Samstag, 12. April 2008

303.

Die Kreativleitung fand sich nach dem Telefonat einsam vor an einem Wochenende und beschloss, ihe Arbeiten zu unterbrechen und dem Ehepaar Ö einen Besuch abzustatten, um einmal wieder über Shakespeare zu plaudern und zu sehen, wie hübsch sie es fand, wenn die normalen Leute normal lebten, und nebenher zu sehen, warum sie selbst dafür leider nicht so passend zu sein schien oder eben (so dachte sie in einem Anfall von Übermut) einfach noch nicht den passenden Mann gefunden hatte, und überhaupt, die Verhältnisse ändern sich so sehr, wer das sieht und will, der hat halt Schwierigkeiten, dann dachte sie, muß ich mir das wirklich geben, aber sie erinnerte sich, daß beim Ehepaar Ö jedenfalls niemand in irgendeiner Weise an ihr zweifeln oder sie mit irgendwem verkuppeln oder etwas an ihr ändern wollen würde (die Gattin hatte dem Abteilungsleiter entsprechende missionarische Allüren einstweilen wirksam ausgeredet, so daß seither das Gerangel in der EinSatzLeitung auf ein normales Niveau von Zoff zwischen sehr Verschiedenen gekommen war), und deswegen waren die beiden eine angenehme Gesellschaft, im übrigen hatte die Gattin einen Anspruch auf einen Strauß Anemonen, so wie man ihr mitgespielt hatte in dem nach Ansicht der Kreativleitung eher lächerlichen Ausschlußverfahren, und dann würde sie wahrscheinlich wieder irgendwelche lustigen Gouvernantensachen sagen - und während sie noch so dachte, öffnete sich die Tür und hereinspaziert kam der Buchhalter, ausgerechnet, der fehlte mir noch, dachte die Kreativleitung, aber er sah heute wieder etwas lotteriger aus und sein Gesicht von Zweifeln verzweifelt, denn er hatte im Radio ein Lied gehört, das anfing mit den Worten: "Heute morgen fuhr ich nach Düsseldorf in sehr honetter Begleitung, ein Regierungsrat, der schimpfte sehr auf die Neue Rheinische Zeitung; die Redakteure dieses Blatts, so sprach er, sind sämtliche Teufe, sie fürchten weder den lieben Gott noch den Oberprokurator Zweifel," und er frage sich, ob er vielleicht seinen Namen ändern und sich inkünftig Herr Zweifel nennen solle, aber die Kreativleitung sagte, zwecklos, du weißt doch, wie die hier sind mit Namen...

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ihr habt das Gedicht vin Georg Weerth etwas falsch zitiert, meine Lieben, und Herrn Zweiffel gab es wirklich, er wurde aber mit zwei F geschrieben, und ich fühle mich irgendwie etwas betreten, weil ich mit meinem kleinen innerjackentaschlichen Zutritt (s. 301) keineswegs in eine derartig linke Ecke gestellt werden wollte, und die Demokratiebeauftragte läßt ausrichten, daß sie dies hier nicht für eine sehr geschickte Reklame für den Dalai Lama hält, und was das Ehepaar Ö dazu sagen wird, das wirst du ja selbst sehen.

Heute morgen fuhr ich nach Düsseldorf
In sehr honetter Begleitung:
Ein Regierungsrat – er schimpfte sehr
Auf die Neue Rheinische Zeitung.

»Die Redakteure dieses Blatts«,
So sprach er, »sind sämtlich Teufel;
Sie fürchten weder den lieben Gott
Noch den Ober-Prokurator Zweiffel.

Für alles irdische Mißgeschick
Sehn sie die einzige Heilung
In der rosenrötlichen Republik
Und vollkommener Güterteilung.

Die ganze Welt wird eingeteilt
In tausend Millionen Parzellen;
In so viel Land, in so viel Sand
Und in so viel Meereswellen.

Und alle Menschen bekommen ein Stück
Zu ihrer speziellen Erheitrung –
Die besten Brocken: die Redakteur'
Der Neuen Rheinischen Zeitung.

Auch nach Weibergemeinschaft steht ihr Sinn.
Abschaffen wolln sie die Ehe:
Daß alles in Zukunft ad libitum
Miteinander nach Bette gehe: [⇐266]

[267⇒] Tartar und Mongole mit Griechenfraun,
Cherusker mit gelben Chinesen,
Eisbären mit schwedischen Nachtigalln,
Türkinnen mit Irokesen.

Tranduftende Samojedinnen solln
Zu Briten und Römern sich betten,
Plattnasige düstre Kaffern zu
Alabasterweißen Grisetten.

Ja, ändern wird sich die ganze Welt
Durch, diese moderne Leitung –
Doch die schönsten Weiber bekommen die
Redakteure der Rheinischen Zeitung!

Auflösen wollen sie alles schier;
Oh, Lästrer sind sie und Spötter;
Kein Mensch soll in Zukunft besitzen mehr
Privateigentümliche Götter.

Die Religion wird abgeschafft,
Nicht glauben mehr soll man an Rhenus,
An den nußlaub- und rebenbekränzten, und nicht
An die Mediceische Venus.

Nicht glauben an Kastor und Pollux – nicht
An Juno und Zeus Kronion,
An Isis nicht und Osiris nicht
Und an deine Mauern, o Zion! [⇐267]

[268⇒] Ja, weder an Odin glauben noch Thor,
An Allah nicht und an Brahma –
Die Neue Rheinische Zeitung bleibt
Der einzige Dalai-Lama.«

Da schwieg der Herr Regierungsrat,
Und nicht wenig war ich verwundert:
Sie scheinen ein sehr gescheiter Mann
Für unser verrückt Jahrhundert!

Ich bin entzückt, mein werter Herr,
Von Ihrer honetten Begleitung –
Ich selber bin ein Redakteur
Von der Neuen Rheinischen Zeitung.

Oh, fahren Sie fort, so unsern Ruhm
Zu tragen durch alle Lande –
Sie sind als Mensch und Regierungsrat
Von unbeschränktem Verstande.

Oh, fahr er fort, mein guter Mann –
Ich will ihm ein Denkmal setzen
In unserm heitern Feuilleton –
Sie wissen die Ehre zu schätzen.

Ja, wahrlich, nicht jeder Gimpel bekommt
Einen Tritt von unsern Füßen –
Ich habe, mein lieber Regierungsrat,
Die Ehre, Sie höflich zu grüßen.

Anonym hat gesagt…

Kaum macht man mal einen schönen Fund, kommen wieder die Loyalitätsängste, darf man keine schönen Reime mehr zitieren, wenn sie aus Gebrauchstexten einer Tradition stammen, an der es allerlei Zweiffel gibt, die man möglicherweise gar teilt?

Anonym hat gesagt…

Ihr geht in der K-Abteilung wirklich etwas weit, finde ich, während wir ganz andere und ziemlich ernste Probleme haben in unseren nicht so glänzenden Grenzen, um deren geordnete und risikoärmere Öffnung wir uns doch so bemühen.

Anonym hat gesagt…

Aber gibs zu, über Weerths Reime mußtest du auch lachen, und ich hab ja nur gedacht, über die in dem Lied vorgeführten Gegensätze wären wir längst hinaus, ist wohl nicht so?

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