Mittwoch, 30. April 2008

321.

Die Gattin des Chefs hatte unterdessen hochzufrieden bemerkt, daß ihr Gatte im Hochgefühl des Bewußtseins seiner Unentbehrlichkeit just den Anstoß erhalten hatte, den er brauchte, um sich nun gerade zurückzuziehen (es war vielleicht das winzige Element von: sollen sie doch mal sehen, wie sie ohne mich klarkommen, das ihm im ersten Anprall seiner körperlichen Erkrankung gefehlt hatte, war er schließlich seit Jahrzehnten daran gewöhnt, nichts von dem, was er im großen ganzen äußerst umsichtig und verantwortungsvoll tat, ohne einen kleinen lustvoll aggressiven Stachel zu tun, wie hätte er nun ausgerechnet aus nichts als Schwäche seinen Abgang planen sollen, nicht wahr!) es war damit die Belastung von ihr genommen, ihn zu seinem Besten drängen zu müssen, und ganz gerührt bemerkte sie, als sie ihm ein Tellerchen mit Apfelstücken und Schokolade an den häuslichen Schreibtisch brachte, daß er allen Ernstes damit beschäftigt war, auf ungefähr 17 Zetteln, die vor ihm ausgebreitet lagen, kleine Notate zu verfertigen, um bei seiner dankbaren Abdankungsrede niemanden von denen zu vergessen, die ihm im Laufe der Zeit eine Wohltat erwiesen oder einen Gefallen getan oder sich unermüdlich um die große Sache verdient gemacht oder noch durch permanentes Versagen das Gefühl der eigenen Bedeutung gegeben hatten - und auch seine Rivalen und Gegner innerhalb und außerhalb der EinSatzLeitung wünschte er zu bedenken, und so hatte die Gattin nun auch wieder etwas, um sich zu sorgen: die Rede drohte unerfreulich lang zu werden.

Dienstag, 29. April 2008

320.

Als die Gattin Ö wie jeden Morgen, an dem die Sonne schien, das Frühstückstablett auf dem Verandatisch absetzte, wurde sie der Zeitung vom Vortag ansichtig, die da noch auf einem Stuhle lag (es war Unordnung ausgebrochen im Haushalt, denn ein Enkelkind war der Familie Ö geboren worden und die Gattin hatte den ganzen Tag und einen Teil der Nacht bei ihrem ältesten Sohn und seiner Familie verbracht, um dort der Unordnung entgegenzuwirken), und ihre Braue rutschte enorm hoch, befand sich immer noch recht weit oben auf der Stirne, als ihr Gatte sich zu ihr setzte, sich dampfenden Tee in die Tasse gießen ließ, ein Zückerchen einrührte, ein Sahnetröpfchen hinzufügte und fragte, was bewegt dich so, meine Liebe, gibt es neue Nachrichten vom Kleinen, aber die Gattin winkte ab, brach, erschöpft von den Erschütterungen der Begrüßung eines Neugeborenen in der Welt, fast in so etwas wie Tränen aus, faßte sich aber rechtzeitig wieder und sagte, in was für einer Welt leben wir bloß, in der noch ein ICE mit einer Schafherde "kollidieren" muß, damit auch klar ist, wie ungerecht es doch von den blöden Schafen ist, da über die Gleise zu taumeln, nicht wahr, also daß ein ICE mit Schafen kollidiert, darüber kann ich mich eigentlich nicht beruhigen, und der Gatte Ö wunderte sich über diese merkwürdige Äußerung, denn zwar kannte er schon die seltsame Überempfindlichkeit seiner Gattin in sprachlichen Dingen, aber wie sie plötzlich Interesse an den armen Schafen nahm, als könne der ICE etwas dafür, daß die in den Tunnel geraten waren und als wären die Zeitungen nun besonders herzlos und als wäre das alles fast so etwas wie ein Gericht, das fand er doch etwas übertrieben, und er sorgte sich etwas um die Resolutheit seiner Gattin, auf die er sich sein Leben lang verlassen hatte, und fragte sich, ob bei ihr jetzt durch die Geburt des Enkelkindes etwa eine neue unerquickliche Äre beginnen würde, aber da bat sie ihn schon um ein Stück der neuen Zeitung, und so konnte er in Gedanken in die EinSatzLeitung vorauseilen, wo etliches zu erledigen sein würde.

Montag, 28. April 2008

319.

In irgendeinem Lied heißt es, am andern Morgen war das Wasser wieder glatt, paar Planken, die schwammen drauf, zitierte die Assistentin K, als sie wieder in dem Büro saß, für welches sie gleichsam zuständig war, aber das ist ein seltsames wildes, bißchen irres Lied, wenn ich mich recht entsinne, und die Kreativleitung ging an den goßen Musikschrank und fand die Aufnahme relativ schnell, sagte der Assistentin aber, sie möge sie bitte zuhause hören, der Zustand von Mo scheine dergleichen im Augenblick eher nicht zuzulassen, man wisse nicht ... o weia, sagte die Assistentin, du bist aber schon ein wenig zimperlich mit ihr, findest du nicht, und die Kreativleitung sah sie einen Augenblick an, sah das grauschrumpelige und auf dem Fell im üblichen leise schnaufenden Schlaf liegende Mo an und dachte im laut- und geruchlosen Geräuschwind der Assistentin stehend bei sich, also die auch nicht, die kann es auch nicht aushalten, die kann ich auch nicht aushalten, was machen wir denn da bloß, wir machen vielleicht einfach mal nichts, wir befreien niemanden, wir retten niemanden, wir bedauern niemanden, wir erdulden niemanden, wir erlauben niemandem, uns zu erdulden, wir rühren uns einfach nicht, und so sagte sie den Blick wieder der Assistentin zuwendend nur leise, bitte, tu mir den Gefallen, mach hier deine Arbeit in Ruhe und hör dir die wilden Lieder zuhause an, und die Assistentin verdrehte ein wenig die Augen, fügte sich aber, denn erstens war sie auf dieses blöde Lied sowieso nicht soo scharf gewesen, sie hatte sich eben nur an die Zeile erinnert, sobald das Spektakel im Büro der Demokratiebeauftragten hinter ihr lag, und zweitens war sie sicher, es würden wieder andere Zeiten kommen, und drittens mußte aus einer Sache, die dem klitzekleinen Forschungsminister in seinem "Schreiten" eingefallen war, schnell noch etwas Verträgliches gemacht werden.

Sonntag, 27. April 2008

318.

Laut miteinander zankend betraten zwei Minderheitler das Büro der Demokratiebeauftragten, um auch noch schnell auf die Möglichkeit eines Dialogs zwischen China und dem Dalai Lama anzustoßen, bevor in dieser Geschichte die nächste Drehung sich ereignen würde - aber ihr Zank betraf ein lokales Problem, der Minderheitler mit den grünen Borsten hatte die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse energisch aufgefordert, über das Geschick des kleinen innerstädtischen Flughafens abzustimmen, und diese hatte ihn nahezu tranig angeschaut und gesagt, ach weißt du, wenn ich nach Sympathie gehe, dann mag ich eigentlich ein paar von den Leuten, die sich sehr für seinen Erhalt einsetzen, und auch ein paar von den anderen (nun nicht gerade die "Bonzenbeschimpfer"), und wenn ich nach meinem Geschmack gehe, dann möchte ich eigentlich lieber, daß man mit dem alten Gelände mal was Schönes macht, halb museal, halb frisch und grün, vernünftiger erscheints mir auch, aber dann wieder kenn ich ein paar Leute, die ihn gern benutzen, und warum zum Teufel nicht, ich mochte auch den Bahnhof Zoo, aber dann auch den Hauptbahnhof, die Städte verändern sich, man lernt, auf irgendwas zu verzichten und was Neues zu schätzen, und letztlich muß ich also zugeben, daß ich wirklich keine Meinung dazu habe, und der Minderheitler mit den grünen Borsten fand diese Haltung absolut skandalös, und die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse gab ihm zumindest insoweit recht, als sie auch fand, etwas stimme hier möglicherweise mit den Prozessen der Entschdeidungsfindung nicht so ganz, nein, so würde sie es nie ausgedrückt haben, da muß jetzt der klitzekleine Forschungsminister auf der Tastatur herumgehüpft sein.

Samstag, 26. April 2008

317.

In der Abteilung Öffentlichkeit beschloss die Assistentin Ö, welche sich angewöhnt hatte, unwillkommene Post einfach wegzuwerfen, heute eine Ausnahme, denn mit einer Art Restinteresse beobachtete sie immer mal gern, was der durchrenovierte Buchhalter machte und wie die Leute darauf reagierten, sie erwartete diesmal Zuschriften aller Art, besann sich also auf ihr standing und fand, sie könne sich dann und wann einen Blick in die Tiefen der medialen Öffentlichkeit zumuten, aber bereits durch die ersten Seiten der Zeitungen wurde sie völlig von ihrem Vorhaben abgebracht, sie las Dinge, die ihr sogleich erklärten, warum sonst noch niemand da war, und sie dachte, es geschehen ja wirklich kleine Wunder, vergaß ihr standing, rückte ihre stets ordentliche buntgestreifte Bluse noch ein wenig ordentlicher zurecht, eilte ins Büro der Demokratiebeauftragten und bekam sofort ein Glas Sekt in die Hand gedrückt, um auf den ersten Erfolg der tibetischen Proteste und auf einige andere ziemlich gute Nachrichten anzustoßen, alle hatten sich in dem Büro versammelt, und der Chef wollte anscheinend eine kleine Rede halten, stand aber noch mit seiner Gattin und mit der Kreativleitung, aus deren Bündel ein vorsichtiges Mo schon wieder den eben doch allzu neugierigen Kopf streckte, in einer Ecke, die Demokratiebeuaftragte selbst unterhielt sich mit den auch anwesenden Gattinnen über die teils allzu mißbilligende Berichterstattung zum Etappensieg der amerikanischen Kandidatin, Assistentin K und der stille Theologe tuschelten über den Besuch der Fara Diwa, und nur der Kollege Karomütze starrte auf einen neuen großen Globus, welcher im Büro aufgestellt worden war, und suchte mit dem Finger auf Sri Lanka herum, bis die Assistentin ihn von hinten antippte und sagte: eine Minute Freude wirst du dir gönnen dürfen, Junge, du kannst dann gleich wieder zur nächsten Aufgabe voranschreiten.

Freitag, 25. April 2008

316.B

Nächtens das Büro der Kreativleitung. Diese liegt auf ihrem Teppich, die Füße auf dem Drehstuhl. Neben ihr das Fell, darauf Mo, die winzigen Gliedmaßen von sich gestreckt, der karierte Schal ist nur so lose darüber geweht. Mo wirkt zufrieden. Sie liebt dieses Liegen, besonders, wenn ihre fürsorgliche Freundin neben ihr liegt. Eine der wenigen kleinen Freuden, die ihr geblieben sind. Die Kreativleitung selbst entspannt nur langsam. Sie weiß, sie sollte über den Chef und die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse schreiben. Zwischen denen geht es wirklich hoch her. Die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse wütet und klagt, man kümmere sich zu wenig um sie, man scheue Konflikte, die man aber wagen müsse, selbst erklärte Freunde würden sie ständig in Stich lassen, es sei ihr zum Beispiel zu Ohren gekommen, daß da von einer angeblichen Freundin (gemeint sein wird die Demokratiebeauftragte) Kontakte, äußest suspekte geheime Kontakte unterhalten würden zu irgendwelchen Leuten in einem Lande, das nun wirklich anathema sei, und das ginge nicht (auch Karomütze trage schwere Bedenken). Aber der Chef - der nun den dringlichen Eindruck hat, mit dem Abdanken noch etwas warten zu müssen, denn die Sachlage erweist sich als außerordentlich schwierig, so wie diese Minderheitlerin sich aufführt wird die ja ihre letzten Freunde verschrecken, wer hat schon so viel Grandezza wie er und seine Gattin, na, und wenn er ehrlich ist, hat er natürlich genau wegen der Hoffnung auf eine solche Unentbehrlichkeitserfahrung die EinSatzLeitung trotz angeschlagener Verfassung aufgesucht - sagt, es gebe hier für ihn nur ein Vorbild, und das ist der Schindler, hat der nicht zu allen üblen Typen alle üblen Kontakte gepflegt, um die, die er retten konnte und wollte, zu retten, und sind es nicht solche Menschen, die man heute wieder braucht und ehren soll, wo man sie trifft, und nicht solche, die aus Angst, als illoyal zu gelten, sich aller Chancen berauben, zu retten, was zu retten ist? Die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse stutzt einen Augenblick. Wie aber, sagt sie dann, wie soll ich denn erkennen, ob der, der die üblen Kontakte pflegt, ein Schindler ist, wenn er doch ebensogut nichts als ein gemeiner Schinder sein könnte? Hohoho, macht der Chef, dir purzelt ja mal wieder einiges durcheinander, da tobt ja der Schund auf der Wortspielbank. Die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse ist manchmal etwas humorfern, und sie mag es nicht, wenn der Chef so spricht. Er wiederum mag, daß sie ihm das ungeschminkt zu zeigen wagt.
Am Himmel hängen dicke graue Wolken. Enten fliegen träge quakend zwischen ihnen und der hochgelegenen Dachterasse über das ganz unten gelegene sehr klare Bergwasser immer weiter über den berühmten See. Auf der Terasse liegen in ihren Träumen die Kreativleitung und Mo und haben ganz andere Sorgen, was denn für Sorgen? Sie lächeln doch, lächeln sie nicht, ja sie lächeln, selb-beid, und es ist ein richtiges Lächeln, denn für die Enten fälscht man doch keines, die beiden untereinander sowieso nicht, und überhaupt mißversteht man die Natur des Lächelns, wenn man zwischen falschem und wahrem Lächeln unterscheidet.
Die Kreativleitung spricht zu Mo über die Gesichter junger Männer, welche sich an älteren Frauen vorbei drängeln und dabei im Gesicht den Ausdruck haben, welcher mitteilt, sie denken, es gebühre ihnen, für diese ihre Grobheit oder für was auch immer sehr unbedingt und einseitig geliebt zu werden. Welche Unzahl von solchen Burschen man bereits auf kleinen Reisen sehen kann! Weißt du, sie haben wirklich Angst, sagt die Kreativleitung zu Mo, man kann sich nicht recht vorstellen, wovor, aber daß die Angst gewaltig ist, das ist selten zu übersehen. Da krampft sich Mo zusammen, wird so grau, wie die Kreativleitung grün ist, entkrampft sich wieder, rollt sich in der Abwendung nun auch von der Freundin ein, und wird wohl gleich wieder schlafen. Ach Mo, sagt die Kreativleitung, du mußt bedenken, sie halten wirklich selbst nicht einmal für möglich, was sie dir angetan haben, denn da du es überlebt zu haben scheinst, glauben sie weiter, dich fürchten zu müssen, wogegen ihnen jedes Mittel recht ist.
Es ist zu spät. Mo ist in ihren totengleichen Schlaf verfallen, den nächsten Entenschwarm wird sie solide überhören.
Es kann aber auch nicht sein, daß sie es wirklich nicht wissen, murmelt die Kreativleitung, und wickelt den karierten Schal fest um das winzige, fast nicht mehr lebendige Mo.

Donnerstag, 24. April 2008

316.

Der Buchhalter, der unterdessen wieder buchhielt wie gehabt, (er hatte in einer seiner One-Nights eine Begegnung erlitten, die zwar wie alle vorher mit einem selbstgerührten Ei verabschiedet worden war, dann aber doch irgendeinen absurden Widerhaken in ihm hinterlassen hatte, einen hochabsurden, wenn er so recht darüber nachdachte - und also zog er es über 14 Tage vor, nicht darüber nachzudenken und wieder in gewohnter Strenge buchzuhalten) nahm am Freitagmorgen auf dem Weg zu seinem Büro einen kleinen Umweg über das "Bistro" wie es seine Gewohnheit war und fand dort zu seiner nicht geringen Ueberraschung die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse in einem lebhaften Gespräch mit keinem anderen als dem Chef vor: der Chef war tatsächlich wieder aufgestanden und ins Büro gegangen, hatte sich aber anscheinend vorgenommen, einmal unter die Leute zu gehen als wäre er einer von ihnen, und er hatte sich über sein krawattenlos getragenes blaues Hemd ein sehr saloppes Sakko gezogen, was freilich an ihm immer noch ziemlich elegant aussah, und sogar seine üblicherweise etwas ungesund gerötete Gesichtshaut wirkte an diesem Morgen oder im Licht des "Bistro" irgendwie weniger gezeichnet von erhabener Kränklichkeit, und seine Miene war etwas zwischen besorgt und amüsiert, je nachdem, was die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse, die sich über irgendetwas sehr ereiferte, ihm gerade zu sagen schien (und wenn wir jetzt tiefer in dieses Gespräch einsteigen wollen, wenn ich mich gar noch dazu setze, sagte sich der Buchhalter, dann werden wir wohl kaum ohne eine längere Passage auf der B-Ebene auskommen).

315.

Von all dem Spektakel war im Kreativbüro wenig angekommen, die Kreativleitung selbst hatte wohl das aufgefangen, was der Kwaliteitswart in einer Art Brechung seiner eigenen Funktion die "Schwingungen" genannt haben würde (und da er manchmal so redete, dachte die Kreativleitung, sollte er öfter der Gattin Ö als mir einen Besuch abstatten, denn die würde ihn rigoros und unnachgiebig an sein Amt erinnern und ihm derartige Ausdrücke untersagen, sie selbst übersetzte sich das Wort, wenn er es aussprach, lieber in eine Assoziation mit Swing-Musik, dann ließ es sich aushalten), war aber im übrigen so sehr mit dem Weben an ihrem Teppich beschäftigt, in dem diese Mißstimmungen aus den Fluren ja sämtlich ihren Platz finden sollten, daß sie nicht ohne eine gewisse Bockigkeit alle offiziellen Nachrichten ignorierte, selbst das kleine Mo, das in diesen Tagen völlig zurückgezogen in einer Ecke des Zimmers hockte und manchmal leise seufzte, wenn es überhaupt wach war, hatte nur einen geringen Teil ihrer sonstigen Aufmerksamkeit zu gewärtigen, es war, als wollte die Kreativleitung um keinen Preis in den Flur treten und sich mit den Dingen beschäftigen, die die anderen EinSatzKräfte zu stemmen hatten, vielleicht ahnte sie, daß sie noch ein wenig Kraft sammeln mußte, denn sobald die Demokratiebeauftragte ernstlich die Nachfolge des Chefs (von dessen Abdanken die Kreativleitung wohl lange etwas ahnte, von dessen akuter Krankheit sie aber noch keine wirkliche Kenntnis hatte) antreten würde, würde wohl auch die Dame K etwas häufiger zu Beratungen herangezogen werden, während umgekehrt im Prozess der Nachfolgeregelungen das relativ gute Einvernehmen nicht nur zwischen Chef und Demokratiebeauftragter einigermaßen gestört sein dürfte, aber von allem diesem wollte sie in diesen Tagen nichts wissen, sie wollte durchaus an ihrem Teppich weiter weben, das war alles, und einstweilen kam niemand, um sie darin zu stören.

Mittwoch, 23. April 2008

314.

Als die Demokratiebeauftragte sah, wie sich ihre beiden Bürogenossen murmelnd grämten und in Flur und "Bistro" schon alle dort herumlaufenden EinSatzKräfte durcheinander brachten, gab sie sich einen Ruck, redete sie direkt an und sagte, man müsse sich endlich wieder um die Befreiungen kümmern und die hauseigenen Probleme eher nebenher lösen, man müsse den Blick nach Darfour richten und die vollkommen natürlichen Rückzugs- und Nachfolgeangelegenheiten des ehrenwerten Herrn Chef (dem sie noch einmal gute Genesung wünschte und eine wirklich angenehme Zeit mit der geschätzten Gattin) ebenso wie die allseits wildwuchernden Spekulationen über dieselben mit Gelassenheit ertragen, man müsse den Landesfürsten ehemals befreiter Kolonien sehr deutlich nahelegen, ihre Landeskinder aus irgendwelchen Korruptionsknechtschaften zu befreien, man müsse unter den eingewanderten Populationen mit Vehemenz und zugleich ohne großes Theater die doch vorhandenen natürlichen Verbündeten gegen die diversen multikulturellen Haustyranneien und Hassorgien suchen (Hilfe, sagte der stille Theologe, und fürchtete wegen dieser harten Worte um das mühsam aufgebaute Porzellanregal, aber wer kein Haustyrann ist, der muß sich schließlich auch nicht angesprochen fühlen, knisterte der Forschungsminister schwächlich, da war freilich der stille Theologe anderer Meinung, denn die bloße Verbindung von "Multikulturalität" und "Haustyrannei" insinuiere etwas usw.), man müsse, fuhr die Demokratiebeauftragte ungerührt fort...da öffnete sich die Tür und die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse kam herein und sah etwas mitgenommen aus, weil unter den Betroffenen eines Terroranschlags an einem hohen Feiertag einer ihrer Freunde gewesen war, und sie sagte, wenn so etwas passiert, geht einem doch die ganze Politrhetorik nur auf den Geist, auch wenn ja vieles davon nicht nur richtig, sondern auch praktisch nötig ist, und die Demokratiebeauftragte unterbrach ihre Rede, die ihr selbst plötzlich hohl tönte, obwohl doch alles so richtig war, umarmte die Minderheitlerin und sagte, wir haben nur die schwache Hoffnung auf die besten Verhandler und alle einzelnen, die auf allen Seiten aktiv werden gegen jedes einzelne blöde Nein zum Lebendigen, und sie sah, daß diese Worte einstweilen nicht zu trösten schienen und auch nicht zu beruhigen, aber sie hielt sie fest wie sie nun auch die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse für den Moment festhielt, und bat die Herren, sie für einen Moment mit der Kollegin alleinzulassen, was diese gern taten, denn nach beklemmenden Szenen stand ihnen nun nicht der Sinn.

Dienstag, 22. April 2008

313.

Der klitzekleine Forschungsminister und der stille Theologe beobachteten etwas derangiert, wie die Demokratiebeauftragte um ihren Schreibtisch herumwanderte und halblaut darüber nachdachte, wie es nun wohl weitergehen würde mit der EinSatzLeitung, wenn wirklich der Chef abdanken würde, was alles zu tun wäre etc., auf ihren Zuschauerplätzen verharrend rechneten sie fest damit, daß man ihr die Leitung des Ladens übertragen würde, und wie das im Einzelnen vonstatten gehen sollte, darum sollten sich gefälligst der Buchhalter und der Chef selbst kümmern, sie hatten eher die zugegeben etwas kleinliche Sorge, daß man ihnen dann in dem noch nicht zuende geteilten Büro jemand anderen, einen neuen Demokratiebeauftragten oder eine neue Demokratiebeauftragte, zuteilen würde, und wer konnte sagen, was das für ein Mensch sein würde und ob es dann noch so munter zugehen würde, denn sie wußten nicht, wie sehr sie es auch selbst waren, die die Atmosphäre durchaus mitbestimmten, oder sie wußten es doch, wußten aber auch, daß ein "befugter Anderer" eben einen unleugbar größeren Einfluß haben würde, und so tuschelten sie untereinander, wagten aber nicht, das Gemurmel der Demokratiebeauftragten zu unterbrechen, die ein äußerst mißmutiges Gesicht zog, als einmal das Telefon sich erfrechte zu klingeln oder zu flöten oder was diese Geräte immer so für Töne von sich geben.

Montag, 21. April 2008

312.

Der Chef lag unterdessen auf dem häuslichen Sofa mit Blick in den Garten, in welchem seine Gattin sich heute um das Kräuterbeet bemühte, und er erlitt in sich und an sich die Stimmungsschwankungen, denen einer ausgesetzt ist, sobald ihn die körperliche Gesundheit ernstlich im Stiche läßt, während sein Geist noch kühn über alles hinwegschwebt und gar erst zu voller Höhe sich aufzuschwingen gedenkt, während sein Herz hellwach ist und liebevoll umfängt, was ihm ein Leben lang anvertraut war, und während ein so herzliches wie irdisches Sehnen sich bei jeder winzigen Kräftigung des schütteren Körpers alsbald wieder einstellt, um nach Schönheit und Liebe zu verlangen, o ja, je deutlicher der eigene Verfall, desto wilder wird vielleicht gar das immer wieder auflodernde Verlangen nach dem Anblick der heilen heiligen Jugend, und Ungeduld befällt den ganz Welken beim Anblick der maßvoll und gesund dennoch mitgewelkten Gattin, eine Ungeduld, die dem eigenen Herzen wehtut, ach, dabei mit anzusehen, wie "souverän" (nicht wahr, so nennen sie es im allgemeinen, oder "gelassen," und etwas in ihm teufelte "tfutfu" gegen diese Ausdrücke) die Gute seine Ungeduld und seinen übel wachsenden Ingrimm bemerkte und "mit ihm umging," (nennen sie es nicht so, die allwissenden Klugscheißer, grollte er bei sich) erboste ihn nur noch mehr, bis er schließlich sich ganz verstockt fühlte in einer Bosheit, die seine eigene war und doch so fremd und gar nicht sein eigen, nicht ihm eigen, doch mir nicht, dachte er, griff nach der Zeitung, las drei Zeilen, legte sie wieder neben sich, hatte Schweißperlen auf der Stirne, ächzte ein wenig, verspannte sich mehr und ließ sich dann wieder tief in die Kissen sinken und seufzte: und nun also der Dank, das ist er, das ist seine Zeit, ich werde abdanken und ihnen allen danken, und es wird sich verlogen anfühlen, denn sie wissen doch, daß ich noch viel mehr wollte und könnte und daß die Zeit...nana, sagte seine Gattin, als sie ins Zimmer kam, so welk sind wir aber noch nicht, und er erschrak tief, sollte sie denn alle seine Gedanken lesen können, oder hatte er etwa alles laut ausgesprochen, was ihm durch den Kopf gewütet war?

Sonntag, 20. April 2008

311.

Als die Kreativleitung und ihre Assistentin gemeinsam in ihr Doppelbüro gingen, sagte die Assistentin, man habe sich im "Bistro" schon wieder die Mäuler zerrissen über die Erkrankung (der Kleine pflegte regelmäßig von schweren rheumatischen Schüben heimgesucht zu werden) und die Bitternis des klitzekleinen Forschungsministers, sie selbst habe gezögert, sich daran zu beteiligen, denn er habe es ja auch nicht ganz leicht gehabt, und die Kreativleitung lachte und sagte, jaja, wenn du wirklich mit den Mitteln der mühseligen Wissenschaft glaubst, alles bewältigen zu können und zu müssen, o weia, da kann einem natürlich dieses selbe Alles ganz schön vergehen, zumal du für jede Abweichung und also auch für jede echte nicht-technische Innovation einen ganzen Apparat umbauen mußt, bevor aus der illegitimen Abweichung eine anerkannte Neuerung wird, das kostet, dazu braucht man mehr Rückhalt als fürs schlichte Mitmarschieren, wenn du dann noch einerseits mitansehen mußt, daß die Leute alle voll überzeugt in ihrem Trott bleiben, selbst aber nicht die Wahl hast, eine einmal gewonnene Erkenntnis zurückzusetzen und drunter zu gehen, und, breit lachend, fügte sie hinzu, dann ist er ja wohl auch von sich aus nicht gerade eine Frohnatur, der Gute, hat er eigentlich jemals was mit einer Frau gehabt, oder mit einem Mann, oder mit einem Kaninchen oder sonstewas, und die Assistentin sagte, ihr sei nichts bekannt, das gehe aber doch auch niemanden etwas an, oder, sei ihr allemal lieber als diese Typen, die für den Anmerkungsapparat eines jeden Buches eine Geliebte verbrauchen, über die andere sich andere Mäuler zerrissen, und diesmal war es die Kreativleitung, die in dem Bündel, welches sie wie fast immer bei sich trug, ein merkwürdiges Gezappel bemerkte - da streckte Mo auch schon ihr Köpfchen heraus und sagte, es sei ihr vorgekommen, als sei der klitzekleine Forschungsminister einfach nur sehr schüchtern, und im Kleinbus der EinSatzLeitung durch jenen Wintertag, da sei er, ach was, das muß man doch niemandem erzählen, aber sie war jedenfalls mal wieder aufgewacht und schien gewillt, in einer Art Zwergensolidarität den seltsamen Kerl um jeden Preis zu verteidigen, und so sagte sie, mir schien er in letzter Zeit ganz zufrieden zu sein, er hat manchmal außer Anmerkungen sogar Äpfel mitgebracht!

Samstag, 19. April 2008

310.

Sitzung der EinSatzLeitung

Sitzungsleitung: Demokratiebeauftragte
Protokoll: Karomütze

Anwesend: Alle bis auf den klitzekleinen Forschungsminister und den Chef

Tagesordnung:

1. Bericht des klitzekleinen Forschungsministers über eine Angelegenheit.
2. Fragen der Gesetze zur inneren Sicherheit.
3. Verschiedenes.

Die Demokratiebeauftragte teilt den versammelten EinSatzKräften zur Eröffnung mit, daß der Chef ernsthaft erkrankt ist und an einem verträglichen Modell seiner eigenen Abdankung arbeitet. Man beschließt spontan eine Grußadresse und eine Sammlung für Blumen etc.

TOP 1:
Der klitzekleine Forschungsminister ist selbst nicht zugegen, da ebenfalls schwer erkrankt. Er hat den stillen Theologen gebeten, den Bericht über eine Angelegenheit durch einen eher billigen Sketch aus irgendeinem TV-Kanal ersetzen zu lassen. Unwilliges und ungläubiges Murren, wer will schon am frühen Morgen fernsehen? Aber man ehrte den klitzekleinen Forschungsminister und dachte auch hier an Blumen.
Die EinSatzLeitung schaute sich also mit Beamer usw. folgendes an:
Ein tennisspielendes Paar. Der Mann spielt überlegen und gewinnt 6:0. Er bricht darauf in erstaunlich lebhaftes - da es ein Sketch ist also in bewußt übertriebenes - Siegesgeheul aus, was er, wie alle übereinstimmend finden, sehr gut macht.
Die Frau sieht sich das eine Weile geraden Rückens und ein wenig indigniert an. Irgendwann, als im schenkelklopfenden Geheul eine kleine Pause ist, sagt sie, das ist doch alles keine Überraschung und nicht in Ordnung. Der Mann, immer noch sein tolles 6:0 herauswiehernd, sagt, ach kommt jetzt die Nummer mit der armen schwachen Frau und dem großen bösen Mann. Die Frau sagt: Es ist nur so, Sie sind mein Trainer, und dies war meine erste Stunde. Der Mann stutzt einen winzigen Moment, dann sagt er: ach ja, das macht übrigens 40 Euro für die erste Stunde. Danach setzt er sein Siegesgeheul fort.
Die Frau wendet sich ab und geht vom Platz. Der Mann bleibt auf dem Platz und setzt sein Siegesgeheul allein fort. Ende des Films.

Man lacht ein wenig. Dann schaut man sich gegenseitig etwas betreten in die Gesichter. Dann diskutiert man die Frage, was der klitzekleine Forschungsminister damit sagen wolle. Man kommt zu keinem Ergebnis, die diversen Vorschläge werden nicht zu Protokoll gebracht. Man geht zum nächsten Tagesordnungspunkt über.

TOP 2:
Die Demokratiebeauftragte gibt zur Kenntnis, daß neue Gesetze zur inneren Sicherheit erlassen werden, die die andere innere Sicherheit, die in der Freude der Menschen an ihrem Gemeinwesen besteht, empfindlich zu verletzen scheinen. Das eigentliche Problem sei nicht der Staat mit seinen Übergriffsmöglichkeiten, der sei schlimm genug, aber noch nicht das Hauptproblem, da er ein paar Legitimitätsbremsen und ein legitimes Sicherheitsinteresse habe. Das größere Problem sei, daß nunmehr jedes illegal und übergriffig und intrigant von privaten Hackern und anderen Schnüfflern und Stalkern gesammelte Material über Privatpersonen zu legitimem Hatzmittel werden könne, wenn nur irgendein lächerlicher Verdacht gefunden werde, der ein staatliches Interesse am Übergriff konstruieren lasse. Man lebe ab jetzt nicht einmal mehr unter dem Anschein von Rechtssicherheit. Niemandem fällt ein Gegenargument ein, es wird beschlossen, mögliche Einwanderungsländer zu sondieren. Die Minderheitler regen sich darüber auf, daß niemand mehr gegen derartiges aufzustehen scheine, die Mehrheitler winken müde ab und sagen, es muß wohl irgendwann immer wieder so kommen, anscheinend überall.

TOP 3:
Die Details der Sammlungen für Geschenke an den Chef und an den Forschungsminister werden festgelegt.

Keine besonderen Vorkommnisse, keine Neuigkeiten, keine Zwischenfälle, keine Ideen.

Die Sitzung wird geschlossen.

Freitag, 18. April 2008

309.

Als das kleine Wesen verschwunden war, ließ die Kreativleitung die Tür offen, blieb selbst stehen, warf noch einen bedauernden Blick auf den (zur Beschreibung nicht freigegebenen) Kwaliteitswart und alles, was ihr an ihm wohlgefiel, und sagte, dann wollen wir mal mit dem Gequatsche aufhören, nahm einen kleinen Zeigestock und stellte sich vor den Wandteppich, um zu erläutern, an welchen Stellen sie in letzter Zeit gearbeitet hatte und was es damit auf sich hatte, hier etwa, sagte sie, haben wir das Chefehepaar auf der einen und das Ehepaar Ö auf der anderen Seite, sehr ähnliche Konstellationen (natürlich anspielend auf die beiden Paare in der Zauberflöte, aber Sie wissen, wie schwach man auf so erhabenen Melodien mit den Mitteln einer Weberin nur klimpern kann), im cheflichen Haushalt sind es winzige Verschiebungen und Unterschiede, die so etwas wie eine andere Klasse erzeugen, anders als Schikaneder (und Kant) erlaube ich gerade der höheren Klasse etwas mehr, freilich den feineren Witz, und der unteren Klasse etwas mehr Bildung, und natürlich haben bei mir die Klassenunterschiede nichts mit Herkunft und Geld und dergleichen zu tun, sondern schlicht mit Geist, der allerdings seine ganz eigenen Vorlieben hat und sich nicht herbeimachen läßt, wie mir scheint (kurzes Grummeln beim Kwaliteitswart, aber es gab in seinem Gesicht doch genügend zuverlässige Zeugnisse für tiefe Schichten, aus denen eine Zustimmung kam, welche zu kontrollieren seine feine Art ihm noch stets verboten haben mußte, das Grummeln war wohl eher Pflichterfüllung gegenüber einer Instanz, und welche das war, das brauchte beide jetzt nicht zu interessieren), in der Dynamik dieser Paare finden die alten Gepflogenheiten ihre Würdigung, und der Rest der EinSatzLeitung rudert ein wenig drumherum, von gewissen Zentren aus durchaus auf der Suche nach Neuem, dabei haben wir den Kollegen mit der Karomütze und den Buchhalter, die werden gerade etwas weiter entwickelt, die Assistentinnen hatten erste große Auftritte, sind natürlich wichtige Hoffnungsträgerinnen mit allerlei Macken, mir habe ich, obwohl mir der Biß der Assistentin Ö durchaus gefällt, die weichere erwählt, ich ertrage einfach bei der Arbeit keine Aggressionsstaus und keine Rancune in meiner Nähe, und hier...der Kwaliteitswart unterbrach den Vortrag und sagte, natürlich hat jede einfache Geschichte ein wohlerdachtes Gerüst, und es ist auch schön, dat Ze dat so erläutern können, aber am Ende solls doch einfach mal schön erzählt sein, und die Kreativleitung lächelte und fragte, ja ist es das denn nicht?

Donnerstag, 17. April 2008

308.

Der Kwaliteitswart fing den Gruß auf, lächelte, als er ihn erwiderte (bei dieser Gelegenheit sei an die Adresse des Chefs und seiner Gattin darauf hingewiesen daß die Kreativleitung schließlich selbst wie fast alle in der EinSatzLeitung keinen Namen trug, der über ihre Funktion hinauswiese, wir gehen aber davon aus, daß sie irgendwo einen hatte, und daß der Kwaliteitswart sie zur Begrüßung mit demselben möglicherweise auch durchaus angeredet haben könnte) so freundlich wie meistens, wenn er irgendwo einen Raum betrat, sah sich nach Mo um, um auch hier eine angemessene Begrüßung zu leisten, warf sich in das Sofa, das in einer Ecke des Raumes stand, und sagte, er sei eigentlich nur gekommen, um einen Kaffee zu trinken und zu plaudern, die letzten Arbeiten seien ja öfter mal zu seiner Zufriedenheit gewesen, man habe ihm erzählt, welche Problemberge ins Haus stünden, er werde natürlich stets gern seinen Rat geben und... du lieber Himmel, in Wahrheit ist er einfach nur arrogant, dachte die Kreativleitung, Wart ist Wart, ob holländisch oder nicht, aber Wart ist eben auch Wart, warten wir also mal ab, was noch so kommt, und irgendwie entspann sich dann eben doch so etwas wie ein kleines freundliches Gespräch, in dem beide so taten, als schauten sie nicht dann und wann auf den Wandteppich, sondern wären voll und ganz aufeinander konzentriert, denn so gehört sich das schließlich, wenn ein Gespräch schon so ausdrücklich nur das sein soll, und Mo lief eine Weile ganz zufrieden im Büro herum, hüpfte hierhin, warf da etwas ein, zupfte an den Fransen des Wandteppichs, verschwand für einen Augenblick unter dem Drehstuhl, tauchte plötzlich aus einer entfernten Ecke wieder auf und bat schließlich heitersten Gesichts darum, daß man ihr die Tür öffne, sie müsse mal in die Küche und nachschauen, ob es schon wieder Ahornsirup gebe.

Mittwoch, 16. April 2008

307.

Als die Kreativleitung am Morgen vor ihrem Wandteppich stand - die Gattin des Chefs mußte ihren Rosen und ihren Erwägungen und Träumereien überlassen werden, andere Themen drängten, es mußte wieder befreit werden, aber wie sollte sie das heute anstellen - hörte sie das höfliche Klopfen des Kwaliteitswarts an ihrer Tür, durch das dieser bereits im Herannahen zu erkennen gab, wie sehr er aus dem Nachbarlande etwas wie "eine Kultur des Lebenlassens" mit sich brachte, ha, da haben wirs, dachte die Kreativleitung, wir schreiben etwas darüber, wie deutlich uns wird, was uns hier fehlt, sobald uns jemand begegnet, der es hat: Die Fähigkeit, einfach jemanden leben zu lassen, exemplifiziert an einem Klopfen, hörte man das Klopfen des Kwaliteitswarts an der Tür, erschrak man nicht, nicht einmal Mo erschrak, vielmehr plapperte sie gleich drauflos über die Freundlichkeit der Niederländer überhaupt und schaute mit großen runden Augen erwartungsvoll zur Tür ... aber die Kreativleitung murmelte kurz "Unsinn" zu dem kleinen Wesen auf dem Fell und sagte, "sei doch bitte jetzt aufmerksam, aber still," und sie öffnete dem bisher ja nur aus den Kommentarebenen bekannt gewordenen Kwaliteitswart die Tür, im Grunde doch etwas angespannt, denn sein Urteil hatte eine gewisse Autorität und also Folgen, gerade weil er der EinSatzLeitung nicht selbst angehörte, der Chef hielt große Stücke auf seinen Rat, und sie selbst hätte ihn lieber einfach so nett gefunden wie er war, anstatt ihn als Prüfer vorgesetzt zu bekommen, immerhin wurden seine unregelmäßiger werdenden Qualitätskontrollbesuche durch seine natürliche Freundlichkeit durchaus erträglicher, und so erwies sie ihm also die Ehre, ihn ihrerseits mit einem freundlichen "Guten Morgen, Herr Kollege" zu begrüßen, obwohl er doch als Kollege wahrhaftig nicht gelten konnte.

Montag, 14. April 2008

306.

Im Garten um das chefliche Haus stand die Gattin des Chefs, die (wegen der unverantwortlichen Namenspolitik der Kreativleitung, welche jetzt sofort von irgendeiner erhabenen Warte aus einmal ausdrücklich gerügt sei) es einfach nicht zu einem eigenen Namen brachte, und beschnitt und bezupfte vorsichtig und sorgfältig ihre Rosen; ihr Gatte hatte nach jener nächtlichen Attacke einen ganz beschaulichen und gewöhnlichen Sonntag mit ihr verbracht, alle seine Errungenschaften gezählt, seine Wohltaten bedacht und ganz im Rahmen seiner üblichen Gepflogenheiten beklagt, wie wenig Ehre ihm für alles dieses insgesamt zuteil werde, wie wenig man auf ihn höre, und nur wenn sie in irgendeiner Weise (sie, die stets kontrollierte, hatte sich hier am allerwenigsten im Griff) eine gesteigerte Besorgnis um sein Wohlergehen durchblicken ließ, hatte er darauf mit besonderer, empörungsbereiter Empfindlichkeit reagiert, so daß sie schließlich vor der Last dieser Atmosphäre in den Garten zu ihren Rosen geflohen war, Kempowski memorierend, indem sie "nicht totzukriegen" vor sich hinmurmelte, aber als sie ein paar vorwitzige Blattläuse auf ihrem Lieblingsrosenstock (Gloria Dei, blüht und duftet entschieden am schönsten) erblickt und knapp entschlossen zerdrückt hatte, schämte sie sich sogleich der verwerflichen Nebengeräusche dieses Satzes ("man" könnte ja meinen, sie wolle ihn totkriegen, wenn sie so rezitierte, und da sei doch, ja wer eigentlich, vor), nieste leise und schaute bei der Gelegenheit an sich herunter, nur um ihre eigenen Füße in Gummistiefeln zu erblicken und sich zu erinnern, wie sie als Kind noch die Kraft gehabt hatte, zornig auszustampfen, wenn jemand nun wirklich keine Zeit mehr hatte, mit ihr lustige Geschichten zu drehen oder auf die Äcker zu den Pferden zu laufen - da mußte sie lachen und sie sah ihren Wunsch, den Gatten (trotz seiner heutigen Pestigkeit) noch ein paar Jahre für sich zu haben, mit ihm gemeinsam Meere zu erbaden, Museen zu ermusen, Cafes zu bewohnen und Berge zu erklimmen, noch einmal anders an und sagte sich schließlich, ach was, lassen wir die Sache mit dem Abdanken sich entwickeln, lassen wir ihn noch ein wenig herumcheffen, er ist ja nun mal danach, und wenn er umfällt, wird ers vielleicht just so gewollt haben...

305.

Fassungslos hatten die Demokratiebeauftragte und ihr Kind am Sonntagabend gehört, wie die Schändung Tibets und die Knebelung seiner Bewohner durch deutsche Politiker und Medienleute in der Sendung mit ihrer Lieblingsmoderatorin in eine eigenartige Lauge getunkt wurde, zusammengemischt aus Verständnis für die Sorgen der Chinesen (Einheit, die verloren zu gehen drohe, wenn man Tibet Unabhängigkeit gewähre, es kommen einem die Tränen, sagte die Demokratiebeauftragte) und aus Resignation gegenüber ihrer Übermacht (sie seien eben immun gegen Druck von außen, man muß doch nochmal den naseweisen Sinologen einladen, sagte die Demokratiebeauftragte) und - dieses fand das Kind besonders empörend - man müsse von den fahnenflüchtigern Tibetern mehr als nur Lippenbekenntnisse zum Willen zur Einheit mit China verlangen und die entsprechende Erwartung von hier aus "in vermittelnder Absicht" den Exiltibetern mitteilen (warum können sie nicht einfach so großzügig sein wie sie groß sind und über die verschiedenen, beiden nützlichen Modalitäten der Unabhängigket sprechen wie erwachsene Menschen, der Dalai Lama tut doch keinem was, und die Chinesen trampeln willkürlich herum und terrorisieren Leute, schimpfte das Kind) und als sie ihr Kind so in heller Empörung sah, dachte die Demokratiebeauftragte wieder an die Erzählungen aus den Bunkern, die sie selbst als junges Mädchen mit heller Empörung von Großmüttern und Großtanten gehört hatte, dieses "geh doch mit, du bringst uns ja alle in Gefahr," das man zu mancher jungen Frau gesagt hatte, und wenn die Verängstigte dann mitgegangen war und gebrochen und geschändet wiederkam, dann war sie plötzlich auch für "ihre Leute" unberührbar, aber davon erzählte die Demokratiebeauftragte jetzt nicht (so stumm sind wir alle und haben immer gute Gründe, was willst du das Kind damit belasten, reichen ihm nicht die anderen schrecklichen Geschichten, die ich keinesfalls vorenthalten kann, für die der Bahnhof mal wieder nicht geöffnet werden darf, als ob eine solche Störung schlimmer wäre als ein "Triebkopfschaden" wie man ihn dauernd hinzunehmen habe), an irgendeinem Fall erfaßt uns der Ekel vor der halbherzigen Feigheit der Umstehenden oder er erfaßt uns eben nie, und als sie mit ihrer Aufmerksamkeit zum Bildschirm zurückkehrte, kam aus völlig überraschender Ecke die richtige Feststellung, daß das IOC mehr Macht habe als es zugebe (dies merke wohl, sagte die Demokratiebeauftragte nun doch noch belehrend zu ihrem Kind, es sind nicht immer die mutig, von denen wir es erwarten, und wer in einem Fall dummes Zeug sagt, kann im anderen Fall der sein, der als einziger Klartext redet), und sie konnten beide erst an Schlafen denken, als dann wenigstens in einer nachfolgenden Sendung eine tapfere junge Schauspielerin porträtiert wurde, die sehr deutlich über das Los der Tibeter sprach, und dann fanden sie, die Demokratiebeauftragte solle, falls irgendwer sie fragen würde, vorschlagen: das IOC muß ja dem Boykottaufruf der Tochter der Tibeterin nicht folgen, aber es kann doch wenigstens sich weigern, die Fackel auch noch durch Tibet zu tragen, wenn nicht der Dalai Lama selbst sie durch sein Heimatland begleiten darf, zumal die Journalisten, auf deren Anwesenheit in den Ländern nun alle ihre Hoffnungen setzen, offensichtlich und nach eigenen Aussagen so gar nichts ausrichten können und also selbst nur noch so etwas wie "Schutzschilde" sind, und sie redeten und redeten sich in Rage und vergaßen für länger, daß die Nacht zum Schlafen da war und daß am nächsten Tag für beide einiges zu tun sein würde.

Sonntag, 13. April 2008

304.

In der Nacht zum Sonntag erwachte die Gattin des Chefs von einem lauten Stöhnen ihres Gemahls, der in ungewohntem Abstand zu ihr im gemeinsamen Bette lag und rot angelaufen war, und sie war sehr besorgt, denn der Jüngste war er nicht mehr, und besonders gesund gelebt hatte er auch nie, und in letzter Zeit fiel doch auf, daß er sehr viel weniger herumreiste als früher, und so weckte sie ihn, ermunterte ihn zu einem kleinen nächtlichen Spaziergang durch die Wohnung, bei dem er sich wieder zur vollen Höhe aufrichtete und durchatmete, und zu einem Glas Wasser, was er alles unwillig knurrend, aber willig handelnd mitmachte, und als sie sich wieder niederlegten und sich aneinanderdrückten wie sie es seit Jahrzehnten gewohnt waren (eine Gewohnheit, welche die ihren Mann stets begleitende Gattin oft mit vielen seiner Launen und Poltereien versöhnte, vorausgesetzt, sie bekam dann auch mal ein paar Tage und Nächte für sich ganz allein), rollte sich die Gattin recht bald wieder etwas zur Seite weg und begann darüber nachzudenken, wie sie ihm an den Verstand bringen könne, daß es Zeit sei, ans Abdanken zu denken und eine Nachfolge aufzubauen, und sie meinte, das würde ein schwieriges Stück Arbeit werden.

Samstag, 12. April 2008

303.

Die Kreativleitung fand sich nach dem Telefonat einsam vor an einem Wochenende und beschloss, ihe Arbeiten zu unterbrechen und dem Ehepaar Ö einen Besuch abzustatten, um einmal wieder über Shakespeare zu plaudern und zu sehen, wie hübsch sie es fand, wenn die normalen Leute normal lebten, und nebenher zu sehen, warum sie selbst dafür leider nicht so passend zu sein schien oder eben (so dachte sie in einem Anfall von Übermut) einfach noch nicht den passenden Mann gefunden hatte, und überhaupt, die Verhältnisse ändern sich so sehr, wer das sieht und will, der hat halt Schwierigkeiten, dann dachte sie, muß ich mir das wirklich geben, aber sie erinnerte sich, daß beim Ehepaar Ö jedenfalls niemand in irgendeiner Weise an ihr zweifeln oder sie mit irgendwem verkuppeln oder etwas an ihr ändern wollen würde (die Gattin hatte dem Abteilungsleiter entsprechende missionarische Allüren einstweilen wirksam ausgeredet, so daß seither das Gerangel in der EinSatzLeitung auf ein normales Niveau von Zoff zwischen sehr Verschiedenen gekommen war), und deswegen waren die beiden eine angenehme Gesellschaft, im übrigen hatte die Gattin einen Anspruch auf einen Strauß Anemonen, so wie man ihr mitgespielt hatte in dem nach Ansicht der Kreativleitung eher lächerlichen Ausschlußverfahren, und dann würde sie wahrscheinlich wieder irgendwelche lustigen Gouvernantensachen sagen - und während sie noch so dachte, öffnete sich die Tür und hereinspaziert kam der Buchhalter, ausgerechnet, der fehlte mir noch, dachte die Kreativleitung, aber er sah heute wieder etwas lotteriger aus und sein Gesicht von Zweifeln verzweifelt, denn er hatte im Radio ein Lied gehört, das anfing mit den Worten: "Heute morgen fuhr ich nach Düsseldorf in sehr honetter Begleitung, ein Regierungsrat, der schimpfte sehr auf die Neue Rheinische Zeitung; die Redakteure dieses Blatts, so sprach er, sind sämtliche Teufe, sie fürchten weder den lieben Gott noch den Oberprokurator Zweifel," und er frage sich, ob er vielleicht seinen Namen ändern und sich inkünftig Herr Zweifel nennen solle, aber die Kreativleitung sagte, zwecklos, du weißt doch, wie die hier sind mit Namen...

Freitag, 11. April 2008

302.

Als der Sicherheitsbeauftragte wieder in seiner Wohnung bei seinen Globen angekommen war, kam ihm plötzlich alles in den Sinn, was er in den vergangenen EinSätzen und bei dem Versuch, sich für den einen oder die andere Gefangene/n einzusetzen, hatte ausblenden müssen, um durch die Tage zu kommen, und ganz besonders unangenehm drängte sich in seine Erinnerung das Gesicht eines Mannes, den er einsam hatte sitzen sehen im locker offen gestalteten Frühstücksraum eines Hotels, das sicher sogar der Kreativleitung gefallen hätte, und er hatte beim Anblick dieses Mannes gedacht, so sieht einer aus, der für einen Augenblick weiss, dass er dabei ist, ein schweres Unrecht zu begehen, und der sich plötzlich fragt, warum eigentlich tue ich das, wer eigentlich zwingt mich, was eigentlich treibt mich, hierin fortzufahren, und er fragte sich, warum für solche Menschen solche Momente sich meist so vollkommen isoliert und konsequenzenlos in jenen Lounges ereignen, und er dachte, er müsse doch einmal eine der erfahrenen Damen aus der EinSatzLeitung fragen, aber als er der Kreativleitung am Telefon das Gesicht beschrieb und ihr seine Frage vorlegte, sagte diese, wie weisst du, ob es nicht ganz anders ist, ob er nicht da sass und verdrossen war, weil eine Fliege im falschen Augenblick über das Bein seiner Freundin gekrabbelt war, oder weil er im Gegenteil sich selbst für eine gute Sache einsetzte und für einen Moment den Glauben an diese verloren hatte, und der Sicherheitsbeauftragte kratzte seinen heute mützenlosen Kopf und sagte, das weiss ich natürlich nicht, aber solange ich über seine Moral nachdachte, war für mich jedenfalls die Welt in Ordnung.

Donnerstag, 10. April 2008

301.

Der Chef saß in seinem Büro und wiegte sorgenvoll den Kopf, denn die Äußerung der vorbeiflanierenden Psychologin hatte einen kleinen Aufruhr in der EinSatzLeitung verursacht, einige schienen sie irgendwie sinnvoll zu finden, andere empörten sich, daß sie naseweiser sei als der naseweise Sinologe, denn sie verstehe von den Lehren der Sineser so wenig wie diese von ihren, schließlich meinte man, man müsse die beiden in eine eigene Debatte schicken und sie dieser überlassen, dem Chef aber mißfiel das sehr, denn er meinte, dabei könne ihm doch leicht die Kontrolle entgleiten (als ob er sie jemals gehabt hätte, amüsierte sich die Kreativleitung, aber er denkt, er könne sie haben, angetrieben vom inneren unkontrollierbaren Rest, der ihm so unheimlich ist, daß er schnellstens andere kontrollieren muß, der Arme), und er bestellte die Kreativleitung, die Demokratienbeauftragte, den Leiter der Abteilung Öffentlichkeit ein, und natürlich Buchhalter und Karomütze, die einander immer ähnlicher wurden darin, wie sie ihre übergepflegten Körper betont kraftvoll durch den Raum bewegten, und er fragte, ob man vielleicht noch einen Experten hinzuziehen solle, aber die Demokratiebeauftragte meinte, das sei wirklich nicht nötig, man werde schon klar kommen, und so sehr sie die Arbeit der psychologischen und der Kommunikations- und der Religionsforschung schätze (kleine Bewegung der Dankbarkeit durch den klitzekleinen Forschungsminister, der neuerdings des öfteren wieder in ihrer Jackentasche residierte), so klar müsse man sich doch machen, daß die Lebenserfahrung keineswegs von Descartes erfunden worden sei, man solle ihre cartesianische Systematisierung also auch heute nicht überschätzen gegenüber der Sache der Erfahrung bestimmter Einzelner mit bestimmten anderen Einzelnen (und als sie dieses Ergebnis ihrer Unterredungen mit stillem Theologen, Forschungsminister und Kreativleitung zum Besten gab, erhielt sie natürlich aus dem Inneren ihrer grünen Jackentasche einen kräftigen Tritt vom nun nicht mehr dankbaren Forschungsminister, den sie aber nach kurzem Husten relativ unbeeindruckt wegsteckte).

Mittwoch, 9. April 2008

300.

Man diskutierte schließlich im "Bistro" weiter über den Prozess um den Tod von Lady Diana und über die seltsamen Prozesse gegen die Kindsmörderinnen und ihre immer schon im entlasteten Zeugenstand auftretenden Männer, vor allem aber wie üblich über die Berichterstattung zu diesen Themen, an denen sich nach Ansicht nicht nur der Demokratiebeauftragten ein laut schreiendes völliges Unvermögen des Denkens und Sprechens zeige, und die teilweise sehr tiefschürfenden Überlegungen zur Frage der „Beschreibungen“ hatten den klitzekleinen Forschungsminister, welcher in letzter Zeit eigentlich munter seine Dinge tat und sich freute, wie gut der Kreativleitung die Verbindung der von ihm gelieferten Bruchstücke von der Hand zu gehen schien, noch einmal sehr traurig und verdrießlich gestimmt - als die Gattin Ö mit einer aufrüttelnden Beschwerde ihnen ihre Selbstverpflichtung in Erinnerung brachte, nach der wieder jemand benannt werden müsse, der befreit gehöre, und an diesem Tag beschied sie in der ihr eigenen Resolutheit (nicht jedermanns Sache, aber der Abteilungsleiter schien es zu mögen), es sei an der Zeit, die Befreiung von Ehud Goldwasser zu fordern, denn für Tibet sei jedenfalls durch die großen goldenen Lettern an der Golden Gate Bridge für einmal gesorgt und…sie wurde unterbrochen durch Mo, die - wie üblich in einem Bündel auf dem Schoß der Kreativleitung hockend - plötzlich ihr Köpfchen hob und fragte, ob die anderen auch das Stockentenpaar mitten auf der Straße in der Innenstadt gesehen hatten oder den seltsam zufrieden dreinblickenden runden asiatischen Mann, an dessen Körper auch die halbwegs europäische Freizeitkleidung ausgesehen habe wie eine Kutte, und ob sie das Lachen gehört hätten, das von einer privaten Feier irgendwo wie ein kleines blaues Band in ihre Fenster geraten sei, trotz des Baulärms ringsum und des Geschnatters im "Bistro," und sie sagte, es sei eigentlich nur dieses Lachen gewesen und die Erinnerung an ein Gesicht, das sie noch gar nicht so lange kannte, durch das sie schließlich ein wenig aufgeweckt worden sei; aber sie hatte dies kaum gesagt, da sank sie auch schon wieder zusammen und schlief ein, während die Kreativleitung mit einem entschuldigenden Lächeln weiter an den ernsten Themen herumnestelte und sich bemühte, die kleine Störung schnell vergessen zu machen, mit welcher sie freilich so bald wie möglich in ihr Büro zu eilen trachtete, um auch diese "Störung" in etwas einzuarbeiten, das immer mehr die Gestalt eines merkwürdigen Wandteppichs anzunehmen schien.

Dienstag, 8. April 2008

(2)99.

Erst wollte die Assistentin Ö, die sich in letzter Zeit etwas vernachlässigt fühlte, sich nach vorne spielen, indem sie anlässlich mancher Prozessberichte den Satz "befreit das Gerichtswesen von seiner eingeborenen Bräsigkeit" vorschlug (und die Demokratiebeauftragte hätte das womöglich unterstützt, wenn sie nicht zu sehr mit anderen Berichten über eine Auseinandersetzung im Büro Clinton und über deren Aufruf an Bush wegen China beschäftigt gewesen wäre), aber dann sagte die Kreativleitung, sie habe in Abstimmung mit dem Chef beschlossen, den folgenden bemerkenswerten EinSatz aus einer Zeitschrift zu zitieren und bitte im übrigen den klitzekleinen Forschungsminister, die korrekte Zitation nachzutragen: "Wenn erst alle Worte gehört, alle Schreiben gelesen und alle Bewegungen observiert sind, wenn nichts mehr verborgen ist, was sich heute noch verbirgt, wenn erst der Unauffälligste wegen seiner Unauffälligkeit auffällt wie der Auffälligste, wenn erst alle Daten erfasst sind vom genetischen Fingerabdruck bis zum Fußpilz, wenn der Autoverkehr kontrolliert wird, der Geschäftsverkehr, der Luftverkehr und der Geschlechtsverkehr, wenn vom Verbrechen gewußt wird, noch ehe der Verbrecher weiß, daß er es begehen wird, und der Verbrecher gefasst und verurteilt wird, noch ehe er das Verbrechen begeht…, nun dann wird der Staat eines Tages zumindest erklären können, warum dennoch die Bombe unerlaubt in der U-Bahn explodierte, wie es möglich war, daß der videoüberwachte Terrorist sich im Selbstmordanschlag frei entfalten konnte, aus welchem Grunde also das Unvermeidliche tatsächlich unvermeidlich war und das Unabwendbare nicht abzuwenden."

Montag, 7. April 2008

(2)98.

Der stille Theologe und der klitzekleine Forschungsminister hatten das Wochenende damit verbracht, sich gegenseitig Mut zuzusprechen, um die Demokratiebeauftragte einmal direkt zu fragen, was ihr eigentlich angesichts der üblicherweise so gut funktionierenden Zusammenarbeit und der Gemeinsamkeit der Ziele in Sachen Gefangenenbefreiung die Aufrichtung einer Trennwand so unerläßlich erscheinen ließe, und die Demokratiebeauftragte, als sie am frühen Montagmorgen mit dieser Frage konfrontiert wurde, erinnerte zunächst an das Zitat, das der Forschungsminister sonntags noch auf die Kommentarebene gesetzt hatte, (ein Zitat, das ja von einer Philosophin stamme, die nie Philosophin hatte sein wollen, von einer jüdischen Frau, die sich doch in ihren Reden oft genug geriert habe wie ein "griechischer" Mann, und der wir nun einmal grandiose und originelle Gedanken über das Denken verdanken, welche wie die Frau selbst für eine zu kurze Zeit diverse Phasen des "Anathema-" oder "hip-"Seins mit scheinbarer Mühelosigkeit überlebt hatten und weiter überleben würden) und antwortete dann mit einer Gegenfrage: was ist eigentlich in menschlichen Angelegenheiten ein Faktum, wenn es doch möglich ist, das Menschliche eines Menschen im von drangvollen Unsicheren angezettelten Prozess der "Faktenerhebung" zu töten, und wozu braucht man, jenseits der seit langem blank erwiesenen Perversion gewisser Forschungen am Menschen etwa ein gesichertes und überprüftes "Wissen" über ein "schwarzes Loch" (wer überhaupt könne das Vokabular solcher Forschungen lesen, ohne den Autoren all der grauen Literatur, die für Geldgeber erstellt werde, die betreffenden psychoanalytischen Diagnosen zu ersparen), wenn die Gefahr besteht, im Nachbau wirklich die gesamte Welt in den Orkus zu schicken, mit anderen Worten, was ist das überhaupt für eine Frage?

Sonntag, 6. April 2008

(2)97.

Die Stimme der Chefgattin schien vor sogenannter "Behutsamkeit" nachgerade zu stinken, als sie sagte, man müsse doch auch einmal eine Sache auf sich beruhen lassen können, aber dennoch mochte sie für die Erregung ihres Gatten angesichts des EinSatz-Verhaltens von Amnesty recht damit haben, daß ein freundwilliges Zuwarten dann und wann auch denjenigen, auf den man da wartet, auf bessere Gedanken bringen könne - im übrigen gab es ja nicht nur eine Interpretationsmöglichkeit, und daß man nie die beste ausschließen soll, fand schließlich auch der Chef selbst, der guten wie bösen Narzissmen gegenüber mindestens sobald er zu denken anfing durchaus eine Abneigung entwickeln konnte, und so zog er es vor, seine moderate Aversion gegen die Behutsamkeit herunterzuschlucken und fragte lieber, was eigentlich aus jener oppositionellen Dame in Birma oder Burma geworden sei, die so lange in Hausarrest sich befunden habe.

Samstag, 5. April 2008

(2)96.

Befreit Juan Adolfo Fernández Saínz.

Freitag, 4. April 2008

(2)95.

Befreit Hu Jia.

Mittwoch, 2. April 2008

(2)94.

Am Feierabend hatte der Chef seiner Gattin nicht nur aus der EinSatzLeitung, sondern vor allem auch aus alledem erzählt, was bei der Abteilung Öffentlichkeit angekommen war an gefährlichen Lächerlichkeiten aus den Reihen der Eins-zu-Einsler, natürlich gab es auch immer gute Nachrichten von Unterstützeren, aber ein Streik zur Befreiung von den Plagen, die durch die Assistentin K benannt worden waren, sei doch mehr als überfällig, dieser dürfe andererseits nicht zu einem Erlöschen des EinSatzBuches führen, und die Gattin hatte vor lauter Ratlosigkeit ein sehr trauriges Gesicht bekommen und unter ihren Freundinnen herumtelefoniert, bis ihr etwas einfiel, das der Chef dann sofort übernahm und nahezu überstürzt in die Tat umsetzte: das Publikum wird nunmehr gebeten, Namen zu schicken, Namen von Menschen, die befreit werden sollen, jeden Tag soll ein Name genannt sein, und vor lauter Feuereifer für diese Variante des Streiks (von der er noch nicht so genau wußte, wie er das der Kreativleitung beibringen sollte, aber irgendwie würde ihr schon eine Möglichkeit einfallen, ihre Produktivkräfte auf eine Weise zu entfalten, die NICHT den Gegnern der EinSatzLeitung zur gefälligen Ausbeutung in die Hände spielen würde) schrieb der Chef ein paar Namen in Reserve in sein Notizbüchlein, und der erste Name, der ihm einfiel, war der von Ingrid Betancourt.

(2)93.

Im Grunde fand es die Kreativleitung dann doch richtig, in ihren stets nur ins Besserwisserische verführenden allzu allgemeinen Spekulationen über ein allzu fernes Volk, von dem sie im Grunde gar nichts wußte, unterbrochen zu werden durch das eigenartige Schauspiel, das die beiden Minderheitler gemeinsam mit dem klitzekleinen Forschungsminister nun vor ihr aufführten: sie waren offensichtlich über eine innenpolitische Frage schwer aneinander geraten und gekommen, um von der Kreativleitung eine irgendwie weiterführende Idee zu erbitten, einander an den Kleidern zupfend warfen sie sich gegenseitig Jammerei und mangelnde Effizienz vor, die Minderheitlerin dem Minderheitler seine Borniertheit in Klimasachen, der Minderheitler der Minderheitlerin Fixierung auf irgendein blödes Trauma, und der klitzekleine Forschungsminister, als er beiden ihre völlige Effizienzvergessenheit um die Ohren zu hauen versuchte, wurde von den beiden anderen sofort auf seine eigene jammervolle Schrumpfung hingewiesen, von welcher die Minderheitler übereinstimmend meinten, diese wäre vermeidbar gewesen, wenn er sich nur genügend angestrengt und ein wenig positiver gedacht hätte; die Kreativleitung mußte lachen, als sie sah, wie die drei Persönlichkeiten sich bei dem Versuch, ihren Streit auch nur darzustellen, hoffnungslos ineinander verwickelten, und sie schlug vor, die Sache umgehend in ein kurzes, ja kürzestes Theaterstück zu überführen (nannte man das früher nicht einen "Sketch"?), bei dem sich die Insassen einer psychiatrischen Klinik, von denen alle sich selbst für Ärzte und die anderen für Patienten halten, um die weißen Kittel streiten, durch welche allein die Zugehörigkeit zur richtigen Seite gesichert werde.

Dienstag, 1. April 2008

(2)92.

Als der Leiter der Abteilung Öffentlichkeit wieder gegangen war (sie hatte ihn gebeten, den Müll doch freundlicherweise wieder mitzunehmen, dies alles falle nun einmal in seine Abteilung und sie wünsche nicht mehr, außerhalb der offiziellen Sitzungen damit behelligt zu werden, er hatte sich gefügt, aber da würde womöglich noch etwas auf sie zukommen...), entzückte sich die Kreativleitung noch etwas an dem temeperamentvollen Wortschwall ihrer Assistentin, fand die Mäßigungsaufforderung der Demokratiebeauftragten etwas lahm, aber im Grunde richtig (das Thema hatten wir ja schon, im Gespräch zwischen Chef und Demokratiebeauftragter unter 289), nahm ein wieder völlig zerstörtes Mo wie nebenher auf ihren Schoß, wo es sich ein wenig wärmte, entließ die Assistentin in ihre Räumlichkeit und bat den klitzekleinen Forschungsminister, die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse sowie den Minderheitler mit den grünen Borsten, welche selbdritt an ihrer Tür erschienen waren, herein, seufzend zwar, denn es gab ja andere Dinge zu tun: es brannte ihr zum Beispiel auf der Seele, die Schwäche der "Sineser" etwas weiter zu exponieren, welche darin bestehe, daß sie - wie übrigens die einer gewissen kirchlichen Gemeinschaft des Westens, die viele Anhänger in China hat, woran man sehen könne, wie unglaublich irrelevant die Dogmen im Vergleich zu den menschlichen Grundgesten einer Gemeinschaft seien - in der Tibetfrage einfach das Festhalten eines anderen, der nach Unabhängigkeit strebte, zu einem "essential" erheben, womit sie enorm viele Menschen enorm lange richtig quälen können, und sich doch, da es nun einmal eine Bestimmung zur Freiheit in jedem einzelnen Menschenkind gebe, langfristig unter großen Opfern an keinen anderen Ort als auf den Müllhaufen der Geschichte begeben würden, dies jedenfalls war die Hoffnung, die die Kreativleitung mit wirklich allen Kräften der EinSatzLeitung und mit etlichen Kräften auch in der übrigen Welt verband.

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