Montag, 19. Mai 2008

340.B.

Der erzählende Kranich überflog in weit ausgreifenden Schwüngen ein Gebiet, das ihm (er war ein moderner Kranich) durch sein Google-Earth Programm als die deutsche Hochschullandschaft ausgewiesen worden war, und er sah eine sehr erstaunliche Landschaft mit sehr erstaunlichen Bewohnern. Es gab dort "Cluster" (er kannte den Cluster bis dahin mehr aus der Musik), es gab Leuchttürme, es gab Exzellenzinitiativen und vieles mehr, und doch erschien, wann immer er sich einem dieser vielversprechenden neuen Gebäude näherte, immer derselbe Typus Mensch unter seinen Augen: Die Exzellenz. Exzellenz, so wußte der Kranich aus früheren Überflügen, ist eigentlich in der Politik die Anrede, die man für Botschafter gebraucht, man würdigt damit die auserwählten Abgesandten eines fremden Landes, die in eigens für sie eingerichteten Botschaften residieren und mithilfe eines Stabes von Mitarbeitern Informationen des einen Landes in das andere leiten und umgekehrt, sie erklären den Menschen eines Landes die Weltsichten der Menschen des anderen Landes und umgekehrt, sie vermischen sich nicht vollständig, aber sie lassen sich sehr ein, damit die Informationen besser fließen, und sie sind vor allem Virtuosen aller Gesten des guten Willens und die erste Adresse, wenn irgendwo etwas schiefläuft. Die Exzellenzen sprechen stets für die Regierungen ihrer Länder, aber manche begreifen sich auch als Abgeordnete einer höheren Souveränität, nämlich der ihres jeweiligen Volkes, und das Eigentümlichste ihrer Zwischenstellung besteht vielleicht darin, daß sie einerseits selbstverantwortet zu sprechen haben und andererseits eben doch mit ihrer ganzen exzellenten Lebensweise gebunden sind an die Weisungen ihrer Regierungen. Die Grundstücke, auf denen sie kraft ihrer Regierungssendung residieren, haben neben der bloßen Repräsentationsfunktion auch so etwas wie eine Asylfunktion für alle, die in einem fremden Land leben und sich in die Botschaft ihres eigenen Landes begeben können, um dort im Schatten der Flügel einer Botschafterexzellenz Schutz vor Bedrängnissen durch die Bürger des Gastlandes zu finden. Ganz anders die Exzellenzen der Wissenschaften. Diese sind in der klassischen Form sozusagen wesensmäßig exzellent. Um dies zu werden, sind sie zuvor einem Jahrzehnte dauernden Ausleseprozess unterworfen worden (und das Unterwerfen ist wörtlicher und tierischer zu nehmen als etwa Kants Unterwerfung der höchsten Wahrheiten unter die Methode der Kritik), den nur die Besten überleben (und die, die es geschafft haben, sind dann darauf so stolz, daß sie gern auch weiter andere diesen Prozessen zu unterwerfen wünschen, hierin vielleicht das Tierische oder auch Brutale an der Sache weiterzeugend): Solcherart sind also unsere Besten, müßten die Exzellenzen sagen, die, die überlebt haben. Diejenigen nämlich, die neben dem möglichst richtigen Geschlecht vor allem auch das richtige Verhältnis zur Geschlechtlichkeit überhaupt haben, diejenigen, die ganz ohne eine gelegentlich als heteronom empfindbare, ihnen also irgendwie äußerliche Regierung sich in ihren Äußerungen stets und ständig präzise an das halten, was von ihnen erwartet wird, diejenigen, die es schaffen, unter der Last von permanenter Begutachtung immer jemanden zu finden, auf den sie die mit so einer Situation verbundenen Belastungen besten Gewissens abwälzen können, diejenigen, die nie ernste finanzielle Sorgen haben und deswegen sich leicht tun mit so sportlichen Behauptungen wie: ich opfere eine bestimmte Zeit, weil ich dann auch etwas bekomme (Ruhm und Ehre in Ewigkeit, zum Beispiel, oder die Gunst eines Meisters und irgendwann eigene Meisterwürden), diejenigen, denen die Hoffnung und die Mittel nie ausgehen, weil sie sicher sind zu wissen, was von ihnen erwartet wird und daß sie es mit nichts als Disziplin erreichen können, diejenigen, denen kein Wunsch, selbst zu sprechen, und keine familiäre Rücksicht und kein familiärer Frontalangriff jemals dazwischen gekommen sind, wenn sie ihre Lektüren abarbeiteten, diejenigen, die immer demütig und bescheiden waren, diejenigen, die eifrig zusammengekarrt haben, was der Wind des Geistes manchen anderen zuweht, diejenigen, die das dann, wie sie selbst sich zugute halten, "in Ordnung gebracht" haben. Diese schon zu oft und zu oft auch zu Unrecht als Kärrner von geplagten Geistbeschenkten Kritisierten haben sich trotz aller Kritik munter ihre Staffeln zugereicht und exzellieren auch heute gar sehr. Manchen anderen aber ist der Geist, wie seit alters bekannt, ein den Beschenkten stets unangenehmes Götter- oder Gottesgeschenk ist, gibt es doch nur vergleichsweise wenige Exzellenzen (und diese seien hier ausdrücklich belobigt und geehrt) welche die eigene Größe haben, einen vielleicht stärker Angewehten in all der daraus folgenden menschlichen Schwäche neben sich zu ertragen. Den eher sich methodisch korrekt verclusternden übrigen wissenschaftlichen Exzellenzen erscheinen hingegen die Verwehungen des Geistes am Menschen ganz ohne Zweifel als bösartig und ungerecht, vor allem aber als undiszipliniert, und die Exzellenzen der Wissenschaft in der so sorgfältig ausgewählten Exzellenz ihrer Erlesenheit bieten niemandem außer ihresgleichen Schutz, und sie betrachten ein Wort wie "Bewegen" sämtlich im "Kausativstamm" und verstehen es wie folgt: Sie veranlassen andere, sich zu bewegen. Die Bewegung ist in der Regel eine Zerstreuung in alle Winde. Aber, wenn man die Landschaft so überflog, sah man doch: etwas von der kausativstämmig herbeigeführten Bewegung hatte sich schon sedimentiert, und so war, von hoch droben betrachtet, das Geheimnisvollste an den wirklichen Nestern der wissenschaftlichen Exzellenzen eine graue Masse, die sich in vermutlich dem Archivieren geweihten Gebäuden angesammelt zu haben schien. Das Google-Earth-Programm hatte vor manchen Archivgebäuden "Graue Literatur" auf einem seiner praktischen kleinen gelben Verkehrsschilder-Icons verzeichnet, und diese Hinweise hatten sich immer außer vor den Exzellenzzentren selbst auch noch vor Verwaltungszentren gestaut, in welchen die Gattung Gutachter siedelte, eine eigene Species mit überaus seltsamen Gepflogenheiten, die auf einer anderen Luftreise beschrieben werden sollte.
Der erzählende Kranich besah sich auf diesem seinem heutigen Aus- und Überflug zunächst also die Universitäten, und er staunte nur, aber am meisten staunte er darüber, wieviel herrlicher Schnee auf den Gebirgen lag, die sich zwischen den Nationalitäten und den Hochschullandschaften türmten, und es überkam ihn eine unbeschreibliche, geradezu jubelnde Freude, mochte auch von dem Schnee eine Kühle bis in seine hohen Luftregionen aufsteigen, so wurde er sich doch dadurch der himmeltauglichen Dichte seines Federkleides bewußt, und die Füße, die ihm üblicherweise sehr kalt waren, wärmten sich bis in die Spitzen allein durch diese Freude.

Keine Kommentare:

Über mich