Mittwoch, 25. März 2009

650.

Karomütze nahm besonderes Interesse an der Erzählung des Herrn Musil, die nun natürlich von der gesamten EinSatzLeitung gelesen wurde, hatte er doch seit einigen Wochen den undankbaren Job, die Telefonate und E-Mails einer vollkommen harmlosen Person zu kontrollieren, welche anscheinend spürte, daß sie kontrolliert wurde, und darauf mit wilden Spekulationen über Menschen und Motive hinter dieser tatsächlich sehr unverständlichen – und insofern leicht als blanke Bosheit und Schikane mißzuverstehenden – Maßnahme reagierte, bei welcher Gelegenheit man als Lauscher und Kontrolleur auch dann und wann Zeuge einer gewaltigen Wut aufs Belauschtwerden werden konnte, einer Wut, die dadurch noch verschärft und elaboriert wurde, daß die belauschte Person alle, die sie kurzfristig nach dem Prinzip von trial and error als Auftraggeber der Störung in Erwägung zog, für diesen Fall einmal virtuell und probeweise mit dem ihrem supponierten Vergehen entsprechenden Zorne bedachte – das Frappierende war aber dabei, daß dieser Zorn, auf dessen abgelauschter Realexistenz die Rechtfertigung weiterer Lauschangriffe beruhte, grundsätzlich nur in Zeiten des offiziellen Alleinseins der belauschten Person herauskam, welche im übrigen im normalen Leben und wenn sie von der Belästigung absehen konnte, eher heiter und freundlich wirkte und auch allen Ernstes zu sein schien, und nach wenigen Wochen bereits hatte sich der zentrale Wutsatz „Der Lauscher an der Wand hört seine eigne Schand“ so in Karomützens Gedächtnis gebrannt, daß er froh war, sich nun in dem Märchen vom Schneider (geschrieben in Wien zu einer Zeit, da anscheinend tout Kakanie sich mit literarischen Phantasien von technokratischen Höllenmaschinen befaßte) einmal eine etwas elegantere Variante von Vorverurteilungsliteratur zu Gemüte zu führen, welche ihn in dem stillheimlich gefaßten Beschluß, mit dem auswärtigen und der EinSatzLeitung nur lose assoziierten Auftraggeber, dem er da eine Dienstleistung erbrachte, bei nächster Gelegenheit ein sehr sehr ernstes Wort zu reden.

5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ich erlaube mir, apropos Vorverurteilung, auch auf folgende kleine Studie hinzuweisen:http://news-service.stanford.edu/news/2009/february25/stereotype-threat-harms-latent-ability-022509.html

Anonym hat gesagt…

Haben wir ja immer gesagt, aber das hat doch jetzt damit nichts zu tun!

Anonym hat gesagt…

Ihr könnt es natürlich auch mal mit Stevie Wonders "My name is big brother" versuchen, aber das machen sich die Leute ja inzwischen öffentlich und freiwillig.

Anonym hat gesagt…

Vielleicht noch ein Wort zum Werteverfall?

Anonym hat gesagt…

Ich bin entsetzt, wir werden mal ein paar Sitzungen anberaumen, wie?

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