Die Kreativleitung saß, während sich die virtuelle Aufregung über männliches Freizeitverhalten entlud, geduldig in ihrem Sessel und schaute in den grauen Tag. Sie hatte am Telefon ihrer Assistentin ein wenig darüber erzählt, wie der Buchhalter in seiner schicken, wenn auch etwas dunklen, im ersten OG eines nach Norden ausgerichteten Seitenflügels gelegenen Zwei-Zimmer-Wohnung sich selbst von Grund auf modernisierte. Sie hatte von dem schwarzen PS-starken Auto erzählt, das der Herr neuerdings vor der Tür „zu stehen hatte,“ wie der Berliner sagt. Sie hatte die Lage der zwar kleinen Wohnung in einer recht eleganten Gegend Berlins beschrieben und den vom Buchhalter gewählten Telefonklingelton, welcher bei offenem Fenster den gesamten Hof beschallte. Auch die Internet-Anbahnungen von One-Night-Stands, die der Buchhalter sich neuerdings an den Wochenenden genehmigte, hatte sie nicht ausgelassen. In seiner penibel sauber gehaltenen und durch ein paar Designerstücke aufgehübschten Wohnung briet er, wenn es zu einer One-Night gekommen war, den Frauen am Morgen danach Rührei mit Basilikum, mit Komplimenten. Dann schickte er sie nachhause, zog sich Freizeitkleidung an, wusch das Geschirr ab, beseitigte alle Spuren und traf seine neuen Freunde aus der Muskelbude, welche er seit einigen Wochen mit Karomütze gemeinsam besuchte. Die eigentliche Verbrüderung von Karomütze und Buchhalter hatte sich ereignet, als nach einer passablen Nacht mit einer passablen jungen Frau der Buchhalter dem Kollegen von der Sicherheit erlaubt hatte, sich mal ans Steuer des schwarzen Alfa Romeo zu setzen und eine kleine Spritztour nach Süden zu machen, weit über Potsdam hinaus. Dieses Phänomen der Verbrüderung interessierte die Kreativleitung nun, und dazu hatte sie die Gattin des Chefs gebraucht, auch wohl den Chef selbst, denn ohne diese beiden wäre die Sache irgendwie unerträglich häßlich geworden, fand sie.
Aber während sie noch so nachdachte, erwachte Mo und redete wie in Trance. Das kam daher, daß Mo Zeugin eines Besuchs geworden war. Jemand hatte sich bei der Kreativleitung eingefunden und neben ihr an ihrem Schreibtisch gesessen, um etwas anscheinend Wichtiges zu besprechen. Mo hatte sich sofort im Nebenzimmer in ihrem Fell vergraben und den karierten Schal über ihren Kopf gezogen. Aber sie hatte darunter heimlich hervorgeguckt und alles ganz genau beobachtet. Der Besuch war nun natürlich längst gegangen. Mo war ruhig eingeschlafen, und jetzt, erwachend von lautem Glockenläuten aus der Umgebung, sagte sie der Kreativleitung: Hier habe ich etwas gefunden, das du später mal schreiben kannst, wenn man dich kennt, dann darfst du mich (ich will bis dahin bitte groß sein und ernste Worte mit dir reden!) sagen lassen:
„Plötzlich bist du eine Legende, und wenn jemand es bis an deinen Schreibtisch geschafft hat, ist er ganz aufgeregt, nicht mehr, wie du dir früher einbilden konntest, weil er deine persönliche Nähe irgendwie persönlich stimulierend findet, sondern weil er von allen, die über dich herumspekulieren, fabulieren, lamentieren, quinkilieren und räsonnieren, derjenige ist, der jetzt in diesem Augenblick das erstaunliche Privileg hat, aus welchen Gründen auch immer, neben dir an deinem Schreibtisch höchstselbst zu sitzen, an dem Platz, an dem das alles geschieht, das manche Menschen wundersam finden, nicht gerade so wundersam wie die Staffelei von Picasso, aber doch wundersam genug, um Rätsel aufzugeben, die mehr als einen Menschen interessieren, und er darf nun neben dir sitzen und bemerken, daß du auch nur ein Mensch mit Poren und besorgten Augen bist. Wolltest du das? Wolltest du das erreichen?
Wie ist es dir denn selbst früher gegangen, wenn du eine Berühmtheit aus der Nähe gesehen hast?
Du bist ja immer gnadenlos, siehst sofort in das bedürftige Menschenherz, das des anderen und dein eigenes, und dann nehmen die Dinge da ihren eigenen Verlauf. Einer fällt durch, ist zu klein, nicht wegen seiner Knochen oder Poren, sondern weil er ganz in diesem Habitus des Berühmten aufgeht, eine findest du erstaunlicher als ihren Ruf, eine andere weniger erstaunlich, wieder ein anderer erweckt den Eindruck, mit seiner Berühmtheitsrüstung spielen zu können und dies zu manchem ihm gut erscheinenden Zweck auch zu tun, und da siehst du plötzlich einen warmen menschlichen Glutkern und verliebst dich spontan (in einem eigentlich unwahrscheinlichen Fall sehr nachhaltig), viele andere betrachtest du freundschaftlich, als wäre es das Einfachste und Selbstverständlichste, und wenn jemand dich so bewundert, als wärest du sonstwas, dann wirst du leicht ungeduldig, genau wie früher, wenn jemand dich als gar zu nichtig eher mißachtete, aber wenn er einfach dasitzt und mit dir spricht, gute Fragen stellt und gute Antworten gibt, dann freust du dich wie immer schon, und wie ein Kind.“
Du bist lieb, Mo, sagte die Kreativleitung, aber für mich ist das Gleichbleibende eigentlich dies: Ich habe seit einer bestimmten Zeit meines Lebens immer Angst vor der Wut derer, die anscheinend Angst vor mir haben. Der Grund für ihre Angst ist doch egal, das Ergebnis bleibt immer dasselbe. Da machte Mo sehr große und erschrockene Augen und trippelte wieder weg.
Die EinSatzLeitung schreibt mit Gästen ein Buch. Pro Tag darf jede Person einen Satz einsetzen, die EinSätze werden fortlaufend numeriert. Auf der B-Ebene gibt es längere narrative Stücke. Die EinSatzKräfte und ihre Texte sind sämtlich rein fiktiv und frei erfunden. Alle Rechte bei der Autorin.
7 Kommentare:
Ihr seid Schlafmützen und Traumtänzerinnen, der, den wir hier beobachtet haben, war nicht wegen des Schreibtischs aufgeregt, sondern weil er endlich zum vernichtenden Schlag ausholen konnte! Daß man auch noch Sonntags nebenher richtig arbeiten muß, empörend!
Er wieder, der Wichtigtuer!
Trinkt erstmal einen Tee.
Tee ist gut, das andere ist doch eher langweilig, möcht ich meinen.
Seht ihr, deswegen habe ich mich mit Karomütze angefreundet, da geht einfach mehr ab!
Wollen doch mal schauen, was die Narzissen meiner Gattin so machen...
Ihr solltet mal meine Lehre von der Porosität nicht vergessen, in der ich bereits vor sehr vielen Jahrhunderten dargelegt habe, daß durch den Austausch von Atomen beim Sehen und Gesehenwerden die einander anschauenden Menschen sich gegenseitig gleichsam poröser machen, das ist eben doch war, auch wenn ihr mit eurem neumodischen Schnickschnack es meintet besser zu wissen.
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