Sonntag, 21. Dezember 2008

556.

Die Chefin und der Demokratiebeauftragte hatten sich zu einem kleinen Kaffee verabredet, denn die Chefin wollte einmal wissen, warum eigentlich der stille Theologe aufgehört hatte, ein Theologe sein zu wollen, und so saßen sie in einem jener kleinen Hauptstadtcafés, in denen man einfach nur weil es Sessel gibt wie ausgenommen ist vom sonstigen Trubel, obwohl man mitten drin sitzt, beide ohne Kaffee, sie mit Tee und er mit Schokolade, und etwas von der Schokoladensahne blieb an seiner Oberlippe hängen, als er nachdenklich sagte, naja, es fing alles damit an, daß jemand bei mir über "Antriebslosigkeit" klagte, und daß ich dann, ihn zu trösten und zu ermuntern, sagte, die Zwangsvorstellung, nach der wir alle immer furchtbar initiativ und umtriebig und angetrieben und selbstantreibend sein müßten, unabhängig von Alter, Geschlecht und Lebenslage, gehöre ja zu den zynischen und menschenverachtenden und übrigens äußerst heteronomen Monstrositäten des Spätkapitalismus, und ich bepredigte damals diese Person mit Gnade und Geschenk und den hohen Tugenden der Passivität und des Annehmens als den eigentlichen Brunnen der Freiheit, denn obwohl ich damals wie zu keinem Zeitpunkt meines Lebens auch nur das Geringste mit der Sühnopferlehre anfangen konnte, war ich dem Kirchlichen irgendwie gewogen, es ist doch viel Wahres und Nettes darin, und natürlich auch viel schreckliches Zeug; dann aber, wenige Wochen später, kam einer von diesen jungdynamischen Kirchentypen aus der Kirchenleitung auf mich zu und horchte mich aus über den Menschen, mit welchem ich gesprochen hatte, denn er sei eigentlich ein sehr begnadeter Mensch, nur schade um ihn, daß er nichts daraus mache, und warum der so depressiv sei und daß man da doch etwas machen und sich kümmern müsse, und da hätte ich dem am liebsten eine Ohrfeige verpasst, habe ihm gesagt, wie verlogen ihr doch seid, ihr seid an der vordersten Front dieser Ideologie in allem, was ihr so treibt, und wenn einer eure Lehren ernstnimmt und sich ein wenig zurückhält, seht ihr darin einen Grund, euren wohlgeschmierten Erbarmungsapparat auf ihn loszulassen, mit dessen Hilfe ihm zuverlässig jeder Rest von Selbstbewußtsein und Lebensfreude ausgetrieben würde, wenn er sich in irgendeiner Krise auf ihn einließe, wenn er sich aber trotz Krise nicht darauf einläßt und sich selbstbewußt und energisch und geduldig zutraut, klarzukommen, dann stellt ihr ihn unter Beobachtung und entlaßt ihn erst wieder, wenn ihr glaubt gesehen zu haben, daß er jetzt wirklich ganz eine eigene Initiative ergriffen hat, was ihm natürlich jede Initiative unmöglich macht, weil sie immer nur Gehorsam wäre, und wo er doch mal etwas Eigenes an alledem vorbeimogelt, schlagt ihr drauf und beweist ihm, daß das nicht die Initiative ist, die ihr gemeint habt, und wenn er aufgibt, schreit ihr ihn an, er muß auch mal kämpfen, aber wer angeschrien und blockiert wird, der kann um gar nichts mehr kämpfen, wenn er keine faschistoiden Neigungen hat und sich nicht zum Teil just desjenigen Kampfapparates machen will, der ihn so angeschrien hat, aber wenn er dann klein beigibt, habt ihr wen zu betreuen, was eurer Selbstlegitimation sehr zugute kommt, und so ist das bei euch wie in allen geschlossenen Anstalten dieser Welt, habe ich dem gesagt, und ob du nun von der Stasi kommst oder von der Una Sancta oder von irgendeinem Freidenkerverein oder einem Gefängnisdenkverein, es gibt doch nach unseren mühsam durch Aufklärung etablierten Prinzipien nirgends eine Rechtfertigung dafür, einen Menschen zu einem Fall zu machen und sich ihm mit diesen jammervollen indirekten Anbaggerungen zu nähern, die eure Spezialität sind, und zu sagen, das sei nun die richtige Kommunikation oder was dergleichen Unsinn mehr ist, da fand er mich doof, und ich habe mich abgewandt und mich dafür entschieden, das Wenige, was mir bleibt von allem, was ich gelernt habe (und gerne gelernt habe) zu gebrauchen, um hier und da ein paar Anmerkungen zu machen und ein Auge darauf zu haben, wo die Leute sich in jene unerhörten Widersprüche zu verwickeln und sich zu Handlangern irgendwelcher blöden Apparate zu machen scheinen, und, ja, sagte er, und wischte sich endlich die Sahne von der Oberlippe, so ist das gewesen, und nun bin ich da und mache dann und wann meine Anmerkungen, dazu lächelte er erwartungsfroh, und die Chefin fragte sich, warum ihr seine Rede so fade und ervernünftelt vorkam, obwohl doch alles, was er gesagt hatte, ganz richtig war.

13 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Es liegt an der Sahne.

Anonym hat gesagt…

Es ist alles falsch.

Anonym hat gesagt…

Es ist viel zu umständlich und zu lang.

Anonym hat gesagt…

Schnarch.

Anonym hat gesagt…

Ich habe aber sehr wohl nachgedacht und könnte Ihnen heute einiges sagen.

Anonym hat gesagt…

Machen wir doch eine kleine Konferenz im Neuen Jahr.

Anonym hat gesagt…

Es ist die Gemeinschaft, man muß die Gemeinschaft stärken und ihm klar machen, daß er ohne die Gemeinschaft nicht klarkommt.

Anonym hat gesagt…

Er wird eher ins Gras beißen, als sich zwingen zu lassen, und das ist das Beste, was er der Gemeinschaft zu bieten hätte - wenn die in der Lage wäre, das anders einzusehen, als indem sie die Pflicht, sein Opfer zu verehren, daraus machte.

Anonym hat gesagt…

Es ist erstaunlich: glaubt wirklich jemand, daß man durch Verarmung und Abhängigmachen irgendeinen Menschen dazu gewinnen kann, freudig "sich mit anderen zusammenzutun"? Geht in die Favelas, da seht ihr doch, was herauskommt: Frauen haben Männer längst aufgegeben und bilden gegen sie nur noch Verteidigungsgemeinschaften, Väter sind inexistent, alle bleiben Söhne, und Söhne rotten sich zu marodierenden Horden zusammen, das finden alle so unerträglich, daß sie sich schließlich in die Arme irgendwelcher patriarchalischer Zwingburgen werfen, weil dann etwas wie eine Ordnung herrscht, wenn auch eine reichlich retardierte, toll, also in den Favelas schaffen wir alles wieder ab, was wir woanders mühselig aufgebaut haben, und zwar schaffen wir es ab durch Verarmung und die brutale Anweisung des einen auf den anderen, kann man natürlich wollen, aber um das zu wollen, muß man schon ein Priester sein, der sich die natürlicheren Wollungen schlecht redet.

Anonym hat gesagt…

Es geht hier allmählich etwas zu weit.

Anonym hat gesagt…

Regelbruch!

Anonym hat gesagt…

Es geht fast so weit wie zu Beginn des 19. Jahrhunderts, in der Tat, entsetzlich, entsetzlich.

Anonym hat gesagt…

Immer werden die Guten verkannt, sowas Blödes aber auch.

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