieder mehr mit sich beschäftigt, flogen zu einem Ort, an welchem sie sich zu versammeln pflegten, wenn die Tage kürzer und die Nächte ziemlich kalt wurden, und der erzählende Kranich kam tatsächlich, tief gerührt von Mos Besorgnis, aber ebenso schnell darum bemüht, jeden Zweifel an seiner völligen Souveränität sofort auszuräumen, ich und herumirren, sagte er, während er wie üblich seine Federn ausschüttelte und amüsiert Mos Niesen beobachtete, ich werde schon etwas mit mir anzufangen wissen, wenn ich hier gerade störe, aber ich freue mich natürlich, wenn die Luft wieder rein ist und man mich empfangen kann.

Freitag, 30. Oktober 2009

870.

Es ist doch schlimm, sagte Mo, die sich seit zwei Tagen ständig zwischen der Fensterbank und der Ecke mit ihrem Fell hin und her bewegte, der erzählende Kranich wollte doch kommen, aber bestimmt ist er, als er die vielen Brachvögel gesehen hat, wieder weggeflogen und irrt nun hilflos durch die kalten Lüfte, anstatt mit uns die kanadische Sängerin zu beweinen, die von Koyoten zerbissen wurde, und sie verlangte von der Kreativleitung, wenigstens einen Titel von ihr einzusetzen:http://www.youtube.com/watch?v=uz9Bc0JXeRo&feature=related

Donnerstag, 29. Oktober 2009

869.

Es stellte sich heraus, daß alles halb so schlimm war, "nur weil die Leute Krähenschwärme und Taubenschwärme und zu Zeiten Starenschwärme eher gewohnt sind als die der Brachvögel, muß man sich doch nicht gleich so aufregen, und warum soll Robin Hood nicht auch seine Anhänger haben, nicht wahr," sagte cool lächelnd der Kwaliteitswart, als er am anderen Morgen in das "Bistro" trat, und schließlich, "ihr Geflöte ist ein wenig harmonischer als das Gekrächze der Krähen und anhörlicher als das Schrastern der Pestvögel, und wenn der Lichteinfall ein wenig behindert wird durch ihr üppig geplustertes Gefieder, so kann man nur feststellen, daß es auch ohne diese Einschränkung heute in lichtmäßiger Hinsicht nicht zum Besten stünde," na klasse, sagte der Oberassistent, dann ist die Welt ja nur positiv, findet vielleicht einer ein Filmschen mit "Singing in the Rain"?

Mittwoch, 28. Oktober 2009

868.

Als die freundliche Cousine des Mr. Precuneus die ersten honneurs hinter sich hatte, rief Karomütze in höchster Aufregung an, denn ein ganzer Schwarm von Brachvögeln war soeben in die Hauptstadt geflogen, um eine gigantische Sabotage-Aktion aus den Lüften durchzuführen mit dem Ziel, Robin Hood zu rehabilitieren, und sie belagerten massiv die Fensterbänke der EinSatzLeitung, da diese fast als letzte in aller Offenheit daran festhielt, daß es anständiges und unanständiges Verhalten gebe, welches nicht allein durch das Recht, aber sicher auch nicht gegen es definiert werde, die Brachvögel indessen waren sehr sicher, daß sie es besser wüßten, und verliehen dieser ihrer Ansicht erheblich lärmenden Nachdruck.

Dienstag, 27. Oktober 2009

867.

Es war Freund Karomütze bisher nicht gelungen, den mittlerweile nicht mehr gar so neuen Praktikanten zu einer Autofahrt zu bewegen, zu wahnsinnig erschienen diesem nach der ersten Fahrt die aggressiv und zugleich irgendwie „ordentlich“ überhöhten Geschwindigkeiten und Fahrgewohnheiten der Leute, wobei er den Eindruck, daß Karomütze selbst einer der besonders schlimmen Fahrer war, nicht verheimlichte; so hatte Mr. Precuneus auch an diesem Tage das freundliche Angebot des Sicherheitsbeauftragten, eine entfernte Verwandte mit dem schwarzen Alfa vom Hauptbahnhof abzuholen, abgelehnt und ging zu Fuß über das von großen Repräsentations- und Regierungsgebäuden locker bestreute riesige Freigelände im Machtzentrum der Hauptstadt, nicht schlecht staunend über Details in der Flächengestaltung vor dem Bahnhof, welche ihm erst jetzt ins Auge fielen: es gab dort mehrere Ebenen, und ihre Übergängen fächerten sich, durch helle Linien markiert, zu flachstufigen treppenähnlichen Verbindungen auf, als würde der unwahrscheinlich leer wirkende Platz vor dem Bahnhof sich augenzwinkernd in die Unebenheiten des Bodens schicken, und Mr. Precuneus dachte, es hat etwas von Resignation in Stein, Beton und Asphalt, er würde seine Cousine als erstes auf diese drollige Idee der Deutschen aufmerksam machen, aber es gefiel ihm auch wieder, denn es paßte zu dem grauen Himmel und den insgesamt entspannt umeinander her wandelnden Menschen, und er dachte, sie wird für solche merkwürdigen Bodengestaltungen kein Auge haben, sie wird sich erst einmal nur wundern, wie wenig die Leute einander anrempeln und wie seltsam kahl alles aussieht.

Montag, 26. Oktober 2009

866.

Mo und die Kreativleitung waren wieder einmal die letzten in der EinSatzLeitung, denn die Kreativleitung dachte unentwegt darüber nach, wie man zu dem Bericht über die Peitschenhiebe für eine saudi-arabische Journalistin etwas Sinnvolles schreiben könne, es fiel ihnen beiden aber absolut nichts dazu ein, rein gar nichts.

Sonntag, 25. Oktober 2009

865.

Dame Ö hatte es innerhalb von zwei Tagen nicht vermocht, aus ihrem Sohne herauszubringen, warum er sich in seinem Studium betrug wie er sich betrug und warum er nicht im Semester weile, sie versuchte es mit Strenge, sie versuchte es mit Milde, sie versuchte es mit nachgerade übergriffiger Fürsorge und mit nachgerade vernachlässigend resignierter Abwendung, sie sprach mit Freundinnen und Freunden, Bekannten und Verwandten, und wenn ihr jemand sagte, du mußt etwas flexibler reagieren, reagierte sie flexibel, wenn ihr jemand sagte, du mußt ein bißchen konsequenter sein und mal bei einer Linie bleiben, versuchte sie auch das, aber schließlich war die einzige Linie, die ihr als ihre wirklich eigene einfiel, immerhin in sich eine flexible, und wenn sie soweit war, kehrte endlich wieder Gelassenheit ein, mit der sie sagen konnte, Söhnchen, du solltest dich ein wenig erholen und dich dann wieder um deine Studien kümmern, wobei kümmern durchaus auch heißen kann: herausfinden, was dich so sehr stört (denn daß dich etwas stört, ist ja offensichtlich) und ob es eine andere Richtung gibt, in die du leichter und froher vorangehen könntest, und wenn er sie dann anschnauzte, daß sie das nur sage, weil sie unbedingt mit einem erfolgreichen Sohn glänzen wolle, bat sie ihn ergeben, sie nicht anzuschnauzen, und wenn er dann fortfuhr, herumzuwettern, sie verstehe ihn nicht, es gehe überhaupt nicht um das Studium, aber sie sei ja absolut nicht in der Lage, irgendwas von ihrem Sohn zu verstehen, verzog sie sich und deklamierte laut Shakespeare, yet him for this, my love no whit disdaineth, sons of the world may stain when heaven’s sun staineth, und wenn er dann ankam und sagte, du hast ein o und ein u verwechselt, es geht um Sonnen der Welt, nicht um Söhne der Welt, dann lachte sie nur, was du nicht sagst, und sagte schließlich, irgendwohin mußt du aber wohl mit deiner Freude an Präzision, bilde dir nur nicht ein, daß du dem entkommst.

Samstag, 24. Oktober 2009

864.

Am Abend eines langen Tages hatte Mr. Precuneus seine neue Wohnung eingerichtet - oder doch wenigstens schon einmal ein Zimmer, in welchem er fortan zu arbeiten gedachte, wenn er nicht gerade im Büro der EinSatzLeitung wäre, und er hatte für alle Bekannten und EinSatzKräfte, welche ihm dabei geholfen hatten, die Wohnung so auszustatten wie er es brauchte, eine große Kiste Bier geholt, nun saßen sie zwischen noch nicht ausgepackten Kartons und bereits zusammengefalteten ausgepackten um einen Tisch und erzählten sich etwas, einer sagte, diese Community-Sachen, Sie verstehen, ein anderer erklärte das Wesen des Campaignings, und obwohl überwiegend von Dankbarkeit erfüllt konnte Precuneus sich nun nicht mehr zurückhalten, sondern platzte los: eine ganze Horde von Campaignern hat mal über Monate auf meine Mutter eingetrommelt mit Bildern und Musik zum immerselben Thema, das sie längst kannte und dessen Botschaft auch wirklich nicht so schwer zu verstehen war, es ging um einen Dialog mit irgendwem, und ihr müßt euch das bei uns ungefähr so vorstellen, daß dann, egal wo sie hingeht in ihrem Dorf, jeder irgendwie das Wort Dialog in sein Geschwatze einbaut, bis meine Mutter sich sogar einmal mit der zweiten Frau vom Bürgermeister unterhielt, mitten auf dem Marktplatz, und als das Wort Dialog fiel, fing meine Mutter an genau der Stelle, immer noch mitten auf dem Marktplatz an, laut herumzuschreien und zu rufen, wenn ihr unbedingt einen Dialog erreichen wollt, warum REDET ihr dann nicht mit mir DIREKT darüber, mit wem und warum ich dialogisieren soll, und als sie sah, daß alle etwas erschrocken waren, und weil sie wußte, daß sehr bald in der einen Ecke Gekicher, in der anderen möglicherweise gefährlicher Zorn ausbrechen würde, fügte sie schnell hinzu, weil es überhaupt nichts GIBT, worüber mit irgendwem ein Dialog geführt werden müßte, ihr habt euch einfach nur in den KOPF gesetzt, Campaigning statt Reden, weil euch irgendwer den Floh ins OHR gesetzt hat, daß man damit GARANTIERT zum Ziel kommt, mit Reden hingegen nicht, nur wieso soll mich das dann AUSGERECHNET VOM REDEN überzeugen???? und da mußten alle lachen, denn sie erinnerten sich plötzlich daran, daß sie die Trainer der Campaigner im Grunde auch irgendwie albern oder doch wenigstens seltsam aufgeregt gefunden hatten, und die zweite Frau des Bürgermeisters schenkte meiner Mutter eine Gans, weil eine Gans so eine perfekte Form hat, und weil wir sie in Afrika so selten fangen.

Freitag, 23. Oktober 2009

863.

Bevor er, um seiner Langeweile im trüben Grau der Tage abzuhelfen, wieder einmal ein wohlbekanntes Fenster in der Hauptstadt anfliegen würde, gedachte der erzählende Kranich, noch einmal in den Niederungen der minderen Sprachen vorbeizuschauen, um möglicherweise eine lustige Anekdote über die Damen und Herren Pestvögel zu kolportieren, und es wurde ihm auch geschenkt, indem er einen erstaunlichen Streit zwischen dem alten Oberpöbler und einer jungen Dame mit anhören konnte, in welchem letztere ihm mitteilte, sie werde die Niederungen der minderen Sprachen verlassen, sie habe ihrerseits noch immer den Mitpestvögeln, welche ihre besondere Zuneigung errungen hätten, das Gehampel irgendwelcher Rivalitäten um ihre Person erspart und sich ihrerseits sehr klar verhalten, man habe sie schon über Jahre aigrieren müssen, um sie dahin zu bringen, auch einmal einen bevorzugten Mitpestvogel in eine Rivalität zu nötigen, sie habe sich damit nicht unmäßig wohl, sondern eher klamm und breit gefühlt und gehofft, von diesem lächerlichen Kampfmittel inkünftig keinen Gebrauch mehr machen zu müssemn, lieber wetteifere sie um den schönsten und schnellsten Flug und dergleichen nützliche Dinge, sie erwarte ein Nämliches von dem hier nistenden und jagenden Pack leider vergeblich, vielmehr entblöde sich offenkundig auch ein weitgereister Pestvogel wie der zuweilen noch in der EinSatzLeitung sein minderes Glück versuchende Schrasterer nicht, weiblichen Artgenossen, die ihn keinesfalls um seine Meinung gebeten hätten, ein fröhlich miteinander um irgendwelche pestvogeligen Günste und Dünste rivalisierendes Verhalten als das ihnen gebührende zu ergreifen, sie danke höflich und wünsche ihm von Herzen, daß er in sein Nest kommen und dort erst einmal heftig um seine Pestvogelin rivalisieren müsse, sprachs und flog davon, und der erzählende Kranich, welcher sich jedes Wort gemerkt hatte, nahm einen langsam beginnenden, dann immer schneller werdenden Anlauf, um sich seinerseits in die Lüfte zu schwingen und das Abheben recht gründlich zu genießen, tut mir leid, rief er der tapferen kleinen Pestvogelin noch zu, daß ich nicht auf Sie warten kann, aber mir würden die Flügel kalt, wenn ich mich auf Ihr Tempo einstellte, ich hätte mich sonst ausgesprochen gern unterwegs mit Ihnen unterhalten.

Donnerstag, 22. Oktober 2009

862.

Im Haushalt der Chefin hingegen fragte das Kind am Frühstückstisch, Mama, könntest du mir ein paar Eigenschaften des "Guten" sagen, man hat uns darüber komische Sachen erzählt, und die Chefin sagte, nach kurzem Nachdenken, während dessen sie ein wenig nervös mit der Zeitung raschelte, es ist weich gegen Weiches und macht sich unter dem Anprall unpassender Härten unsichtbar, solange es kann, um zäh zu überleben, und sie unterdrückte einen Anflug von Besorgtheit, um die liebenswürdige Fröhlichkeit nicht zu versäumen, mit der das Kind, seinerseits eher obenhin unzufrieden mit der Auskunft, sagte, so stellen sie es in der Regel nicht dar, bei ihnen sind die Guten immer die Helden, und die Chefin sagte, die wollen wir ja auch immer wacker ehren, wenn sie wirklich Helden des Guten sind, aber manchmal ist es wichtig, einfach zu überleben, und zu viel Opfermut wäre da schlecht, wo er dazu führte, daß sich immer dieselben auf immer dieselbe Weise opfern oder aufopfern, macht ihr schon "Dilemma-Situationen"?

Mittwoch, 21. Oktober 2009

861.

Als Dame Ö an diesem Abend nachhause kam, merkte sie schon beim Öffnen der Tür, daß jemand da sein mußte, und tatsächlich brannte nicht nur Licht in ihrem Wohnzimmerchen, sondern es roch überdies nach einer Sorte Rauch, die in Deutschland nicht ganz erlaubt ist, und in ihrem Lieblingsohrensessel, auf welchen sie sich wie immer gefreut hatte, lümmelte sich mit glasigen und rotgeränderten Augen der Herr Sohn, welchen sie selbstverständlich im Semester gewähnt hatte, tatsächlich hatte sie ihn just an diesem Abend einmal anrufen wollen, um sich zu erkundigen, wie denn sein neuer Stundenplan aussehe und ob er für die im letzten Augenblick abgegebene Seminararbeit schon eine Note bekommen habe, aber nun saß er also da, zu allem Überfluß die Wonnegeräusche einer schweren Erkältung verbreitend, und mitten im Flur türmte sich seine Schmutzwäsche.

Dienstag, 20. Oktober 2009

860.

Karomütze hatte sich mit Mr. Precuneus verabredet, um nach Feierabend einmal etwas über Land zu fahren, man hält das doch nicht aus, sagte Precuneus, während er den Gurt festzurrte, den ganzen Tag nur immer diese Häuser und den grauen Himmel, man hat mir so viel vom schönen Herbstlaub erzählt, das will ich nun doch mal sehen, wohin fahren wir denn, Seen, sagte Karo, aber bitte nicht so viel quatschen, und Mr. Precuneus grinste ergeben, um Zeit für einen neuen Einfall zu gewinnen, denn er meinte, irgendwie würde er diese Schlitzfresse (das Wort hatte er vom Kumpel gehört, und er verwendete es ganz arglos, Böses vermochte er darin nicht zu erkennen) doch zu interessanteren als den bisherigen Äußerungen bewegen.

Sonntag, 18. Oktober 2009

859.

Der klitzekleine Forschungsminister seufzte schwer, als er die freundliche Frage des Demokratiebeauftragten vernommen hatte, denn er hatte gar nicht mehr damit gerechnet, daß dieser ihn so nett ansprechen würde, naja, sagte er, eigentlich war ich mit der Arbeit mit Ihnen schon immer ganz zufrieden, aber zuweilen wünschte man sich eine eigene Abteilung, die ein wenig zugeschnitten wäre auf den Bedarf eines kleinen Forschungsministers, die Wahrheit braucht ... ihre eigene Blase, na klar doch, sagte der Kwaliteitswart, indem er seine langen Gräten auf dem Freischwinger zurechtlümmelte, welchen er sich gegenüber vom Schreibtisch des Demokratiebeauftragten so hingerückt hatte, daß er aus dem Fenster schauen konnte, zugleich aber auch recht deutlich den im Raume auf und ab schreitenden Demokratiebeauftragten sowie den klitzekleinen Forschungsminister, der mitten auf dem Schreibtisch des Demokratiebeauftragten durch Schaukeln auf einem recht groß geratenen Locher ein unangenehmes Quietschen regelmäßig verursachte, im Blick hatte, und es lag Streit in der Luft.

858.

Die Chefin und das Kind saßen beim Frühstück, das Radio lief, es gab einen Bericht über eine von diesen jungen Damen, die auf den Kühlerhauben von Autos herumhängen müssen, wenn Autos auf Messen präsentiert werden, sie wurden auch interviewt, eine sagte, sie langweile sich etwas, man müsse den ganzen Tag so viel Unsinn reden, aber man verdiene ganz gut, ist so ähnlich wie Kellnern, sagte das Kind, da muß man auch zu vielen Idioten nett sein und sich Unsinn anhören und ihn mitlabern, wenn man gute Arbeitsbedingungen halten will, dafür machen sie einem blöde Komplimente, naja, sagte die Chefin, wer es zu was bringen will, muß auch an anderen Stellen viel Unsinn reden und am besten selbst dran glauben, sagte die Chefin, wir zum Beispiel, die einzigen, denen wir erlauben können, ab und zu mal was Wahres zu sagen, sind die Kreativleitung und Mo, und die können wir, je mehr sie bringen, schon kaum noch schützen, denn das, was die Laberer verwerten können, das ziehen sie schnell ab, und den Rest halten sie für Blödsinn, den sie anonym beerdigen müssen, die Kreativleitung gräbt sich ein und produziert immer mehr, zum Dank für das, was man davon abzockt, sagt man ihr, sie soll mal initiativ werden und mehr rausgehen, dann mag man sie auch und nimmt sie in die Laberergemeinschaften auf, man fragt sich bloß, wo die Leute, wenn die Kreativleitung auch noch lieber labert und Kontakte pflegt anstatt zu produzieren, dann abzocken und über wen sie sich dann die Mäuler zerreißen und an wem sie ihren übergriffigen Besorgtheitsstuß auslassen wollen, und das Kind fragte, gehts also gerade nicht so gut, sonst erzählst du nicht so viel über deine Arbeit, stimmt, sagte die Chefin, geht gerade nicht so gut, Karomütze schafft die Sicherheit nicht mehr alleine, die vielen widersprüchlichen Signale machen ihn fertig, Mr. Precuneus hat sich noch nicht richtig eingearbeitet, der Buchhalter hat nichts mehr zu halten, die allgemeinste Verteidigung und die Leitung Öffentlichkeit sind noch nicht wieder zurück, die Brachvögel und die Pestvögel sichern jeweils ihre Vereinsinteressen und hacken nur herum, und die Warte sind auch unzuverlässig, scheint mir, da sagte das Kind, ihr schafft das schon, und machte sich auf, um seine Sachen zu machen, die Chefin steckte ihr noch was zu und sagte, du machst es schön, das freut mich.

Samstag, 17. Oktober 2009

857.

Der naseweise Sinologe hatte den Eindruck, er sei ein wenig zu kurz gekommen, vor lauter Glotzen auf die Darstellung und Selbstdarstellung des Objekts seiner Studien bei der Buchmesse werde die Auskunft des Experten zunehmend für überflüssig gehalten, dabei sei man auf seinesgleichen nun wirklich dringend angewiesen, um zu verstehen, was dort geredet werde, Sie müssen bedenken, erläuterte er einem imaginären Publikum, wobei er vor dem häuslichen Spiegel immer ein wenig gleichsam pumpend in die Knie ging und sich wieder erhob, ein Lächeln (hierbei verzog er sein kaukasisches Gesicht zu verschiedenen Abstufungen des Grinsens) bedeutet beim Sineser durchaus etwas anderes als bei uns (etwa das Lächeln der Kreativleitung, Chinesen würde sich dadurch belästigt und kontrolliert fühlen), und die größte Freude macht man einer Chinesin durch einen völlig ungelächelten innigen Blick, man tue das aber nicht zu ausgiebig, sonst bildet sie sich noch etwas ein, und im Griff hat sie den Mann sowieso, da muß man nicht noch entgegenkommen...

Freitag, 16. Oktober 2009

856.

Warum ist diese Geschichte so unkommentiert geblieben, fragte Mr. Precuneus am anderen Morgen die Kreativleitung, und die Kreativleitung sagte, sie wisse es nicht, vielleicht zu glatt, vielleicht habe man nichts damit anfangen können, vielleicht zu lang, und Mr. Precuneus grinste sein breites Grinsen und sagte, aber das Reichstagsgebäude hat schön ausgesehen an dem Abend, oder?

Donnerstag, 15. Oktober 2009

855.B

Im Herbst, wenn seine Artgenossen sich gesammelt und auf den großen Flug Richtung Süden gemacht hatten, pflegte der erzählende Kranich, welcher ein ungewöhnlich kultiviertes Tier war und sich von so primitiven Dingen wie Zugvogelrhythmen gänzlich unabhängig gemacht hatte, doch immer ein wenig melancholisch zu werden. Es gab dagegen nur ein Mittel, das zuverlässig wirkte. Er mußte, obwohl die kälter werdende Luft ihm bei seinem dafür nicht gemachten Gefieder sehr zuzusetzen pflegte, ein wenig in der Gegend herumfliegen oder schreiten und die Gespräche der für den Winter besser ausgestatteten Wesen um ihn her belauschen. Am Ufersaume des Sees, an und in welchem er mit ausgewählten Artgenossen manchen schönen Sommerabend verbracht hatte, dazu mit Kormoranen und Fischreihern und Haubentauchern, erging er sich, in tiefes Nachdenken versunken, zugleich aber auch jene freischwebende Aufmerksamkeit für alle Geräusche, die in seinen Ohren ständigen Wohnsitz hatte, langsamen Schrittes mit sich führend. Er mußte nicht lange schreiten, um bald Zeuge einer heftigen Auseinandersetzung zwischen seinem alten Freund, dem kleinen Brachvogel, und einem der öberen Brachvögel zu werden. "Du mußt erst einmal ganz leer werden," sagte soeben der öbere Brachvogel, "dann wird sich dein Herz wieder öffnen für die Weisheit, die unsere großen Meister in ihren Schriften niedergelegt haben, für den obersten Brachvogel, unser aller Herr, und zugleich auch für alle anderen Brachvögel, und du wirst merken, wie ein warmes Gefühl der Gemeinschaft mit allen Wesen dich durchströmt und dein böser Trotz und Eigendünkel dich verläßt." Der kleine Brachvogel aber schien mit dieser Auskunft äußerst unzufrieden zu sein und sagte mit einer leicht ins Nasale spielenden Stimme, er glaube, die Leere werde allgemein sehr überschätzt. Eine Verärgerung in der Stimme des öberen Brachvogels war nicht mehr zu überhören, als dieser erwiderte: "Wenn du dich so über alle Einsichten weiser und erfahrener Brachvögel hinwegsetzt, mußt du dich auch nicht wundern, daß man dich nicht nur nicht mag, sondern dir immer wieder feindselig zusetzt. Selbst ich, der ich dich bei solchen Anlässen noch immer unter meine Fittiche genommen und verteidigt habe, verliere so nach und nach die Geduld mit dir."
Der erzählende Kranich, nachdem er dieses gehört hatte, dachte, es sei hier doch eine gute Gelegenheit, Gutes zu tun. Vorsichtig Zweiglein um Zweiglein zur Seite pickend, trat er aus dem Gebüsch hervor, welches ihn zuvor den Blicken der Eifernden verborgen hatte, und sagte nach kurz genickter Begrüßung: "Über die Leere sind viele erschütternd verkehrte Lehren im Umlauf, meine Lieben, und vielleicht hat überhaupt nur eine einzige Vogelart der Welt wenigstens zu Zeiten und in ihren größeren Exemplaren eine etwas richtigere Idee für den angemessenen Ort der Leere gekannt." "Und welche sollte das wohl sein," fragte der obere Brachvogel, welchem die Freundschaft zwischen dem kleinen Brachvogel und dem erzählenden Kranich keineswegs entgangen und schon lange ein Dorn im Auge war, "es werden wohl rein zufällig die Kraniche sein, wie?" "Die Kraniche, die Kraniche," flötete der kleine Brachvogel in eifrigem Entzücken, aber der erzählende Kranich wiegelte ab und sagte kultiviert, das tue doch hier gar nichts zur Sache, wichtig sei vielmehr, daß man verstehe, wie diese furchtbaren Irrtümer richtig gestellt werden könnten. "Üblicherweise," fuhr er fort, "üblicherweise denken wir, ein Wesen, das sich um ernste Weisheit bemühe, müsse erst einmal ganz leer werden, bevor eine neue Idee, eine neue liebevolle Regung für die Welt, eine neue Einsicht in ihm Platz greifen könne. So haben Sie es soeben ja auch in bester Absicht Ihrem jungen Artgenossen nahegelegt, nicht wahr," und der öbere Brachvogel schüttelte seinen krummen Schnabel und sagte, "ja natürlich, ich brauchte Sie keineswegs, um mir das zu wiederholen." "Nun," erläuterte der erzählende Kranich in ungewöhnlich belehrlustiger Laune weiter, "Tatsache ist, daß jeder, der einem anderen empfiehlt, sich erst einmal leer zu machen, dieses nur tut, um sich selbst oder etwas, das er für 'seine große Sache' hält, den größtmöglichen, nämlich einen unangefochtenen Platz im Gemüte desjenigen, dem er die Leere empfiehlt, zu schaffen. Irgendein Gott, ein Heiliger oder eine Idee soll an die Stelle der eitlen Nichtigkeiten treten, mit denen wir nach Ansicht solcher Lehren unsere Köpfe abergläubisch befüllen." "So ist es," bestätigte mit streng angelegten Flügeln nachgerade salutierend der öbere Brachvogel. "Und eben hier liegt auch das Problem," fuhr der erzählende Kranich fort, "denn ob nichtig oder nicht, eine Idee oder ein Gefühl für unsere Artgenossen oder eine erhabene oder niedrige Nichtigkeit können wir nun einmal nur annehmen, wenn wir auch zuhause sind; es sind die Vögel, die keine Nester haben, welche sich betäuben müssen, nicht die, in deren Nestern es hübsch bunt wimmelt, und alles andere ist doch Blödsinn, den sich nur Leute ausdenken, die wissen, wenn sie wollen, haben sie auch wieder mehr. Aber wirklich aus ihren innersten Häusern vertrieben sind just jene, die dem Rat folgen und sich ganz leer machen; diese werden dann auch beherrscht von jedem, der in diese Leere eintritt - und sind die perfekten Schwarmvögel, welche ausziehen, um alles, was Nichtschwarm ist, zu beseitigen. Aus diesem Grunde gehört Ihre so fein und rücksichtsvoll klingende Lehre von der Leere trotz der schönen und wirklich sympathischen Weisheiten, mit denen Sie sie zu umgeben pflegen, leider aufs engste zusammen mit den Gewalttaten, die in allen Vogelschwärmen immer wieder verübt werden, wenn es um die Frage, wie leer man andere machen dürfe, geht." "Sie erzählen einen gefährlichen Unsinn," sagte der öbere Brachvogel, "und wofür plädieren denn wohl die eingebildeten Kraniche?" "Sie plädieren nicht so sehr, aber sie haben sich etwas Schönes ausgedacht," antwortete ungerührt der erzählende Kranich und schmunzelte dem kleinen Brachvogel mit den äußersten Spitzen seiner Schwungfedern freundlich zu, "sie lassen den Platz des obersten Weisheitslehrers leer, sie überlassen die Leere ihm, und gewinnen so die Fülle zurück, die sich sonst nur als Machtfülle derjenigen, die sich gegenseitig die Idee der Leere zuschieben, entfalten kann, nicht aber als eine Fülle erlaubter Regungen." Der kleine Brachvogel verstand nicht recht, der große Brachvogel schüttelte ärgerlich sein Gefieder, und der erzählende Kranich seufzte resigniert. In einem letzten Anlauf sagte er: "Die Idee, daß der Platz der großen gemeinsamen Sache leer bleibt, damit alle, die auf ihn kommen, das Ihre mitbringen können, mir hat sie immer eingeleuchtet, und ich dachte, sie könnte euch in eurem Streit vielleicht eine Entlastung sein. Ich sehe, daß das nicht der Fall ist, so will ich denn auch nicht weiter stören," damit zwinkerte er dem kleinen Brachvogel noch einmal freundlich zu, deutete dem großen Brachvogel gegenüber eine Verbeugung an, und schritt, trotz allem aufgeheitert, langsam weiter am Saume des Sees, an und in welchem er manchen schönen Sommerabend mit ausgewählten Artgenossen und anderen Vögeln verbracht hatte.

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