Mittwoch, 30. September 2009

840.

Mr. Precuneus streckte sich behaglich in der Sonne des letzten Septembermorgens und dachte, ich bin nun schon eine ganze Weile hier und habe immer noch nicht ausführlicher mit Mo gesprochen, das muß sich ändern, und so entschied er, sich recht herbstfarbig anzukleiden, tannengrüne Cordhose, schilfgrünes Hemd, rostrotes Sakko mit Gießkannendruck, dottergelbe Krawatte mit bläulichen Schmetterlingen, und als Krönung des Ganzen eine Pepitamütze in verschiedenen Gelbtönen mit schwarzen Unterbrechungen, um sich auf den Weg in die EinSatzLeitung zu machen, wo er direkt die Kreativabteilung ansteuern wollte … aber wieder einmal wurde er von Karomütze noch vor der Tür abgefangen, denn Karomütze, der seit kurzem und nachdem er ein Gespräch zwischen dem klitzekleinen Forschungsminister und Precuneus am Telefon mit gehört hatte, wußte, daß Precuneus eine gewisse Skepsis gegenüber gewissen sogenannten Wissenschaften und ihren Gläubigen nicht so sehr aus Verhaftung in magischem Denken, sondern mehr aus emotionsloser Distanz und sehr hartem Methodenrigorismus, wie ihn nur der lernt, der keine persönlichen, familiären und rancunösen Ehrpusseligkeiten mit bestimmten Wissenschaftsautoritäten verbindet, pflegte, war zu einer von diesem Kohlberg mit Hilfe einiger Politiker und sogenannter Experten einberufenen "Aussprache" - "noch außergerichtlich," das schreiben die innerhalb eines Tages, "noch," überkreischte sich Karomütze - "einbestellt" worden - das haben sie mir mit dieser liederlichen Dame-Ö-Story eingebrockt, maulte Karo, und die Leitung Öffentlichkeit ist natürlich krank, die Chefin will erst selbst gehen, wenn mein EinSatz scheitert, das geht doch auch nicht - kurzum, er brauchte die Hilfe des Praktikanten, da ist, sagte er noch - noch, lachte Precuneus-, so ein ziegenbärtiger Wichtigtuer dabei, der glaubt, er habe die Weisheit mit Löffeln gefressen, und die anderen glauben es ihm auch, sagte Karomütze, und Precuneus seufzte und sagte, ich hatte eigentlich gerade - aber dann setzte er sich doch auf den Beifahrersitz des schwarzen Alfa und begann genüßlich auf seinem Kaugummi kauend, ein paar kleine saubere Stichsägenschnitte an den Argumentationen, die Karo ihm nach und nach referierte, anzubringen.

Dienstag, 29. September 2009

839.

Die Dame Ö hatte sich einen alten Schaukelstuhl aus dem Keller geholt und ihn vor ihrem Fernsehgerät aufgebaut, um immer schön auf dem Laufenden zu bleiben, die Auslandseinsätze wurden ja täglich problematischer, da brauchte man Bilder, etwa nicht - und als sie an diesem Abend noch sehen wollte, wer denn eigentlich in der Talkrunde, die sich mit der wahrhaftig brennenden Frage der Probleme von Knaben an höheren Schulen beschäftigte (natürlich in diesem blödsinnigen TV-Deutsch, dachte sie brauenhebend, und da ihr Sohn so gar kein derartiges Problem je gehabt zu haben schien, meinte sie, man müsse achtgeben auf derartige Wasserglasstürme, sie wären sicher der Anfang einer neuen Totalisierung der Gesellschaft) so mitsprechen würde, entdeckte sie zu ihrem Erstaunen den ehemaligen Projektentwickler und noch ehemaligeren Leiter der Abteilung Öffentlichkeit unter den Talkwesen, vorgestellt wurde er nunmehr als neuer Leiter eines jungenpädagogischen Projektes im Umland, er wirkte ein bißchen dressiert und überschlug sich beim Sprechen über das "Aufbrechen von eingefahrenen Rollenmustern" nicht mehr gar so sehr wie früher, die Dame Ö lachte und sagte, haben die Schlauberger ihn eins weiter gekolbergt, wie schön sie das gemacht haben, wie herrlich nun auch, daß sie alle immer so genau wissen, wie mans macht, schade nur, daß sie darüber völlig vergessen, ihre lächerlichen Ziele in Frage zu stellen, aber Kolberg bleibt Kolberg, wer in diesem System steckt, guckt nie heraus, dachte sie, und sie schaltete den Fernseher ab, um ein wenig spazieren zu gehen, bevor sie sich dann wieder ihrer Arbeit zuwenden würde, der einzigen Form, in der man seinem Bedauern über die schweren Verluste an Reflexionsvermögen in der Welt noch einen sinnvollen Ausdruck verleihen konnte, dachte sie.

Montag, 28. September 2009

838.

Der Demokratiebeauftragte hatte noch immer nicht vernommen, was den klitzekleinen Forschungsminister beschäftigte, er hatte weiß Gott andere Sorgen als das magische Denken des Praktikanten, er war hier schließlich Beauftragter und hatte der Chefin valide Informationen vorzulegen, die Wahlen zu ignorieren war aber sowieso seine Sache nicht, im Gegenteil, er zog sich alles rein, was es dazu zu hören und zu lesen gab, und als er schließlich vom Buchhalter an seinem Platze aufgestört und zu irgendwelchen Effizienzdingen befragt wurde, sagte er, was, Effizienz, seit wann haben Sie so ein Leistungsträgergesicht, haben Sie denn FDP gewählt, Sie sehen gar nicht danach aus, und der Buchhalter sagte, ach Quatsch, aber ich bin beauftragt worden zu prüfen, was man tun könne, um bestimmte Leute, die nach Bummelanten aussehen, wieder in die Arbeitswelt zu integrieren, und der Demokratiebeauftragte sagte, was ist das für ein dummes Gewäsch, einfach gar nicht erst rausschmeißen aus der Arbeitswelt, dann muß man hinterher auch nicht groß integrieren, wenn Sie sonst noch Fragen haben, zu Postenverteilungen in irgendwelchen Koalitionen usw., wenden Sie sich gern wieder an mich, und der Buchhalter griff sich an den Kopf.

Sonntag, 27. September 2009

837.

Die Kreativleitung hatte sich, um ihre Verabredungen mit der Chefin einzuhalten, fest vorgenommen, keinen Satz zu schreiben, der in irgendeiner Form auf die Wahlen im Lande beziehbar wären, es fiel ihr aber schwer, und als sie von ihrem nach gemeinsam vollzogener je geheimer Wahl mit anderen EinSatzKräften unternommenen ausgiebigen Ausflug in das Herbstland zurückkehrend noch einmal in das Atelier gegangen war, hatte sie dann doch alle Sender aufgedreht, sich auf ihren Teppich gelegt, Die Füße auf dem Drehstuhl, Mo auf ihren Knien kreiselnd, und sich angehört, was nun alle meinten sagen zu müssen, es gefällt mir gut, sagte Mo, indem es an einer übriggebliebenen Apfelschale knabberte und fand, das schmecke auch erstaunlich gut, so lange sie über Wahlen reden, machen sie keine Gefangenen, und damit sind sie doch schon erheblich weiter als so manche andere Leute in den verschiedenen EinSatzGebieten, nein?

Samstag, 26. September 2009

836.

Ein hoher Herbsttag ging zuende, und Mr. Precuneus hatte wieder einmal von der allgemeinen Aufregung nicht viel Wind bekommen, er hatte vielmehr im Garten des ehemaligen Chefs die von ihm selbst reparierte Hollywoodschaukel genutzt, um ein wenig in den Büchern zu lesen, die ihm über die seltsamen Gewohnheiten organisierter Mitteleuropäer Aufschluß geben sollten, und das Stichwort "magisches Denken" hätte ihm so wenig gesagt wie das Stichwort "edler Wilder," man kann schließlich nicht alles auf sich beziehen, was so geschwatzt wird, sagte er, und über die Verbindung von Projekt und Vorwurf wollte er noch einmal gesondert nachdenken, wenn Zeit wäre.

Freitag, 25. September 2009

835.

Der klitzekleine Forschungsminister hatte sich stillheimlich vorgenommen, dem Mr. Precuneus immer mal wieder ein paar gezielte Fragen zu stellen, um herauszufinden, ob nicht doch noch irgendwelche magischen Reste in seinem Denken vorhanden seien (immerhin kommt er doch aus Afrika, und das zu erforschen gibt es hier ja ganze Lehrstühle), und es interessierte ihn ganz bei sich, wie ein Mann wie Precuneus wohl auf das schauen würde, was man ja wohl auch in den diversen hauptstädtischen Parks derer Brachvögel jedenfalls von außen als Elemente magischen Denkens betrachten würde, wenn man mal den allzu selbstverständlich mit wissenschaftlichem Vokabular herumwedelnden Gestus derer Brachvögel nicht gar so ernst nahm, aber wie er es in Ansehung seiner persönlichen Winzigkeit schaffen sollte, in die Umgebung dieses reichlich oft aushäusig tätigen Praktikanten zu kommen, das war ihm noch nicht ganz klar, und so beschloß er, erst einmal eine kleine Unterredung mit dem Demokratiebeauftragten herbeizuführen, welchen er als Verbündeten zu gewinnen hoffte (die Brachvogelfrage konnte er ja dabei einmal außen vor lassen, denn immerhin hatte der Demokratiebeauftragte eine einschlägige Vergangenheit, mochte er auch von den Anhängern zerschmetternden Glaubenszwanges sich entschlossen losgesagt haben, und das in einer Zeit, in der die gerade wieder mächtigen Auftrieb zu haben schienen in den diversen Volieren der Stadt, aus denen der Lärm ihrer Rückkehr zum ganz autoritären, vor keiner Überwachung und keiner gewaltsamen Brechung zurückschreckenden alten Brachvogelstile drang, wann immer man an ihnen vorbei kam) - als er sich aber in der Frühe auf dessen Schreibtisch zurechtsetzen wollte, huschte etwas von dem Platz, den er auf diesem Tische für den seinen zu halten gewohnt war, und für einen Moment glaubte er, ein auch etwas verkleinertes Schadchen zu erkennen, doch er hatte seine Brille noch nicht auf, und in Geräuschen kannte er sich nicht so aus.

Donnerstag, 24. September 2009

834.

Du siehst, man nimmt unsere Anregungen auf, sagte die Kreativleitung betont aufmunternd zu Mo, als dieses, endlich wieder erwacht, verzückten Gesichts seine Apfelstückchen in Honig stippend auf dem großen Ateliertisch saß und die Ohren spitzte, um der Stimme der Nachrichtensprecherin zu lauschen, welche gerade verkündete, jemand habe aufgerufen, die Anzahl der Militär-Psychiater aufzustocken; Mo aber legte schnell den Zeigefinger vor den Mund, zischte ppsssst, ich höre, ich sehe nicht, und der Diskurswart, der gerade mit seinem Kräuterteepappbecher hereingekommen war, um ein paar Papiere zu übermitteln, sagte, ihr glaubt jetzt nicht im Ernst, daß ihr diese Forderung provoziert habt, indem ihr einmal einen Satz aus den Annotatiunculae eines Mannes zitiert habt, der gerade mal zwei Jahre Psychiater bei der Britischen Armee war, oder?

Dienstag, 22. September 2009

833.

Die Kreativleitung hatte von den Aufregungen nicht wirklich Kenntnis genommen, sich nur gewundert, daß Mo mal wieder unter ihren karierten Schal gekrochen und in ihren ohnmächtigen Schlaf verfallen war, aber als sie einer spontanen Intuition folgend ein Buch mit dem Titel "Knoten" zur Hand nahm, in welchem sie interessante Anregungen für ihren Wandteppich suchte, fand sie einen ohne Punkt und Komma aber in hier nicht imitierbare Absätze gegliederten Satz so entzückend, daß sie ihn in ihrer naiven Begeisterung sogleich der Dame Ö mailte: 'Es muß etwas mit ihm los sein denn so würde er sich nicht verhalten wenn nichts wäre also verhält er sich so weil etwas mit ihm los ist Er glaubt nicht, daß etwas mit ihm los ist weil ein Teil von dem, was mit ihm los ist ist, daß er nicht glaubt, daß etwas mit ihm los ist also müssen wir ihm helfen zu erkennen, daß die Tatsache, daß er nicht glaubt, daß etwas mit ihm los ist ein Teil von dem ist, was mit ihm los ist es ist etwas mit ihm los weil er glaubt es muß etwas mit uns los sein wenn wir versuchen, ihm zu helfen, damit er sieht daß etwas mit ihm los sein muß zu glauben, daß etwas mit uns los ist wenn wir versuchen, ihm zu helfen, damit er sieht, daß wir ihm helfen zu sehen, daß wir ihn nicht bedrängen indem wir ihm helfen zu sehen, daß wir ihn nicht bedrängen indem wir im helfen zu sehen, daß er sich weigert zu sehen daß etwas los ist mit ihm wenn er nicht sieht, daß etwas los ist mit ihm weil er uns nicht dankbar ist daß wir zumindest versuchen, ihm zu helfen zu sehen, daß etwas los ist mit ihm weil er nicht sieht, daß etwas mit ihm los sein muß weil er nicht sieht, daß etwas mit ihm los sein muß weil er nicht sieht, daß etwas los ist mit ihm weil er nicht sieht, daß etwas los ist mit ihm weil er nicht dankbar ist daß wir ihn niemals dazu anhielten sich dankbar zu fühlen,' nun sagen Sie doch mal, wie finden Sie denn das, schrieb sie, und es war nicht so, daß die Dame Ö nun gar kein Verständnis für solche im Steppstich genähten Sätze gehabt hätte.

832.

Die Dame Ö, welche sich in letzter Zeit öfter zu sehr zurückgewiesen gefühlt hatte durch die Kreativleitung, kam nach einem ausführlichen Telefonat mit einer Freundin, die enthusiastisch aus den Niederungen der minderen Sprachen heimgekehrt war und von Behandlungskünsten der Pestvögel gleichsam berauscht berichtet hatte, zu dem Schlusse, daß mit der Kreativleitung etwas nicht stimmen könne und geschehen müsse, und sie fragte sich, mit wem sie zuerst darüber sprechen sollte, wer aber käme in Frage, die Chefin wohl kaum, die würde ja immer zu ihrer alten Freundin halten, vielleicht der Demokratiebeauftragte, aber auch da war sie nicht so sicher, vielleicht der Kwaliteitswart, der könnte sich ein wenig ärgern, weil er zu spät bemerkt hatte, daß die zum Ergrünen neigende höchstselbst zuweilen ein innigeres Interesse an ihm genommen (sie wußte aus eigener Erfahrung, daß ein Mann, dessen Frau gerade ein kleines Kind hat, zu einigen Gemeinheiten gegen fremde Frauen gerade dann imstande ist, wenn er sich der eigenen Gattin gegenüber im Rahmen der guten Ordnung zusammenreißt), aber sicher kann man da bei den Niederländern auch nicht sein, die sind doch gar zu entspannt, dachte sie, und so erwog sie allen Ernstes, es über sich zu bringen und sich beim Buchhalter zu beklagen, daß die Kreativleitung doch im Grunde wie in einem Kokon zu leben scheine, und daß da mal etwas geschehen müsse, aber der Buchhalter, wie sich herausstellte, erinnerte sich einiger sehr herzlicher Szenen aus den früheren EinSätzen und konnte sich nicht beklagen, er murmelte nur verdrossen, wieso, diese Kreativen sind immer ein bißchen bei ihren Sachen, ich bin auch immer ein bißchen bei meinen Zahlen, und wenn ich mit Ihnen und Ihrer unerträglichen Aufmerksamkeit in einem Büro arbeiten müßte, würde ich mir auch ein Kokon anziehen, das heißt doch nicht, daß sie es immer hat, oder, und die Dame Ö hob die Braue und fand, das sei nun doch ein wenig unverschämt gewesen, nein?

Sonntag, 20. September 2009

831.

Die Gattin des ehemaligen Chefs mußte selbst ein wenig schlucken und dann etwas nachdenken, bevor sie sich zu folgender Antwort entschloß: es ist die - selten einmal und fast nur bei Weitgereisten und längst nicht bei allen von diesen überwundene - Armseligkeit in der Relation zu den Problemen anderer; entweder sie ziehen sich feige zurück, wollen keine Zielscheibe sein, achten auch ein wenig auf ihre Gesundheit usw., oder sie bemächtigen sich in einer Indezenz, krempeln alles um, rücken mit Hubschraubern, Bomben und Opferbereitschaft vor und zwingen Menschen, die sie auf blödsinnig sadistische Weise drillen, dazu, mitzumachen bei ihrer großen Sache, aber diese feinen Wege, diesen gutmütig gradlinigen Aufbau, die Verknüpfung von Geschäftsinteressen mit menschlich-gesellschaftlichen Erneuerungen, die so leichthändige wie prinzipienfeste Erneuerung, die doch auf nichts besser zu gründen wäre denn auf die Lehren des größten deutschen Philosophen und seiner besten jüdischen Leserinnen und Leser, die können sie nicht nur nicht, sondern sie schlagen sie, wo sie sie treffen - und nach einer kleinen Pause sagte sie, das würde ich heute sagen, nachdem ich ein paar Zeitungsartikel gelesen habe, die auf komische Weise die Ereignisse der letzten Tage miteinander verknüpfen, und dann ging sie zu ihm, legte ihm ihre kühle Hand an die erhitzte Wange und sagte, es tue ihr leid, daß er sich von ihr gering geschätzt fühle, sie habe stets nur das Ihre beitragen wollen zu seiner Arbeit, es sei sicher auch übergriffig gewesen, darin ihre eigene Arbeit zu sehen, sie habe von der neuen Zeit gelernt, heute würde sie es anders machen, aber das würde von ihm, hier schmunzelte sie vorsichtig und murmelte beschwörend, glaubs mir, sehr viel mehr eigenes Einsehen verlangt haben, und, ihre Hand wieder zurückziehend, resümierte sie, dies zu wissen, habe sie gelegentlich geringschätzig gestimmt, und sie dachte, nun habe sie doch sehr viel gesagt, aber dem Alten war das alles längst wieder peinlich, zumal er nicht bemerkt hatte, daß Mr. Precuneus sich dezent in die hinteren Räumlichkeiten verzogen hatte.

830.

Wieder und wieder hatte der ehemalige Chef versucht, seine Anteilnahme an des Buchhalters Problemen mit dem Zahlenfehler und dem Hemde seinem Wohngast verständlich zu machen, aber Mr. Precuneus hatte stets geantwortet, es gebe wirkich dringendere Probleme, von deren Lösung man hier allzuweit entfernt sei, und die Gattin des ehemaligen Chefs schien so nachhaltig die Partei dieses Zugereisten ergriffen zu haben, daß der alte Herr mit seiner karierten Decke über den Beinen auf der Veranda sitzend sich schließlich entschloß, ihr eine Frage zu stellen, die ihm im Grunde seit Jahrzehnten durch den Kopf gewandert war, ohne indessen jemals an die Oberfläche seiner Lippen gedrungen zu sein, und er fragte mit mühsam unterdrückter Feierlichkeit: Meine Liebste, was ist es eigentlich, das Dich so tief und fest von der Dummheit deutscher Männer überzeugt sein läßt, daß Du selbst Deinen Dich treu und ergeben seit so vielen Jahrzehnten liebenden Mann nicht von dieser Deiner Geringschätzung scheinst ausnehmen zu können?

Samstag, 19. September 2009

829.

Ist Ihnen, Verehrteste, eigentlich entgangen, daß die EinSätze an einer Stelle etwas durcheinander gekommen sind, fragte der Buchhalter, der längst wieder wie eh und je sein kariertes Flanellhemd über seinem noch nicht sehr erheblichen Bauche in seine Hose stopfte, die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse, welche in den letzten Wochen Zahlendienst geschoben hatte, da stimmt etwas mit Zahlen und Daten nicht, wie konnte das passieren, und Karomütze, der neuerdings einen Impuls fühlte, diese etwas brüchige Dame still, aber konsequent zu verteidigen, sagte, es war der Feind, der Feind ist in sabotierender Absicht in unseren Blog eingedrungen, pass auf, sagte der Buchhalter, wenn du so redest, kommt gleich wieder der Pestvogel, und Karomütze verzog seinen Schlitzmund sehr schief und sagte, mit dem werde ich auch noch fertig, mit dem bin ich schon immer fertig geworden, die Kraft des Wortes ist auf die Dauer größer als die der Schnäbel, glaub mir, und dann dachte er, man müßte dem Buchhalter einen Hilfsvogel beigeben, der ihm mit seinen Hemden hilft, oder irgendeine Gehilfin, aber sowas paßte ja zu dem nicht, und er beschloss, Precuneus um eine Idee zu bitten, der war wenigstens manchmal originell.

Freitag, 18. September 2009

828.

Guckmaleineran, sagte der Demokratiebeauftragte in die großen fragenden Augen des Mr. Precuneus, der zwar große Fortschritte in seinen Deutschkenntnissen gemacht hatte, aber doch Wörter wie "Guckmaleineran" noch etwas schwierig fand, ja gucken Sie doch mal, drängte, erstaunlich indezent der Demokratiebeauftragte, da haben doch ausgerechnet die Dänen neuerdings ihren eigenen EinSatzBuchStreit, was sagen Sie da, ein Elitesoldat berichtet von seinem Einsatz, und die Armeeleute glauben, der Soldat liefere den Talibanen in ihren Berghöhlen die Taktik per Internet, ich meine, bis da einer vom letzten Internetcafé bei den Talibanen ist, also, naja, aber vielleicht, bah, was klebt das denn hier so, und da hörte er ein fröhliches Kichern, denn das, Pardon, die Mo saß auf dem Tresen des Bistros und sagte, heute bin ich mal nicht die einzige, die in Honig gestippte Apfelscheiben futtert, heute machen das tatsächlich ganz viele, einer hat sogar schon an eurem Tischchen gesessen!

Donnerstag, 17. September 2009

827.

Der Kwaliteitswart, neugierig geworden, fragte die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse und den ewig rotgeränderten Augen, was sie denn da gelesen habe, und sie antwortete, ein Buch über diese merkwürdige Dada-Baroness Elsa von Freytag-Loringhoven, man hatte mir erzählt, sie habe auf ihrem Kopfe eine Geburtstagstorte mit brennenden Kerzen balanciert, 1923, und als ich es gelesen hatte bis zu seinem traurigen Ende, habe ich gedacht, sie hat da einfach die Dada-Idee ganz bieder ernstgenommen und nicht die Schläue gehabt, eine Restbürgerlichkeit zu erhalten vielleicht - aber für meine Dissertation zum Thema Dada und Politik hat es nicht so viel hergegeben, ein paar Bildvorschläge für politische Aktionen und die Trauer über ein zu früh gescheitertes extremes Leben, das ist alles, und der Kwaliteitswart sagte, Sie müssen es auch aus seiner Zeit heraus verstehen.

Mittwoch, 16. September 2009

826.

Die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse und den ewig rotgeränderten Augen saß an ihrem Platze und blätterte in einem dicken Buch, aus dem sie für eine eigene Arbeit eine bestimmte Information brauchte, als wieder einmal per Telefon eine Aufforderung zur Teilnahme an den aktuellen Dingen an sie erging, und sie sagte, wenn ich mit meinem Plakat, das die Befreiung aller zu unrecht Gefangenen fordert, einmal pro Woche an einer Straßenecke stehe, genügt das nicht, aber man wollte sie nicht in Ruhe lassen, erst als sie sagte, bei Frauen macht ihr es unter einem Selbstopfer auch nicht, oder, da wurde der junge Mann am anderen Ende der Leitung etwas mäßiger und sagte, aber wenn du kannst, dann kommst du doch, sicher, sagte sie, zu allem, was ich vertreten und in meiner wenigen Zeit und mit meinen wenigen verbleibenden Kräften noch machen kann, und erst da fiel dem Anrufer auf, wie brüchig ihre Stimme inzwischen geworden und daß sie nun auch wirklich nicht mehr die Jüngste war, so ließ er sich ihre guten Wünsche mit auf den Weg geben und freute sich wieder seiner Jugend und seiner vielen überschüssigen Kräfte.

Dienstag, 15. September 2009

825.

Was hat Sie eigentlich am meisten abgeschreckt damals, fragte Karomütze, der ernsthaft frustriert war von seiner Arbeit, den klitzekleinen Forschungsminister, welcher auf dem Tische im Schneidersitz saß und neue Fotos von jenen merkwürdigen wandernden Windartefakten betrachtete, die Karomütze auf seiner letzten Polderreise geschossen hatte, und der klitzekleine Forschungsminister antwortete, ich war schockiert, als ich bemerkte, wie tief irrational dieser (im Grunde ja uralte) Menschenmacher-Impuls ist, den Leute, welche ihm in ihren jeweiligen Einzelwissenschaften anheim fallen, für den Gipfel der Rationalität halten, und daß man in den Diskussionen über die Natur dieses Impulses selbst nur überleben kann, wenn man schon irgendwo ist, denn sonst wird man zwischen den Deppen der jeweiligen Himmelreiche zermalmt, und je weiter man über beide hinauszuschauen sich bemüht, um einer Vernunft, die vernünftigerweise ihre Grenzen kennen will, das Wort zu reden, desto sicherer wird man von den einen als zu rationalistisch, von den anderen als nicht rationalistisch genug beschimpft werden, und wenn man mit den Beschimpfungen noch fertig würde, so wird man mit nichts mehr fertig, wenn sie einem mit aller Gewalt an die Grundlagen der sozioökonomischen Existenz gehen, verstehen Sie, und dann wendet man sich resigniert ab, resigniert nur umso schärfer, je weniger man imstande ist, sich wirklich zurückzuentwickeln, aber wir wollen nicht darüber reden, es ist ja dennoch so, daß man ein paar nützliche Fertigkeiten erlangt hat, so wie Sie auch ein paar nützliche Fertigkeiten erlangt haben, und mein Problem mit der EinSatzLeitung ist nur, daß sie unter der gegenwärtigen Chefin vielleicht etwas zu defensiv, zu gutmütig und trotzdem noch zu auffällig ist, insofern, Kollege, sollten Sie vielleicht zur Chefin gehen, um ein Gespräch zum Zwecke der wechselseitigen Motivation zu führen, oder sollen wir es gleich für die Sitzung vorbereiten?

Montag, 14. September 2009

824.

Ein langer, extrem unbelohnter Arbeitstag lag hinter Karomütze, als er jene dunkle kleine Straße mitten in der Hauptstadt entlang ging und eine letzte Nachricht auflas, die jemand als einen Zettel auf dem Gepäckträger eines demolierten Fahrrades für ihn hinterlegt hatte, und er dachte, einen Scheißjob mach ich hier, einen richtigen Scheißjob.

Sonntag, 13. September 2009

823.

Fünf blaue Windenblüten hatten den Balkon der Dame Ö noch einmal eigenartig bekräftigt, und während sie entzückt ein paar gelbe Blätter aus den Ranken zupfte, klingelte es an der Tür, die Kreativleitung sagte etwas außer Atem, könnten Sie mir bitte helfen, würden Sie wohl so freundlich sein, Mo ein wenig auszuführen, ich habe plötzlich eine Verabredung mit dem Demokratiebeauftragten, wie finden Sie das, er klang etwas dringlich, und die Augenbrauen der Dame Ö fingen an zu tanzen, denn einerseits war sie nicht wirklich scharf darauf, Mo mit in ihre Ausstellung zu nehmen, andererseits - wer weiß, vielleicht kommen wir ausnahmsweise mal miteinander klar, wie, sagte sie und versuchte, Mo am Köpfchen zu tätscheln, aber Mo rückte mit demselben unwillig ein Stück zur Seite auf dem graufaltigen Hälschen - war sie gar zu neugierig, zu hören, was denn das für ein geheimnisvolles Treffen werden könne, und wenn die Kreativleitung hinterher das Mo bei ihr abholen müßte, würde sie ja wohl die erste sein, es zu erfahren, also gut, gehen Sie nur unbesorgt, ich machs, sagte sie, wir schaffen das schon, was Mo, und Mo trippelte, einmal auf den Boden gesetzt, mit kaum noch mürrischem Gesichtchen seinerseits neugierig in die kleinen privaten Räumlichkeiten der Dame Ö und erschnupperte den Teeduft mit nachlassender Skepsis.

Samstag, 12. September 2009

822.

Was gibts zu lachen, fragte das Kind die Mutter, die am Frühstückstisch bei der Zeitungslektüre laut aufgelacht hatte, und die Chefin sagte, ich habe einen Artikel gelesen, der mich denken ließ, wir sollten einmal eine Liebeserklärung an Leute, die ihre Aggression moralisch genießen, veröffentlichen, und ich stellte mir die Plakate dazu vor: empört euch, klagt an und beruft euch dabei auf halbe Informationen, wie giftig du bist, sagte das Kind, dann lachte es und sagte, guck mal diesen Film an, (http://www.youtube.com/watch?v=f1oMhMwUbgc) dann kannst du auch ein bißchen Aggression moralisch genießen, und die Chefin sagte, oder unmoralisch, ist auch mal schön...

Freitag, 11. September 2009

821.

Der Demokratiebeauftragte hatte schlecht geschlafen, daß er mit Billigung der Dame Ö vor den Schnabel des Pestvogels geraten war, ärgerte ihn, und als er drei-ein-halb Parkplätze vor der EinSatzLeitung über dem Cabrio-Dach eines langgestreckten schwarzen Fahrzeugs eine wohlbekannte karierte Mütze entdeckte, ging er ausnahmsweise eher unsouverän und bedürftig auf den Sicherheitsbeauftragten zu, um ihn zu fragen, wie denn jenes Tier wieder angelockt worden sei, fragen Sie die Kreativleitung, riet Karomütze, ich glaube, es hat was mit ihrer Geschichte zu tun, denn als die verlesen wurde, kam er hektisch und fett angeflogen, eifrig schnatternd, daß er dann auf Sie losgegangen ist, war vielleicht eher ein Kollateralschaden, und der Demokratiebeauftragte dachte, o nee, nicht das auch noch, denn das Lächeln der Kreativleitung war ihm immer etwas unbehaglich, aber als er sie im "Bistro" traf, bat er doch darum, sie einmal in Ruhe sprechen zu dürfen.

Mittwoch, 9. September 2009

820.

Sitzung der EinSatzLeitung

Anwesend: ALLE EinSatzKräfte, Diskurswart, Kwaliteitswart, Komplexitätswart, Mr. Precuneus
Außerdem: Mo und die beiden Babies

Sitzungsleitung: Die Chefin

Protokoll: Demokratiebeauftragter

Die Chefin zeigt sich erfreut darüber, daß einmal alle da sind, und stellt (unterbrochen vom Kleinchen der Leitung Öffentlichkeit, welche mit dem krähenden Wesen schleunigst den Raum verläßt) die Tagesordnung vor:

TOP 1. Die RosenNoth des zuende gehenden Sommers (Kreativleitung)
TOP 2. Die Hosenfrage im Sudan (Mr. Precuneus)
TOP 3. Die hohe Kunst der Vermeidung von Kommentaren zur Wahl (Komplexiteitswart)
TOP 4. Verschiedenes (keine Anmeldungen)

TOP 1:
Die Kreativleitung tritt vor, macht darauf aufmerksam, daß dieser Sommer nicht gerade ein Rosensommer gewesen sei. Auf ihren Wegen durch die öffentlichen Parkanlagen hätte sie die hauptstädtischen Rosen den ganzen Sommer über müde und kränklich gesehen. Dieser Anblick habe sie in seiner Trübetrostigkeit inspiriert zu einem kleinen Text, und dann liest sie zehn Minuten lang aus einem Manuskript vor, in dem von einer Frau erzählt wird, deren Sohn weit weg von zuhause bei einem Einsatz ums Leben gekommen ist. Die Frau leidet seitdem unter einer Zwangserkrankung, muß jeden Tag mindestens eine Rosenblüte irgendwo abschneiden, und so wildert sie sich durch die Blumenläden der ganzen Stadt, denn in diesem Sommer tun ihr die Rosen in den Parkanlagen so leid in ihrer Kläglichkeit. Die Geschichte hat nicht einmal ein richtiges Ende, aber die EinSatzKräfte fühlen sich zum Klatschen verpflichtet, auch die Kreativleitung wirkt ganz zufrieden, als sie es überstanden hat.

TOP 2:
Mr. Precuneus, unser neues Brecherchen, ist überhaupt nicht nervös vor seinem ersten Auftritt, den er vor versammelter Mannschaft und in aller Form absolvieren muß. Er erzählt völlig ungezwungen von den Kleiderordnungen in manchen Ländern und von den vielen Frauen, die nicht die Bekanntheit von Lubna Hussein haben und sich deswegen tatsächlich auspeitschen lassen, weil sie Hosen tragen, und er gibt eine Unterschriftenliste herum, auf der sich bitte alle eintragen sollen, die einen Brief unterstützen wollen, der den Autoritäten des Landes nahelegt, so ein albernes und böses Gesetz ab sofort nicht mehr anzuwenden und so schnell wie möglich aus ihren Gesetzbüchern zu streichen. Eigentlich sollte man, sagte er dann, damit drohen, demnächst auch Kleidervorschriften für sudanesische Männer, insbesondere Offizielle, zu erlassen, bei deren Nichteinhaltung sie auf keinem europäischen Flughafen mehr durch die Kontrollen kommen, sondern zurückgeschickt werden, mit Peitschen wollen Sie hier sicher nicht wieder anfangen, scherzt er, denn dann hätten wir Flüchtlinge doch gar keinen Grund mehr, zu Ihnen zu kommen, das wäre doch schade. Stimmt, ruft Mo, und springt begeistert auf seine Schulter. Allgemeiner Applaus, die Braue der Dame Ö hat der unterzeichnende Protokollant nicht beobachtet.

TOP 3:
Den Komplexitätswart hatte man bisher praktisch nur auf der Kommentarebene bemerkt, an diesem Tag geht er, auf wessen Protektion auch immer, nach vorne, und erläutert umständlichst, was alle sowieso schon wissen, daß man nämlich nach Wahlkommentaren bitte in anderen blogs suchen soll, es gibt doch genug. Er erklärt das etwas umständlicher, wie gesagt, es dauert auch mindestens 20 Minuten, und warum die Leute geklatscht haben, haben der klitzekleine Forschungsminister und ich eigentlich nicht verstanden, wir haben uns enthalten.

TOP 4:
Alle melden sich ab zur Arbeit. Im Hinausgehen sagt die Leitung der Abteilung Öffentlichkeit, die während der Ausführungen von Precuneus mit beruhigtem Kind wieder hereingekommen war, zur Kreativleitung, es tue ihr SO leid, daß sie die Geschichte mit der RosenNoth verpasst hätte, die sei sicher ganz besonders toll gewesen. Da habe ich die Braue der Dame Ö sehr weit oben gesehen.

In der Hoffnung, diesmal wieder ein halbwegs geordnetes Protokoll geliefert zu haben, grüßt most humbly and obedient der Demokratiebeauftragte (ehemals stiller Theologe).

819.

Als der Buchhalter am Mittwochmorgen in sein Büro kam, sah er den Oberassistenten am falschen Platze, nämlich seinem eigenen, und er war sehr erbost, denn das mochte er nun nicht.

Dienstag, 8. September 2009

818.

Aus irgendeinem Grund - die Nachtarbeitsgepflogenheiten der Kreativleitung und mehrere Liter Kaffee waren daran nicht ganz unbeteiligt - gelang es der Chefin dennoch, am folgenden Tag gemeinsam mit anderen EinSatzKräften zu einer Pressekonferenz zu erscheinen, mit einer wohlvorbereiteten Stellungnahme, in der die Chefin nicht nur die Frage "Helden und Opfer, ja oder nein" erörterte (sie wies sie als falsch gestellt zurück), sondern die Balance zwischen einer völlig ausgenüchterten Selbstdefinition der Gründe und Regeln der EinSätze und einer tief empfundenen Notwendigkeit, jedem, der aus dem Eigensten etwas eingesetzt hatte, zu danken und den Wert seiner EinSatzBereitschaft vorzustellen, gut "rüberbrachte," obwohl die Kreativleitung sogar ein paar Sätze von Derrida in die Rede geschmuggelt hatte, und als die Chefin während der hochnotpeinlichen Befragung aus den schmuddeligeren Ecken der Reporterschaft ein wenig nervös zu werden drohte, hob die Kreativleitung mitten aus dem Publikum schnell einmal ein Mo über den Kopf, bei dessen Anblick man nicht wußte, ob seine aufgeregten Augen heller strahlten oder doch eher der blaue Mantel, in den es sich bei offiziellen Anlässen (notfalls trotz Hitze) zu hüllen pflegte, weil nun einmal kein Mantel schöner ist als der Blau-Mantel von Paul Klee.

Montag, 7. September 2009

817.

Während die Chefin am Wochenbeginn ernsthaft - und gelegentlich ihre Haare vorsichtig raufend - die verschiedenen Probleme der Welt erwog, immer bemüht um das korrekte Maß für Kommentare, Urteile, Petitionen und was noch so erforderlich war, während sie insbesondere mit Karomütze eingehende Unterredungen abhielt, die Fehler vergangener EinSätze betreffend und neue Pläne eruierend, ging das Gezänk in der Kreativabteilung ungebremst weiter, der Diskurswart konnte sich nicht entscheiden, ob er gewisse Gemeinheiten von Dame Ö kokett an sich ziehen oder lieber abwehren sollte, die Kreativleitung wurde kurzfristig selbst einmal sauer auf das Mo, weil dieses sich wild einmischte in den Streit, und zu allem Überfluß kam dann auch noch der Buchhalter herzu, um auf eine verstrichene Lieferfrist hinzuweisen.

Sonntag, 6. September 2009

816.

Als die Kreativabteilung solcher Art noch immer in heller Aufregung war, kam nach wegen seiner Leisigkeit überhörten Anklopfens unaufgefordert eintretend herzu der Herr Diskurswart, denn es war ihm noch etwas eingefallen, was er das Mo gern fragen wollte.

Samstag, 5. September 2009

815.

Der erzählende Kranich hatte mehrere Tage geschlafen, es muß ein alter Instinkt sein, sagte er, als er erwachte, denn meine Kollegen und Artgenossen sammeln sich ja jetzt für die langen Flüge, schlagen sich die Bäuche voll und ruhen noch einmal gründlich aus, um die lange Zeit in der Luft zu überstehen; sodann schüttelte er sein Gefieder, bewegte tänzelnd seine Beine, sah sich im Kreativbüro um, als wäre er nie dort gewesen, und zupfte mit seinem Schnabel gedankenverloren ein kleines grünes Stoffstückchen aus dem Wandteppich.

Freitag, 4. September 2009

814.

Was mir immer wieder auffällt an allem, was ich hier so zu Fortbildungeszwecken lese, lachte Mr. Precuneus, indem er eine der bei herrlichem Sonnenschein selbstverständlich sofort wieder in Scharen anschwirrenden Wespen mit gelassener Hand beiseite wedelte, was mir immer wieder auffällt in Ihrer Literatur hier, ist dieser feste Glaube an die methodische Lebensführung, du setzt dir ein Ziel, du unternimmst dies und das, und schon hast du es erreicht, du schreibst ein paar Tugenden auf, prüfst sie noch an diesem oder jenem historischen Fall, und schon hast du eine "Werteerziehung" und ein tolles Raster, um Leute zu beurteilen, und wenn dir dann einer über den Weg läuft, der sich entweder nicht an das Raster hält oder nicht an das Urteil, das jemand sich aufgrund des Rasters über ihn gebildet hat, dann bist du doch völlig platt oder haust gleich mal drauf, bis er platt ist, wie sehe ich das, du kassierst ihn, sagte die Gattin des ehemaligen Chefs, und versuchst durch in der Regel "irrtumsbasierte Maßnahmen," ihn nun dahin zu erziehen, daß er ins Raster passt, über das sich doch zugleich keine zwei Internetseiten einig sein können, von Büchern zu schweigen, und Precuneus, der sich daran gewöhnt hatte, mit der Gattin des ehemaligen Chefs schnell eine kleine eigene Parteiung zu bilden, immer in der primären Hoffnung, dadurch den ehemaligen Chef aus der Reserve zu locken und zu seinem alten rabauzigen Format zu provozieren, lächelte den Herren erwartungsvoll an, der aber knurrte nur, er erinnere sich da an eine Debatte über primäre und sekundäre Tugenden, wobei dann die Lumpen ihr Ablegen der "sekundären" Tugend mit hohen politischen Ansprüchen rechtfertigen und für sich in Anspruch nehmen, die primären, die hätten sie natürlich, aber die hat doch keiner von denen, brummte er, und die Gattin des ehemaligen Chefs sagte, weißt du eigentlich daß deine Nachfolgerin die - eher radikale - Ansicht hegt, daß keiner, der sich für berufen hält, bei einem anderen die sekundären und gar die primären Tugenden (Wertbindung durch Einsicht usw.) abzuprüfen, sie bei sich überzeugend haben kann?

Donnerstag, 3. September 2009

813.

Wenn morgens die Wolken schwer über der Stadt hängen und alles dunkelgrau aussieht, mögen nicht einmal die Wespen mehr ausfliegen um von meinem Marmeladenbrot zu naschen und alle zu nerven, stellte das Kind fest, und als die Chefin ansetzte zu sagen, dann hat das miese Wetter doch auch sein Gutes, unterbrach es sie schnell, es müsse jetzt zur Schule, da werde schon genug positives Denken gepredigt, danke.

Mittwoch, 2. September 2009

812.

Jetzt stottert sie schon, sagte das Mo, indem es mit einem entschuldigend zerknitterten Gesicht zu dem hereingeschwebten Vogel aufschaute, die Kreativleitung muß sich irgendwie übernommen haben, und das Mo plusterte sich wichtig in seinem blauen Mantel, iwo, sagte die Kreativleitung, ich habe einfach eine Taste doppelt gedrückt, so kam es zu zweimal 811, das haben wir sofort, und als dieses Problem gelöst war, sahen die Kreativleitung und Mo den erzählenden Kranich erwartungsvoll an - er aber sagte, ich weiß heute nicht so recht, was ich erzählen soll, und ließ den Kopf hängen, ein Falke und eine Taube haben mir gesagt, ich dürfe nichte erzählen von dem Wesen, das unter einem Baum saß und ... bitte nicht grün werden, schob er noch nach, denn er mochte es nicht, wenn die Kreativleitung distanzierend ergrünte, sie aber lachte und sagte, nein nein, es wird wohl auch in der Vogelwelt diesen Unterschied geben zwischen einer guten Schweigepflicht, mit der man jedes Wesen schützt, das sich einem anvertraut, aber nicht verraten sein will, und einer schlechten Schweigepflicht, mit der man Wesen so mundtot macht, daß dann natürlich auch nie wieder Gespräche möglich werden, wie wäre es, wenn wir Ihnen hier die gute Schweigepflicht anböten, mit der wir keinem Falken und keiner Taube verraten, was Sie uns erzählen, so daß die scheußliche Schweigepflicht, die jene Ihnen auferlegt haben, nicht mehr so lange Schatten werfen müßte auf alles und jeden, der mit Ihnen in Berührung käme, und der erzählende Kranich, sonst so souverän und heute so geknickt, wechselte sein Standbein und schwieg ein langes Schweigen.

Dienstag, 1. September 2009

811.

Bis spät in die Nacht arbeitete die Kreativleitung, indem sie mit den Füßen auf dem Drehstuhl, rücklings auf dem Teppich liegend, in einen kleinen Apparat sprach, wie sie am anderen Morgen die Fäden weiter zu verweben und zu verknüpfen gedachte, etwas über die Freude, die es sein kann, wenn man eine unglückliche Nichtverbindung aufgibt, zum Beispiel, etwas über die menschliche Seite der Generäle und die unmenschliche Seite der hauptberuflich menschelnden Menschen, und als sie schließlich in dieser für sie ja nicht völlig ungewöhnlichen Position eingeschlafen war, da klopfte es schon wieder am Fenster, denn der erzählende Kranich kam am liebsten im Morgengrauen.

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