Dienstag, 29. April 2008

320.

Als die Gattin Ö wie jeden Morgen, an dem die Sonne schien, das Frühstückstablett auf dem Verandatisch absetzte, wurde sie der Zeitung vom Vortag ansichtig, die da noch auf einem Stuhle lag (es war Unordnung ausgebrochen im Haushalt, denn ein Enkelkind war der Familie Ö geboren worden und die Gattin hatte den ganzen Tag und einen Teil der Nacht bei ihrem ältesten Sohn und seiner Familie verbracht, um dort der Unordnung entgegenzuwirken), und ihre Braue rutschte enorm hoch, befand sich immer noch recht weit oben auf der Stirne, als ihr Gatte sich zu ihr setzte, sich dampfenden Tee in die Tasse gießen ließ, ein Zückerchen einrührte, ein Sahnetröpfchen hinzufügte und fragte, was bewegt dich so, meine Liebe, gibt es neue Nachrichten vom Kleinen, aber die Gattin winkte ab, brach, erschöpft von den Erschütterungen der Begrüßung eines Neugeborenen in der Welt, fast in so etwas wie Tränen aus, faßte sich aber rechtzeitig wieder und sagte, in was für einer Welt leben wir bloß, in der noch ein ICE mit einer Schafherde "kollidieren" muß, damit auch klar ist, wie ungerecht es doch von den blöden Schafen ist, da über die Gleise zu taumeln, nicht wahr, also daß ein ICE mit Schafen kollidiert, darüber kann ich mich eigentlich nicht beruhigen, und der Gatte Ö wunderte sich über diese merkwürdige Äußerung, denn zwar kannte er schon die seltsame Überempfindlichkeit seiner Gattin in sprachlichen Dingen, aber wie sie plötzlich Interesse an den armen Schafen nahm, als könne der ICE etwas dafür, daß die in den Tunnel geraten waren und als wären die Zeitungen nun besonders herzlos und als wäre das alles fast so etwas wie ein Gericht, das fand er doch etwas übertrieben, und er sorgte sich etwas um die Resolutheit seiner Gattin, auf die er sich sein Leben lang verlassen hatte, und fragte sich, ob bei ihr jetzt durch die Geburt des Enkelkindes etwa eine neue unerquickliche Äre beginnen würde, aber da bat sie ihn schon um ein Stück der neuen Zeitung, und so konnte er in Gedanken in die EinSatzLeitung vorauseilen, wo etliches zu erledigen sein würde.

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