Sonntag, 25. Mai 2008

346.

Sitzung der EinSatzLeitung

Protokoll: Der klitzekleine Forschungsminister

Sitzungsleitung: Kreativleitung

Anwesend: Die gesamte engere EinSatzLeitung nebst über 80% der Mehrheitler und Minderheitler, ferner - wegen der Bedeutung des Augenblicks der Übergabe der Geschäfte - einige Gattinnen und Gatten und andere Angehörige, unter ihnen sowie unter den Mehrheitlern nach Auskunft der Karomütze einige Abgesandte der Verwertungsgemeinschaft, die sich ein reichliches Mahl nicht grundlos erhoffen werden.


Notat des Protokollanten vor Beginn der Sitzung: Man möchte momentweise lieber eine Art Lokal- oder Galareporter sein und aufschreiben, was man so alles sieht an den Menschen, die Kreativleitung tut dies heimlich, aber unser Job ist hier ein anderer, was wir heute ausnahmsweise einmal bedauern.

Tagesordnung:
1. Begrüßung zur außerordentlichen Sitzung durch die Kreativleitung.
2. Belehrung über die Modalitäten des Führungswechsels durch den Diskurswart.
3. Rede des Chefs zu seinr Abdankung und Erklärung seines Willens für die Nachfolge.
4. Debatte über die Nachfolge.
5. Abstimmung.
6. Kurze Erklärung der/ des gewählten Kandidatin/ Kandidaten.

TOP 1

Unter allgemeinem Geraune und Geraschel betritt die Kreativleitung den Raum, bedankt sich für die Ehre, diese wichtige Sitzung leiten zu dürfen, und berichtet in der von ihr gewohnten farbigen Knappheit und relativen Formlosigkeit über die Ereignisse, die zur neuen Lage geführt haben: Der Chef war ernstlich erkrankt, hat sich Gott sei Dank seit der letzten Sitzung wieder recht gut erholt (sicher auch dank der umsichtigen und fürsorglichen Pflege seiner Frau) und in der Zeit seither an seiner Abdankungsrede gearbeitet sowie, in vielen Gesprächen auf der Veranda seines schönen Hauses, die möglichen Szenarien für seine Nachfolge erwogen. Sie bittet den Kollegen Diskurswart nun, seines Amtes zu walten und die Modalitäten des Führungswechsels zu erläutern.

TOP 2

Der Diskurswart legt eine Folie auf das entsprechende Gerät und erläutert die Struktur der EinSatzLeitung, die sich aus einem EinMannUnternehmen, als das der Chef sie ursprünglich einmal gegründet hatte, zu einer kleinen Institution mit so etwas wie konstitutionell-monarchischer Struktur (anschwellendes Gemurmel unter Mehrheitlern und Minderheitlern, nur dem engeren Kreis ist dieses Faktum so vertraut, daß die Gesichter sämtlich stoisch bleiben) entwickelt hat. Die Nachfolgeregelungen seien nicht vergleichbar mit denen größerer republikanisch-demokratischer Gebilde, da der Chef selbst ein erheblich größeres Gewicht bei der Entscheidung über die Nachfolge habe als in parlamentarischen Formationen. Er werde also eine/n Kandidatin/en nominieren, und erst wenn die Mehrheit der EinSatzKräfte seinem Vorschlag nicht zustimme, müsse neu verhandelt werden. Hinzu komme eine Hierarchisierung der Stimmgewichte, diese sei anders als bei Aktiengesellschaften aber nicht nach Kapital, sondern nach Zeiteinsatz und Institutionenbindung gestaffelt, es gebe insofern grüne Stimmzettel für die vollbeschäftigen engeren Mitglieder der EinSatzLeitung, graue Stimmzettel für die Warte, und gelbe Stimmzettel für die Mehrheitler und Minderheitler, die nur lose assoziiert mit der EinSatzLeitung zusammenarbeiten. Gelbe Stimmzettel würden auch an diejenigen Angehörigen der Inhaber grüner Stimmzettel vergeben, die ernsthaften Anteil an der Arbeit ihrer vollbeschäftigten Familienmitglieder genommen hätten, in unserem Falle die Gattin des Chefs und Gattin Ö, das Kind der Demokratiebeauftragten habe noch etwas zu wenig beigetragen, könne aber möglicherweise nach entsprechendem EinSatz nächstes Mal schon ganz anders dastehen, Mo gelte als Vollmitglied und erhalte einen grünen Stimmzettel, und der erzählende Kranich könne als fiktivste aller Figuren leider ebenso wenig mitstimmen wie der seit langem nicht mehr erschienene Pestvogel oder sein Kollege Brachvogel, (nebenher werden Gerüchte laut, daß der erzählende Kranich neuerdings die Pestvogel-Niederungen überfliege und demnächst von dort einen Eindruck vermitteln werde, aber die Gerüchte werden zum Schweigen gebracht, weil heute ernste Angelegenheiten geregelt werden müssen). Erst unter einem neuen Chef oder einer neuen Chefin könne diese Struktur geändert werden.

TOP 3

Der Chef hält eine überaus anrührende, bewegende, lange und dankbare und in vielem erhellende Rede, an deren Ende in manchem Auge Tränen zu sehen sind. Alle erheben sich an ihrem Ende zu langem Beifall. Die Rede wird auf einer der künftigen B-Ebenen im Wortlaut geliefert werden. Das Ergebnis für die Sitzung kommt nicht überraschend: Als Nachfolgerin nominiert er die Demokratiebeauftragte, die straffen Rückens und mit ein ganz klein wenig feuchten Augen für diese Ehre dankt.

TOP 4

Die Debatte über die Nominierung der Demokratiebeauftragten wird in einer kleinen Pause vorbereitet (der Leiter der Abteilung Ö steht zusammen mit einigen Mehrheitlern und dem Buchhalter an einem Tischchen) und dann durch die Assistentin Ö eröffnet. Diese trägt wieder einmal ihre in diversen Pastellfarben gestreifte Bluse, darüber aber einen leichten Seidenblazer und hat ein Gesicht, das weniger eindeutig aussieht als man es schon hatte. Sie sagt, es gebe in der EinSatzLeitung eine starke Minderheit, vielleicht sogar eine schwache Mehrheit, welche den Leiter Ö an der Spitze der EinSatzLeitung sehen wolle, da dieser sich in jahrelanger Arbeit sehr verdient gemacht und die Öffentlichkeit von der Leistungskraft und Zuverlässigkeit des Unternehmens weit mehr überzeugt habe als die Demokratiebeauftragte, deren Verdienste im Innern ohne Zweifel groß seien, deren kommunikative Kompetenz in der Außendarstellung, auf die bei den EinSätzen so ziemlich alles ankomme, aber eher zu wünschen übrig lasse, so daß es im Grunde besser wäre, die Leitung nunmehr mit jemandem zu besetzen, der immerhin auch dies für sich habe, daß er eine ganze Abteilung bereits geleitet habe, während die Demokratiebeauftragte lediglich mit Widrigkeiten in einem überfüllten Büro, das auch nicht gerade von sehr erfolgreichen und repräsentativen Gestalten bevölkert sei, gekämpft habe, was sie sicher ehrenwert gemacht habe, wodurch sie aber doch keineswegs qualifiziert werde, die Gesamtinstitution nun darzustellen und den Laden vollständig zu führen und zu repräsentieren. Der Chef antwortet darauf, daß er sich durchaus etwas bei seiner Entscheidung gedacht habe, für ihn habe am Ende den Ausschlag gegeben, daß die Demokratiebeauftragte über ein stabiles Rückgrat verfüge. Darauf erteilt die Kreativleitung dem bereits ungeduldig seinen Redewunsch anzeigenden Sicherheitsbeauftragten das Wort, welcher darlegt, wie der Leiter der Abteilung Ö sich durch seine Konformitätsbemühungen nach außen ganz sicher erhebliche Verdienste erworben habe, man danke ihm auch allgemein für sein Engagement, mit dem er sich um die Leitung der Gesamtinstitution bemühe, es müsse aber doch auch bemerkt werden, daß er sich, um auf den Posten zu kommen, nach innen höchst unerfreulicher Mittel bedient hätte, um die Demokratiebeauftragte zu desavouieren, und erst als man ihm unmißverständlich bedeutet habe, daß er damit nicht nur nicht weit kommen werde, sondern außerdem riskiere, daß die Dinge, die ihm auf der von ihm gewählten Ebene (anders als der Demokratiebeauftragten, gegen die nur ein allerdings beeindruckend engmaschig gewobenes Netz aus Erfindungen und Fehlinterpretationen mit großem Pomp ins Feld geführt werden könne) real angelastet werden könnten, ihn seinen Job kosten könnten, habe er davon abgesehen, mit dem von langer schmutziger Hand angesammelten Dreck um sich zu werfen. Die Debatte, die nach diesen beiden Beiträgen entbrannte, braucht nicht im Detail erörtert werden, ihre Folgen werden uns noch eine Weile beschäftigen, unter anderem das einstmals so gute Verhältnis zwischen Buchhaltung und Karomütze dürfte nach der Prognose des Protokollanten erheblich gelitten haben, das zwischen Karomütze und Assistentin K (die aus ihrer Wahl kein Hehl gemacht hat) hingegen dürfte sich wieder etwas verbessern, aber solche Prognosen braucht jetzt auch niemand. Die Debatte dauerte zwei geschlagene Stunden.

TOP 5

In der Abstimmung erhielt die Demokratiebeauftragte mit den gelben Stimmzetteln als ausschlaggebender Kleinstgruppe von Stimmen eine äußerst knappe Mehrheit.

TOP 6

Die Demokratiebeauftragte bedankt sich beim Chef und der EinSatzLeitung für das ihr entgegengebrachte Vertrauen sowie für die Großzügigkeit des sehr ehrenvoll abgeschlagenen Rivalen und verspricht, sich auch in Zukunft energisch um das Wohl der EinSatzLeitung zu bemühen, alles Weitere werde so bald wie möglich geregelt werden. Der Buchhalter meldet sich zu Wort und stellt anheim, über eine Änderung der Nominierungsmodalitäten als erstes zu verhandeln. Die Demokratiebeauftragte sagt, es liege doch näher, derartig tiefe Eingriffe in die Strukturen der EinSatzLeitung erst dann zu diskutieren, wenn die Arbeit unter der neuen Führung eine Weile eingespielt sei, und der einhellige Applaus bestärkt ihren Beitrag.

Die überlange Sitzung wird von einer immer noch tapfer lächelnden Kreativleitung, die ein schlafendes Mo auf ihrem Schoß hat, geschlossen. Zu sehen, wie die Leitung Öffentlichkeit und Teile der Verwertungsgemeinschaft den Raum verlassen, ist für den Protokollanten nicht eben beruhigend, aber die Demokratiebeauftragte, der nun zuerst die Kreativleitung und die Gattinnen gratulieren, ist dennoch zuversichtlich, und während der scheidende Chef ihr jederzeit Rat und Unterstützung zusagt, sagt sie ihm ihrerseits zu, das Andenken und die Verdienste seiner Arbeit in hohen Ehren zu halten und die Angelegenheiten der EinSatzLeitung in seinem Geiste nach bestem Wissen und Gewissen weiterzuführen.

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