Sonntag, 31. Januar 2010

964.

Bei eisigem Sonnenschein und knirschend blauem Himmel war der naseweise Sinologe zum klitzekleinen Forschungsminister gegangen und hatte mit ihm über die Möglichkeit eines Ausflugs ins Eis nachgedacht, als sein Telefon klingelte und ein erboster Bekannter ihn anschnauzte, er möge sich mal bitte dazu äußern, daß die Chinesen mit den Amerikanern Stunk anfangen wollten wegen Taiwan, der naseweise Sinologe aber sagte, hören Sie bitte, es ist Sonntag, wir sind in Berlin, ich bin Sinologe, aber nicht chinesischer Diplomat und für diese Fragen nicht zuständig, wo kämen wir da hin, wenn jeder Sinologe einstehen müßte für die Politik des Landes, dessen Spreche und Kultur er mit großem Respekt studiert, und als er mit zufriedenem Gesicht das Telefon nach schnell beendetem Gespräche wieder wegsteckte, sah er Runzeln im Gesicht des klitzekleinen Forschungsministers, welcher sich auch nicht lange bitten ließ, sondern gleich sagte, du machst es dir wirklich sehr einfach.

Samstag, 30. Januar 2010

963.

Dame Ö hatte sich mit ihrem letzten Kommentar etwas aus dem Fenster gehängt, und sie fand, da hänge es sich nicht immer unbedingt schlecht.

Freitag, 29. Januar 2010

962.

Am anderen Morgen fand die Kreativleitung, als sie für Mo etwas Apfel mit Ahornsirup aus dem "Bistro" holte, die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse in lebhaftem Gespräch an einem der Tische, und die ewig rotgeränderten Augen der Minderheitlerin funkelten, als sie sagte, wenn ihr mich fragt, die afghanische Menschenrechtlerin, die tief skeptisch ist, weil sie sich durch den neuen Versöhnungsrausch der Welt in ihrem Heimatland keineswegs sicherer fühlt vor talibanischen Übergriffen, die ist die Frau, deren Wahrnehmung ich vertraue, natürlich wird man die neue Strategie einsetzen müssen, aus der Perspektive der anderen, die im Land hohe Risiken eingehen, ohne absehen zu können, was sie wirklich erreichen, ist ja völlig richtig und zu begrüßen, aber wer schützt die Belange der Frauen und all der Einzelnen, die dann unter den mitregierenden Talibanen wieder zurückgestopft werden in Verhältnisse, die nun einmal Sklaverei sind und weiter nichts, und sie sagte, Freiheit ist wohl überall die Freiheit, wegzugehen, wenn die Verhältnisse unerträglich werden, aber wohin sollen die, die es nicht mehr ertragen, und die anderen EinSatzKräfte standen umher und waren etwas ratlos, denn was, wenn sie recht hätte, du übertreibst, versuchte es der Demokratiebeauftragte, du bist emotional, sagte der Diskurswart, man soll ihren Einwand bedenken, sagte der klitzekleine Forschungsminister - sie hatte ein sehr kluges Gesicht, sagte die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse und den ewig rotgeränderten Augen, und sie hat ein Problem, das anders funktioniert als die Sicherheitsfragen, die natürlich die Politik der Weltgemeinschaft bestimmen, sie zögerte, wie man es zusammenbringen kann, weiß ich auch nicht, aber daß man den Versuch nicht aufgeben kann, ohne die afghanischen Frauen aufzugeben, das erscheint mir auch klar; als sie geendet hatte, ging die Kreativleitung schweigend wieder in ihr Büro, denn was hätte sie dazu beitragen können, es ist ja immer nach allem, daß man anfängt, zum Beispiel Teppiche zu weben, und wer Anständiges schreiben will, kann eben die Tagesfragen nicht damit lösen, aber richtig tröstlich fand sie das auch nicht.

Donnerstag, 28. Januar 2010

961.

Die Einschläge werden dichter, sagte der ehemalige Chef und ließ seine Zeitung sinken, jetzt ist auch der Salinger gestorben, einer der ganz großen amerikanischen Schriftsteller, und dann war er auch noch bei der Landung in der Normandie und in Pearl Harbour dabei, na toll, sagte der Sohn, und was hat das jetzt mit Einschlägen zu tun?

Mittwoch, 27. Januar 2010

960.

Mo, die mit ihrem Insistieren auf einer weiblichen Anrede irgendwie ihren Status als Maskottchen der EinSatzLeitung verloren zu haben schien, trug bei dem Wetter immer sowohl ihren Kittel als auch den blauen Mantel, welcher im Laufe der Zeit etwas weniger steif geworden war und etwas besser wärmte, zusätzlich hüllte sie sich, wenn sie kritzelte, noch in den karierten Schal, und nur wenn sie aus ihrer Ecke kam, um einige dünne Apfelscheibchen mit Honig zu sich zu nehmen, legte sie den Schal ab; reden mochte sie eigentlich nicht, weder Mr. Precuneus noch dem erzählenden Kranich noch der Kreativleitung gelang es, mehr als zwei oder drei Worte pro Stunde aus ihr herauszubekommen – aber ihre Ohren schienen mit jedem Tage ein wenig zu wachsen, und sie mußte wohl wie üblich alles hören, was um sie her gesprochen und verschwiegen wurde: arme Mo, dachte die Kreativleitung, das nächste Manuskript ist hoffentlich so, daß wir es nicht ablehnen müssen; es ist ruhig geworden, dachte die Dame Ö, erleichtert; der erzählende Kranich und Mr. Precuneus aber schwiegen, der erzählende Kranich, weil ihm die Kälte nun doch etwas zu lange dauerte, und Mr. Precuneus, weil er seine Worte wohl zu erwägen gedachte, außerhalb der Kreativabteilung in den Korridoren der EinSatzLeitung nahm weiter niemand Notiz von den Veränderungen, zu sehr war man beschäftigt mit den täglichen Schweigeerfordernissen der diversen EinSätze.

959.

Was tut man bei so einer Kälte, fragte das Kind, und die Chefin sagte, man friert mit den Frierenden oder tut etwas gegen ihr Frieren.

Montag, 25. Januar 2010

958.

"Birds froze in mid-air and fell like stones to the ground," hummed Mr. Precuneus when walking during the great frost over the frozen lawns and creaking wooden bridges in the very center of Berlin, a thick woolen shawl wrapped in several layers around the sensitive parts of his head, but he never saw it happen.

Sonntag, 24. Januar 2010

957.

Während die übrigen EinSatzKräfte wenigstens am Sonntag Ruhe hatten, schoben der Demokratiebeauftragte und der klitzekleine Forschungsminister wieder einmal gemeinsam eine ruhige Kugel in der Wochenendschicht, und - beide über ihre jeweiligen Zeitungen gebeugt - brummten sie einander dies und das zu, der Demokratiebeauftragte fragte, nachdem er einen Artikel über Afghanistan gelesen hatte, den klitzekleinen Forschungsminister, welcher glaubte, sich mit Fußball beschäftigen zu sollen, sagen Sie mal, was halten Sie eigentlich in Ihrem großen Wissen für das Hauptproblem in den Problemzonen dieser Erde, also ich meine, für das Hauptproblem unserer Leute, die da jetzt eingreifen und nicht wissen, wie sie wieder herauskommen, und der klitzekleine Forschungsminister hob noch etwas benommen seinen unverhältnismäßig großen Kopf aus den Seiten seiner Zeitung, um zu sprechen: schlechte Theorie, mein Freund, schlechte Theorie über die Leute und das, was sie brauchen, schlechte Theorie darüber, wie ein Einsatz auszusehen habe, und absurde Erwartungen hinsichtlich dessen, was planbar sei und was nicht, und mit einem resignierten Seufzer wandte er sich wieder dem Fußball zu, in dem gutes Training und Glück in einem geschickteren Verhältnis zueinander zu stehen schienen als in den politischen Fragen der Welt, in welchen allzu viele Experten allzu viel Unsinn durcheinander schnatterten, und der Demokratiebeauftragte blätterte ebenfalls weiter zum Feuilleton.

Samstag, 23. Januar 2010

956.

Die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse hatte den Eindruck, daß ihre ewigen Einwendungen mit jedem Male vergeblicher würden, und diese Beobachtung fand keinen Gefallen in ihren Augen.

Freitag, 22. Januar 2010

955.

Drei Tage nachdem Mr. Precuneus seinen Vortrag mit dem Titel "Der dynamische Arbeitslose der Zukunft in Anlehnung an Benjamin Franklin" nicht nur gehalten, sondern auch als Manuskript verteilt hatte, erreichte ihn die E-Mail eines Pestvogels, welcher sagte, er sei plötzlich selbst von Arbeitslosigkeit bedroht, und das sei nun nicht mehr lustig, Precuneus aber, eingedenk aller der Dinge, die ihm bereits über Pestvogels Auftreten berichtet worden waren, antwortete ungerührt des längeren und breiteren, das müsse er als eine Chance begreifen, sich nun einmal in der Rolle desjenigen zu bewähren, der auch unter äußerem Stress (betriebsbedingte Kündigungen, die 100% der Belegschaft eines Werkes betrafen) stets seine Eigenverantwortung nicht nur in der Normativität, sondern bereits in der Deskriptivität seiner Lagebeurteilung etabliere, er, Precuneus, sei ganz sicher, dies zusammen mit der Bereitschaft, auch und gerade in der Arbeitslosigkeit jeden Morgen um 6.00 aufzustehen, eine Stunde Marathontraining, dann Bewältigung von Papierarbeiten, Anrufe bei der Agentur für Arbeit, Kontakte knüpfen, Netzwerken, ehrenamtliche Aufgaben übernehmen, Sprachen lernen, Computerkurse, Verhaltenstraining usw., und wenn er dann immer noch das subjektive Gefühl der Randständigkeit habe, warum nicht zu einem von den Pestvögeln fliegen, die in Lohn und Brot sind, und ein bißchen in die seelische Gesundheit investieren, was, Herr Kollege, das ist mal eine Herausforderung, sehen Sie es so, und wenn Ihnen das nicht genügt, dann könnte man mit einem Ein-Euro-Job etwas zur Motivation und zur seelischen Gesundheit beitragen, es werde auch empfohlen, einmal ganz ohne alles auszukommen, das setze, wie von einigen Brachvögeln berichtet werde, ungeahnte visionäre Kräfte frei, ach und noch eins, setzte er nach, das Dranbleiben, das Dranbleiben an einer Sache auch mal gegen etwas Widerstand… Email ist doch ein gutes Medium, sagte Mr. Precuneus schließlich zufrieden, am Telefon würde er doch längst aufgelegt haben, und die Kreativleitung wunderte sich sehr, denn sie war nicht so sicher, daß diese Mail zur stets konstruktiven Linie des Mr. Precuneus hundertprozentig passen würde, und sie fragte sich, ob Pestvogels wohl in der Lage wäre, den Sarkasmus nicht auf sich zu beziehen, eine Sorge, die Precuneus nicht teilte, denn er hat doch die tools, sagte er, um diese Mail wie seine Lage positiv zu bewältigen, etwa nicht?

Donnerstag, 21. Januar 2010

954.

Während die Kreativleitung am Telefon mit einer relativ verzweifelten Leitung Öffentlichkeit den erstaunlichen neuen Kurs der Chefin besprach und den Vortrag des Mr. Precuneus vehement verteidigte, kicherte Mo mit dem erzählenden Kranich herum und sagte: "bestimmt sitzen General Winter und Väterchen Frost auf der untersten Stufe des Treppenhauses im Haus der EinSatzLeitung und lachen sich in ihre Fäuste oder Fäustlinge, oder können die beiden selbst nicht frieren?"

Mittwoch, 20. Januar 2010

953.

Am Tag darauf blieb die EinSatzLeitung gar geschlossen, und es war nicht einmal ein Zettel an der Tür, der Sicherheitsbeuaftragte erschien nicht und selbst der erzählende Kranich hatte sich seit dem Wochenende noch nicht wieder in die für seine Ausrüstung einfach etwas zu kalte Luft begeben, sondern war in den privaten Räumlichkeiten, welche die Kreativleitung mit Mo und nun also auch mit ihm teilte, geblieben und hatte versucht, der Kreativleitung ihren Drang, wegen des Teppichs doch mal eben in die EinSatzLeitung zu gehen, auszureden unternommen.

Dienstag, 19. Januar 2010

952.

Selbstverständlich wurde dann auch am nächsten Tag eine Sitzung der EinSatzLeitung abgehalten, das Protokoll wurde geschrieben und abgeliefert mit nur einem Satz pro TOP, deren dritter vorsah, daß es nicht veröffentlicht werden solle, und schließlich hielt Mr. Precuneus zur Krönung der Veranstaltung mit lebhaften Gesten und Worten seinen Kurzvortrag zum Thema "Der dynamische Arbeitslose der Zukunft in Aufnahme einiger Überlegungen von Benjamin Franklin, die im Zeitalter hochentwickelter und jederzeit frei verfügbarer Überwachungstechnik von jedem zu beherzigen sind" - ein Vortrag, dessen Manuskript von denjenigen, die ihn versäumen mußten, jederzeit auf Anfrage bestellt werden kann, hochachtungsvoll, die EinSatzLeitung.

Montag, 18. Januar 2010

951.

Vielen Dank, sagte die Chefin, welche neuerdings eine von diesen Böhnischbrillen trug, die weit vorne auf der Nase sitzen und leicht einen etwas nasalen Tonfall bewirken, als der Buchhalter sie ermahnte, morgen müsse nun aber eine Sitzung abgehalten werden, es ist so gut, daß Sie mich darauf aufmerksam machen, näselte sie, kurz aufsehend aus ihrer Brille (diese blieb auf die Seite des Buches gerichtet, in dem sie gerade las), ich bedanke mich wirklich ganz herzlich, und, da er immer noch nicht ging, fragte sie, gibt es noch etwas, ja, sagte der Buchhalter, die Tagesordnung, der Mr. Precuneus hatte die Idee, ein Kurzreferat über den dynamischen Arbeitslosen der Zukunft in Anlehnung an Benjamin Franklin zu halten, und ich fürchte, wenn er Kurzreferat sagt, dann wird es eher lang, ich habe aber morgen einen Zahnarzttermin, und zugleich möchte ich nicht … gehen Sie zu Ihrem Zahnarzttermin, sagte die Chefin, ich spreche mit Mr. Precuneus, und wenn Sie Angst haben, seinen Vortrag zu versäumen, werde ich Ihnen eine Kopie des Manuskripts ins Fach legen lassen, das ersetzt sicher nicht seinen Auftritt, aber es ist doch immerhin etwas…

Sonntag, 17. Januar 2010

950.

Der Buchhalter erwachte des Morgens, dachte an Zahlen und hatte schon den Eindruck, er wäre wieder einmal zu spät dran mit der Erinnerung der Chefin an die Sitzung, aber ein Blick auf die Skala belehrte ihn, daß man in einem neuen Takt angekommen war und daß es durchaus genügen würde, für Nr. 952 eine Sitzung einzuberufen, erleichtert strich er sich das schüttere Haar aus dem Gesicht und wandte sich seinen Sonntagsroutinen zu (man braucht schließlich ein Alltagsgerüst, wo käme man hin, und man braucht dergleichen auch am Sonntag, man würde ja geistig-seelisch verarmen), nicht ohne eine kleine Notiz anzulegen: morgen die Chefin an die übermorgen fällige Sitzung erinnern.

Samstag, 16. Januar 2010

949.

Der Sturmwind vom Paradies müßte wärmer sein, sagte der klitzekleine Forschungsminister, als er aus der Tasche des Demokratiebeauftragten wieder auftauchte, und die nächste Wochenendschicht soll mal bitte wer anders machen, sagte der Demokratiebeauftragte, indem er nicht nur das Fenster fest schloß, sondern auch den Vorhang zu zog, der in diesem Raum tatsächlich vorhanden war.

Freitag, 15. Januar 2010

948.

Der klitzekleine Forschungsminister und der Demokratiebeauftragte waren soeben in ein heftiges Gespräch über die Totalitarismen der Zukunft vertieft, einen pseudowissenschaftlichen auf der einen, einen religiös-fundamentalistischen auf der anderen Seite des längeren und breiteren ausmalend, als ein Sturmwind das nicht richtig verschlossene Fenster aufdrückte und nichts als eisige Kälte in den Raum wehte, den klitzekleine Forschungsminister dem Demokratiebeauftragten regelrecht in die Jackentasche pustend.

Donnerstag, 14. Januar 2010

947.

Die letzte Äußerung der Dame Ö kam unmittelbar bei der Kreativleitung an, die sich ihre Augen rieb und sagte, ich kümmere mich doch die ganze Zeit darum, wer will, kann ja mal gucken kommen, aber ich denke immer, ihr habt doch nun wirklich anderes zu tun, zum Beispiel mal ein bißchen Grund in eure Durchschauereien kriegen, nein?

Mittwoch, 13. Januar 2010

946.

Als der ehemalige Chef dieses las, mußte er doch mehrfach hinsehen, schließlich knurrte er und sagte, also ich hatte dem Precuneus etwas mehr Augenmaß zugetraut, was meinst du, und als seine Gattin vorsichtig sagte, Dame Ö hielt ihn gleich für etwas überschätzt, antwortete der ehemalige Chef, na, die kanns auch nicht besser, ich frage mich nur, ob ich mit der gegenwärtigen Chefin die Nachfolge richtig geregelt habe, es müßte doch ganz anders durchgegriffen werden…

Dienstag, 12. Januar 2010

945.

Ohne noch zu wissen, wie er anfangen sollte, hatte sich Mr. Precuneus ausgebeten, derjenige zu sein, der die Chefin in Kenntnis setzte von dem, was er in seiner letzten Feinheit herausgefunden hatte, also rückte er nun seine silberne Krawatte über dem lachsfarbenen Hemd zurecht, lächelte so entspannt er konnte und begann frisch heraus, indem er sagte, nach allem, was wir mittlerweile wissen, hat man in beispielloser Gründlichkeit Vergangenheit und genetisches Material aller EinSatzKräfte ebenso wie alle ihre schriftlichen Spuren auf Dinge untersucht, die geeignet wären, einen starken sozioökonomischen Druck aufzubauen, mit dem einzigen Ziel, die charismatische Kraft der Kreativleitung und die Führungskompetenz der Chefin zusammenzuführen, um eine große Mission mit ihrer Hilfe ins Werk zu setzen … wir sollten also Politikerinnen werden, ja, wie Moses und Aaron oder so, und wer hat sich diesen Unsinn ausgedacht, fragte die Chefin und schaute mitleidig auf das etwas verstört wirkende Mo, nun, sagte Karomütze, das muß wie so eine miese Saufidee irgendwo zwischen überaus komischen Leuten aufgesprungen sein, die haben dann zum Beispiel in der Geschichte mit der Marquise von B. und anderem irgendwas gewittert, das ihnen verwertbar schien, tölpelhafte MIßverständnisse natürlich, aber sie haben ziemlich viele Leute ziemlich lange ziemlich schäbig amüsiert, denn andere haben versucht, mit kriminellen Machenschaften oder Liebes-Rache-Händeln draufzusatteln, alles mögliche durcheinander, aber immer wollten die, die sich für die Guten hielten, auch aus dem Hintergrund gute Signale senden, damit Sie Vertrauen hätten, sich dieser Leitung zu überantworten, damit Sie dankbar wären usw., na toll, sagte die Chefin, what else is new, und dann lachte sie, was glauben die wohl, was ich für eine Führungskraft wäre, wenn ich nicht einmal in der Lage wäre, die, die sowas in mir sehen, dahin zu bringen, dies mit mir persönlich zu besprechen wie es sich unter freien Bürgern gehört, wie - und als sie das gesagt hatte, veränderte sich endlich das dunkle Grün im Gesicht der Kreativleitung in Richtung auf ein sehr blasses freundliches Mintgrün, sie strahlte nun zwischen Mr. Precuneus, Mo, Karomütze und der Chefin hin und her, umarmte diese schließlich und sagte, jetzt weiß ich doch wieder, warum ich dich so mag!

Montag, 11. Januar 2010

944.

Während der Buchhalter am Montagmorgen als erstes darüber wetterte, daß die Einträge am Wochenende eine Unregelmäßigkeit aufwiesen, und Mo die neuen Beinkleider des erzählenden Kranichs bewunderten, gingen die Kreativleitung, Karomütze, Mr. Precuneus und der Demokratiebeauftragte in das Chefinnenbüro, um zusammenzutragen, was die Wochenendausflüge ergeben hatten, Precuneus insbesondere hatte lange darüber nachgedacht, wie er die Ergebnisse seiner Recherchen so präsentieren könne, daß sie kein Chaos auslösen würden, und er hatte bei der Gelegenheit bemerkt, daß er von der Kreativleitung zwar einiges verstanden hatte mittlerweile, vom Chefinnenwesen und den Gestalten um den Demokratiebeauftragten (Warte, Oberassistent, klitzekleiner Forschungsminister) aber noch ziemlich wenig.

Sonntag, 10. Januar 2010

943.

Wieso fährt die ausgerechnet an so einem Wochenende an die Ostsee, und dann auch noch mit Karomütze, fragte der Kwaliteitswart die allgemeinste Verteidigung, während er die Spülmaschine ausräumte, und die allgemeinste Verteidigung, die dem fröhlich glucksenden Kleinchen etwas aus einem Gläschen gab, sagte, wieso interessiert dich das, ich bin froh, daß sie erstmal wieder da heraus sind, und warum sollen zweieinhalb einsame Menschlein nicht mal einen Ausflug zusammen machen, besonders froh werden sie schon nicht gewesen sein zu dritt eingesperrt in der Schneewehe, statt draußen herumzutollen, und die anderen Einsatzkräfte vom Rettungsdienst werden auch geflucht haben, grummel du mal nicht auch noch, ich grummel doch gar nicht, brummelte der Kwaliteitswart, ich will nur wissen, was die ausgerechnet miteinander wollen, der Altersunterschied ist doch…ich glaube, sie coacht ihn etwas, sagte die allgemeinste Verteidigung, und er bringt ihr etwas Sicherheitstechnik bei, und ich wette mit dir, wenn er auf die Idee verfiele, auf die er nicht verfallen wird, also ihr Avancen zu machen, dann würde sie, wie sie so ist, lieber sagen, sie könne grundsätzlich nicht, als daß sie ihm sagen würde, dich will ich nicht weil, und er wäre dann hoffentlich klug genug, das als Schonung und Höflichkeit zu begreifen, meistens nehmen sies aber wörtlich und machen daraus dann eine Macke der Kreativleitung, das ist so ihre Art, sich ein Bein zu stellen, ich dachte, das hättest du mit deinem coacherischen Scharfsinn längst bemerkt, nein?

942.

Sollen wir Daisy die Schuld geben, oder nehmen wir sie auf uns, also die Schuld dafür, daß wir heute erst nach Mitternacht einen EinSatz zustande bringen, fragte Dame Ö den erzählenden Kranich, welcher in der Kreativabteilung vor sich hin bibberte, aber nicht imstande war, eine Tastatur zu bedienen, und der erzählende Kranich sagte, es ist mir egal, ich bin so froh, daß Sie noch gekommen sind, und ich kann gar nicht fassen, was für herrliche Beinkleider Sie mir mitgebracht haben, haben Sie die tatsächlich selbst geschneidert, ja, sagte die Dame Ö, die im Grunde eben doch ein Herz für das Tier hatte, ich dachte, irgendwann werden Sie es brauchen.

Freitag, 8. Januar 2010

941.

„Die Zukunft, die Zukunft, du sollst dich für die Zukunft … sagte der Spieß dem murrenden Soldaten, der fand, er habe, da er seine Zukunft riskiere, doch Anspruch auf ein wenig Gegenwart, und der Soldat sah ihn an mit einer unbeschreiblichen Mischung aus Wut und Resignation, bis er plötzlich den Spieß am Schlafittchen packte und fragte, was wollen Sie mir eigentlich hier sagen, und der Spieß, indem er sich aus dem Griff des Untergebenen befreite, sagte, schon gut, gehen Sie Fußball spielen, wer weiß, wann Sie es wieder können, aber glauben Sie nicht, Sie entgehen einer kleinen Disziplinierung nach dieser Schlafittchenpackerei,“ las das Kind, und dann fragte es, was ist überhaupt ein Schlafittchen, da sagte die Mutter, das weiß ich eigentlich auch nicht so genau, weiß das hier jemand?

Donnerstag, 7. Januar 2010

940.

Neuerdings reicht es nicht mal mehr für Kommentare, bemerkte der ehemalige Chef zu seiner Gattin, was ist in der EinSatzLeitung los, meinst du, Karomütze ist wirklich in Bedrängnis?

939.

Das kanns nicht sein, oder, sagte die Kreativleitung, als ihr Karomütze vorgelegt hatte, was er seinen Werbern entgegenhalten wollte: "ich interessiere mich für konkrete Angebote, nicht für Versuche, aus mir als meinen eigenen Willen und meine eigene Initiative herauszuholen, was nun einmal nur eure Vorstellung und euer Wille ist," ich meine, das haben Sie doch schon öfter gesagt, das läßt die doch völlig kalt, die haben ihr System, das ziehen die durch, da sind die völlig schmerzfrei, und sie putzte sich noch einmal schnell die Nase, war aber eigentlich froh, wieder im Büro zu sein, also wir müssen anders handeln, die Idee, sie zum Denken zu bewegen, ist eher sinnlos, mein Guter, sie denken doch, sie wären es, die uns zum Denken bewegen müßten, ich würde ja lieber etwas anderes sagen, aber es gibt wohl nichts anderes, diese Werber heute sind anders als die früher, und sie wollen auch anderes, etwas, an das sie selbst fester glauben als die früher, da muß man neu nachdenken.

Mittwoch, 6. Januar 2010

938.

Solche Augen habe ich doch wirklich nicht, sagte Mo, und zeigte der weiter mit Grippe darniederliegenden Kreativleitung, die zu unterhalten sie sich vorgenommen hatte, das Bild eines Lemuren, es stimmt nicht, was man über mich erzählt, ich bin kein pelzig-nachtaktives-Apfelfresserchen, nur weil seit meiner Gesamtschrumpfung die Augen etwas groß sind, es stimmt ganz einfach nicht, und in wild gespielter Empörung hüpfte sie so lange um das Bett der Kranken mit ihren glühenden Wangen herum, daß diese schließlich matt fragte, hast du nicht selbst etwas zu schreiben, aber die Antwort blieb aus, stattdessen schien die gespielte Empörung auf dem Gesicht des Wesens sich in eine ernste zu verwandeln - denk doch einmal nach, insistierte die Kreativleitung mit geschlossenen Augen, du könntest etwas darüber schreiben, wie Karomütze und Mr. Precuneus ausziehen, um "Robin Hood" und andere Nutznießer einiger früherer B-Ebenen zu stellen und ihnen vor Augen zu halten, was sie mittelfristig erwartet, wenn sie kooperieren, und was, wenn sie nicht kooperieren, ach sonen Quatsch will ich doch nicht schreiben, sagte Mo, nun bereits sehr verärgert, wenn schon, dann schreibe ich etwas über madegassische und monegassische Monarchenkinder oder so - und plötzlich leuchteten ihre Augen hell auf, sie sah wirklich GAR nicht lemurisch mehr aus, sondern wie das, was sie war: ein emsiges kleines Wesen, das seinen blauen Prachtmantel suchte, weil es meinte, ohne diese Gewandung nicht recht über madegassische und monegassische Monarchenkinder schreiben zu können, und die Kreativleitung hatte noch einmal etwas Ruhe.

Dienstag, 5. Januar 2010

937.

Die Kreativleitung, schwer schniefend und krächzend, begab sich spät am Tage noch in ihr Büro, um den fälligen EinSatz abzusetzen, aber sie konnte sich nicht daran hindern, der Chefin, die sie im Treppenhaus traf, zuvor den Vorschlag zu machen, einfach aus gegebenem Anlaß auf den Artikel http://www.heise.de/tp/r4/artikel/31/31745/1.html hinzuweisen und zu sagen, ist das nicht eine gute Gelegenheit, unsere EinSätze zu beenden und in ein völlig unauffälliges Leben zurückzukehren, stets liebenswürdig und beinhart im Durchsetzen, ja, hm, welcher Interessen aber, also das lohnt sich alles irgendwie nicht mehr, es ist dir doch nicht etwa der Sinn abhanden gekommen, fragte die Chefin besorgt, nein, sagte die Kreativleitung, den habe ich als Kategorie schon vor Jahrzehnten ausgeschlossen, aber ich glaube, ich habe etwas Fieber, ach so, sagte die Chefin, mit Fieber soll man keine weitreichenden Entscheidungen treffen, und ich bin ja auch noch da, und all die anderen…

Montag, 4. Januar 2010

936.

Soeben fragte Karomütze den Kollegen Precuneus, woran er diesmal die Abgesandten erkannt habe, ihm seien sie zwar auch komisch vorgekommen, aber er hätte kein Kriterium gewußt und sich deswegen lieber wieder für paranoid gehalten, Mr. Precuneus setzte gerade an zu antworten, nun, erstens wollen diese Leute heimlich immer erkannt werden, um sich ihrer Überlegenheit auch im Spiegel des Verschobenen (sagt man doch so oder?) zu erfreuen, und zweitens kennen sie sich und die Schwierigkeiten selten gut genug, um wirklich alle Fehler zu vermeiden, nehmen wir zum Beispiel die Gattin dieses Mannes heute, die hielt einen Vortrag über die gelingende Ehe, sah dabei insbesondere Sie immer sehr aufmerksam an, und fragte kein einziges Mal einen von uns, ob wir überhaupt verheiratet seien, das ist so eine Sache, kann man noch als menschliche Nachlässigkeit wegen zu großer Befangenheit in den eigenen Gedanken verbuchen, dann aber geht es weiter, der Mann spricht obsessiv von Hunden und Pferden, ich gebe ihm ein Zückerchen und sage, Karomütze hier, der ist unser bestes Pferd im Stall, und kurze Zeit später blitzt und funkelt die Dame, weil man mit ihr Pferde stehlen könne (dabei dieses neckische Rüberschielen zum Gatten, "das sagst du doch immer, gell" zum Piepen, überhaupt dieses "gell"), aber am lustigsten fand ich die Charme-Offensive zusammen mit der ungebetenen Rechtfertigung, warum man der entlassenen Sekretärin nichts über die Gründe für ihre Entlassung gesagt habe, natürlich, um sie nicht zu quälen usw., es hatte jedoch niemand danach gefragt … Karomütze aber hörte schon gar nicht mehr zu, denn sein Blick war auf das Schild "Jonglier-Katakomben" gefallen, und er dachte, seiner Globensammlung fehle noch just so ein aufblasbarer Globus wie der, mit dem Charlie Chaplin im großen Diktator jongliert.

Sonntag, 3. Januar 2010

935.

Der Schnee, der Schnee, tiddly-pom, in dem ich geh, tiddly-pom, in dem Schnee, tiddly-pom, im Schnee, summte das Kind, als es sein Fahrrad in den Keller trug, so sehr begeisterte es sich für das Winterwetter und die Erinnerung an jene Vorlesestunden der eigentlichen Kindheit, wenn die Chefin (damals noch Demokratiebeauftragte) nachhause gekommen war und aus dem Buch über den Bären von sehr geringem Verstande vorgelesen hatte, es war zudem sehr stolz, ohne einen Unfall über die teils glatten, teils matschigen Wege nachhause gekommen zu sein, aber als es nun die Treppe hinauf stürmte, um sich schnell einiger überflüssiger Flüssigkeiten zu entledigen, fiel es über seine eigenen Füße und zog sich einen großen blauen Fleck am Knie zu, da hörte es auf zu summen und fing erst nach Abschälung aller Wintersachen, Erledigung aller nötigsten Angelegenheiten und einer lauten Klage wieder damit an.

Samstag, 2. Januar 2010

934.

„Endlich mal wieder ein Artikel über das Jammern der Deutschen, klassisches Neujahrsloch,“ knisterte der klitzekleine Forschungsminister in die Zeitung, welche er, gemeinsam mit Mo auf dem Tisch im "Bistro" stehend, von ihrer Rückseite las, während die Kreativleitung, die eine durchaus rücksichtsvolle Weise, die Zeitung zu halten, entwickelt hatte, sich in den vorderen Teil vertiefte, „und,“ fragte die Kreativleitung, „was schreiben sie,“ „natürlich, daß wir Europameister darin sind,“ sagte der Klitzekleine, „sie machen sogar mit einem ungewöhnlichen Titel auf, aber dann kommt nur der alte Quatsch, umbewerten, usw., so wird aus Ohnmacht Handlungsfreiheit und noch aus den schlimmsten Dingen, Krebs und Tuberkulose, eine Chance, und wer es nicht so nimmt, der taugt doch nichts,“ „gute Idee,“ sagte Mo schmunzelnd, „heute bewerte ich meine Gefangenschaft mal positiv als Gelegenheit, meine Fehler zu erkennen, sagte der politische Gefangene, denn er fürchtete sich sehr, seine letzten Freunde zu verlieren oder etwa als Vorbild zu versagen und wollte auch nicht noch einmal das wiederholen, was ihn in seine mißliche Lage gebracht hatte, so stelle ich mir auch immer die Vorbilder vor,“ und die Kreativleitung sagte, „es kommt eben nicht jeder aus den Allmachtsphantasien der Pubertätszeit heraus, man muß versuchen, das positiv zu sehen und ein Kriterium daraus zu machen: wer Kenntnis von Ohnmacht hat und nicht bereit ist, sie umzulügen in eine von ihm selbst herbeigeführte und von ihm durch Umwertung beeinflußbare Situation, mag er auch dennoch bereit sein, mit dem Rest seines Lebens noch das Beste anzufangen, sollte vielleicht Eis verkaufen oder politischer Gefangener werden oder irgendetwas anderes machen, aber niemals niemals Coach oder Menschenführer oder Lehrer oder Journalist oder General oder Sanitäter oder irgendetwas anderes besonders wertvolles zu werden versuchen, besser ist, man erhält sich eine gewisse Allmachtsillusion bis ins hohe Alter, dann wird das schon, aber haben sie im Ernst so Dummes geschrieben wie das, was Sie da soeben referieren, das kann ich mir bei den guten Menschen gar nicht vorstellen, das ist hier doch eine seriöse Zeitung!“

Freitag, 1. Januar 2010

933.

Die Feier wurde dann trotz allem auch sehr fröhlich - und am anderen Morgen, der wegen der nächtlichen Dinge sehr in den Mittag hineinverlegt worden war, sagte die Chefin, indem sie vor einer improvisierten Kamera ihren Blazer zurechtrückte, um deutlich zu machen, daß es nunmehr eine Neujahrsansprache gebe, sie sei hocherfreut, daß sie keine die ganze Welt betreffenden Dinge zu wiederholen habe, die seien wie immer überall schon besser gesagt als sie es je können werde (bei dieser Gelegenheit verdrehte die Leitung Öffentlichkeit, die ein ziemlich gewachsenes Kind im Schoß hielt, die Augen, der Kniff erschien ihr gar zu bekannt), sie habe aber einen Vorschlag oder eine Anregung an alle, die sich für ernste Vertreter der Idee der Menschenrechte und der Freiheit hielten: einfach mal ein Jahr alle Anfragen, die man an jemanden habe, alle Anklagen, die man gegen ihn vorzubringen habe, alle Verdächte, die man gegen ihn hege, alle Bedenken, die man ihm gegenüber habe, offen und mit der Möglichkeit des Einspruchs dem Betreffenden vorlegen, einfach mal ein Jahr lang wirklich die Verantwortung für Dinge, die man "um jemandes willen" oder "um jemanden zu erreichen" oder "gegen jemanden" unternommen habe, dem Betreffenden gegenüber zu übernehmen, einfach, mit anderen Worten, denjenigen gegenüber, auf deren Leben man in der einen oder anderen Weise einwirke, direkt die Verantwortung zu übernehmen und ihnen damit den gebührenden Respekt zu erweisen, und, fügte sie abschließend hinzu, Sie werden staunen, wie schwer Ihnen das fällt, wie viele Gründe Sie suchen und sich erfinden werden, um es doch so nicht zu tun; sollten Sie es jedoch einmal wagen, mindestens mal gegenüber den halbwegs intelligenten und zivilisierten Personen (mit wagen meine ich, sich wirklich auch dem Widerspruch, der Klage und der Ablehnung aussetzen, die Ihnen ja, wenn bestimmte Dinge klar werden, entgegenkommen könnten), werden Sie staunen, wie gut es Ihnen selbst dann tut, wenn Sie nicht das erreichen, was Sie sich erhofft haben mögen, Sie werden plötzlich ein von Schuldabwehr entlasteter Mensch sein.

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