Freitag, 31. Oktober 2008

505.

Das gemeinsame Lachen entschärfte die Situation, die Chefin sagte, versuchlich sind sie doch schon immer, die kernigen und markigen Schreie nach irgendwelchen Chefs, die mal durchregieren, haben Sie nicht auch den Eindruck, das muß richtig Spaß machen, dieses Gequake nach großen Führern, von links wie von rechts, die Leute fangen ja schon wieder an, besoffen auszusehen davon, und von der anderen Seite bekommst du dann das Gegenprogramm, Musicals, in denen mit aller Gewalt geklärt wird, daß ein Mädchen, das ganz toll schießen kann, erst geliebt wird, wenn man ihm ein paar schlimme Schießfehler anmanipuliert (natürlich zu seinem Besten, hat mein Kind sich gestern angeguckt), manchmal sieht es außerhalb der EinSatzLeitung doch viel mehr als innerhalb so aus, als würden alle möglichen Leute mit bunten Monteursanzügen und riesigen Schraubenschlüsseln, Bohrmaschinen, Pumpanlagen und was nicht noch herumziehen und sich notorisch falsch verteilen: Der mit der Hilti will eine Armbanduhr reparieren und braucht dafür angeblich genau die Hilti, der mit der feinen Drahtsäge macht sich daran, ein Auto zu lackieren, und einer mit ölverschmierten Händen und Farbdosen möchte weiße Oberhemden bügeln, ja, da muß dann doch mal einer auf den Tisch hauen, sagen sich die Leute, und dann wählen sie sich einen, der haut auch auf den Tisch, aber entweder genau da, wo das Butterfass offen herumstand, oder in sein Champagnerglas, im ersten Fall spritzt ihm das Fett um die Ohren und den Untergebenen in die Augen, im zweiten Fall zerschneidet er sich sprudelnd und klebrig die Hand, und die Leute sind dankbar und sagen, siehst du, das ist doch einer von uns, so richtig volksnah, unser neuer Leader.

Donnerstag, 30. Oktober 2008

504.

Die Chefin sah müde aus, als der Kwaliteitswart ihr Büro betrat, und ein wenig ratlos, so daß sie die besondere Mischung aus leichter Verwirrung und übermütiger Aufgeräumtheit, in der er erschien, nicht richtig zu- und einordnen konnte, und sie fragte streng, ob alles in Ordnung gewesen sei oder ob es zu einem Konflikt gekommen sei wegen des Holzschnittsatzes, aber der Kwaliteitswart dachte, ich antworte lieber nicht darauf, sondern frage sie mal besser, warum sie so müde aussieht und was eigentlich das Problem zwischen Karomütze und Dame Ö ist, und ob sie nicht vielleicht mal einen Tag freinehmen und ausschlafen will, aber die Chefin ließ ihn damit nicht zum Zuge kommen und sagte, wir haben neuerdings immer mehr Befreiungsgesuche aus den afrikanischen Ländern, bei den Chinesen bewegt sich gar nichts, der klitzekleine Forschungsminister schafft es auch nicht, dem naseweisen Sinologen einen einzigen brauchbaren Satz dazu zu entlocken, und neuerdings wird uns auch noch gemeldet, daß wieder Mo-Wächter im Anmarsch sind, dabei hatte sich die Kleine gerade halbwegs zurechtgeruckelt...na da fehlt doch eigentlich nur noch ein Besuch des Pestvogels, lachte der Kwaliteitswart, und alles ist komplett beim alten, aber ich darf Ihnen sagen, es gibt auch gute Nachrichten, der Teppich sieht viel besser aus als ich gedacht hatte, und deswegen könnten Sie in aller Gelassenheit daran gehen, endlich mal in dieser bekloppten Projektentwicklerabteilung aufzuräumen, mir scheint, mit der Entlassung des Projektentwicklers, die ohne Zweifel nötig und richtig war, ist es nicht getan, es muß jetzt eine vernünftige neue Konzeption her, mit der Oberassistent, Buchhaltung und die Abteilungen Sicherheit und Öffentlichkeit ihre Pflichten erfüllen, anstatt sich entweder zum Stressfaktor für die Kreativabteilung zu machen oder selbst zu zerfleischen, wie wäre das, und was hindert Sie überhaupt daran, da etwas härter durchzugreifen?

Mittwoch, 29. Oktober 2008

503.

Später ging der Kwaliteitswart dann noch zur Chefin, um sich ordentlich über Angelegenheiten der Befreiungen zu unterhalten.

Dienstag, 28. Oktober 2008

502.B

Es kam ein bißchen anders. Der Kwaliteitswart war soeben im Begriffe, an die Tür des Kreativbüros zu klopfen, als diese ihm schwungvoll entgegen und nur dank der Geistesgegenwart seiner rechten Hand nicht in verletzender Weise an den Kopf flog. Er konnte das Auffliegen der Tür also abwehren, freilich mit dem Ergebnis, daß diese Tür nun wieder Karomützens Kopf bedrohte, welcher sie nämlich von innen mit seiner linken Hand aufgestoßen hatte. Aber auch Karomützens Hand war geistesgegenwärtig, und so standen sich für einen Moment die beiden Herren gegenüber und hielten ihre Hände jeweils zur Schwungabwehr an der Tür, die zitternd zum Stillstand kam. Hinter Karomütze stand mit Schweiß auf der Stirn und irritierter Braue die Dame Ö. Nach etwas wie einer gefühlten Minute des gegenseitigen Anstarrens wich der Kwaliteitswart mit einer gemurmelten Entschuldigung zunächst zurück, um den beiden anderen den geordneten Abgang zu erlauben. Dann betrat er gleichsam mechanisch und noch etwas benommen das Büro. Er suchte übergangsweise ein wenig in seiner Tasche herum, denn er hatte doch etwas für Mo dabei, war das nicht so? Er erinnerte sich dunkel, ein Radiergummi in der Form eines Rades eingesteckt zu haben, dazu ein kleines Gläschen Ahornsirup. Da er aber in seiner Tasche diese kleinen Mo-Gaben nicht finden konnte, war es vorbei mit seiner Geistesgegenwart: er suchte in der Tasche herum, so daß er nicht sehen konnte, wie die Kreativleitung vor Freude errötete, als sie bemerkte, daß der etwas unerquickliche und ein wenig zänkisch verlaufene Besuch der anderen beiden sofort abgelöst wurde durch das Eintreten dieses lange entbehrten Gastes. Die Kreativleitung bemühte sich sehr, das Strahlen, das sie anwandelte, zu unterdrücken, denn hätte er es gesehen, hätte er vielleicht seine Beschwerde, mit der er ja sicher gekommen sein würde, nicht mehr so leicht vorbringen können, oder, noch schlimmer, er hätte sie gewaltsam überkreischt vorbringen müssen, was die Unannehmlichkeit der Situation noch verschärft haben würde. Ihm selbst würde das am Ende doch allzu peinlich gewesen sein, es mußte ihm also unbedingt erspart werden. Sie versuchte, sehr ernsthaft an den Wandteppich und die Unverfrorenheit, mit der er sich erlaubt hatte, ihre komplizierten Gewebe als „holzschnittartig“ zu bezeichnen, zu denken, und das ärgerte sie wirklich ein bißchen, Gott sei Dank, dachte sie. Denn so hatte sie sich wieder halbwegs im Griff, als der Kwaliteitswart die Suche nach seinen Mitbringseln schließlich aufgab und in formvollendeter Begrüßungsgeste auf die Kreativleitung zu ging, ohne sich weiter im Raum umzusehen. Mo aber, als sie dieses Spektakel in den Gesten und Gesichtern der beiden Menschen sah, die nun zur Begrüßung aufeinander zu gingen (ohne einander anzugucken und ganz Auge für den jeweils anderen), fiel der Griffel aus der Hand. Wenn nicht die Assistentin K das kleine Wesen eingesammelt und mitsamt Schal, Block und Griffel in ihr Nebenbüro getragen und sodann leise die Tür hinter sich gezogen hätte, wäre Mo wahrscheinlich in Ohnmacht gefallen oder mit frisch nachgewachsenen Flügeln herumgesprungen.

502.

Neuerdings findet das meiste im Kreativbüro statt, maulte die Leitung Öffentlichkeit, als der Kwaliteitswart mit einem für seine Verhältnisse ungewöhnlich unmutigen und extrem mäkeligen Gesicht bei einem seiner Routinebesuche zuerst bei ihr vorsprach (wie es sich schließlich gehörte), und die Öffentlichkeitsleitung, im kommoden Rollkragenpullover und diesmal reichlich unbekümmert um die Ölproduktion, da sie wenn überhaupt mit Männerangelegenheiten, dann eher mit der Aufgabe, den Vater ihres entstehenden Kindes in irgendeine Balance zu diesem Phänomen zu bringen, beschäftigt war, so daß sie ihrerseits keine Hemmungen hatte, sich diesem im Grunde auch überschätzten Kwaliteitswart gegenüber so mürrisch zu betragen, wie sie sich an diesem Morgen fühlte, maulte weiter: selbst die Dame Ö, die doch hier vorne am Platz sein sollte, verbringt jede freie Minute im Kreativbüro, und Karomütze ist überhaupt nur erträglich, wenn er mal wieder eine halbe Stunde dort zugebracht hat, ich weiß überhaupt nicht, was das soll, so wie ich die Sache sehe, ist die Assistentin doch immer noch beleidigt, ohne daß ich ihr jemals das Geringste getan hätte, die Kreativleitung bemüht sich weiter darum, ein echter Problemfall für die gesamte EinSatzLeitung zu bleiben, und nur Mo scheint es glänzend zu gehen, sie schläft entweder oder verschlingt Unmengen von Honig, dann und wann kritzelt sie mal was für die B-Ebene, aber daß sie mal so einen richtigen Panikskandal ausgelöst hätte, ist auch nicht mehr, also was wollen die Leute da, verstehen Sie das, ach, Sie braucht man ja nicht zu fragen, Sie gehen ja sicher auch gleich dahin, ich hoffe, wenigstens mal mit einer fetten Beschwerde, und sie schaute zweifelnd an der Gestalt des Kwaliteitswarts auf und ab und dachte, der und fette Beschwerde, das wird ja wohl nichts.

Sonntag, 26. Oktober 2008

501.

Während Dame Ö sich allmählich von der Realität erholte, mußte Karomütze ungeheuerliche Anstrengungen unternehmen, um einen seiner alten Freunde zu schützen, der von Leuten, welche ihn schon lange, wie man so sagt, auf dem Kieker hatten, übelst bedrängt wurde, weil sie ihn für seinen und Dame Ös Informanten (und also für einen "Verräter") hielten, während dieser Kumpel in Wahrheit nichts, aber auch rein gar nichts mit der Sache zu tun hatte (als der Trubel losbrach, fragte sich Karomütze freilich, welcher Teufel eigentlich die Kreativleitung geritten hatte, ausgerechnet an jenem Tage das Dossier zu beschreiben, man muß besser auf sie aufpassen, sagte er sich, sie neigt dazu, nicht nur sich, sondern auch ihre Freunde zu gefährden, und sie merkt es immer zu spät, weil sie ja völlig unbewußt schreibt in ihrem boden- und haltlosen Hang, 30 mal mehr zu verstehen als man ihr sagt, aber dieses dann eben auch nicht für wirklich und also für ungefährlich zu halten, sie hält ja ihre Fiktion wirklich für Fiktion, während die Leute draußen im Lande sich dauernd erwischt und bloßgestellt fühlen und dann auf die falschen Leute einschlagen, weil sie sich nicht vorstellen können, daß sie wirklich nur mit Erwägungen spielt und es auch nicht anders meint) tatsächlich fragte sich Karomütze, wie die Idioten in ihren hysterischen Anwandlungen, mit denen sie alles auf sich zu beziehen und sodann über schnell ernannte Feinde zu bringen pflegten (und zwar mit einer Beleidigungsbreitschaft, die man, wie er kasperte, auch erst einmal aufbringen müsse, also sowohl die Bereitschaft, beleidigt zu sein, als auch die Bereitschaft, dann feste drauflos zu beleidigen) überhaupt auf die Idee verfallen konnten, seinem etwas durchgeknallten alten Kumpel von der GSG 9 allen Ernstes zuzutrauen, ihm, Karomütze, nach allem, was zwischen ihm und diesem Kumpel gewesen und nicht gewesen war, irgendwelche Informationen zuzuschieben, und er beschloß, sie gründlich zu verspotten, indem er ihnen eine Fehlinformation nach der anderen zuspielte, stets wohlvermischt mit richtigen Informationen und immer so, daß er nebenher seinen alten Freund bekniete, die zeitweilige Unterschätzung, die dafür vonnöten sei, nicht übel zu nehmen oder gar für seine, Karomützens persönliche Meinung zu halten, sondern einzusehen, daß sie für seine Rettung unabdingbar sei (dabei bebte er innerlich in der Hoffnung, auch dem Freunde möchten in dieser Situation der völlig ungerechtfertigten Beschuldigung, die, wie er sehr gut wußte, um einiges schwerer zu ertragen ist als die Situation einer irgendwie durch eigene Taten gerechtfertigten Anschuldigung, die Nerven nicht reißen) vor allem aber suchte er die selbsternannten Feinde einfach mal zu nerven und zu irgendeinem Geschäume zu provozieren, indem er lang lang heraushängen ließ, daß er, der Großmeister aller Sicherheitsfragen, er, Freund Karomütze, es nun wirklich absolut nicht nötig habe, für die Anfertigung von Dossiers auf die Dienste eines derartig exponierten und gefährdeten und launischen Menschen wie dieses Typen von der GSG 9 zurückzugreifen, schon gar nicht, um herauszufinden, was der Projektentwickler treibe, nein meine Herren, sagte Karomütze, und drehte sich vor dem aufgebrachten Haufen, den er vor seinem geistigen Auge sah, während er auf allen Schirmen Nachrichten entgegen nahm, nein, meine Herren, ich mache das alles mit Intuition, psychologischem Geschick und gründlicher Eigenrecherche, wo diese möglich ist, wenn ihr also wen ärgern wollt mit eurer fleckigen und dreckigen Reality-Show, dann nehmt es mit mir auf, Jungs, und nicht mit Leuten, die euch nichts, aber auch gar nichts getan haben, mögen sie euch auch die Zustimmung zu mancher eurer Schreiereien verweigern, und bitte auch nicht mit der armen Dame Ö, die sicher ihre Schroffheiten und ungewöhnlichen Verhaltensweisen hat, aber doch nicht verdient, derartig durch den Dreck gezogen und geschröpft zu werden - und nachdem er dies alles über die verschiedenen Bildschirme geschickt hatte, fühlte sich Karomütze trotz der ungeheuerlichen Anspannung der Situation zum ersten Mal seit längerer Zeit wieder richtig heroisch und zugleich sehr wohl in seiner Haut, und er brannte darauf, die Auflösung der Sache abzuwarten und sich von der Assistentin K wenigstens ein ganz kleines zartes Küßchen dafür zu holen (sowas kriegen die Tour de France Fahrer schließlich auch immer, und sogar von zwei Seiten!), und von der Dame Ö ihren wohlgefälligen Segen.

500.

Fünfhundert, Mannomann, dachte die Kreativleitung, deren Laune nach den Begebenheiten des letzten EinSatzes sich in einer Art Übelkeit befand, da wird der Buchhalter wieder ausrasten, ach nein, er wird ja bemerkt haben, daß nicht nur in den sogenannt weicheren Angelegenheiten nicht immer drin ist, was dransteht, sondern auch manchmal bei den Zahlen, da wir ja eben mit 22 angefangen haben und somit eigentlich erst bei 478 sind, und ihre Laune verbesserte sich nicht erheblich, selbst Mo quiekte ein wenig, denn so schlechtgelaunt war die Kreativleitung eigentlich selten, was ist denn nur los mit dir, fragte sie, während sie mal wieder ein Apfelscheibchen in Honig tunkte, und die Kreativleitung, verzweifelt zwischen dem Wandteppich und anderen Angelegenheiten auf ihrem überhäuften Schreibtisch hin und her eilend, sagte, was machen wir jetzt mit der armen Dame Ö, frage ich mich, wie hält Karomütze es aus, immer diese gräßlichen Informationen anzuschleppen, wie kann man die Abteilung, von der aus der Projektentwickler seinen gefährlichen Unsinn, den er selbst für eine große Sache halten muß (er hält sich ja für jemanden, der alle Welt zum Guten erziehen kann, und weiß in aller ernsthaften Naivität, die er sich unter seiner aggressiven Verpanzerung erhalten hat und die so viele wohlmeinende Menschen für ihn einnimmt, ja gar nicht, daß die besten Leuten gerade die sind, die allen Erziehungsmaßnahmen gegenüber am resistentesten und darum auch für keine totalitäre Ideologie anfällig sind, er muß subsumieren, koste es was es wolle, es ist das, was ihn so gefährlich macht, und man redet sich den Mund fusselig und kriegt es nirgends zur Geltung gebracht, von wegen "Mißerfolgsgeheimnis"), getrieben hat, befrieden, die werden doch einen großen Aufstand machen, er wird sie von draußen weiter zutexten usw., ach je, und Mo sagte, wie kannst du so besorgt sein, und die Kreativleitung sagte, weil ich heiser bin und die Ruhe für meine eigentliche Arbeit nicht finde, darum, und wenn jetzt der klitzekleine Forschungsminister sich so wirksam gegen den Sinologen verteidigt, daß die Leute lieber wieder ihn groß sehen wollen, und wenn die Chefin aus schierer Not womöglich darauf eingeht, dann wird das meine Stimme endgültig ersticken, und davor fürchte ich mich, sagte die Kreativleitung, man hat eben nur eine Zeit, ich hab doch den Klitzkleinen gern und brauche seine Zulieferungen, aber wenn es umgedreht werden soll und ich unbedingt erzogen werden soll, nicht meine eigenen Texte zu schreiben, sondern irgendeiner Forschung zuzuliefern, dann werde ich noch kleiner werden als du, und anders als bei dir sind meine Auferstehungskapazitäten vollkommen erschöpft, ich bin doch bloß ein Mensch, und sie stand, während sie dies sagte, blaßgrün und schwankend immer noch am selben Fleck, nahm Mo, die auf sie zu getrippelt kam, wie automatisch hoch auf ihre Hüfte, und da ereignete es sich, daß das kleine Mo die Kreativleitung, von deren Fürsorge es bisher gelebt hatte, sehr trösten mußte, was schwer war (und nur einmal in der Geschichte mit der Schneeflocke gelungen war), denn wie sollte ausgerechnet so ein kleines brüchiges Mo die Kreativleitung etwa verteidigen können, aber wispernd und plappernd versuchte sie es doch, indem sie sagte, der klitzekleine Forschungsminister fühlt sich doch wohl in seinem Job, und die Chefin wird dich verteidigen, der Projektentwickler ist abgemeldet, und die anderen werden doch irgendwann ihre bescheuerten Fusionsversuche aufgeben, und eines Tages wirst auch du wieder ein wenig glücklicher sein, und das Ganze klang als Gezwitscher immer süßer ans Ohr der Kreativleitung, die sich schließlich in den Sessel setzte, Mo auf dem Schoß, und sagte, eigentlich wäre es Zeit für eine B-Ebene aus der Vogelwelt, aber diese Zeit haben wir heute leider auch nicht; da fielen Mo die Augen zu und die Kreativleitung begab sich resigniert und lustlos wieder an ihren Schreibtisch, der heute nach Frohn und sonst gar nichts aussah.

Samstag, 25. Oktober 2008

499.

Ein Mensch, der von sich aus gern schenkt und gern in Tauschgeschäfte eintritt, wenn er gefragt wird, wird doch sehr gebe-unlustig, wenn man ihn bedroht, anzapft und ausbootet, sagte der klitzekleine Forschungsminister mit wispernder Stimme dem naseweisen Sinologen, als dieser sich auf einem ihrer Rundgänge mit dem bunten Einkaufswagen wieder einmal recht gewaltig vor ihm aufgebaut und gesagt hatte: wo bleibt dein Beitrag, wo deine gebende Haltung, wann beugst du dich endlich unseren Anforderungen und wächst wieder und schreibst uns deinen lange angekündigten soziologischen Beitrag zum Thema „Die verschiedenen Dialekte des Lächelns auf der alten Seidenstraße, nach Meilensteinen gegliedert,“ und der klitzekleine Forschungsminister sagte in seinem zweifellos vom Soziologischen noch immer etwas angekränkelten Tone, es gibt hier eben erstens das Problem des Double-Binds, denn wer angeherrscht und kleingedonnert wird und seiner Umgebung die Ehre erweist (die diese komischerweise trotzdem immer nur vehementer einfordert), der wird dann eben ein kleiner Weberknecht werden und gerade nicht mehr wachsen, und wer verarmt, hat nichts mehr zu geben, und wer beraubt wird, verliert jeden Respekt vor den Räubern, und wer tatsächlich nett genug ist, trotz solcher perversen „elterlichen“ Verhaltensweisen (oder Brausereien von „Investoren“) die Dankbarkeit für das, was ihm einst gegeben wurde, nicht zu vergessen, der wird es vielleicht machen wie ich, schrumpfen und sich in den Dienst einer literarischen Produktionsanstalt stellen, um dem großen wissenschaftlichen Apparat zwar nicht die Dienste eines Apparatschiks, aber dafür etwas anderes, nämlich einen Gegenstand, über den dann die eigentlichen Scholaren und Apparatschiks schreiben werden, zu geben – wenn der Apparat dieses aber nicht abwarten kann, sondern sich in eine die Produktion unendlich erschwerende übergriffige Maschine verwandelt und das dadurch rechtfertigt, daß er etwas zurückhaben will, nun, so hat er sich um jede Respektabilität bei denen gebracht, die er beraubt und anherrscht, da muß er dann wohl selbst mit fertig werden, denn die Gebelust eines derartig behandelten Menschen wird sich, wenn er irgendwas taugt, zwar erhalten, aber ebenso sicher nicht mehr auf die Leute beziehen, die sich da in etwas blähen, was sie für ihr gutes Recht halten, während es in Wahrheit doch eher wohl so etwas wie ein Verbrechen oder mindestens ein mittelschweres Mißverständnis ist, nicht wahr, und als er diese Rede geschwungen hatte, schaute er ihr noch ein wenig beim Nachschwingen zu und tat etwas, das man an ihm selten sah, er lächelte, während in seinem Geiste plötzlich der Gedanke aufleuchtete, wie seltsam es doch war, daß ausgerechnet der Sinologe derjenige war, den man noch seltener lächeln sah als ihn, den klitzekleinen Forschungsminister selbst; das mußte etwas mit seiner Meilensteinposition auf der alten Seidenstraße zu tun haben.

Freitag, 24. Oktober 2008

498.

Die Braue der Dame Ö wanderte in Unruhe auf und ab über ihre Stirn, als sie zuhause saß und nach allen Gesprächen über ihr unerfreuliches Schicksal nachdachte, sie erwog, eine Initiative älterer Damen gegen das von ungezogenen Infanten aller Altersgruppen (die noch über ihr privatestes Privatleben in einem unverdaulichen Gutachterton zu sprechen pflegten und dadurch den Eindruck einer gewissen Wohlerzogenheit zu erwecken verstanden) immer wieder mit großem Pomp inszenierte "Motherbashing" zu starten, sie ermahnte ihren Nachwuchs, Probleme, die er mit ihr und mit der Tatsache, daß er sich nicht selbst erfunden hatte, sondern geboren war, bitte mit ihr und nicht mit seinen Freundinnen und nicht mit irgendwelchen etwas kritischen älteren Damen, die in der Regel auch ohne das unglücklich genug seien, abzumachen, sie suchte ihre Erinnerungen und ihre Gegenwart nach Situationen ab, in denen sie unkorrigiert und ungemaßregelt einfach hatte sein können, und beschloß, jedem Menschen, in dessen Gegenwart ihr dieses immer seltener werdende Glück vergönnt gewesen war, zukünftig besonderer Beachtung zu würdigen, sie umrundete in Gedanken insbesondere eine winzige Insel der Seligkeit, auf der sie etwas wie ein Entzücken an einem Menschen, eine Verliebtheit außerhalb jeder Ordnung (solange nicht irgendwelche Ordnungshüter mit ihren albernen Bescheidwissereien draufschauten, denen Dame Ö gern wie eine Eule als Gewöll vor die Füße spucken würde, was sie dazu zu vermelden haben würden) angeweht hatte, in welcher sie glaubte, ihre Seele liebevoll und rücksichtsvoll momentweise ein ganz klein wenig ausruhen zu dürfen von jenem Gemetzel des Geschlechts, das nach ihrer bescheidenen Erfahrung keineswegs nur die wilden Kriegszeiten kennzeichnete, sondern weit in viele Leben hineingriff und in zyklischen Entladungen zum Beispiel gegen sarkastische ältere Damen aus ihnen hervorspritze, mochten auch die Ordnungshüter aller Farben das eine oder andere Pflästerchen üblicherweise zu verabreichen haben, und dann lehnte sie sich fest in ihren Lehnstuhl, betrachtete ihre Orchideen und seufzte, denn es war ihr nicht danach, sich mit all diesen Gewalten nun wirklich weiter auseinanderzusetzen, man solle sie doch, bat sie die EinSatzLeitung, ein wenig, wie ihr es sagen würdet, aus der Schußlinie nehmen, bis die Braue sich wieder beruhigt haben kann.

Donnerstag, 23. Oktober 2008

497.

Ach, ich habe ja heute noch gar keinen EinSatz geschrieben, sagte die Kreativleitung, als sie nach einer langen Besprechung mit der Chefin und einem längeren Gespräch mit der Dame Ö, die am Ende des Tages doch etwas zerrüttet gewirkt, aber tapfer immer wieder ins Lächeln gefunden hatte, an ihrem Schreibtisch saß und dort einen kleinen Mahnzettel vorfand, und sie raufte sich die Haare und fragte sich, was sie denn um Himmels willen an so einem Tag der Welt zu sagen haben könnte, sie selbst hatte viel mehr Lust, den diversen Gesprächen nachzusinnen und endlich die Zeitung zu lesen, und was sie im Sinne der Dame Ö würde sagen wollen, das war für sie noch ein wenig unaussprechlich, es schien ihr so, als müsse jedes einzelne Wort die so gerupfte Frau nur weiter verletzen, das konnte sie nicht wollen, und so entschied sie sich, nicht einmal die (von anderen EinSatzKräften wohlwollend aufgenommenen) guten Wünsche des geschassten und andernorts mit seiner Beute sicher erfolgreichen Projektentwicklers für die Projekte der Dame (als ob sie "Projekte" auch nur in Erwägung ziehen könnte, nein, sie mußte mit ihrer gehobenen Braue am Platze sein, nicht ohne sie) an diese weiterzuleiten, sondern einfach ein Gedicht zu zitieren, das die Dame Ö wegen des geringen Ranges der Dichterin mißbilligt haben würde (woran sie sich, so hoffte die Kreativleitung, wieder ein wenig aufrichten könnte), und das - mit korrekter Interpunktion zitiert - den Buchhalter auf den Plan rufen würde: "Wenn man erst einmal weiß, weiß man auch, daß man weiß, und wüßte lieber nicht. Aber zu spät. Schon weiß man, daß auch die Hoffnung nie wieder, nie wieder einkehrt, nie wieder; Sondern quer übers Meer, ade, denen zusegelt, die noch nicht wissen, noch etwa wissen, daß es etwas zu wissen gibt."

Mittwoch, 22. Oktober 2008

496.

Sitzung der EinSatzLeitung

Leitung der Sitzung: Die Chefin
Protokollant: Der Oberassistent

Diese Sitzung wird zum ersten Mal nicht protokolliert. Es gibt nur einen Tagesordnungspunkt, und der ist inhaltlich nicht zur Beschreibung freigegeben, lediglich die formalen Konsequenzen können hier mitgeteilt werden:
Karomütze hat nach gründlicher Recherche ein Dossier über die Machenschaften erstellt, die der Projektleiter während seiner Reisetätigkeit ersponnen hat, und die Szenen, die daraufhin in der EinSatzLeitung sich abspielten, zu schildern, würde selbst die üblicherweise mit präziser Selbstkritik nicht sparsame EinSatzLeitung überfordern, zumal unter den unmittelbar Geschädigten außer der unter Schock stehenden Dame Ö auch einige andere EinSatzKräfte sind. Über den Projektentwickler, der gar nicht erst zur Sitzung erschienen war, wohl weil jemand ihm mitgeteilt haben muß, daß sein Spiel aufgeflogen war, wurde die fristlose Kündigung beschlossen. Man wird wieder einmal umstrukturieren müssen, eine Sache, die aber der Vorbereitung bedarf.
Mitgeteilt werden kann für diese Sitzung darum nur, daß der Demokratiebeauftragte, die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse und die Kreativleitung beauftragt worden sind, Dame Ö wieder aufzubauen, während die anderen Kräfte sich den üblichen Aufgaben mit vermehrter Energie zuzuwenden bestimmt wurden.

Montag, 20. Oktober 2008

495.

Als alles besprochen war und die Chefin in ihrer Häuslichkeit am Abend den Tisch deckte, stellte das Kind eine jener Fragen, die Kinder gerne stellen: wenn du gefangen gewesen wärest, nun aber plötzlich frei wärest und wenn jemand, der dir etwas getan hätte, einsichtig wäre und sich doch schämen würde, und wenn er dann Angst hätte, wie du reagieren würdest, wenn du wirklich alles von ihm erführest, und wenn er herumdrucksen und darüber seine Einsichtigkeit schon wieder vergessen würde, weil er bei jedem schärferen Wort, das du aussprichst sofort wieder dächte, du würdest ihm alles übelnehmen, so daß er ebensogut gleich wieder draufhauen könnte, oder wenn es ihm einfach zu viel Spaß gemacht hätte, dir was zu tun, und wenn er sehen könnte, daß du dich sowieso nicht wehren kannst, so daß er darum auch ebenso gut weitermachen kann, und wenn er dann doch wieder ein bißchen einsichtig wäre, und wenn du ihm die Angst nehmen wolltest, um deine eigene Haut zu retten, ohne ihn dir doch zu nahe kommen zu lassen, wie würdest du reagieren, und es fragte so, weil es in der Schule gelernt hatte über Verbrecher, die plötzlich mit ihren Opfern konfrontiert wurden im fernen Afrika, und die Chefin erinnerte sich gleich an ein Foto im Spiegel, das Hutu-Leute in rosafarbenen Anzügen auf Versöhnungstour gezeigt hatte, weil Rosa angeblich die Aggressionsbereitschaft herabsetzt, und sie sagte, ich weiß es nicht, Kind, ich weiß es nicht, ich habe es ja schon in meinen kleinen privaten Problemfällen nie gewußt, wie man das machen soll, sich behaupten, ohne doch andere zu beschämen, so wie ich auch nie gewußt habe, wie man einen Fehler ein- und ausräumen kann, ohne ihn doch wieder rechtfertigen zu wollen, oder wie man verzeihen kann, ohne die eigene Verletzung zu verraten, aber auch, ohne sie mit aller Gewalt festzuhalten, und ich weiß es wirklich nicht, aber ich freue mich sehr, daß du danach fragst.

494.

Hätte irgendwer behaupten wollen, daß man in der Kreativabteilung bereits erholt wäre von den Merkwürdigkeiten des drei- bis einfachen Besuchs, er hätte sicher sehr übertreiben müssen, denn als die Chefin zur Vorbereitung der anstehenden Sitzung dieses Büro betrat, fand sie die Assistentin und die Leitung in ein relativ heftiges Gespräch verwickelt, welches die Assistentin angestoßen hatte durch die Bemerkung, man solle nun endlich mal eine richtige Liebesgeschichte schreiben, wogegen wiederum die Kreativleitung sich aus verschiedenen Gründen gesträubt hatte - sie hatte viele mögliche Kombinationen von Paaren innerhalb der EinSatzLeitung und außerhalb durchgespielt und ad absurdum geführt, hatte einen Kurzvortrag gehalten über die oftmals gefährlichen Folgen jener Gewohnheit, nach der die Kastrationsangst des Mannes, welche ihn angesichts vor allem derjenigen Frauen, von denen er ernsthaft geliebte werde, regelmäßig befalle, und dabei erläutert, wie diese Urangst sich insbesondere bei psychoanalytisch gebildeten Männern gern in eine voll projizierte Beschreibung der geliebten Frauen als hysterisch verwandele, was zu furchtbaren Gefährdungen der betroffenen Frauen führe, hatte dann gesagt, manche ahnen immerhin ein wenig, wie blöd dieser Apparat ist, wenn sie manchen Frauen zubilligen, völlig unanalysierbar und einfach Weiber zu sein, hatte dann wieder abgewunken und gesagt, naja, manchmal scheint es auch etwas einfacher zu sein, manchmal spinnen auch die Frauen, aber wer auch immer der Spinner oder die Spinnerin sein mag, es ist doch meistens eine durch und durch traurige Sache, wenn man einmal von den Anfängen und den wenigen uns hier nun auch schon bekannt gewordenen Ausnahmefällen absieht, und bei alledem war sie ständig durch ihr Büro gewandert, während die Assistentin nahezu reglos im Sessel gesessen hatte, bis die Kreativleitung schließlich sich auf den Teppich vor dem Sessel gesetzt und zu der Assistentin aufgeblickt hatte, weil sie auf die Idee verfallen war, dieser das Genre doch einfach zu übergeben, denn die Assistentin scheine ja einen Mut dazu zu haben, und sowieso sei es an der Zeit, daß der Versuch, irgendeinen Herrschwillen aus den Liebesdingen auszuschließen, von einer neuen Generation breiter und weiter entwickelt werde, aber als sie aufstand, um der Chefin entgegenzugehen zur Besprechung der anstehenden Arbeiten, hatte sie etwas wie eine Träne im Auge und im Herzen vielleicht etwas wie einen Wunsch, den sie für diesen Tag ohne weiteres aus dem Fenster flattern ließ, denn es gab wahrhaftig dringenderes zu tun und zu besprechen.

Sonntag, 19. Oktober 2008

493.

Es war ein stiller Sonntagmorgen, als der Kwaliteitswart irgendwo auf einem Wasser in einem Boot saß und unter dem Dach der Möwenschreie in einem Buche, welches erst noch geschrieben werden sollte, den Satz "wer schlägt, kann kein Engel sein, denn er kann sich tödlich verhauen" las, und es war dies ein Satz, dem er nicht lange nachdenken mußte: er verstand ihn sofort als Einladung, einmal selbst ins Meer zu springen - - - als er jedoch, nach Prüfung der Verankerung seines Bootes am Meeresgrund, damit begann, seine Kleider abzulegen und sich zum Sprung ins kühle Wasser vorzubereiten, drang etwas Grausiges an seine Ohren, die fein und groß waren und ein bißchen segelförmig von seinem knochigen Schädel abstanden, es klang wie das anschwellende Murren der Verwertungsgemeinschaft Meer, und es tönte klappernd und klirrend wie viele Schaufeln und Spaten, es dröhnte laut und unerbittlich wie die unablässigen Drehungen der Kolben in den Motoren gewaltiger Schiffe, es klirrte erbärmlich wie eingeschlagene Fensterscheiben, es übertönte alle denkbaren Schreie von lebenden Wesen, die darin umgekommen sein könnten, und der Kwaliteitswart wußte nicht, ob er nun gerade den Sprung wagen oder ob er erst einmal sicherstellen sollte, daß die Verwertungsgemeinschaft Meer, welche möglicherweise von sich selbst nichts wußte, oder von sich so gut wußte, daß sie erst recht als gefährlich einzustufen war, bis zu der Stelle, an der er der Einladung zu folgen wünschte, wirklich nicht würde vordringen können in ihrem unaufhörlichen Zermalmen.

Samstag, 18. Oktober 2008

492.

Karomütze – wohltrainiert auch in diesen Angelegenheiten – bemühte sich um die Wiederbelebung der Ohnmächtigen, gestört ein wenig durch den allzu rettungsbereiten Projektleiter, der sich über die Dame beugte, von der erwachenden aber fortgestoßen wurde, wobei sie murmel-leise die Worte „nehmt doch endlich den Stiefel von meinem Hals“ hervorbrachte, eine Situation, in der die Chefin, da sie sonst nichts tun konnte, die Umstehenden darüber aufklärte, daß man nach solchen Ohnmachten üblicherweise erst einmal etwas verwirrt sei (im Gesicht der Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse zeigte sich eine kleine Bitternis, aber die übrigen begnügten sich mit dem Hinweis); Stunden später wurde die Dame, die kaum einmal ihren Schlaf unterbrach, schon wieder in der Klinik besucht, nicht nur von ihrem Nachwuchs und einigen EinSatzKräften, sondern auch vom zweiten, den doch etwas wie Bedauern erfaßt hatte, und er saß nun an ihrem Bett und erzählte ihr, wie nett er im Grunde ihre Begleitung gefunden habe, er wolle sie in dieser Lage auch nicht mit Bitten um Verständnis für seine beiden anderen behelligen, was er aber nicht verstehe sei, warum sie ihren ehemaligen Gatten so derartig verabscheue, daß sie ihn nicht einmal zu Rettungszwecken in ihrer Nähe geduldet habe, und die Dame Ö antwortete, nun schon wieder lächelnd, ja, als Bauer wäre der Mann wirklich ein Pechvogel, er erntet noch in Sachen Hass erheblich weniger als er gesät hat, sie hoffe, daß es sich in anderen Angelegenheiten seines ihr nicht weiter interessanten, aber wohlwollend zur Kenntnis genommenen neuen Lebens anders verhalten möge, und bitte höflich darum, endlich mit dieser Geschichte in Ruhe gelassen zu werden, sprachs, drehte den Kopf zur Seite und schlief wieder ein.

Freitag, 17. Oktober 2008

491

Nach diesen Ereignissen geleitete die Dame Ö den hohen Besuch, welcher, am Schrecken Mos wieder zu einer die Prachtrobe mehr als erfüllenden Gewalt erwachsen, sich kaum noch verabschiedete, sie geleitete den Herren aus ihrem Büro und durch die Flure, es fanden sich unterwegs sein zweiter und sein dritter ganz zwanglos wieder ein, beide freilich etwas blaß und maulig wirkend, und während sie noch frisch entsetzt neben der Selbdrittigkeit einherschritt, zischte ihr aus einer flink geöffneten Tür der Oberassistent etwas zu, von dem er in seiner dank richtiger Zugehörigkeiten ganz ungescholtenen und ungebrochenen Selbstgefälligkeit annehmen mußte, daß es ihr sehr peinlich zu sein hätte; Dame Ö aber lachte nur und sagte, ach ja, ich vergesse immer, wie schrecklich ich in Wahrheit immer schon gewesen bin, das muß am Alter liegen, sie drehte sich gegen ihre eher zum Korrekten neigenen Gewohnheiten unwillkürlich ein wenig um, um nach dem Demokratiebeauftragten Ausschau zu halten, dessen Erscheinung sie bei aller vollkommenen Illusionslosigkeit stets zu trösten pflegte (ja, sie hätte stundenlang sitzen und ihn einfach nur anschauen können, aber das gestand sie sich nur mit einer klammheimlichen Freude über dieses Phänomen ein), und sie nahm sich, als sie den Kopf wieder in die andere Richtung bewegte, vor, der Leitung Öffentlichkeit in einer kleinen Sarkasmusrunde zu sagen, wie unbedingt man Medien und besonders die geplusterten Männchen sehr lieb haben müsse, da diese so sehr danach bedürftig seien, und man müsse ihnen dienen und ihre Schwächen auch dann akzeptieren, wenn sie sich sehr stark gegen die eigene Würde richteten, ach ja, das wollte sie gar zu gern der lieben Schwangeren noch mitteilen, damit diese nur nicht etwa durch Hochmut ihre herrliche Verbindung gefährde, und nach solchen derben Scherzen wollte sie mit ihr über Kinderkleidung und dergleichen sprechen, eines ihrer Lieblingsthemen, aber plötzlich sackte sie zusammen, leblos, ging einfach zu Boden, und der erste sagte, sie wird wohl zu fett gegessen haben, dann hat man das schon mal, und der zweite sagte, es ist doch schade, gerade jetzt, da sie begann einsichtig zu werden, aber sie wurde sowieso etwas zu alt für ihre Einsichten, und aus seinem Sausen ließ der dritte sich mit den Worten vernehmen, ich hab ihr die Info immer gegeben, aber sie wollte ja nicht auf mich hören, nun, ich beschreibe ja nur, habe ich immer gesagt, die Konsequenzen ziehen müssen Sie schon selbst, sie wird es also gewußt haben ... und der erste faßte seine beiden am Arm oder was man so nennt, und ging nun eben unbegleitet zur Tür, das geht doch auch, bei so viel Pneuma ist das im Grunde sogar ganz einfach.

Donnerstag, 16. Oktober 2008

490.

Zur selben Zeit näherte sich im Kreativbüro der Besuch seinem Ende: der immer noch etwas verunsicherte ehemals verheuchelte Leidenschaftliche hatte durch dringliches Blicken erreicht, daß die Kreativleitung sich doch noch einmal an den Tisch begeben hatte, das Gespräch kam aber über eine freundliche kleine Konversation kaum noch hinaus, nachdem die Kreativleitung gesagt hatte, einen neuen Namen habe sie für ihn noch nicht, und er brauche sicher Zeit, um zu überlegen, welcher Art sein Auftrag nun sein solle und ob er ihn überhaupt erteilen wolle (eine Annahme, der er nicht widersprach); die Assistentin erzählte ein wenig über ihren letzten Urlaub, in welchem sie sich ihre Schwangerschaft zugezogen hatte, Dame Ö ließ sich vom Gast etwas über das Wesen der Wolken erzählen und trug ein paar Gedichtzeilen zum Thema bei, und Mo, deren Wachheit etwas Ängstliches behielt, konnte sich doch immerhin zu einer vorwitzigen Frage verstehen, sie fragte nämlich den Gast, ob er außer Emanationen, die anscheinend abhanden kommen könnten, auch so etwas wie Kinder habe, worauf sich das Gesicht des Gastes, der Mo ohnehin mit einer Mischung aus herablassender Faszination und unwiderstehlichem Ekel halb angestarrt, halb ausgeblendet hatte, sehr verfestigte, bis er sich dann zu der Antwort verstieg, die ganze Welt sei sein Kind, welche Antwort Mo aus irgendeinem Grunde tief zu erschrecken schien.

Mittwoch, 15. Oktober 2008

489.

Unterdessen saßen im Chefinnenbüro die Chefin selbst, der Demokratiebeauftragte, die Leitung der Abteilung Öffentlichkeit und Freund Karomütze beieinander und berieten über die Gespräche mit der bei ihnen noch selbdritt erschienen Heuchlichkeit; es wurde ein längeres Gespräch, aus dem hier nur eine kleine Episode berichtet werden kann, in der wie man so sagt Nerven zum Vorschein kamen: Die Leitung Öffentlichkeit, noch etwas entsetzt von mancher Arroganz im Auftreten insbesondere des ersten und tief skeptisch gegenüber der in ihren Augen etwas dick aufgetragenen Sanftmut des zweiten, allerdings ganz angetan vom Sausen des dritten, wollte etwas Nettes sagen und fragte, was meint ihr, wird es der Kreativleitung gelingen, diese Figur zu knacken, an die kommt doch keiner ran, und Karomütze wollte etwas sagen über die Hintergründe, und der Demokratiebeauftragte wollte etwas sagen über den Respekt, mit dem sie immerhin seine Ausführungen angehört hatten, aber die Chefin machte nach dem Satz der Leitung Öffentlichkeit eine eigentümliche und ungewohnt unwirsche Bewegung und sagte, früher habe ich mich immer aufegeregt, wenn diese Altlinken von "Geißeln und Bloßlegen" sprachen und mit irgendwem oder irgendwas "abrechnen" wollten, aber heute muß man sich wohl viel mehr aufregen über dieses ewige "Knacken" und "Rankommen" wollen, egal gegen wen es sich richtet, und wer es an wem exerzieren will, ich erinnere mich allzu gut daran, wie noch zu unseren Studienzeiten Leute immer die Kreativleitung "knacken" wollten, die doch wegen ihrer besonderen Zugewandtheit solche Mühe hatte, überhaupt nur eine Haut um sich zu ziehen, und wenn heute, da sie doch fast immer und überall ruhig und offen und freundlich ist, mag sie auch für ihre Produktionen immer mal Kammern betreten, die anderen unzugänglich bleiben, und daraus verstörende Wörter zutage fördern, wenn da dann Leute unbedingt "an sie rankommen" wollen, dann denke ich automatisch an das biblische "darum will ich an dich kommen" mit womöglich eiserner Faust, und das möchte ich doch nicht einmal dem unsympathischsten unserer merkwürdigen drei Gäste selbst zumuten, also ich wünsche mir nicht, daß irgendwer geknackt wird, sondern daß wir zu einem guten Verhandlungsergebnis kommen, und man sah, wie sie sich beim Wort knacken etwas sehr barbarisches sehr deutlich vorzustellen vermochte, und so grollte auch die Leitung Öffentlichkeit nicht weiter, sondern sagte, so habe sie es noch nie betrachtet, sie werde sich das aber für ihre Verlautbarungen merken, und im übrigen sei man sich ja in der Tat über die Ziele der Verhandlungen gleichbleibend einig.

Dienstag, 14. Oktober 2008

488.

Die Dame Ö setzte ihr Tablett ab und stellte Tassen auf dazu passende Plätze, Assistentin K kam hinter ihrem Schreibtisch hervor und setzte sich an den Tisch, besorgt, die Kreativleitung könne sich übernommen haben, und entschlossen, ihren Forderungen, die letztlich ja die Kernforderungen der EinSatzLeitung überhaupt waren, auch dann noch deutlichen Nachdruck zu verleihen, wenn der Gast wieder in seine alte Form finden würde, Mo hob kurz ein Kissen, um den Gast in Augenschein zu nehmen, und verkroch sich schnell wieder, und Dame Ö setzte sich, nachdem sie das Tablett abgestellt hatte, in äußerster Anspannung an den Tisch, unüberrascht und mit einer wohl am ehesten stoisch zu nennenden Gelassenheit ertragend, wie der leidenschaftliche Heuchler sich durch einen gewohnheitsmäßig abschätzigen Blick, welchen er auf sie und die Assistentin (um deren Aufmerksamkeit er sich gleich mühte) warf, sogleich erholte und dieses durch ein lang sich hinstreckendes und sich allmählich steigerndes Schwadronieren, welches durch winzigste Anmerkungen der Assistentin gelegentlich unterstützt wurde und zwangsläufig zu längst feststehender Zeit von der Dame Ö und ihrem untrüglichen Sinn für das Ende einer Konversation zum Abschluß gebracht werden würde, kundtat; nach einigen Minuten entfernte die Kreativleitung sich leise von diesem Tisch, an dem sie, wie ihr schien, für den Augenblick nichts mehr tun konnte, hockte sich neben Mos Fell, hob still das kleine Wesen zu sich hoch, kehrte noch einmal an den Tisch zurück, um Mos Tellerchen mitzunehmen, ein weiteres Mal, um ihre eigene Kaffeetasse zu holen, jedesmal den beiden EinSatzDamen aufmunternd zulächelnd, den Gast hingegen, als wäre zwischen ihnen nun alles gesagt, kaum mit einem Augenblick streifend, und dann beugte sie sich über ihre Arbeit, von der sie genau wußte, daß sie nicht das war, was die Leute von ihr verlangen zu dürfen glaubten, von der sie selbst aber ganz sicher war, daß es diese und keine andere war, die sie gegenwärtig zu produzieren habe, und sie freute sich an den kleinen Geräuschen, die das auf ihrem Schoß sitzende Mo beim Futtern verursachte.

Montag, 13. Oktober 2008

487.

Die Prachtrobe des leidenschaftlichen Heuchlers saß nach dieser Eröffnung wie leer auf dem Stuhl, und der doch noch darin saß, hatte den Kopf und den Blick gesenkt, da seine üblichen Blick-Techniken der Heuchelei im Gegenblick der Kreativleitung zu schmelzen drohten, und als er ihr seine Augen wieder zuwandte, hatte er die Überraschung auf seiner Seite, indem er fragte, was verlangen Sie also, und die Kreativleitung sagte fast verlegen, es wäre nett gewesen, wenn Sie mich das schon früher gefragt hätten, Sie wären übrigens erstaunt gewesen, wie wenig es ist, und sie geriet in die Versuchung, noch einmal aufzuzählen, wieviel Mühe und Peinlichkeit alle sich hätten sparen können, wenn man nur früher auf die einfache Idee verfallen wäre, sie so zu respektieren wie man es für sich noch stets in Anspruch genommen hatte, sie hob schon an zu erläutern, wieviel Gehirnschmalz auch allseits erspart worden wäre, welchen eine Seite - die der leidenschaftlichen Heuchelei - auf Rechtfertigung aller dümmlichen Maßnahmen verschwenden mußte, während sie ihrerseits noch mehr davon verbraucht habe, um alle diese Maßnahmen zu verstehen und zu umgehen und so unwirksam wie möglich zu machen, ja, eine gewisse Ermüdung hätte sie leicht veranlassen können, sich in eine entgrünende Rage zu reden, aber ein Rascheln am Schreibtisch der Assistentin veranlaßte sie, ihren neuerlichen Redeschwung zu bremsen und unumwunden zu sagen, was sie verlangte: Abzug aller Truppen, lachte sie, so würde man das politisch wohl nennen, ich verlange, daß Sie aufhören mit allen mehr oder weniger lächerlichen Versuchen der Gehirnwäsche, sei deren Ziel nun Rache für ein nie begangenes oder lange gesühntes privates "Verbrechen" oder eine gewaltsam durch Raub und Manipulation und Terror erzwungene falsche Gerechtigkeit, die die einseitige Ermächtigung nicht ankratzt (wo richtige Gerechtigkeit bei richtiger Einschätzung der Lage und Wahrung meiner Persönlichkeits- und Produzentinnenrechte eine leicht erreichbare Sache wäre) oder Versöhnungskitsch oder irgendein gegenstandsloses Anerkennungsverlangen, (dem ich immer schon genügt habe, sobald ich selbst über die "Anerkennungsresourcen" verfügte, ohne die man niemanden anerkennen kann, und wer sich einseitig in eine Machtposition bringt, bringt sich damit zwangsläufig um die Möglichkeit, vom Überwältigten noch anerkannt zu werden, ein Problem, das er aber nur allein lösen kann, wie er es auch allein herbei geführt hat, das kann man übrigens hier und da nachlesen, fragen Sie den Forschungsminister, Hegel ist keine schlechte Adresse, hat auch ein paar neuere Interpreten, die viel können), also ich verlange den Abzug aller mit derartigen Zielen ausgestatteten Truppen aus den mich im engeren Sinne betreffenden Gegenden, ich verlange volle soziale Rehabilitierung ohne daß man mich nötigt, hinter die in Jahren massiven Drucks ernötigte Erfahrung zurück zu gehen und so zu tun, als dächte ich noch so wie vor diesen unerfreulichen Ereignissen, und ich verlange volle Freiheit für ein wirklich neues Leben, natürlich wäre Unterstützung dabei auch nicht schlecht, aber die erste und beste Unterstützung ist doch wohl einfach offener und respektvoller Umgang auf Augenhöhe und vor allem uneingeschränkte Wahrung meiner Persönlichkeitsrechte, nicht wahr, und sie sah, wie der leidenschaftliche Heuchler angesichts dieser dreisten, zugleich sich wegen mangelnder Gewöhnung an einen Zuhörer verhaspelnden Rede an Kraft wieder zu nahm, denn hier zeigte sich endlich wieder ein Widerstand, auf den er in der gewohnten Weise reagieren könne, die Kreativleitung war gar nicht mehr so grün, Mo war für den Augenblick wie nicht in der Welt - und der leidenschaftliche Heuchler sagte, indem er kalt wieder in seine Robe hineinwuchs, dergleichen habe ich nicht vorgesehen, aber die Kreativleitung sagte, doch, das haben Sie vorgesehen, als sie sich auf dieselbe Verfassung verpflichtet haben wie ich, es ist nur so, daß ich keine Zwangsmittel habe, um von Ihnen die Pflichttreue zu erzwingen, die Sie mir absprechen, um vor sich und der Welt zu rechtfertigen, daß Sie in meinem Leben herumfuhrwerken, als wäre es Ihr Eigentum, aber dann hatte sie plötzlich den Impuls, ihm sanft die Wange zu streicheln und zu sagen, macht nichts, am Ende sind sie doch vielleicht ein ganz liebenswürdiger Kerl, wenn Sie sich das mal erlauben würden, und vor Schreck über diesen Gedanken errötete sie ein wenig, sprang auf und öffnete der Dame Ö die Tür, welche mit einem Tablett hereinkam, auf dem außer dem Tee für Gast, Assistentin und sie selbst auch ein Kaffee für die Kreativleitung dampfte.

Sonntag, 12. Oktober 2008

486.B

Es bedurfte keiner besonderen Absprachen. Dame Ö klopfte zart an die Tür der Kreativabteilung. Die Assistentin öffnete, im Gesicht ein verhaltenes Lächeln. Die Kreativleitung (nun deutlich grün, aber guter Dinge) erhob sich langsam aus ihrer Teppichlage und ging unangestrengt auf den angesichts dieser Art der Begrüßung etwas irritierten leidenschaftlichen Heuchler zu. Es war nur noch einer. Die Kreativleitung verbeugte sich leicht, um den zu vermeidenden Handschlag doch durch etwas zu ersetzen, und sagte: Es freut mich, daß Sie trotz allem, was Sie von uns gehört haben müssen, es wagen, in unsere Abteilung zu kommen. Ich sehe Ihnen an, daß Ihnen das Vertrauen, welches Sie allüberall predigen, nach allem, was ich davon gehört habe, selbst außerordentlich schwer fällt. Sie dürfen mir glauben, daß mich das nicht besonders wundert, denn wenn es einem so leicht gemacht wird, sich auf totale Kontrolle und die Fiktion der Allesdurchschauerei zu verlassen, wieso sollte man da selbst nötig haben und trainieren, was man von anderen so sehr gern verlangt, nicht wahr? Und so bemerkt man dann gar nicht, daß es nichts taugt und nichts ist, was man immer von anderen verlangt hat, als wäre es eine Bringschuld. Es läßt sich nicht trainieren und es läßt sich nicht machen. Es tut weh, eine Kontrolle aufzugeben, und es tut weh, wenn man merkt, daß man von anderen kontrolliert wird, und es tut weh, wenn man bemerkt, daß man niemandem mehr vertrauen kann. Das alles kenne ich. Sie haben sich derartige Erfahrungen bisher ersparen können. Immer gut verschanzt in Gemeinschaften, in denen Sie die Regeln befolgen konnten und damit was wurden. Dann und wann isolierten Sie ein Wesen als nichtvertrauenswürdig, durchschauten es und bewiesen aller Welt, was für ein schlimmer Mensch dies sei, darüber durften sich dann alle anderen in Ihrer Nähe wohlfühlen. Bis es den nächsten traf. Wie schön das für Sie gewesen sein muß. So schön, daß Sie denken, wer erfahren hat, daß die Welt so gar nicht funktioniert, der spinnt und muß von dieser Realitätserfahrung geheilt werden. Und Ihnen gilt als geheilt, wer wieder glaubt, daß die Welt so funktioniere, wie sie in Wahrheit nicht funktioniert, oder doch nur in sorgsam geschützten Kreisen. Von der wahren Heilung aber haben Sie keinen Begriff, und auch keine Ihrer Emanationen hat einen solchen Begriff. Assistentin K warf einen dringlichen Blick in das Gesicht ihrer Vorgesetzten. Die Kreativleitung unterbrach sich. Es war schon eine zu lange Rede geworden. Und völlig umsonst, da war sie sicher. Assistentin K lächelte. Die Kreativleitung besann sich. Vielleicht möchten Sie sich setzen, sagte sie zu dem leidenschaftlichen Heuchler, der leidenschaftslos war in Sachen Platzwahl. Assistentin K faßte ihn leicht am Arm und bot ihm am Runden Tisch einen Platz an. Er nahm einfach an und setzte sich. Sie bot ebenfalls der Dame Ö einen Platz an, diese aber lehnte dankend und ein wenig schwitzend ab. Sie werde im "Bistro" einen Tee für alle holen, wisperte sie, und verschwand. Assistentin K begab sich diskret wieder an ihren Schreibtisch. Nun saßen allein die Kreativleitung und der Gast am Tisch. Viel Platz ringsum. Um welche Art der Therapie geht es Ihnen also, fragte die Kreativleitung den immer noch verwunderten leidenschaftlichen Heuchler. Etwas unter seiner Prachtschärpe trug nicht mehr, ihm war, als müsse er danach suchen. Er fand es nicht. Er vermißte auch seine Emanationen. Er versuchte es mit sich selbst: Ich bin nicht gekommen, um therapiert zu werden, sondern um einen Auftrag zur Würdigung meiner Person(en) zu erteilen, bzw. um zu prüfen, ob ein solcher Auftrag hier bei Ihnen in guten Händen wäre. Die Kreativleitung schwieg. Sie lächelte. Sie hinderte ihre Augen daran, in den Winkel zu schielen, in dem ein ängstliches Mo unter dem karierten Schal und einem lockeren Kissenhaufen zitterte. Es wäre nun in der Ordnung gewesen, wenn der leidenschaftliche Heuchler die Verlegenheit hätte abgeben können, wenn er hätte sagen können: ich sehe, Sie haben nichts anzubieten, und wenn die Kreativleitung sich dann geschämt hätte. Er wollte seinen zweiten und seinen dritten rufen. Aber das wäre peinlich geworden. Er begann zu schwitzen. Daß die Kreativleitung grün und ruhig zugleich war, machte ihn nervös. Die Kreativleitung lächelte. Ich verstehe, daß Sie ein wenig Zeit brauchen, sagte sie dann. Ich möchte noch einmal sagen, wie sehr ich Ihren Mut bewundere, sich nach allem hier zu zeigen. Bleiben Sie ein wenig, Dame Ö wird gleich etwas Tee bringen, sie soll einen sehr guten Tee machen, ich selbst trinke keinen, ich vertrage ihn nicht, aber meine Gäste pflegen zufrieden zu sein. Der leidenschaftliche Heuchler fand noch keine Worte. Die Kreativleitung wertete das als ein sehr gutes Zeichen und nickte ihm aufmunternd zu.

486.

Die Kreativleitung hatte sich, Mo bündelig auf ihrem Bauch, wieder einmal in die Teppichlage begeben, Füße auf der Sitzfläche des Drehstuhls, um weiter über die Sache mit der Nachtigall, der Spottdrossel und den Brachvögeln nachzudenken, denn sie hatte aus menschlichen sogenannten Begegnungen einen starken Eindruck davon, wie es ist, wenn eine Reihe geschlossen auf einen Menschen zu kommt (zuletzt hatte sie es gesehen an einem einzelnen Menschen, dem man geradezu ansah, wie ein Reihentrainer ihm dieses flügelschlagende und schnabelvorreckende Gehabe als "Präsenz zeigen" antrainiert hatte, und obwohl sie selbst als Auge und mögliche Lieferantin von Respekt vor jener bestimmten Präsenz vorgesehen gewesen zu sein schien und sich dadurch durchaus für den Moment gequält fühlte, denn was hatte sie mit solchen Leuten zu schaffen, hatte sie innerlich lachen müssen und erst an das Spucken des Gefangenen in Rußland und dann fast mitleidig du Armer gedacht, daß man dir nicht klarmachen kann, wie aussichtslos jeder Versuch ist, mich zu interessieren für Machenschaftler, Trainer und Manipulatoren, so klar, daß du dich endlich nützlicheren Tätigkeiten und deinem Glück, das du doch in deinem Leben hast, zuwenden könntest, und sie fragte sich ein wenig verzweifelt, wie sie unter dem nicht nachlassenden Druck solcher Figuren, welche sie viel lieber aus der Ferne ein klein wenig würdigen und im übrigen vergessen würde, die Nachtigall jemals würde zu Gehör bringen können), während Assistentin K am Schreibtisch ein paar Schnipsel einer größeren Arbeit sortierte, als Mo, die für die Schritte im Korridor ein besonderes Gehör hatte, plötzlich aus ihrem Schläfchen aufschreckte und in Riesensprüngen zu ihrem Fell eilte, sich fest in den Schal wickelte und darum bat, mit einem zusätzlichen Kissen verdeckt zu werden, um auf keinen Fall für das, was sich da zu nähern schien, sichtbar und kenntlich zu sein, denn sich solchen Wesen wie diesen zu zeigen, heiße, sich zur Beute und zum Gegenstand einer Maßnahme und leicht verdaulich zu machen, und nachdem die Assistentin ihr entsprechendes Material gebracht und sie ganz bedeckt hatte, streckte sie noch einmal ihr graues Köpfchen heraus, um zu sagen, daß sie unter ihrem Schal und allem natürlich ganz fest und innig an die beiden Damen im Raum denken und ihnen für diesmal sogar so etwas wie standing wünschen werde, hieß das nicht so?

Samstag, 11. Oktober 2008

485.

Während die heilige, aber dabei herzlich leidenschaftliche Heuchelei selbdritt durch den Korridor schritt und sich nun ihrerseits bemühte, die Bemühungen der Dame Ö zu ignorieren, als wäre diese Person insgesamt nichts weiter als ein Kaffeefleck auf einer Prachtschärpe (diesen Eindruck zu vermitteln gelingt Persönlichkeiten wie dem ersten immer am besten dadurch, daß sie etwas aufsetzen, das sie selbst für eine strenge und würdige Miene halten, es wird bei Persönlichkeiten wie dem zweiten stets am gewissesten durch eine weltabgewandte Versenkung erreicht und bei Persönlichkeiten wie dem dritten durch die bemerkenswerte Fähigkeit, vollkommen unsichtbar zu wesen) tänzelte Dame Ö eben so neben ihnen her und lächelte tapfer, verließ sich auf einen Automatismus in ihren Füßen und in ihrer Wirbelsäule und dachte an irgendeinen Moment im Leben, in dem wenigstens diese abscheuliche Beklemmung noch nicht da gewesen war, hoffte auf einen Moment, in dem sie vorbei sein werde, und zugleich innig auf den Einfallsreichtum der Kreativleitung (ja, sie hoffte plötzlich sogar auf das Mo, das sie üblicherweise einfach nur ungezogen fand), so entsetzlich war es ihr, neben diesen Schreckensfiguren zu gehen: sie hörte das Klacken der Schuhe des ersten auf dem Boden und fühlte die gesamte Verpanzerung seines Wesens, mit welcher er die eigene Bedürftigkeit auf andere abzuladen pflegte, sie fühlte die gesamte Gewalt seines Verlangens, anderen seine Vorstellungen davon, wie die Welt zu sein habe, aufzunötigen, sie fragte sich, wie man je auf die Idee habe verfallen können, solche Existenzen in die EinSatzLeitung zu laden in der ernsthaften Hoffnung, das zu überleben, und so wurden ihr die lächerlichen Töne des Mobiltelefons des ersten zu einer Art Erlösung, ja, fast sympathisch wurde er ihr, als er nervös in seiner Prachtrobe herumwühlte, um das kleine Gerät herauszuholen, und als er dann mit weiterem Bemühen um seine würdelos angemaßte Würde salbungsvoll ein Ja bitte in den Hörer schnarrte, nur um dann von irgendeinem minderen Beamten (dem die Dame Ö einen Blumenstrauß zu schicken sich vornahm) die Nachricht über die Vergabe des Nobelpreises für Literatur entgegenzunehmen und ferner die Nachricht über die Verschärfung der Haftbedingungen für Michail Chodorkowsky nebst einer Bitte um EinSatz für dessen Befreiung, da empörte ihn die erste Nachricht (die Dame bemerkte es und lächelte, denn sie fand diese Wahl zwar nicht ganz so brillant wie damals die Wahl von Elfriede Jelinek, aber doch sehr erfreulich), während er zur zweiten Nachricht nur zu bemerken hatte, naja, was redet er sich auch um Kopf und Kagen, nicht wahr, man muß eben wissen, wo unten und wo oben ist, es ist eine Prüfung, wenn er daraus stark hervorgegangen sein wird, wird er uns nur umso besser und williger dienen, und damit war die allgemeine Erstarrung wieder vollkommen, als der Zug die Tür der Kreativleitung erreicht hatte, das zarte Klopfen der Dame Ö an der Tür erschien dieser selbst wie ein letzter Augenblick der Schonung für die Abteilung K, Dame Ö empfand sich plötzlich ganz gegen die Tagesordnung als eine Verräterin, die das Todesschwadron zur Delinquentin geleitet hatte und nun vor Scham in den Boden zu versinken hätte.

Freitag, 10. Oktober 2008

484.

Es wäre zu nett, heute ein wenig beim Buchhalter hereinzuschauen, wie er seinen Schreibtisch abputzt, seine Zahlen aufstellt (diese Viererreihe hat es ihm angetan), die Bankenkrise ignoriert (denn das ist zuviel für sein sensibles Herz) und sich an die einstweilen einkommenden Bilanzen hält (diese sind auch nicht tröstlich, aber überschaubar), wie er vor allem gar nicht erst den Kopf aus der Tür streckt, wenn diese verrückten Gäste sich über die Korridore bewegen (denn was gehen die ihn an, sie sollen einen Auftrag erteilen oder es bleiben lassen und dann auch nicht die Zeit der EinSatzLeitung stehlen, würde er sagen), während man in der Kreativleitung noch lange aus dem Fenster schaute, um zu sehen, wie der so sehr erheiternde Besuch davon flog, ja, es wäre zu nett, dem Buchhalter weiterhin dabei zuzusehen, wie er versucht, den nervösen Projektleiter etwas zu beruhigen, welcher seinerseits Sorge hat, der Oberassistent in seiner Mauligkeit könnte etwas falsch machen - aber das alles darf nicht sein, denn nun ist es an der Zeit für die berichtenden Instanzen, sich an die (zierlich in rotbraunen Lackballerinen herumtänzelnden) Fersen der Dame Ö zu heften, welche die drei nach der Belehrung durch den Demokratiebeauftragten erst ein wenig vergrämten und unterwegs kaum aufheiterbaren Gäste an allen offenen und angelehnten und geschlossenen Türen vorbei zur Kreativabteilung führt, bangend, wie der Besuch dort sich entwickeln werde, denn bei der Kreativleitung weiß man ja bekanntlich nie, welchen Fehler sie als nächstes machen wird, und wenn selbst der AllesRichtigMacher die Herren Gäste nicht erheitern konnte, wie sollte es da erst bei der ÖfterMalWasFalschMacherin, ihrer moderaten Assistentin und diesem komplett unberechenbaren Mo-Wesen laufen.

Donnerstag, 9. Oktober 2008

483.

Als die drei Vögel die Kreativabteilung wieder verlassen hatten, bemerkten sie im Überflug über die Niederungen der minderen Sprachen ein derartiges Spektakel unter den dortselbst klamm und breit nistenden Pestvögeln, daß sie ohne weitere Absprachen sich in einen leisen Landeanflug begaben in der Absicht, die Sache in genaueren Augenschein zu nehmen, und während die Spottdrossel und die Nachtigall sich in einer Weide niederließen, mußte der Kranich in seiner für derartige Niederlassungen unpraktischen Größe ganz bis an den Grund rauschen und sich hinter etwas Schilf aufstellen, um zu sehen, um was es in diesem ungeheuerlichen Spektakel recht eigentlich ging, und während er die Pestvögel im Zerreißen von etwas, das halb wie ein menschliches Wesen, halb wie ein Buch aussah, beobachtete, wobei sie heftig über die richtige Methode des Zerreißens zankten, fühlte er an sich selbst, wie es der Kreativleitung ergehen mußte, wenn sie recht grün wurde, aber an sich herabblickend bemerkte er kein Grünen, und dann hörte er, wie ein offenbar abtrünniger oder ebenfalls hier gelandeter Brachvogel einen Pestvogel darüber belehrte, daß jener Autor Jerzy Kosinski seine unglaublich barbarischen Geschichten erdacht (und keineswegs erlebt) hatte, anscheinend in dem Versuch, mit einer Erfahrung, der er selbst gerade entkommen war, bilderreich fertig zu werden, und der Pestvogel sagte, nein, alles was ein Mensch berührt, ist auf ihn zurückzubiegen, es sind alles seine eigenen Wünsche und Ängste, wenn er einen Blick hineintut, und der Brachvogel sagte, ist das so, weil Menschen keinen Schnabel haben, und der Pestvogel antwortete, nun, es könnte sein, daß es eine Schwäche ist, wenn man keinen Schnabel hat, da wandte sich der Kranich ab und weinte, denn es fehlte ihm an Verstand, so daß er nicht sagen konnte: das ist unlogisch, die Herren, denn wäre es so, dann gäbe es die Verbindungen, um deretwillen Sie Ihre tief beeindruckenden Analysen betreiben, gar nicht, ja, es könnte sie schlechterdings nicht geben, und da er so gering an Verstand war, konnte er auch nicht sagen, wenn das so ist, dann spricht die Tatsache, daß Sie überhaupt auf dieses Buch reagieren, doch Bände über Ihre eigenen Ängste und Wünsche - und ach, dachte die Spottdrossel, die das zankende Zerreißen und das Weinen und das nichtsnutzige, wenn auch wohlmeinende Gespräch mitleidig von ihrem Weidenast aus beobachtete, vielleicht ist es gut, daß der erzählende Kranich so wenig Verstand hat, denn hätte er ihn, müßte er zuallererst erfahren, daß er ihm genau gar nichts hilft, sein Argument würde ungehört verhallen, und das würde ihn doch nur noch trauriger machen.

Mittwoch, 8. Oktober 2008

482.

Während die Kreativabteilung auf solche Weise nicht dazu kam, eine ausgewachsene Nervosität vor dem hohen Besuch zu entwickeln, befand dieser sich im Chefinnenzimmer und tat sich (nach einer wegen ihrer glücklich erreichten völligen Reibungslosigkeit nicht weiter bemerkenswerten Begrüßung durch Leitung Ö und Chefin) ein wenig schwer mit der Belehrung über die Aufgaben des Demokratiebeauftragten durch diesen selbst, vermutlich deswegen, weil es sich bei ihm um einen Herren handelte, der ihre Lieblingsdiktion, in welcher sie Verehrung entgegenzunehmen gewohnt waren, durchaus beherrschte, wodurch - anders als bei den Damen, von denen man dergleichen ja gar nicht erst erwartet hatte - der Eindruck entstand, daß er sie ganz bewußt vermied, und dieses verdroß insbesondere den ersten, aber es betrübte auch den zweiten, und im dritten ereignete sich ein Zischen.

Dienstag, 7. Oktober 2008

481.B

Die Zeit, welche die Kreativleitung durch das von der Leitung Ö schnell entwickelte Besuchsprogramm für die dreifache Herrlichkeit gewonnen hatte, wurde durch eine weitere Überraschung reichlich überbrückt: Der erzählende Kranich landete wieder einmal auf der Fensterbank und hatte sich anscheinend gedacht, auch ihm möchte eine freundliche Begleitung nicht übel anstehen. So erschien er zur Feier des außergewöhnlichen Besuchs ausnahmsweise selbdritt: Er befand sich nämlich in Begleitung einer Spottdrossel und einer wunderbar süß und weich flötenden Nachtigall. Die Kreativleitung öffnete das Fenster ohne zu zögern und begrüßte ohne besondere Komplikationen die drei hübschen Vögel, die auch sofort in den Raum getrippelt kamen. Mo war natürlich sofort wach, warf mit hellem Schwung ihren karierten Schal von sich und begrüßte mit einem von ganz innen kommenden Strahlen den alten Freund, der mit weit ausgebreiteten Schwungfedern lächelte. Die Spottdrossel hopste interessiert um das kleine Mo herum, lachte sehr über das verzottelte Fell, auf dem dieses riesenäugige Wesen zu wohnen schien, und nebenher erzählte der erzählende Kranich, wie die Spottdrossel den obersten Brachvogel wieder einmal zum Lachen gebracht hatte. Das kam nach einem heftigen Gezänk unter Brachvögeln. Ein Brachvogel hatte bei einem anderen etwas abgekupfert, der andere Brachvogel hatte es spitz gekriegt, und nun zankten sie sich mit Auswirkungen auf die gesamte Kolonie in ohrenbetäubendem Lärm. Da kam ein oberer Brachvogel herzu und sagte, meine lieben Schäfchen (sie haben ja die seltsame Gewohnheit, sich abwärts immer Schäfchen zu nennen, obwohl sie doch mit den Schnäbeln eindeutig usw.), erinnert euch bitte einmal an die Zwergkänguruhs. Über diese wird von einem Kameraden aus der australischen Missionsabteilung das Folgende berichtet: "Ohne erkennbaren Anlass kam es bei den still vor sich hin grasenden Tieren ab und an zu großen Aufregungen und Prügeleien, die sich gefährlich steigerten, bis sich plötzlich wie auf Kommando alle Tiere in eine Reihe setzten und für eine Weile in dieselbe Richtung schauten. Daraufhin beruhigten sie sich und grasten wieder still vor sich hin. Luhmann, der von diesem Phänomen hörte, fand das grandios. Er erklärte, offensichtlich würden sich die Tiere durch eine Synchronisation ihrer Umweltwahrnehmung unter Ausschluss von Sozialwahrnehmung beruhigen. Alle sehen dasselbe, ein Stück Wiese, ein paar Büsche. Und da alle nebeneinander sitzen, sehen sie sich nicht selbst. Sie schauen sich nicht an und haben deswegen auch keinen Grund mehr, sich aufzuregen." Und siehe da, die Brachvögel fraßen die Geschichte, setzten sich in eine Reihe und schwiegen einträchtig. Nicht wahr, so ist das bei den Brachvögeln gewesen, schmunzelte der erzählende Kranich, und die alleräußersten seiner Schwungfedern zitterten ein wenig. Dann aber, fuhr er fort, kam die Spottdrossel angeflattert und sagte im ihr eigenen Tone: "Wie ist es nun nicht schön, nicht wahr, alle sitzen in Reih und Glied und betrachten nur noch die große Sache und nicht mehr sich selbst, und wie herrlich friedlich ist es jetzt. Der nächste Schritt wird sein: Ihre Betrachtung wird einen Feind zutage fördern, der sich mit Riesenschritten aus dem Busch heraus nähert, und alle werden sich auf ihn stürzen und ihn zerhacken. Wenn er dann aber tot vor ihnen liegt, werden sie sehen, daß er ein Brachvogel war wie sie selbst, sogar ein ganz besonders schönes und kraftvolles Exemplar, das lediglich von einem üblen und gemeinen Vogelfänger bunt angemalt worden war. Das wird sie ärgern, beschämen und zerknirschen, und um dem abzuhelfen, werden sie es zu einem heiligen Brachvogel erklären. So wird es kommen," spottete die Spottdrossel, und inkünftig werden alle Brachvögel weinen und schreien, wenn sie an seinem Bildnis vorbeikommen, aber ungerührt weiter bunte Brachvögel zerreißen, wenn ihnen sonst weiter nichts hilft. Nur der egoistischste aller Brachvögel, der sich zum Ärger der anderen energisch weigert, von seinen eigenen Sachen abzusehen und dabei auch noch behauptet, er könne sehr gut seine eigenen Sachen und die große Sache zugleich im Auge haben, nur dieser eigensinnige Brachvogel wird bei allen weiteren Angriffen auf bunte Brachvögel nicht mitmachen. Und wenn er einen Streit mit einem der anderen Brachvögel hat, dann wird er alles versuchen, um für einen anständigen Ausgleich zu sorgen, im eigenen Interesse UND im Interesse der anderen, denn in eine Reihe setzen, von sich absehen und fremdartige feindselige Brachvögel erfinden ist keine Lösung, meint er. Die Brachvögel, die bis dahin in einer Reihe gesessen und auf die Spottdrossel geschaut hatten, fingen einer nach dem anderen an, gefährlich mit ihren Flügeln zu schlagen und mit ihren Schnäbeln zu klappern und sich dabei in einer geschlossenen Linie der Spottdrossel zu nähern. An dieser Stelle habe dann aber, sagte der erzählende Kranich, der oberste Brachvogel gnädigst eingegriffen, um den Gast zu retten, denn er wollte nicht, daß seine Brachvogelkolonie eine solche Schande auf sich bringe. Erst schrie er laut Halt! Dann schrie er die Spottdrossel an und sagte ihr, sie wisse sehr wohl, daß sie die Kollegen Brachvögel schwerstens provoziert habe. Aber ja, sagte die Spottdrossel, aber ich wollte doch nur sagen, wie so etwas funktioniert, und dann sah der kleine Abweichlerbrachvogel am Ende der Reihe schon so elend aus, trotz all seiner Tapferkeit, da dachte ich, ich müßte etwas machen. Der oberste Brachvogel schaute auf die Spottdrossel und er schaute auf den kleinen Brachvogel. Dieser zeterte nicht mehr und zitterte nicht mehr. Er saß nur da am Ende der Reihe und drehte den Rücken in die Richtung, in welcher die anderen Brachvögel ihre Schnäbel nach der Spottdrossel reckten, und versuchte verzweifelt, die Reste eines kleinen Kunstwerkes, das er hatte bauen wollen, wieder zusammenzusetzen. Es wurde ein Nest, das viel zu klein war für alles ernst Brachvogelige, etwas wie ein Brachvogelpuppennest. Der oberste Brachvogel schüttelte seinen Kopf über dieses dusselige Vorhaben, das so viel Ungemach auf die Kolonie gezogen habe, erst haben sich alle aus wer weiß welchem Grund darum gestritten, dann haben sie fast die Spottdrossel angefallen, und nun sitzt dieser Kleine da und spielt. Dann aber, schloß der erzählende Kranich seine Geschichte, habe der Alte ganz ungeheuerlich zu lachen angefangen, und so laut, daß alle erschrocken aufgeflogen waren, und die kleine Nachtigall war darüber zu gekommen und hatte ein winziges Ei in das Nestchen gelegt, welches für ihre Größe sehr passend war.

481.

Die Tür der Kreativabteilung wurde nach zögerlichem Klopfen leise geöffnet, Dame Ö schlüpfte herein und sagte der Kreativleitung, welche eben erst das - endlich - wieder immerhin friedlich schnarchende Mo auf sein Fell gebettet hatte und nun grübelnd vor ihrem Wandteppich stand, es sei ihr gelungen, die kleine Delegation noch zur Chefin umzuleiten, welche sich gemeinsam mit der Leitung Ö ein wenig Zeit für sie nehmen wollte, man wolle sodann noch in die Demokratieabteilung, um dortselbst die Herren recht gründlich über einige wichtige Fragen zu belehren, und schließlich werde man sie also in ca. einer Stunde in die Kreativabteilung geleiten, in der man sie dann völlig deren Leitung und ihrer Assistentin überlassen werde, ob sie sich dann um Mo kümmern solle, fragte die Dame Ö, und die Kreativleitung dankte herzlich, zog es aber vor, zu diesem Zweck den Minderheitler mit den grünen Borsten herzuzubitten, welcher ja nur für den Fall überraschenden Erwachens mit ihr ins "Bistro" gehen müsse, und sagte, es wäre ihr lieber, wenn Dame Ö auch weiterhin ihr Auge nebst Braue auf die Dreiheuchlichkeit richten und diese ein wenig in Schach halten würde, man fühle sich doch etwas sicherer gegenüber dieser seltsamen Abordnung, wenn einem eine lebenserfahrene und resolute Dame zur Seite stehe; Dame Ö versprachs und verschwand so schnell wie sie gekommen war, um sich wieder dezent in den Hintergrund der Delegation zu begeben und sorgsam am Kaffefleck auf dem Schal des ersten vorbei zu schauen.

Montag, 6. Oktober 2008

480.

Die Leitung der Abteilung Öffentlichkeit fand es etwas unangenehm, ausgerechnet in der Zeit ihrer frühen Schwangerschaft (immerhin kamen die Übelkeiten nur noch morgens) mit diesen drei Knaben behelligt zu werden, zumal sie nicht wußte, welcher der drei ihr verheuchelter vorkam, das schöne Wort Leidenschaft aber, das sie sich eigentlich nur für besondere Augenblicke reservierte (man ist nicht umsonst wenigstens mit der Assistentin K früher mal befreundet gewesen), hätte sie nun wirklich keinem der drei angeklebt (oder auch nur verstohlen unter die Jacke gejubelt), wie sie da vor ihr standen; dem ersten freilich war immerhin ein Hang zu jener Schwundstufe der Leidenschaft, der Eiferei, nicht abzusprechen, welcher auch in diesem Augenblick nur mühselig unterdrückt aussah - und das vermutlich nur, weil ihn die maßlose und immer ein wenig an ihm vorbeischauende Höflichkeit der Dame Ö, welche auch jetzt in der Tür stehen blieb, nunmehr mit aufwärts entschlüpfter Braue, irritiert, ja, fast eingeschüchtert hatte (was nahm die sich heraus, zürnte es in ihm, Türtante in irgendeiner schmuddeligen EinSatzLeitung, mühsam zur Empfangsdame avanciert, aber benahm sich, als erwiese sie ihm eine Gnade, wenn sie ihm, der sich herabließ, mit etwas wie einer schwachen Hoffnung auf einen gemessen an hiesigen Verhältnissen nun wirklich lukrativen Auftrag den kleinen Betrieb höchstselbst nebst Ordonnanzen besuchlich zu beehren, ein paar Belanglosigkeiten um die Ohren säuselte) - aber es stand ihr gutes Ansehen bei der Chefin auf dem Spiele, und so erinnerte Leitung Ö sich an ihr standing, übernahm das Lächeln, das die Dame Ö ihr zugespielt hatte, preßte ihrer üblicherweise etwas hart klingenden Sportreporterinnenstimme eine kleine Süßlichkeit ab (Öl, hätte ihr der Kwaliteitswart wohl zu gezischelt, aber mit derartigen Erinnerungen konnte sie sich doch nicht auch noch aufhalten) und sagte, willkommen in der EinSatzLeitung, wie schön, daß wir Sie einmal persönlich kennenlernen dürfen, Sie werden sicher wissen wollen, wie unser Betrieb aufgebaut ist, und allmählich zogen ihre Worte sie in ein Fahrwasser, in dem sie nun wohl mit der Situation so weit fertig werden würde, daß die Braue der Dame Ö sich langsam wieder an ihren angestammten Platz begeben konnte.

Sonntag, 5. Oktober 2008

479.

"Sie wollen jetzt nicht im Ernst die Heilige Trinität herausfordern," sagte im Eintreten halb milde lachend, halb bedrohlich in seinem rüstungsartigen Kostüm schwellend der erste, "wir danken demütig für die freundliche Einladung," wisperte gebrochen und schön der zweite, und der dritte gab etwas von sich, das man als schweres Schnaufen oder auch sanftes Säuseln hätte verstehen können, aber hinter alledem war das verhaltene Kichern von Menschen zu hören, die sich für besonders schlau halten, indes die Dame Ö, welche die Gäste mit kontrollierter Braue und drei warmen Händedrücken empfing, überhörte noch diese in der englischen Bedeutung des Wortes "starke" blasphemische Anmaßung und hieß sie alle gleichermaßen und gleichhöflich willkommen, erkundigte sich nach den Umständen der Anreise und ob sie den Weg in die EinSatzLeitung auch gut gefunden hätten, sie sagte überdies etwas wie "wie schön, daß Sie zu dritt sind," lud zum Lobe des herrlichen, obzwar kühlen Oktoberwetters ein und geleitete die Herrschaften unter solchen Worten gemessenen Schrittes und stets aufmunternd lächelnd zum Büro der Abteilung Öffentlichkeit, wobei sie, da sie ihr Benehmen durch den Anblick eines kleinen Kaffeeflecks auf dem prächtigen Schal des ersten Gastes fast stärker gefährdet gefunden hatte als durch die Tatsache, daß "der leidenschaftliche Heuchler" zu dritt erschienen war, und auch stärker als durch die anmaßliche Rede des so absurd prächtig gekleideten Wortführers, an ihren Nachwuchs dachte, welcher bei der Armee gewesen war und sich nicht genugsam hatte verwundern können über die allzu penible Erziehung zu "kleidungsmäßiger Korrektheit," ja, als sie immer weiter ermunternd den Gästen zulächelnd und sorgsam am Kaffeefleck auf dem prächtigen Schale vorbeisehend, sorgsam auch die von dieser Person kommenden, immer etwas polterigen Sätze durch abfedernde Antworten parierend, den langen Korridor entlang ging, glaubte sie, die Antwort für ihren Nachwuchs gefunden zu haben, und die war denkbar einfach: man bringt durch unordentliche Kleidung die Menschen in Verlegenheit, und das ist unhöflich, wollte sie ihm sagen, so gedachte sie, ihm zu ermöglichen, etwas wie einen wirklichen Sinn in dem ihm entsetzlich stumpfsinnig erscheinenden Drill zu sehen.

Samstag, 4. Oktober 2008

478.

Bevor die Kreativleitung sich der Schilderung dessen, was sie bisher schon von der heuchligen Dreileidenschaftlichkeit, den heiligen drei Heuchlern oder der gedrittelten Heuchelei gesehen hatte, deren Emanationen natürlich die Eloge erheblich erschweren würden, widmen konnte, wurde sie von einem weiteren kleinen Schrecken heimgesucht, indem der Oberassistent ihr (gerade jetzt!) zutuschelte: wußtest du eigentlich, daß der Vater des künftigen Kindes der Leitung Öffentlichkeit kein anderer ist als der Mann, mit dem du eine Weile gelebt hast und den du als so entsetzlich fürchtest, und weißt du, wie entzückend sie ihn findet und wie übel sie nun neuerdings in ihren "Bistro"-Reden, von denen du so wenig hörst, daß du praktisch nie darüber schreibst, weil sie selbst an deiner Assistentin vorbei gehen, nun erst recht spricht, und die Kreativleitung erbleichte kurz, fing sich aber und sagte, es sollte doch schön sein, wenn zwei Menschen sich gefunden haben und miteinander glücklich sind, und sind sie denn nicht glücklich genug zu zweien, brauchen sie mich als drittes dämonisches Gespenst noch dazu, man hätte doch hoffen mögen, daß die Leitung Ö, die ich schätze, ohne mir allzu viele Illusionen über sie zu machen, man hätte doch hoffen mögen, sage ich, daß sie, da weder mit besonders tief wurzelnder Kreativität und den entsprechenden Nebenwirkungen noch mit bereits akut vor seinen Augen realisierter Mütterlichkeit geschlagen, nun in der Tat die Fülle seiner Liebe, die ich ja auch einmal genossen haben werde, bevor alles andere ihn in die erstaunlichsten Verhaltensweisen trieb, genießen und mich wenigstens in Frieden lassen kann, wäre das nicht etwas, und der Oberassistent, der sich den Anblick von ein klein wenig mehr Leid und Entsetzen, möglichst auch noch Schuldbewußtsein, erhofft hatte, antwortete, sie erzählt aber schlimme Dinge, welche ihr Schatzi durch dich erlitten habe, und die Kreativleitung sagte, soll sie doch, auch ich zweifele ja nicht an seinem subjektiven Leid und bin im übrigen überzeugt, daß wir einfach gar nicht zueinander paßten, man trenne das aber doch bitte von irgendwelchen Spekulationen über meine Natur, mein Wesen und meine Taten, und indem sie den Flur ein letztes Mal nach einer Spur des Kwaliteitswarts, den sie gern einmal wieder gesehen hätte, absuchte, wandte sie sich, begleitet vom in sich versunkenen Minderheitler mit den grünen Borsten und mit ihrer Hand ein vollkommen erstarrtes Mo besorgt wärmend, wieder in ihr Büro, während die Karawane der liebenswürdigen drei Gäste von der Dame Ö zunächst einmal ins Büro der Leitung Öffentlichkeit geführt und dort sicher aufs liebenswürdigste empfangen wurde; das Mo im Schoß setzte sie sich, biß sich auf die Lippen und sagte zum Minderheitler mit den grünen Borsten, manchmal wird doch etwas zuviel Ressentimentresistenz von einem Menschen verlangt, und dann hat man es plötzlich auch an und in sich, das böse kleine Ressentiment, das ist das schlimmste daran, oder?

Freitag, 3. Oktober 2008

477.

Mag man nun ein Buchhalter und als solcher in die Schönheiten gewisser Ziffernfolgen verliebt oder eine ratlos dem Einzug irgendwelcher Gäste zuschauende Kreativleitung sein, an hohen Feiertagen schaut man doch auch gerne einmal zurück und befragt die alten Weisen und besucht die Stätten aller möglicher Erinnerungen, oder man nutzt den arbeitsfreien Tag, um die weitere Familie zu besuchen, und so bietet sich in einem kleinen Haus mit schönem Blick über eine Veranda, in einem Hause, in dem aus feinen Porzellanen seit Jahr und Tag feiner Tee in dankbare Münder gegossen wird, folgende Szene, von der nichts ermäßigt werden soll: der ehemalige Chef wurde, je seltener man ihn seitens der EinSatzLeitung noch um seine Meinung oder sein Urteil oder gar seinen Rat ersuchte, je mehr er fürchtete, in Vergessenheit zu geraten (ein Ding, das mit Gelassenheit zu tragen um der großen ewigen Sache willen er früher vehement gepredigt hatte, weshalb er sich auch jetzt seine Sorge nicht einfach eingestehen konnte, so daß er sie eben umleitete) nur umso versessener auf Disziplin, Ergebung und Entindividualisierung bei anderen, und so verwunderte es seine Gattin – die diese Entwicklung seit längerem nicht ohne stille Besorgnis beobachtete – nicht besonders, daß er dem mittlerweile ganz erfolgreich lebenden Sohne anläßlich seines Feiertagsbesuchs im Elternhause wieder einmal die Frage stellte, warum er eigentlich seinerzeit so ein hartnäckiger Zuspätkommer und Schulschwänzer gewesen sei, und dieses Mal führte der Sohn lächelnd seine Tasse zum Munde und antwortete mit einer Ruhe, wie sie nur aus den Tiefen einer entwickelten Seele kommen kann, es war euch anders ja auf keine Weise mitzuteilen, daß ich als euer Sohn Anderes und mehr bin als eine der großen ewigen Sache zu verfütternde Ressource.

Donnerstag, 2. Oktober 2008

476.

Nach Berichten, Beiträgen und Telefonreportagen hatte nicht nur die Dame Ö sich den leidenschaftlichen Heuchler ganz anders vorgestellt: man hatte wohl schon einmal bemerkt, daß er bald im Singular, bald im Plural zu sprechen schien, daß er aber selbdritt auch die EinSatzLeitung beehren würde, damit hatte niemand gerechnet, und es ergab sich so natürlich ein kleines protokollarisches Problem nebst einer ersten starken Herausforderung an die flexible Handhabung der Umgangsformen für die Dame, welche diese unter völligem Verlaß auf die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse und gewisse Qualitäten der Leitung Öffentlichkeit aber noch mit einer gewissen Leichtigkeit bewältigte - eine viel schwerere Herausforderung stellte sich hingegen der Kreativabteilung, die doch noch stets beauftragt ist, über derlei Vorfälle zu berichten, denn bereits die Frage, mit welcher Person oder Emanation der Heiligkeit der leidenschaftlichen Heuchelei, der geheuchelten Leidenschaft für die Heiligkeit oder der Leidenschaft für die heilige Heuchelei man die Beschreibung beginnen sollte, war eine unter vielen Hinsichten schier unentscheidbare Frage für die zunächst vorgeschickte Assistentin K, für deren Lösung diese den Rat des klitzekleinen Forschungsministers einholte, welcher seinerseits umstandslos und etwas mürrisch empfahl, einfach eine Person nach der anderen in der Reihenfolge ihres Eintretens "durchzubeschreiben" und das Sprechen in Emanationen den Selbstbeschreibungen der zu Beschreibenden zu überlassen, aber die Kreativleitung fand das unerträglich langweilig, und das gerade jetzt, da sie, das Mo auf der Hüfte, den Minderheitler mit den grünen Borsten mit der anderen Hand gedankenverloren an irgendwelchen Borsten kraulend, sich zum Türrahmen des Kreativbüros bewegt hatte, wo sie nun lose stand und fasziniert den Einzug der drei höchst unterschiedlichen Persönlichkeiten beobachtete.

Mittwoch, 1. Oktober 2008

475.

Bevor die Dame Ö am Dienstag ordnungs- und pflichtgemäß den leidenschaftlichen Heuchler um Punkt 17.00 Uhr am Eingang begrüßte und durch ein wohlerwogenes Besuchsprogramm geleitete, ereignete sich im "Bistro," in welchem sie sich ein wenig stärkte, folgendes: was ist vulgärer als das gewöhnliche ökonomistische Sprechen, fragte der Demokratiebeauftragte die Dame Ö, als er sich erschöpft von heftigen parteipolitischen Wortgefechten, die er gerade hinter sich gebracht hatte, im „Bistro“ zu ihr an den Tisch setzte, und die von dieser Frage sehr überraschte Dame Ö, die eigentlich so ziemlich alles, was sie in der Welt sah, unerträglich vulgär fand (ein Zug, den mancher an ihr unerträglich fand, aber das schien sie nicht sonderlich zu beeindrucken), sagte, dieses ökonomistische Sprechen ist vulgär und alles andere auch, man hat wenig Grund, Ausnahmen zu machen, hat man aber doch mal einen, soll man sich sehr freuen und milde werden, aber der Demokratiebeauftragte meinte, er würde normalerweise nun wirklich "völlig anders ticken," es gebe indes schon Dinge, die wirklich vulgär seien und manche sogar noch vulgärer als das gewöhnliche ökonomistische Sprechen, und das sei - so sein Resumee der Debatten des Tages - alles moralinsaure und empörungsgesättigte Gekeife oder Geschwafel gegen alles Ökonomische, und während er dies alles vorbrachte, schmiss er seine länglichen Gräten genervt von sich und saß zugleich so, als nähme er seinen Stuhl nicht wirklich ein, eine Nichthaltung, für die er zuverlässig eine Rüge von seiner Sitznachbarin erwartete; diese aber sah ihn wohlgefällig, fast verträumt an und sagte, sehen Sie, so sitzen kann auch nicht jeder, und Sie haben es vermutlich nicht einmal geübt!

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