Dienstag, 24. Juni 2008

376.

Sitzung der EinSatzLeitung

Leitung: Chefin
Protokoll: Assistentin K

Tagesordnung:

1. Bericht der Chefin über bisher erfolgte und weitere geplante Umstrukturierungen
2. Bericht der Karomütze über ein Instruktionsblatt
3. Verschiedenes

TOP 1:
Die Chefin bedankt sich für die gute Zusammenarbeit bis hierher und berichtet in aller Knappheit über die Ernennung des stillen Theologen zum Demokratiebeauftragten sowie die offizielle Einsetzung der Assistentin Ö als stellvertretende Leiterin der Abteilung Öffentlichkeit. Die weitere Entwicklung dieser Abteilung wird geprüft.

TOP 2:
Der Sicherheitsbeauftragte mit der Karomütze berichtet, in Sicherheitskreisen zirkulierten Schriften, die namens eines weltberühmten Fernsehpsychiaters dartun, daß Vögel als Symbol für Psychose gelten, weshalb jeder, der sich mit ihnen beschäftige, als mindestens unzurechnungsfähig, möglicherweise aber sogar als ein Sicherheitsrisiko und potentieller Amokläufer einzustufen sei. Ihm selbst sei in einer entsprechenden Übung von Sicherheitsleuten ein Bogen zugespielt worden, in welchem unter der Überschrift "Finde den Amokläufer in deiner näheren Umgebung" ein Kriterienkatalog zur Abarbeitung empfohlen werde, und er habe darin Erstaunliches gefunden. Demnach könne etwa jemand wie er selbst oder die Kreativleitung oder sogar die Demokratiebeauftragte (pardon, die Chefin, aber übrigens auch der ehemalige Chef) in einen entsprechenden Verdacht kommen, einfach aufgrund gewisser vogelkundlicher Interessen - wobei man dann auch gewisse Sätze wieder, wie er schnell mal anhand einiger EinSätze analysiert habe, als sozusagen "Schritte auf dem Weg zu einer Verbesserung des Zustands" auffassen könne. Ein Kollege, mit dem er öfter über Pestvögel, Brachvögel und andere Vogelarten gesprochen habe, habe ihm dringend geraten, mit der Kreativabteilung diese Dinge zu klären und endlich das Schreiben über Vögel einzustellen. Die Kreativleitung, die erst gelacht und gesagt hatte, "jaja, promovierte Deppen mit weißen Kitteln an Bundeswehrhochschulen, immer schon ein ideales Potential für organisierte Hysterie oder Schlimmeres, wenn man Pech hat," machte nach dem Ende des ersten Amusements ein etwas ernsteres und entschlosseneres Gesicht und sagte: "Wo sollen wir, wenn wir so anfangen, aufhören? Wenn wir über Affen schreiben, dann sind Affen bekannte Symbole für Hühnerpest, wenn wir über Schwesternhäubchen schreiben, dann sind diese bekannte Symbole für Prüderie, und wenn wir über Kindsmörder schreiben, sind wir selbst welche, und wenn wir über Trauer schreiben, sind wir traurig, und wenn wir über Übermut schreiben, sind wir übermütig, und wer einmal einen Stein in die Hand genommen hat, hat immer schon gern welche geworfen, und so weiter. Wir wollen doch solchen Idiotien nicht zu viel Gewicht beimessen?" Sie danke natürlich für die Warnung. Aber was könne die Konsequenz sein?
Demnächst dürfe man also gar nichts mehr schreiben, weil Fernsehpsychiater in Sicherheitskreisen ihre Empfehlungen aussprechen? Wir haben bisher gedacht, in einem freien Land zu leben. Anscheinend sei man hierzulande aber auf der Suche nach Amokläufern, und man suche sie in Schreibbüros? Ob das jemand ernsthaft glaube? Die EinSatzLeitung möge sich entscheiden, ob sie sich eine freie Kreativleitung leisten wolle oder nicht. Die Chefin übernimmt den Antrag und gibt ihn zur Abstimmung frei.

Die EinSatzLeitung entscheidet - unter gequälter Enthaltung des Buchhalters und etlicher Mehrheitler - zugunsten der Kreativleitung und des Schreibens über alle Tier- und Menschenarten. Der Sicherheitsbeauftragte, der dafür gestimmt hat, empfiehlt allerdings, bei Verdichtung der Indizien für eine gezielte Kampagne gegen dieses oder ein anderes Schreibbüro, die Urheber solcher Kampagnen (die es ohnehin niemals unterlassen, hier und da ihre Stempel in Form von Symbolnamen etc. zu hinterlegen) ausfindig zu machen und mit Strafverfolgung und Schadensersatzforderungen zu bedrohen. Man dürfe übrigens durchaus wissen, daß das illegale Ausspähen von privaten Computern nebst publizistischer Verarbeitung mit Haftstrafen bis zu drei Jahren geahndet werden könne, das könnte in manchen Fällen, die ihm schon zu Ohren gekommen seien, ein echter Straßenfeger werden, verhaltenes Gekicher aus der Ecke der Minderheitler.


TOP 3
Alle sind noch etwas betreten, denn eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen, welche sie immer für ausgesprochen harmlos gehalten hatten, die Spekulation über Vögel und der EinSatz von Vogelnamen für bestimmte Figuren und gesellschaftliche Phänomene (jawoll, Herr Forschungsminister, auch um so etwas handelt es sich bei uns), ist auf diese Weise in ein irgendwie - wie dies der Minderheitler mit den grünen Borsten ausdrückt - funzeliges Lichte geraten, und die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse, deren Onkel angesehener Psychiater in einer Kleinstadt ist, sagt: "Ich kenne diese Verhaltensweisen aber sehr gut: Diese Leute glauben von Berufs wegen (Gattin Ö ist nicht da, also rutscht auch keine Braue hoch), sie hätten ein Mikroskop, unter das sie einen anderen legen könnten, und dann bearbeiten sie ihn aus dem Off so lange, bis er reif ist für den Draufblick." Das habe sie schon aus vielen Betrieben gehört, und es sei bis in die Spitzen solcher kleinstädtischer Gesellschaften verbreitet. Tatsächlich sei ihr Onkel selbst einmal sozusagen in aller Unschuld in so etwas als Täter hineingeraten und nur deswegen aus der Sache rechtzeitig ausgestiegen, weil ein guter Kollege damals beherzt die Partei des Sezierten ergriffen und zu seiner Rehabilitation entschlossen beigetragen habe, freilich habe der Betroffene Jahre gebraucht, um sich von dem Schrecken wieder zu erholen, und sein Leben habe eine bis dahin völlig unerwartete Wendung genommen.
Wie wäre es, wenn ihr darüber mal schreiben würdet, fragt sie die Kreativabteilung. Wir beschließen, uns dieser Sache nach dem Projekt XY einmal anzunehmen. Vielleicht trage diese kleine Episode des Sicherheitsbeauftragten ja sogar schon zur besseren Erklärung jenes Falles bei, bemerkt die Kreativleitung noch.
Die Chefin wurde an dieser Stelle unruhig, das sei im Grunde noch zu TOP 2 gewesen, aber jetzt solle mal bitte noch TOP 3 abgehandelt und die Sitzung dann schnell geschlossen werden, dringliche Arbeiten stünden an.

Der klitzekleine Forschungsminister merkt an, er arbeite gerade an einem kleineren Konvolut mit dem Titel "Versöhne und herrsche," in welchem er wissenschaftlich untersuche, was mit Menschen geschehe, die in gewissen Fachkontexten von Mediation oder in anderen zu Versöhnungsaktivitäten ermunternden Ämtern größenwahnsinnig werden. Er gehe davon aus, daß er es mit diesem Bändchen, das erheblich zur Aufklärung einiger Mißverständnisse beitragen werde, sicher nicht zum Ruhm und Ruf eines angesehenen Fernsehpsychiaters bringen werde, aber er hoffe doch, einige Dinge der wissenschaftlichen Klärung zuzuführen, die dieser unbedingt bedürfen.

Ende der Sitzung, die nächste wird auf Nr. 406 festgesetzt.

9 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ich bin promovierter Laborant, arbeite an einer Bundeswehrhochschule und bin ein guter Mensch und protestiere gegen die Invektiven der Kreativleitung.

Anonym hat gesagt…

Sie dürfen die Konditionalsätze nicht überlesen, junger Mann, die Kollegin, weltfremd wie sie sein mag, hat hinzugefügt "wenn man Pech hat," damit hat sie die Möglichkeit eingeschlossen, daß man mit Menschen wie Ihnen am selben Ort zum Beispiel Glück haben könnte.

Anonym hat gesagt…

Wir sind tief betrübt.

Anonym hat gesagt…

Wir auch.

Anonym hat gesagt…

Und wir erst, die Natur kömmt uns doch nun einmal so!

Anonym hat gesagt…

Chapeau, jetzt zitieren schon die Geier Woyzek!

Anonym hat gesagt…

Das können aber nur manche!

Anonym hat gesagt…

Ja, aber das ist doch schon enorm, wenn man es mal mit den literarischen Leistungen etwa der Pestvögel vergleicht!

Anonym hat gesagt…

Schra!

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