Samstag, 19. Juli 2008

401.B

Es gäbe soviel, das auf der B-Ebene zu behandeln wäre, seufzte die Kreativleitung ihr Mo an, was ist zum Besipiel aus dem Treffen des Kwaliteitswarts mit der Assistentin Ö geworden, wie um Himmels Willen gestalten sich die Dinge im Hause Ö, was ist in den stillen Theologen gefahren, und wie wird es mit Herrn Y weitergehen? Und Mo, anstatt in ihrem schnaufenden Schläfchen weiter zu verbleiben, streckte sich unter dem karierten Schal, antwortete und sagte, ja, der Herr Y! Was ist überhaupt mit ihm? Hat er eigentlich etwas über den Schnee gesagt? Hast du ihn dazu befragt? Und die Kreativleitung sagte, auch dazu habe ich ihn befragt, aber er hat mir nur gesagt, daß Schnee vor allem eine sehr leise Substanz sei, was will man dazu sagen? Kannst du damit etwas anfangen? Ach nein, sagte Mo, und muffelte sichtlich enttäuscht vor sich hin, oder, naja, vielleicht. Sie setzte sich auf und schaute sich im Büro um, mit Augen, dachte die Kreativleitung, mit was für Augen dieses Wesen guckt. Es war dunkel. Am Himmel erschienen Blitze. Von der Straße rauschte es. Dann ein Donnern, weit weg. Die Tiere im Hof waren still. Uhren tickten. Mo, obgleich aufrecht auf ihrem Fell sitzend, schien allmählich wirklich eingeschneit zu werden, langsam und leise. Wie macht sie das nur, daß man für mehr als einen Augenblick meinen möchte, es schneie ein Schnee auf sie herab, fragte sich die Kreativleitung. Gedankenverloren starrte sie in den auf Mo herabrieselnden Schnee. Nun ja, sie macht es irgendwie. Die Kreativleitung fand diesen Anblick seltsam wohltuend. Nur mühsam wandte sie ihren Blick davon ab und wieder auf ihren Bildschirm, auf dem sich nunmehr die folgende Eloge fein gegliedert niederschrieb:

0. Vorbemerkung für etwelche Gutachter:
Herr X hat sich aufgrund eines alten Eintrages in einem alten Branchenbuch an mich gewandt, in welchem ich verzeichnet bin als K. W., Inhaberin eines "Büro für besondere Texte und allgemeinsten Beistand." Hier hat er gehofft, eine Verteidigung zu finden, die ihm, einem Mann, über den in jüngster Zeit öfter gesagt wurde "X? und weiter nichts," das soziale Leben, in dem er im übrigen durchaus reüssierte, doch noch ein wenig zu optimieren, wenngleich er seit jener Sache mit Herrn Y ganz allgemein als ein Bösewicht gilt. Ich, die Autorin seiner Eloge, habe mir im Vorfeld alles angesehen, was allgemein als Umfeld bezeichnet werden dürfte, und selbstverständlich auch Gespräche mit der Person geführt, die als die geschädigte gilt. Wie es meine Pflicht in diesem Kontext ist, werde ich mit meinen persönlichen Sympathien zurückhalten und die Sachlage so treulich ich kann schildern. Ich will aber nicht verhehlen, daß es mir persönlich dringlich geboten erscheint, in der Folge dieser Eloge alles zu tun, um Herrn Y aus der Agonie zu holen, in die ihn jene Schädigung gebracht hat, und ich möchte dazu bemerken, daß robuste Methoden und Versuche, ihn gewaltsam zu einer kämpferischen Frohnatur umzubauen, dazu sicher nicht dienlich sein werden, ebenso wenig wie überflüssige Konfrontationen mit Herrn X. Kommen wir aber zu Herrn X:

1.Persönlichkeit: Herr X ist ein stattlicher Herr mittleren Alters von beeindruckender persönlicher, physischer und gesellschaftlicher Statur. Er ist einer der größten Nutztierhalter des Bundeslandes. Ursprünglich Erbe einer kleinen Viehzucht im grenznah gelegenen niedersächsischen Evessen hat er sich während des gewaltigen und anscheinend unaufhaltsamen Prozesses des Bauernsterbens einen Betrieb nach dem anderen erworben und unter geschickter Nutzung der europäischen Agrarpolitik es zu einer Art Milchzaren erst des alten, nach Öffnung der Grenze vor allem aber recht bald auch des angrenzenden neuen Bundeslandes Obersachsen gebracht. Herr X bediente sich bei der Umstrukturierung der neu erworbenen Höfe jeweils der neuesten Erkenntnisse, er war einer der ersten Deutschen, die sich beim Bau ihrer Anlagen systematisch auf die Beratungen der international angesehenen amerikanischen Professorin T. Grandin verließ und auf diese Weise optimale Ergebnisse erzielte. Neben seiner besonderen Expertise in der Nutztierhaltung zeichnet er sich durch Menschenkenntnis und Wohltätigkeit aus. Er betätigt sich in den Kuratorien und Beratungsgremien mehrerer landwirtschaftlicher Stiftungen und hat sich stets für die Ausbildung des landwirtschaftlichen Nachwuchses auf dem Nutztiersektor eingesetzt. Wegen seiner Verdienste um die landwirtschaftliche Ausbildung ist Herr X seit 1997 Träger der Bundesverdienstmedaille am Bande. Die besondere Sorge des Herrn X. war stets die Landflucht des Weibes. Hier Abhilfe zu schaffen tut not, denn viele Landwirte, die die ererbten Höfe durchaus noch weiter bewirtschaften wollen, finden einfach keine Frau, welche bereit und dann auch noch dazu qualifiziert wäre, mit ihnen einen Betrieb zu führen. Herr X hat darum zu einem Ideenwettberwerb "wie gestalte ich das Landleben attraktiver für die Damen" aufgerufen. Die besten Ideen sollen in einer mit lustigen Filmen und Life-Musik ausgestalteten Fernsehshow der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Parallel zu dieser Show soll eine Verbindungsanbahnung stattfinden, bei der landlustige Zuschauerinnen in direkten Kontakt zu einsamen Landwirten treten können.

Die Kreativleitung mußte ein wenig kichern. Dabei gelten diese Dinge als vollkommen ernste Sache, und sie sind es in gewisser die Betroffenen sehr stark betreffender Weise auch. Der Ernst, mit dem eine Fernsehshow gemacht wird, das ist aber eine drollige Sache, dachte sie, wenn man es mal ins Verhältnis setzt zu dem Thema. Diesen Menschen in den Kuhställen. Weiter!

2. Das Hauptanliegen des Herrn X: Dieses ist ohne Zweifel der Zusammenhalt der Familien im ländlichen Raume. Tatsächlich, so sagte er in einem der Interviews, nehme die Schollenbindung stark ab. Viele Ehen insbesondere in landwirtschaftlichen Betrieben würden geschieden, meist auf Betreiben der Frauen. Man muß erlebt haben, wie Herr X sich hier mit Leib und Seele einsetzt. Er scheut keine Mühe, die betreffenden Damen zu bewegen, ihre Schritte noch einmal zu überdenken. Im Sinne des Volkswohles wird Herr X sogar zum Abenteurer, indem er Kontakte zu Scheidungsanwälten der gleichsam in seiner Patronage stehenden Gebiete unterhält, Ärzte aufsucht, um fluchtbereite Damen durch elegante Suggestionen und wohlerwogene Medikationen aufzuhalten, sich selbst vermittelnd zwischen die Streitenden und wärmend auf die Frigiden wirft, begütigend die wütenden Bauern zu maßvollem Umgang mit der Eheliebsten anhält und durch geschickte Terminierung von Pacht- und Kooperationsgesprächen sowie Skatabenden, wie sie auf dem Lande unerlässlich sind, dafür sorgt, daß jedes auch mal Ruhe vom anderen hat und sich bei der Freundin oder dem Freund ausweinen kann. Auf solcherart geschickte Weise hat Herr X schon die eine oder andere Ehe gekittet, wofür ihm alle danken, nur freilich die Scheidungsanwälte nicht. Es soll auch schon Klagen von Kindern gegeben haben, welche von ihren zänkischen Eltern eigentlich genug hatten und gern mit der Mami in die Stadt gezogen wären, aber hier hat in der Regel eine zünftige Pfadfinderaktion noch stets Wunder gewirkt. Herr X tut dieses alles zum Wohle der ländlichen Infrastruktur, aber vor allem und schwerpunktmäßig auch als Nutztierhalter, als Halter des Nutztiergedankens, als Schutzherr der von ihm aufgekauften Betriebe und ihrer Pächter, als hingebungsvoller Wärter von Milch und Kuh, von Wild und Hund.

Mo, die stets ruhig mit anhörte, wie die Kreativleitung an manchen Stellen ihre Sätze vor sich hin murmelte, erschrak heftig, als das Wort "Wärter" fiel. So kam die Eloge nicht weiter. Die Kreativleitung hatte alle Mühe damit, das kleine Wesen wachzuhalten, warmzuhalten und ruhigzusprechen. Während sie mit dem zitternden kleinen Mo auf dem Arm durch das Büro schritt, am Fenster vorbei, aus dem Büro heraus ging, an ein anderes Fenster, das am Ende des Korridors war, ins "Bistro" und überall hin, schließlich am Wandteppich stehen blieb, damit die weit aufgerissenen Augen doch etwas Tröstliches und Vertrautes sehen sollten, fragte sie sich, wie sie denn nun die Sache mit der Frau Y, die einfach in den Schnee gelaufen und dann überfahren worden war, erklären sollte, und ob es eine Möglichkeit gäbe, dies alles so zu erläutern, daß nicht am Ende der Herr X übel dastehen würde, und seltsam, je mehr sie sich selbst ablenkte, desto mehr schien sich auch Mo zu beruhigen, sie war nun warm genug, um wieder auf ihr Fell gelegt und zugedeckt und ihrem gewöhnlichen schnaufenden Schlaf überlassen werden zu können.

Vom Schnee fand sich nichts in der Eloge.

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ihr wollt jetzt nicht im Ernst "Obersachsen" da stehen lassen!

Anonym hat gesagt…

Du mußt es einfach mal von Niedersachsen aus sehen, da ist es dann nicht unbedingt naheliegend, von Sachsen-Anhalt zu sprechen, zumal bei jemandem wie X, der sich weder an- noch aufhalten läßt und auch nirgends einen Anhalt sucht, sondern du mußt einmal bedenken, daß Herr X vor allem vom Niederen zum Oberen strebt, und da darf es doch vielleicht einmal Obersachsen sein.

Anonym hat gesagt…

Ich seh vor allem noch überhaupt keine Verbindung!

Anonym hat gesagt…

Wir wissen noch nicht, ob das Nest in Niedersachsen dem Touristen-Ansturm gewachsen sein wird, aber Evessen wird sich wappnen!

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