Sonntag, 12. Oktober 2008

486.B

Es bedurfte keiner besonderen Absprachen. Dame Ö klopfte zart an die Tür der Kreativabteilung. Die Assistentin öffnete, im Gesicht ein verhaltenes Lächeln. Die Kreativleitung (nun deutlich grün, aber guter Dinge) erhob sich langsam aus ihrer Teppichlage und ging unangestrengt auf den angesichts dieser Art der Begrüßung etwas irritierten leidenschaftlichen Heuchler zu. Es war nur noch einer. Die Kreativleitung verbeugte sich leicht, um den zu vermeidenden Handschlag doch durch etwas zu ersetzen, und sagte: Es freut mich, daß Sie trotz allem, was Sie von uns gehört haben müssen, es wagen, in unsere Abteilung zu kommen. Ich sehe Ihnen an, daß Ihnen das Vertrauen, welches Sie allüberall predigen, nach allem, was ich davon gehört habe, selbst außerordentlich schwer fällt. Sie dürfen mir glauben, daß mich das nicht besonders wundert, denn wenn es einem so leicht gemacht wird, sich auf totale Kontrolle und die Fiktion der Allesdurchschauerei zu verlassen, wieso sollte man da selbst nötig haben und trainieren, was man von anderen so sehr gern verlangt, nicht wahr? Und so bemerkt man dann gar nicht, daß es nichts taugt und nichts ist, was man immer von anderen verlangt hat, als wäre es eine Bringschuld. Es läßt sich nicht trainieren und es läßt sich nicht machen. Es tut weh, eine Kontrolle aufzugeben, und es tut weh, wenn man merkt, daß man von anderen kontrolliert wird, und es tut weh, wenn man bemerkt, daß man niemandem mehr vertrauen kann. Das alles kenne ich. Sie haben sich derartige Erfahrungen bisher ersparen können. Immer gut verschanzt in Gemeinschaften, in denen Sie die Regeln befolgen konnten und damit was wurden. Dann und wann isolierten Sie ein Wesen als nichtvertrauenswürdig, durchschauten es und bewiesen aller Welt, was für ein schlimmer Mensch dies sei, darüber durften sich dann alle anderen in Ihrer Nähe wohlfühlen. Bis es den nächsten traf. Wie schön das für Sie gewesen sein muß. So schön, daß Sie denken, wer erfahren hat, daß die Welt so gar nicht funktioniert, der spinnt und muß von dieser Realitätserfahrung geheilt werden. Und Ihnen gilt als geheilt, wer wieder glaubt, daß die Welt so funktioniere, wie sie in Wahrheit nicht funktioniert, oder doch nur in sorgsam geschützten Kreisen. Von der wahren Heilung aber haben Sie keinen Begriff, und auch keine Ihrer Emanationen hat einen solchen Begriff. Assistentin K warf einen dringlichen Blick in das Gesicht ihrer Vorgesetzten. Die Kreativleitung unterbrach sich. Es war schon eine zu lange Rede geworden. Und völlig umsonst, da war sie sicher. Assistentin K lächelte. Die Kreativleitung besann sich. Vielleicht möchten Sie sich setzen, sagte sie zu dem leidenschaftlichen Heuchler, der leidenschaftslos war in Sachen Platzwahl. Assistentin K faßte ihn leicht am Arm und bot ihm am Runden Tisch einen Platz an. Er nahm einfach an und setzte sich. Sie bot ebenfalls der Dame Ö einen Platz an, diese aber lehnte dankend und ein wenig schwitzend ab. Sie werde im "Bistro" einen Tee für alle holen, wisperte sie, und verschwand. Assistentin K begab sich diskret wieder an ihren Schreibtisch. Nun saßen allein die Kreativleitung und der Gast am Tisch. Viel Platz ringsum. Um welche Art der Therapie geht es Ihnen also, fragte die Kreativleitung den immer noch verwunderten leidenschaftlichen Heuchler. Etwas unter seiner Prachtschärpe trug nicht mehr, ihm war, als müsse er danach suchen. Er fand es nicht. Er vermißte auch seine Emanationen. Er versuchte es mit sich selbst: Ich bin nicht gekommen, um therapiert zu werden, sondern um einen Auftrag zur Würdigung meiner Person(en) zu erteilen, bzw. um zu prüfen, ob ein solcher Auftrag hier bei Ihnen in guten Händen wäre. Die Kreativleitung schwieg. Sie lächelte. Sie hinderte ihre Augen daran, in den Winkel zu schielen, in dem ein ängstliches Mo unter dem karierten Schal und einem lockeren Kissenhaufen zitterte. Es wäre nun in der Ordnung gewesen, wenn der leidenschaftliche Heuchler die Verlegenheit hätte abgeben können, wenn er hätte sagen können: ich sehe, Sie haben nichts anzubieten, und wenn die Kreativleitung sich dann geschämt hätte. Er wollte seinen zweiten und seinen dritten rufen. Aber das wäre peinlich geworden. Er begann zu schwitzen. Daß die Kreativleitung grün und ruhig zugleich war, machte ihn nervös. Die Kreativleitung lächelte. Ich verstehe, daß Sie ein wenig Zeit brauchen, sagte sie dann. Ich möchte noch einmal sagen, wie sehr ich Ihren Mut bewundere, sich nach allem hier zu zeigen. Bleiben Sie ein wenig, Dame Ö wird gleich etwas Tee bringen, sie soll einen sehr guten Tee machen, ich selbst trinke keinen, ich vertrage ihn nicht, aber meine Gäste pflegen zufrieden zu sein. Der leidenschaftliche Heuchler fand noch keine Worte. Die Kreativleitung wertete das als ein sehr gutes Zeichen und nickte ihm aufmunternd zu.

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Man soll mich nicht so schwach darstellen, es gibt schließlich noch die Bindungstheorie.

Anonym hat gesagt…

O ja, wie herrlich, vielleicht hilft sie gegen Schlafstörungen, wie wäre es dann noch mit der Rede vom Meider usw:, ich hätte noch mehr in der Waffenkammer, der Herr, und es ist alles alles alles Schrott.

Anonym hat gesagt…

Wo sind eigentlich seine Emanationen hin?

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