Montag, 14. April 2008

305.

Fassungslos hatten die Demokratiebeauftragte und ihr Kind am Sonntagabend gehört, wie die Schändung Tibets und die Knebelung seiner Bewohner durch deutsche Politiker und Medienleute in der Sendung mit ihrer Lieblingsmoderatorin in eine eigenartige Lauge getunkt wurde, zusammengemischt aus Verständnis für die Sorgen der Chinesen (Einheit, die verloren zu gehen drohe, wenn man Tibet Unabhängigkeit gewähre, es kommen einem die Tränen, sagte die Demokratiebeauftragte) und aus Resignation gegenüber ihrer Übermacht (sie seien eben immun gegen Druck von außen, man muß doch nochmal den naseweisen Sinologen einladen, sagte die Demokratiebeauftragte) und - dieses fand das Kind besonders empörend - man müsse von den fahnenflüchtigern Tibetern mehr als nur Lippenbekenntnisse zum Willen zur Einheit mit China verlangen und die entsprechende Erwartung von hier aus "in vermittelnder Absicht" den Exiltibetern mitteilen (warum können sie nicht einfach so großzügig sein wie sie groß sind und über die verschiedenen, beiden nützlichen Modalitäten der Unabhängigket sprechen wie erwachsene Menschen, der Dalai Lama tut doch keinem was, und die Chinesen trampeln willkürlich herum und terrorisieren Leute, schimpfte das Kind) und als sie ihr Kind so in heller Empörung sah, dachte die Demokratiebeauftragte wieder an die Erzählungen aus den Bunkern, die sie selbst als junges Mädchen mit heller Empörung von Großmüttern und Großtanten gehört hatte, dieses "geh doch mit, du bringst uns ja alle in Gefahr," das man zu mancher jungen Frau gesagt hatte, und wenn die Verängstigte dann mitgegangen war und gebrochen und geschändet wiederkam, dann war sie plötzlich auch für "ihre Leute" unberührbar, aber davon erzählte die Demokratiebeauftragte jetzt nicht (so stumm sind wir alle und haben immer gute Gründe, was willst du das Kind damit belasten, reichen ihm nicht die anderen schrecklichen Geschichten, die ich keinesfalls vorenthalten kann, für die der Bahnhof mal wieder nicht geöffnet werden darf, als ob eine solche Störung schlimmer wäre als ein "Triebkopfschaden" wie man ihn dauernd hinzunehmen habe), an irgendeinem Fall erfaßt uns der Ekel vor der halbherzigen Feigheit der Umstehenden oder er erfaßt uns eben nie, und als sie mit ihrer Aufmerksamkeit zum Bildschirm zurückkehrte, kam aus völlig überraschender Ecke die richtige Feststellung, daß das IOC mehr Macht habe als es zugebe (dies merke wohl, sagte die Demokratiebeauftragte nun doch noch belehrend zu ihrem Kind, es sind nicht immer die mutig, von denen wir es erwarten, und wer in einem Fall dummes Zeug sagt, kann im anderen Fall der sein, der als einziger Klartext redet), und sie konnten beide erst an Schlafen denken, als dann wenigstens in einer nachfolgenden Sendung eine tapfere junge Schauspielerin porträtiert wurde, die sehr deutlich über das Los der Tibeter sprach, und dann fanden sie, die Demokratiebeauftragte solle, falls irgendwer sie fragen würde, vorschlagen: das IOC muß ja dem Boykottaufruf der Tochter der Tibeterin nicht folgen, aber es kann doch wenigstens sich weigern, die Fackel auch noch durch Tibet zu tragen, wenn nicht der Dalai Lama selbst sie durch sein Heimatland begleiten darf, zumal die Journalisten, auf deren Anwesenheit in den Ländern nun alle ihre Hoffnungen setzen, offensichtlich und nach eigenen Aussagen so gar nichts ausrichten können und also selbst nur noch so etwas wie "Schutzschilde" sind, und sie redeten und redeten sich in Rage und vergaßen für länger, daß die Nacht zum Schlafen da war und daß am nächsten Tag für beide einiges zu tun sein würde.

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