Montag, 2. Juni 2008

353.B.

Nach dem Besuch beim nunmehr ehemaligen Chef und seiner Gattin kehrte die Kreativleitung in ein ungewöhnlich stilles Büro zurück. Mo hatte es irgendwie geschafft, das Fell auf den Sessel zu bewegen (vermutlich hatte ihr alter Freund, der Minderheitler mit den grünen Borsten, ihr dabei geholfen, diesen nämlich hatte die Kreativleitung ins Büro schlüpfen sehen, als sie selbst gegangen war), und da lag sie nun in den Schattenlinien von Palmwedeln, wegen der Temperaturen ohne Schal, zusammengerollt wie eine versteinerte Schnecke, ganz grau, so fest schlafend, daß die Kreativleitung sie kurz berührte, um zu fühlen, ob überhaupt noch Leben in ihr sei. Dies schien der Fall zu sein, ein kleines Beben war die Reaktion des schlafenden Wesens auf die leichte Berührung.
Die Kreativleitung wischte sich etwas Schweiß von der Stirn, ließ sich nun also nicht, wie sie es sich unterwegs vorgestellt hatte, im Sessel nieder, legte sich auch nicht gleich auf ihren Teppich, sondern ging zuvor noch einmal an die Wand, an der das Gewebe des Wandteppichs hing, um zu überlegen, an welcher Stelle sie nun weiter arbeiten sollte. Mos bizarre Kreatur, der erzählende Kranich, hatte seine Schöpferin offenbar sehr angestrengt, und ohne Mos Hilfe konnte die Kreativleitung an dieser Stelle nicht weiter arbeiten. Warum schlief Mo so fest?
Es war wohl der Auftritt des unbekannten Gastes des Kwaliteitswart gewesen. Bevor die beiden ins "Bistro" gegangen waren, hatten sie gemeinsam die Kreativabteilung aufgesucht. Der Kwaliteitswart (von der Kreativleitung wie immer besonders herzlich begrüßt, sie errötete sogar ein wenig, weil sie fürchtete, man könnte ihr ihre übermäßige Freude anmerken) hatte gesagt, er wünsche den Damen einen sehr interessierten Auftraggeber vorzustellen. Dieser habe gehört, daß man im Kreativbüro besonders knifflige Fälle in Erzählungen fassen könne, welche zu Herzen gingen, und Herr X wünsche sich nun also die besonders hübsche Darstellung der folgenden Geschichte: Ein Mann, eben jener Herr X, habe vor Jahren einem anderen Mann, Herrn Y, einen Job abgejagt. Mit, zugegeben, etwas unlauteren und sogar brutalen Mitteln. Er habe das aber in gutem Glauben getan. Es sei ein schlechtbezahlter Job gewesen, undankbar usw., niemand habe sich vorstellen können, daß jener Herr Y, der diesen Job innehatte und ohne größere Anstrengungen zur Selbstdarstellung in seiner Bedeutung ihn regelmäßig und gut genug versah, besonders an ihm hängen würde, so daß Herr X durchaus glauben konnte, als besonders selbstlos zu gelten, wenn er diesen Job dem Herrn Y "abnehme." Zumal doch Herr Y alle Chancen auf viel großartigere Beschäftigungen gehabt habe. Die Dinge hatten dann aber eine merkwürdige Wendung genommen. Herr Y hatte es nicht verwinden können, wie übel man ihm zugesetzt hatte. Er sagte, er sei in seinem Job glücklich gewesen, er wolle nichts anderes, er hätte diesen Job ausbauen wollen, und er hätte vor allem selbst bestimmen wollen, wann er was tue. Herr Y nahm dann doch noch andere Tätigkeiten auf, zwischendurch auch solche, die besser bezahlt waren, als der Job, den Herr X ihm abgenommen hatte, aber das nützte nicht viel, weil Herr X ihn beklagte und bejagte und permanente Lastenausgleiche forderte, weil er den schlechter bezahlten Job, den er sich erraubt hatte, nun ausübte und damit zwar nicht viel gewonnen hatte, aber doch das Recht zu beständigem Klagen. Nun hätte Herr Y gern wieder seinen alten Job angenommen und nichts dagegen gehabt, wenn Herr X einen besser bezahlten Job gehabt und seinerseits für Lastenausgleiche zuständig gewesen wäre, aber dies suchte Herr X auf alle Weisen zu verhindern, wodurch er den Schaden für Herrn Y natürlich immer weiter vergrößerte. Er führte aber in seiner Selbstdarstellung den wachsenden Schaden Ys darauf zurück, daß dieser sich idiotisch anstelle, seine Niederlage nicht ertrage, überhaupt machtbesessen sei und verstockt und völlig behindert in seiner Wahrnehmung der Wirklichkeit. Herr X schickte sich an, der Welt zu beweisen, daß er auch andere Jobs noch besser könne als Herr Y, und irgendwie verbiß er sich regelrecht in die Idee, Y wirklich alles abzujagen, Herr Y wurde alles los, nur nicht diesen Herrn X, und Herr X war einerseits stolz darauf, andererseits aber unermüdlich darin zu beklagen, wie schlecht es ihm gehe im Vergleich zum Wohlleben des Herrn Y, das dieser angeblich auf Kosten des Herrn X führe. Herr X hatte ferner, um sich ins rechte Licht zu setzen sobald jemand Herrn Y kennenlernte und bemerkte, daß dieser eigentlich ein ganz freundlicher und eher bescheidener Herr sei, der einfach etwas gebrochen wirke, weil er offenbar nicht fassen konnte, wie man ihm zugesetzt hatte, und der darüber irgendwie das Interesse an sehr vielen Tätigkeiten und Menschen verloren hatte, aber immr noch alles, was er anfing, mit leichter Hand und großer Freundlichkeit und einem gewissen unverbissenen Erfolg tat, angefangen zu betonen, daß er selbst große und tiefe Sympathien und auch ein gewisses Mitleid für Herrn Y habe, der leider einfach etwas fehlgeleitet sei, unter der Anleitung des Herrn X aber sicher sehr schnell wieder zu etwas werden könne, was dann ganz wunderbar für alle Welt wäre, er müsse nur seine verstockte Erbitterung und Verbitterung gegenüber dem liebenswerten Herrn X aufgeben, schon wäre alles prima. Und dies tat Y nicht, er tat alles mögliche, aber er wollte partout nichts wissen von den Machenschaften des Herrn X, mit dessen anerkannter Übermacht er sich verachtungsvoll abgefunden hatte, verachtungsvoll gegenüber X selbst und ebenfalls gegenüber allen, die seine Geschichten glaubten. Y kümmerte sich nunmehr um alles, was ihm blieb, achtete, so gut es ging, auf das, was man ihm vom Leben ließ, und hoffte, irgendwann einmal völlig aus dem Wirkungsbereich des Herrn X zu verschwinden. Er war ein Mann, dem die Sympathien der Menschen leicht zuflogen, auch wenn mancher nicht verstand, warum er nicht größer leuchtete, da er doch offenbar große Fähigkeiten hatte. Die Xler hielten ihn zwar unerbittlich für zu stolz und zu arrogant, aber immer wieder kamen Unbefangene und schienen ihn zu mögen und sogar unterstützen zu wollen. Dieser bescheidene, aber unleugbare Erfolg des Y wurmte nun Herrn X, der seiner Ansicht nach alles getan hatte, um zu betonen, wie schlecht bezahlt und undankbar der Job war, den er ergaunert und erraubt hatte und nun über Jahre ausübte, er verwies auf das Luxusleben, das der Herr Y führe und schließlich, als dies alles nicht mehr half, darauf, daß er selbst in Wahrheit sehr liebenswert sei, was alle Welt wisse, nur jener mißgünstige Herr Y erkenne es nicht an. Und er werde nicht ruhen, bis endlich Herr Y zugebe und einräume und durch Gesten der Freundschaft beweise, wie liebenswert in Wahrheit Herr X auch ihm sei. Eben darum benötige er jetzt die Unterstützung der EinSatzLeitung und insbesondere des Kreativbüros. Aus dieser Geschichte also sollte die Kreativabteilung etwas machen, bei dem X endlich so gut dastehe, wie er es verdiene. Mo war, als der Begleiter des Kwaliteitswart diese Dinge entfaltete, grau geworden und hatte sich verzogen. Es schien sie an ihre Gefangenschaft zu erinnern, oder der Herr X an einen Wärter. Die Kreativleitung hatte schließlich mit einem bedauernden Blick auf den Kwaliteitswart die beiden bitten müssen, den Raum zu verlassen, und um Bedenkzeit gebeten, eine Bedenkzeit, in der sie dann erst einmal dem Chef und seiner Gattin ihren Besuch abgestattet hatte. Und nun saß sie also damit an und sollte entscheiden, was mit diesem Auftrag zu machen sei. Sie fühlte sich außerstande, so etwas zu entscheiden, sie wollte auf keinen Fall Mo mit einer Sache überfordern, die ihr Übelkeit bereiten würde, und so stand sie nun vor dem Wandteppich, in den der Auftrag auch nicht passen wollte, ratlos. Was für ein Zwangscharakter dieser X sein muß, dachte sie. Man merkte es ja schon an seinen Bewegungen. Und warum kann er nicht die Finger von Y lassen? Wir werden vielleicht einen Weg finden, ihn zufriedenzustellen, ohne Y weiter zu kompromittieren und zu bedrängen? Aber wie? Wie geben wir ihm das Gefühl, seinen Auftrag bestens zu erfüllen, und wie schaffen wir es, in Erfüllung seines Auftrages doch Y dazu zu verhelfen, daß er endlich aus dem Einflußbereich von X kommt und wieder Freude an den Dingen gewinnt, zu denen er anscheinend befähigt ist?
Und sie legte sich auf ihren Teppich, Füße auf den Drehstuhl, und versank in tiefes Nachdenken.

9 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Man kann unsittliche Aufträge auch einfach ablehnen, hat mein Gatte früher öfter gemacht.

Anonym hat gesagt…

Aber man prüft die Sache vorher.

Anonym hat gesagt…

Braucht es zur Prüfung mehr als Mos und meine Reaktion?

Anonym hat gesagt…

Ich finde, es wäre Zeit für ein zünftiges "Männer!" - wenn man sich damit nicht auf Leitung Ös Niveau begeben würde.

Anonym hat gesagt…

Ja, was macht der eigentlich?

Anonym hat gesagt…

Nichts von Interesse, knapp das Erwartete.

Anonym hat gesagt…

Der Auftrag sollte angenommen werden, K-Leitung soll sich nicht so anstellen.

Anonym hat gesagt…

Wir beraten uns erst einmal, wenn die Chefin da ist, kennt hier irgendwer die Herren X oder Y?

Anonym hat gesagt…

Nein, und man störe mich bitte nicht immer in meinen Lektüren.

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