Freitag, 25. April 2008

316.B

Nächtens das Büro der Kreativleitung. Diese liegt auf ihrem Teppich, die Füße auf dem Drehstuhl. Neben ihr das Fell, darauf Mo, die winzigen Gliedmaßen von sich gestreckt, der karierte Schal ist nur so lose darüber geweht. Mo wirkt zufrieden. Sie liebt dieses Liegen, besonders, wenn ihre fürsorgliche Freundin neben ihr liegt. Eine der wenigen kleinen Freuden, die ihr geblieben sind. Die Kreativleitung selbst entspannt nur langsam. Sie weiß, sie sollte über den Chef und die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse schreiben. Zwischen denen geht es wirklich hoch her. Die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse wütet und klagt, man kümmere sich zu wenig um sie, man scheue Konflikte, die man aber wagen müsse, selbst erklärte Freunde würden sie ständig in Stich lassen, es sei ihr zum Beispiel zu Ohren gekommen, daß da von einer angeblichen Freundin (gemeint sein wird die Demokratiebeauftragte) Kontakte, äußest suspekte geheime Kontakte unterhalten würden zu irgendwelchen Leuten in einem Lande, das nun wirklich anathema sei, und das ginge nicht (auch Karomütze trage schwere Bedenken). Aber der Chef - der nun den dringlichen Eindruck hat, mit dem Abdanken noch etwas warten zu müssen, denn die Sachlage erweist sich als außerordentlich schwierig, so wie diese Minderheitlerin sich aufführt wird die ja ihre letzten Freunde verschrecken, wer hat schon so viel Grandezza wie er und seine Gattin, na, und wenn er ehrlich ist, hat er natürlich genau wegen der Hoffnung auf eine solche Unentbehrlichkeitserfahrung die EinSatzLeitung trotz angeschlagener Verfassung aufgesucht - sagt, es gebe hier für ihn nur ein Vorbild, und das ist der Schindler, hat der nicht zu allen üblen Typen alle üblen Kontakte gepflegt, um die, die er retten konnte und wollte, zu retten, und sind es nicht solche Menschen, die man heute wieder braucht und ehren soll, wo man sie trifft, und nicht solche, die aus Angst, als illoyal zu gelten, sich aller Chancen berauben, zu retten, was zu retten ist? Die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse stutzt einen Augenblick. Wie aber, sagt sie dann, wie soll ich denn erkennen, ob der, der die üblen Kontakte pflegt, ein Schindler ist, wenn er doch ebensogut nichts als ein gemeiner Schinder sein könnte? Hohoho, macht der Chef, dir purzelt ja mal wieder einiges durcheinander, da tobt ja der Schund auf der Wortspielbank. Die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse ist manchmal etwas humorfern, und sie mag es nicht, wenn der Chef so spricht. Er wiederum mag, daß sie ihm das ungeschminkt zu zeigen wagt.
Am Himmel hängen dicke graue Wolken. Enten fliegen träge quakend zwischen ihnen und der hochgelegenen Dachterasse über das ganz unten gelegene sehr klare Bergwasser immer weiter über den berühmten See. Auf der Terasse liegen in ihren Träumen die Kreativleitung und Mo und haben ganz andere Sorgen, was denn für Sorgen? Sie lächeln doch, lächeln sie nicht, ja sie lächeln, selb-beid, und es ist ein richtiges Lächeln, denn für die Enten fälscht man doch keines, die beiden untereinander sowieso nicht, und überhaupt mißversteht man die Natur des Lächelns, wenn man zwischen falschem und wahrem Lächeln unterscheidet.
Die Kreativleitung spricht zu Mo über die Gesichter junger Männer, welche sich an älteren Frauen vorbei drängeln und dabei im Gesicht den Ausdruck haben, welcher mitteilt, sie denken, es gebühre ihnen, für diese ihre Grobheit oder für was auch immer sehr unbedingt und einseitig geliebt zu werden. Welche Unzahl von solchen Burschen man bereits auf kleinen Reisen sehen kann! Weißt du, sie haben wirklich Angst, sagt die Kreativleitung zu Mo, man kann sich nicht recht vorstellen, wovor, aber daß die Angst gewaltig ist, das ist selten zu übersehen. Da krampft sich Mo zusammen, wird so grau, wie die Kreativleitung grün ist, entkrampft sich wieder, rollt sich in der Abwendung nun auch von der Freundin ein, und wird wohl gleich wieder schlafen. Ach Mo, sagt die Kreativleitung, du mußt bedenken, sie halten wirklich selbst nicht einmal für möglich, was sie dir angetan haben, denn da du es überlebt zu haben scheinst, glauben sie weiter, dich fürchten zu müssen, wogegen ihnen jedes Mittel recht ist.
Es ist zu spät. Mo ist in ihren totengleichen Schlaf verfallen, den nächsten Entenschwarm wird sie solide überhören.
Es kann aber auch nicht sein, daß sie es wirklich nicht wissen, murmelt die Kreativleitung, und wickelt den karierten Schal fest um das winzige, fast nicht mehr lebendige Mo.

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