Mittwoch, 11. Juni 2008

363.

Der Mann im Chefbüro, aufmerksame Leser ahnten es schon, war Herr Y, der sich – von der Demokratiebeauftragten durch Boten dazu eingeladen – doch einmal in die EinSatzLeitung bemüht hatte, und der nun also da saß, seiner freundlichen Gastgeberin gegenüber, ein eingefallener und wohl eher kleiner Mensch mit Resten von rötlichen Löckchen um seinen großen Schädel, ein Mensch, der trotz einer leichten Dicklichkeit um die Hüften einen insgesamt hageren Eindruck machte, ein Mensch mit einem tief resignierten, etwas gelblich-bleichen und seltsam erloschenen Gesicht, ein Mensch, der aus Mangel an eigener Bosheit und Gewaltneigung einfach nie wirklich verstehen konnte, wie ihm das Widerwärtige widerfahren konnte, das ihm nun einmal geschehen war, ein Mensch, der eher immer weiter wegstolpern als sich durch irgendwelche Maßnahmen zu idiotischen und aussichtslosen Kämpfen hinreißen lassen würde, ein Mensch, der freilich auch niemals einem, welcher ihn etwa überwältigte, den Gefallen würde tun können, diesem nun besondere Aufmerksamkeit und Neugierde, gar Sympathie und loving kindness zuzuwenden, ein Mensch kurzum, den seine Freiheitssucht und seine mangelnde oder durch allzu viele Niederlagen totfrustrierte Bereitschaft, sich mit den üblichen Mitteln durchzusetzen, zusammen mit einer gewissen manch kreativem Menschen eigenen Freundlichkeit in eine ewige Flucht genötigt hatten, ein Mensch, der, obgleich völlig verstummt, doch ständig zu singen schien, wie er geweint hatte, als er an den Wassern Babylons gesessen und genötigt worden war, seinen Feinden ein Lied zu singen, ein Mensch, dessen Lied, wenn man es denn würde hören können, wohl überall hin seine sehnsüchtigen Worte reckte, aber sicher nicht dahin, wo die Feinde es würden hören wollen, ein Mensch, der Worte seines Liedes vielmehr wie ein kostbares Manuskript über die beschwerliche Grenze zum Verstummen gerettet zu haben schien, ein Mensch kurzum, der von einer unheilbaren Verzweiflung offenkundig befallen war, von welcher er freilich kurze Pausen zu machen schien, wenn man ihn wirklich durch keine Neugierde und keine Besorgnis zwang, über seine Lage zu sprechen, ein Mensch, der nun also dem Ruf der Demokratiebeauftragten gefolgt und durchaus und ganz und gar gekommen war, ein Mensch, der trotz der unübersehbaren Gegenwart seiner Verzweiflung überhaupt den Eindruck erweckte, lebhafter Aktivität und großer menschlicher Aufmerksamkeit, ja, sogar einer umständlichen und zugleich unkomplizierten Fürsorge fähig zu sein, aber absolut keine nötigenden und manipulativen Maßnahmen zu ertragen, ein Mensch, der offenbar von einem anderen, welcher ihn nicht interessierte, aber sein Interesse durchaus erzwingen wollte, mit einem Stein verwechselt worden war, ein Mensch, den jener andere, der ihn mit einem Stein verwechselte, nun durch steten Tropfen auszuhöhlen gedachte, um sich in der so entstandenen Höhle recht komfortabel einzurichten, ein Mensch, dem es nicht gelingen wollte zu zeigen und wirksam zur Geltung zu bringen, daß er keineswegs ein Stein sei, sondern ein Zuckerklumpen, welcher bei ständiger Betropfung mit Wasser zu süßem Sirup wird, zu einem Sirup, der dann einfach im Boden versickert, sinnlos, völlig sinnlos in seiner Süßigkeit – und als die Kreativleitung diesen Menschen sah, kamen ihr die Tränen, sie wäre am liebsten aus dem Raume gegangen, so hoffnungslos ward ihr zumute bei seinem Anblick, und so blieb sie und sagte, okay, wir nehmen den Auftrag dieses Herrn X an, und dann schaun wir mal, wie das ausgeht.

8 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Er könnte mein Großonkel sein, jener Herr Y, und nicht einmal die eigene Verwandtschaft hat ihn ertragen, wenn er so da saß.

Anonym hat gesagt…

Ja, er ist rührend beschrieben, aber wie kann man dann den Auftrag von Herrn X annehmen?

Anonym hat gesagt…

Indem man sich ziemlich viel zutraut - oder weil man sieht, hier muß etwas geschehen.

Anonym hat gesagt…

Aber dann muß man doch GEGEN Herrn X tätig werden und nicht seinen Auftrag annehmen!

Anonym hat gesagt…

Nun ja, man könnte ...

Anonym hat gesagt…

Die Zahlen müssen stimmen, und Punkt.

Anonym hat gesagt…

A, unser Großcharakter, du bist wirklich ein Held, Liebster.

Anonym hat gesagt…

Die Ideen der jeweiligen Abteilungen werden gegeneinander abgewogen, eure privaten Querelen könnt ihr mal rauslassen.

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