Samstag, 21. Februar 2009

618.

Am Samstag hatte Dame Ö sich mit ihrer Freundin, der Gattin des ehemaligen Chefs, zu einem dieser herrlichen Marktbummel verabredet, welche sie beide so liebten: wenn der Blumenmann mit seiner Stimme, die klang, als hätte er ein eingebautes Megaphon - er hatte wegen dieses seines natürlichen Vorzugs schon erheblichen Ärger bekommen, so geht es mit natürlichen Vorzügen, sie bringen einem vorzugsweise Ärger, sagte Dame Ö, und die Gattin des ehemaligen Chefs sagte, du bist immer so negativ - ihnen zurief, was sie in dieser Woche fürs Fünferle bekommen würden, dann standen sie gerne eine Weile und schauten auf die Pracht, wenn sie alles, was sie brauchten, besorgt hatten, setzten sie sich für einen Kaffee oder Tee am liebsten in den kanadischen Schuppen nebenan, unter die Folien, die auch im Winter das Straßensitzen erlaubten, und an diesem Samstag glühte die Dame Ö vor innerem Entzücken, hielt aber an sich, bis sie beide die Einkäufe auf den Stühlen drapiert und sich selbst daneben gesetzt hatten und einander eine Tasse mit einem Heißgetränk in der Hand gegenüber saßen, um sich etwas zu erzählen, dann aber ergriff die Ö das Wort und ließ es nicht mehr los, bis sie ihrer Freundin zuende erzählt hatte, wie sie ausgerechnet den Herrn X. wieder getroffen hatte, jenen ungezogenen Kerl, der seinerzeit in der EinSatzLeitung sich so unmöglich betragen habe, und weißt du, sagte sie lachend, manchmal sind diese Ungezogenen, denen längst alle Skrupel verflogen sind, doch äußerst nette Menschen, anstatt wie alle möglichen anderen Heiligen und Scheinheiligen in den letzten Monaten herumzutuscheln und zu -kichern, wenn sie mich sahen, weil ja irgendwann irgendwer dieses komische experimentelle und eben nicht so richtig gelungene Büchlein aus meiner Jugend in Umlauf gebracht hat, hat er mich begrüßt, als wäre ich eine alte Freundin, hat gesagt, wie nett, daß ich Sie treffe, von Ihnen hört man ja dolle Sachen, ja stimmt das denn, ich kann es mir gar nicht vorstellen, sollten ausgerechnet Sie wirklich mal Prostituierte gewesen sein, dazu lachte er völlig unbefangen, und stell dir vor, ich bin nicht einmal rot geworden, als ich ihm gesagt habe, natürlich nicht, und ich war zugleich ganz gerührt, so wie du manchmal gerührt bist, wenn jemand dich nach so und so viel Zeit mit scheußlichen allgemeinen Reaktionen plötzlich einfach zu akzeptieren und sogar zu verstehen scheint, ich meine jetzt dich als völlig autonome Hausfrau und Gattin, ich hätte fast geheult, aber das war gar nicht nötig, seine reizende Begleitung sagte, siehst du, ich hab dir doch gleich gesagt, sie ist nicht der Typ, sie ist nur eine aus Tradition besonders kühne Frau, die alles wissen will und trotzdem auf gutes Benehmen achtet und eben, wenn sie sich verliebt, die dollsten Sachen macht, das habe ihm seine Begleitung nämlich gleich gesagt, sie habe sich mir sogar verwandt gefühlt, auf eine Weise, erzählte Dame Ö, und sie hätten sich zu dritt noch einen Moment unterhalten und seien dann einfach auseinandergegangen, fügte sie hinzu, so gehe es doch auch, und das hätte ich wirklich nie gedacht, sagte sie, das hätte ich diesem Kerl und seiner Freundin gar nicht zugetraut, und nun weißt du auch, für wen heute meine Extra-Rosen sind, die bunten, natürlich, denn ich glaube, das trifft doch deren Geschmack ganz gut, sagte die Dame Ö, und die Gattin des ehemaligen Chefs lächelte stillzufrieden in sich hinein, denn sie mochte das Temperament ihrer Freundin, und sie freute sich, daß die es einmal gut getroffen hatte, was für ein bescheidenes Vergnügen im Grunde, und wie selten, und ihre Sorge um den Zustand ihres Gatten, welcher täglich mürrischer wurde und über alle möglichen Leute befand, sie müßten mal von der Pike auf lernen, je weiter er selbst allen Piken entrückte, desto dringender wurde ihm das Anschnallen der Jüngeren an die Piken, wie immer man sich diese nun vorzustellen habe, sie selbst wußte nie, was eine Pike oder Pieke eigentlich war, diese Sorge also behielt sie an diesem Tage für sich, sie wollte irgendwie die Freude über die unverhofft heitere Begegnung der Dame Ö nicht verderben, sondern verabschiedete diese mit dem aufrichtigen Strahlen alter Freundschaft und trug ihre Einkäufe nachhause und überlegte sich, wie sie wohl der nächsten Pieken- oder Pikenanwandlung ihres Mannes Wirksames entgegensetzen könne.

12 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ich war doch eigentlich recht positiv, möchte ich meinen, ich bin nur realistisch, und wenn ich darüberhinaus ausnahmsweise und aus Versehen mal so denke, wie es die Positivdenker verlangen, was gehts die an, nichts!

Anonym hat gesagt…

Bin ich wirklich so schlimm geworden?

Anonym hat gesagt…

Mama siehts nur manchmal etwas negativ.

Anonym hat gesagt…

Ich glaube, ich bummele noch ein wenig in der Stadt herum...

Anonym hat gesagt…

Man sollte ihr vielleicht eine freundliche Begegnung mit Herrn Y. genehmigen?

Anonym hat gesagt…

Man vernachlässigt die Jugend.

Anonym hat gesagt…

Man vernachlässigt uns.

Anonym hat gesagt…

Man vernachlässigt unsere Sache.

Anonym hat gesagt…

Man tut so, als gäbe es keinen Streik.

Anonym hat gesagt…

Gilt der Streik denn auch fürs Wochenende?

Anonym hat gesagt…

Es heißt natürlich Pike, kommt aus dem Französischen, von der Lanzenspitze, und gegen die Sache spricht doch nichts.

Anonym hat gesagt…

Wenn er einen Freund hätte, würde der ehemalige Chef dem morgen erzählen, wie erstaunlich es ist, daß er ausgerechnet von diesem Nerver, dem klitzekleinen Forschungsminister, richtig verstanden wird, ich seh schon.

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