Dienstag, 22. Januar 2008

(2)22.

Erste Sitzung der EinSatzLeitung im Jahre 2008

Protokollant: Der Buchhalter

Sitzungsleitung: Der stille Theologe

Tagesordnung:

1. Die Pläne für das kommende Jahr
2. Was der Sicherheitsbeauftragte herausgefunden hat
3. Der Pestvogel ist vorgeladen und wird zur Rede gestellt
4. Ein Antrag des Buchhalters auf Einführung von Kopfnoten

Zu Beginn der Sitzung sind alle relativ heiter, da der Dauerregen nachgelassen hat und selbst die Krähenschreie nach so etwas wie Frühling klingen, findet jedenfalls die Kreativleitung, die in der allerletzten Minute den Raum betritt, was als einigermaßen kühne Zeitplanung gelten kann, da sie schließlich den ersten Tagesordnungspunkt bestreiten soll, und was sie dann mitzuteilen hat, kann der Protokollant auch kaum wertfrei wiedergeben:

TOP 1
In diesem Jahr plant die EinSatzLeitung wiederum die völlige Planlosigkeit (hörbares Kopfschütteln des Protkollanten). Als fiktive Institution in einem allem Anschein nach komplett rechtsfreien Raum, den man zuweilen auch als digitales Haifischbecken darstellen könne, und ohne mehr Truppen als einen einzigen, an den auf ihn einstürmenden Arbeiten sich gleichwohl tapfer messenden Sicherheitsbeauftragten mit Karomütze könne sie sich nur durch bis zur Bodenlosigkeit flexible Reaktionen überhaupt ein Minimum an Boden sichern, von dem aus Überraschungen noch denkbar seien, dies sei nun einmal die Lage einer kleinen fiktiven Einheit, die deswegen auch nicht gemessen werden dürfe mit den Maßstäben der großen, behäbig voranschreitenden Institutionen und ihrer Mitarbeiter. Dementsprechend finden Planungen weiterhin – gegen alle Ratschläge und Rufe nach Zielvorgaben – nur per Zuruf und im übrigen im Kopf, sodann im Büro der Kreativleitung statt.
An dieser Stelle gibt es Unruhe und Störungen, die Mehrheitler empören sich mehrheitlich gegen die Selbstherrlichkeit der Kreativleitung, die Minderheitler, die ihr irgendwie näher stehen, geraten in Argumentationsnot, schließlich greift der Chef ein, bekundet, daß er voll hinter der Kreativleitung stehe und daß die Gesamtleitung selbstverständlich sehr wohl Vorgaben habe, die aber vom Vorhersehbaren so wenig abweichen, daß man daraus keinen eigenen Tagesordnungspunkt glaubte machen zu sollen, dies stelle sich nun als ein Fehler heraus, den man bedauere, er trage also nach:
Ziel sei die ökonomische Konsolidierung und die Gewinnung von möglichst viel Zeit zur Verwirklichung der diversen im Zentrum der Kreativabteilung angesammelten Schreibprojekte. Die Arbeitsspielräume der Demokratiebeauftragten, die nach erfolgter innerer Befriedung der EinSatzLeitung ihren Bürgersinn auch nach außen zu tragen wünscht, sollen erweitert und in einer eigenen Planungsgruppe „wie man bei euch wohl sagt“ operationalisiert werden. Diesen beiden Zwecken diene die Arbeit der EinSatzLeitung weiterhin in aller Flexibilität und Beharrlichkeit. Dankbarer maßvoller Beifall, die Kreativleitung ist nicht einmal rot geworden, das darf man als Fortschritt verbuchen. (Mißgünstiger nachtragender Kleinkrämer, zischelt sie da).

TOP 2
Beim Auftritt des Sicherheitsbeauftragten, der nach der endlos langen Sondersitzung mit besonderer Spannung erwartet worden war, fühlten sich die Leute zunächst wohler: so ein dynamischer junger Kerl, der flüssig und auch ein bißchen witzig zu sprechen versteht, das hat doch was. Dieser nun hatte herausgefunden, daß sozusagen nichts sicher war, außer daß irgendwelche auswärtigen Kräfte daran Interesse hätten, die Produktivität der EinSatzLeitung bei maximaler Verelendung ihrer Mitarbeiter zu erhalten. Es gehe den beteiligten Aggressoren und Ausbeutern offenkundig darum, hier Dinge abzuziehen und sich als Kuchen aufzuteilen, die als sehr rentabel angesehen würden: und eben deswegen der EinSatzLeitung selbst niemals und nirgends abgekauft würden, denn jeder vernünftige Geschäftspartner der EinSatzLeitung müßte ja Interesse an sicheren Handelskonditionen haben, was im Falle der EinSatzLeitung offenbar nicht zuerst durch deren Planungsverhalten, sondern vor allem durch äußere Einflüsse verunmöglicht werde. Das sei im Grunde lange bekannt, relativ neu seien ihm bei seinen letzten Streifzügen durchs öffentliche Geraune die pseudopädagogischen Rechtfertigungen, die so vielfältig zu sein schienen wie die Köpfe der Verwertungsgemeinschaft: Als besonders zeitgemäß falle ihm auf: „Das Institut wäre goßartig verwendbar, müßte nur noch dies und das lernen, und bis das nicht gelernt ist, sollte es eigentlich mal nach Sibirien gehen.“ Zu den „Lernzielen“ gehörten so unterschiedliche Dinge wie Durchsetzungsbereitschaft und Demut, Fleiß und Leichtigkeit, Pünktlichkeit und Flexibilität, Opferbereitschaft und positives Denken, Wertebewußtsein, mehr Sprachen, Bereitschaft zu einseitiger Bindung, systematische und durchgeplante, zugleich aber überraschende und ergebnisoffene Arbeit, oder, seitens einer besonders durchgeknallten Fraktion, die Bereitschaft, individuelle Belange (denunziert als „Agalma“) vollkommen aufzugeben und sich ganz in den Dienst einer als unbekannt dennoch ergriffenen Sache zu stellen, um, wie es aus manchen Mäulern verlaute, „endlich Verantwortung für die eigenen Wünsche zu übernehmen,“ also als gleichsam psychoanalytisch motivierte Nachreifung, die dann auch bewirken würde, daß irgendwelche „praktischen Verbindungen“ sogleich als selbstgewählt und selbstgewünscht erscheinen und aktiv beworben würden. An dieser Stelle verstanden die Lauschenden sämtlich nur Bahnhof, und es schien, als wäre auch dem Sicherheitsbeauftragten nicht ganz klar, was er mit diesen speziellen Leuten, die möglicherweise einer Sekte angehörten, anfangen solle. Dieser Fraktion gegenüber stehe eine, die just das Gegenteil fordere, nämlich die Bereitschaft, nur und allein dem eigenen Herzen zu folgen, egal ob dies zum Vorteil oder zum Nachteil sei, und die grandiose literarische Werke erst aus der völligen sozialen Not gleichsam emporsteigen sähen. Daneben gäbe es dann noch die ganz normalen Empfehler des „Nimm-dir-was-du-brauchst“ Coachings. Irgendwie seien die ihm am Ende womöglich doch noch die Liebsten, auch wenn sie ihm in ihrem altgewordenen Liberalismus reichlich realitätsfern erschienen. Die Gesamtbotschaft jedenfalls laute: Du sollst endlich von dir aus als deinen Willen annehmen und forsch vor dir her tragen, was ich von dir will, und diese ertöne von vielen sehr verschiedenen Seiten. Dieses sei der geistige Stoff, durch den die EinSatzLeitung sich nun also zu bewegen habe. Uff, sagten alle, und ließen die Köpfe hängen. Das hatten sie sich doch anders vorgestellt. Gibt es denn nichts Positives?

Die Kreativleitung fragte sich sichtbarlich, ob der Sicherheitsbeauftragte noch ganz dicht sei, die Welt könne doch unmöglich ein so geschlossenes und gigantisches Interesse ausgerechnet an ihren Produktionen nehmen, da gäbs doch viele mit viel besseren Ideen, vermutlich sei der Mann jetzt einfach mal auszutauschen, tuschelte sie dem Chef zu, aber der war sehr ernst und sagte, die in der Sondersitzung vorgelegte Fülle seiner Beweise sei angesichts der geringen Mittel, über die er verfügte, bedrückend gewesen. In der Sondersitzung habe man beschlossen, weiter nach Verbündeten zu suchen, denn die technischen und sozialen Mittel, den Überwachungsapparat – davon sprach der, der Chef selbst! Ich wußte gar nicht, daß wir hier in einem Kulturspionagekrimi sind, der Buchhalter – abzuschütteln, seien mit den Mitteln der EinSatzLeitung allenfalls für kleine stundenweise Erfolge ausreichend, dies müsse besser werden, wenn man einen Boden gewinnen wolle, von dem aus man planen und also das tun könne, was alle machen und wollen, was sie aber, je perfekter sie es tun, desto einfallsloser mache, weshalb sie gern bei den der Planungsfähigkeit Beraubten nachschauten. Aber die Mittel der Sprache allein reichten als Gegenwehr nicht mehr aus. Der über den Büroräumen angebrachte (aus alten Stasizeiten von einem Onkel des Chefs übernommene) Spruch „Lieber übermüdet als überwacht“ habe bisher genauso wenig ausrichten können wie die diversen Signale, mit denen man Frieden oder Streik oder beides angedroht habe, und mehr könne man ja gar nicht in Anschlag bringen, und nicht einmal die Wunderwaffe der Bitte könne bei der völligen Adresslosigkeit der Gegner irgendetwas bewirken. Die brauchten mal wieder wen in Sibirien, Punkt. Das sagte der Chef.
Dann reckte er seinen Rücken gerade und sagte: Wir arbeiten weiter wie gehabt und wie besprochen. Aus dem Hintergrund tuschelte ihm Assistentin Ö zu, sie habe sehr wohl Positives gehört, das werde vielleicht doch unterschätzt, aber er winkte ab und sagte, nächste Sitzung vielleicht, soll sich erstmal verfestigen.
Der stille Theologe dachte eher wie die Kreativleitung, daß hier doch wohl etwas übertrieben werde, aber es erschien ihm nicht klug, dergleichen zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu formulieren, stattdessen erinnerte er an das alte Benediktinermotto Ora et labora und brachte es fertig, ein freundliches Leuchten über sein Gesicht huschen zu lassen, das die schlimmste Verzweiflung wieder aus den allzu aufgeschreckten Gemütern verscheuchte (fehlt bloß noch, daß er jetzt anfängt zu singen und uns zum Mitsingen auffordert, sagte Kaugummi kauend die Assistentin Ö).

TOP 3
Mit unüberboten größter Spannung war der nächste Tagesordnungspunkt erwartet worden, die Rede des Herrn Pestvogels, welcher unter permanenter Absonderung eher schwieriger Gerüche bereits während der ganzen Sitzung auf der Fensterbank gehockt und in seinem Halse unterdrückt mit dem Kehlkopf gespielt hatte. Als sein Auftritt durch den stillen Theologen angewunken worden war, reckte er sich auf, räusperte sich hörbar und schrasterte, er habe mit vielen seiner Kollegen zusammengesessen und viele Unterlagen gesichtet und er sei nunmehr zu einem Ergebnis gekommen. Die Demokratiebeauftragte sah sich baß erstaunt um. Hat ihn jemand gebeten? Hat ihn jemand um seine Meinung gefragt? Reicht es nicht, daß er alles frißt, verdaut und draußen im Lande herumposaunt? Waren nicht wir diejenigen, die ihn zur Rede stellen wollten? Der Chef erbat das Rederecht vom stillen Theologen, der es ihm gern gewährte, begrüßte den Vorgeladenen höflich und freundlich und legte nahe, und sagte zu ihm, fühlen Sie sich ganz wie zuhause, assoziieren Sie ruhig, legen Sie sich bequem hin und sprechen Sie sich einmal aus (was ist jetzt los, hat jemals jemand einen lebenden Vogel liegend gesehen? fragte die Kreativleitung, die die ganze Zeit angewidert auf das Tier geblickt hatte). Sie glauben also diagnostiziert zu haben, und was glauben Sie also entdeckt zu haben, wie lautet bitte Ihre freundliche Diagnose? Nun, sagte der Pestvogel, durchaus aufrecht stehen bleibend, aber dann und wann vom einen Bein aufs andere hüpfend und die Bemühung des Chefs um Umkehrung der in seinen Augen einzig möglichen Perspektive mit einem kurzen Ruck des Halses für Abwehr erklärend, der Sicherheitsbeauftragte sei natürlich paranoid, die Kreativleitung hysterisch narzißtisch, und die Demokratiebeauftragte einfach frustriert und verstockt (anstatt versöhnungsbereit oder pragmatisch, wie sie sich doch gern gebe), der Leiter der Abteilung Öffentlichkeit sei eineindeutig depressiv (erstes Warnsignal: Verbunkerung! Rückzug als Ausweg, nach innen abgedrängte Aggressionsbereitschaft etc.), der Chef scheine ihm relativ normal zu sein (na toll, dachte die Demokratiebeauftragte, ausgerechnet der, und ach ja, das kommt mir auch so vor, dachte die Kreativleitung, indem sie einen kleinen fast schwärmerischen Blick warf, denn heute gefiel ihr sein Auftreten gut), sehr normal auch die Gattinnen (huhuh, riefen die Assistentinnen, denn das Schicksal einer solchen Gattin als Normalität vorgeschrieben zu bekommen war ihnen nun nicht recht), na, die chefliche etwas übersanft, also auch narzißtisch, die Assistentinnen seien noch etwas naßforsch, aber darin durchaus gesund zu nennen, da fehle es freilich noch ein wenig an der weiblichen Reife, und ja, habe er noch wen vergessen, ach ja, den Buchhalter, banaler Zwangscharakter (hier wedelte Pestvogels nonchalant mit dem rechten Flügel) nichts besonderes, und der Praktikant ein reichlich oraler Charakter, aber...Lautes Gähnen in der Runde. Pestvogels hatte sie alle gelangweilt. Das war, wenn man bedachte, welche Unruhe sein Erscheinen noch vor wenigen Wochen ausgelöst hatte, doch wenigstens eine positive Meldung. Überhaupt die Langeweile. Wir lieben sie.

TOP 4 fiel aus. Alle waren eingeschlafen, sogar der zu Hyperaktivität neigende Kollege mit der Karomütze, dem man durchaus eine paranoide Reaktion auf die Paranoia-Diagnose zugetraut hätte, und Pestvogels, enttäuscht über die geringe Wirkung seiner Worte, war ausgeflogen.

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Man hat mich übersehen!

Anonym hat gesagt…

Willst du sagen, daß du es NICHT darauf angelegt hättest?

Anonym hat gesagt…

Ich fand es eher gut, übersehen zu werden.

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