Mittwoch, 31. Dezember 2008

566.

Wir haben mal wieder eine Sitzung der EinSatzLeitung verpasst, sagte der Buchhalter aufgebracht zur Chefin, als er sie, kaum aus seinen eigenen Feiereien zurückgekehrt schon wieder die Bücher zum Jahresabschlußbericht fest in der Hand haltend, endlich am Telefon hatte, sie hätte bei 562 stattfinden sollen, und da das "zwischen den Jahren" war, hätte man durchaus sagen können, man verlegt sie, aber man hätte es doch wenigstens ankündigen und mitteilen müssen, unter dem alten Chef, fügte er schnaubend (und, so vermutete die Chefin, die am anderen Ende der Leitung den Hörer instinktiv etwas weghielt vom zarten Öhrchen, sprühend!) hinzu, wäre das nicht passiert, aber ich habe ja schon damals ... hier unterbrach ihn die Chefin mit freundlicher Deutlichkeit, indem sie bemerkte, daß in einer EinSatzLeitung wie der unseren nicht der Buchhalter die Geschicke leitet, das ist, bei allem Respekt vor Ihrer über jeden Zweifel erhabenen guten Arbeit, eben durchaus eine nützliche Sache, legte nach diesem kleinen Schmetterball aber den harten Schläger gleich wieder aus der Hand und griff zum ganz ganz weichen Tischtennisschläger, indem sie sich sehr herzlich dafür bedankte, daß er auf diesen in der Tat bedauerlichen Fehler aufmerksam mache, es komme nun zwar ein wenig zu spät, aber man könne vielleicht eine Sitzung für - sagen wir - den 600. Eintrag anberaumen, wenn wir dann immer bei den 30er Zahlen bleiben, dann dürfte es doch allen, selbst solchen in Zahlendingen eher schlichten Gemütern wie mir, möglich sein, uns leidlich an den Turnus zu halten, meinen Sie nicht, und vielleicht, legte sie dann noch nach, vielleicht möchten Sie in Zukunft festlegen, wer jeweils das Protokoll schreiben soll?

Dienstag, 30. Dezember 2008

565.

"Ihr werdet immer später mit euren EinSätzen, was ist los," schrieb der Kwaliteitswart aus Amsterdam, wo er auf seinem Böötchen bis zum Jahresende verweilen wollte (die Knallerei mit Feuerwerk über dem Wasser, das ist es überhaupt, hatte er vor der Abreise noch gesagt) in einer sms, "dann hat es euch wohl die politische Sprache verschlagen, und gestern hätten mindestens ein paar Kommentare dahin gehört, am besten auch mal ein Filmchen oder so, ihr habt den Minderheitler mit den grünen Borsten vernachlässigt, und erst recht den Buchhalter," und als die Kreativleitung, die durchaus geplant hatte, noch ein wenig Verwunderung über ihre Assistentin zum Ausdruck zu bringen, den Demokratiebeauftragten mit einer intelligenten kleinen Besserwisserei einzusetzen, ferner eine Anmerkung des klitzekleinen Forschungsministers über die neuesten Forschungen zum Thema "Matrilokalität und Kindessicherheit in Antike und Gegenwart unter Berücksichtigung aller bekannten Kontinente" einzufügen, irgendeinen Pestvogel und vielleicht auch mal wieder einen fehlgeleiteten empörungsbereiten Eins-zu-Einsler einzufügen, sodann die Sache wieder etwas ins Politische zu drehen usw., dies alles aber nicht mehr geschafft hatte, da sie von einer schweren Grippe-Attacke regelrecht umgeworfen worden war, an dieser Stelle der sms angekommen war, erschien die Botschaft "Textteile fehlen," und sie dachte, aha, sieht ja kaum danach aus, als wären das dann nettere Textteile, schaltete das Handy ab, murmelte, soll er doch auf seinem Böötchen herummeckern, wenn er sich langweilt, nahm ein Schlückchen Minztee, vergewisserte sich, daß Mo, angetan mit einem dicken Pullover und einem bunten Halstuch, friedlich vor sich hin kritzelte, und vergrub sich selbst wieder unter ihren Decken, sehr verärgert, daß sie ausgerechnet an diesem schönen Sonnentag so vollständig lahmgelegt war, daß sie nicht einmal einen Komik lesen konnte, und als letztes murmelte sie die idiotische Idee heraus, wie wäre es, wenn heute ausnahmsweise mal niemand getötet würde, nicht wahr, das ist wirklich eine geradezu absurde Vorstellung in Ansehung der Realitäten, und ... du solltest endlich richtig Fieber bekommen, sagte Mo, damit du wieder gesund wirst, es ist langweilig, wenn du den ganzen Tag schläfst und hustest und schläfst und hustest und Tee kochst und hustest und schläfst und hustest ...

Montag, 29. Dezember 2008

564.

Jeder, der einen brutalen Menschen aus der Nähe sieht, fragt sich, warum niemand gegen den aufsteht, warum es wirklich möglich ist, daß der alles mit den ihm privat oder öffentlich ausgelieferten Personen machen darf, ohne scharf verurteilt zu werden, aber es hat sich eigentlich seit Kafkas Beschreibungen einer abgedichteten Welt nicht wirklich etwas verändert, oder, sagte die Assistentin K zur Kreativleitung, als sie am Morgen nach einem fürchterlichen Streit mit dem Vater ihres Kindes mit übernächtigtem Gesicht im Büro erschien, und die Kreativleitung sagte, setz dich erst einmal, trink einen Kaffee, hatten wir das nicht gestern schon, daß alles irgendwie sein müßte, aber so nicht ist, und wütend sprang die Assistentin, die sich doch gerade erst gesetzt hatte, wieder auf, denn sie glaubte, im Streit mit dem Vater ihres Kindes just das von ihm gehört zu haben, dieses "ich-bin-immer-auf-der-Seite-der-Dinge-wie-sie-einmal-sind-du-hingegen-auf-der-des-infantilen-Protests," und sie war sehr froh gewesen, nicht mit diesem Menschen zusammenzuleben, denn dergleichen zu hören fand sie im Zusammenleben nicht weiterführend, sie war sogar ein wenig stolz darauf, ihm dieses auch so gesagt zu haben, und nun sagte sie zur Kreativleitung, als wäre diese dabei gewesen, fang du nicht auch noch so an, und sie nahm erst einmal einen Schluck kaltes Wasser, dann setzte sie sich wieder und sagte, ruhiger schon, da sie an ihrem Gesicht sah, daß die K-Leitung es offensichtlich nicht so gemeint hatte, es ist einfach so lästig, auf der einen Seite diese ewigen Schwaller von familiären Werten usw. mit ihren nicy-nicy Rezeptchen, damit es auch was wird im Vororthäuschen, und auf der anderen Seite die nicht weniger unerträglichen free and easy und mach dich mal locker Typen mit ihren pseudo-psychoanalytischen Zugriffen, die am Ende immer auch im nicy-nicy Vororthäuschen ankommen und immer wen haben, auf dem sie es abladen können, was sie alles besser wissen, und wer böte sich da besser an als eine schwangere Frau, die trotzdem noch an was arbeitet, da kann man doch hier noch einen Rat hinstopfen und da noch einen Ratschlag draufschlagen, und wenn was nicht klappt, ist sie selbst schuld, weil sie nicht auf den Rat gehört hat, und wenn was klappt, ist es das Vedienst der wundervollen Ratschläge, die man ihr erteilt hat, und ein weiteres Argument für die herrlichen Lehren, deren Verbreitung man sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, damit man auch ein Gewicht auf die Teppiche zu stellen hat, unter denen sonst so dies und das hervorquellen würde, ach, sagte sie, und streichelte kurz mit verzückter Miene ihr kleines Bäuchlein, ich wünschte, ich wäre so megacool wie meine neue japanische Schwägerin, mit der mein Stiefbruder in ich weiß nicht wievielter Ehe verheiratet ist, dann würde mir das doch alles nicht so nahegehen, man muß aber fairerweise sagen, daß die auch ihre Verwandtschaft in der Nähe hat, während seine einen ganzen Ozean weiter weg ist, wer weiß wie es wäre, wenn es andersherum wäre, so kommen die jedenfalls klar, sogar in einem Haus.

Sonntag, 28. Dezember 2008

563.

Es war sehr früh am Morgen, als die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse ihren gepackten Koffer in die Wohnküche ihrer Tel Aviver Freundin zog und sich vor dem Eintreffen des am Vorabend bestellten Sammeltaxis zum Flughafen noch schnell einen Kaffee braute, ihre Augen waren von einer fast schlaflosen Nacht ganz besonders gerötet, als sie sich bei der verschlafenen Freundin für die Gastfreundschaft und alles bedankte, und sie sagte, es ist mir schrecklich, dich hier zurückzulassen, natürlich sieht Tel Aviv aus wie immer, natürlich wirst du deine Arbeit machen und feiern wie immer und zuhause dich aufregen, wenn du die Nachrichten hörst, natürlich konnte man dieses Ende eines Waffenstillstands nicht hinnehmen, natürlich schafft ihr das, aber ich habe mir so gewünscht, daß es eine friedlichere Lösung und ein blühendes Gaza geben könnte, mir tun diese Leute, die da die Geiseln ihrer Fanatiker sind und sich darüber selbst fast nur noch weiter fanatisieren können in ihrem Dauerschmerz und den akuten Verlusten so irre leid, und ich werde nie verstehen, warum man nicht viel früher ein sehr robustes UN-Mandat vergeben (und akzeptiert) hat, um die Grenzen scharf zu bewachen und Raketenabschüsse zu verhindern, sie aber durchlässig zu halten für die Lieferung all der Dinge, die ein Gemeinwesen, das sich ernsthaft aufbauen wollte, brauchte, ich kann einfach nicht glauben, daß selbstmörderischer Hass mehr ist als das letzte Mittel von Leuten, die absolut keinen Ausweg mehr sehen und keine Chance darauf, sich ein erträgliches Leben aufzubauen, obwohl ich es doch besser wissen müßte, es hassen auch Leute, denen es nach menschlichem Ermessen gut gehen müßte, aber wenn du heute einem sagst, es ist die Frauenfrage, die am Grunde dieses Überschusses liegt, guckt er dich an, als wüßte er Bescheid, wieder so eine frustrierte Emanzenkrampfhenne usw., ach, sagte sie dann, ich bringe alles durcheinander, und sie schloß die Freundin noch einmal fest in die Arme, bevor sie die Tür hinter sich zuzog, die Treppe hinab eilte und auf die Straße trat, es war noch dunkel, als das Sammeltaxi kam, und so hoffte sie, daß niemand sehen würde, wie sie bei der Fahrt durch die teilerleuchteten Straßen der Stadt ihren Kopf an die rüttelnde Scheibe lehnte und weinte.

Samstag, 27. Dezember 2008

562.

Demokratie ist die beste Rache, ich glaube es hackt, sagte der klitzekleine Forschungsminister, als er am Radio saß und die Nachrichten aus Pakistan hörte, wenn Demokratie als Rache funktionieren soll, hat man doch wohl was nicht verstanden, oder man hat es zu gut verstanden in irgendeinem nietzscheanischen Sinne, und der naseweise Sinologe, in dessen Wohnküche dieses Gespräch stattfand, sagte, manchen Leuten kann man sie eben nur als Rache an ihren von früher Gewalt lädierten Verstand bringen, die Demokratie, anderen als eine besonders raffinierte Herrschaftsform, wieder anderen gar nicht, und mit diesem Allgemeinplatz waren die beiden relativ glücklich, denn so hatten sie doch weitaus kompliziertere Themen erfolgreich umschifft und konnten sich ganz auf ihren Tee konzentrieren.

Freitag, 26. Dezember 2008

561.

Man hätte zu tun, wenn man allen EinSatzKräften in ihre Weihnachtstage erzählend nachfahren wollte, sagte die Kreativleitung, die eigentlich fand, man hätte auch mal ein paar Tage ganz pausieren können, aber die Chefin hatte das nicht einmal für erwägenswert gehalten, es sind doch gar zu viele Leute auch an den Feiertagen im Einsatz, wir können sie nicht im Stich lassen, und so war die Kreativleitung an jedem einzelnen Feiertag und an jedem der Zwischentage damit beschäftigt, aus den vierunddreißig täglich sie bestürmenden Gedankensplittern für einen EinSatz den jeweils am besten passenden auszuwählen, und während sie für Mo etwas vom einzig wahren Rapshonig, welcher fest und klumpig und ganz weiß sein muß und nur bei kleinen Imkern in Norddeutschland überhaupt erhältlich ist, auf eine schmale Apfelscheibe strich (es muß in diesen Tagen ein Apfel der Sorte Ingrid Marie sein, und in den Ofen gehört eine andere Sorte, sagte sie, eine Apfelsorte, die es vielleicht gar nicht mehr gibt und deren Namen man vor den Unverständigen geheimhalten muß, man entferne zuerst das Kerngehäuse, fülle sodann den Hohlraum mit Walnüssen und Sherry, stelle das Ganze in den Ofen und bereite solange eine üppige Vanillesauce), allein die Erzählung des Grundes, aus dem der Oberassistent ausgerechnet von der Chefin mit in ihre mit mehr oder weniger charmanten Devianzen ausgesprochen reich gesegnete Familie genommen worden war, würde mehr als einen Satz brauchen, sagte die Kreativleitung zum kleinen Mo, das auf der Fensterbank eines einsam gelegenen, von netten Angehörigen der K-Familie aber gut bevölkerten Landhauses hockte und wehmütig und sehnsüchtig guckte, ob im frostigen Winde sich nicht doch ein kleines Schneekristall verborgen haben könnte, und Mo schien nicht einmal zuzuhören, aber da näherte sich übermütigen Gesichts einer jener Onkel, die es in diesem Hause reichlich gab, hob das Mo auf seine Hand und sagte, jetzt hast du genug in die Windräder geguckt, sie drehen sich doch eigentlich immer gleich, komm lieber und sieh dir an, was man dir hier Hübsches zubereitet hat, und es gelang ihm für den Augenblick, das Wesen ein wenig abzulenken.

Donnerstag, 25. Dezember 2008

560.

Wenn man die falschen Antworten bekommt, liegt das meistens daran, daß man die falschen Fragen gestellt hat, sagte die steinalte Großtante der Chefin, die auf dem Anwesen ihres Sohnes in ihrem Ohrensessel saß und mit fest in ihr Gesicht eingeschweißtem Schmunzeln ihre Weisheiten vor sich hin sang, während das Kind sie mit seltsam berührtem Interesse betrachtete und sich in Anwendungsfällen übte, nach welchen es nicht lange suchen mußte, denn gerade hatte sich wieder irgendein religiöses Oberhaupt sehr verletzt gefühlt durch die Äußerungen eines anderen religiösen Oberhauptes und beide gemeinsam durch blasphemische Äußerungen von Menschen, die sich doch tatsächlich weigerten, irgendeiner Religionsgemeinschaft anzugehören, und für sich in Anspruch nahmen, nach bestem Wissen und Gewissen nach dem Besten zu streben, selbst wenn sie nicht permanent die Werte der Werte- und Verwertungsgemeinschaften im Munde führten, und so fragte das Kind schließlich, Großtante, nein, Urgroßtante, welche falsche Frage hat denn der gestellt, der meint, durch ihre bloße Existenz würden die Kraniche einen unerträglichen Affront gegen die Brachvögel darstellen, und die Großtante der Chefin sagte, sie haben gefragt, wo ist der heimliche Angriff auf uns, und da sie ihn nicht fanden, haben sie ihn, weil er doch da sein mußte, in die Flugordnung der Kraniche verlegt, an der immer irgendetwas falsch ist, die Alten aber waren darum von tiefer Weisheit, wenn sie jedem Einzelnen, den sie grüßten, als erstes zuriefen: "Fürchte dich nicht."

Mittwoch, 24. Dezember 2008

559.

Die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse hatte sich rechtzeitig auf die Flucht vor dem Weihnachtswesen begeben und frühstückte an diesem Morgen wohlausgeschlafen in der Tel Aviver Schenkinstraße in einer angenehmen kleinen Bar mit ihrer Freundin, entzückt dem Wohlklang der Landessprache und einiger anderer Sprachen lauschend, mit Genuß die verschiedenen Varianten gehobener und nicht ganz so gehobener Spontaneität und Eitelkeit der Leute beobachtend, die es hier immer verstanden, ein Element von Schlamperei ins Teure, ein Element von Teurem ins Schlampige zu mischen; dabei trank sie einen "umgedrehten Kaffee" nach dem anderen, und nachdem ihre Freundin sich eine Weile über den "Apifior" und seine letzten Aussprüche ereifert hatte, lächelte sie und sagte, trotzdem oder deswegen ist er irgendwie Kult bei der Jugend, wie erklärst du dir das, und gerade die Szenen, die sich jetzt so empören, die nehmen ihn natürlich auf eine Weise wichtig, man fragt sich doch, wie sie dazu kommen, mir würde das doch nicht einfallen, eine Weile habe ich mich damit beschäftigt und abgewogen, irgendwann ist das doch vorbei (dreifaches doch, dododo statt hohoho, und dazu spielte Dodo Mamarosa im Hintergrund), sagte sie, und: ich meine, wie kann man überhaupt jemanden ernstnehmen, der sich selbst so deutlich ausnimmt von allem, was er anderen umso vehementer rät, da kannst du doch am Ende nur immer noch eins draufsetzen, wenn mal einer was merken soll, ich habe eine Idee, willst du ihm nicht mal einen Heiratsantrag machen und gucken, was er dann sagt, schreib ihm inbrünstig, du willst gern ein Kind von ihm, in einer ganz besonders tollen Familie, es ist dir von der heiligen Jungfrau Maria eingegeben worden als deine persönliche Bestimmung, und die Freundin guckte sie entgeistert an, so blasphemisch fand sie diese im Grunde doch ganz naheliegende Idee, und dann sagte sie entsetzt, aber prustend mit rollenden Augen, am Ende sagt er noch ja, was mach ich dann, und die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse sagte, so ernst habe ich es nun auch wieder nicht gemeint, und während am Nebentisch eine kleine Gruppe sensationslustiger Tel Aviver sich verabredete, dann und dann zur Messe in die Grabeskirche nach Jerusalem zu fahren, überlegten sie gemeinsam, mit wem sie ihren für den späten Nachmittag geplanten Strandspaziergang teilen sollten, aber die Freundin konnte sich nicht recht wieder beruhigen und sagte, du wirst irgendeine Abbitte leisten müssen für deinen perversen Gedanken, und die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse sagte, mindestens, sonst werde ich eingesperrt und behandelt, perverse Gedanken darf man sich nur erlauben, wenn man ein paar größere bunte Immobilien nebst Mannschaft drumherum baut, und sie sagte, lass gut sein, und dann bummelten die beiden durch die Geschäftsstraße und sahen sich an, was die lokalen Schaufensterdekorateure wieder geleistet hatten, es war enorm, und der leichte Wind vom Meer her versetzte die Minderheitlerin in eine durchaus gehobene und überaus friedliche Stimmung.

Dienstag, 23. Dezember 2008

558.

Dame Ö traf Vorbereitungen für einen Ausflug, unterbrach aber ihr Räumen und Wesen für fünf Minuten, um einen Glückwunschanruf zu tätigen, meckerte sodann beim Durchsehen der mitzunehmenden Bekleidung ein wenig mit ihrem Nachwuchs herum, dem es wieder einmal nicht gelungen war, die helle Buntwäsche ganz ohne Beimischung einer diesmal dunkelblauen Socke zu waschen, so daß ausgerechnet die Farbe ihrer altrosa Lieblingsbluse eine bläuliche, stark ins Graue spielende Tönung erhalten hatte, so etwas möchte man doch nicht einmal mehr bügeln, sagte sie mit wild auf und ab tanzender Braue, und der Nachwuchs lachte nur und sagte, das merk ich mir, das sage ich jetzt immer, so etwas möchte man doch nicht einmal mehr bügeln, hahaha, und die Dame Ö fand sich in einer jener Situationen, in denen sie sich einfach nicht entscheiden konnte, ob sie weiter zürnen und konsequent sein wollte, oder ob sie vielleicht ihrerseits lieber den Vorschlag machen sollte, gemeinsam in der Stadt nach einer neuen Bluse zu suchen, pädagogisch ist beides doch völlig falsch, sagte sie sich, aber was willst du schließlich machen.

Montag, 22. Dezember 2008

557.

Ja, das 19. Jahrhundert mit seiner Sucht nach durcherzählten und wissenschaftlich erhärteten Geschichten, fing der Demokratiebeauftragte und stille Theologe den Ball von Heinrich Heine auf, während er das Farbspiel in seiner Schokolade-Tasse beobachtete, in der er langsam rührte, das war ja in meinem Fach hauptsächlich die Geschichte der Leben Jesu Forschung, da haben sie gedacht, es muß doch irgendwo aus diesem armen kurzen Leben ein paar originale Aussprüche geben, wir müssen doch herausfinden können, was es mit diesem Typen auf sich hatte, und mit Paulus usw., und dann haben sie alles umgedreht, klar, eine ganze Welt gebaut auf sieben Briefen, vier reichlich durcherzählten Evangelien und ein paar epigonalen Zusätzen, da kann zu der Zeit keiner mehr mit fertig werden, es muß alles gesagt werden, alles, und zwar systematisch, sonst hat man keine Sicherheit, es muß durchstudiert sein, damit es durcherzählt werden und wissenschaftlich erhärtet abgeschlossen werden kann, es muß klar sein, wer die Guten und wer die Bösen sind, das sowieso, aber auch, was echt ist und was Kopie, und was sie dann angehäuft haben, spätestens im 19. Jahrhundert, sind Berge von Literatur, in denen sie sich um jedes einzelne Komma streiten, und zwar immer, so habe ich damals in den Seminaren gedacht, immer mit der falschen Frage im Kopf, mit dieser seltsamen Sicherheitsfrage der Historiker, wie war es wirklich, und die Chefin schmunzelte, obwohl sie eigentlich angefangen hatte, sich ein bißchen zu langweilen und immer häufiger nebenher die Gesichter der Kommenden und Gehenden zu studieren, während sie das Reden des Demokratiebeauftragten so an ihr Ohr plätschern ließ, nicht unaufmerksam, durchaus nicht, aber bemüht, nicht wieder an Sahne hängen zu bleiben, und sie sagte, ja, was sollen sie denn sonst wissen wollen, Geschichte ist eben ein Prozess, also auch ein Gerichtsprozess, so müssen sie es wohl gedacht haben, und immer wollten sie alles nochmal aufrollen, denn ihre Evangelien erzählen ihnen schließlich, immer wieder, daß sie schuldig sind, das muß doch abgewendet werden, naja, antwortete der Demokratiebeauftragte, Kierkegaard zum Beispiel hat sich auf seine Weise über sie lustig gemacht, hochformal und kühn, indem er ein Büchlein veröffentlichte, in dem lediglich vier Vorworte standen, phantastische Idee, fand ich, die rettet ein ganzes Jahrhundert, dachte ich damals, denn es war ja das 20. Jahrhundert und man wußte, wir haben allenfalls Fragmente, man fing an, das zu ehren, das Fragmentarische, und heute, sagte er dann, indem er den Blicken der Chefin und ehemaligen Demokratiebeauftragten folgte, heute sind die Leute sämtlich komplett fragmentiert, und entsprechend sind überall Rattenfänger, die versprechen, sie komplett und toll wieder zusammenzunähen, und da laufen sie dann hin, und er seufzte und lachte, und die Chefin sagte, ja, die Welt ist schlecht und dumm, und dann gibt es noch überall diese Privatgelehrten, nicht wahr, und der Demokratiebeauftragte sagte, ja, einen von denen haben wir doch auch, was macht eigentlich der klitzekleine Forschungsminister über Weihnachten, wissen Sie das?

Sonntag, 21. Dezember 2008

556.

Die Chefin und der Demokratiebeauftragte hatten sich zu einem kleinen Kaffee verabredet, denn die Chefin wollte einmal wissen, warum eigentlich der stille Theologe aufgehört hatte, ein Theologe sein zu wollen, und so saßen sie in einem jener kleinen Hauptstadtcafés, in denen man einfach nur weil es Sessel gibt wie ausgenommen ist vom sonstigen Trubel, obwohl man mitten drin sitzt, beide ohne Kaffee, sie mit Tee und er mit Schokolade, und etwas von der Schokoladensahne blieb an seiner Oberlippe hängen, als er nachdenklich sagte, naja, es fing alles damit an, daß jemand bei mir über "Antriebslosigkeit" klagte, und daß ich dann, ihn zu trösten und zu ermuntern, sagte, die Zwangsvorstellung, nach der wir alle immer furchtbar initiativ und umtriebig und angetrieben und selbstantreibend sein müßten, unabhängig von Alter, Geschlecht und Lebenslage, gehöre ja zu den zynischen und menschenverachtenden und übrigens äußerst heteronomen Monstrositäten des Spätkapitalismus, und ich bepredigte damals diese Person mit Gnade und Geschenk und den hohen Tugenden der Passivität und des Annehmens als den eigentlichen Brunnen der Freiheit, denn obwohl ich damals wie zu keinem Zeitpunkt meines Lebens auch nur das Geringste mit der Sühnopferlehre anfangen konnte, war ich dem Kirchlichen irgendwie gewogen, es ist doch viel Wahres und Nettes darin, und natürlich auch viel schreckliches Zeug; dann aber, wenige Wochen später, kam einer von diesen jungdynamischen Kirchentypen aus der Kirchenleitung auf mich zu und horchte mich aus über den Menschen, mit welchem ich gesprochen hatte, denn er sei eigentlich ein sehr begnadeter Mensch, nur schade um ihn, daß er nichts daraus mache, und warum der so depressiv sei und daß man da doch etwas machen und sich kümmern müsse, und da hätte ich dem am liebsten eine Ohrfeige verpasst, habe ihm gesagt, wie verlogen ihr doch seid, ihr seid an der vordersten Front dieser Ideologie in allem, was ihr so treibt, und wenn einer eure Lehren ernstnimmt und sich ein wenig zurückhält, seht ihr darin einen Grund, euren wohlgeschmierten Erbarmungsapparat auf ihn loszulassen, mit dessen Hilfe ihm zuverlässig jeder Rest von Selbstbewußtsein und Lebensfreude ausgetrieben würde, wenn er sich in irgendeiner Krise auf ihn einließe, wenn er sich aber trotz Krise nicht darauf einläßt und sich selbstbewußt und energisch und geduldig zutraut, klarzukommen, dann stellt ihr ihn unter Beobachtung und entlaßt ihn erst wieder, wenn ihr glaubt gesehen zu haben, daß er jetzt wirklich ganz eine eigene Initiative ergriffen hat, was ihm natürlich jede Initiative unmöglich macht, weil sie immer nur Gehorsam wäre, und wo er doch mal etwas Eigenes an alledem vorbeimogelt, schlagt ihr drauf und beweist ihm, daß das nicht die Initiative ist, die ihr gemeint habt, und wenn er aufgibt, schreit ihr ihn an, er muß auch mal kämpfen, aber wer angeschrien und blockiert wird, der kann um gar nichts mehr kämpfen, wenn er keine faschistoiden Neigungen hat und sich nicht zum Teil just desjenigen Kampfapparates machen will, der ihn so angeschrien hat, aber wenn er dann klein beigibt, habt ihr wen zu betreuen, was eurer Selbstlegitimation sehr zugute kommt, und so ist das bei euch wie in allen geschlossenen Anstalten dieser Welt, habe ich dem gesagt, und ob du nun von der Stasi kommst oder von der Una Sancta oder von irgendeinem Freidenkerverein oder einem Gefängnisdenkverein, es gibt doch nach unseren mühsam durch Aufklärung etablierten Prinzipien nirgends eine Rechtfertigung dafür, einen Menschen zu einem Fall zu machen und sich ihm mit diesen jammervollen indirekten Anbaggerungen zu nähern, die eure Spezialität sind, und zu sagen, das sei nun die richtige Kommunikation oder was dergleichen Unsinn mehr ist, da fand er mich doof, und ich habe mich abgewandt und mich dafür entschieden, das Wenige, was mir bleibt von allem, was ich gelernt habe (und gerne gelernt habe) zu gebrauchen, um hier und da ein paar Anmerkungen zu machen und ein Auge darauf zu haben, wo die Leute sich in jene unerhörten Widersprüche zu verwickeln und sich zu Handlangern irgendwelcher blöden Apparate zu machen scheinen, und, ja, sagte er, und wischte sich endlich die Sahne von der Oberlippe, so ist das gewesen, und nun bin ich da und mache dann und wann meine Anmerkungen, dazu lächelte er erwartungsfroh, und die Chefin fragte sich, warum ihr seine Rede so fade und ervernünftelt vorkam, obwohl doch alles, was er gesagt hatte, ganz richtig war.

Samstag, 20. Dezember 2008

555.

555, unnötig zu sagen, daß man bei so einer Zahl wieder auf den Buchhalter schaut, der heute indes findet, mit sowas gebe er sich nicht ab, das sei doch allzu offensichtlich, nein nein, murmelt er, du kannst dich noch so schick machen, dumme Zahl, ich beachte dich nicht, und das ist nur zu deinem Besten, ich erlöse dich damit von deinem eitlen Mathematiker mordenden Narzißmus wie die arme Turandot, Zahlen und Frauen sollen sich am Ende dem Manne und seiner prachtvollen buchhalterischen Vorherrschaft ergeben, sonst wird das nichts, ich meins gut mit dir, Zahl, wirklich, und durchtrieben von diesen Gedankenschwaden, die er aus einem Buche hat, das von der Kreativleitung und dem Demokratiebeauftragten in Gemeinschaft mit der Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse regelmäßig als gefährlicher Unsinn von gehobener Grausamkeit verunglimpft wird, zieht er in aller Gelassenheit ein Minze-Zweiglein durch seine Teetasse, schaut in den überraschend grauen Himmel, murrt nicht einmal "herein," als es an der Tür klopft und die Leitung Öffentlichkeit vor ihm auftaucht, und als sie sich setzt, um zu sagen, sie habe Hinweise, daß ein Herr Schmidt und ein Herr Pocher ziemlich viel unternehmen, um endlich auch einmal im EinSatzBuch erwähnt zu werden, sie schmeicheln Mo mit Schneeflocken und der Kreativleitung mit vom Himmel fallenden Männern, da sagt er nur, ach je, wenn man allen diesen Hinweisen nachginge, man müßte nach und nach die ganze Branche aufnehmen, das kann doch keiner wollen, oder haben sie ein Zahlungsangebot gemacht, und die Leitung Öffentlichkeit sagt, davon haben "die Kreise" nichts gesagt, und der Buchhalter sagt, qui non est inkasso non sit in actis, und die Leitung Öffentlichkeit fragt ihn verblüfft, haben Sie sich heute gedopt, Mann, Sie sind ja richtig witzig drauf!

Freitag, 19. Dezember 2008

554.

Nachwuchs Ö stand in diesem Jahr zum ersten Mal in seinem jungen Leben vor der Frage, wen von seinen Eltern er mit einem Weihnachtsbesuch zu beehren gedachte, und er hatte sich entschieden, die Tage vor Heiligabend mit diesem selbst bei seiner Mutter zu verbringen, den Rest der Feierlichkeiten dann bei seinem Vater, in allem diesem aber vor allem recht viel mit seinen alten Freunden zu machen, um nicht allzu viel (man beachte das dreifache „All“) im jeweiligen Zuhause herumzuhängen, aber als er sich am Tage seiner Anreise aus der Universitätsstadt allein in der Wohnung seiner Mutter befand und von ihrem Computer aus seine elektronischen Kontakte pflegte, konnte er sich doch nicht enthalten, eine kleine Arztrechnung, die da so unbeaufsichtigt auf ihrem Schreibtisch herumflog, anzuschauen; da er aber ein ehrlicher Junge war, fragte er abends, als sie nachhause kam, seine Mutter, sag mal, warum hast du denn einen Aids-Test machen lassen, und Dame Ö errötete überhaupt nicht, als sie ihm mit völlig unverrutschter Braue erklärte, sie sei vor ein paar Jahren – übrigens ohne Wissen irgendwelcher Mitmenschen, so viel ihr bekannt sei – einmal etwas leichtsinnig gewesen, und da sich in der Zeit seither etliche kleine blöde Erkrankungen, mit welchen ihr Immunsystem üblicherweise problemlos fertig zu werden pflegte, unangenehm gehäuft und in die Länge gezogen hatten, habe sie im Zuge einer generellen Gesundheitsprüfung auch dieses einmal wissen wollen, ob das nun seine Neugierde befriedige, oder, fragte sie, soll ich dir noch ein paar andere Unterlagen zeigen, damit du dir nicht beim Suchen die Finger schmutzig machen mußt, Kindchen, und nun wurde ihr Nachwuchs ein klein wenig rot, fing sich aber sofort wieder, umarmte sie ein wenig unbeholfen und sagte, du kennst mich doch, wenn du die Sachen herumliegen läßt, dann seh ich sie eben auch...

Donnerstag, 18. Dezember 2008

553.

Ob es wirklich Sympathie war, war nicht ganz klar, aber aus irgendeinem Grunde hatte die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse sich angewöhnt, dann und wann beim Buchhalter hereinzuschauen, der meist ebenso früh wie sie im Büro war und in seiner ganzen Unwirschigkeit - sein wunderbares Renovierungsprogramm, das ohnehin relativ schnell wieder zu bröckeln begonnen hatte, hielt im Winter gar nicht, er fühlte sich nur selten gelaunt, irgendwelche Online-Dates zu organisieren, und wegen der Kälte hatte er seine alten karierten Flanellhemden wiederentdeckt, so daß er eigentlich aussah, wie man ihn immer gekannt hatte, mißmutig, oftmals erkältet, pedantisch in Zahlendingen, ansonsten eher weniger "ansehnlich" - doch so etwas wie eine kleine grummelnde Sympathie anzudeuten schien, und als sie heute bei ihm hereinschaute, fragte er sogar, warum sie so besorgt drein schaue, und sie sagte, nunja, ich habe telefoniert, und meine Verwandten machen sich Sorgen wegen der Raketen, hier wiederum versteht das keiner, ich meine, die Leute verstehen nicht, daß auch "arme Würstchen" ganz schön viel Mist bauen können, wenn sie sich allzusehr im Recht fühlen, und ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber wenn ich Jugendlicher unter irgendeinem blöden superreligösen kleinen Provinzregime wäre, das nicht einmal das bißchen Vergnügen erlaubt, das man da noch haben kann, ich würde es womöglich auch toll finden, einen bösen Feind zu haben, der an allem Schuld ist, so daß man ihn mit Raketen beschießen kann, das macht doch umso mehr Spaß, je größer der Stress zuhause ist, und vielleicht würde auch ich Hurra schreien, wenn die Chefs sagen, sie sind an einer Fortsetzung der Waffenruhe nicht interessiert, aber es macht mir eben Sorgen, und der Buchhalter, der ein bißchen in der Zeitung gelesen hatte, sagte, schon klar, aber ich versteh noch etwas anderes nicht, nämlich was eigentlich gegen internationale Truppen spricht, wer soll denn da bitte noch "bilateral" verhandeln?

Mittwoch, 17. Dezember 2008

552.

Dichter, Dichter, was für ein Unsinn, so doch nicht, wütete der Kwaliteitswart, und stürmte ins Kreativbüro, wo er die Kreativleitung wieder übermüdet auf ihrem Drehstuhl sitzend fand, während Mo kaum atmend auf ihrem Fell lag und schlafender als schlafend wirkte, die Kreativleitung zerknüllte gerade eine von diesen lächerlichen Aufforderungen zu Aktivität, Lebensmut, Netzwerken und Betteleien, die für Leute, denen man alles genommen und in deren Leben man sich auf die perfideste Weise eingemischt hat, nur der letzte Hohn sind, und sagte, da sie sich über das Gesicht des Kwaliteitswarts trotz allem freute, lächelnd, na, wie gehts uns denn heute, immer noch wütend, aber worüber denn, und der Kwaliteitswart sagte, da bemüh ich mich und bemüh mich, und Sie sind nicht da, schießen Eigentore, lassen Mo wahllos schlafen und lange Reden halten und - und webe weiter an dem Wandteppich, unterbrach ihn die Kreativleitung, wenn mal Zeit dafür ist vor lauter Netzwerken in dem Versuch, selbst Leute zu sehen, die mir gefallen, und denen zu gefallen und dann noch Leuten zu gefallen, denen ein innerer Zwang verbietet, sich einen Menschen gefallen zu lassen, den sie gerade brauchen, weil er nicht ist wie sie, den sie aber aus demselben Grund nicht ertragen können, sondern unbedingt sich gleichmachen müssen, unter fadenscheinigsten pseudorationalen Prätentionen, wollen Sie das sagen, und der Kwaliteitswart sagte, nicht schon wieder, und dann mußte er auch lächeln und sagte, also gut, dann werde ich mal einen Kaffee holen, 551.B. ist aber wirklich nicht schön geworden, das werden Sie doch einsehen, und die Kreativleitung sagte, klar, es hat schon beim Schreiben genervt, an die besseren Stücke kommts nicht ran, aber ich hab gedacht, nur aus Glanzstücken wird kein Teppich, er braucht doch auch seine matten Stellen, holen Sie sich den Kaffee, dann gehen wir es mal durch, vielleicht läßt sich dies und das retten.

Dienstag, 16. Dezember 2008

551.B

Darf es in der Moderne Arbeitsteilung geben, in der auch Dichter vorkommen, oder müssen alle eigentlich entweder Techniker, Manager, Administratoren, Banker, Kommunikationstechniker oder Loser sein? Darf es Unterschiede zwischen Männern und Frauen geben, oder müssen auch Männer unbedingt schwanger sein wollen? Dürfen Menschen mit besonderen Begabungen die durch diese verhängten Entscheidungen irgendwann treffen? Darf es die Weisheit der mehr als vernünftigen Selbstbegrenzung der technischen Vernunft geben, die Goethe „Religion“ genannt hat, oder muß der stumpfsinnigste Hirnforschungs-Psychologismus erbarmungslos so lange als die ultima ratio gelten, bis sämtliche Kommunikationen alles Gesellschaftliche, alle Lebensweisheit, alle Diplomatie und noch die schwache Möglichkeit von Liebe als Ereignis zwischen zwei bestimmten Menschen beseitigt haben? So fragte die völlig übermüdete Kreativleitung, die sich mitten in der Nacht mit Mo im Bündel in ihr Büro geschlichen hatte, weil sie hoffte, auf dem Teppich liegend, mit den Füßen auf der Sitzfläche ihres Drehstuhls, besser schlafen zu können als in ihrem öden Bett, das leer war, weil, ja, warum eigentlich, fragte sie ausgerechnet Mo, denn die Anworten aller anderen kannte sie schon, sie interessierten sie schon lange nicht mehr. Mo aber, welche sich damit beschäftigte, auf der Kniescheibe der Kreativleitung Piruetten zu üben und dabei immer wieder herunterfiel, blieb nach dem auf die Fragen der Kreativleitung folgenden Sturz auf dem Teppich, setzte sich im Schneidersitz neben die Kreativleitung und sagte mit großen runden Augen und sehr ernst knisterndem Stimmchen: In dem Buch, das ich mal gelernt habe, stand: das Schlachtfeld, auf dem du einmal verloren hast, sollst du nicht wieder betreten, die Waffe, mit der du verloren hast, sollst du nicht wieder in die Hand nehmen, einen Menschen, der dich langfristig und planmäßig mißhandelt und gedemütigt hat, sollst du nicht wieder anschauen, eine Gemeinschaft, die dich abwertet, um dich zu gebrauchen und zu mißbrauchen, sollst du verlassen, wenn du sie nicht auf andere Wege bringen kannst, und die Pläne anderer Leute sollst du so lange anhören und ernstnehmen und verhandeln, wie diese Leute Respekt zeigen vor den Bereichen, die für sie absolut tabu und unbeeinflußbar und unbetretbar sind. Wenn sie aber erbarmungslos das Spiel „wir machen uns einen Menschen zum Gegenstand“ spielen und alles, was sie wollen, an deinem wachen Bewußtsein vorbei mogeln wollen, weil sie schon wissen, daß du ihnen widersprechen wirst, und weil sie das, was du sagst, aus irgendeinem Grund nicht akzeptieren wollen, denn dann müßten sie dich achten, und das können sie nicht, dann sollst du solange überleben wie du kannst und sie in der Zwischenzeit selbst die Leiter hinabsteigen lassen, die alle hinabsteigen, die ihre Lieblingsobjekte bekriegen und bezwingen und beseitigen. Am Ende haben solche Menschen wie deine Quälgeister ihre Lieblingsobjekte immer kaputt, sie wissen nicht einmal, daß es ihre Lieblingsobjekte geworden sind, aber wenn sie kaputt sind, dann wissen sie es und weinen ihnen nach, wenn die Lieblingsobjekte schon lange keine Tränen mehr haben, weil sie die Schlachtfelder, an denen die Sieger verzweifelt interessiert bleiben, lange aufgegeben haben. Man lasse die Sieger also herabsteigen. Der Abstieg verläuft immer gleich, so steht es in jenem Buch, wenn ich das richtig in Erinnerung habe: Am Anfang steht die wilde Aktivität des Kampfes. Es folgt für die Sieger der Sieg. Er macht sie täglich vulgärer in ihrem Triumphalismus. Wenn nichts passiert, schleicht sich allmählich Beklemmung ein. Sie wird zur Angst vor den Besiegten. Diese wird zum Schuldgefühl. Damit will man fertig werden. (Das ist die Zeit der überfüllten Gefängnisse und sinnlosen Todesurteile). Also sucht man verzweifelt nach den Gründen, aus denen die Besiegten besiegt wurden und nicht wieder auf die Beine kommen. Man findet sie in der Dummheit und Schwäche der Besiegten, ihre Gegenwehr gegen diese überwältigenden Beobachtungen wird zum Argument für die Richtigkeit der Diagnose, egal, ob die richtig oder falsch ist. Der Anblick der so gesehenen Besiegten verursacht weitere Häme der Sieger über die Besiegten. Manche der Besiegten, so fürchten die Sieger, könnten darüber gefährlich werden, manche werden es und ziehen in schmutzige Kriege und erzwingen so weitere Siege, die für beide die Situation noch verschlimmern. Die Besiegten, die da nicht mitziehen, mögen klüger sein als die kriegerischen, gelten aber mit all ihrem Kraftaufwand, den sie gegen diesen Sog stemmen und der sie schwach macht, nun sowohl unter den Besiegten als auch unter den Siegern als noch dümmer. Nur die allerwenigsten und die allerklügsten bleiben in all ihrer zusammengedonnerten und totmanipulierten Rückständigkeit und Besiegtheit einfach auf irgendeine Weise (sogar als Tote) immer noch in der Welt. Sie entwickeln eigene Kraftquellen und andere Formen der Kraftentfaltung. Die werden von den Siegern weder erkannt noch respektiert. Stattdessen belästigen die Sieger die Geplagten mit besserwisserischen Belehrungsversuchen oder Schlimmerem, wodurch gerade die Klügeren der Besiegten noch weiter kaputt gemacht werden. Für die Sieger wird nun bald die letzte Stufe des abgewehrten Schuldgefühls erreicht: Sie besteht, bei unveränderter Deckelung der Besiegten durch die Sieger, welche sich freilich zusehends zerstreiten, im erbarmenden und herabbeugenden Bemühen um das Wohlbefinden der Besiegten. Wenn diese wieder nicht dankbar sind, wenn sie immer noch nicht das tun, was man von ihnen erwartet, dann gibt es nur noch zwei Möglichkeiten: Entweder den großen Vernichtungsschlag oder endlich das Eingeständnis der Schuldangst und der Schuld auf seiten der Sieger als ihr eigenes und eigentliches Problem mit den Besiegten. Der Versuch der Sieger, die Schuldangst zu vermeiden – dies ist das Geheimnis der Christianisierung Roms, die zu wiederholen säkulare Liebhaber des Westens ernsthaft fürchten sollten – hat den erst nur mentalen, später auch militärischen oder politischen Sieg der ehemals Besiegten zur Folge. Ihm kann man nur zuvorkommen mit Einsicht auf Seiten der Sieger, mit Einsicht, daß der Sieg andere Tugenden und Schwächen hervorbringt als die Niederlage. Erst der auf dem bearbeiteten Schuldgefühl gedeihende (und gegen alle doofen Insinuationen einer gegnerischen Übermacht und der Dolchstöße der Freunde durchzuhaltende) ernsthafte Respekt der friedlichen Sieger vor dem Leiden und den neuen, für Sieger gar nicht erreichbaren Qualitäten der friedlichen Besiegten könnte die Aufhebung der Dynamik von Sieg und Niederlage einleiten. Erst mit diesem Respekt würde der grauenvolle Prozess von Sieg und Niederlage, der in dem alten Satz "victi victoribus leges dederunt" beschrieben ist, aufgehoben werden können. Das ist politisch. Wir würden uns nur dann nicht islamisieren, wenn wir von uns aus diesen Respekt lernen könnten. Ansonsten werden wir uns tatsächlich in unsere eigene Islamisierung hineinsiegen, und ich bin dagegen, sagte Mo, die selbst verwundert war über ihre lange lange Rede. Am Ende hatte sie fast gekräht. Zumindest die intelligenten und gutwilligen Besiegten könnten, wenn wir es anders schaffen, wieder leben, träumte sie nun weiter - mit ihren neuen Kräften (Kräften, die ein ewiger Sieger nicht kennen kann), und endlich frei von dem verlogenen Zwang, so wie die Sieger sein zu sollen, nur billiger, und endlich frei von dem Zwang, die anzuerkennen, zu respektieren und zu bewundern, die ihnen doch nur Leid zugefügt haben. Aber je länger man wartet, wisperte sie, und wurde ängstlich, denn schließlich war ihre Zuflucht vor den wilden Autoritäten ihrer Heimat ja bei den Siegern, da diese milder waren als ihre eigenen Despoten, je länger man wartet, desto größer werden die feindseligen Kräfte auch unter den Besiegten. Dann werden sie Sachen machen, die nicht respektabel sind. Dann werden die ehemals Besiegten im schlimmsten Fall selbst nach langen gräßlichen Kämpfen siegen. Zwar steigen sie dann irgendwann ihrerseits wieder dieselbe Leiter hinab. Aber bis dahin werden wir ja nicht leben, und es kann doch ganz viel kaputt gehen, und was nützt es den ermordeten Iranern, wenn ihre Nachlebenden den Anfang vom Ende des Mullah-Regimes sehen? Man muß ganz stark sein gegen die Harten unter den Besiegten, eiferte sie nun wieder, also gegen die, die nicht einfach nur ihre Sache machen, sondern die jetzt selbst siegen wollen - wie es ihnen doch durch die Sieger immer empfohlen wird. Ach, seufzte sie dann: Es gibt nur ganz wenige Völker in der Welt und ganz wenige Führungen, die es als Sieger und als Besiegte zu einem anderen Verhalten gebracht haben. Mo streckte sich, immer noch verblüfft von ihrer langen Rede, und schaute zum ersten Mal nach ihrer Trance wieder auf die Kreativleitung. Aber die Kreativleitung hörte nicht mehr zu. Sie war endlich eingeschlafen.

551.

Die Assistentin K bekam einen immer runderen Bauch und horchte häufig in den Nächten mit den Nerven in das Innere dieses Bauches hinein, fragte sich, was das wohl für ein Wesen sein mochte, das sich da merklich zu regen begann, und war auch im Büro gelegentlich in etwas anderer Verfassung als sonst, zugleich freilich durchaus irritabel, wenn jemand wagte, sie darauf anzusprechen, was den Unerfahrenen schon mal unterlief, wenn sie etwa die Nase beim feinsten störenden Geruch rümpfte oder überaus gereizt auf den auf allen Leitungen gerade wieder mächtig anschwellenden Lärm der Verwertungsgemeinschaft reagierte, und während die Damen sich überwiegend verständig dazu verhielten und keine großen Worte, sondern eher mal ein paar kleine Witze machten (eine gewisse Ausnahme machte die Leitung Öffentlichkeit, der man es nicht übelnehmen konnte, da sie nun einmal so war, die Assistentin K ging ihr aus dem Weg, sie mochte sich mit den speziellen Verkrampfungen dieser Dame nicht abgeben und hoffte, deren Position würde sie erstens ausreichend in Atem halten und zweitens glücklich genug machen für ausreichend friedliches Alltagsverhalten), während der klitzekleine Forschungsminister munter in seinen Archiven kramte und für sie ein paar Bücher des Pädagogen Korczak und einiger bemerkenswerter deutschsprachiger Autorinnen zusammenstellte, während der Demokratiebeauftragte sich angelegentlich nach irgendwelchen Rollenfragen erkundigte und im übrigen alles seinen gewohnten Gang ging, schien ausgerechnet der Kwaliteitswart, als er an diesem Morgen erschien, darauf aus zu sein, sie richtig zu nerven, er sagte, wäre es nicht besser gewesen, gestern die Teile aus der Kommentarebene nach oben zu ziehen und auf der Kommentarebene den Lagerfeuermann von Ihrer komischen Musiktruppe als Film einzustellen, und als die Assistentin sagte, sie habe dies als Film nicht gefunden, da regte er sich gleich auf und sagte, ja, können Sie das denn nicht selbst, was machen Sie denn hier, und wo ist überhaupt Ihre Chefin, Sie sind ja bloß noch mit Ihrem Bauch beschäftigt, so geht das natürlich nicht, und während die Assistentin noch gar nicht fassen konnte, wie ihr von diesem überwiegend als freundlich bekannten Mann geschah, ging der Kwaliteitswart mit prüfenden und nervösen Blicken durch alle Regale, nahm hier etwas auf und stellte da etwas woanders hin, zupfte am Wandteppich herum und schob Unterlagen hin und her und spähte auf alle herumliegenden Zettel, bis die Assistentin ihm schließlich ein kleines Flugblatt in die Hand drückte und sagte, bitte gehen Sie, auf dem Blatt steht, warum Sie gehen müssen, und die Kreativleitung kommt erst morgen wieder, Sie brauchen hier nicht auf sie zu warten.

Sonntag, 14. Dezember 2008

550.

Karomütze kam am Morgen von einem nächtlichen EinSatz ins Büro und hatte ein Gesicht mit zwei Hälften, die eine amüsiert, die andere not amused, und als der Buchhalter, welcher bereits ein paar Zahlen gedreht hatte und soeben seinen Earl-Grey-Beutel aus dem Teeglas zog, ihn fragend ansah, sagte er, während er in seiner beherrscht zappelphilippischen Art an den Kaffeeautomaten ging, hast du gestern den Tatort gesehen, wie findest du die Idee, den Polizeipsychologen mit einem Globus spielen zu lassen, und der Buchhalter sagte, ja, ich habe an deine Globensammlung gedacht, natürlich, natürlich, ach übrigens, wie geht es dem Straußenei, wie solls ihm gehen, sagte Karomütze, das kannst du nicht reparieren, und ich komme sowieso zu nichts, aber du wirst lachen, es fängt an, mir so zu gefallen, fast wie ein Gesicht, dem man ansieht, daß der Mensch etwas mitgemacht hat, es gibt außerdem einige Gebiete, die völlig unversehrt sind, am besten gefallen mir die Zwischenzonen, und seufzend sagte er, da der Buchhalter nicht antwortete und nur gedankenverloren in seinem Teeglas rührte, während Karomütze selbst einen großen Schluck Kaffe beherzt herunterstürzte, im Absetzen der Tasse, naja, aber wir müssen uns jetzt doch mal darum kümmern, daß aus allem, was wir der Welt so bieten, auch für uns etwas mehr herauskommt als Ruin und der Stress, den einem Leute verursachen, die erst alles kaputt machen und dann wichtig genommen und bedankt werden wollen - und darum werden wir wohl sogar auch noch den Vogelflug und das versammelte Wohlmeinen der Brach- und Pestvögel weiter beobachten müssen, wie, aber manchmal habe ich dazu keine Lust mehr, sagte er, du kannst ja gegen gewisse Übermächte nicht an, die Chefin mit ihrer Leidenschaft für einseitige Lieben wird von denen, die sie einseitig liebt, nicht einmal erkannt, die fordern stattdessen immer mehr und immer selbstloseren Einsatz, da fehlt doch die harte Hand einer echten Verteidigung, den ehemaligen Chef ersetzt sie so jedenfalls nicht, und ich bin mittlerweile bei meinen Globen auf die Suche nach neuen Weltgegenden gegangen, in denen es auch nett sein könnte, wenn hier das Theater unerträglich wird, noch kämpfe ich ein bißchen, aber irgendwann wird gekündigt, übrigens sagt auch Dame Ö immer, confront your enemies, avoid them if you can, und vielleicht hat sie mehr recht als uns allen lieb ist, ich habe ihr immer widersprochen, bevor diese Sache mit dem Straußenei passiert ist, und der Buchhalter sagte, gemach, gemach, die Tage werden auch wieder heller, und ich glaube, obwohl ich sie auch nicht so mag, die Chefin setzt sich am Ende doch auf ihre Weise durch.

549.

"Wieso hast du denn jetzt noch die Pestvogelin eingeführt," fragte die Chefin, als sie den Kaffee in die Stube ihrer Häuslichkeit brachte, in welcher neben ihrem Kind und einer Freundin auch die Kreativleitung saß und Mo ein Stück Honigkuchen fütterte, "es kommt mir etwas schwierig vor," und die Kreativleitung sagte, "ja, kann sein, daß ich mich verheddert habe, ich wollte sie eigentlich heute dann auffliegen und persönlich bei uns vorsprechen lassen, ich wollte, daß aus dieser Vogelwelt einmal einer die Stirn und eine Freimütigkeit habe, und dieses wollte ich evtl. der Pestvogelin zutrauen, aber dann fiel mir auf, daß ich die Natur der Fama völlig unterschätzt habe, also irgendwie muß es ja dahin kommen, daß sie in einen neuen Denkprozeß gesetzt wird,diese Pestvogelin, wozu sie erst einmal wissen müßte, was der erzählende Kranich in seiner Spottlust über sie gesagt hätte, wenn sie es aber hörte, würde sie sich erst einmal empören, und an der Stelle stockt es nun, dabei hatte ich eigentlich gestern noch ein paar andere mögliche Entwicklungen auf dem Schirm, wunderbar poetische Sachen - bis ich mich eben zu interessieren begann für die Fama, und dann kam auch noch Karomütze und verlangte - mit einem gewissen Recht - man solle mehr sagen über die Schwierigkeiten der Soldaten in Afghanistan, mit der Bevölkerung den guten Kontakt zu halten, den sie zu Anfang mal zu haben schienen, und, ja, da habe ich plötzlich diese Chauvi-Idee gehabt, mal eine Pestvogelin vorzustellen," und die Freundin des Kindes guckte das Kind an und sagte, "wohl eher vorführen," und das Kind guckte seine Freundin an, und dann fingen alle an zu lachen, wobei Mo ein paar Krümelchen des Honigkuchens versprühte.

Samstag, 13. Dezember 2008

548.

Was der erzählende Kranich zu erzählen hatte, war freilich nicht so erfreulich, denn er hatte bei seinem Überfluge nicht nur gesehen, daß Pestvogels wieder hochaufgeplustert aktiv war, sondern er hatte, im Tiefflug sich annähernd, bemerkt, daß der Herr sich seit geraumer Zeit der überaus rührigen Unterstützung durch eine Pestvogeldame erfreute, welche lange Jahre als Geliebte eines gebundenen Pestvogels gedient, dann aber irgendwann den Absprung in eine wohltemperierte Ehe geschafft hatte und, da ihr Leben im übrigen in Bahnen verlief, welche bei günstigsten Umständen ihr merkwürdigerweise umso unbefriedigender waren, je unbedingter sie als zufriedenstellend dargestellt werden mußten (das war nötig, damit sie auch ausreichten als Beweis für die Reife, zu der diese immerhin professionelle Reifungen und Reifeprüfungen durchführende Dame nun endlich gelangt war), da also diese Dame sich auf gut deutsch in ihren normalen Geschäften etwas langweilte, so gefiel es ihr anscheinend, nunmehr als außerordentlich dringliches Anliegen die Bekehrung sämtlicher "ödipaler" und "bindungsunfähiger" Frauen (ob nun innerhalb oder außerhalb der Vogelwelt) vor sich her zu tragen, was ihr insonderheit dann wichtig wurde, wenn die ausweislich ihrer nicht überprüfbaren Beziehungen garantiert ödipalen Frauen auch noch über etwas wie "Ausstrahlung" und "Intelligenz" verfügten, und kurioserweise hatte sie hier ausgerechnet das kleine verschrumpelte Mo im Verdacht, überall herumzuwildern oder doch wenigstens schwer dazu geneigt zu sein etc., weshalb es ihr dringlich war, Mos Kaltstellung, notfalls durch brachiale oder manipulative "Heilung," zu verfolgen, indem sie überall erst ein Bedrohungsszenario ausmalte und dann die suggestiven Rezeptchen hier und da installierte, und alles dieses tat sie so wohlverborgen, daß nicht einmal Karomütze ihr auf die Schliche gekommen war, erst jetzt, da der erzählende Kranich es gleichsam wie durch einen Zufall herausgefunden hatte (von oben stellen sich die Bewegungsabläufe selbst scheinbar unübersichtlich durcheinanderflatternder Invasionsvögel oftmals sehr geordnet dar, und dann findet man die Stelle, an der ein Tiefflug lohnt, schmunzelte das Tier), würde er davon erfahren, und es würde eine große Szene geben, nahm der erzählende Kranich an, und wenn er das schon ankündige, müsse man wohl davon ausgehen, daß auch die Pestvogel-Brachvogel-Kombo wieder mit verstärktem Einsatz von Sicherheitskräften reagieren werde, da man Karomütze eben wieder einmal zutrauen werde, völlig durchzudrehen und alles dieses und etwa mit schwerbewaffneten Schnellschußautos durch Menschenmengen zu rasen, Gegenstände von Brücken zu werfen oder was dergleichen gefährliche Aussetzer mehr wären, und die Kreativleitung lachte, als sie bei dieser Vorstellung ihre Assistentin die Augen verdrehen sah, Mo aber, die gerade wieder winzige Flügelansätze entwickelt hatte, fühlte diese wieder schrumpeln und sagte, ich hatte schon fast gedacht, es wäre überstanden und ich dürfte mich einfach mal freuen, ich habe mich so über den Besuch gefreut und auf eine kleine schöne Erzählung, und sie verbeugte sich unbeholfen vor dem erzählenden Kranich, berührte noch einmal kurz seine äußerste Schwungfeder und verkroch sich dann ohne weitere Geräusche unter den karierten Schal und auf ihr Fell und wurde für den Rest des Tages weder gehört noch gesehen.

Freitag, 12. Dezember 2008

547.

Im Überfliegen der Landschaften seiner verschiedenen alten Heimaten sah der erzählende Kranich, welche Verwüstungen die Pest- und Brachvogelschwärme nicht nur in den Poldern, sondern auch an vielen anderen Stellen, Seeufern, Auen und Mittelgebirgslandschaften angerichtet hatten, und er dachte bei sich und in den eisigen Lüften, vielleicht wäre es doch besser gewesen, ich wäre bei meinem Schwarm (aber bei welchem?) geblieben und mit ihm in den Süden geflogen, statt mich hier im Norden mühselig und allein herumzutreiben und nun gar noch irgendeine Großstadt anzufliegen, nur um zu schauen, was das kleine Mo treibt und ob es sich auch über das bißchen Schnee auf den Dächern ein bißchen freut, aber als er schließlich am Fenster des Kreativbüros landete und sogleich hereingebeten wurde, da waren seine Zweifel verschwunden, er tänzelte dem Flugschwung im Landen noch ein wenig nach, schüttelte einige kleine Eiskristalle aus seinem Gefieder, verbeugte sich wie zufällig ein wenig vor der Gastgeberin und ihrer Assistentin und ließ sich von einem entzückt strahlenden Mo ein wenig Honig an den Schnabel schmieren.

Donnerstag, 11. Dezember 2008

546.

Der Innenminister hat gesagt, man soll selbst besser auf seine Daten aufpassen, sagte der Buchhalter, will er damit sagen, daß er das nicht kann oder will, und heißt das jetzt konkret was für uns?

Mittwoch, 10. Dezember 2008

545.

Haben Sie eigentlich irgendwelche Rezepte für den Umgang mit der Temporalität von Instinkten, fragte die Chefin den ehemaligen Chef, als sie sich in dessen Häuslichkeit am Adventskranz niedergelassen hatte und in das widerliche Wetter und eine Welt hinaus starrte, die ihr an solchem Tage gleichwiderlich erschien, mochte auch der Garten des ehemaligen Chefs ordentlich und gepflegt und immerhin ein wenig grün aussehen, es wirkte doch alles allzu aufgeräumt und eingekastelt und irgendwie "falsch," fand sie, und vergaß darüber fast ihre Frage, aber da sagte der ehemalige Chef, der seinerseits gedankenverloren den Blicken seiner Nachfolgerin gefolgt war, mit etwas verspäteter Verwunderung, ich verstehe Ihre Frage nicht, und die Chefin sagte, naja, wenn man etwa ein Boot von den üblichen Bahnen abweichen und auf das eigene Schiff zukommen sieht und nun abschätzen soll, welches Boot ein Piratenboot und welches ein freundliches oder hilfebedürftiges Boot ist, wie macht man das, man muß doch auf so einer Fregatte mit so einem Auftrag schnell reagieren, und wie geht man damit um, daß man manchmal zuerst "rational" handelt und dann erst nachträglich instinktiv spürt, daß da etwas ganz faul war, während es oftmals richtig ist, wenn man scheinbar irrational und falsch "aus dem Bauch heraus" handelt usw., wie geht man damit um, und der ehemalige Chef sagte, man muß immer rational handeln, so habe ich das immer gemacht, und die Chefin mußte lächeln, denn sie erinnerte sich an viele Situationen, in denen das nun ganz und gar nicht gestimmt hatte, allerdings war wirklich fast immer dumm gewesen, was er gemacht hatte, wenn er keine "ratio" hatte walten lassen, insofern war das für seinen Teil dann doch wieder ein richtiges Urteil, was man ihm so freilich nicht sagen konnte, also starrte sie wieder in den Regen, lächelnd jetzt, aber schließlich fiel ihr doch noch eine Sache ein, die sie ihm guten Gewissens präsentieren konnte, nämlich sein merkwürdiges, allen rationalen Argumentationen unzugängliches und darum nur umso beharrlicheres Engagement für Mo, durch das er sich bei der einen Hälfte der EinSatzKräfte eher sehr unverständlich bis unbeliebt gemacht, bei der anderen aber unvergänglichen Respekt erworben hatte, und sie sagte es ihm, und er lächelte, und seine Gattin lächelte, und alle drei waren darin einig, daß sie dieses Thema nun weiter nicht erörtern wollten, viel interessanter erschien es doch, sich weiter bei den Piraten aufzuhalten und dabei, wie man sie von anderen Bootsleuten unterscheiden könne, wozu die Gattin des ehemaligen Chefs beizutragen wußte, daß man in jenen Gewässern wohl stets mit dem Schlimmsten zu rechnen habe und bisher eher zu naiv gewesen sei, wenn sie sich allerdings vorstelle, daß ihr Sohn auf einem dieser Schiffe, also...

Dienstag, 9. Dezember 2008

544.

Du mußt jeden Tag nachlegen, jeden Tag, sagte Karomütze, der noch ganz benommen war von den Debatten und bei sich beschlossen hatte, die Wochenenden nie mehr auch noch mit Kollegen zu verbringen, du mußt jeden einzelnen Tag nachlegen und auf alle deine Bewegungen aufpassen, so gefährlich ist die Welt, sagte er zur Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse, deren Augen an diesem Morgen besonders gerötet aussahen, erinnerst du dich an die Geschichte mit dem Handy neulich, hast du das mitbekommen, und jetzt ist doch tatsächlich klar geworden, daß einer von diesen Typen vom fremden Geheimdienst schon wieder alle Daten hat, alle, ich habe genau rekonstruiert, wie es gewesen sein könnte, und die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse gähnte und sagte, aber das ist doch klar, das ist doch immer schon klar, findest du nicht, daß man sich irgendwie daran gewöhnt und dann auf komische Weise nachlässig wird, und sie sagte, am Ende zählt doch das Herz, und Karomütze sagte, Herz, Herz, ich kenne genügend Leute, die mit ihrem Herzen eigentlich die Guten mögen, aber wenn sie sich bedroht glauben, eben doch diejenigen, denen "eigentlich" ihr Herz gehört, preisgeben, und die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse sagte, es ist schlimmer, sie glauben nur, ihr Herz gehöre denen, die sie preisgeben, und in Wahrheit gehört es immer schon denen, die diesen und ihnen selbst gefährlich sind, und sie suchen dann nur einen Grund, aus dem es unbedingt notwendig ist, leider leider das, was ihnen angeblich das Liebste ist, preiszugeben, aber das ist alles schon irgendwo gesagt worden, man muß nur, da haben Sie wohl recht, jeden Tag nachlegen, jeden einzelnen Tag, und dann wird es auch nichts nützen, und sie ging an den Kaffeeautomaten und holte sich einen recht starken Espresso und freute sich, als sie die Dame Ö ins "Bistro" kommen sah, die seltsamerweise völlig munter aussah und bis an die Ohren lachte.

Montag, 8. Dezember 2008

543.B

Das kleine Mo auf dem Schoße der Kreativleitung schnaufte wie üblich leise in seinem Schlaf, und es wurde darin beunruhigt durch die Geräusche der vielen Stimmen am Küchentisch in ihrem sinnloser und sinnloser werdenden Gerede. Wohl war das Wesen mittlerweile recht gut daran gewöhnt, im Büro dann und wann ein Gewirr von Stimmen zu hören, aber zuhause, und dann auch mit einer selbst genervten Kreativleitung, das kannte es so kaum.
Es hielt seine Händchen an die Ohren, als es einnickte, und in seinem Traume saß es wieder im Käfig, umstellt von Menschen, die teils achtlos vorbeigingen, teils in den Käfig schauten und jede einzelne kleine Bewegung Mos kommentierten, während der Wächter klimperte und in sich hinein und aus sich heraus und in die Menge strahlte, weil alles so gut gelungen war. Da saß er nun an seinem Flügel mitten im Walde, im Käfig das Mo, und um den Käfig herum viele Menschen mit vielem und großem Wissen. In verschiedenen Abstufungen der Erregung sprachen sie auf einander ein und bildeten viele Sätze darüber, wie diese und wie jene Bewegung Mos zu verstehen sei. Mo, deren Wunsch sich zurückzuziehen schon seit sie in dem Käfig saß nicht mehr erfüllbar war, konnte fast ebenso lange keine Sätze und nicht einmal den Wunsch mehr bilden, gelegentlich herauszukommen. So überdrehte sie regelmäßig und turnte vor und versuchte, die gaffenden Menschen auf der anderen Seite des Käfigs zu foppen, zu erschrecken und zu verwirren. Sie hoffte, sie dadurch zu verscheuchen, zu überfüttern oder dazu zu bewegen, einen Schlüssel zu finden und sie herauszulassen. Das tat aber keiner, so daß sie solange tobte, bis sie einen schrillen Schrei ausstieß und in sich zusammensank. Sie nannten es eine hysterische Inszenierung und wiesen einander auf die Einzelheiten hin, über die sie dann unter Berücksichtigung einer Fußnote hier und einer anderen Angabe da diskutierten. Dann und wann näherte sich ein Einzelner mit pflegerischem Blick, wurde aber von einem zu mehr Vorsicht und Rücksicht mahnenden anderen wieder zurückgepfiffen, denn so, wurde ihm beschieden, kommt man nicht zum Ziel. Bei Borderlinern sei es ganz wichtig, daß man nicht zu direkt vorgehe, sie könnten sonst leicht die Grenze zur Psychose überschreiten usw., dagegen bei rücksichtsvollem Verhalten der Umgebung, mit ein wenig Beschäftigung usw., ein fast normales Leben führen. Ach so ist das, sagten andere, und wie wollen Sie das garantieren? Wieder große Diskussion, mehrere wissenschaftlich sehr anerkannte Verfahren wurden gegeneinander abgewogen und in Anschlag gebracht, man war nun froh über die Atempause, denn wie hätten sie das so schön weiter diskutieren können, wenn Mo keine Pause in ihrem Toben gemacht hätte. Das Ziel war nicht klar, niemand kannte den Weg, und keiner wußte um die Kraft, die diesem Vorgehen selbst innewohnte, denn niemand wollte es wissen. Mo aber (wie es in eines der Krankheitsbilder passte) nahm ihnen alles ab. Noch die Kenntnis dieser Struktur der Veranstaltung, banal wie sie war, nahm sie ihnen ab. So ging es regelmäßig. Wenn sie dann ein wenig geschlafen hatte, vor Erschöpfung unbekümmert um die auf ihr liegenden Blicke, dann pflegte sie irgendwann zu erwachen, so auch in diesem Traum, sich zu strecken, sich aufzusetzen und ruhig zuzuschauen, wie man ihr zuschaute. Lange konnte sie so sitzen. Man rätselte dann, warum das Lemurenwesen, das schon durch die Augen der Frau schimmerte, sich nicht regte, man fragte sich, wie sie es aushalte und warum man nichts sehen könne, man überprüfte an alten Aufnahmen von ihrem Käfigverhalten, welche man mit den verschiedenen Lehrbüchern der verschiedenen Schulen abglich, die verschiedenen Varianten ihres Verhaltens. Manche erwogen, sie zum Platzen und in einen Zusammenbruch zu bringen, andere fanden, sie sei geplatzt genug, man müsse jetzt eher mal wieder zusammenführen - und Mo saß solange und fragte sich, wie es wohl komme, daß keiner von denen merkte, wie unglaublich vorläufig seine vermeintlichen Erkenntnisse und wie unendlich blöd sein Verhalten war, wie jämmerlich die Ausbeute seiner Voraussetzungen, wie schamlos die Maßnahme, die da getroffen wurde gegen ein Menschenwesen, das sie zu jener Zeit noch war. Nach mehreren Stunden pflegte sie von ihren Beobachtungen genug zu haben und aufzuspringen und wieder irgendetwas vorzutoben. Im Traum wurden daraus Minuten, vielleicht nur Sekunden, aber immer wieder fühlten sie sich an wie Stunden. Als die Gäste der Kreativleitung - nach etlichen mehr oder weniger versöhnlichen Wendungen des Gesprächs - gegangen waren und diese selbst erleichtert aufseufzte, weil es nun wieder still war, erwachte Mo sofort. So verpasste sie für diesmal die Rede eines neu herzugekommenen Arztes, der üblicherweise in jedem Traum wieder sagte, nun, immerhin keine Gefahr für die Umgebung, aber doch ein schwerer Fall von paranoischer Schizophrenie, wird früher oder später in die Dementia praecox führen. Gewiß gewiß, pflegte dann, auch in jedem Traum, eine ältliche Dame zu sagen, der man noch eine ehemalige Stämmigkeit ansah, die mehr in ihrer Seele zu sein schien, gewiß gewiß, sagte diese üblicherweise, bis dahin können wir aber vielleicht auch versuchen, sie zu integrieren. In jedem Traum wieder pflegte Mo an dieser Stelle zu hüpfen und zu schreien und zu rufen, o ja, Integrieren, Integrieren. Im Traum und im Erwachen fiel es Mo nicht schwer, sich an dieser Dame eine gewisse Uniform vorzustellen. Indem sie erwachte, ersparte sie sich für diesmal diese Vorstellung, rollte nur mit den Augen und murmelte einmal kurz "integrieren" - dann war sie wieder in der Wohnung der Kreativleitung.
Sie setzte sich aufrecht hin, ließ sich von der Kreativleitung in die Augen sehen, sah zurück und sagte: Man wird komisch, man will irgendwann allein sein, wie kommt das nur? Lass es dir egal sein, sagte die Kreativleitung, es ist wie es ist, es ist gekommen, wie es gekommen ist, und irgendwann kann es wieder anders kommen, es war ja schon anders. Und sie strich Mo ein wenig über das Köpfchen und herzte sie ein wenig und sagte, man überlebt immer nur bis jetzt, aber immerhin bis jetzt.
Dabei dachte sie an die Steine, die in diesem Augenblick an einem anderen fernen Ort durch die Luft flogen, und wie viele eben immer doch irgendwen trafen, von den Gewehrkugeln und den Messern zu schweigen, was denkst du auch daran, und mit einem kleinen Seufzen legte sie die Hand an die Narbe auf Mos Rücken und holte ein Schwämmchen und wischte Mo den Schweiß von der Stirn. Das ist doch kein Leben, dachte sie, wieso muß ein Mensch mit so etwas leben, und andere triffts noch viel schlimmer. Aber da war Mo selbst schon wieder ganz glücklich, denn am Fingerchen hatte sich noch ein kleiner Rest Honig gefunden, und ein Blick aus dem Fenster ließ in ihr eine winzige Hoffnung auf Schnee aufkommen. Oder haben wir etwa Juni, fragte sie dann. Es wird ja wohl nicht jetzt schon anfangen, dachte die Kreativleitung, ich dachte, ich hätte sie gerade wieder halbwegs hingekriegt.

543.

Der Kwaliteitswart brachte es am Sonntag trotz der unübersehbaren Begrüßungsfreude schließlich dahin, einen kleinen Unmut bei seiner Gastgeberin zu provozieren, indem er sich mit dem klitzekleinen Forschungsminister gegen Karomütze verbrüderte, welcher stellvertretend für eine schlecht beratene polizeiliche Einsatzleitung bei einer Berliner Demonstration zur Rechenschaft für ein sinnloses Eindreschen auf gegen Rechte demonstrierende Schüler gezogen wurde, wobei sich selbst Assistentin K wenn auch maßvoll und zögerlich auf die Seite derer schlug, denen die "Bullenkritik" allzu flink von den Lippen kam, und während Mo von ihrem Sitz rutschte und sich aus dieser Runde leise davontrippelnd verabschiedete, versuchte die Kreativleitung, die Erinnerung an nervtötende Wohnküchensitzungen früherer Jahre bei den älteren Gästen wachzurufen und bei den jüngeren zu einem Exempel auszumalen; der Kwaliteitswart aber, indem er die Exemplifizierungen und die gesamtsystemkritischen Ausführungen des klitzekleinen Forschungsministers, welcher sofort das Wort zu einem Koreferat ergriffen hatte, durch eigene Heldengeschichten aus alten Tagen zu illustrieren versuchte (Kampf mit der holländischen Polizei bei einer Demo für die Legalisierung des privaten Hanfanbaus usw.) provozierte die Kreativleitung schließlich zu der kurz vor mißmutig vorgebrachten Bemerkung, sie habe nie verstanden, warum damals, als sie noch in solchen Küchen zu sitzen pflegte, niemand habe einsehen wollen, daß man anstatt die Polizei pauschal zu beschimpfen es sich doch auch zur Aufgabe machen könne, selbst in den Polizeidienst zu gehen, sie habe nie verstanden, warum das kein Thema für die Verfechter des langen Marsches durch die Institutionen gewesen sei, man könne doch gerade als Polizist mit Freude an der Kontrolle rechter Demonstranten mitwirken, sie habe dafür damals ein Beispiel gehabt in einem Bekannten, welcher Mitglied der Polizeigewerkschaft gewesen sei, aber überhaupt sei eben in jenen Jahren der Typ des "Politmackers" eher der dominierende gewesen, keine wirkliche Freude für die Damen ringsum, welche sich freilich gerächt hätten, indem sie selbst auch nicht gerade eine wirkliche Freude wurden, redete sie sich in einen kleinen Eifer, und eigentlich müsse man der jüngeren Generation immer nur danken, daß sie aus alledem das Brauchbare genommen und das Unbrauchbare aussortiert habe, sie würde die Jugend allerdings bitten, bestimmte Themen langfristig eben nicht mehr den engstirnigen und arroganten Rechten allein zu überlassen, und übrigens, ragierte sie weiter, umgekehrt greift neuerdings doch gerade unter den Linkeren des Landes diese ganze Disziplin- und Sekundärtugendenmode so um sich (als sehnte man sich wieder nach den alten K-Gruppen) was soll das eigentlich, und wenn ihr noch irgendwelche Fragen habt,,, sagte sie dann, weil alle sie plötzlich etwas entgeistert ansahen, und erhob sich erstmal, um nachzuschauen, wo Mo geblieben war, kehrte mit dem bekannten Bündel auf dem Schoß zurück an ihren Platz und lauschte nun wieder ergeben dem weiteren Verlauf des Gesprächs, das von Griechenland auf Benno Ohnesorge auf die entsetzlichen Folgen der iranischen Revolution auf Afghanistan sprang und sie irgendwann an diese merkwürdige Neigung der Bundesrepublikaner zum ergebnislosen Politisieren erinnerte, ohne daß ihr dagegen mehr eingefallen wäre als vorzuschlagen, am Abend den Film mit den Drachen anzuschauen.

Sonntag, 7. Dezember 2008

542.

Die Kreativleitung war dabei, in ihrer Wohnung ein kleines Adventsfrühstück für sechs Personen auszurichten, heute einmal streng symmetrisch: Assistentin K und Karomütze, Kwaliteitswart und sie selbst, und Mo und klitzekleiner Forschungsminister, und die Assistentin, die frische Minze für den Tee putzte, meinte, schön gedacht ist das ja, aber kreativ nun gar nicht, gerecht übrigens auch nicht, völlig falsche Privilegierungen, aber die Kreativleitung war überhaupt nicht gesprächig, sie summte vor sich hin und wartete auf das Klingeln (Karomütze und Kwaliteitswart waren noch nicht da, während der klitzekleine Forschungsminister wie so oft einfach zwischen den Kissen des Sofas im Chefinnenbüro übernachtet und es irgendwie schon zur Kreativleitung geschafft hatte, wo er nun aus den ihm möglichen Perspektiven die Wohnung inspizierte), rückte hier an einer Vase mit Amaryllis-Stengeln, da an einem Kerzenleuchter, beschickte den Toaster mit Industrietoasts für die Fächer und türkischem Milchfladen für den kleinen Drahtaufbau (oder wie nennt man das, also das, wo die Brötchen immer aufgelegt werden können, während darunter dann die Toasts verschmoren?), holte ein paar Stoffservietten aus der Tischschublade, fuhr sich etwas unkoordiniert durch die Haare, denn am Morgen und bei diesen Tätigkeiten konzentriert zu sein, fiel ihr von jeher nicht leicht, lauschte dann angenehm abgelenkt den Entzückensgeräuschen von Mo, welche drei verschiedene Honigsorten vor sich aufgebaut fand und überall schon ihr winziges Fingerchen hineingesteckt hatte, und hoffte, das Gemaule der Assistentin würde sich legen, wenn sie erst einmal ein bißchen Schafskäse mit Oliven und Honig zu sich genommen haben würde, aber sicher war das nicht, und von irgendwoher breitete sich plötzlich auch in ihr das Gefühl aus, der Buchhalter und die Chefin würden sich vernachlässigt fühlen, der Oberassistent müsse endlich einmal wieder irgendein mindestens symbolisches Marzipan bekommen, und Dame Ö würde doch um Himmels willen an diesem Morgen nicht alleine in ihrer kleinen Wohnung sitzen, aber als es klingelte und der Kwaliteitswart hereinspaziert kam, da vergaß sie alle diese Gedanken, rannte nach kurzer Begrüßung schnell in die Küche, weil sie fürchtete, die Milch könne überkochen, und arbeitete schweigend weiter am Frühstück und an Mos klebrigen Händen, während sich die anderen um den Tisch versammelten, um sich des Kwaliteitswarts ausführliche und muntere Beantwortung der Höflichkeitsfragen anzuhören.

Samstag, 6. Dezember 2008

541.

Nach einem Blick in die Nachrichten war der im übrigen nicht zum Herumschleudern nationaler Symbole geneigte Demokratiebeauftragte versucht, ein Deutschlandfähnchen aus seinen Archiven zu kramen, denn daß die EU die Kanzlerin brüskiere, das ging nun, wie er fand, gar nicht, und als er mit der Leitung Öffentlichkeit telefonierte, um zu fragen, ob man dazu etwas sagen solle, antwortete diese, Sie müssen verstehen, was ich hier gerade ganz privat lerne: wie tief im Manne die Angst, überflüssig zu sein, verwurzelt ist, und wenn sie können, wälzen sie es in bekloppten geheimen Absprachen vielleicht sogar mal auf höchster Ebene auf eine Frau ab, natürlich immer mit davon völlig unabhängigen rationalen und politischen Motiven, ich meine, dieses Überflüssigsein, vor dem sie sich so fürchten, und der Demokratiebeauftragte sagte, ich sehe, Sie feiern Wochenende, an sich hatte ich Sie für resistenter gehalten gegen diese unzulässigen Vermischungen (vielleicht die Schwangerschaft, dachte er, aber er wußte, daß er das nicht sagen durfte, wenn er seinen liberalen Ruf nicht gefährden wollte) ich kann ja schlecht ein Verständnisfähnchen hissen, um meine Solidarität zu bekunden, und die Leitung Öffentlichkeit sagte schnippisch, dann feiern Sie doch auch Wochenende und lassen einfach Ihre Fähnchen stecken, und die Assistentin K, als sie diesen Unsinn geschrieben hatte, rannte mit überlangen Schritten schnell aus dem Büro, denn auch sie hatte noch Besorgungen zu machen...

Freitag, 5. Dezember 2008

540.

Die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse war an diesem Morgen entschlossen, eine Repolitisierung der Veranstaltung einzuleiten, es gehe so nicht weiter, die Welt der Sicherheitsbeauftragten etc., die Häuslichkeit des ehemaligen Chefs, das sei doch alles vollkommen unpolitisch, und dann auch noch das Gedöns des stillen Theologen, der sich völlig unerklärlicherweise seit geraumer Zeit "Demokratiebeauftragter" nennen durfte und dabei demnächst aus den Tiefen seiner religiösen Bildung noch ein Scheidungsverbot holen würde, matt gekontert durch irgendwelche Bemerkungen von Dame Ö über Miltons Scheidungsprobleme und große Dichtungen, nein nein, so konnte es nicht bleiben, die Minderheitlerin wurde fast hysterisch, wenn sie nur darüber nachdachte, und so fischte sie sich aus dem Internet einen jener stets verstörenden kleinen Texte über Ehrenmorde in Großbritannien, in dem es jemand endlich mal zu dem Satz gebracht hatte "Immer geht es dabei um Beherrschung und Kontrolle der Frauen, um Identität und Abgrenzung von der britischen Mehrheitsgesellschaft," dazu viele grauenvolle Fallbeispiele und eine Bilanz des politischen und behördlichen Umgangs mit diesen Sachen, darüber müsse man jetzt mal diskutieren, welcher Mißbrauch hier mit Identität und Abgrenzung getrieben werde, und wie diese Begriffe verunglimpft würden, obwohl sie eigentlich völlig richtig seien, und sie wedelte mit dem Textausdruck entschlossen herum, als sie ins "Bistro" stürmte, wo sie vorläufig allerdings nur den Oberassistenten antraf, der mit seiner ewigen Überschätzungssuada auf den klitzekleinen Forschungsminsiter einsprach, welcher vor ihm auf dem Tische saß und sich über die stachelige Rücklehne, die ihm der Adventskranz bot, nicht wenig ärgerte, während er sich nun also anzuhören hatte: Werte, Werte, europäische Identität und Menschenrechte, wird doch alles überschätzt, und der klitzekleine Forschungsminister wurde immer ungeduldiger, denn so ein undifferenziertes Gebrabbel, das ging doch gar nicht, so fing er seinerseits an, draufloszuschnarren, und die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse sah, daß es nicht sinnvoll sein würde, hier dazuzustoßen, wie die Leute das immer nennen, setzte sich an einen anderen Tisch und dachte, in ungefähr zehn Minuten wird der Demokratiebeauftragte kommen, das könnte etwas interessanter werden, und kopfschüttelnd las sie sich den Text noch einmal durch.

Donnerstag, 4. Dezember 2008

539.

Der ehemalige Chef saß in seinem Lehnstuhl mit Blick nach draußen und ärgerte sich ein wenig über die Krähen, welche lärmend in seinem Garten herum pickten, er las, nachdem er ein paar kürzeste Nachrichten zur Kenntnis genommen hatte, in seinen alten Büchern und brummte gelegentlich wohlgefällig oder übellaunig vor sich hin, und das Wetter zog sich zusammen, die Uhren tickten, seine Zeit lief ab, die Gattin räumte im Garten herum, ohne die Krähen aufscheuchen zu können, was für morbide Betrachtungen, dachte er, als er bemerkte, wie lange er sich schon in den Anblick des Himmels und des Gartens versenkt hatte, man muß sich doch um die Welt kümmern, dachte er, aber was, wenn die das nicht will, dachte er, und plötzlich fiel ihm auf, daß er ewig nichts mehr von Mo gehört hatte, daß er niemals seinen Plan, nach ihr zu sehen, realisiert hatte, und daß es dafür zu spät geworden sein könnte, und er nahm nicht das Telefon in die Hand und rief nicht in der EinSatzLeitung an, denn eigentlich hatte er doch wirklich nichts damit zu tun, und er fragte sich, ob er früher vielleicht ein wenig zu streng gewesen sei mit manchem, oder zu nachlässig, und als seine Gattin sich auf den Hintereingang des Hauses zu bewegte und in Aussicht stand, daß sie nun bald den Tee und die Kekse bringen würde, da seufzte er dankbar auf, denn es ist nicht schön, wenn man zu lange nicht in ein Gesicht sehen kann, und er erwischte sich dabei zu hoffen, daß er vor ihr sterben möchte.

Mittwoch, 3. Dezember 2008

538.

Beim Frühstück fragte das Kind, Mami, was soll ich bloß studieren, und die Chefin sagte, du willst nicht wirklich, daß ich dir das sage, und als das Kind ein wenig funkeläugig murrte, es macht mir aber Spaß, deine Vorschläge abzulehnen, sagte die Chefin, indem sie schnell wieder ernst wurde: was ich dir nur raten kann, egal was du studierst, ist, beizeiten darauf zu achten, daß deine Leistung belohnt wird, nicht bestraft, das klingt selbstverständlich, ist allerdings manchmal erstaunlich schwer zu erreichen, und man muß, wenn es die Welt nicht tut, oft selbst dafür sorgen, auch wenn es einem von manchen Leuten übel genommen wird, aber ohne das geht es nicht, irgendwelche Belohnungen müssen sein, ein paar Jahre hält man es ohne aus, wenn dann nichts kommt, wenn im Gegenteil nur noch Strafe folgt, ist der Ofen aus, und der skeptische Blick, den sie für diese Antwort erhielt, stimmte die Chefin hinsichtlich ihres Kindes so zuversichtlich, daß sie sich in aller Ruhe an die eigenen Vorbereitungen für den Arbeitstag machte, während es draußen allmählich hell wurde, und sie versuchte, viel von dem Licht in ihre Augen zu nehmen, denn mit diesen würde sie in wenigen Stunden einigen Abgeordneten der Verwertungsgemeinschaft in ihre von knallhartem Verwertungsinteresse blendfesten Gesichter sehen und sprechen müssen, und es würde schwierig werden, sie würde die Kreativleitung beneiden, obwohl sie genau wußte, daß an der nichts Beneidenswertes war, auch das Umgraben jener Schichten, aus denen Einfälle kommen, ist harte Arbeit, und auch das Herumkämpfen mit den Abgeordneten der Verwertungsgemeinschaft kann manchmal ein wenig Spaß machen, dachte sie, und wieder einmal straffte sie ihren Rücken und verließ sich darauf, daß sie im durch den Gedanken an die Kreativabteilung eröffneten winzigen Innenraum den Platz gewinnen würde, von dem aus sie die Haigesichter, während sie mit ihnen sprechen würde, einschätzen konnte, sie würde vermutlich sehen, daß diese wie üblich in ihrem "Power-Play-Panzer" reichlich eingesperrt, aber deswegen nur umso gefährlicher waren (wie unglücklich kasernierte Fremdenlegionäre, deren einzige emotionale Erleichterung in der "Feindbegegnung" bestand), und sie würde, falls ihr da irgendetwas gelingen würde, danach ins Kreativbüro eilen und mit der Freundin die neueren Produkte sichten, deren Verteidigung sie sich zum hundertsten Mal hatte angelegen lassen sein müssen, und danach würde sie sich vielleicht einen Augenblick mit ihr gemeinsam entspannen, vielleicht.

Dienstag, 2. Dezember 2008

537.

Es war alles ganz gut gelaufen, Karomütze war bei seinem Kumpel gewesen, um mit ihm die weiteren Schritte zu verabreden, sie hatten sich darauf geeinigt, die Polderfahrt auf das Frühjahr zu vertagen und solange ihre Studien über Pestvögel und Brachvögel mit Filmmaterial und anderem zu bestreiten, sie hatten sich ferner darauf geeinigt, daß bei der Fahrt dahin auch der Kumpel nicht im Auto (dessen Beschaffung ihm überlassen werden sollte, da der Alfa zu schonen war) kiffen durfte, und dann war Karomütze irgendwann wieder in sein Fahrzeug gestiegen, hatte sich noch sehr gewundert, daß auf der anderen Straßenseite ein ziemlich ramponierter und tief erröteter Großwagen stand, war dann also in seinen Alfa geklettert und bei lauter Musik etwa einen Kilometer gefahren, bis er merkte, daß diesmal gelungen war, was er einige Wochen zuvor schon einmal als einen kleinen Anschlag auf die Integrität seiner Bereifung diagnostiziert hatte, welchem aber aus irgendeinem Grunde die Bereifung standgehalten hatte, und so stand er nun mit einem platten Reifen an der Ampel, regennasse Straße, Winter eben, und das Handy nicht zu finden, Karomütze war verdrossen, wieder irgendwelche grünen Randalierer, dachte er, die, wenn sie sonst nichts finden, sich über mein Auto aufregen, klar, die Touren eines Sicherheitsbeauftragten macht man besser mit dem Fahrrad, nicht wahr, und zwar bei Wind und Wetter, denn ein schlammbespritzter Bodyguard hinter dem Minister, das ist doch schick, man könnte weitergehen und von der Kanzlerin verlangen, daß sie sich auf ihre Redeauftritte in den Zweite-Klasse-Abteilen voller Züge vorbereitet, neben Leberwurstbrote essenden Mitreisenden, die im bayerischen oder schwäbischen Idiom aufeinander einreden und mit der sächselnden Schaffnerin über Sitzplätze zanken, während nebenan eine pfälzisch sprechende Hessin mit ihrem trotzigen rheinländischen Adoptivkind nicht fertig wird und die mecklenburgischen Soldaten mit thüringischen und schleswig-holsteininschen Kollegen ihre Bierbüchsen leeren, dazu brüllt einer in breitestem Niedersächsisch ins Handy, wie wichtig dies und jenes ist, dann kommt sie garantiert fit und kernig an ihr Ziel und beruhigt die Menge, die sie soeben wieder haut- und volksnah erlebt hat, und während er sich weitausholend und umtriebig innerlich einwütete und Menschen, die er sich ausdenken mußte, beschuldigte, für dieses minore Desaster verantwortlich zu sein, erblickte er ein freundliches Gesicht in einem übereleganten alten Mercedes mit Heckflossen (und wirklich tolle Farben hatte er auch noch), tatsächlich stieg der Fahrer dieses Wagens aus, um ihm behilflich zu sein, und kurze Zeit später kam eine Fußgängerin mit einem Koffer, die sich ebenfalls als kompetente Helferin erwies, so daß Karomütze fast vergaß, sich über den möglicherweise hinzukommenden Handyverlust weiter aufzuregen, selbst fast überhaupt nichts tun mußte, sondern unsouverän und dankbar daneben stand, nur um festzustellen, daß er am Ende auch nichts tun konnte, um sich für den Radwechsel zu bedanken, und so bedankte er sich eben mit dürren Worten und schiefem Lächeln und wunderte sich nur, daß der freundliche Herr mit dem extrem schicken Auto am Ende sagte, ja, wenn man gemeinsam nachdenkt, dann geht doch so manches, und er dachte, die Welt ist wirklich eine große Lehranstalt geworden, immerhin, dachte er, wenn sie denn wenigstens eine freundliche ist, wollen wir uns das gefallen lassen, und er bedankte sich noch einmal artig, klappte die Heckklappe seines Wagens zu und stellte zuhause fest, daß sein Handy dort geblieben war.

Montag, 1. Dezember 2008

536.

Die Füße der Kreativleitung waren ein wenig unsicher, als sie am Montagmorgen auf den Tisch im "Bistro" zu ging, an dem der Demokratiebeauftragte im Gespräch mit der Leitung Öffentlichkeit und dem Buchhalter saß, denn am Abend nach einem ausgesprochen faulen Sonntag hatte sie sich die Skripte für eine Kultursendung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen genauer angesehen und gefunden, daß der Demokratiebeauftragte, welcher den Text für einen hochsympathischen und wohlgelungenen Beitrag über Ingmar Bergman vorgelegt hatte, diesen mit einem Subtext versehen hatte, in welchem sich die eher grauenerregenden Elemente der stillen Wasser seines stillen Theologentums vor ihren Augen gezeigt hatten, denn nach anfänglichem Entzücken darüber, wie wohlwollend hier über den angeblichen Finsterling unter den Regisseuren und seine Distanz zu seinen Werken gesprochen wurde, hatte sie sich den "Spaß" gemacht, für den Namen des Regisseurs erst immer den Namen "Gott" einzusetzen (das waren so Spiele, die sie manchmal trieb, wenn sie sich auf der Suche nach einer Inspiration oder der Quelle für ein Unbehagen befand) und sodann den Namen irgendeines Mannes, mit dem sie würde arbeiten wollen, und danach den eines Mannes, mit dem zu leben sie versucht sein könnte (denn man muß immer die dem Weiblichen zugewiesene Position in einem Text finden, wenn man als Frau einen Text verstehen will, ohne die Quellen der eigenen Kreativität zu verschütten), und als sie dies alles gelesen und durchdacht hatte, war sie darüber so grün geworden, daß kein Bad mit noch so schönem Salz vom Toten Meer plus Duftsubstanzen helfen wollte, diese Farbe wieder abzuwaschen, weshalb das Grüne immer noch ein wenig durch ihre Haut schimmerte, als sie sich nun mit zögerlicher Entschlossenheit schließlich dennoch dem schon erwähnten Tische näherte, um in aller gebotenen Ruhe und Zähigkeit ihre Arbeitsvorhaben voranzubringen, ohne das Grauen zu verleugnen und ohne die Kolleginnen und Kollegen mit zu heftigen Äußerungen ihrer Erkenntnisse zu überfordern, aber das war schwierig, sehr schwierig, und sie war noch sehr müde.

Über mich