Die EinSatzLeitung schreibt mit Gästen ein Buch. Pro Tag darf jede Person einen Satz einsetzen, die EinSätze werden fortlaufend numeriert. Auf der B-Ebene gibt es längere narrative Stücke. Die EinSatzKräfte und ihre Texte sind sämtlich rein fiktiv und frei erfunden. Alle Rechte bei der Autorin.
Dienstag, 8. April 2008
(2)99.
Erst wollte die Assistentin Ö, die sich in letzter Zeit etwas vernachlässigt fühlte, sich nach vorne spielen, indem sie anlässlich mancher Prozessberichte den Satz "befreit das Gerichtswesen von seiner eingeborenen Bräsigkeit" vorschlug (und die Demokratiebeauftragte hätte das womöglich unterstützt, wenn sie nicht zu sehr mit anderen Berichten über eine Auseinandersetzung im Büro Clinton und über deren Aufruf an Bush wegen China beschäftigt gewesen wäre), aber dann sagte die Kreativleitung, sie habe in Abstimmung mit dem Chef beschlossen, den folgenden bemerkenswerten EinSatz aus einer Zeitschrift zu zitieren und bitte im übrigen den klitzekleinen Forschungsminister, die korrekte Zitation nachzutragen: "Wenn erst alle Worte gehört, alle Schreiben gelesen und alle Bewegungen observiert sind, wenn nichts mehr verborgen ist, was sich heute noch verbirgt, wenn erst der Unauffälligste wegen seiner Unauffälligkeit auffällt wie der Auffälligste, wenn erst alle Daten erfasst sind vom genetischen Fingerabdruck bis zum Fußpilz, wenn der Autoverkehr kontrolliert wird, der Geschäftsverkehr, der Luftverkehr und der Geschlechtsverkehr, wenn vom Verbrechen gewußt wird, noch ehe der Verbrecher weiß, daß er es begehen wird, und der Verbrecher gefasst und verurteilt wird, noch ehe er das Verbrechen begeht…, nun dann wird der Staat eines Tages zumindest erklären können, warum dennoch die Bombe unerlaubt in der U-Bahn explodierte, wie es möglich war, daß der videoüberwachte Terrorist sich im Selbstmordanschlag frei entfalten konnte, aus welchem Grunde also das Unvermeidliche tatsächlich unvermeidlich war und das Unabwendbare nicht abzuwenden."
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8 Kommentare:
Christian Bommarius, "Tagebuch der Inneren Sicherheit," in: Ästhetik & Kommunikation 38, Heft 139, Winter 2007/2008, S. 65-71, hier S. 69.
So weit wollt ihr jetzt im Ernst gehen?
Mich interessiert eher die Sache mit den Gerichten, man wird wohl nicht die Gerichte insgesamt mal eben der Bräsogkeit bezichtigen dürfen.
Nein, aber man kann schon mal staunen, was die so treiben und was sie ignorieren, damit ihre Verfahren klappen - und gestaunt wird doch am ehesten, wenn man erstmal was Freches sagt, dacht ich, war das jetzt auch wieder falsch?
Im Grunde geht das doch - besonders der zitierte Satz - gegen uns, die Betrachter, Beachter, Begutachter, Zerhacker, Objektivierer, und wir verwahren uns gegen diese Verhöhnung unserer ernsthaften und sorfgältigen Tätigkeiten.
Guten Tag Herr Pestvogels, wie wäre es mit einer kleinen Portion Offenheit gegenüber der im Grunde doch recht präzise erfassten Kritik, vielleicht könnten wir dann in ein Gespräch kommen?
Staatsschelte hier?
Wahrnehmung der Redefreiheit, Zitation eines gut gebauten Satzes, in dem ein Phänomen kritisiert wird, das letztlich nicht zuerst den Staat und seine legitimen Sicherheitsinteressen trifft, sondern eine bestimmte, festschreibende Darstellung der Wirklichkeit, letztlich geht es also, wenn überhaupt gegen wen oder was, mal wieder gegen die Eins-zu-Einsler.
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