Montag, 14. Januar 2008

(2)14.B.

Im Büro der Demokratiebeauftragten hatte man unterdessen darüber nachgesonnen, warum eigentlich den Südkoreanern, wenn sie Nordkorea besuchten, selbst der Gebrauch von Handys untersagt sei, und man hatte sich unter mäßig interessanter Wortführung der Demokratiebeauftragten gerade wieder in dankbare Bewunderung für die eigene Republik hineingeredet, als der stille Theologe in eine Erscheinung trat und, nachdem er sich, wie es seiner Natur entsprach, eine ganze Weile lang nicht geäußert hatte, nun (nach, wie er zugeben mußte, einschlägigen Lektüren) herauskam mit einer kleinen Meditation über das Fallen, das wie das Fallenwesen in den Phantasien mancher Menschen recht eigene Dynamiken annehme, denen dann manchmal nicht nur sie selbst, sondern auch andere zum Opfer fielen. Denn, so holte er aus, weil solche in aggressives Sprechen umgesetzte Phantasien auch hierzulande wieselflink vom Stolpern und Purzeln eines unbeholfenen kleinen Menschleins (wie Mo nun ohne Zweifel eines war und vielleicht schon immer in irgendeinem „Kern“ gewesen war) über den Fall der großen Hure Babylon oder der treulosen Stadt Jerusalem auf die gefallenen Mädchen im einzelnen und besonderen kämen, würden sie ebenso flink sämtliche thematischen Kontexte verwechseln und vermengen, und zwar dies alles nicht, weil irgendwo irgendetwas objektiv zu komplex gewesen wäre, sondern weil in denen, die da phantasierten, gewisse Komplexe etwas zu einfach funktionierten. So weit so geißelnd seine Rede.
Aber dann bekam der stille Theologe wieder sein ganz weiches Gesicht und seine Stimme hatte ihren schönsten Schmelz, als er sagte, vielleicht nirgends mehr als an dieser Stelle zeige sich, wie groß unser Hunger und Durst nach Erlösung sein müssten, wenn wir dem winzig kleinen Mokind in die schöne Schamlosigkeit seiner einfachen Bedürftigkeit folgen wollten, was doch im wirklichen Leben allenthalben nur mit erstaunlicher Gewaltbereitschaft abgewehrt werde. „Schöne Schamlosigkeit?“ fragte die Demokratiebeauftragte, der Adorno immer schon eher fremd geblieben war, und der Theologe sagte, „ja, schöne Schamlosigkeit, die gibt es gar nicht nur in der Kunst“ - denn er glaubte natürlich, alle hätten wie er viele Stunden ihrer Jugend mit den Texten des Herrn Adorno verbracht. Nun, da dies offenkundig nicht der Fall war, sah er ein, er mußte deutlicher werden, und so erzählte er weiter:
„Mos Gefangenschaft hatte – neben anderem – damit zu tun, daß man sie, als sie noch eine normale, fast stattliche Größe gehabt hatte, einmal wegen einer kleinen Privatsache verdächtigte, ein ‚gefallenes Mädchen’ zu sein, und daß dieses sie für viele Dinge nicht in Frage kommen lasse, für die sie im übrigen durchaus qualifiziert sei. Sie in ihrer naiven Gläubigkeit an die Freiheit der Republik, in der sie damals lebte, hatte, als der Verdacht endlich ausgesprochen war (man spürt dergleichen ja lange vorher, aber ausgesprochen wird’s doch selten) gewagt, wie folgt zu antworten: ‚Liebe Richter und Henker, ich ehre Ihre Institutionen bis auf die Todesstrafe sehr, aber es gibt einige Institutionen, für die sind die Schamregeln seltsam verteilt. Ich darf sagen, ich habe dieses und jenes zum Thema der Prostitution geschrieben und öffentlich gesagt, und ich habe öfter mal probiert, mich hier in die verschiedenen ‚Rollen’ einzudenken, denn dies ist für mich von ähnlich bewegendem wissenschaftlichem Interesse wie etwa die Frage ‚was will das Weib’ in aller Honorabilität für Herrn Freud war. Mich interessierte viele Jahre lang also die Frage, ‚was will der Mann,’ denn das schien mir weit weniger deutlich am Tage zu liegen als allgemein angenommen, aber vielleicht mochte ich einfach manche Männer zu gern, um mich mit gewissen Seltsamkeiten ohne weiteres Fragen abzufinden. Nun muß man, um dieser Frage nachzugehen, meine Damen und Herren...’“ „Moment,“ sagte die Demokratiebeauftragte, „du willst nicht behaupten, daß unsere kleine verschrumpelte Mo einmal so gesprochen haben könnte!“ „O doch,“ sagte der stille Theologe, „das hat sie, sie hat wirklich an alles geglaubt, was wir hier so schwätzen, und erst ihre Gefangennahme hat ihr gezeigt, daß alles ganz anders ist. Und sie sagte also, ‚meine Damen und Herren, man kann diese Frage durchaus auf der Basis von Erzählungen und ähnlichen Dingen bearbeiten, auch wenn man nicht Freud oder Kristeva oder wer auch immer ist, und man kann sich viel dazu denken, über diese seltsamen Wunschstrukturen aller Beteiligten, und dies habe ich immer ungescheut getan. Ich will aber – und hier machte sie nun den entscheidenden Fehler, der sie auf höchst banale Weise zu Fall brachte, wenn dies auch keinesfalls DER Fall war, der ihr hinterher angehängt wurde – noch weiter gehen, und zwar in der vielleicht frevelhaften Absicht, Sie ein wenig zu belehren (so sprach sie, im Ernst, die traute sich was): Wenn es der Fall wäre, daß ich mit eigenem Leib und Leben im Eigenexperiment das Wesen der Prostitution erforscht hätte, was keineswegs der Fall ist, dann, meine Damen und Herren, würde ich mich dessen nicht einmal schämen, sondern es freimütig zugeben und Ihnen von meiner Erfahrung berichten. Dem stand bei mir indes immer ein gewisser Ekel entgegen, darum ist das nie eingetreten, ich mochte zu gern, wen und was ich mochte, und zu wenig gern, wen und was ich nicht mochte. Aber ich kann nicht verstehen, daß Sie, die mir gegenüber den Rechtsstaat und die Gleichheit der Geschlechter geltend machen, mir sagen wollen, ich solle mich einer solchen Sache, von der Sie unterstellen, ich hätte sie getan, schämen, während jeder einzelne wenigstens der Herren unter Ihnen dann ‚heimlich’ #mein# ‚Kunde’ gewesen sein könnte, ohne sich dessen im geringsten zu schämen, solange das doch allenfalls ‚a matter of discretion’ sei?’
Nun, mit dieser Antwort, die ihr ganz einfach und ganz frei und geradezu selbstverständlich erschienen war, hatte sie damals ihren Fall herbeigeführt und auch das schlimmste Hindernis bei allen Versuchen, wieder aufzustehen. Und dieses ist doch, nicht wahr, wirklich erstaunlich, und es ist dieses, was mir zu den Worten des lieben Chefs, der uns zur Achtung der Würde des Tierischen in uns ermahnt hat, eingefallen ist. Darum freue ich mich, daß die Kreativleitung, Mo und der Minderheitler mit den grünen Borsten sich an den ersten Schneeglöckchen ihrerseits so freuen.“ So endete der stille Theologe, ganz erstaunt von seiner eigenen Gesprächigkeit und der Genauigkeit seiner Erinnerung an Mos Rede, die ihm die Kreativleitung bei einer freundlichen Gelegenheit gezeigt hatte.
Die Demokratiebeauftragte war etwas betreten. Sie hatte wirklich geglaubt, daß die Gefangennahme Mos woanders erfolgt war, aber doch nicht hier, unter uns.

8 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Warum erzählt er das?

Anonym hat gesagt…

Um aus mindestens drei Debatten etwas Luft abzulassen, denke ich.

Anonym hat gesagt…

Welche drei denn, zwei würden mir einfallen, aber die dritte?

Anonym hat gesagt…

Vermutlich meint er die um Britney.

Anonym hat gesagt…

Mir gefallen Debatten mit Luft ganz gut.

Anonym hat gesagt…

Geht man hier nicht mit der westlichen Selbstkritik etwas zu weit, findet ihr nicht, wir sollten das wieder herausnehmen, wird das nicht unserer Sache schaden?

Anonym hat gesagt…

Wir sollten vielleicht Mo herauslassen, aber dann fehlt die allegorische Figur für die sozusagen systemimmanente Gefährdung der noch so stark im Sinne einer ideologischen Selbstvergewisserung propagierten modernen Frau, auf die es mir eigentlich ankam, aber wenn ihr meint, daß es der Sache schadet, also welcher Sache denn genau?

Anonym hat gesagt…

Ich finde auch, allmählich soll man der sensiblen Öffentlichkeit mal zutrauen, die Dinge hier nicht mehr durcheinander zu bringen mit irgendwas aus dem richtigen Leben, und ich hielt mir was darauf zugute, daß die Figuren sich immer selbständiger machen, aber wenn Mp natürlich protestieren würde, würde ich es mir in Absprache mit Abteilung Ö nochmal überlegen...

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