Die EinSatzLeitung schreibt mit Gästen ein Buch. Pro Tag darf jede Person einen Satz einsetzen, die EinSätze werden fortlaufend numeriert. Auf der B-Ebene gibt es längere narrative Stücke. Die EinSatzKräfte und ihre Texte sind sämtlich rein fiktiv und frei erfunden. Alle Rechte bei der Autorin.
Dienstag, 31. März 2009
657.
Es wurde bisher noch nicht darüber gesprochen, was die Kreativleitung eigentlich tat, wenn sie "an anderen Aufträgen" saß, und es muß dies auch nicht in jedem einzelnen Casus erwähnt werden, aber vielleicht wird sich der eine oder andere Leser an Karomützens Reisen in die Polder der Niederlande erinnern: da war zum Beispiel die Kreativleitung immer am Draht und hat ihm zugeflüstert, was er jetzt am besten tun solle, freilich hat er nicht immer auf ihren Rat gehört, aber doch gut genug, um dem Herren Pestvogel recht gründlich eins einzuschenken, und manchmal dachte sie bei sich (das Denken ist ja nach klassischer Definition, nicht wahr, ein innerer Dialog mit mir selbst), was würdest du wohl sagen, wenn er hereinspaziert käme, der Pestvogel, vielleicht würdest du ihm sagen, ach, Fräulein Pestvogels, nicht wahr, wir sind gekommen, um endlich das falsche Selbst zum Zusammenbruch zu bringen und das hervortreten zu lassen, was nach unserer pestvogeligen Diagnose die wahre Verfassung ist, und nun habe ich nur eine bescheidene Gegenfrage (so dachte sie, würde sie ihm zureden, dem zudringlich gefiederten Großschnabel), was, wenn das Selbst, das wir Pestvögel hier als ein falsches diagnostiziert haben, das wahre ist, während das, was die Pestvogeligkeiten für das "darunter" liegende wahre halten, nichts anderes ist als das Mäntelchen, welches ich mir gewoben habe aus dero höchsteigenen gefälschten Diagnosen?
656.
Die Kreativleitung war ganz erleichtert, als der Kwaliteitswart das Gespräch unterbrechen wollte, denn richtig in Gang gekommen war es diesmal nicht, der Kwaliteitswart schien nicht ganz bei der Sache zu sein, zugleich umso dringender fordern zu wollen, daß sie nun aber auch bei der Sache wäre, Mo hatte sich tatsächlich in ihre Lektüren vertieft, sobald sie gesehen hatte, daß es nicht der erzählende Kranich war, der da hereinspaziert kam, und so waren die Erläuterungen vor dem Wandteppich dieses Mal außerordentlich schal ausgefallen, schade, hatte die Kreativleitung gedacht, es war doch netter, als diese scheinbaren Überprüfungen immer auch ein Moment von anderweitiger Anregung hatten, nun gut, hatte sie sich dann gesagt, sagen wir also noch einmal "sic transit gloria mundi" und machen uns wieder an die Arbeit, sobald er weg ist, vielleicht wird es ja nächstes Mal interessanter, oder ich mache eben selbst mal Urlaub, Mo, fragte sie sofort, Mo, was hältst du von Urlaub?
Montag, 30. März 2009
655.
Was haben Sie gegen Bekenntnisse, donnerte der ehemalige Chef ins Telefon, als er am anderen Tag in der EinSatzLeitung anrief, und die Chefin mußte ein wenig schmunzeln, daß er sich so wichtig machte, sie bewunderte schließlich sein über die Pensionierung hinausgehendes Engagement und glaubte in seinem Falle nicht, daß dies weit über das für sie und ihre Führung günstige Maß hinausgehen werde, so daß sie ihm ruhig erwidern konnte: "ich habe nichts gegen Bekenntnisse, sofern sie entweder wahrhaftig und einem Bedürfnis geschuldet oder aber professionelle und Kooperationen befördernde Zwecktexte sind und als solche verstanden werden," und fügte hinzu:" ich habe nur etwas gegen die Erpressung von Lügen, wo man viel besser mit zwangärmeren Wahrheiten fahren würde, wenn man sich diese Gelassenheit erlaubte," aber dem ehemaligen Chef war nicht so wohl mit der Einsicht, daß sie gut geantwortet hatte, obwohl sie ihm nicht mehr untergeordnet war und nicht vor ihm zu zittern schien.
Sonntag, 29. März 2009
654.
Endlich wieder eine B-Ebene, dachte die Chefin beruhigt, und warum nicht ein bißchen gute Literatur unter die Leute bringen, ist doch lustig, wie dieser Morgenstern sich dafür einsetzt, die Dichter wenigstens zeitweilig in die Politik zu nehmen, da man doch in der Regel nicht mehr als ihre ein bis zwei Meisterwerke von ihnen benötige, so daß sie anstatt dann auch noch gesammelte Werke anzuschließen, lieber ihren Tiefblick der Politik zugute kommen lassen sollten, und zugleich tritt er dann, dachte die Chefin, umständlichst den Beweise dafür an, warum das eigentlich nicht geht, nämlich weil er als Dichter selbst so hassefüllt über Politiker als solche schreibt, und dann auch die Dichter insgesamt ein wenig vorführt, das alles so herrlich intelligent, wenn er nur nicht dieses Frauenproblem hätte, dachte sie, und entfernte etwas Unerfreuliches aus ihrem Gesicht - und in dem Augenblick, in dem sie dies dachte und ferner darüber nachdachte, ob sie sich nicht am Wochenende einen Spaziergang an der schüchternen Sonne mit irgendwem genehmigen könne, trotz dringlich mit Aufgaben überladenen Schreibtischs, da klingelte es an der Tür und eine höchst possierlich anzuschauende Pezhändlerin stand da, um ihr für die kommenden Wochen und Monate ein recht ordentliches dickes Fell anzubieten, am besten, so wisperte sie in ihrem artikellosen Fremdakzent, für Kreativleitung und Mo gleich mit, aber die Chefin dankte höflich und sagte, wir halten trotz allem ein bißchen mehr von unserer etwas weniger dickfelligen Methode, wenn wir auch dafür mit reichlich Kopfschmerzen und überhaupt bezahlen, und sie bot der im übrigen reizenden Pelzhändlerin einen Kaffee an, erledigte auch noch den Anruf einer Dame von irgendeiner Blindenwerkstatt, die wieder einmal die Kunst des gehoben gelogenen Bekenntnisses abfragte, da diese, wie die Chefin in ihrem neuerlichen Denkschub dachte, im allgemeinen nun einmal der Wahrhaftigkeit im Nichtbekennen vorgezogen wird, und zog schließlich die festeren Schuhe an, um doch noch ein wenig an die Sonne zu kommen und zu schauen, ob nicht irgendwo ein freundlicheres Gesicht ihr entgegenlachen und ein hellerer Gedanke ihr den Weg zurück an die viele Arbeit erleichtern würde.
Samstag, 28. März 2009
653.B
"Henrik Ibsen war kein Kenner der politischen Verhältnisse Zentraleuropas, er hat mindestens, soweit ich unterrichtet bin, keinen Anspruch auf eine Kennerschaft in dieser Sphäre erhoben. Aber der Magus des Nordens - warum Magus? weil er von Beruf Apotheker gewesen? - war einmal, Jahre vor 1914, in Wien. Bei einem Bankett erkundigte er sich bei einem Tischnachbarn, einem österreichischen Minister, nach den innenpolitischen Verhältnissen der Monarchie. Der Minister informierte ihn auf gut österreichisch also: 'Schaun's, Herr Ibsen, es ist sehr schwer, bei uns eine richtige Politik zu machen. Wir haben in der Monarchie elf verschiedene Nationen. Die würden ganz gut miteinander auskommen. Aber alle diese Nationen haben auf einmal nationale Politiker und Rädelsführer bekommen, und die hetzten die Nationen gegeneinander auf. Darum geht es von Jahr zu Jahr chlechter bei uns. Und es muß immer schlechter gehen, weil man ja diese nationalen Führer nicht aufhängen kann.' - 'Warum kann man sie nicht aufhängen?' meinte Henrik Ibsenernst, 'das ist ein Vorurteil...' Mit einigem Entsetzen mußte der Minister einer humanen altösterreichischen Regierung einen so hochmoralischen Dichter wie Henrik Ibsen so zynisch haben reden hören. Aber dieselbe humane Regierung hat dann im Krieg allein in Galizien elftausend Galgen errichtet und ebenso viele Ukrainer aufgehängt, russophile Ukrainer. So hieß damals in Österreich die fünfte Kolonne. Denn diese Bezeichnung, erfunden im spanischen Bürgerkrieg, ist ja nur ein neuer Name für eine sehr alte Kriegspest. Der Krieg erzeugt nicht nur Cholera und Typhus, er bringt auch verschiedene Krankheiten des Geistes mit sich, und eine von diesen Kriegspsychosen heißt in unseren Tagen eben die fünfte Kolonne. Was das Rezept des nordischen Apothekers betrifft, so möchte ich glauben, daß es nicht geschadet hätte, auch wenn es nichts genützt haben würde. Denn unter den vielen Millionen Toten des Weltkriegs 1914-1918 gab es sicher keinen, der zum Ausbruch des Krieges so viel beigetragen hätte wie die nationalen Rädelsführer Zentraleuropas. Und just von diesen sind die meisten am Leben geblieben."
653.
"Erfreue dich an der Schönheit deines Wärters," las der Kwaliteitswart von dem Bogen, den die Kreativleitung ihm hinreichte, weil darauf stand, was Mo als nächste B-Ebene produziert hatte und was zu verwenden die Kreativleitung mit Rücksicht auf die gegenwärtigen Verhandlungssituationen und gewisse Signale seitens der Chefin so lange gezögert hatte, daß Mo wieder in tiefsten Schlaf versunken war, "bewundere die Kraft seiner Hände, wenn er wieder einmal vor deinen Augen die Käfigtüre verschließt, genieße den Wohlklang seiner Stimme, wenn er wieder einmal bellt, du bist meine Gefangene, und ich lasse dich niemals frei; verehre die Empfindsamkeit seiner Seele, wenn er weint, weil du ihm die Verehrung verweigerst, und fühle dich geschmeichelt, wenn er dir sagt, er werde bald eine neue Gefangene brauchen, weil du seinen Ansprüchen nicht mehr genügen kannst; vergiss deinen Wunsch nach Freiheit und Glück, lass dir genügen daran, daß dein Herr und Wärter sie genießt," da hörte der Kwaliteitswart auf zu lesen und fragte, geht das die ganze Zeit so weiter, und die Kreativleitung sah ihn an und sagte, ja, so geht das die ganze weiter.
Freitag, 27. März 2009
652.
Wegen anderweitiger Beschäftigung der seit einiger Zeit assistentinnenlosen und zudem noch durch den Besuch des Kwaliteitswart abgelenkten Kreativleitung war der dicke Oberassistent an diesem Tage zuständig für einen EinSatz, und wie es seinem Temperamente entsprach, hatte er erst einmal seinen Vorratsschrank aufgeräumt, dort ein Niederegger-Brot gefunden, an dessen dunkelschokoladiger Oberfläche sich schon etwas wie ein dünner Nebel gebildet hatte, was seiner Genießbarkeit aber nur wenig Abbruch tat, und so hatte er sich durch den Tag gemümmelt, unentwegt darüber nachsinnend, wie man wohl die Löschung einer Nebendatei durch eine frisch heruntergeladene Filmdatei in Verbindung bringen könne mit dem Vorgang des Löschens einer Ladung und den notleidenden Werftarbeitern in Bremerhaven, aber irgendwie war ihm nichts Gescheites eingefallen, und da er am Abend irgendwann auch mal Feierabend machen wollte, hatte er sich schließlich gesagt, okay, machste eben das zum Thema, daß du die Sachen einfach nicht zusammen kriegst, das hatte schließlich die Kreativleitung der in seinen Augen allgemein überschätzten Chefin geraten, und er, der Oberassistent, war zwar nicht "emotional überqualifiziert," wie der Demokratiebeauftragte von der Kreativleitung zu sagen pflegte, aber so einem blöden Rat zu folgen, das konnte doch nicht falsch sein, und ein bißchen beleidigt war er schließlich auch, denn es war gemein, ihn nun gerade mit so einer Aufgabe zu belasten, die vielleicht auch als Aufgabe überschätzt wurde.
Donnerstag, 26. März 2009
651.
Der Kwaliteitswart machte seine Ankündigung sehr schnell wahr und suchte die EinSatzLeitung am frühen Mittwochabend noch auf, denn er wußte, daß zu jener Zeit außer der Kreativleitung selten noch jemand dort war, diese aber pflegte dann häufig nach verblödetem Nachmittag einen neuen Anlauf zu nehmen, um sich noch einmal in die Produktion zu stürzen, und sie war tatsächlich da, schien sich über den nicht jetzt erwarteten Besuch auch zu freuen, wirkte aber zugleich so, als suche sie sein Gesicht nach Spuren dieses entsetzlichen und am Ende doch immer für beide verletzenden „AllesRichtigMachenWollens“ ab und sei weiter denn je davon entfernt, ein entspanntes Gespräch zu führen, das zu suchen er sich möglicherweise irrtümlich einbildete.
Mittwoch, 25. März 2009
650.
Karomütze nahm besonderes Interesse an der Erzählung des Herrn Musil, die nun natürlich von der gesamten EinSatzLeitung gelesen wurde, hatte er doch seit einigen Wochen den undankbaren Job, die Telefonate und E-Mails einer vollkommen harmlosen Person zu kontrollieren, welche anscheinend spürte, daß sie kontrolliert wurde, und darauf mit wilden Spekulationen über Menschen und Motive hinter dieser tatsächlich sehr unverständlichen – und insofern leicht als blanke Bosheit und Schikane mißzuverstehenden – Maßnahme reagierte, bei welcher Gelegenheit man als Lauscher und Kontrolleur auch dann und wann Zeuge einer gewaltigen Wut aufs Belauschtwerden werden konnte, einer Wut, die dadurch noch verschärft und elaboriert wurde, daß die belauschte Person alle, die sie kurzfristig nach dem Prinzip von trial and error als Auftraggeber der Störung in Erwägung zog, für diesen Fall einmal virtuell und probeweise mit dem ihrem supponierten Vergehen entsprechenden Zorne bedachte – das Frappierende war aber dabei, daß dieser Zorn, auf dessen abgelauschter Realexistenz die Rechtfertigung weiterer Lauschangriffe beruhte, grundsätzlich nur in Zeiten des offiziellen Alleinseins der belauschten Person herauskam, welche im übrigen im normalen Leben und wenn sie von der Belästigung absehen konnte, eher heiter und freundlich wirkte und auch allen Ernstes zu sein schien, und nach wenigen Wochen bereits hatte sich der zentrale Wutsatz „Der Lauscher an der Wand hört seine eigne Schand“ so in Karomützens Gedächtnis gebrannt, daß er froh war, sich nun in dem Märchen vom Schneider (geschrieben in Wien zu einer Zeit, da anscheinend tout Kakanie sich mit literarischen Phantasien von technokratischen Höllenmaschinen befaßte) einmal eine etwas elegantere Variante von Vorverurteilungsliteratur zu Gemüte zu führen, welche ihn in dem stillheimlich gefaßten Beschluß, mit dem auswärtigen und der EinSatzLeitung nur lose assoziierten Auftraggeber, dem er da eine Dienstleistung erbrachte, bei nächster Gelegenheit ein sehr sehr ernstes Wort zu reden.
Dienstag, 24. März 2009
649.
Der Kwaliteitswart war länger unterwegs gewesen, hatte viele Firmen beraten, hier nur erste Bestandsaufnahmen gemacht, da bereits Aufgenommenes beurteilt, hier verworfen, da aufgebaut, dann noch einen gepflegten Tag auf dem Böötchen drangehängt, und nun, zurück in der deutschen Hauptstadt, schaute er entgeistert auf die letzten Nummern des EinSatzBuches, blätterte ewig zurück, ohne eine einzige von Mos B-Ebenen zu finden, stattdessen verdoppelten und vervierfachten Mutterkitsch, blödsinniges Gequengel, Nebenkriegsschauplätze, Silbengesammel- und gestammel, kurzum, er war entsetzt und nahm schließlich, wie man so sagt, das Telefon in die Hand, um in der Kreativleitung anzurufen, aber da erging es ihm noch schlimmer, die Dame am anderen Ende der Leitung las ihm (ohne daß er es sofort erkannt hätte, man kann nicht immer alles auf dem Schirm haben) unangekündigt, ungerührt, ohne sich zu rechtfertigen und ohne das Lächeln, das sie doch früher immer für ihn gehabt hatte, das Märchen vom Schneider aus Robert Musils Nachlass zu Lebzeiten vor, er ärgerte sich, aber er hörte es bis zum Ende an, verabschiedete sich wütend und knapp, nur um dann die Chefin anzurufen und zu fragen, was da bitte los sei, aber auch die Chefin geruhte an diesem Tage in Rätseln zu sprechen und sagte, meine Generäle wissen, daß man mit Panzerknackern oder Panzerbrechern oder wie die Dinger heißen besser nur auf Panzer los geht, aber doch nicht auf Leute, die gar keinen Panzer haben, und meine Trainer wissen üblicherweise, daß ein guter Fahrer, der keine überflüssigen Sperenzien macht, aber gut fährt, wenn sonst alles stimmt, nach so und so vielen Ausbremsungen nicht "kuriert" oder "sozialisiert" oder dergleichen ist, sondern schlicht ein ausgebremster guter Fahrer, der aus seiner Erfahrung lernt, daß sich das Fahren nicht lohnt, aber manche von diesen externen Beratern wissen die einfachsten Dinge nicht und machen komische Sachen, und nun scheine ich Ihren Rat zu brauchen, wie, das Märchen vom Schneider ist ja schön, aber nicht neu und nicht von der Kreativleitung, wenn sie das jetzt nur noch zitiert, dann muß wohl irgendwas schief gegangen sein, sagte die Chefin, aber so viel ich weiß ist sie doch an ihrem Teppich dran, und so viel ich weiß hilft Mo gerade bei einer anderen Arbeit, da bleibt vielleicht nichts übrig für ihre B-Ebenen, und das ist jetzt so schlimm, ja?
Montag, 23. März 2009
648.
Manchmal weiß man die einfachsten Dinge nicht, hatte die allgemeinste Verteidigung kopfschüttelnd gesagt, als ihre Mutter, die wegen zu früh einsetzender Wehen etwas besorgt zu ihr geeilt war, sie am Sonntag gefragt hatte, wen sie denn anrufen müsse, um sie für eine Woche bei der EinSatzLeitung abzumelden, und so hatten sie den Anruf auf den Montagmorgen verschoben, und als die aufgeregte Muttermutter dem ungebührlich schläfrigen Oberassistenten die Nachricht übermittelte, sah sie zugleich in den Regen, der auf die Fenstersimse trommelte, sah dann wieder auf die Schwangere, die bleichgesichtig auf dem Sofa herum lag und erst einmal weiter schlief, und sie dachte, nachdem sie aufgelegt und sich über den blöden Oberassistenten wieder beruhigt hatte, man kriegt sie nie groß, die Kinder, kaum meint man, man habe es geschafft, da kommt das nächste Problem, aber sie kam nicht dazu, ihren Gedanken weiter nachzuhängen, denn nun begann die Verteidigung auch noch zu schwitzen und im Schlaf zu murmeln, und die ältere Dame konnte sich selbst nur beruhigen, indem sie dachte, wenn das Kind jetzt kommen sollte, wird man es schon durchbringen, das können die heute doch...
Sonntag, 22. März 2009
647.
Die Gattin des ehemaligen Chefs hatte sich in früheren Jahren häufig bei der Dame Ö Rat in Erziehungsdingen geholt, denn dieser (einer pädagogischen Laiin) schien es besser als ihr selbst zu gelingen, dem Sohne eine Selbständigkeit beizubringen, und wie hast du das gemacht, hatte sie einmal verzweifelt gefragt, bei mir wird er immer so bequem – worauf die Dame Ö ohne im mindesten mit der Braue zu zucken gesagt hatte, das liegt nicht nur an uns, das liegt auch etwas bei den jungen Herren, würde ich sagen, der eine ist so, der andere so, aber vielleicht hat dein Sohn den Eindruck, daß du ihn in Wahrheit nicht gehen lassen willst und tut dir den Gefallen, hatte sie mit ebenso unbewegtem Gesicht hinzugefügt, meiner hingegen hat nach dem ersten Schreck über die Scheidung bemerkt, daß ich seine Selbständigkeit wie die meine liebe (daß die Dame Ö sich einiges einbildete auf ihre Selbständigkeit als freie psychosoziale Beraterin und dazu neigte, ihre kleinen Einsichten zu großen Fundamentalweisheiten zu überhöhen, fand die Gattin des ehemaligen Chefs in solchen Augenblicken etwas lästig, aber sie hatte sich daran gewöhnt, es zu übergehen, denn oftmals traf gerade das, was die Dame in solchen selbstgefälligen Schwüngen zu sagen pflegte, den Punkt, den andere wegen der damit verbundenen Peinlichkeiten zu vermeiden pflegten) und was soll ich dir sagen, so hat er schwungvoll auch die seine ergriffen, ohne in irgendeiner Weise gedrängt zu werden, also: vergiss alles Ratgeberzeug, führ dein eigenes Leben und gib ihm Rat, wenn er ihn erbittet, und mache ihm Vorschläge, wenn er sie wirklich hören will, und lass ihn machen, wo er wirklich etwas machen will, dann wird das schon, und die Gattin des ehemaligen Chefs hatte – da sie im Grunde wußte, wofür sie manchmal Trost beim Sohne suchte – auf den Rat der Freundin gehört, mit dem Erfolg, daß ihr Sohn sich seit neuestem in einer fernen Universitätsstadt, so viel sie davon wußte, recht wohl befand.
Samstag, 21. März 2009
646.
Ausnahmsweise war die Kreativleitung, die man nicht gerade der Zwanghaftigkeit in Sachen Planbindung verdächtigte, darüber verärgert, daß sie den ganzen Tag nicht dazu gekommen war, ihren Plan einzuhalten, und als die Chefin anrief, um sich Rat für ein Interview zu holen, da gab ihn die Kreativleitung zwar bereitwillig, ließ aber auch ihrem Verdruß freien Lauf, denn sie hatte sich wieder dazu nötigen lassen, sich der "erklärenden Sprachen" zu bedienen, was sie durchaus noch konnte, wodurch sie aber daran gehindert wurde, sich in die anderen Sprachen, die ihr eigentliches Geschäft waren, zu versenken, und am Ende wird dann beides nichts rechtes, sagte sie klagend der Chefin, diese aber sagte, es tue ihr sehr leid, sie hoffe, sie nun mit diesem Ratersuchen nicht noch weiter zu ärgern, aber Unmassen von Wirsagern würden sie gerade bedrängen mit dem üblichen Zeug, sie sei anderntags zu einem Interview mit einer seriösen Sonntagszeitung geladen und müsse speziell auf das Wirgedränge geschickt antworten, sonst werde die EinSatzLeitung in große Schwierigkeiten kommen, was also, schloß sie, rätst du mir, was soll ich ihnen sagen, und die Kreativleitung sagte: mach das zum Thema, bring sie zum Platzen, die Worthülsen, wenn sie dir hingehalten werden, und zwar konsequent, suaviter in modo, fortiter in re usw., und wenn dich das Wirsagen stört, sag ihnen, warum, und vergiss nicht, ihnen zu zeigen, daß es dir um die Grenzverläufe geht, also darum, bis wohin die etwas schamlos gewordene Rede von Gemeinschaft gut und richtig ist, und wo sie absolut nichts mehr zu suchen hat, zeige die Mechanismen von "Wir" und "Nichtwir" noch einmal auf, auch wenn es dich zu Tode langweilt, und benenne immer und zu allem die Opfer an Gedanken, Gütern und Menschen, die jedes zu weit gehende Wir immer schon erfordert hat, und jetzt lass mich um Himmels willen an meinen Teppich!
Freitag, 20. März 2009
645.
Kannst du dir den Plan erklären, der hinter der amerikanischen Geste gegenüber Iran steht, fragte die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse bebend den Oberassistenten, der sie auf die neuesten Nachrichten aufmerksam gemacht hatte, und der Oberassistent gähnte und sagte, was regst du dich nur immer so auf, ist doch alles nur Spektakel, aber die Minderheitlerin setzte mit wütendem Knallen ihre Tasse ab und sagte dann -schnellstens wieder sehr beherrscht - deine träge Indolenz wird allmählich unerträglich, du weißt wohl nicht, was andere Leute für Sorgen haben, und sie dachte, schwer zu verstehen ist das ja nicht, wenn er sich nur nicht verschätzt mit den Leuten da, und sie ging mal nach dem Demokratiebeauftragten schauen, der hatte doch manchmal ganz interessante Ansichten und überraschenden Hintersinn.
Donnerstag, 19. März 2009
644.
In die Häuslichkeit des ehemaligen Chefs drangen mit den ersten kräftigeren Sonnenstrahlen des Frühlings bei länger geöffneten Fenstern mit vermehrter Kraft die Tiergeräusche, und so setzte der allmählich müder werdende Alte sich auf die Veranda seines Häuschens, legte sich eine Wolldecke über die Beine und belauschte die emsigen Vögel, die Katzen und die fernen Stimmen irgendwelcher Nachbarn, und näher als die Erinnerung an seine eigenen Reden über die Tiere und ihre Nöte, näher als seine lang gehegten Gedanken über die Nöte des Tierhaften in uns und wie es sich in wohlgehegten Gärten wohl genug fühlt, um auch bei geöffnetem Ausgang gern wieder zu kommen wie eine fröhliche Katze, wie es sich aber in Käfigen (wären sie auch nichts weiter als der Käfig irgendeiner blödsinnigen Strategie zur Eroberung irgendwelcher Herzen, die nun einmal nicht durch Strategien gewonnen werden) verelendet und feindlich gegen die Menschen und schließlich gegen sich selbst wendet, näher als alle diese seine lange gepflegten und geordneten und in immer neuen Auflagen formulierten und in immer neuen Diskussionen mit anderen weiter entwickelten Gedanken lagen ihm nun seine Erinnerungen an die eigenen Kinderstreiche, als er noch gemeinsam mit seinen Geschwistern und Freunden durch die Gärten der Umgebung seines Elternhauses gezogen war, immer auf der Suche nach kleinen Streichen und Gelegenheiten zu Abenteuern, die damals riesig erschienen waren und heute unerreichbar, ja unvorstellbar sein mußten, denn wie willst du mit diesen Knien noch unter Hecken durchkriechen, fragte er mit einem Blick auf die Decke, die der über seine Beine gelegt hatte, seine Gattin, (wieder einmal brachte sie ein Tablett mit dampfendem Tee und setzte sich zu ihm), und die Gattin lächelte und dachte an die Streiche, welche sie selbst als Kind so manchem Nachbarn gespielt hatte, und, wie sie nun vielleicht hätte gestehen sollen, auch mancher Katze in der Nachbarschaft, natürlich stets nur, um die lieben Singvögelchen vor ihr zu retten, und sie gestand nicht, dachte vielmehr recht allgemein, daß Kinder manchmal grausam sind, und daß sie irgendwann lernen, damit aufzuhören, wenn alles gut geht, aber auch das sagte sie nicht, denn man kann nicht auch noch im Ruhestand dauernd pädagogische Gespräche führen, dachte sei.
Mittwoch, 18. März 2009
643.
Während im Büro der Chefin diese selbst, der Demokratiebeauftragte und Karomütze sich über eine Note nach Madagaskar abstimmten (ein ganz normaler Prozeß, würde man sagen, aber Karomütze hatte nicht nur Feuer gefangen an der Schönheit der Namen, sondern außerdem wurde der Demokratiebeauftragte fast wieder zu einem Militärfan angesichts der Nachricht, daß das madagassische Militär von sich aus abgelehnt hatte, eine Militärregierung zu bilden, als es dies durchaus gekonnt hätte, und dank dieser geballten Begeisterung herrschte im Chefinnen-Büro ungewöhnlich gute Stimmung), brach im "Bistro" ein schwerer Streit aus zwischen dem klitzekleinen Forschungsminister und der Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse, in dem die letztere sagte, die Kreativleitung sei entsetzlich eingebildet und glaube neuerdings, ihrer Zeit voraus zu sein, welcher sie in Wahrheit hoffnungslos hinterherhinke, worauf der klitzekleine Forschungsminister nicht anders zu antworten wußte als durch eine in nöligem Tone vorgebrachte allgemeinste Ansprache über Zeit und Zeiten, Epochensprünge und andere Merkwürdigkeiten, und als sie eben beschlossen hatten, die allgemeinste Verteidigung zu Rate zu ziehen, kam statt ihrer die Kreativleitung selbst zur Tür herein, ein noch sehr verschlafen aussehendes Mo auf ihrer Hüfte tragend, und sehr erstaunt angesichts der schlechten Stimmung, die anscheinend durch des Forschungsministers zugegeben etwas langatmige Vorträge bei der Minderheitlerin mit der blauen Bluse und den ewig rotgeränderten Augen ausgelöst wurde, und sie setzte das Mo neben den Forschungsminister auf den Tisch, schnappte sich die widerstrebende Minderheitlerin und verwickelte sie auf dem Weg zum Kaffeeautomaten in ein Gespräch über das beste Material für eine Bluse, zu tragen in der Übergangszeit.
Dienstag, 17. März 2009
642.
Der Minderheitler mit den grünen Borsten war mit der BVG zu einem Treffen mit Herrn X. gefahren, welches ihm insgesamt schwerpunktmäßig laut vorgekommen war, und als er sich in der U-Bahn befand, um zurück zu fahren, erschienen ihm die U-Bahngeräusche und die Ansagen ungewöhnlich laut, und als er nachhause kam, befragte er ein paar ältere Lieferungen des EinSatzBuches auf seine persönliche Rolle in demselben und fühlte sich, als wäre er ein grünes blödes Blatt, reichlich unbeschrieben.
Montag, 16. März 2009
641.
Am Montagmorgen mußte Karomütze, welcher das Wochenende mit seinem Kumpel und mit der Suche nach etwas wie Unterhaltung verbracht hatte, nicht lange überlegen, ob er Kontakt zum Kreativbüro aufnehmen solle, denn die Kreativleitung kam von sich aus auf ihn zu, ungewöhnlich angespannt und genervt, geradezu leidend, und sie sagte, es verschwänden neuerdings Bücher aus ihren Regalen, und zwar nahezu systematisch diejenigen, die sie am meisten liebte oder für ihre Arbeiten am dringendsten brauche, und es sei ihr, egal wen sie realistischerweise verdächtigen könne, praktisch unerträglich, eine dieser Personen zu verdächtigen, denn in ihrem Büro und ihrer Wohnung gingen doch nur Mo, die allgemeinste Verteidigung, die Chefin, der Kwaliteitswart und dann und wann das Kind der Chefin ein und aus, sie könne doch nun nicht eine von diesen Personen in Verdacht nehmen, zugleich sei sie hinsichtlich verschiedener Bücher vollkommen sicher, sie vor nicht allzu langer Zeit in ihrem Büro in der Hand gehabt und wieder an ihren Platz gestellt zu haben, sie habe das ganze Wochenende nach den besagten Büchern gesucht, sie seien definitiv nicht in ihrer Wohnung und nicht in ihrem Büro, so daß die Sache nun einmal überprüft werden müsse, zumal sie im übrigen auch Wert lege auf Notizen, die sie just in diese Exemplare gekritzelt habe oder auf Widmungen, die man ihr in die Bücher geschrieben habe.
Sonntag, 15. März 2009
640.
Nachrichten aus Madagaskar waren für Karomütze, der keinerlei Dienstverpflichtungen in diesem Lande hatte, ein Anlaß, in seiner Globensammlung die verschiedenen Exemplare daraufhin anzuschauen, welchen Kenntnisstand sie von dieser erstaunlichen Insel verrieten, und spätestens als er auf einem winzigen Taschenglobus aus dem frühen 19. Jahrhundert mit seiner Lupe das Reich des Königs Andrianampoinimerina entdeckte, welcher erst in Ambohimanga residiert und dann kurz vor Beginn die heutige Hauptstadt Antananarivo zu seinem Regierungssitz gemacht hatte, dachte er, es wäre Zeit, das Kreativbüro über die unglaublichen Wortschätze zu informieren, die hier zu heben waren, wenn man dazu noch bedachte, daß der Vorname eines wunderbaren Jazz-Musikers zugleich der Name eines ausgestorbenen madagassischen Kranichs war, das müßte doch etwas sein, aber er war sich nicht sicher, daß er imstande sein würde, alle Silben korrekt durch die Leitung zu pusten, und so ließ er den Gedanken wieder fallen und rief lieber mal seinen Kumpel an.
Samstag, 14. März 2009
639.
Mit gewaltigen Schwüngen überflog der erzählende Kranich die Länder, die Himmel waren angefüllt mit Rufen von Vögeln, welche alle vor der beginnenden Hitze in den südlichen Quartieren flüchtend sich aufgemacht hatten in Gegenden, in denen endlich etwas wie ein Frühling sich zu zeigen begann, wie findest du das, fragte Mo, und die Kreativleitung wollte nicht sagen, daß es ihr ein wenig bekannt vorkomme, sondern meinte, eher sanft, du müßtest ihm jetzt vielleicht eine kleine ungewöhnliche Begegnung erlauben, dann wird es sehr schön, Mo aber zögerte.
Freitag, 13. März 2009
638.
Am Freitag war die EinSatzLeitung wieder einmal dünn besetzt, als die Chefin eintraf, der Buchhalter mit seinem seit einiger Zeit wieder ziemlich ewigen karierten Flanellhemd, das er beständig in seine Hose stopfen mußte, kam ihr wie es aussah aus dem angekündigtermaßen unbesetzten Büro der Leitung Öffentlichkeit entgegen, ein wenig hüstelnd und rötelnd, wie zur Bestärkung dieser Vermutung - was er da gewollt haben kann, anscheinend müssen wir doch ein bißchen mehr auf Persönlichkeitsschutzsphären im Inneren achten, dachte die Chefin, während sie seinen ungeschickten Morgengruß mit einem maßvoll strengen Nicken erwiderte, durch welches, so hoffte sie, ihm klargemacht werde, wer hier ein Auge auf alles habe, ohne daß doch schon etwas kaputt gemacht worden sein mußte - und im "Bistro" saß die Kreativleitung, vor sich auf dem Tisch eine gewaltige Portion Milchkaffee, ein recht fröhlich die Spitze eines Croissants in das Getränk tunkendes Mo und eine Zeitung, über der sie soeben ihren Kopf schüttelte, glaubst du es, sagte sie zur Chefin, deren haselnußfarbene Augen ein wenig wärmer glimmten bei diesem Anblick, glaubst du, was die hier schreiben, "Ehemänner sagen, wie die Knef wirklich war," wenigstens dem zweiten hatte ich doch mehr zugetraut, meinst du, die sind in Geldnot, oder warum erlauben die so einer Zeitung, so etwas Gräßliches zu schreiben?
Donnerstag, 12. März 2009
637.
Der Leitung Öffentlichkeit lag eine Anfrage von einem Dr. Hyde vor, der wissen wollte, ob man so einen Namen auch ändern und ob man evtl. einen Autoren oder Verleger wie den der Geschichte von Dr. Jekyll and Mr. Hyde auch auf Schadensersatz verklagen könne, weil man nach Verbreitung bestimmter sehr einprägsamer Werke einfach mit bestimmten Namen nicht mehr herumlaufen und erfolgreich gute Produkte anbieten könne, und die Leitung Öffentlichkeit, die schon über die unverständliche Reaktion der Kreativleitung verdrossen gewesen war (wie kann die sich über die Frage "wer ist eigentlich XY wirklich" so aufregen und dann noch glauben, sie könne ihren unverständlichen Ärger verbergen, hatte sie vor sich hin geschimpft) sagte entnervt, wieso fragt der das uns, und wieso gerade jetzt, und sie sagte, ich glaube, ich nehme mir mal einen Tag frei.
Mittwoch, 11. März 2009
636.
In der Kreativabteilung erwachte Mo dann und wann kurz, um sofort wieder einzuschlafen, denn es schien ihr nicht sicher, wach zu sein, und die Kreativleitung, jederzeit bereit, aufzuspringen und mit Mo ins "Bistro" zu gehen, um sie zu versorgen, überließ sie einstweilen ihrem Schlaf - selbst aber sann sie ganz anderen Dingen nach, außer eigenen privaten Erinnerungen und Träumen auch einer Frage, die mehr als die Arbeit am Wandteppich betrafen, die Leitung Ö hatte ihr gesagt, es müsse endlich klar werden, "wer Mo recht eigentlich sei," und sie wußte nicht, wohin mit ihrer Fassungslosigkeit angesichts einer so bescheuerten Frage und hatte sich lieber zurück gezogen, um nichts Unpassendes zu sagen.
Dienstag, 10. März 2009
635.
Nachdem die Chefin die Kollegin und die Kollegen wieder fortgeschickt hatte, gingen diese drei noch schnell ins "Bistro," wo sie auf die allgemeinste Verteidigung und die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse trafen, und Karomütze fand sich weiterhin im Mittelpunkt weiblicher Aufmerksamkeit, so sehr, daß der Demokratiebeauftragte (der doch auch nicht unansehnlich war, oder etwa doch?) allmählich giftig wurde und sagte, ich glaube, ich weiß jetzt, warum du unbedingt einen Alfa Romeo fahren mußt, du hast ein gewisses schweizerisches Vorbild, dessen Verurteilung noch nicht bei dir angekommen zu sein scheint, du willst dich als Romeo für Alpha-Frauen inszenieren, und da macht sich so ein schwarzer Straßenhobel natürlich besser als irgendein Polo oder so, und die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse wunderte sich sehr, denn bisher war ihr der Demokratiebeauftragte etwas "souveräner" erschienen, aber sie sagte nichts, sondern lächelte ihm nur ein bißchen aufmunternd zu, bevor sie sich mit leisem Kopfschütteln wieder in das Gespräch mit der allgemeinsten Verteidigung zu vertiefen versuchte.
Montag, 9. März 2009
634.
Als Karomütze im Chefinnenbüro seine Krötenaufstellung vorstellte, war außer der Chefin und dem Demokratiebeauftragten nur noch die Leitung Öffentlichkeit zugegen, die zunehmend wohler aussah, und als der Demokratiebeauftragte fragte, ob man denn wirklich eine Koalition brauche und wieso man Robin Hood nicht einfach fange und vor ein ordentliches Gericht stelle, er verstehe das alles schon lange überhaupt nicht mehr, sagte die Leitung Öffentlichkeit, noch bevor Karomütze, welchem schon der Kamm schwoll, irgendetwas sagen konnte, "erklärt uns der junge Kollege nicht die ganze Zeit, daß hinter Robin Hood wie in den meisten derartigen Fällen vermutlich ein sehr böser alter Kerl steht, der sich als sehr guter und weiser und erziehlich umsichtiger und um das Wohl aller bemühter lieber Herr präsentiert, und ist es nicht so, daß dieser das Urteil der Öffentlichkeit im fraglichen Fall so sehr lenkt, daß die Leute nicht einmal mehr merken, wie sehr sie ihr eigenes Gewissen verschaukeln, wir wollen doch nicht den kleinen Dealer drankriegen mit seinem ein wenig großspurigen und propagandistisch schon nicht ungeschickten Trara, sondern den guten guten Menschen dahinter, der alles so ganz genau weiß, nur die einfachsten Dinge nicht zusammen bekommt, und das ist seltsamerweise erheblich schwerer als wir gedacht haben, da sie immer neue Gründe finden, aus denen es ihnen leider nicht möglich sei, mit legalen und unfeindseligen Mitteln das zu suchen, was sie für ihr Recht halten, weswegen sie eben glauben, sie müßten es auf die Weise erzwingen, die zwar bekanntermaßen langfristig alles zerstört, ihnen aber kurzfristig nicht nur als tugendhafter Pfad erscheint, sondern zudem noch Profit und Abenteuer bringt, und je länger sie das ohne starke Gegenkräfte tun können, desto schwerer wird es werden, zu sagen, daß es sich hier um eine Räuberbande und weiter nichts handelt," und während sie dies alles in ungewohnt langer Rede und keineswegs ölig sagte, hielt sie, wie um sich und ihr Kleines von etwas Besserem zu überzeugen (denn wir müssen doch, nicht wahr, vom Guten überzeugt sein, um es auch zu erlangen, schreit man das nicht von allen Dächern, dachte sie) ihren Bauch und sagte abschließend mit wohlwollendem Lächeln zu Karomütze hin, "Gott sei Dank muß ich nicht selbst los und die Wege der Drogenbarone erforschen, was Karomütze," und dieser schaute mit einem kleinen triumphierenden Blick auf den Kollegen Demokratiebeauftragten, denn so war er schon länger nicht mehr gewürdigt worden.
Sonntag, 8. März 2009
633.
Karomütze wäre es lieber gewesen, wenn er sich mit der allgemeinsten Verteidigung hätte unterhalten können wie früher, aber die war ja beschäftigt mit ihren Familienproblema, immerhin zog sie mit dem Typen nicht ausweglos zusammen, so gab es noch Hoffnung, daß sie den Kopf auf dem Hals behalten würde, dachte er, als er in seiner Wohnung, umgeben von der Globensammlung und im milden Lichte eines besonders absurd aussehenden Exemplars der Gattung "Leuchtglobus" aus den frühen 80er Jahren des 20. Jahrhunderts, vor seiner großen Magnettafel das tat, was er nach Außeneinsätzen zur Beurteilung der Lage immer zu tun und "Krötenaufstellung" zu nennen pflegte: man nehme alle Informationen, die man unterwegs eingesackt hat, und platziere sie auf einer Karte, in deren Mittelpunkt natürlich die EinSatzLeitung zu stehen hat, man mache sich ein Bild von dem Bild, das in den Köpfen der anderen herumspuke (in manchen Fällen ist das geradezu lächerlich einfach, man schämt sich, es mit anzusehen, würde Dame Ö gesagt haben, in anderen Fällen muß man die Informationen genauer prüfen und verstehts auch nicht gleich), erwäge denkbare Koalitionen und setze neben jeden in Frage kommenden Koalitionspartner die Kröte, die im Falle einer zustandekommenden Koalition zu schlucken wäre, alles natürlich symbolisch, die Sache sieht am Ende aus wie eine kleine Landkarte mit Textkumulationen, aber dadurch, daß Karomütze aus der frühen Zeit seiner Freundschaft mit der ehemaligen Assistentin K, heute allgemeinste Verteidigung, noch ein paar kleine Plastikkröten mit Magnetkern besaß, die immer etwas bräunlich-grünlich schimmerten und einen unbeschreiblichen Gesichtsausdruck hatten, erhielt die Sache ihr spezifisches Gesicht, durch welches er trotz einer gewissen Ermüdung in den Stand gesetzt wurde, relativ lange durchzuhalten.
Freitag, 6. März 2009
632.
Es war Wochenende, die Kreativleitung hatte sich in wohldurchschlafenen Nächten wieder etwas entfärbt, Mo hatte ihren noch viel tieferen Schlaf einmal blinzelnd unterbrochen, war aber sogleich wieder weggesackt, nachdem sie sich vergewissert hatte, im Kreativbüro zu sein und nicht auf einer von irgendwelchen Brachvögeln angezettelten Reise zurück in irgendwas, und die allgemeinste Verteidigung, welche von der Kreativleitung als Assistentin doch gelegentlich schmerzlich vermisst wurde, rief an diesem Morgen an, um sich ein wenig zu beklagen: ihr Liebster, mit dem sie den Freitagabend verbracht hatte - er in einem Buch über Verfall und Ende der sinnlichen Erfahrung lesend, sie ein bißchen Musik hörend, ihre geburtsvorbereitenden Übungen absolvierend und Gedanken zum Thema des prinzipiell parasitären und gleichwohl liebenswerten Charakters aller Satire im Verhältnis zur großen wahren Kunst (wobei für sie unter große Kunst auch schon mal wirklich gute Pop-Musik fallen konnte) nachsinnend - war in ihr Zimmer gekommen, um sich darüber zu ereifern, daß sie ein kleines Liedchen von Shakira anzuhören beliebte (gerade summte sie mit "because of you I'm running out of reasons to cry"), woraufhin sie bemerkt habe, es sei dies doch einfach mal ein Lied, in dem aufs unbefangenste und neueste und unerhörteste die schlichte Verliebtheit einer Frau in ihren Liebsten ausgedrückt und mindestens pokulturfähig gemacht werde, irgendwie mußt du ja alles immer erst einmal diskutiert wissen, bevor du es genießen kannst, hatte sie noch scherzend zu ihm gesagt, und versucht, ihn durch freundliche Gesten ein wenig aufzumuntern, aber seine Eiferei nahm etwas unangenhme Formen an, durch welche sie sich bald empfindlich gestört fühlte in ihrem durch pränatale Hormonausschüttungen eigentlich ganz vergnügten Allgemeinzustande, und die Kreativleitung, nachdem sie sich das alles angehört hatte, sagte tröstend, ich schick dir mal was, das wird dich wieder aufheitern, und sie schickte den folgenden link, natürlich nur, um ein wenig Verständnis für den so frustrierenden und durch sich selbst so schrecklich bezwungenen Liebsten bei der irritierten Freundin zu befördern: http://www.youtube.com/watch?v=6o9AEyaydTA.
631.
Ein Elternsprechtag war sorgsamerweise auf einen Freitag gelegt worden, damit auch viel- und in Abhängigkeit von Geschäftszeiten beschäftigte Menschen ihn aufsuchen konnten, und nachdem die Chefin sich über Stunden durch die Flure des Gymnasiums gekämpft, die verschiedenen angekündigten Wartezeiten bei den Lehrern gegeneinander abgewogen, sich hier und da in eine Schlange eingereiht und mit der einen oder anderen Elternperson in ein kurzes Gespräch gefunden, nebenher über den Zustand von Wänden, Turnhallen und Waschräumen nachgedacht und schließlich auch ein paar kürzeste Lehrergespräche geführt hatte, fand sie, sie könne sich glücklich schätzen mit allem, was sie über ihr Kind erfahren hatte, welches zwar lange nicht von allen Lehrern gleichermaßen verstanden und gefördert wurde - oftmals hatte sie auch den Eindruck, die Lehrer selbst bedürften eher des Verständnisses angesichts der Klassenstärken und der diversen Dilemmata der Unterrichtssituationen - aber immerhin kamen im Falle einer Lieblingslehrerin Anziehung, Respekt und Genauigkeit in der wechselseitigen Einschätzung zusammen, so daß die Chefin endlich einmal gewürdigt fand, was ihr eigener Eindruck von diesem Kind war: es scheine, so sagte jene Lehrerin, nur winziger Hinweise zu bedürfen, um bei stockenden Lernprozessen sogleich zu wissen, an welchen Stellen weiter zu arbeiten sei, und es scheine diese extrem schnelle und flexible Lernbereitschaft zu verbinden mit einer stillen Beharrlichkeit in der Verweigerung gegenüber dem Erlernen von Dingen, die ihm als ausgemachte Dummheiten erschienen, wodurch sich auch erkläre, daß manche Lehrer gerade diesem Kind eine Art Trotz, Faulheit und Leistungsverweigerung nachsagten, die zu dem freundlichen Entgegenkommen und der Geschwindigkeit, in der das Kind Vorgänge aufnahm, die ihm wirklich interessant erschienen, gar nicht passen wollten - tatsächlich lag nur eine Etage zwischen dem Raum, in dem die Chefin hören mußte, ihr Kind scheine sich für etwas Besseres zu halten und störe permanent den Unterricht, was es sich zwar leisten könne, die gestörten Mitschüler aber nicht, und dem Raum, in dem ihr gesagt wurde, das Kind sei sozial außerordentlich umsichtig, humorvoll und flink im Erledigen aller Aufgaben, freilich sehr empfindlich gegen alle Arten von Druckausübung und gelegentlich, unter Attacke, geneigt, sich in Abwehrgefechten und Rechtfertigungen ein wenig zu verheddern oder in frustriertem Rückzug zu verharren, finde aber stets bei Freundlichkeit und Ermunterung schnell wieder heraus und sei dann eine Inspiration für alle anderen.
Donnerstag, 5. März 2009
630.
Sitzung der EinSatzLeitung
Anwesend: Chefin, Kreativleitung, Leitung Öffentlichkeit, Buchhalter, Demokratiebeauftragter, Allgemeinste Verteidigung, klitzekleiner Forschungsminister, Oberassistent, Minderheitler mit grünen Borsten, und Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse, Dame Ö
Abwesend, entschuldigt: Karomütze (Außeneinsatz)
Sitzungsleitung: Chefin
Protokoll: Demokratiebeauftragter
Tagesordnung:
1. Bericht über den Besuch der Brachvogeldelegation mit Abstimmung über deren Anliegen.
2. Antrag von Diskurswart und Kwaliteitswart, in die engere EinSatzLeitung aufgenommen zu werden.
3. Verschiedenes
TOP 1.
Die Chefin berichtet - ergänzt durch Zwischenrufe der Dame Ö und der Leitung Öffentlichkeit - von der Unterredung mit der Delegation der Brachvögel und ihrer Forderung, Mo herauszurücken für einen korporierten EinSatz zur Rettung der Wertegemeinschaft. Sie erteilt dem klitzekleinen Forschungsminister das Wort, welcher von seiner Feinanalyse der ideologischen Struktur des brachvogeligen Vortrags Kenntnis gibt, die zu keinerlei Hoffnungen auf einen guten Erfolg eines solchen EinSatzes berechtigt und das Anliegen für einen weiteren Versuch der feindlichen Übernahme zu halten empfiehlt. Man dürfe aber mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen, daß immerhin die Verhandlungsform gesucht worden sei, was gegenüber früheren Anläufen zur Beseitigung und später zur heimlichen Entwendung von Mo schon einen gewissen Fortschritt darstelle. Buchhalter und Leitung Ö halten eine Gegenrede, in der sie dafür plädieren, angesichts der angespannten Finanzlage und der schlechten öffentlichen Reputation den Brachvöglen entgegenzukommen, zumal das Mo nun wirklich nicht besonders viel gebracht habe in der letzten Zeit und für die EinSatzLeitung durchaus verzichtbar sei. Sodann erhebt sich die Kreativleitung, vollkommen grün, aber zugleich absolut gefaßt, um ein Veto einzulegen und bekanntzugeben, daß sie bei einer Abstimmung, die etwa für die Herausgabe von Mo an die Brachvögel ausgehe, die EinSatzLeitung gern sich selbst überlassen und mit Mo an einen anderen Ort gehen werde, man verfüge nicht über die Lebensentscheidungen eines auch noch so retardierten Wesens. Wobei man sich über Mos angebliche Retardiertheit durchaus auch noch streiten könne, das sei aber gegenwärtig nicht der Punkt, ihre Entscheidung sei klar und sie gebe nur die Konsequenzen bekannt.
Es wird wiederum wild diskutiert, manche bezichtigen die Kreativleitung erpresserischer Umtriebe, ein Vorwurf, welchen sie gleichbleibend grün hinnimmt, ohne sich zu rechtfertigen und ohne von ihrer Entscheidung abzurücken.
Am Ende erfolgt eine Abstimmung, in der mit knapper Mehrheit gegen die Herausgabe von Mo votiert wird. Die Kreativleitung verfärbt sich in Richtung Blassgrün und verläßt den Sitzungsraum Richtung Toilette, nicht ohne sich zuvor noch tapfer und artig lächelnd zu bedanken und wegen physischer Unpäßlichkeit um Entschuldigung zu bitten.
TOP 2.
Der Oberassistent trägt das Anliegen von Diskurswart und Kwaliteitswart, in die engere EinSatzLeitung aufgenommen zu werden, vor. Die Chefin plädiert dafür, die EinSatzLeitung sei in der Zusammenarbeit mit diesen beiden Herren immer gut gefahren, man habe ohnehin stets gern auf ihren Rat gehört, jedenfalls in einer großen Zahl der Fälle, man könne sie auch an den Sitzungen beteiligen. Die Leitung Öffentlichkeit plädiert vehement dagegen, denn die Funktion dieser Warte sei es gerade, ein unabhängiges Bild der EinSatze zu erstellen. Würden sie zu eng mit der EinSatzLeitung verzahnt, könnten sie nicht mehr als externe Gutachter funktionieren und gelten. Sie schlage vor, ihnen zu schreiben, daß man sich durch ihr Ansinnen sehr geehrt fühle, jedoch im Sinne ihrer eigenen Unabhängigkeit und der wirkungsvolleren Kooperation vorschlage, bei der bisherigen Struktur zu bleiben. Die Dame Ö verlegt den ihr auf der Zunge liegenden Zwischenruf anscheinend in ihre Braue, die sich heftig bewegt. Es wird abgestimmt, und diesmal erringt die Einrede der Leitung Öffentlichkeit eine knappe Mehrheit.
TOP 3.
Die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse schlägt vor, die Tradition der Befreiungsforderungen wieder zu verstärken, sie sei etwas eingeschlafen. Die Verteidigung wird beauftragt, diesen Punkt an die Kreativabteilung weiter zu leiten.
Dame Ö bemerkt, daß das Gouvernantenlexikon völlig in Vergessenheit geraten zu sein scheine, ob man hier nicht auch einmal wieder aktiver werden könne, sie würde sich freilich wünschen, dies in Form eines Aufrufs an das Lesepublikum zu bewerkstelligen. Oberassistent befindet, der Zeitpunkt dafür sei nicht günstig.
Weitere Anliegen werden nicht vorgebracht, die Sitzung wird geschlossen, nächste Sitzung bei 660.
Anwesend: Chefin, Kreativleitung, Leitung Öffentlichkeit, Buchhalter, Demokratiebeauftragter, Allgemeinste Verteidigung, klitzekleiner Forschungsminister, Oberassistent, Minderheitler mit grünen Borsten, und Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse, Dame Ö
Abwesend, entschuldigt: Karomütze (Außeneinsatz)
Sitzungsleitung: Chefin
Protokoll: Demokratiebeauftragter
Tagesordnung:
1. Bericht über den Besuch der Brachvogeldelegation mit Abstimmung über deren Anliegen.
2. Antrag von Diskurswart und Kwaliteitswart, in die engere EinSatzLeitung aufgenommen zu werden.
3. Verschiedenes
TOP 1.
Die Chefin berichtet - ergänzt durch Zwischenrufe der Dame Ö und der Leitung Öffentlichkeit - von der Unterredung mit der Delegation der Brachvögel und ihrer Forderung, Mo herauszurücken für einen korporierten EinSatz zur Rettung der Wertegemeinschaft. Sie erteilt dem klitzekleinen Forschungsminister das Wort, welcher von seiner Feinanalyse der ideologischen Struktur des brachvogeligen Vortrags Kenntnis gibt, die zu keinerlei Hoffnungen auf einen guten Erfolg eines solchen EinSatzes berechtigt und das Anliegen für einen weiteren Versuch der feindlichen Übernahme zu halten empfiehlt. Man dürfe aber mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen, daß immerhin die Verhandlungsform gesucht worden sei, was gegenüber früheren Anläufen zur Beseitigung und später zur heimlichen Entwendung von Mo schon einen gewissen Fortschritt darstelle. Buchhalter und Leitung Ö halten eine Gegenrede, in der sie dafür plädieren, angesichts der angespannten Finanzlage und der schlechten öffentlichen Reputation den Brachvöglen entgegenzukommen, zumal das Mo nun wirklich nicht besonders viel gebracht habe in der letzten Zeit und für die EinSatzLeitung durchaus verzichtbar sei. Sodann erhebt sich die Kreativleitung, vollkommen grün, aber zugleich absolut gefaßt, um ein Veto einzulegen und bekanntzugeben, daß sie bei einer Abstimmung, die etwa für die Herausgabe von Mo an die Brachvögel ausgehe, die EinSatzLeitung gern sich selbst überlassen und mit Mo an einen anderen Ort gehen werde, man verfüge nicht über die Lebensentscheidungen eines auch noch so retardierten Wesens. Wobei man sich über Mos angebliche Retardiertheit durchaus auch noch streiten könne, das sei aber gegenwärtig nicht der Punkt, ihre Entscheidung sei klar und sie gebe nur die Konsequenzen bekannt.
Es wird wiederum wild diskutiert, manche bezichtigen die Kreativleitung erpresserischer Umtriebe, ein Vorwurf, welchen sie gleichbleibend grün hinnimmt, ohne sich zu rechtfertigen und ohne von ihrer Entscheidung abzurücken.
Am Ende erfolgt eine Abstimmung, in der mit knapper Mehrheit gegen die Herausgabe von Mo votiert wird. Die Kreativleitung verfärbt sich in Richtung Blassgrün und verläßt den Sitzungsraum Richtung Toilette, nicht ohne sich zuvor noch tapfer und artig lächelnd zu bedanken und wegen physischer Unpäßlichkeit um Entschuldigung zu bitten.
TOP 2.
Der Oberassistent trägt das Anliegen von Diskurswart und Kwaliteitswart, in die engere EinSatzLeitung aufgenommen zu werden, vor. Die Chefin plädiert dafür, die EinSatzLeitung sei in der Zusammenarbeit mit diesen beiden Herren immer gut gefahren, man habe ohnehin stets gern auf ihren Rat gehört, jedenfalls in einer großen Zahl der Fälle, man könne sie auch an den Sitzungen beteiligen. Die Leitung Öffentlichkeit plädiert vehement dagegen, denn die Funktion dieser Warte sei es gerade, ein unabhängiges Bild der EinSatze zu erstellen. Würden sie zu eng mit der EinSatzLeitung verzahnt, könnten sie nicht mehr als externe Gutachter funktionieren und gelten. Sie schlage vor, ihnen zu schreiben, daß man sich durch ihr Ansinnen sehr geehrt fühle, jedoch im Sinne ihrer eigenen Unabhängigkeit und der wirkungsvolleren Kooperation vorschlage, bei der bisherigen Struktur zu bleiben. Die Dame Ö verlegt den ihr auf der Zunge liegenden Zwischenruf anscheinend in ihre Braue, die sich heftig bewegt. Es wird abgestimmt, und diesmal erringt die Einrede der Leitung Öffentlichkeit eine knappe Mehrheit.
TOP 3.
Die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse schlägt vor, die Tradition der Befreiungsforderungen wieder zu verstärken, sie sei etwas eingeschlafen. Die Verteidigung wird beauftragt, diesen Punkt an die Kreativabteilung weiter zu leiten.
Dame Ö bemerkt, daß das Gouvernantenlexikon völlig in Vergessenheit geraten zu sein scheine, ob man hier nicht auch einmal wieder aktiver werden könne, sie würde sich freilich wünschen, dies in Form eines Aufrufs an das Lesepublikum zu bewerkstelligen. Oberassistent befindet, der Zeitpunkt dafür sei nicht günstig.
Weitere Anliegen werden nicht vorgebracht, die Sitzung wird geschlossen, nächste Sitzung bei 660.
Mittwoch, 4. März 2009
629.
Das, was die Brachvögel dann wirklich wollten, stellte sich als etwas völlig anderes heraus, es zeigte sich, daß sie die Idee der Kreuzauflegung, welche der Buchhalter an ihnen gesehen zu haben vermeinte und umgehend mit großem Geschrei auf sich selbst bezogen hatte, im Chefinnenbüro tatsächlich verleugneten (die Chefin hätte ihnen freilich auch was gehustet, und natürlich war dem in Verhandlungsdingen nicht ungeschickten und nie unvorbereiteten zweithöchsten Brachvogel alles zugetragen worden, insbesondere jene spitze Bemerkung des klitzekleinen Forschungsministers hatte ihn in einigen Schrecken versetzt, noch einmal durch den Prozeß zu müssen, in welchem er sich seinerzeit für das Zölibat entschieden und dafür das Recht erworben hatte, diese seine furchtbare Entscheidung nun auch allen anderen aufzunötigen, nein, das wollte er doch nicht, nicht noch einmal diese Quälereien, mochte er auch lebenslänglich sich der Pflicht zur Dankbarkeit für den erziehlichen Terror unterworfen haben, nun, da er der Chefin der EinSatzleitung zutrauen mußte, daß sie ihm allen Ernstes abverlangt hätte, noch einmal durch alles selbst voranzugehen, erinnerte er sich der Schmerzen der Abtötung des Fleisches, mit getötetem Fleische läßt sich ja leben, aber es zur erneuerten Abtötung noch einmal hervorzulocken, oh nein, und so wollte er sie lieber versöhnlich stimmen, indem er ihr die Früchte seiner peinvollen Erinnerungen darbrachte, um dann doch für den Auftrag seines Herren ihr noch die erforderliche Zustimmung abnötigen zu können, so seine Idee), anstatt irgendeinem der vollwertigen Mitglieder der EinSatzLeitung eine persönliche Kreuzauflegung anzudrohen, erläuterten die brachvogeligen Delegierten vielmehr umständlichst, in welcher großen Gefahr sich die Wertegemeinschaft befinde, und um sie zu retten, um viele viele Gefangene in aller Welt zu befreien und die Wertegemeinschaft zu erhalten, müsse die EinSatzLeitung ihre bisher geleisteten Beiträge um nur einen einzigen ergänzen: sie müsse Mo herausrücken, welche ohnehin kaum noch ein lebenswertes oder sinnvolles Leben führe, und sie müsse sie den Brachvögeln zur weiteren Erziehung überlassen, damit sie eingesetzt werden könne zur Gewinnung der Sympathie der Massen und der Führenden in den feindlich gesonnenen Ländern, man habe hier einen wohl erwogenen Plan.
Dienstag, 3. März 2009
628.
Im Grunde fällt mir zu denen Brachvögeln eigentlich nichts mehr ein, maulte die Kreativleitung, als man ihr vorwarf, sie hätte die Begegnung zwischen Brachvögeln und Chefin nun ausführlich genug vorbereitet, nun müsse auch mal was kommen, und sie sagte zu den beiden "Vorwurfswarten," zu welchen sie an diesem Morgen den Diskurswart und den Kwaliteitswart zusammenschmolz, seid ihr nicht selbst Anwälte dieser Maschinerien der ewigen Vorbereitung, der ausgefeilten Planung, der gründlichen Prüfung, und wenn man dann alle eure Kataloge und hochglanzbroschierten Werbeprospekte, eure Powerpoint-Präsentationen und eure Aufstellungen durch hat, dann - um es mal in diesem Fall zu sagen - kommt man auch wieder zu keiner anderen Feststellung als der, daß das Gefieder derer Brachvogeligkeiten graubraun und ihr Geschnäbel länglich ist, daß ihr Pfeifen gelegentlich eher hohl klingt und daß es besser wäre, sie würden nicht so spitzig und heftig dreinschlagen mit ihren Schnäbeln und was sie noch so an Instrumentarium mit sich führen mögen, aber unterwegs hat man immerhin irgendwelchen Warten bewiesen, daß man imstande ist, Hochglanzbroschüren zu lesen und ihren Inhalt zusammenzufassen in den immerselben Worten, die alle immer wieder hören wollen, und wenn eins fehlt, dann sind sie beleidigt, also was und in wessen Namen auch immer soll ich jetzt bitte sagen, soll ich beschreiben, wie der Herr erste Brachvogel neben Dame Ö auf dem Weg zur Chefin einher schreitet und ihr, die sicher höflich nach dem Reisewetter gefragt haben wird, erläutert, wie unendlich froh und dankbar die Brachvögel sind, daß man ihnen doch einmal Zutritt gewährt zu den Räumen der EinSatzLeitung, soll ich den Buchhalter aus seinem Büro hervorzischen lassen, ihr habt ihn euch doch eh längst erzwungen und würdet es auch weiterhin getan haben, wenn wir euch nicht geöffnet hätten, soll ich dann ein Gemurre in den hinteren Reihen entstehen lassen oder wie denkt ihr euch das, und auf dieses vehement vorgebrachte ermattete Schimpfen wußten die beiden Warte für den ersten Moment keine Antwort, aber, murmelte die Kreativleitung ans Mo hin, welches sich ängstlichst anklammerte, sie werden schon eine Antwort finden, und wenn sie sich richtig gut eingelabert haben, dann lassen wir sie ins Chefzimmer, um die Chefin etwas zu entlasten und das eigentliche Gespräch mit ihr zu führen, in früheren Zeiten hatte man für den Beginn des Palavers, auf das es manchen ankommt, ein Herrenzimmer, lies mal bei Fontane nach...
Montag, 2. März 2009
627.
Zeit, sich wieder einmal in allerletzter Minute durchzusetzen, befand die Chefin, und sie bat die Leitung Öffentlichkeit, sich des immer noch zwischen Zittern, Zagen und Ermannung hin und her schwankenden Buchhalters anzunehmen, gebot dem Oberassistenten, alle eingehenden Funksprüche von Karomütze zu sammeln und auszuwerten und ggf. ihr zuzufunken, ließ den Demokratiebeauftragten und die allgemeinste Verteidigung gemeinsam mit der Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse im Chefinnenbüro Stellung beziehen, während der Minderheitler mit den grünen Borsten, der klitzekleine Forschungsminister und die Kreativleitung im Nebenraum die Gesprächsübertragung überwachen und auswerten und im unwahrscheinlichen Notfall in das Chefinnenbüro kommen sollten, sodann schickte sie Dame Ö an die Tür, um die Brachvogeldelegation einzulassen und ins Chefinnenbüro zu geleiten, und innerst weniger Minuten schien die Ordnung so weit wieder hergestellt, daß in aller Ruhe das Gespräch erwartet werden konnte.
Sonntag, 1. März 2009
626.
Der zweithöchste Brachvogel, welcher überhaupt viel Wert darauf zu legen pflegte, was über ihn geschrieben und gesagt werde - es war dies schließlich auch seines Amtes, und ein bovis, wer das einfach nur für Eitelkeit hielt, immerhin repräsentierte er die Brachvogeligkeit auch gegenüber der menschlichen und anderen Welten, da muß man schon auf Rücklauf achten - wartete vor der Tür der EinSatzLeitung in höchster Anspannung, was man ihm nun als weiteres Verhalten zuschreiben werde, ob man öffnen werde, wie man ihn begrüßen werde usw., und als sich aus den hinteren Reihen seines Gefolges ein vorwitziger Brachvogel zu Wort meldete, um zu sagen, vielleicht könne man verkünden, daß man ausnahmsweise kein Kreuz dabei, es womöglich sogar vergessen habe, da wurde er sehr unwirsch und zischte "Ruhe in den Rängen, wie soll ich denn hören, was dort drinnen vor sich geht;" verpasst hatte er freilich nur eine Bemerkung der Dame Ö, welche fand, es sei doch eigentlich schade, daß man eine solche Delegation nicht mit einem Kapotthütchen auf dem Kopfe begrüßen könne, worauf Karomütze gefunkt hatte, ihm wäre ein riesiger Schmetterlingshäscher lieber, in welchem er den ganzen Schwarm auf einmal...
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