Dienstag, 24. Februar 2009

621.

In ungewohnter Eintracht saßen die Leitung der Abteilung Öffentlichkeit (ehemals Assistentin Ö) und die allgemeinste Verteidigung (ehemals Assistentin K) mit ihren unterschiedlich weit fortgeschrittenen Schwangerschaften der Kreativleitung gegenüber, um mit ihr die Frage eines Eins-zu-Einslers zu erörtern, welche lautete: "wenn Sie doch manche bezeugte Szene wirklich eins zu eins abschildern, wie können Sie da behaupten, alles sei fiktional und frei erfunden," und die Kreativleitung sah, daß es eine sehr ernstzunehmende Frage war, denn die beiden jüngeren Damen schauten sehr ernst drein und schienen zu finden, daß hier endlich mal einer ausspreche, was sie schon lange dachten, so atmete sie tief durch und sagte, nun ja, erstens mischen wir schließlich solche Szenen stets mit völlig willkürlich erfundenen und aus Quellen er-konstruierten und wild darüber hin fliegenden, sodann mag es ja objektiv historisch in Zeit und Raum und in der wirklichen Wirklichkeit usw. - die wir nicht kleinreden wollen, wenn wir sagen, wir haben sie nicht zur Verfügung, im Gegenteil, wir sagen das, um ihr die Ehre zu geben, die ihr gebührt - eine Szene sein, für die sich Zeugen finden, sie wird dennoch in unserer Erzählung eine Farbe annehmen, welche sie nur da hat, und schließlich (jetzt dürft ihr sagen, puh, ist die arrogant, aber das wollten die Damen sich von der K-Leitung nun nicht vorschreiben lassen) schließlich ist in jeder solchen Szene, wenn ich sie beschreibe und nach vielem Nachdenken in eine Komposition einbaue, so viel Sprach- und Begriffs- und Denk- und Fühlarbeit passiert, daß sie, mag sie auch mal eine eins zu eins von mir selbst erlebte sein, mir doch so weit entrückt ist, daß ich selbst sie von dem "meinem Leben zugehörigen" Erinnern völlig ablöse, ich habe sie dann sozusagen aus dem Fluß gefischt und umgebaut und an ihr gearbeitet und stelle sie nun so vor euch hin; das machen übrigens alle Anekdotenerzähler auch so, ohne darüber nachzudenken, und das Recht für meine Arroganz (macht doch was ihr wollt) nehme ich mir nur aus der Bewußtheit, mit der ich entscheide, es mit dieser oder jener Szene zu tun und so und nicht anders zu tun und mit anderen eben nicht, versteht ihr das jetzt besser, sagte sie und fand, eigentlich hätte das der Kwaliteitswart für sie sagen sollen, aber der war ja wieder mal nicht da.

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Diese Parenthese mit der Wirklichkeit verstehe ich nicht, ist die nicht überflüssig?

Anonym hat gesagt…

Das ist nur wegen der Präzisionswut, sie will sagen, die Wirklichkeit ist nicht nur ihr, sondern auch anderen zugänglich, und wenn sie sagt, "sie hat sie nicht" will sie sagen, sie bemüht sich, sie wahrhaftig zu beschreiben, und andere würden dieselbe Wirklichkeit anders beschreiben, und dennoch ist sie die Wirklichkeit, aber eine, die durch die verschiedenen Zugänge zu ihr wirklicher wird als durch die Idee, ein Satz von einem könnte sie voll erfassen oder so, aber das ist natürlich als Problem etwas zu groß für eine kleine Parenthese, darüber sind viele dicke Bücher geschrieben worden.

Anonym hat gesagt…

Ich sags ja, er wird überschätzt, der Kwaliteitswart.

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