Samstag, 28. Februar 2009

625.

Karomütze, der sich immer mehr zu einem richtigen Spion entwickelt hatte, horchte inzwischen auch in die eine oder andere privilegierte Wohnung hinein und fing folgenden kleinen Dialog auf, den er sofort an den Kwaliteitswart weiterleitete: "endlich einmal richtig EinSatzfieber, das wurde nach 623 Einsätzen ohne jede Einsatzdramatik, -geschwindigkeit und -spannungskurve ja auch mal Zeit," hatte da ein im übrigen unbekannter General gesagt, als er beim Frühstück am Freitagmorgen seiner Gattin von seiner Lektüre berichtete, worauf die Gattin prompt geantwortet hatte, sie wundere sich sowieso, daß er das unkoordinierte Zeug dennoch ebenso regelmäßig zu sich nehme wie andere Blogs aus dem militärischen Kerngebiet, die erheblich interessanter seien, und der Kwaliteitswart dachte, aha, sie wollen also mehr Tempo, mehr Drama, das passt eigentlich nicht zu unseren Kriterien, auch wäre es ihm lieber gewesen, er hätte den Buchhalter ein wenig beruhigen können, der aber bei seiner Hysterie geblieben war und gesagt hatte, komm mir bloß nicht damit, daß die Brachvögel bei stiller Beobachtung und von außen eher den Eindruck einer possierlichen kleinen Veranstaltung machen, ich habe sie gesehen, wie sie auf uns zu geflogen kamen, und nun glaube ich kein Wort mehr von wegen "Reich der Schusseligkeit und Entschleunigung," sie werden jeden Moment anklopfen, und wenn wir sie nicht hereinlassen, werden sie die Tür eintreten, ich sags euch, ich sags euch, und er zog sich über sein Flanellhemd ein etwas abgegriffenes Cord-Jackett und sagte, so, und wenn sie kommen, werden sie mit mir zu rechnen haben, ich habe ihnen einiges zu sagen.

Freitag, 27. Februar 2009

624.

Mit dem sich ankündigenden Frühling nimmt auch die Vogelschwarmdichte erheblich zu, brabbelte der Buchhalter in sein Teleskop, das er vor Schreck für ein Mikrophon zu halten schien, als er von seinem Posten aus einen gewaltigen Brachvogelschwarm auf die EinSatzLeitung zu kommen sah, und er dachte, dies ist doch ein Fall, um einmal "ALLEMANNANDIEGEWEHRE!" zu schreien, denn die Tiere sahen sehr aggressiv aus, aber: "der Herr pflegt sein Kreuz langsam aufzulegen," flötete der Anführer der Brachvögel, und durch einige Flügelschläge signalisierte er, daß man durchaus im Begriffe sei, gesittet an der Tür zu klingeln, man werde sie erst bei hartnäckigem Nichtöffnen eintreten, er sagte ferner, daß man durchaus mit einer guten, einer freudigen Botschaft komme, die nun aber freilich auch erst einmal erkauft werden müsse, denn ihr seid teuer erkauft, und am Kreuz kommt keiner vorbei, der Buchhalter sah durch sein Teleskop den spitzen Schnabel des obersten Buchhalters unmittelbar auf sich zustoßen, als der Anführer der Brachvögel verkündete, daß man im übrigen nur komme, um zurückzufordern, was man einst gegeben, und an dieser Stelle ermannte sich der Buchhalter und sprach, wohlan, dann wollen wir mal aufrechnen, und er riß sich von seinem Teleskop los, stopfte sein kariertes Flanellhemd in die Hose und rief nun wirklich alle EinSatzKräfte zusammen mit dem Schrei "ALLEMALKOMMEN! BRACHVÖGELIMANFLUG!"

Donnerstag, 26. Februar 2009

623.

Mos Traurigkeit über den Abflug des erzählenden Kranichs paßte durchaus zum Wetter, das an diesem Tag den Namen Vorfrühling ganz und gar nicht verdient hätte, wäre nicht doch dann und wann das schüchterne Gezwitscher der einen oder anderen kleinen Meise zu hören gewesen, und die Kreativleitung, die noch ein wenig mürrisch war von den Auseinandersetzungen um die "Bistro"-Sternwarte des Buchhalters, wurde durch die Post von Pestvogels, welche sie auf ihrem Schreibtisch fand, keineswegs aufgeheitert, denn wieder einmal blähte sich dieser Vogel mächtig, und wieder einmal auf der Basis der dümmsten denkbaren Fehlinterpretation von punktuellen Beobachtungen, diesmal mit einer länglichen denunziatorischen Abhandlung über irgendein "Fehlverhalten" der allgemeinsten Verteidigung - aber als das Mo sich gründlich das Näschen geputzt hatte, schimmerte sich allmählich wieder ein kleines und ansteckendes Strahlen durch das müde Grau seines Gesichtchens, es kramte in den Taschen seines immer noch äußerst prachtvollen blauen Mäntelchens und zog einen recht ordentlichen Zettel hervor, auf den es für den kommenden Tag einen EinSatz gekritzelt hatte, der sich mit der Kreativleitung beschäftigte, was hältst du davon, fragte es gespannt, als es ihn übergab, und die Kreativleitung wurde zwar ein wenig grün, lächelte aber tapfer und sagte, ist schon irgendwie schön, ich muß darüber nachdenken, wie ist es mit etwas Apfel und Honig, und warum erinnert dein Schmunzeln mich heute so an kranichene Schwungfedern?

Mittwoch, 25. Februar 2009

622.

Dieses wäre nun allerdings ein Datum für eine kleine Party, sagte die Kreativleitung am Morgen zum Buchhalter, als sie sich den üblichen Kaffee aus dem "Bistro" holte, wir sind bei 600 Einsätzen nach dem ersten, aber der Buchhalter sagte, es ist nicht die Zeit für Parties, es ist Aschermittwoch, die Verhältnisse stehen wirtschaftlich nicht gerade zum Besten, und Ihr Fräulein Mo kam im Morgengrauen auch nur einmal sehr traurig ins "Bistro" getrippelt, weil der erzählende Kranich, mit welchem es sich gut unterhalten hatte, wieder davon fliegen mußte, wie kann es aber auch sein Herzchen an ein solches Wesen hängen, nicht wahr, aber die Kreativleitung sagte, wozu hat es ein Herzchen, wenn nicht, um es zu verschenken, ich bin froh, daß es überhaupt wieder so lebendig geworden ist, aber was machen Sie bitte nächtens im "Bistro," haben Sie kein Zuhause?

Dienstag, 24. Februar 2009

621.

In ungewohnter Eintracht saßen die Leitung der Abteilung Öffentlichkeit (ehemals Assistentin Ö) und die allgemeinste Verteidigung (ehemals Assistentin K) mit ihren unterschiedlich weit fortgeschrittenen Schwangerschaften der Kreativleitung gegenüber, um mit ihr die Frage eines Eins-zu-Einslers zu erörtern, welche lautete: "wenn Sie doch manche bezeugte Szene wirklich eins zu eins abschildern, wie können Sie da behaupten, alles sei fiktional und frei erfunden," und die Kreativleitung sah, daß es eine sehr ernstzunehmende Frage war, denn die beiden jüngeren Damen schauten sehr ernst drein und schienen zu finden, daß hier endlich mal einer ausspreche, was sie schon lange dachten, so atmete sie tief durch und sagte, nun ja, erstens mischen wir schließlich solche Szenen stets mit völlig willkürlich erfundenen und aus Quellen er-konstruierten und wild darüber hin fliegenden, sodann mag es ja objektiv historisch in Zeit und Raum und in der wirklichen Wirklichkeit usw. - die wir nicht kleinreden wollen, wenn wir sagen, wir haben sie nicht zur Verfügung, im Gegenteil, wir sagen das, um ihr die Ehre zu geben, die ihr gebührt - eine Szene sein, für die sich Zeugen finden, sie wird dennoch in unserer Erzählung eine Farbe annehmen, welche sie nur da hat, und schließlich (jetzt dürft ihr sagen, puh, ist die arrogant, aber das wollten die Damen sich von der K-Leitung nun nicht vorschreiben lassen) schließlich ist in jeder solchen Szene, wenn ich sie beschreibe und nach vielem Nachdenken in eine Komposition einbaue, so viel Sprach- und Begriffs- und Denk- und Fühlarbeit passiert, daß sie, mag sie auch mal eine eins zu eins von mir selbst erlebte sein, mir doch so weit entrückt ist, daß ich selbst sie von dem "meinem Leben zugehörigen" Erinnern völlig ablöse, ich habe sie dann sozusagen aus dem Fluß gefischt und umgebaut und an ihr gearbeitet und stelle sie nun so vor euch hin; das machen übrigens alle Anekdotenerzähler auch so, ohne darüber nachzudenken, und das Recht für meine Arroganz (macht doch was ihr wollt) nehme ich mir nur aus der Bewußtheit, mit der ich entscheide, es mit dieser oder jener Szene zu tun und so und nicht anders zu tun und mit anderen eben nicht, versteht ihr das jetzt besser, sagte sie und fand, eigentlich hätte das der Kwaliteitswart für sie sagen sollen, aber der war ja wieder mal nicht da.

Montag, 23. Februar 2009

620.

"Glaubst du er hat wirklich geglaubt daß auch nur eine einzige von diesen sieben mal sieben weißen Rosen bei auch nur einem einzigen Gefangenen ankommt das ist doch purer Kitsch," blubberte der Freund der allgemeinsten Verteidigung, als diese ihm mit fast etwas wie Tränen der Rührung in den Augen von Karomützens so liebenswürdiger wie hilfloser Geste erzählte, und die allgemeinste Verteidigung dachte, o je, er ist eifersüchtig, und was mach ich jetzt bloß, wenn ich ihm sage, daß er wahrscheinlich eifersüchtig ist, dann wird er es bestreiten und furchtbar herumfluchen, wie komme ich jetzt da wieder heraus, vielleicht frage ich ihn, mit wem er sich eigentlich getroffen hat neulich, dann bin zwar ich eifersüchtig, aber insgesamt wird er sich damit doch wohler fühlen als wenn er denkt, daß ich Karomütze immer noch so mag wie früher, es ist ja alles schon schwierig genug für ihn mit meiner Schwangerschaft usw., und in alledem schien irgendetwas völlig unterzugehen, aber völlig, und die allgemeinste Verteidigung merkte es, konnte aber überhaupt nichts mehr dagegen tun und fragte sich, wie sie dennoch ihr Kind und ihre Arbeit in der EinSatzLeitung retten könne.

Sonntag, 22. Februar 2009

619.

Karomütze kehrte am Wochenende von einem seiner Außeneinsätze zurück und brachte die Nachricht mit, daß man neuerdings in jenen menschenrechtlich komplett unbedenklichen Gefängnissen in irgendwelchen Ostregionen der Reiche Pestvögel einsetze, welche denjenigen Gefangenen, die etwa nach 24-stündiger Beschallung mit Itzibitztinibini noch fünf Stunden später gelegentlich beim Wasserlassen "Itzibitzitinibini" vor sich hin summten, liebreich lächelnd zu erklären pflegten, sie täten dies, weil sie in Wahrheit und Wirklichkeit eben selbst ein genuines Verlangen nach diesem hübschen Liede in sich trügen, ein Verlangen, das sie nur zum Scheine und aufgrund eines Phänomens, das dem erfahrenen Analytiker (und sogar dem bloß belesenen, im übrigen aber unerfahrenen) als "Widerstand" wohl bekannt sei, es sei aber dem gesteigerten Wohlbefinden des Patienten dringend anzuraten, diesen Widerstand im Interesse seiner Heilung durchaus aufzugeben; er selbst, Karomütze, als er davon hörte, sei - ungewöhnlich genug - in Tränen ausgebrochen und habe sein letztes einheimisches Geld in den Kauf von sieben mal sieben weißen Rosen investiert, welche er dem Wächter am Eingange jenes in menschenrechtlicher Hinsicht ganz und gar einwandfreien Gefängnisses in die Arme gelegt habe mit der Bitte, einen Gruß aus Deutschland all den Gefangenen auszurichten, die immer noch daran festhielten, daß Itzibitzitinibini ihnen zwar über viel zu viele Stunden in die Ohren getrommelt worden sei, dennoch aber nicht ihrem Musikgeschmack entspreche.

Samstag, 21. Februar 2009

618.

Am Samstag hatte Dame Ö sich mit ihrer Freundin, der Gattin des ehemaligen Chefs, zu einem dieser herrlichen Marktbummel verabredet, welche sie beide so liebten: wenn der Blumenmann mit seiner Stimme, die klang, als hätte er ein eingebautes Megaphon - er hatte wegen dieses seines natürlichen Vorzugs schon erheblichen Ärger bekommen, so geht es mit natürlichen Vorzügen, sie bringen einem vorzugsweise Ärger, sagte Dame Ö, und die Gattin des ehemaligen Chefs sagte, du bist immer so negativ - ihnen zurief, was sie in dieser Woche fürs Fünferle bekommen würden, dann standen sie gerne eine Weile und schauten auf die Pracht, wenn sie alles, was sie brauchten, besorgt hatten, setzten sie sich für einen Kaffee oder Tee am liebsten in den kanadischen Schuppen nebenan, unter die Folien, die auch im Winter das Straßensitzen erlaubten, und an diesem Samstag glühte die Dame Ö vor innerem Entzücken, hielt aber an sich, bis sie beide die Einkäufe auf den Stühlen drapiert und sich selbst daneben gesetzt hatten und einander eine Tasse mit einem Heißgetränk in der Hand gegenüber saßen, um sich etwas zu erzählen, dann aber ergriff die Ö das Wort und ließ es nicht mehr los, bis sie ihrer Freundin zuende erzählt hatte, wie sie ausgerechnet den Herrn X. wieder getroffen hatte, jenen ungezogenen Kerl, der seinerzeit in der EinSatzLeitung sich so unmöglich betragen habe, und weißt du, sagte sie lachend, manchmal sind diese Ungezogenen, denen längst alle Skrupel verflogen sind, doch äußerst nette Menschen, anstatt wie alle möglichen anderen Heiligen und Scheinheiligen in den letzten Monaten herumzutuscheln und zu -kichern, wenn sie mich sahen, weil ja irgendwann irgendwer dieses komische experimentelle und eben nicht so richtig gelungene Büchlein aus meiner Jugend in Umlauf gebracht hat, hat er mich begrüßt, als wäre ich eine alte Freundin, hat gesagt, wie nett, daß ich Sie treffe, von Ihnen hört man ja dolle Sachen, ja stimmt das denn, ich kann es mir gar nicht vorstellen, sollten ausgerechnet Sie wirklich mal Prostituierte gewesen sein, dazu lachte er völlig unbefangen, und stell dir vor, ich bin nicht einmal rot geworden, als ich ihm gesagt habe, natürlich nicht, und ich war zugleich ganz gerührt, so wie du manchmal gerührt bist, wenn jemand dich nach so und so viel Zeit mit scheußlichen allgemeinen Reaktionen plötzlich einfach zu akzeptieren und sogar zu verstehen scheint, ich meine jetzt dich als völlig autonome Hausfrau und Gattin, ich hätte fast geheult, aber das war gar nicht nötig, seine reizende Begleitung sagte, siehst du, ich hab dir doch gleich gesagt, sie ist nicht der Typ, sie ist nur eine aus Tradition besonders kühne Frau, die alles wissen will und trotzdem auf gutes Benehmen achtet und eben, wenn sie sich verliebt, die dollsten Sachen macht, das habe ihm seine Begleitung nämlich gleich gesagt, sie habe sich mir sogar verwandt gefühlt, auf eine Weise, erzählte Dame Ö, und sie hätten sich zu dritt noch einen Moment unterhalten und seien dann einfach auseinandergegangen, fügte sie hinzu, so gehe es doch auch, und das hätte ich wirklich nie gedacht, sagte sie, das hätte ich diesem Kerl und seiner Freundin gar nicht zugetraut, und nun weißt du auch, für wen heute meine Extra-Rosen sind, die bunten, natürlich, denn ich glaube, das trifft doch deren Geschmack ganz gut, sagte die Dame Ö, und die Gattin des ehemaligen Chefs lächelte stillzufrieden in sich hinein, denn sie mochte das Temperament ihrer Freundin, und sie freute sich, daß die es einmal gut getroffen hatte, was für ein bescheidenes Vergnügen im Grunde, und wie selten, und ihre Sorge um den Zustand ihres Gatten, welcher täglich mürrischer wurde und über alle möglichen Leute befand, sie müßten mal von der Pike auf lernen, je weiter er selbst allen Piken entrückte, desto dringender wurde ihm das Anschnallen der Jüngeren an die Piken, wie immer man sich diese nun vorzustellen habe, sie selbst wußte nie, was eine Pike oder Pieke eigentlich war, diese Sorge also behielt sie an diesem Tage für sich, sie wollte irgendwie die Freude über die unverhofft heitere Begegnung der Dame Ö nicht verderben, sondern verabschiedete diese mit dem aufrichtigen Strahlen alter Freundschaft und trug ihre Einkäufe nachhause und überlegte sich, wie sie wohl der nächsten Pieken- oder Pikenanwandlung ihres Mannes Wirksames entgegensetzen könne.

Freitag, 20. Februar 2009

617.

Es tut eben doch weh, sagte die Kreativleitung zur Chefin, welche sie auf einen Kaffee in ihr Büro gebeten hatte, es tut dir eben doch weh, wenn du Wörter in den Mund nehmen sollst, an denen du deine begründeten und berechtigten Zweifel hast, denn die Sprache ist uns nicht zum Schwafeln gegeben, und manchem ist sie eben mehr als ein Anzug, namentlich denen, wie unser Mo eines ist, denen sie als einziges Kittelchen geblieben ist, aus dem sie dann ihre Mäntel machen, um nicht einzugehen, und nur die, denen nie etwas widerfahren ist, das ihnen den Unterschied zwischen Geschwafel und Sprechen ein für allemal lebenswichtig hat werden lassen, können glauben, sie hätten sie einfach und es stünde ihnen zu Gebote, damit das zu tun, wovon alle gern glauben, sie täten es andauernd, aber die Chefin hörte schon nicht mehr zu und sagte, es stimmt schon, im Prinzip, aber so wollte ich es jetzt auch nicht verstanden wissen, es gibt schließlich noch dies und das zu tun, und da muß man dann mal Dinge sagen, die man in deinem Büro - Gott sei Dank - nicht zu glauben prätendieren oder am besten zu glauben glauben muß, drum brauch ich dein Büro, und du brauchst vielleicht auch meines, denn jemand muß doch die Verhandlungen mit den anderen führen, das sah die Kreativleitung natürlich ein, und als die beiden sich wenig später trennten, um wieder an ihre jeweiligen Arbeiten zu gehen, pfiff die Kreativleitung die Melodie jener Kantate leise vor sich hin, denn tatsächlich, die Welt tobte und sprang auch weiterhin, Stockungen inbegriffen.

Donnerstag, 19. Februar 2009

616.

Der erzählende Kranich hatte sich schließlich recht behaglich niedergelassen im K-Büro, wobei bei Kranichen unter behaglichem Niederlassen zu verstehen ist, daß sie auf einem Beine stehend das andere ruhen lassen, und er erzählte, wie er überaus liebliche Flußtäler überflogen hatte, in denen harschige Schneereste zu sehen gewesen waren, klammgraue Städte mit grellgoldenen Kuppeln, die aus seiner Höhe doch eher nach Tüpfelchen aussahen, Waldungen mit nachts lärmenden Käuzchen, deren winterliche Struppigkeit nicht ohne Reiz war, aber auch weniger romantische Autobahnen - eine Stelle, an der die Kreativleitung ihn zum ersten Mal unterbrach mit der Bemerkung, daß eine nächtliche Autobahn durchaus romantische Stoffe bieten könne, wie sie in ihrem Golden Road Book früher oder später noch zeigen würde - und größere Industrieanlagen, deren Romantik allenfalls für Krimis tauge - Zittern der Schwungfeder am äußersten Rande - und während Mo entzückt lauschte, wurde die Kreativleitung irgendwann ungeduldig, stellte sich vor ihrem Wandteppich auf und erwog, wie hier weiter gewoben werden könne.

Mittwoch, 18. Februar 2009

615.

Es gehen bei mir jede Menge Beschwerden ein, sagte die Leitung Öffentlichkeit zur Chefin, mit der sie telefonierte (der wars egal, die war ja eh den ganzen Tag am Arbeiten), denn die EinSätze kommen immer öfter erst relativ spät am Tage, aber die Chefin sagte, da werden sie mit leben müssen, sie kommen täglich, das muß genügen, und heute wäre eher ein Beispiel für Verlogenheit dran, aber die Kreativleitung hat gesagt, da falle ihr nur sowas ein wie "es kommt nicht aufs Äußere an" oder dergleichen, und hat darum gebeten, dazu heute mal nicht schreiben zu müssen, sie sei gerade mit der Entstehungsgeschichte seltsamer Photographien aus dem ersten Weltkrieg beschäftigt, aber wenn man eine Fahne für den Streik brauche, dann solle man ruhig nochmal nachfragen, was für eine Fahne, hab ich gedacht, so weit muß man doch auch nicht gleich gehen, und die Leitung Öffentlichkeit wunderte sich, denn ein Transparent oder eine Fahne, das ist doch eine ganz biedere Sache...

Dienstag, 17. Februar 2009

614.

Die Welt tut, was man ihr sagt, dachte die Chefin, als sie am noch nicht hellen Morgen aus dem Fenster auf die stark befahrene Straße schaute und beobachtete, wie die Fahrzeuge umeinander und um die Schneeinseln herum fuhren, wie in der kleinen Straße Menschen ihre Autoscheiben freikratzten und die Schulkinder einander mit Schneebällen bewarfen, deren Material sie sich von den Scheiben der geparkten Autos holten, sie tobt und springt, die Welt, dachte die Chefin, und das ist ja auch genau das, was ihr diese verrückte Bachkantate nahelegt, nur ich steh nicht hier und singe, sondern - habe zu tun, was ich mir selbst gesagt habe, so ein Ärger, dachte sie weiter, und sie straffte wieder einmal ihren Rücken und machte sich ans Werk, vielleicht ohne Sinn, dachte sie, aber mit viel Verstand, wenn ich bitten darf, nicht wahr nicht wahr, so muß es doch sein, du sollst das gefälligst schön finden, dachte sie noch, wer hat uns bloß diesen Unsinn eingeredet, sprachs, stellte das Gerät mit der Musik an und arbeitete, als gäbe es keinen Streik und als gäbe es irgendeine Aussicht, anderes als Strafe für die Arbeit zu bekommen, obwohl sie doch längst wußte, daß das aus irgendeinem Grunde für sie nie lange vorgesehen zu sein schien, denn Lohn für Arbeit bekommen nur die, die von Werten schwafeln und sich das Leben schön zu machen wissen, weil sie sich darauf verstehen, andere zu treten, vielleicht sollte ich mal Lehrgänge in Verlogenheit anbieten, denn ich kann sie zwar nicht selbst für mich nutzbringend einsetzen, aber ich weiß immer bis ins Kleinste, wie sie funktioniert, so kann ich sie anderen gut vermitteln, also, der nächste Artikel wird heißen: "Anleitung zur Verlogenheit," das wär doch mal was...

Montag, 16. Februar 2009

613.

Als die Kreativleitung das Produkt des Sonntagabends dem Kwaliteitswart übersandte - mit der aufrichtigen Frage nach seiner Ansicht dazu - sagte dieser: die Mischung aus deutsch und englisch, das ist zwar eine nette neue Idee, habe ich in dieser Form noch nicht gesehen, das Spiel mit "oversee" und overheard" und "all-too-familiar" ist auch gut, aber ich würde von einer Publikation abraten, es wirkt unausgereift und zudem irritierend auf die üblichen Verdächtigen aus den Reihen der Eins-zu-Einsler, Sie wissen, wie irritabel die Leute sind, haben Sie nicht mal wieder was über Pestvögel und Brachvögel oder eine Aufklärung der Gewissensnöte von Karomütze, oder was Flottes zur Politik, und die Kreativleitung sagte, nein, habe ich nicht, mir hat dieses Spiel mit "over" und "over" zu gut gefallen, es hat mir Spaß gemacht, der Dame Ö eine englische Freundin an die Seite zu stellen und eine hübsche, halb berlinische, halb amsterdamische waterfront zu imaginieren, an der die beiden im ersten Stock eines Cafés sitzen und im Hintergrund ihrer gepflegten englischen Konversation plötzlich die Stimme eines alten Bekannten etwas von "Beziehungsarbeit" schwallen hören, mir gefiel der schockartig fühlbare Gegensatz zwischen ihrem Sprechen und dem anderen, es gefiel mir, ihre Reaktion schnell wieder abzukühlen und eine Beherrschung zu dokumentieren, und die Politik, nun ja, die haben die beiden doch in ihrem Gespräch ein wenig dabei, sie beben doch geradezu für eine vernünftige Regierungsentscheidung im Heimatland der Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse, aber was willst du machen, ich habe gute Erfahrungen damit, Ihrem Rate zu folgen, halten wir es also zurück, und was nun?

Samstag, 14. Februar 2009

612.

Hinter diesem Fenster erblickte er tatsächlich die sonntägliche Notbesetzung der EinSatzLeitung, bestehend aus Kreativleitung und Oberassistenten nebst Mo; der Oberassistent war nur von hinten zu sehen, da er sich gerade am Kaffeeautomaten zu schaffen machte, während die Kreativleitung bereits Mos Blicken folgte, welche das Rauschen des Kranichs als erste gehört und ihr Mümmeln und Krümelpicken begeistert unterbrochen hatte und zum Fenster starrte - worauf die Kreativleitung sich sogleich erhob, um dem erzählenden Kranich das Fenster zu öffnen, und sie freute sich daran, wie er hereinkam und ignorierte geflissentlich das Augenrollen des sich nun auch umdrehenden Oberassistenten, welches sie aus ihren Augenwinkeln zu sehen glaubte, und als der erzählende Kranich einige Eiskristalle aus seinem Gefieder geschüttelt und ein erstes kleines Schmunzeln für Mo an den äußersten Rändern seiner Schwungfedern hatte erkennen lassen, sah es aus, als könnte dies der Anfang einer schönen kleinen sonntäglichen Unterredung sein, indes, das Augenrollen des Oberassistenten hatte ein Klammes hinterlassen, das einstweilen blieb.

611.

Als der erzählende Kranich nach langem Fluge an der Fensterbank des Kreativbüros ankam, fand er das Büro leer, und schon recht flügellahm flatterte er noch einmal auf, um es am Fenster des "Bistro" zu probieren.

Freitag, 13. Februar 2009

610.

Na dann reden wir halt wieder über die Welt, sagte der Sicherheitsbeauftragte, wie findest du es, daß die Nazis in Dresden am Valentinstag einen Aufmarsch machen, und die allgemeinste Verteidigung lachte, sich immer mal wieder über den Bauch streichend, dazu hat das Kind von der Chefin den besten Satz gesagt, nämlich: "die demonstrieren wahrscheinlich gegen Liebe, nach dem Motto, wozu Liebe, wenn man auch Unterdrückung haben kann," und der Sicherheitsbeauftragte sagte, jetzt versteh ich, wieso du unbedingt ein Kind wolltest, und übrigens, tut mir leid wegen damals, als du es von mir wolltest...

Donnerstag, 12. Februar 2009

609.

Was meinst du, als ehemalige Kreativassistentin, hätte man das Stocken der Konversation nun schon als Teil des von der Chefin verkündeten Streikwillens auffassen sollen, oder hat sich diese Sache wieder in Luft aufgelöst, fragte der Sicherheitsbeauftragte, als ihm die Verteidigung von den mageren Vorgängen berichtete, und die Verteidigungsdame, indem sie unter ihrem wachsenden Bauch die Beine übereinanderschlug (was sie natürlich nach all den weisen Ratschlägen, mit denen eine Schwangere überfüttert wird, nicht hätte tun dürfen) sagte, nein, die Chefin ist schon ernst, aber, du kennst sie, nie unkooperativ, wo sie es verantworten kann, also wie ich das sehe hat sich in Luft aufgelöst allenfalls ihr kurzfristiger Zorn, während sie weiter nur eine Notbesetzung der EinSatzLeitung erlaubt - und also habe ich Zeit, mich zuhause in einen besonders komplizierten Fall einzuarbeiten, in dem wirklich jeder gegen jeden verteidigt werden muß, und was man mir an Literatur an die Hand gegeben hat, macht mich da auch nur ratloser, denn ein Fall, in dem immer wieder selbsternannte Helfer zu besonders gefährlichen Gegnern werden, während selbsternannte Feinde plötzlich wieder freundlich werden, der mag bei weltpolitischen Strategiespielen normal sein, aber sobald du sowas auf ein Einzelleben überträgst, verlierst du schnell den Überblick.

Mittwoch, 11. Februar 2009

608.

Im "Bistro" prallten aufeinander der sehr um die in Afghanistan stationierten Kollegen besorgte Sicherheitsbeauftragte, die vom überraschend guten Wahlerfolg "ihrer" Kandidatin doch etwas erleichterte Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse, dazu Dame Ö, deren Braue angesichts der etwas schroffen Äußerungen der Chefin vom Vortag eine gewisse Agitation und schlechten Schlaf verrieten - die anderen EinSatzKräfte aber waren entweder in ihren Büros oder zuhause oder in einem kleinen Schneechaos stecken geblieben, und auch in der Notbesetzung der EinSatzLeitung stagnierte die Konversation wie von selbst.

Dienstag, 10. Februar 2009

607.

Als die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse gegangen war, war es wiederum nicht die allgemeinste Verteidigung, welche im Büro der Chefin erschien, sondern vielmehr der Buchhalter, in der Hand einen Brief, in welchem ein alter wohlhabender Knacker mitteilte, man habe nun sämtliche Geldhähne zugedreht, sämtliche Erwerbsmöglichkeiten abgeschnitten und erwarte, daß unter dem so erzeugten Drucke endlich die gewünschte Leistung von der EinSatzLeitung erbracht werde, und gut, sagte die Chefin, nachdem sie das Papier aufmerksam studiert und verächtlich über solche schwarze Pädagogik geschnaubt hatte, dann also wieder Streik, wir werden ab jetzt andere Waren verkaufen oder eben diese unwirtliche Gegend vollständig verlassen, der Herr Knacker möge die Logik seiner Disziplinierungen überdenken und selbst stempeln gehen und plattgemacht werden, das hat er nie erlebt, da faselt sichs leicht von Opfern, wir werden den nicht mehr erziehen können, er wird ja geehrt für das, was er sich unter großen Opfern an anderen abgeklemmt hat, wir werden ihm auch nicht mehr beibringen können, daß man auf diese Weise das Gras nicht zum Wachsen zwingt, sondern einzig und allein durch verlässliche Förderung bei Klarheit und Wahrheit (welche er hatte, aber nicht zu geben verstand), dies wird er nicht lernen - möge er mit seinen Herren und seinen Schlachttieren und seinen eigenen großen Werken selig werden, uns kriegt er so zu gar nichts, und während der Buchhalter noch verdattert guckte, während von draußen bereits zu hören war, wie es aus dem Anhängervolk des Herren schrie, nun, jetzt haben Sie Zeit, aber kein Geld, was machen Sie nun, ging die Chefin ans Fenster, schloß es, sagte zum Buchhalter, gehen Sie, wir haben uns lange genug quälen, kurzhalten und von irgendwelchen Idioten, die nie in Nöten waren, herumschubsen und maßregeln und vorschreiben lassen, welche Hilfe wobei zu suchen sei und welche Sorte von Trost niemals, wir werden eine kleine Sitzung im "Bistro" improvisieren, um einen geordneten Streik durchzuführen, und mehr wird es mit uns nicht geben, Starre gegen Starre, wir sind die schwächeren, sicher, aber wenn wir sie schon nicht von uns fernhalten können, diese zudringliche schwarze "Pädagogik" - so werden wir doch nicht diejenigen sein, die deren Wert erweisen, indem wir aus unseren Reihen ihr noch Früchte bringen.

Montag, 9. Februar 2009

606.

Bevor die allgemeinste Verteidigung, die den Wochenend-Ausflug in ihr Privatleben durchaus noch auf der Suche nach bunten Röcken und einem neuen Namen verbracht hatte, bei der Chefin zur verabredeten Arbeitsbesprechung eintraf, hatte diese Unterlagen gewälzt, Akten bewegt, Papiere gelesen und sich den ganzen Fall "Robin Hood" noch einmal betrachtet, es waren ihr etliche Unstimmigkeiten aufgefallen, Beweislücken und Argumentationslücken, und es wurde ihr dringlicher, mit der Verteidigung, mit welcher sie ja nun öfter zu tun haben würde, der Frage nachzugehen, ob man eigentlich im allgemeinen Kampagnenwesen überhaupt noch eine Möglichkeit habe, etwas wie die Wahrheit über einen Kasus herauszufinden, und weiter gesprochen, wie man in alledem überhaupt öffentliche Aufmerksamkeit bewerten wolle, und während sie noch nachdachte und überlegte und eine kleine Tagesordnung erstellte, klopfte die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse an die Tür, kam aber gar nicht herein, sondern bat nur schnell um ganz festes Daumendrücken für die Kandidatin in ihrem Lande und um alle erdenkliche Förderung der konstruktiven Kräfte, welches ihr die Chefin natürlich unter schweigsamer Hintanstellung sämtlicher Skeptizismen gerne gewährte.

Sonntag, 8. Februar 2009

605.

Ob Mo etwas von den erneuerten Schwüngen des erzählendes Kranichs ahnte, hätte niemand sagen können, der in das kleine graue Gesichtchen gesehen hätte, wie es sich erhellte, als Mo am Morgen in der Küche der Kreativleitung ein neues Honigglas inspizierte und sich am Duft frischer Äpfel erfreute, und die Kreativleitung, die einen Tisch deckte, an welchem sie auch ihre ehemalige Assistentin und deren Gefährten erwartete, entzückte sich ihrerseits am fröhlichen kleinen Schnaufen des Wesens, und die Gleichzeitigkeit solchen Entzückens mit eigener ungetrösteter Sehnsucht und kleiner Besorgnis angehörs eines Geschreis aus der Nachbarschaft hielt sie nicht davon ab zu erwägen, wie es wäre, wenn man als nächstes ein paar detaillierte Berichte über das Fischen, das Töten und das Ausnehmen der Fische schriebe, über die Zubereitung der eßbaren Teile und die Verwerfung der nicht essbaren Teile an Orte, an denen magere Katzen streunend nach für sie verwertbaren Dingen suchen; auch die häßlichen Gerüche, die dabei entstehen, dürften nicht vernachlässigt werden.

Freitag, 6. Februar 2009

604.

An diesem Samstagmorgen hätte die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse am liebsten nur Englisch gesprochen, denn sie hatte in englischer Sprache einen Text gelesen, in dem stand „time has come for a Palestinian Ghandi,“ für eine Aktion, in der diese ganzen Empörungen ein Ende fänden, weil die Leute sich entschlössen, aus ihrer Ohnmacht selbst eine Waffe zu machen, wirksamer als jede blöde Rakete, eine Waffe, die in Resignation bestehe, oja, keine Raketen, keine Organisation mit Maschinengewehren in viel zu dicht besiedelten geplagten Gebieten voller Trümmer, nur das einfachste Schleppen von Dingen, und immer den Kopf gesenkt, und immer die Hände gehoben, und immer „jaja“ und „neinnein“, und „groß ist Diana von Ephesos“ oder wer oder was auch immer gerade gerühmt werden muß, und nichts werden wir verbrennen, und nichts werden wir schießen, und nicht werden wir schreien, sondern vor aller Augen werden wir unsere Gebete verrichten und unsere Mühsal schleppen und unsere mageren Pferdchen antreiben, und niemand von innen und von außen wird uns anders sehen denn als Muselmane, und niemand wird seine blöden immerselben Vergleiche ziehen, denn sind wir nicht Muslime und haben insofern als unsere Natur bei uns, Muselmane zu sein, wenn sonst nirgends, dann hier in Gaza Stadt, und niemand wird den Schatten einer Provokation sehen, nein, wir werden uns so sehr unterworfen gebärden, daß ihr euch an eurem Hohn verschlucken werdet wie an eurer Gnade, denn wir werden uns weigern, weiter eure Objekte zu sein, wer immer uns gerade dazu macht, Objekte eurer Gnade, Objekte eurer Willkür, Objekte eures Zorns und eurer Angst, Objekte all der bekloppten Provokationen von anderen, wir werden uns weigern, Objekte zu sein, indem wir uns nunmehr als Objekte und nichts als Objekte vorführen, wir selbst, wir werden uns so vorführen, jawohl, aber wir werden, da wir Muslime sind, nicht so tun, als gefiele uns das, wir werden nicht so tun, als wären Askese und Demut unser höchstes Gut, denn häßlich sind und bleiben sie wie alle Ohnmacht und Lust- und Wut- und Mutlosigkeit, die dem Menschen nicht anstehen in seinem kurzen Leben, wir werden weiter annehmen, was wir an Hilfsgütern bekommen können, aber wir werden unsere Verachtung Eurer Übermacht zeigen, indem wir ruhig sein werden und euch keinen Anlaß mehr geben zur Rechtfertigung eurer Blockaden und eurer Empörungen, wir werden gehen und weinen und singen und weiße Kleider tragen, vor denen der Papst selbst in seinem weißlichen Prunk in Tränen ausbrechen wird, und wenn dann endlich endlich die Blockaden fallen und die Gewehre verrosten und keiner mehr sein Waschpulver für blödsinnige Geschosse verschwendet und wenn niemand mehr seine große ökonomische Kraft mißbraucht, um das Fischen in freien Meeren zu unterbinden, dann werden wir wieder tanzen und zanken und streiten und uns empören wie es einem lebenden Menschen geziemt, lieben und lachen und alles dieses, aber wir werden unser Metall verloren und unsere Würde wieder gewonnen haben, indem wir gewartet haben werden, eingeschlafen vor aller Welt, daß sie sehe, wir sind hier, und sie ist da, und wir wollen leben nach unserer Weise, und wir werden endlich wieder lachen, weil wir unseren eigenen und allen anderen bärtigen oder frischrasierten Tobsüchtigen abgewöhnt haben werden, ihre Launen an uns zu kühlen, und anstatt ihnen noch selbst unsere Kinder blutigst vor die Füße zu schmeißen werden wir allenfalls schreiben, daß das wirkliche Problem in Afghanistan die jungen zwangsverheiratete Frauen sind, die sich in den Höfen ihrer Schwiegereltern verbrennen, und ach, wenn das helfen könnte, dieser palästinensisch ghandische Aufstand der Sanftmütigen, dann, und erst dann, wären auch noch ein paar andere Sätze, die in aller Welt verbreitet werden, wahr, und die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse, die ihr Land liebte wie nur eine, redete sich in eine kleine Rage unter ihren ewig rot geränderten Augen, und ihr Gesicht wurde so grün, wie man es im Gesicht der Kreativleitung schon sehr lange nicht mehr gesehen hatte, so ändern sich die Zeiten, sagte der Minderheitler mit den grünen Borsten, der daneben saß und nicht wußte, ob er noch einmal sagen dürfe, daß er sich die Augen blau staune, denn irgendwer schien doch diesen Gag schon lange verbraucht zu haben, und dann sah das Ganze auch durchaus ernst aus, so schwieg der Minderheitler lieber bestätigend, aber hoch oben in seinen dünnen Lüften spürte der erzählende Kranich plötzlich ein Sausen in seinem Gefieder, etwas wie einen Sturmwind, und da sagte er sich, jetzt ganz schnell nach Berlin fliegen, sonst drehen die da noch durch und fangen an, über dieses andere Kleebild mit dem Engel zu faseln und den immerselben Benjamin nachzuplappern, oder sie fallen wirklich in sich zusammen, und das wollen wir doch auch nicht, nicht so, nicht jetzt, und eigentlich überhaupt nie, und mit großem Rauschen und gewaltiger Energie lenkte er seine Schwünge an jenen Ort – an dem er tatsächlich erwartet wurde, wie immer, wie immer, daß er das auch nur eine einzige Minute hatte vergessen können!

603.

Die Leitung der Abteilung Öffentlichkeit kam nicht eben gut gelaunt ins Büro, denn es hatte eine häusliche Auseinandersetzung gegeben, durch welche sie sehr pessimistisch gestimmt war hinsichtlich ihrer weiteren Pläne, der Vater ihres heranreifenden Kindes, über welchen sie üblicherweise kein Wort in der EinSatzLeitung verlauten ließ, hatte ein phantastisches Jobangebot als medizinischer Berater in einem Entwicklungsland bekommen und war selbstverständlich davon ausgegangen, daß er sie als "seine Familie" mitnehmen werde -eine Idee, die bei ihr großes Unbehagen ausgelöst hatte, da die ganze Angelegenheit sowieso heikel genug war, richtig wohl fühlte sie sich mit diesem Mann von Anfang an nicht, aber irgendwie mußte man nun schließlich familiär sein, und bessere würde es eh nicht geben, so hatte sie damals gedacht, als alles anfing und sie gemeint hatte, es sei nun mal genug mit der ewig adoleszenten Herumprobiererei, ihre bisher größte Liebe war zerbrochen, nun nahm sie eben, was sich bot, schlecht wars doch nicht, hatte sie gedacht, dann war es irgendwie so gekommen, dann hatte man sich arrangiert, schließlich hatte sich auch etwas wie eine Liebe (freilich eine extrem störanfällige) eingestellt, jedenfalls dann und wann ein bißchen, und was wirklich fehlte, kompensierte man abwechselnd mit Streit und etwas, das die Kollegin aus der K-Abteilung "Teamgequatsche" genannt haben würde (worüber sich die Leitung Ö stets redlich zu ärgern pflegte, denn sowas ist doch eine ernste Sache) und nun dachte sie, wenn sie Arbeit und Kind und alles zusammenhalten wolle, sei sie doch auf ihn angewiesen, da müsse man Kompromisse machen usw., und da sie den Kopf voll hatte mit all diesen Eheberaterweisheiten, die du heute an jeder Ecke übergebraten bekommst, zugleich aber daran ein neuerliches Aufflackern der Schwangerschaftsübelkeit verspürte, dachte sie noch auf dem Weg zur EinSatzLeitung, warum eigentlich hat man an irgendeinem Punkt immer nur die Wahl zwischen zwei bis drei Übeln, und als sie bemerkte, daß es sich im Weltmaßstab gesehen um eher geringe Übel handelte, beschloß sie, die Chefin, eine geschiedene Dame mit Kind, welche einen recht dynamischen und zufriedenen Eindruck machte, einmal direkt nach ihrer Ansicht zu diesen Dingen zu befragen.

Donnerstag, 5. Februar 2009

602.

Jeder einzelne, der keinen institutionellen Schutz genießt, aber in den Focus der Aufmerksamkeit gewisser besorgter Mächte geraten ist, ist zum Abschuß und zur Ausbeutung freigegeben, seufzte der Sicherheitsbeauftragte, nachdem er mal wieder den ganzen Tag auf fremden Festplatten herumgeschnüffelt hatte, und wir sind dabei, das macht mir manchmal zu schaffen, sagte er zu seinem Kumpel, mit dem er wie jeden Mittwochabend gemeinsam zum Training – nein, zum „work-out“ und was hatte er nicht alles auszuarbeiten – ging, und der Kumpel sagte, mach dir keinen Kopf, so ist das nun mal, das ist der Job, da kann man nichts machen, hau auf den Ledersack, stemm die Stange, schrei beim Taek Won Do, es bleibt dabei, du willst kämpfen, du willst siegen, dann mußt du die anderen kontrollieren, Mann, sonst kontrollieren sie dich, und als er Karomützens von echten Gewissensnöten zerwühltes Gesicht sah, sagte er, das wird schon wieder, hinterher nehmen wir ein Bier, und als er dazu einen kräftigen Schlag auf die Schulter des Sicherheitsbeauftragten brammte, da wurde dieser plötzlich ganz weinerlich und vermißte ebenso plötzlich die dicke weiche Hand des ehemaligen Chefs und dessen schweizerisch-bräsigen Tonfall, sei es auch nur, weil er selbst, Freund Karomütze, zu dessen Amtszeit doch immer den Eindruck gehabt hatte, daß alles irgendwie seine Ordnung habe.

Mittwoch, 4. Februar 2009

601.

So kanns gehen, sagte der Buchhalter ungewöhnlich milde zur zerknirschten "Verteidigung K," du arbeitest Jahr um Jahr oder doch Monate lang, du hast eine grandiose Idee und kämpfst darum, und dann machst du einen Fehler, der dir scheinbar die Arbeit von Jahren zerstört, so geht es uns heute beiden, sagte er, lächelnd wieder in das unter ihnen übliche Sie verfallend, als er sie direkt ansprach: sehen Sie, ich hatte mir fest vorgenommen, die Idee mit der Werbung in der Sitzung vorzubringen, und dann habe ich es ganz einfach vergessen, so platt war ich von den Ausführungen der Chefin und diesem ganzen Spektakel um die allgemeinste Verteidigung - und Sie, Sie haben einen ebenso gewöhnlichen Fehler gemacht, sind nach langen Jahren endlich aus Ihrem Assistentinnenstatus raus, ärgern sich über den zugegeben wirklich abscheulichen Namen, erfinden sich zum Scherz einen bunten Rock, und schon beginnt Ihre Arbeit damit, daß Sie sich zuallererst selbst verteidigen müssen gegen den Unmut, den diese hochfahrende Idee bei den Kollegen - verständlicherweise, wie Sie ja zugeben - auslösen mußte, ja, sagte er, manche Leute sind so, stellen sich immer selbst ein Bein, und er klopfte ihr jovial und kollegial auf die Schulter, machen Sie sich nichts draus, am Ende hat die Kreativleitung den größten Fehler gemacht, sie hätte die Sache ja gleich gestern durch entsprechende Kommentare abfedern können.

Dienstag, 3. Februar 2009

600.

Da sollte sie nun also stattfinden, die lange angekündigte Sitzung bei der Nummer 600. Eine Tagesordnung war zuvor herumgemailt worden, und zur Protokollantin war die Assistentin K bestimmt worden, deren bäuchliche Entwicklung sichtbarlich ein wenig hinter derjenigen der Leitung Öffentlichkeit zurückgeblieben war, aber viel Zeit lag nicht zwischen den beiden angekündigten Geburtsterminen, und man sah schon mit Furcht und Zittern den zu erwartenden Personalengpässen entgegen, die Chefin selbst war aber zuversichtlich, daß alle gemeinsam die Sache meistern würden.

An diesem Morgen Numero 600 aber, als alle noch unschlüssig und mit Kaffee oder Tee in der Hand im Bistro herumstanden, fingen die beiden ehemaligen Assistentinnen doch an, wieder freundlicher miteinander zu plaudern, wenn es auch - nach Ansicht der meisten Beobachter - nicht wirklich wieder ein unbefangenes Verhältnis werden würde, und die Kreativleitung, die dem Treiben zusah, machte sich so ihre skeptischen Gedanken, aber sie mischte sich nicht ein und erwiderte dem Demokratiebeauftragten, welcher sich an der neuen Harmonie entzückte, nicht, sondern lächelte wohlgefällig, als sie (den Blick ihres Gesprächspartners gleichsam mitziehend) das gemeinsame Lachen der jungen Damen beobachtete, welches durch eine Erzählung des Oberassistenten ausgelöst wurde. Dieser berichtete nämlich über einen ihm bisher nicht bekannten Pestvogel mit stark seitlich gekrümmtem Schnabel, welcher Gelegenheit erhalten hatte, an prominentem Fernsehplatz den alten Hut des Theorems von der self-fulfilling prophecy reichlich tief in die doch auch nicht unterkomplexe Stirn der Gesamtwirtschaft zu drücken, und das ganz schamlos, prustete der Oberassistent, vor laufenden Kameras!

Während alle noch freundlich schmunzelten, rief eine geradezu freudig erregt wirkende Dame Ö zur Sitzung, und diese Sitzung wurde, da sie an so einer hübschen Zahl stattfand, mit einem kleinen Umtrunk begonnen. Der Buchhalter hatte irgendwoher eine kleine Laszivität genommen und dem Ansinnen der Chefin stattgegeben, als sie gesagt hatte, ja, heute wollen wir doch auch ein wenig feiern, 600 Tage jeden Tag ein EinSatz, das ist doch keine Kleinigkeit, und obwohl der Buchhalter daran erinnert hatte, daß die EinSätze mit der 22 begonnen hatten, und obwohl die Kreativleitung daran erinnert hatte, daß der eigentliche Beginn doch bei 200 anzusetzen sei, waren sich alle schnell einig geworden, daß die 600 eine angenehm rundliche Zahl sei, die nun auch einmal eines Glases gewürdigt werden dürfe. Aus diesem Anlaß waren übrigens alle EinSatzKräfte gekommen, keine Ausnahme, obwohl eine Grippewelle an vielen noch in Spuren zu erkennen war, Dame Ö selbst war ganz heiser, und auch der Buchhalter putzte sich beständig die Nase, der Minderheitler mit den grünen Borsten trug einen dicken bunten Wollschal, den er während der ganzen Sitzung nicht ablegte, und die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse hatte über dieser blauen Bluse etwas wie einen sehr dicken Kapuzenpullover an, nicht sehr kleidsam, aber warm, wie es schien, und außer den ewig rotgeränderten Augen war ihr auch die Nase rot. Jedoch: alle waren da, selbst der Kwaliteitswart, endlich wieder auf festem Land in der Hauptstadt, war erschienen, hatte sich aber sehr zurückhaltend zunächst in die hinterste Ecke des Raumes verzogen, um alles zum Wiederangewöhnen erst einmal in Ruhe in Augenschein zu nehmen. Zum Umtrunk waren sogar der ehemalige Chef und seine Gattin gekommen, indes nicht ohne anzukündigen, daß sie die Räumlichkeiten nach der Rede der Chefin und mit Beginn der offiziellen Sitzung zu verlassen gedächten. "Wir haben wirklich volles Vertrauen in die Chefin und wollen ihre Arbeit nicht beeinträchtigen," sagte der ehemalige Chef, "wir waren natürlich das beste Führungsteam, wir waren die Gründerväter usw., wir freuen uns aber, daß der Laden auch ohne uns weiter läuft, so daß wir hier und heute mit feiern können," und auf der Suche nach jemandem, der seine merkwürdige Pluralbildung "hinterfragen" und ihm noch einmal eines seiner geliebten alten Wortgefechte liefern könnte, blickte er durchaus auch ein wenig gerührt in die Runde, in der ihm jedes einzelne Gesicht vertraut war.
Aber weder die Kreativleitung, die früher jeden Wunsch des Chefs sofort gewittert hatte, fragte, noch die Chefin, die als Demokratiebeauftragte für solche Fragen zuständig gewesen wäre, und auch Karomütze, mit dem der ehemalige Chef sich stets und gern jovial gestritten hatte, dachte nur bei sich, "wir, wir, wieviele ist er denn heute, er sieht doch ganz normal aus..." - und so blieb die kleine Provokation des armen Mannes unverstanden, seine Stimmung aber gleichwohl ungetrübt heiter, in seinem Alter verstand er sich auf Resignationen und ihre Bekämpfung oder Bewältigung.

Ohne weitere Zwischenfälle prosteten die EinSatzKräfte einander zu, auch Mo war an diesem Tage zunächst nicht im Bündel versteckt, sondern schien es zu genießen, vor der Kreativleitung in ihrem blauen Mäntelchen und tatsächlich auf einem kleinen türkisfarbenen Kissen auf dem Tisch zu sitzen und dem fast verspätet den Raum als letzter betretenden Sicherheitsbeauftragten freundlicher zuzunicken als dies erwartbar gewesen wäre.

Die Chefin eröffnete die Sitzung mit einer kleinen feierlichen Ansprache und dem Hinweis darauf, daß der letzte Tagesordnungspunkt ohne Protokoll besprochen werden müsse, handele es sich dabei doch um eine Verschlußsache, die nirgends dokumentiert sein dürfe, weil man die Gewebe der Kreativabteilung nicht verletzen dürfe und dennoch die Abwehrmaßnahmen gegen reichlich skrupellose Gegner, über die Karomütze einige Neuigkeiten gebracht habe, wenigstens intern zu besprechen habe. Bei dieser Ankündigung erhob sich Mo leise, warf unter einer kleinen Anstrengung das Kissen in den Schoß der Kreativleitung, sprang selbst dorthin und wurde während der ganzen weiteren Sitzung weder gesehen noch gehört; nur die Kreativleitung spürte dann und wann ihr Zittern in ihrer Hand, welche sie zur Beruhigung des kleinen Wesens die ganze Zeit über nicht von dessen winzigen Rückgrat entfernte.

Nach ihrer Eröffnungsrede kam die Chefin schnell zur Tagesordnung und stellte die drei Punkte vor, die da waren

TOP 1: Externe Anfrage aus den hohen Lüften wegen Bereitstellung eines allgemeinen Verteidigers (Chefin).
TOP 2: Externe Anfrage aus den Ebenen der minderen Sprachen wegen Bereitstellung eines Normalitätswartes (Demokratiebeauftragter).
TOP 3: Verschiedenes.
TOP 4: Karomützens Bericht über Verschiebungen in der Ordnung von Verbündeten und Gegnern und die Neuordnung der nach außen gerichteten produktiven Tätigkeiten sowie der Abwehr- und Präventionsmaßnahmen.


TOP 1

Die Chefin berichtet über eine Anfrage, welche sie aus den hohen Lüften erreicht habe, man möge doch einen allgemeinsten Verteidiger in der EinSatzLeitung installieren, welcher immer, wenn einer aus dem Personal oder von den lose Assoziierten angegriffen oder in absentia verleumdet werde, diesen verteidige. Da sich wegen dieses seltsamen Ansinnens ein allgemeines Gemurmel erhebt, holt sie etwas aus zu einer längeren Erklärung über die verschiedenen Abstufungen, in denen in arbeitsteiligen Gesellschaften der Umgang mit Vernunft und Gefühlen und Durchsetzungsvermögen üblicherweise geregelt sei, und spricht:
"Wer als Krieger exzellent sein will, muß einen 'Feind' ausmachen und sich emotional befeuern, um gegen diesen zu kämpfen. So muß er ihn schlechtreden und sich selbst stark, sonst kann er nicht kämpfen. Wer als Politiker exzellent sein will, muß (wenn auch weniger als der gewöhnliche Schmittianer glaubt) ebenfalls ein bißchen zwischen Freund und Feind unterscheiden und die Feinde in die Waden beißen und die eigene und die Loyalität der Freunde scharf bewachen. Aber er muß auch den Überblick behalten und imstande sein, die eigene Position dann und wann ein wenig zu revidieren und zu korrigieren, evtl. sogar zu relativieren. Wer als Diplomat exzellent sein will, muß von dem Feuer der Parteilichkeit etwas fühlen, aber nur gerade genug, um Diplomat für eine Seite zu sein, im übrigen muß er unglaublich geschmeidig sein, um alle zu verstehen, dies aber jeweils zu einem definierten Zweck. Und wer als Wissenschaftler exzellent sein will, der muß alles, wirklich alles sehen und verstehen wollen, aber er wird das gerade am besten können, wenn er überhaupt kein Durchsetzungsinteresse mehr verfolgt, sondern nur noch die Suche nach dem präzisesten Bild. Das ist," fügt sie mit einem freundlichen Blick auf den klitzekleinen Forschungsminister, welcher begeisterte Zustimmung nickt, "geradezu widersinnig, und dem versuchte die alte Hochschulordnung Rechnung zu tragen. Es gelang natürlich überhaupt nicht, denn zu lecker ist das Durchsetzen, wenn es durch Wissen erfolgt. Aber: Man versuchte es und gab dem Wissenschaftler Sicherheit, damit er von Durchsetzungsnotwendigkeiten entlastet arbeiten konnte. Das tut man nicht mehr, und welche Folgen das haben wird, das werden wir erst langfristig sehen. Zwischen und über und unter und jenseits von allen diesen ist der Künstler, der ausdrücklich die Gefühle in eigener Form wieder hereinholt in das vom Wissenschaftler leergefegte und mit Petitessen befüllte Bild. Er eifert auch manchmal, hat aber idealiter nichts weiter im Sinne als die Darstellung der Welt wie sie einmal ist, und den Wunsch, hier und da eine kleine Korrektur anzubringen, wo dies geboten und auch mit milden Mitteln möglich ist. Ein solcher ist unser Freund, der erzählende Kranich, und er möchte nun also eine Verbesserung bei uns anbringen, weil er meint, es brauche hier also in unserer EinSatzLeitung einen, der die allgemeinste Verteidigung übernehme, was halten Sie davon?
Der Buchhalter erhebt zuerst seinen Einwand und sagt, dafür stehen nun wirklich keine Mittel zur Verfügung, der Kranich in seinen Lüften sei ohnehin überwiegend unterwegs und verstehe nicht wirklich etwas von den Gegebenheiten auf der Erde.
Es wird eine lange Diskussion geführt, an deren Ende ein Vorschlag der Kreativleitung mit knapper Mehrheit angenommen wird. Diese hatte bekundet, daß sie im Grunde nicht unbedingt mehr eine Assistentin brauche, Assistentin K sei bei ihr schon des längeren unterfordert, während Mo sich allmählich (sofern nur ihre Sicherheitsinteressen gewahrt würden) zu etwas wie einer kleinen Kollegin entwickele. Neben der kreativen Arbeit habe ihre ehemalige Assistentin aber große rhetorische Kompetenzen ausgebildet und so glaube sie, die Dame sei sehr geeignet, dem Sicherheitsbeauftragten, dem Demokratiebeauftragten und dem Diskurswart, welche mit formalen Verteidigungen ja durchaus schon befasst seien, eine andere Art der Verteidigung zur Seite zu stellen. In Zukunft soll also die bisherige Assistentin K "Verteidigung K" heißen - Strafe durch schlimme Namen trifft hier gleichermaßen alle, bemerkt dazu der Kwaliteitswart, aber die Mehrheit liebt scheußliche Namen, und so wird es gemacht.

TOP 2
Die Installation eines Normalitätswarts wird nach Weigerung des Oberassistentin, diesen Posten zu übernehmen (er sei gerne Oberassistent, nölte der Mann), und nach Feststellung des Buchhalters, daß dafür die Mittel nicht ausreichten, und nach Anmerkung des klitzekleinen Forschungsministers, daß Normalitätsfragen keiner wissenschaftlichen Prüfung standhalten, und nach energischen Protestnoten der beiden namentlich bekannten Minderheitler, die ebenso wie Mo von einem solchen Wart als erste gekündigt werden müßten, mit großer Mehrheit abgelehnt.

TOP 3
Unter Verschiedenes trägt niemand ein Anliegen vor.

TOP 4
Dieser Tagesordnungspunkt wurde außerhalb des Protokolls und aus Sicherheitsgründen nur noch im engsten Kreis der EinSatzLeitung, bestehend aus Karomütze, Chefin, Demokratiebeauftragtem, Buchhalter und Kreativleitung diskutiert.

Darüber, daß auch so etwas mal möglich sein muß, herrschte Einigkeit, die übrigen EinSatzKräfte gingen ins "Bistro," wo die Verteidigung K als erstes ankündigte, sie werde sich einen bunten Rock zulegen und hoffe, früher oder später nach diesem benannt zu werden.

Montag, 2. Februar 2009

599.

Von alledem unbelastet, belastet aber sehr mit schwierigen und selbstverständlich hochoffiziellen Aufgaben, war die Chefin am frühen Montagmorgen an ihren Schreibtisch zurückgekehrt, und sie sah alle ihre Unterlagen der letzten Wochen noch einmal durch, um recht gründlich darüber nachzudenken, was wohl auf die Tagesordnung für die von manchen EinSatzKräften lang erwartete, in den Augen anderer völlig überflüssige Sitzung der EinSatzLeitung gehöre, und der einzige Vogel, den sie erblicken konnte, wenn sie gelegentlich durch das Fenster ihres Büros nach draußen schaute, war eine Krähe, die in trostloser Geduld über viele Stunden auf der äußersten Ecke eines Backsteinschornsteins hockte und sich wirklich um gar nichts kümmerte, rein nichts scheint sie vorzuhaben, dachte die Chefin, ist sie denn so satt, aber sie erlaubte sich nicht, weiter darüber nachzudenken, denn es mußte doch eine Einladung zur Sitzung mit TOP 1,2 usw. herausgehen, mußte nicht?

Sonntag, 1. Februar 2009

598.

Mo aber wußte von alledem nichts mehr, und wenn sie es ahnte, so verschlief sie es doch wie die Schneeflocken, die an diesem Tage vor ihrem Fenster auf und ab tanzten wie vor den Fenstern aller Nachbarn.

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