Dienstag, 7. Oktober 2008

481.B

Die Zeit, welche die Kreativleitung durch das von der Leitung Ö schnell entwickelte Besuchsprogramm für die dreifache Herrlichkeit gewonnen hatte, wurde durch eine weitere Überraschung reichlich überbrückt: Der erzählende Kranich landete wieder einmal auf der Fensterbank und hatte sich anscheinend gedacht, auch ihm möchte eine freundliche Begleitung nicht übel anstehen. So erschien er zur Feier des außergewöhnlichen Besuchs ausnahmsweise selbdritt: Er befand sich nämlich in Begleitung einer Spottdrossel und einer wunderbar süß und weich flötenden Nachtigall. Die Kreativleitung öffnete das Fenster ohne zu zögern und begrüßte ohne besondere Komplikationen die drei hübschen Vögel, die auch sofort in den Raum getrippelt kamen. Mo war natürlich sofort wach, warf mit hellem Schwung ihren karierten Schal von sich und begrüßte mit einem von ganz innen kommenden Strahlen den alten Freund, der mit weit ausgebreiteten Schwungfedern lächelte. Die Spottdrossel hopste interessiert um das kleine Mo herum, lachte sehr über das verzottelte Fell, auf dem dieses riesenäugige Wesen zu wohnen schien, und nebenher erzählte der erzählende Kranich, wie die Spottdrossel den obersten Brachvogel wieder einmal zum Lachen gebracht hatte. Das kam nach einem heftigen Gezänk unter Brachvögeln. Ein Brachvogel hatte bei einem anderen etwas abgekupfert, der andere Brachvogel hatte es spitz gekriegt, und nun zankten sie sich mit Auswirkungen auf die gesamte Kolonie in ohrenbetäubendem Lärm. Da kam ein oberer Brachvogel herzu und sagte, meine lieben Schäfchen (sie haben ja die seltsame Gewohnheit, sich abwärts immer Schäfchen zu nennen, obwohl sie doch mit den Schnäbeln eindeutig usw.), erinnert euch bitte einmal an die Zwergkänguruhs. Über diese wird von einem Kameraden aus der australischen Missionsabteilung das Folgende berichtet: "Ohne erkennbaren Anlass kam es bei den still vor sich hin grasenden Tieren ab und an zu großen Aufregungen und Prügeleien, die sich gefährlich steigerten, bis sich plötzlich wie auf Kommando alle Tiere in eine Reihe setzten und für eine Weile in dieselbe Richtung schauten. Daraufhin beruhigten sie sich und grasten wieder still vor sich hin. Luhmann, der von diesem Phänomen hörte, fand das grandios. Er erklärte, offensichtlich würden sich die Tiere durch eine Synchronisation ihrer Umweltwahrnehmung unter Ausschluss von Sozialwahrnehmung beruhigen. Alle sehen dasselbe, ein Stück Wiese, ein paar Büsche. Und da alle nebeneinander sitzen, sehen sie sich nicht selbst. Sie schauen sich nicht an und haben deswegen auch keinen Grund mehr, sich aufzuregen." Und siehe da, die Brachvögel fraßen die Geschichte, setzten sich in eine Reihe und schwiegen einträchtig. Nicht wahr, so ist das bei den Brachvögeln gewesen, schmunzelte der erzählende Kranich, und die alleräußersten seiner Schwungfedern zitterten ein wenig. Dann aber, fuhr er fort, kam die Spottdrossel angeflattert und sagte im ihr eigenen Tone: "Wie ist es nun nicht schön, nicht wahr, alle sitzen in Reih und Glied und betrachten nur noch die große Sache und nicht mehr sich selbst, und wie herrlich friedlich ist es jetzt. Der nächste Schritt wird sein: Ihre Betrachtung wird einen Feind zutage fördern, der sich mit Riesenschritten aus dem Busch heraus nähert, und alle werden sich auf ihn stürzen und ihn zerhacken. Wenn er dann aber tot vor ihnen liegt, werden sie sehen, daß er ein Brachvogel war wie sie selbst, sogar ein ganz besonders schönes und kraftvolles Exemplar, das lediglich von einem üblen und gemeinen Vogelfänger bunt angemalt worden war. Das wird sie ärgern, beschämen und zerknirschen, und um dem abzuhelfen, werden sie es zu einem heiligen Brachvogel erklären. So wird es kommen," spottete die Spottdrossel, und inkünftig werden alle Brachvögel weinen und schreien, wenn sie an seinem Bildnis vorbeikommen, aber ungerührt weiter bunte Brachvögel zerreißen, wenn ihnen sonst weiter nichts hilft. Nur der egoistischste aller Brachvögel, der sich zum Ärger der anderen energisch weigert, von seinen eigenen Sachen abzusehen und dabei auch noch behauptet, er könne sehr gut seine eigenen Sachen und die große Sache zugleich im Auge haben, nur dieser eigensinnige Brachvogel wird bei allen weiteren Angriffen auf bunte Brachvögel nicht mitmachen. Und wenn er einen Streit mit einem der anderen Brachvögel hat, dann wird er alles versuchen, um für einen anständigen Ausgleich zu sorgen, im eigenen Interesse UND im Interesse der anderen, denn in eine Reihe setzen, von sich absehen und fremdartige feindselige Brachvögel erfinden ist keine Lösung, meint er. Die Brachvögel, die bis dahin in einer Reihe gesessen und auf die Spottdrossel geschaut hatten, fingen einer nach dem anderen an, gefährlich mit ihren Flügeln zu schlagen und mit ihren Schnäbeln zu klappern und sich dabei in einer geschlossenen Linie der Spottdrossel zu nähern. An dieser Stelle habe dann aber, sagte der erzählende Kranich, der oberste Brachvogel gnädigst eingegriffen, um den Gast zu retten, denn er wollte nicht, daß seine Brachvogelkolonie eine solche Schande auf sich bringe. Erst schrie er laut Halt! Dann schrie er die Spottdrossel an und sagte ihr, sie wisse sehr wohl, daß sie die Kollegen Brachvögel schwerstens provoziert habe. Aber ja, sagte die Spottdrossel, aber ich wollte doch nur sagen, wie so etwas funktioniert, und dann sah der kleine Abweichlerbrachvogel am Ende der Reihe schon so elend aus, trotz all seiner Tapferkeit, da dachte ich, ich müßte etwas machen. Der oberste Brachvogel schaute auf die Spottdrossel und er schaute auf den kleinen Brachvogel. Dieser zeterte nicht mehr und zitterte nicht mehr. Er saß nur da am Ende der Reihe und drehte den Rücken in die Richtung, in welcher die anderen Brachvögel ihre Schnäbel nach der Spottdrossel reckten, und versuchte verzweifelt, die Reste eines kleinen Kunstwerkes, das er hatte bauen wollen, wieder zusammenzusetzen. Es wurde ein Nest, das viel zu klein war für alles ernst Brachvogelige, etwas wie ein Brachvogelpuppennest. Der oberste Brachvogel schüttelte seinen Kopf über dieses dusselige Vorhaben, das so viel Ungemach auf die Kolonie gezogen habe, erst haben sich alle aus wer weiß welchem Grund darum gestritten, dann haben sie fast die Spottdrossel angefallen, und nun sitzt dieser Kleine da und spielt. Dann aber, schloß der erzählende Kranich seine Geschichte, habe der Alte ganz ungeheuerlich zu lachen angefangen, und so laut, daß alle erschrocken aufgeflogen waren, und die kleine Nachtigall war darüber zu gekommen und hatte ein winziges Ei in das Nestchen gelegt, welches für ihre Größe sehr passend war.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Wir haben hier zwei Geschichten als Anregung gern aufgenommen, die eine (mit den Zwergkängurus) ist eine von Niklas Luhmann erzählte, die andere variiert ein Motiv von Jerzy Kosinsiki.

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