Freitag, 6. Februar 2009

604.

An diesem Samstagmorgen hätte die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse am liebsten nur Englisch gesprochen, denn sie hatte in englischer Sprache einen Text gelesen, in dem stand „time has come for a Palestinian Ghandi,“ für eine Aktion, in der diese ganzen Empörungen ein Ende fänden, weil die Leute sich entschlössen, aus ihrer Ohnmacht selbst eine Waffe zu machen, wirksamer als jede blöde Rakete, eine Waffe, die in Resignation bestehe, oja, keine Raketen, keine Organisation mit Maschinengewehren in viel zu dicht besiedelten geplagten Gebieten voller Trümmer, nur das einfachste Schleppen von Dingen, und immer den Kopf gesenkt, und immer die Hände gehoben, und immer „jaja“ und „neinnein“, und „groß ist Diana von Ephesos“ oder wer oder was auch immer gerade gerühmt werden muß, und nichts werden wir verbrennen, und nichts werden wir schießen, und nicht werden wir schreien, sondern vor aller Augen werden wir unsere Gebete verrichten und unsere Mühsal schleppen und unsere mageren Pferdchen antreiben, und niemand von innen und von außen wird uns anders sehen denn als Muselmane, und niemand wird seine blöden immerselben Vergleiche ziehen, denn sind wir nicht Muslime und haben insofern als unsere Natur bei uns, Muselmane zu sein, wenn sonst nirgends, dann hier in Gaza Stadt, und niemand wird den Schatten einer Provokation sehen, nein, wir werden uns so sehr unterworfen gebärden, daß ihr euch an eurem Hohn verschlucken werdet wie an eurer Gnade, denn wir werden uns weigern, weiter eure Objekte zu sein, wer immer uns gerade dazu macht, Objekte eurer Gnade, Objekte eurer Willkür, Objekte eures Zorns und eurer Angst, Objekte all der bekloppten Provokationen von anderen, wir werden uns weigern, Objekte zu sein, indem wir uns nunmehr als Objekte und nichts als Objekte vorführen, wir selbst, wir werden uns so vorführen, jawohl, aber wir werden, da wir Muslime sind, nicht so tun, als gefiele uns das, wir werden nicht so tun, als wären Askese und Demut unser höchstes Gut, denn häßlich sind und bleiben sie wie alle Ohnmacht und Lust- und Wut- und Mutlosigkeit, die dem Menschen nicht anstehen in seinem kurzen Leben, wir werden weiter annehmen, was wir an Hilfsgütern bekommen können, aber wir werden unsere Verachtung Eurer Übermacht zeigen, indem wir ruhig sein werden und euch keinen Anlaß mehr geben zur Rechtfertigung eurer Blockaden und eurer Empörungen, wir werden gehen und weinen und singen und weiße Kleider tragen, vor denen der Papst selbst in seinem weißlichen Prunk in Tränen ausbrechen wird, und wenn dann endlich endlich die Blockaden fallen und die Gewehre verrosten und keiner mehr sein Waschpulver für blödsinnige Geschosse verschwendet und wenn niemand mehr seine große ökonomische Kraft mißbraucht, um das Fischen in freien Meeren zu unterbinden, dann werden wir wieder tanzen und zanken und streiten und uns empören wie es einem lebenden Menschen geziemt, lieben und lachen und alles dieses, aber wir werden unser Metall verloren und unsere Würde wieder gewonnen haben, indem wir gewartet haben werden, eingeschlafen vor aller Welt, daß sie sehe, wir sind hier, und sie ist da, und wir wollen leben nach unserer Weise, und wir werden endlich wieder lachen, weil wir unseren eigenen und allen anderen bärtigen oder frischrasierten Tobsüchtigen abgewöhnt haben werden, ihre Launen an uns zu kühlen, und anstatt ihnen noch selbst unsere Kinder blutigst vor die Füße zu schmeißen werden wir allenfalls schreiben, daß das wirkliche Problem in Afghanistan die jungen zwangsverheiratete Frauen sind, die sich in den Höfen ihrer Schwiegereltern verbrennen, und ach, wenn das helfen könnte, dieser palästinensisch ghandische Aufstand der Sanftmütigen, dann, und erst dann, wären auch noch ein paar andere Sätze, die in aller Welt verbreitet werden, wahr, und die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse, die ihr Land liebte wie nur eine, redete sich in eine kleine Rage unter ihren ewig rot geränderten Augen, und ihr Gesicht wurde so grün, wie man es im Gesicht der Kreativleitung schon sehr lange nicht mehr gesehen hatte, so ändern sich die Zeiten, sagte der Minderheitler mit den grünen Borsten, der daneben saß und nicht wußte, ob er noch einmal sagen dürfe, daß er sich die Augen blau staune, denn irgendwer schien doch diesen Gag schon lange verbraucht zu haben, und dann sah das Ganze auch durchaus ernst aus, so schwieg der Minderheitler lieber bestätigend, aber hoch oben in seinen dünnen Lüften spürte der erzählende Kranich plötzlich ein Sausen in seinem Gefieder, etwas wie einen Sturmwind, und da sagte er sich, jetzt ganz schnell nach Berlin fliegen, sonst drehen die da noch durch und fangen an, über dieses andere Kleebild mit dem Engel zu faseln und den immerselben Benjamin nachzuplappern, oder sie fallen wirklich in sich zusammen, und das wollen wir doch auch nicht, nicht so, nicht jetzt, und eigentlich überhaupt nie, und mit großem Rauschen und gewaltiger Energie lenkte er seine Schwünge an jenen Ort – an dem er tatsächlich erwartet wurde, wie immer, wie immer, daß er das auch nur eine einzige Minute hatte vergessen können!

12 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Also der Kranich ist eine Muse!

Anonym hat gesagt…

Was soll ich jetzt bitte dazu sagen, ich gefalle mir in dezentem Rosa durchaus besser als grün.

Anonym hat gesagt…

Ghandi als Methode, das ist nun wirklich Mißbrauch.

Anonym hat gesagt…

Isch finds goldisch.

Anonym hat gesagt…

Schreibt man goldisch wirklich mit sch?

Anonym hat gesagt…

Das tut nur Tucholski, wenn er eine Hessin zitiert.

Anonym hat gesagt…

Daß Sie jetzt auch noch um die Dame in H. besorgt sind, finden wir hiesiegenorts ein wenig übertrieben.

Anonym hat gesagt…

Sie wollen jetzt aber nicht noch den Part des Oberassistenten übernehmen, oder?

Anonym hat gesagt…

Nun, dann bin ich eben eine Muse, und wenn und wenn, wenn es auch nur eine Minute ein Glück in die Welt zauberte, was wäre der Schaden daran, was im Ernst wäre der Schaden daran?

Anonym hat gesagt…

Vor Ort sieht die Sache leider sehr anders aus, Tucholsky schreibt sich mit Y und in Sicherheitskreisen lassen sie den erzählenden Kranich nicht als Muse durchgehen, sondern wollen in der Rede über ihn durchaus einen gefährlichen apokalyptisch-messianischen Wahn sehen, während eine nachdenkliche Abtrünnige aus den Ebenen der Pestvögel nachgefragt hat, was nun eigentlich aus der Leitung Öffentlichkeit werden soll und wie es denn in der Buchhaltung aussehe.

Anonym hat gesagt…

http://www.youtube.com/watch?v=26YnlOwUq-Y&feature=related

Anonym hat gesagt…

http://www.youtube.com/watch?v=VOs9pP-m43g&feature=related

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