Samstag, 31. Mai 2008

352.

Als die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse und den meist rotgeränderten Augen an diesem Morgen ins "Bistro" kam, sah sie den Kwaliteitswart mit einem unbekannten Gast an einem der Tische sitzen, offenkundig in ein Gespräch vertieft, das in holländischer Sprache geführt wurde, und obwohl diese Minderheitlerin eine gewisse Sprachbegabung hatte, fühlte sie sich doch nicht in der Lage, an einer derartigen Konversation teilzunehmen, sie erwiderte wohl den freundlich hingelächelten Gruß, verstand ihn aber als eine Aufforderung, eher woanders Platz zu nehmen, was ihr durchaus recht war, denn sie wollte unbedingt ein wenig in ihrer Zeitung lesen, ein Unternehmen, welches sie auch wohlgemut begann, indes konnte sie doch ihre Ohren nicht wenden von den merkwürdigen Geräuschen am Nebentisch, es wollte ihr vorkommen, als sprächen die Herren allen Ernstes über Vögel, und sie fragte sich, was das eigentlich für eine merkwürdige neue Sitte sei, daß alle Welt sich über Vögel unterhielt, demnächst haben wir eine ornithologische Parallelgesellschaft, in der jeder Vogel eine Bedeutung hat, und Gnade Gott dem, der die geheimen Codices der Vogelwelten nicht versteht, und sie dachte, jaja, so fängts an, und Zack hat die Aufklärung aus dem Geiste Zackvogels abgewirtschaftet und wir sind in einer völlig neuen Mythologie der Vogelmenschen, und während sie noch so dachte, kam der Praktikant hereinspaziert, setzte sich mit seiner Cola zu ihr an den Tisch und fragte sie, ob das mit dem Heuschnupfen gegenwärtig auszuhalten sei, und sie dachte, hoho, er kann ja geradezu anteilnehmend sein, und dann erzählte der Praktikant von seinen Auseinandersetzungen im Buchhaltungsbüro und davon, daß er übrigens auch noch ein Privatleben hatte und wo er ursprünglich her kam und wie da alles war, und die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse hörte halb ihm zu und halb versuchte sie weiter, das Gespräch vom Nebentisch aufzuschnappen, bis sich der Kwaliteitswart und der unbekannte Gast erhoben und das "Bistro" verließen, da versuchte sie, sich ausschließlich auf die Erzählungen des Praktikanten zu konzentrieren, und sie wunderte sich über den Ernst, mit dem er bei seiner Erzählung war.

Freitag, 30. Mai 2008

351.

Das fängt ja gut an, sagte der Chef, als er, in seiner Häuslichkeit sitzend und einen herrlich trockenen Marmorkuchen in seinen Milchkaffee stippend dem Bericht der Kreativleitung lauschte, welche ihm eigens einen Abschiedsbesuch abstattete, um noch einmal persönlich für alles zu danken, was er für sie getan habe, um ihn und seine Gattin ihrer bleibenden Freundschaft zu versichern und sich nach den Plänen der Ruheständler zu erkundigen, und der Chef war seltsam berührt nicht nur von ihrer Darstellung der Exzesse des offenkundig völlig aus dem Ruder gelaufenen Leiters der Abteilung Ö, sondern von diesem Besuch überhaupt, denn er hatte den Eindruck, als sei etwas von dem Schwärmen der Kreativleitung (dergleichen pflegt sich ja eben doch auf irgendwelchen Ebenen mitzuteilen, und man gewöhnt sich, auch wenn nie ein Wort fällt, an ein solches "emotionales Zubrot" schnell, bis man schließlich mit der Zeit glaubt, einen Anspruch darauf zu haben) von ihm abgezogen worden, er rätselte, womit dies zusammenhängen könne, und erst als seine Frau, welche alles dieses beobachtet und Mitleid mit ihrem nun doppelt sich beraubt fühlenden Gatten hatte, das Gespräch wie nebenbei auf den Kwaliteitswart brachte, entdeckte er in den Augen der Kreativleitung etwas, von dem er geglaubt hatte, daß es ihm zustehe, und er wurde ein wenig melancholisch, auch wenn sich zugleich sein Herz weitete vor dankbarer Bewunderung für seine Gattin, die von allem diesem (wir verwendeten diese Floskel wohl schon?) über die Jahre gewußt haben mußte, selbst dann noch, wenn er seinerseits mit Regieren und mit Donnern zu ausschließlich beschäftigt gewesen war, um mehr zu bemerken als daß in dem Laden dieses oder jenes nicht so lief wie er sich das gedacht hatte, und er wunderte sich, aus welchen Reserven sie immer wieder die großen und kleinen Aufmerksamkeiten genommen haben mochte, durch die sie aus dem Hintergrund für die gemeinsame Sache gearbeitet und geschlichtet und gemildert und vorsichtig angestoßen hatte, und er wunderte sich nicht nur, nein, er schämte sich auch ein wenig, denn er hätte doch dankbarer sein müssen und niemals zulassen dürfen, daß man in einer jener Sitzungen die Gattinnen, die so herzensgut und freiwillig ihre Anteile zur Sache beitrugen, einfach ausgeschlossen hatte.

Donnerstag, 29. Mai 2008

350.

Der Leiter der Abteilung Öffentlichkeit kam nach gründlichem Aktenstudium und ebenso gründlicher, durch nichts als blank eitle Feindseligkeit angetriebener Überlegung zu dem Schluß, daß es an der Zeit sei, eine kleine Schweizreise zu unternehmen, denn hier hoffte er – in dieser seiner Hoffnung gestützt auf einen alten Bericht von Karomütze - auf aufmerksame Ohren zu treffen, wenn er äußerst feinsinnig (für feinsinnig hielt er sich durchaus, mochte er auch der einzige sein, der das so sah, so war er immerhin einer) darüber herziehen würde, wie die Demokratiebeauftragte ja außerstande sei, Persönliches von Beruflichem zu trennen, eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, wie sie der Kreativleitung in ihrer praktisch nur Persönliches thematisierenden Heulsusigkeit seit viel zu langer Zeit viel zu eng verbunden sei, wie sie sich erlaube, ihr Kind überall mit hin zu nehmen und im übrigen hauptberuflich hohle Befreiungsforderungen in die Welt trompete, die niemandem nützten, wie sie offenkundig viel zu verkrampft sei, um sich endlich auf passende Weise mit einem passenden Mann zu liieren, und, das sitzt eigentlich meistens, dachte er, wie sehr doch die unter ihrem Schutz immer mal wieder herausposaunte Vorliebe Mos für Schnee nicht, wie von vielen Toren geglaubt wurde, eine heimlich-unheimliche Schwärmerei der Kreativleitung für einen bestimmten Mann deckte, sondern vielmehr recht eigentlich ein Zeichen für die Kälte sei, die ausbrechen werde, sobald diese Damen nun zu zweit das Ruder übernehmen würden, ja, sagte er sich, Kälte, das ist es genau, Kälte ist doch einfach furchtbar, gepaart mit Empfindlichkeit, noch furchtbarer, dann eine kleine Neigung zur Hysterie vielleicht, und er redete sich ganz bei sich selbst in eine Rage und einen Furor, die von niemandem mehr aufgehalten wurden, denn nach den stets aufmüpfigen Nachkommen war ja nun auch seine Gattin tatsächlich ausgezogen, hatte sich außer Shakespeares Gesammelten Werken nur ein Buch mit dem hübschen Titel Teufelsbrück mitgenommen, das ihm wegen seines besonders bunten Umschlags (Paradiesvögel in Palmwedeln, schlimmer ging es eigentlich kaum) immer schon auf die Nerven gegangen war, wie es da so über Monate auf ihrem Nachttischchen gelegen hatte, natürlich ein Weiberbuch, und ihm war es ohnehin lieber, wenn kein Weib im Haus war, es reichte doch, wenn man die gelegentlich in ihren jeweiligen Nestchen aufsuchte, wo sie, wenn man sie richtig zu halten verstand, stets dankbar zu warten pflegten, man durfte ihnen nur gar nicht erst angewöhnen zu fragen, was man in der Zeit treibe, in der man nicht bei ihnen war, hatte man da nicht genug zu tun, ach ja, seufzte der Leiter der Abteilung Öffentlichkeit in seinem allmählich wieder abklingenden Furor, die Weiber, und er war weit weit davon entfernt, sich beim Anblick des Lieblingssessels seiner Gattin zu wünschen, diese möge doch bitte wieder dort sitzen, ooo nein, derartige Gedanken lagen ihm wirklich vollkommen fern, nicht wahr, ferner auf jeden Fall als die holde Schweiz, die er sich schön dachte, nach allem.

Mittwoch, 28. Mai 2008

349.

Im Chefbüro hatte der Chef in der letzten Woche schon damit begonnen, seine Sachen zu packen, und in dem Durcheinander war ihm anscheinend jener kleine Zettel wieder in die Hände gefallen, auf den die Kreativleitung vor ziemlich langer Zeit einmal geschrieben hatte: "die Realität ist nicht egal," den nun die Demokratiebeauftragte, welche sich für einen kleinen einsamen Augenblick probeweise in dieses Büro gestohlen hatte, dort zuoberst auf dem Schreibtisch liegen sah, so daß sie sich gleich wieder an die diskursiven Barbareien erinnerte, die dieser kleinen Zettelbotschaft damals vorausgegangen waren, diskursive Barbareien, in denen ein im Grunde ja ganz nützliches Erkenntnisinstrument, die Projektionshypothese aus den Lehren Freuds, durch einige gleichsam ins Kraut geschossene Mißbräuche zu einer Waffe geworden war, welche in einer nicht nur aggressiv blöd durchsichtigen, sondern zugleich erstaunlich verwirrenden und nebelwerferischen Gesprächstaktik durch einige Persönlichkeiten seinerzeit gegen die Kreativleitung gewendet woren waren, so überwältigend, daß schließlich auch der Chef nur durch große gemeinsame Anstrengung von Kreativleitung, Demokratiebeauftragter und der Gattin des Chefs hatte überzeugt werden können, diesem Destruktionsstrudel Einhalt zu gebieten (daß sie selbst zeitweilig in Versuchung gewesen war, die Kreativleitung mitzubeschädigen, vergaß sie so großmütig wie diese selbst, es sei hier nur der Wahrheit zuliebe mit erwähnt); nun saß sie also in diesem Büro, bevor sie zu den anderen ging, um mit ihnen zu feiern, und sorgte sich, denn gegen diese fraglichen Persönlichkeiten würde nun auch sie Mühe haben, ohne die manchmal eben auch schützende Autorität des Chefs im Rücken ihre Differenzierungskünste als etwas zu behaupten, das mehr wäre als die von irgendwelchen Simpletons darin immer schon vermutetete Schwäche, aber sie ermahnte sich zu Zuversicht und schrieb als erste Verlautbarung die für diesen Tag im Grunde ganz laut herauszubrüllende Aufforderung: Befreit San Suu Kyi und alle, die versucht haben, zu ihr durchzukommen, und es wäre ihr nach dem Herzen gewesen zu schreiben, stürzt die barbarischen Generäle, die euch würgen, und so überzeugt sie war von der Notwendigkeit diplomatischer Schritte, so entsetzlich schwer fiel es ihr doch, beim Anblick dieser Barbareien still zu halten, routiniert die "Befreit-Sun-Kyi-Forderung" abzuschicken und sich dann der Geschäftsordnung der Übergabe, zu der eben auch die Feierei gehörte, zuzuwenden, und wenn ihr nicht das Kind entgegengekommen wäre, das ausgesprochen lebhaft und munter sich auf den Weg gemacht hatte, um sie zu suchen, hätte sie wohl so etwas wie eine "Nach-der-Wahl" Flaute erwischt, jedenfalls etwas, das andere dann wieder so genannt haben würden.

Dienstag, 27. Mai 2008

348.

Während die Demokratiebeauftragte sich also in ihrem alten Büro ein paar Minuten zur mentalen Übernahme des Chefbüros verschaffte, standen nach der feierlichen Übergabe der Amtsgeschäfte die meisten EinSatzKräfte mit "finger-food" und "Canapes" im "Bistro" herum, und hier fand das Kind der Demokratiebauftragten wie selbstverständlich Anschluß an die Kreativleitung, welche ihm als Freundin der Mutter von allen EinSatzKräften am vertrautesten war, und das Kind - mittlerweile eigentlich kein Kind mehr und selbst sehr interessiert an allen Arten von Wortsport - fragte sie heute fast mitleidig, so, und jetzt wollt ihr also weiter ohne Chef und mit meiner Mama als Chefin eure Wörter und Sätze turnen lassen, da lächelte die Kreativleitung und dachte, das Kind kann sich das noch gar nicht denken, erstaunlich, und so fragte sie, traust du uns das denn zu, da lachte das Kind, vergewisserte sich, daß der Chef es nicht hören konnte, und sagte so umstandslos, wie es überhaupt zu sprechen pflegte: klar.

Montag, 26. Mai 2008

347.

Es wäre nun an der Zeit zu schildern, wie es den einzelnen EinSatzKräften nach dieser schwierigen Sitzung erging, die allwissende Erzählung sollte sie in ihre Häuslichkeiten begleiten, das Gespräch zwischen Mo und dem Chef wäre evtl. realistischer nachzuholen, indem die Kreativleitung Mo mit zum Chef brächte, aber wiederum ist das eine vollkommen aussichtslose Konstruktion, denn ein Chef der alten Schule, mag er auch noch so gutmütig sei, wird niemals auch nur die Existenz, geschweige den Lebenswunsch eines Mo ernstnehmen können, ein Chef der alten Schule denkt nun einmal A=B und paktiert mit sich selbst anmaßlich ökumenisch nennenden Gewaltordnungen, und darum denkt er im Sinne eines Mo eben einfach gar nicht, es müßte schon sehr nächtlich um ihn sein, wenn ihn ein derartiger Gedanke anwehen sollte, die Abdankung des Chefs war ohne Zweifel eine Voraussetzung zur Verbesserung dieser Lage, die gleichbleibende Milde der Chefgattin die Voraussetzung von lange her, die Idee der Kreativleitung war also nicht vom Tisch, aber sie hatte etwas Überflüssiges an sich, denn es bestand nicht die geringste Notwendigkeit, hier irgendetwas zu beschleunigen, man war auch bisher gut ausgekommen ohne ernstere Verständigungen zwischen Mo und dem Chef, es gab den zivilisatorischen EinSatz der Zwischenfiguren, und die Idee einer Kommunikation der Extreme war zwar reizvoll, aber auch gefährlich, zumal die Kitschler mit ihren Übertreibungen und Restaurationswünschen noch lange nicht aus dem Felde geschlagen waren, so daß man hier besser Eis über Eis häufte, als irgendetwas zu ändern, während in der EinSatzLeitung andere Sorgen drängten, der Leiter der Abteilung Öffentlichkeit mußte dringend neu ausgeleuchtet und in irgendeiner Form dazu bewegt werden, keinen destruktiven Unsinn zu machen (zu welchem wiederum viele scheinbar intelligente und wohl für so manchen sich klug dünkenden Leser verständige Äußerungen zum Thema Mo gehörten), aber die Demokratiebeauftragte sagte zu Karomütze, der dies alles dringend nahelegte, sie erbitte sich ein paar Tage Zeit, sie wolle nun zunächst das Chefbüro beziehen und einige andere dringende Angelegenheiten erledigen, und sie bitte die Abteilung Ö, deren Assistentin gemeinsam mit Karomütze und Assistentin K vor ihr stand, sich ernsthaft mit der Frage zu beschäftigen, wie man Frau Betancourt und die anderen 800 Geiseln befreien könne, und so viele weitere Gefangene, sagte sie dann, mit einem schrägen Schmunzeln fügte sie hinzu, vielleicht auch geistliche Oberhäupter, die aus ihren versöhnlich eingewickelten Subjektionsphantasien ebenfalls recht dringend erlöst werden müßten, und als sie das zur Assistentin Ö gesagt hatte, biß sie sich schnell wieder auf die Lippen, denn sie erinnerte sich an deren durchtriebene Rede gegen ihre eigene Cheflichkeit, straffte sich aber gleich wieder und sagte, und wenn jemand irgendwelche Fragen hat, ab morgen früh um acht bin ich wieder für alle zu sprechen.

Sonntag, 25. Mai 2008

346.

Sitzung der EinSatzLeitung

Protokoll: Der klitzekleine Forschungsminister

Sitzungsleitung: Kreativleitung

Anwesend: Die gesamte engere EinSatzLeitung nebst über 80% der Mehrheitler und Minderheitler, ferner - wegen der Bedeutung des Augenblicks der Übergabe der Geschäfte - einige Gattinnen und Gatten und andere Angehörige, unter ihnen sowie unter den Mehrheitlern nach Auskunft der Karomütze einige Abgesandte der Verwertungsgemeinschaft, die sich ein reichliches Mahl nicht grundlos erhoffen werden.


Notat des Protokollanten vor Beginn der Sitzung: Man möchte momentweise lieber eine Art Lokal- oder Galareporter sein und aufschreiben, was man so alles sieht an den Menschen, die Kreativleitung tut dies heimlich, aber unser Job ist hier ein anderer, was wir heute ausnahmsweise einmal bedauern.

Tagesordnung:
1. Begrüßung zur außerordentlichen Sitzung durch die Kreativleitung.
2. Belehrung über die Modalitäten des Führungswechsels durch den Diskurswart.
3. Rede des Chefs zu seinr Abdankung und Erklärung seines Willens für die Nachfolge.
4. Debatte über die Nachfolge.
5. Abstimmung.
6. Kurze Erklärung der/ des gewählten Kandidatin/ Kandidaten.

TOP 1

Unter allgemeinem Geraune und Geraschel betritt die Kreativleitung den Raum, bedankt sich für die Ehre, diese wichtige Sitzung leiten zu dürfen, und berichtet in der von ihr gewohnten farbigen Knappheit und relativen Formlosigkeit über die Ereignisse, die zur neuen Lage geführt haben: Der Chef war ernstlich erkrankt, hat sich Gott sei Dank seit der letzten Sitzung wieder recht gut erholt (sicher auch dank der umsichtigen und fürsorglichen Pflege seiner Frau) und in der Zeit seither an seiner Abdankungsrede gearbeitet sowie, in vielen Gesprächen auf der Veranda seines schönen Hauses, die möglichen Szenarien für seine Nachfolge erwogen. Sie bittet den Kollegen Diskurswart nun, seines Amtes zu walten und die Modalitäten des Führungswechsels zu erläutern.

TOP 2

Der Diskurswart legt eine Folie auf das entsprechende Gerät und erläutert die Struktur der EinSatzLeitung, die sich aus einem EinMannUnternehmen, als das der Chef sie ursprünglich einmal gegründet hatte, zu einer kleinen Institution mit so etwas wie konstitutionell-monarchischer Struktur (anschwellendes Gemurmel unter Mehrheitlern und Minderheitlern, nur dem engeren Kreis ist dieses Faktum so vertraut, daß die Gesichter sämtlich stoisch bleiben) entwickelt hat. Die Nachfolgeregelungen seien nicht vergleichbar mit denen größerer republikanisch-demokratischer Gebilde, da der Chef selbst ein erheblich größeres Gewicht bei der Entscheidung über die Nachfolge habe als in parlamentarischen Formationen. Er werde also eine/n Kandidatin/en nominieren, und erst wenn die Mehrheit der EinSatzKräfte seinem Vorschlag nicht zustimme, müsse neu verhandelt werden. Hinzu komme eine Hierarchisierung der Stimmgewichte, diese sei anders als bei Aktiengesellschaften aber nicht nach Kapital, sondern nach Zeiteinsatz und Institutionenbindung gestaffelt, es gebe insofern grüne Stimmzettel für die vollbeschäftigen engeren Mitglieder der EinSatzLeitung, graue Stimmzettel für die Warte, und gelbe Stimmzettel für die Mehrheitler und Minderheitler, die nur lose assoziiert mit der EinSatzLeitung zusammenarbeiten. Gelbe Stimmzettel würden auch an diejenigen Angehörigen der Inhaber grüner Stimmzettel vergeben, die ernsthaften Anteil an der Arbeit ihrer vollbeschäftigten Familienmitglieder genommen hätten, in unserem Falle die Gattin des Chefs und Gattin Ö, das Kind der Demokratiebeauftragten habe noch etwas zu wenig beigetragen, könne aber möglicherweise nach entsprechendem EinSatz nächstes Mal schon ganz anders dastehen, Mo gelte als Vollmitglied und erhalte einen grünen Stimmzettel, und der erzählende Kranich könne als fiktivste aller Figuren leider ebenso wenig mitstimmen wie der seit langem nicht mehr erschienene Pestvogel oder sein Kollege Brachvogel, (nebenher werden Gerüchte laut, daß der erzählende Kranich neuerdings die Pestvogel-Niederungen überfliege und demnächst von dort einen Eindruck vermitteln werde, aber die Gerüchte werden zum Schweigen gebracht, weil heute ernste Angelegenheiten geregelt werden müssen). Erst unter einem neuen Chef oder einer neuen Chefin könne diese Struktur geändert werden.

TOP 3

Der Chef hält eine überaus anrührende, bewegende, lange und dankbare und in vielem erhellende Rede, an deren Ende in manchem Auge Tränen zu sehen sind. Alle erheben sich an ihrem Ende zu langem Beifall. Die Rede wird auf einer der künftigen B-Ebenen im Wortlaut geliefert werden. Das Ergebnis für die Sitzung kommt nicht überraschend: Als Nachfolgerin nominiert er die Demokratiebeauftragte, die straffen Rückens und mit ein ganz klein wenig feuchten Augen für diese Ehre dankt.

TOP 4

Die Debatte über die Nominierung der Demokratiebeauftragten wird in einer kleinen Pause vorbereitet (der Leiter der Abteilung Ö steht zusammen mit einigen Mehrheitlern und dem Buchhalter an einem Tischchen) und dann durch die Assistentin Ö eröffnet. Diese trägt wieder einmal ihre in diversen Pastellfarben gestreifte Bluse, darüber aber einen leichten Seidenblazer und hat ein Gesicht, das weniger eindeutig aussieht als man es schon hatte. Sie sagt, es gebe in der EinSatzLeitung eine starke Minderheit, vielleicht sogar eine schwache Mehrheit, welche den Leiter Ö an der Spitze der EinSatzLeitung sehen wolle, da dieser sich in jahrelanger Arbeit sehr verdient gemacht und die Öffentlichkeit von der Leistungskraft und Zuverlässigkeit des Unternehmens weit mehr überzeugt habe als die Demokratiebeauftragte, deren Verdienste im Innern ohne Zweifel groß seien, deren kommunikative Kompetenz in der Außendarstellung, auf die bei den EinSätzen so ziemlich alles ankomme, aber eher zu wünschen übrig lasse, so daß es im Grunde besser wäre, die Leitung nunmehr mit jemandem zu besetzen, der immerhin auch dies für sich habe, daß er eine ganze Abteilung bereits geleitet habe, während die Demokratiebeauftragte lediglich mit Widrigkeiten in einem überfüllten Büro, das auch nicht gerade von sehr erfolgreichen und repräsentativen Gestalten bevölkert sei, gekämpft habe, was sie sicher ehrenwert gemacht habe, wodurch sie aber doch keineswegs qualifiziert werde, die Gesamtinstitution nun darzustellen und den Laden vollständig zu führen und zu repräsentieren. Der Chef antwortet darauf, daß er sich durchaus etwas bei seiner Entscheidung gedacht habe, für ihn habe am Ende den Ausschlag gegeben, daß die Demokratiebeauftragte über ein stabiles Rückgrat verfüge. Darauf erteilt die Kreativleitung dem bereits ungeduldig seinen Redewunsch anzeigenden Sicherheitsbeauftragten das Wort, welcher darlegt, wie der Leiter der Abteilung Ö sich durch seine Konformitätsbemühungen nach außen ganz sicher erhebliche Verdienste erworben habe, man danke ihm auch allgemein für sein Engagement, mit dem er sich um die Leitung der Gesamtinstitution bemühe, es müsse aber doch auch bemerkt werden, daß er sich, um auf den Posten zu kommen, nach innen höchst unerfreulicher Mittel bedient hätte, um die Demokratiebeauftragte zu desavouieren, und erst als man ihm unmißverständlich bedeutet habe, daß er damit nicht nur nicht weit kommen werde, sondern außerdem riskiere, daß die Dinge, die ihm auf der von ihm gewählten Ebene (anders als der Demokratiebeauftragten, gegen die nur ein allerdings beeindruckend engmaschig gewobenes Netz aus Erfindungen und Fehlinterpretationen mit großem Pomp ins Feld geführt werden könne) real angelastet werden könnten, ihn seinen Job kosten könnten, habe er davon abgesehen, mit dem von langer schmutziger Hand angesammelten Dreck um sich zu werfen. Die Debatte, die nach diesen beiden Beiträgen entbrannte, braucht nicht im Detail erörtert werden, ihre Folgen werden uns noch eine Weile beschäftigen, unter anderem das einstmals so gute Verhältnis zwischen Buchhaltung und Karomütze dürfte nach der Prognose des Protokollanten erheblich gelitten haben, das zwischen Karomütze und Assistentin K (die aus ihrer Wahl kein Hehl gemacht hat) hingegen dürfte sich wieder etwas verbessern, aber solche Prognosen braucht jetzt auch niemand. Die Debatte dauerte zwei geschlagene Stunden.

TOP 5

In der Abstimmung erhielt die Demokratiebeauftragte mit den gelben Stimmzetteln als ausschlaggebender Kleinstgruppe von Stimmen eine äußerst knappe Mehrheit.

TOP 6

Die Demokratiebeauftragte bedankt sich beim Chef und der EinSatzLeitung für das ihr entgegengebrachte Vertrauen sowie für die Großzügigkeit des sehr ehrenvoll abgeschlagenen Rivalen und verspricht, sich auch in Zukunft energisch um das Wohl der EinSatzLeitung zu bemühen, alles Weitere werde so bald wie möglich geregelt werden. Der Buchhalter meldet sich zu Wort und stellt anheim, über eine Änderung der Nominierungsmodalitäten als erstes zu verhandeln. Die Demokratiebeauftragte sagt, es liege doch näher, derartig tiefe Eingriffe in die Strukturen der EinSatzLeitung erst dann zu diskutieren, wenn die Arbeit unter der neuen Führung eine Weile eingespielt sei, und der einhellige Applaus bestärkt ihren Beitrag.

Die überlange Sitzung wird von einer immer noch tapfer lächelnden Kreativleitung, die ein schlafendes Mo auf ihrem Schoß hat, geschlossen. Zu sehen, wie die Leitung Öffentlichkeit und Teile der Verwertungsgemeinschaft den Raum verlassen, ist für den Protokollanten nicht eben beruhigend, aber die Demokratiebeauftragte, der nun zuerst die Kreativleitung und die Gattinnen gratulieren, ist dennoch zuversichtlich, und während der scheidende Chef ihr jederzeit Rat und Unterstützung zusagt, sagt sie ihm ihrerseits zu, das Andenken und die Verdienste seiner Arbeit in hohen Ehren zu halten und die Angelegenheiten der EinSatzLeitung in seinem Geiste nach bestem Wissen und Gewissen weiterzuführen.

Samstag, 24. Mai 2008

345.

Bevor sich die Kreativleitung und der Kwaliteitswart noch beruhigen konnten über den bizarren Übergriff ausgerechnet jener eher für stillgestellt gehaltenen Kleinfraktion aus der Demokratieabteilung, ereignete es sich, daß Mo ihren Stift weglegte, mit einem über und über bekritzelten Blatt in der Hand auf die Kreativleitung zu trippelte und sagte, wenn schon Gattin Ö über den Kranich und den Reiher ein Filmchen aus ihren altertümlichen Archiven zieht, dann will ich jetzt eine andere Geschichte vom erzählenden Kranich für die B-Ebene abgeben, die auch etwas mit Archiven zu tun hat, und die Kreativleitung besah sich kopfschüttelnd das Blatt, der Kwaliteitswart übte sich in dem, was man verwaltungstechnisch "Gegenlesen" zu nennen pflegt, ein sehr hübsches, nachgerade intrigantes Wort, wie ihm dabei auffiel, und sie dachten sich, bevor die Leitung Öffentlichkeit wieder Anstöße konstruieren würde, die von allen denkbaren Seiten selbstverständlich auch im Fluge genommen werden würden, sei es doch besser, den Text einfach erstmal "aufzustellen," aber als der Kwaliteitswart dieses Wort aussprach, hielt sich Mo die Ohren zu und sagte, jetzt redest du auch schon so, bist du gut aufgestellt, ja, ihr faltiges kleines Gesichtchen verkrümpelte sich kurz, entkrümpelte sich dann wieder, und mit neu gewonnenem Lächeln sagte sie, na gut, der Kranich ist ja weit oben und hörts nicht, und er scheint ja sowieso die Hinweisschilder zu nehmen wie sie kommen, gibts die eigentlich bei Google Earth wirklich, oder habe ich das wieder einmal nur geträumt?

Freitag, 23. Mai 2008

344.

Wieder einmal kam alles anders als alle anderen gedacht hatten: Der klitzekleine Forschungsminister und der stille Theologe drängten sich an allen anderen Figuren vorbei und nahmen Platz auf den Holzbänken des Weberschiffchens der Kreativleitung, woselbst sie eine dringende Frage in kürzester Form abzuhandeln wünschten, und zwar zuerst und vor allem die Frage, wie es eigentlich zu erklären sei, daß von allen Studenten ausgerechnet die Theologen und die Juristen die meisten Bücher aus ihren Bibliotheken zu stehlen pflegten, daß ausgerechnet Sozialarbeiter und Mediatoren untereinander die raffiniertesten und feindseligsten Intrigen zu spinnen pflegten, daß die Psychologen selbst sich stets am schwersten in seelischen Knäulen mit sich selbst zu verstricken und die allerrationalsten Ärzte die größten und abergläubischsten Hypochonder ihrer selbst und manchmal auch ihrer Patienten zu werden pflegten, und der stille Theologe setzte den klitzekleinen Forschungsminister auf seinen Schoß und verkündete, gemeinsam habe man in langen Gesprächen eine Lösung dieses Problems gefunden, die man nunmehr empfehle, an allen Litfaßsäulen und Werbeflächen bekannt zu machen: Die Menschen lieben es nun einmal nicht, sich nach ihren eigenen Programmen zu verhalten, je klüger und lebendiger sie sind, desto weniger, sie können programm- und verabredungsgemäß funktionieren, solange eine Sache ihnen irgendwie fremd bleibt, der Stechuhr-Effekt kann bemurrt werden von Scharen von Menschen, die trotzdem brav täglich pünktlich erscheinen, da sie wissen, daß sie nach Feierabend von diesem Lästling für etliche Stunden entlastet sind, aber je näher einem ein Programm kommt, desto unabweisbarer wird es dem kraftvollen Gemüt, dem Programm, zu dessen Verkündiger es sich gemacht hat, hier und da ein wenig zu widersprechen, eine Freiheit abzutrotzen oder zu stehlen, eine noch nicht völlig durchprogrammierte Chance zu schaffen oder zu ergreifen, dies gelte vermutlich für ausnahmslos alle Menschen, und die, welche sich vollkommen mit einem von ihnen selbst bespielten Automaten "identifizierten," seien vermutlich zugleich diejenigen, die am ärgsten zu fürchten seien, und diejenigen, denen die konsequenteste, wie heißt es so schön, "Umsetzung" eines Programms auf- und abgezwungen werde, seien vermutlich die unglücklichsten Menschen überhaupt, welche sich allenfalls noch am relativen Unglück aller anderen dadurch schadlos halten könnten, daß sie ihnen mit für unentbehrlich erklärten Methodenverbesserungsberatungen auf den Leib rückten; und, während der Klitzekleine auf den Beinen des stillen Theologen hin und her rutschte und wild gestikulierend den großen Stillen in seiner ungewöhnlich langen Rede weiter anzufeuern trachtete, sagte dieser noch, leise lächelnd, und die gute Nachricht, meine Damen und Herren, nun, dies ist bereits die ganze gute Nachricht, einen solchen Freiheitswunsch hat doch fast jeder, und findet er alles perfekt durchmethodisiert, sich selbst methodisiert bis in die feinsten Regungen, so wird er Freiheit nur noch in Fehlern finden, die er genießen wird, und wenn er damit angefangen hat, dann hört er nicht wieder auf, funktioniert aber trotzdem sehr gut, wo er das Funktionieren ein wenig von sich weghalten kann, und jawohl, meine Damen und Herren, dies ist eine gute Nachricht, und wir wollen sie Ihnen nicht vorenthalten!

Donnerstag, 22. Mai 2008

343.

Der Wunsch des anonymen Familienmitglieds beeindruckte die EinSatzLeitung sehr, die üblicherweise völlig eigenmächtig agierende Kreativabteilung (bestehend aus Mo, die heute schrieb, der heute aus privaten Gründen abwesenden Assistentin und der Kreativleitung) dachte irgendwo zwischen Teppich und Fensterbank daran, sich die Sache ernsthaft zu Herzen zu nehmen, der immer noch im Sessel sitzende Kwaliteitswart bemerkte es mit der ihm eigenen erstaunlichen Sensibilität sofort und wollte bereits etwa aufkommende Bedenken durch eine beherzte Ermunterung zu mehr politischer Relevanz zerstreuen, als die Kreativleitung, die immer noch mit dem Weberschiffchen in der Hand vor dem Wandteppich stand, dieses Schiffchen einen doppelten Salto machen ließ, sich dann zum Kwaliteitswart umdrehte und ihn fragte, ob er nicht auch manchmal den Eindruck habe, es setze sich neuerdings in öffentlichen Debatten ein neuer, irgendwie ganz erfrischend erscheinender Gouvernantenton durch ("so etwas tut man einfach nicht"), und ob man nicht in den nächsten EinSätzen erst die Gattin Ö dergleichen bemerken lassen und dann sich aber doch einem tieferen Verständnis des Gatten Ö in seiner privaten Verstrickung (noch fehle ja die Autorin der geheimnisvollen und das ganze Desaster auslösenden Karte) zuwenden solle, und der Kwaliteitswart war für einen Augenblick nicht sicher, ob er das gut finden und ermuntern solle, seinen Vorstellungen entsprach es eigentlich nicht, und so sagte er, er habe neulich mal das Wort "Männerversteherin" gehört, woraufhin die Kreativleitung lachte und mit einem durchsichtig gespielten therapeutischen Gesichtsausdruck fragte "und wie fühlt sich das für Sie an," und irgendwie schienen sie sich fast gegenseitig aus den Konzepten zu bringen, da das aber nicht sein durfte, erhob sich der Kwaliteitswart schnell aus seinem Sessel, setzte sich jedoch, da er merkte, daß das die Sache nur noch gefährlicher machen würde, sofort wieder hin und fragte mit einem Blick auf den Rücken des immer noch emsig schreibenden Mo, wie wäre es, wenn wir den Chef einmal das Nachts beunruhigt darüber nachdenken ließen, wo eigentlich Mo mit ihrem Fell schläft, wenn die Kreativleitung mal ihr Büro verläßt, und wenn wir ihn sofort heimlich aufstehen ließen, um mitten in der Nacht zur EinSatzLeitung zu schleichen und nachzuschauen, ob Mo auch schlafe, weil er plötzlich denken müsse, daß seiner Sorge um die EinSatzLeitung und seiner Cheflichkeit etwas Entscheidendes zu ihrem Abschluß fehle, wenn er das nicht wisse, und dann könnten wir doch ein längeres Beratungsgespräch zwischen Mo und dem Chef im Dunkel des Kreativbüros folgen lassen und hätten alle Kriterin beieinander, wie wäre das für Sie?

Mittwoch, 21. Mai 2008

342.

Am Ende kam es dann doch zu einem Telefonat zwischen der Gattin des Chefs und der Gattin Ö, in welchem diese beiden sich noch einmal darüber verständigten, daß und warum es ihnen wichtig war, die Demokratiebeauftragte in der Chefnachfolge zu sehen und vor allem zu sehen, daß sie sich durch kein "Gib's auf" und kein "sieh es doch ein" und "wir müssen jetzt alle an einem Strang ziehen" dazu bewegen lassen würde, ihren Anspruch auf diese wohlerarbeitete Position einfach so den, wie die Gattin des Chefs der Gattin Ö und ihrer elenden Loyalität zugestand, sicher auch irgendwie legitimierbaren Aspiranzen des Leiters Ö oder den möglicherweise noch aus irgendwelchen Hüten zu zaubernden neuen Ehrgeizen einer Karomütze oder eines stillen Theologen zu opfern, und sie redeten viel hin und her über die ewige Verlegenheit der liebenden Weiblichkeit, und wenn die Demokratiebeauftragte ihnen hätte zuhören können, würde sie vermutlich gefragt haben, ist das nicht die Verlegenheit eines jeden Menschen, der es tatsächlich wagt, im anderen Menschen auch dessen Freiheit zu lieben, oder überhaupt eines jeden Menschen, der es wagt, seine Liebe für andere und für die Welt ernst zu meinen, daß gerade die, denen ein anderer eher Material ist, natürlich immer leichtes Spiel zu haben scheinen mit jenen, die außer dem eigenen auch noch das Wohl der anderen kennen wollen, und vermutlich hätte es eine ganz abseitige Diskussion gegeben, wenn dann auch noch die anderen dazu gekommen wären, aber es kam nicht zu dieser Diskussion, denn die Gattin Ö brach das Gespräch ganz plötzlich ab, weil ihr auffiel, daß ihr Gatte bald nachhause kommen würde und weil sie ihre Sachen noch rechtzeitig packen wollte, sie nannte der Gattin des Chefs also nur die neue Adresse, unter der sie künftig zu erreichen sein würde, und sagte, nun doch wieder etwas jämmerlich, siehst du, die Demokratiebeauftragte, der alles vergangen ist, die hat wenigstens noch ihre Arbeit, aber ich, ich war doch immer bloß Gattin, und nun kann ich also allenfalls ... wir werden etwas für dich finden, sagte die Gattin des Chefs, verlass dich drauf, und wir werden nicht zulassen, daß du hängenbleibst in rachsüchtigem Starren auf Ös neue Vergnügungen oder in jämmerlichem Geklammer gegenüber deinem Sohn, und das erste, was du nun eben nicht mehr im Hause sondern außerhalb tun wirst, ist dein Schubidu-Singen, und dann haben wir doch noch ein paar Befreiungsprojekte, war es nicht so, und schnell beendeten sie ihr Gespräch, denn nicht nur mußte die Gattin Ö ihre Sachen packen, sondern im cheflichen Haushalt hörte man das reichlich herzhafte Abschiedsgeplänkel zwischen Karomütze und dem Chef, das wie selbstverständlich die Gattin dazu trieb, nun ihrerseits recht höflich und freundlich einen Abschiedston von sich zu geben und sogleich alles verkrümelte Geschirr auf ein Tablett zu stellen und unterwegs zu überlegen, wie sie nun wohl ihren Gatten fragen könne, was denn gewesen sei, ohne seinen leicht aufspringenden Unmut zu reizen.

Dienstag, 20. Mai 2008

341.

Während die Kreativleitung und der Kwaliteitswart also sprachen und Mo fröhlich über einen sehr munteren erzählenden Kranich weiter schrieb, hatte es der Kollege mit der Karomütze endlich zum Chef geschafft, wo er Bericht gab über alle Angelegenheiten, die er in Erfahrung gebracht hatte, und der Chef dachte, eigentlich ist es doch recht schön, Chef zu sein und Bericht zu erhalten über alles dieses und im Vollgefühl der eigenen Bedeutung dann wieder im Büro zu erscheinen, und die Gattin des Chefs dachte, als sie die Kekse und den Kaffee brachte, um Himmels willen, er wird es sich noch anders überlegen, denn die Augen des Chefs funkelten lustig und munter, seine Haut rötete sich kränklich, und es war, als wäre er nie auch nur eine Sekunde im Zweifel gewesen über die Fortsetzung seiner Arbeit, und sie ging leise wieder aus dem Zimmer, zog leise die Tür hinter sich zu und dachte, vielleicht ist es jetzt an mir, zur Gattin Ö zu gehen und bitterlich zu weinen, aber dann fing sie sich wieder und sagte sich, was mache ich hier eigentlich, es ist doch gar nichts passiert, und es war ja auch nichts passiert, und was Karomütze zu berichten hatte, wie wichtig war das denn wirklich, es klang sehr wichtig, gewiß, es klang nach Sorgen um die Welt und schlimmen Zuständen, dazu noch nach Problemen in der EinSatzLeitung, und schließlich entschied sie, wieder in das Zimmer zu gehen und sich leise an irgendetwas zu schaffen zu machen und hier an der Gardine zu zupfen und dort ein Kräutlein aus einem Blumentopf zu rupfen und nebenher zu hören, ob es nicht eher an der Zeit wäre, die Demokratiebeauftragte, deren Aufzug ihr schon des längeren mißfiel, zu einem kleinen Einkaufsbummel zu schleppen, um sie dezent auf ihre künftigen Pflichten und nebenher auch etwas präziser auf die zu erwartenden Schwierigkeiten vorzubereiten, aber als sie das wichtige Gerappel des Karobemützten über Weltenbrand und Dosenpfand hörte, wurde sie sehr müde und ging schnell wieder aus dem Zimmer und setzte sich in den Garten und betrachtete die Rosenstauden, als könnte sie diese durch angestrengtes Draufschauen zu schnellerem Wachstum bewegen.

Montag, 19. Mai 2008

340.B.

Der erzählende Kranich überflog in weit ausgreifenden Schwüngen ein Gebiet, das ihm (er war ein moderner Kranich) durch sein Google-Earth Programm als die deutsche Hochschullandschaft ausgewiesen worden war, und er sah eine sehr erstaunliche Landschaft mit sehr erstaunlichen Bewohnern. Es gab dort "Cluster" (er kannte den Cluster bis dahin mehr aus der Musik), es gab Leuchttürme, es gab Exzellenzinitiativen und vieles mehr, und doch erschien, wann immer er sich einem dieser vielversprechenden neuen Gebäude näherte, immer derselbe Typus Mensch unter seinen Augen: Die Exzellenz. Exzellenz, so wußte der Kranich aus früheren Überflügen, ist eigentlich in der Politik die Anrede, die man für Botschafter gebraucht, man würdigt damit die auserwählten Abgesandten eines fremden Landes, die in eigens für sie eingerichteten Botschaften residieren und mithilfe eines Stabes von Mitarbeitern Informationen des einen Landes in das andere leiten und umgekehrt, sie erklären den Menschen eines Landes die Weltsichten der Menschen des anderen Landes und umgekehrt, sie vermischen sich nicht vollständig, aber sie lassen sich sehr ein, damit die Informationen besser fließen, und sie sind vor allem Virtuosen aller Gesten des guten Willens und die erste Adresse, wenn irgendwo etwas schiefläuft. Die Exzellenzen sprechen stets für die Regierungen ihrer Länder, aber manche begreifen sich auch als Abgeordnete einer höheren Souveränität, nämlich der ihres jeweiligen Volkes, und das Eigentümlichste ihrer Zwischenstellung besteht vielleicht darin, daß sie einerseits selbstverantwortet zu sprechen haben und andererseits eben doch mit ihrer ganzen exzellenten Lebensweise gebunden sind an die Weisungen ihrer Regierungen. Die Grundstücke, auf denen sie kraft ihrer Regierungssendung residieren, haben neben der bloßen Repräsentationsfunktion auch so etwas wie eine Asylfunktion für alle, die in einem fremden Land leben und sich in die Botschaft ihres eigenen Landes begeben können, um dort im Schatten der Flügel einer Botschafterexzellenz Schutz vor Bedrängnissen durch die Bürger des Gastlandes zu finden. Ganz anders die Exzellenzen der Wissenschaften. Diese sind in der klassischen Form sozusagen wesensmäßig exzellent. Um dies zu werden, sind sie zuvor einem Jahrzehnte dauernden Ausleseprozess unterworfen worden (und das Unterwerfen ist wörtlicher und tierischer zu nehmen als etwa Kants Unterwerfung der höchsten Wahrheiten unter die Methode der Kritik), den nur die Besten überleben (und die, die es geschafft haben, sind dann darauf so stolz, daß sie gern auch weiter andere diesen Prozessen zu unterwerfen wünschen, hierin vielleicht das Tierische oder auch Brutale an der Sache weiterzeugend): Solcherart sind also unsere Besten, müßten die Exzellenzen sagen, die, die überlebt haben. Diejenigen nämlich, die neben dem möglichst richtigen Geschlecht vor allem auch das richtige Verhältnis zur Geschlechtlichkeit überhaupt haben, diejenigen, die ganz ohne eine gelegentlich als heteronom empfindbare, ihnen also irgendwie äußerliche Regierung sich in ihren Äußerungen stets und ständig präzise an das halten, was von ihnen erwartet wird, diejenigen, die es schaffen, unter der Last von permanenter Begutachtung immer jemanden zu finden, auf den sie die mit so einer Situation verbundenen Belastungen besten Gewissens abwälzen können, diejenigen, die nie ernste finanzielle Sorgen haben und deswegen sich leicht tun mit so sportlichen Behauptungen wie: ich opfere eine bestimmte Zeit, weil ich dann auch etwas bekomme (Ruhm und Ehre in Ewigkeit, zum Beispiel, oder die Gunst eines Meisters und irgendwann eigene Meisterwürden), diejenigen, denen die Hoffnung und die Mittel nie ausgehen, weil sie sicher sind zu wissen, was von ihnen erwartet wird und daß sie es mit nichts als Disziplin erreichen können, diejenigen, denen kein Wunsch, selbst zu sprechen, und keine familiäre Rücksicht und kein familiärer Frontalangriff jemals dazwischen gekommen sind, wenn sie ihre Lektüren abarbeiteten, diejenigen, die immer demütig und bescheiden waren, diejenigen, die eifrig zusammengekarrt haben, was der Wind des Geistes manchen anderen zuweht, diejenigen, die das dann, wie sie selbst sich zugute halten, "in Ordnung gebracht" haben. Diese schon zu oft und zu oft auch zu Unrecht als Kärrner von geplagten Geistbeschenkten Kritisierten haben sich trotz aller Kritik munter ihre Staffeln zugereicht und exzellieren auch heute gar sehr. Manchen anderen aber ist der Geist, wie seit alters bekannt, ein den Beschenkten stets unangenehmes Götter- oder Gottesgeschenk ist, gibt es doch nur vergleichsweise wenige Exzellenzen (und diese seien hier ausdrücklich belobigt und geehrt) welche die eigene Größe haben, einen vielleicht stärker Angewehten in all der daraus folgenden menschlichen Schwäche neben sich zu ertragen. Den eher sich methodisch korrekt verclusternden übrigen wissenschaftlichen Exzellenzen erscheinen hingegen die Verwehungen des Geistes am Menschen ganz ohne Zweifel als bösartig und ungerecht, vor allem aber als undiszipliniert, und die Exzellenzen der Wissenschaft in der so sorgfältig ausgewählten Exzellenz ihrer Erlesenheit bieten niemandem außer ihresgleichen Schutz, und sie betrachten ein Wort wie "Bewegen" sämtlich im "Kausativstamm" und verstehen es wie folgt: Sie veranlassen andere, sich zu bewegen. Die Bewegung ist in der Regel eine Zerstreuung in alle Winde. Aber, wenn man die Landschaft so überflog, sah man doch: etwas von der kausativstämmig herbeigeführten Bewegung hatte sich schon sedimentiert, und so war, von hoch droben betrachtet, das Geheimnisvollste an den wirklichen Nestern der wissenschaftlichen Exzellenzen eine graue Masse, die sich in vermutlich dem Archivieren geweihten Gebäuden angesammelt zu haben schien. Das Google-Earth-Programm hatte vor manchen Archivgebäuden "Graue Literatur" auf einem seiner praktischen kleinen gelben Verkehrsschilder-Icons verzeichnet, und diese Hinweise hatten sich immer außer vor den Exzellenzzentren selbst auch noch vor Verwaltungszentren gestaut, in welchen die Gattung Gutachter siedelte, eine eigene Species mit überaus seltsamen Gepflogenheiten, die auf einer anderen Luftreise beschrieben werden sollte.
Der erzählende Kranich besah sich auf diesem seinem heutigen Aus- und Überflug zunächst also die Universitäten, und er staunte nur, aber am meisten staunte er darüber, wieviel herrlicher Schnee auf den Gebirgen lag, die sich zwischen den Nationalitäten und den Hochschullandschaften türmten, und es überkam ihn eine unbeschreibliche, geradezu jubelnde Freude, mochte auch von dem Schnee eine Kühle bis in seine hohen Luftregionen aufsteigen, so wurde er sich doch dadurch der himmeltauglichen Dichte seines Federkleides bewußt, und die Füße, die ihm üblicherweise sehr kalt waren, wärmten sich bis in die Spitzen allein durch diese Freude.

340.

Der Kwaliteitswart kam wieder einmal vorbei, um zu sehen, was eigentlich los sei, sah sich die letzten Einträge an und fand schließlich die entscheidende Frage, von der er glauben konnte, daß er sie nun ganz gewiß der Kreativleitung persönlich stellen müsse, und so holte er zwei große Becher Kaffee und ein Tellerchen mit Äpfeln und Honig im "Bistro," stellte alles unter den mißbilligenden Blicken des Leiters Ö, welcher dort saß und auf drei Leitungen gleichzeitig telefonierte, auf ein Tablett, und ging ungehindert und ohne zu stolpern bis zur Bürotür: die Kreativleitung öffnete mit einem Lächeln, dessen besonderes Strahlen (durchmischt mit einer Spur Verlegenheit) er glauben wollte, auf sich beziehen zu dürfen (jawohl, so umständlich!), sie bat ihn herein, freute sich ausführlich über den Kaffee, ersuchte ihn wispernd, Mo nicht zu stören, welche dem Raum auf der Fensterbank hockend ihren winzigen Rücken zukehrte, weil sie emsig damit beschäftigt war, für die B-Ebene die Geschichte vom erzählenden Kranich weiter auszuschreiben, und schaute ihn so erwartungsvoll an, daß er seine Frage vor Erstaunen wieder vergaß, aber der Kwaliteitswart ist ja nicht dumm, er lenkte sich also schnell ab, indem er den Apfelteller leise und Mo nun seinerseits darum bittend, sich für einmal nicht umzudrehen, neben sie auf die Fensterbank stellte, und als er sich dann wieder der Kreativleitung zuwandte, glückte ihm doch noch seine Frage, nämlich die, ob es nicht möglich wäre, auch Zwischengrößen einzuführen, also beispielsweise den Buchhalter ein wenig schrumpfen zu lassen, ohne ihn gleich auf das Zwergenniveau von Mo und dem klitzekleinen Forschungsminister zu bringen, Mo vielleicht ein wenig wachsen zu lassen, usw., und die Kreativleitung lachte hell auf, denn sie sah eine drollige Besorgnis in seiner Frage, welche zu zerstreuen sie sich bei aller Sympathie nicht entschließen konnte, und zwar aus Prinzip, sie hätte nun wieder einmal Goethes Beherzigung zitieren können, aber auch das tat sie nicht, sie hätte ihn am liebsten umarmt, aber das wäre natürlich ihrem Verhältnis gar nicht angemessen gewesen, und so lächelte sie nur und sagte, sie habe auch schon daran gedacht, vielleicht könne man sich gemeinsam ein wenig über die kommenden Stücke unterhalten, und sie geleitete ihn zum Wandteppich, schielte immer wieder mit verstohlener, aber irgendwie auch unverhohlener Begeisterung zu ihm hinüber, und führte dann in aller Gelassenheit das Gespräch über die verschiedenen Figuren und Gebiete und freute sich immer, wenn auch in seinen Antworten einige kleine Verlegenheiten durchblitzten und er doch Zeitgefühl genug hatte, um bei der Sache zu bleiben, deretwegen er gekommen war, und eine winzige Hoffnung wehte sogar von Mo herüber, die kleine Hoffnung, daß mal einer das rationale Gespräch wirklich über den Wandteppich führen würde und nicht dessen Produzentin zum Gegenstand seiner Betrachtungen degradieren würde, daß jemand nicht nur sehen könne, sondern auch ertragen, daß er selbst dabei gesehen wird, und daß nach einer Zeit der gemeinsamen Arbeit am Wandteppich dem Kwaliteitswart und der Kreativleitung eine Zeit gegeben sein könne, die niemanden etwas anginge, weil sie einfach nur gut wäre.

Sonntag, 18. Mai 2008

339.

Die Demokratiebeauftragte, welche von den Wegesnöten der Karomütze keine Kenntnis hatte und in den letzten Tagen sich in ihrem Büro (unter mehr oder weniger verzweifeltem "Abhören" vom unablässigen Geschnatter des klitzekleinen Forschungsministers und des stillen Theologen) von den Machenschaften der Abteilung Öffentlichkeit in aller Vorsicht ein Bild zu machen versuchte, hatte sich also in der Tat so sehr einerseits in diese sowie die eher das Sachliche betreffenden Angelegenheiten der Chafnachfolge vertieft, andererseits immer weiter um Informationen über die Naturkatastrophen und politischen Verrücktheiten im fernen Asien bemüht, daß sie auf eigene Art aus allen Wolken fiel, als es der Buchhalter nun zu ihr schaffte, um äußerst spitznasig und im Zorn lang angestauter Empörung zu beklagen, daß eine ordentliche Sitzung der EinSatzLeitung schon seit genau sieben Tagen überfällig sei, und ihr erster Impuls war, ihm zu sagen, hör mal, wie wäre es, wenn du einmal ein wenig schrumpfen würdest, du nervst furchtbar, aber dann stellte sie sich vor, wie er erst nerven würde, wenn er dann auf der Zwergenseite mit dem klitzekleinen Forschungsminister und Mo seine Auseinandersetzungen führen - hier unterbrach sie ihre Gedanken entschlossen und antwortete, wie es nun einmal ihr Job war: verehrter Herr Buchhalter, ich bedanke mich sehr für die unermüdliche Aufmerksamkeit, die Sie diesen Dingen widmen, tatsächlich ist es aus verschiedenen Gründen in der letzten Zeit zu Pannen und Verzögerungen gekommen, es liegt aber in der Natur einer EinSatzLeitung, daß sie auf äußere Ereignisse und außergewöhnliche Vorkommnisse flexibel reagiert und diese ihre Flexibilität auch höher bewertet als das, was Sie vermutlich einen "Ablauf wie am Schnürchen" nennen würden, mit anderen Worten, auf der Prioritätenliste standen nun einmal das Abdanken des Chefs und die Regelung der Nachfolge, und ohne entsprechende Vorbereitungen eine der üblichen Sitzungen abzuhalten, wäre in dieser Lage ein überflüssiger Verschleiß von Kräften, die anderswo gebraucht werden, ich gehe aber davon aus, daß die Vorbereitungen der Nachfolge bald abgeschlossen sein werden und daß dann in einem demokratischen Prozeß die Übergabe sich ereignen wird, und selbstverständlich wird die Nachfolgeperson, wenn man mich fragt, die Sitzungsfolge beibehalten oder wiederum in einem Abstimmungsprozeß hier Reformen erwirken, ich hoffe, es ist Ihnen mit dieser Auskunft gedient, seien Sie noch einmal herzlich bedankt für Ihre unablässigen Bemühungen um Einhaltung der Gepflogenheiten und höflichst um ein wenig Geduld und weiterhin beharrliches "Dranbleiben" (das konnte sie sich nun doch nicht verkneifen) an Ihren Aufgaben gebeten, und fast hätte sie in der mündlichen Rede noch ein "mit freundlichen Grüßen Ihre" angehängt, aber sie besann sich rechtzeitig und lächelte höflich und bestimmt so, daß deutlich wurde, wie dringend sie nun wieder an ihren anderen Dingen weiterarbeiten müsse.

Samstag, 17. Mai 2008

338.

Indes erging es dem Bemützten auf seinem Weg zum Hause des Chefs wie es uns allen manchmal in lästigen bis schlimmen Träumen ergeht: Er kam nicht vorwärts und nicht durch, er versuchte, seine Füße voreinander zu setzen, aber es gelang ihm nicht, er taumelte durch ein Flughafengelände und einer drängte sich an ihm vorei, indem er ihm mit seinem Koffer einen heftigen Schlag gegen den empfindlichen Handrücken versetzte, nur um dann schneller weg zu sein als Karomütze, der sehen wollte, wer ihm dies zugefügt hatte und leise ein Schimpfwort vor sich hin zischte, sich umsehen konnte, vorbei, vorbei, weiter, der Sicherheitsbeauftragte bestieg nach den Kontrollen durch die Kollegen, die immerhin freundlich waren, ein Flugzeug, und es flog nicht ab, er wollte, als es doch abgeflogen und wieder gelandet war, aus dem Flugzeug aussteigen, und ein Mann, sich aus den überquellenden Sitzreihen hervordrängend, trat ihn in die Achillesferse, entschuldigte sich sogleich in aller Form, so daß unser Sicherheitsbeauftragter mit seinem nicht unbeträchtlichen Schmerz und etwas wie einer Schande allein blieb, dabei war der Weg nicht weit, war er vielleicht aus Versehen in ein Flugzeug geklettert, er hörte aus irgendeiner Lautsprecherbox Musik mit einer Textzeile "you are guilty, just walk away and be silent," und er dachte dabei, wäre ich eine der Damen der EinSatzLeitung, würde ich wahrscheinlich nur den Kopf schütteln, wie jemand aus so etwas wie einer derartigen Anschuldigung und der Aufforderung, sich mundtot und mausig zu machen, ernsthaft glaubte, Musik machen zu können, aber ich bin ja nur ein wütender Allesherausfinder, der nicht zum Chef durchkommt, dachte er, und er knurrte innerlich, als ihm auffiel, daß er in all diesem Desaster eine der Damen doch gern dabei hätte auf seinem Weg, und während die Gattin des Chefs von ihrem Besuch bei der traurigen und aus allen Wolken gefallenen Gattin Ö heimkehrte und sich fragte, ob ihr "eigener" Gatte wohl wisse, wie viel ihr seine dicken, fast fetten warmen Hände immer noch bedeuteten (ein Gedanke, der, wie sie selbst fand, seltsam schräg stand zu dem vermutlich eher lächerlichen Anblick, den die beiden in ihrer Privatheit jedem "Aestheten" der körperlichen Liebe geboten haben würden, ebenso schräg stand er ihrer Meinung nach zu der allzu platten Annahme seitens der jungen Damen, nach der er ein Tyrann und sie eine ausgleichende Milde sei, eine Meinung, die freilich wiederum schräg stand zu der desinteressierten Begrüßung, die ihr in ihrer Häuslichkeit zuteil wurde und ihr keine Wahl zu lassen schien, als erst einmal in ein "gelassenes Abwinken," das sie bis zum Abwinken satt hatte, zurückzukehren, wenn sie nicht wieder entweder das verführerische Kätzchen oder die Hysterische geben wollte wie in jüngeren Jahren), kämpfte sich also Karomütze gegen nicht enden wollende Widerstände auf immer absurder sich verlängernden Wegen in etwas, das er mindestens noch für die Richtung des cheflichen Haushalts hielt, und er wußte nicht, war es ein Traum oder war er in Wahrheit und Wirklichkeit wach, er betrachtete seine blauen Flecken an Handrücken und Ferse, und er dachte, nun, eine solche Betrachtung könntest du auch im Traum anstellen...

Freitag, 16. Mai 2008

337.

Der Kollege Sicherheitsbeauftragte mit der Karomütze trug dies alles zusammen und machte sich auf seinen Weg zum Chef höchstselbst, den er in seiner Häuslichkeit aufzusuchen gedachte, um mit ihm zu beraten und eine gemeinsame Sitzung für einen absehbaren Termin festzulegen, vorzuschlagen, dass der Chef mit der Demokratiebeauftragten und mit dem Leiter der Abteilung Oeffentlichkeit Einzelgespräche führe, und im übrigen war er auch ein wenig neugierig auf die Art Müdigkeit, die den Chef überhaupt bewogen haben konnte, ans Abdanken zu denken, denn lange war eine solche Idee doch nur und nur abwegig erschienen.

Donnerstag, 15. Mai 2008

336.

Es war ein wunderschöner blauer Maienmorgen, an welchem dem Buchhalter die Lust entfiel, sich aus seinem Bette zu erheben, denn so schön der Tag zu weren versprach, so unschön waren doch seine Gedanken, wenn er an die Geschicke der EinSatzLeitung dachte, die nun die Woche nach Pfingsten fast schon wieder hinter sich gebracht hatte, ohne auch nur im mindesten daran zu denken, eine ordentliche Sitzung abzuhalten, wie dies dem Turnus entsprochen hätte, und er wußte einfach nicht, an wen er sich noch wenden sollte, der Chef erschien nicht, im cheflichen Haushalt ging auch niemand ans Telefon, die Demokratiebeauftragte ließ ihn, wann immer er sich ihrem Büro näherte, unter fadenscheinigen Vorhaltungen abwimmeln (so jedenfalls verstand er das Gehampel des klitzekleinen Forschungsministers), die Kreativleitung bot ihm zwar einen Kaffee an, schien aber nicht das geringste Interesse an einer ordentlichen Sitzung zu haben, und der Leiter der Abteilung Öffentlichkeit sagte, das wirds, das wirds, wenn sie das nicht zustandebringt, die Demokratiebeauftragte, dann kann sie die Chef-Nachfolge sowieso vergessen, und da hatte der Buchhalter, der ja eigentlich gern mit dem Leiter der Abteilung Öffentlichkeit zusammenarbeitete, gedacht, das sei ihm nun auch nicht recht, es wäre die Zeit gewesen, sich mit Karomütze zu beraten, aber der war von einer Pfingstreise noch nicht zurückgekehrt und ging auch nicht ans Telefon, und so erhob sich der Buchhalter schließlich doch, ging zum Spiegel, um sich zu vergewissern, daß er noch in der Welt sei und dieses alles nicht nur geträumt habe, betrachtete seine Nase und fand, daß sie sehr spitz geworden sei.

Mittwoch, 14. Mai 2008

335.

Mit Billigung der Demokratiebeauftragten wird die Abteilung Öffentlichkeit für den Moment sich selbst und ihren unzweifelhaften Dringlichkeiten überlassen, während wir noch ein wenig bei den Verfärbungen der Welt bleiben, welche die Gattin Ö zu erleiden und am Ende des Tages dann doch noch mit ihrer Freundin zu besprechen hatte: die üblicherweise für die Nebensachen nun einmal zuständigen Gattinnen waren angekommen an einem kleinen Platz an einem Weiher, wo sie sich niederließen, um ein paar Schwänen, Gänsen, Tauchern und Entenvögeln bei ihrer täglichen Arbeit zuzusehen, und als schließlich aus der Gattin Ö herausgebrochen war, was sie bedrückte, sagte sie, und weißt du, was mich am meisten beschämt hat, war die Nichtswürdigkeit, mit der er dann, als ich ihn auf die Karte ansprach, sagte, er hätte sie nicht liegenlassen dürfen, ich glaube nicht, daß er sich davon wieder erholen kann - obwohl es ja fast schon rührend ist, mit welcher Selbstverständlichkeit er diese Dinge in einer ihm in die Hand spielenden Ordnung sieht, nicht wahr, und durch ihre Tränen lachte sie ein wenig, was die Gattin des Chefs natürlich freute, und so fingen beide an zu planen, wie sie gemeinsam verreisen würden, oder, fragte die Gattin des Chefs, sollen wir gleich an eine neue Wohnung für dich denken, und die Gattin Ö fand die Idee einer unangekündigten Reise, welche möglichst sowohl einem dem Gemeinwesen wie auch einem dem persönlichen Wohlbefinden bekömmlichen Zweck dienen sollte, einstweilen besser, meinte aber, es sei nun natürlich zu befürchten, daß der Herr Ö sich nur umso wütender auf das Projekt stürzen werde, das er anscheinend mit Energie verfolge, das Projekt nämlich, die Demokratiebeauftragte als Nachfolgerin des Chefs auszubooten, aber sie halte sich auch nicht dafür zuständig, ihn von dergleichen abzuhalten, da müsse die Demokratiebeauftragte nun selbst sehen, und die Gattin des Chefs meinte, das werde sie schon, es gehe eben alles langsam voran, und diese Demokratiebeauftragte habe schließlich auch schon einiges hinter sich (und schade eigentlich, dachte die Gattin des Chefs, daß es manchen dann so ganz und gar vergeht) und besonders putzig hätte sie neulich noch gefunden, wie die Assistentin K in einem ihrer kleinen extemporierten Vorträge im "Bistro" oder an anderen unpassenden Orten über das "Abschieben der Sterblichkeit im Liebesleben auf die Frauen" gesprochen hätte, also putzig, daß eine junge Frau, die doch noch alle Chancen hätte, auf der anderen Seite des Reigens sich einzurichten, auf der manch junges Küken sich sicher wähnt vor den Häßlichkeiten, mit denen nun also auch Gattin Ö sich abzuplagen habe, so darüber spreche, das habe sie doch beeindruckt, trotzdem denkst du ja immer, sagte sie, dich trifft es nicht, dein Mann doch nicht, etc., und machst Pläne, wie du das verhinderst, und am Ende hat ganz einfach doch nur diese dumme Welt diese dumme andere Farbe, du glaubst sogar noch, ihn verstehen zu müssen, und machst dadurch alles nur immer schlimmer, und schließlich beendeten sie ihre Betrachtungen, beschlossen, sich auf die Reise zu konzentrieren und Nichtswürdigkeit durch Nichtachtung zu beantworten und ihre Sterblichkeit zu tragen, aber die der Gatten natürlich nicht auch noch auf sich zu nehmen, nur um dann womöglich deren Unsterblichkeit zu preisen, dies sei, da hätten die Jüngeren doch recht, wohl wirklich eine Unannehmlichkeit der Welt, mit der einmal Schluß sein könne, vermutlich doch wohl zum Nutzen und Frommen letztlich sowohl der Gattinnen als auch der Gatten als auch derjenigen Menschen, die andere Konstellationen vorzögen etcetc, was man eben so bespricht, wenn man vom Weiher allmählich wieder in die zivilisierteren Gegenden sich bewegt.

Dienstag, 13. Mai 2008

334.

Unterdessen hatte die Gattin des Chefs den Haushalt Ö erreicht und dort die Freundin in heller Aufregung angetroffen - der Sohn hatte sich zwar gemeldet, und es hatte alles ganz gut geklungen, aber in ihrer Erleichterung über diese Nachricht war der Gattin Ö etwas in die Hände gefallen, das geeignet war, sie an der Integrität ihres Eheliebsten irre zu machen, eine Karte, welche sie nun hin und her drehte, ein Gegenstand, den sie nicht ignorieren konnte, und es war ihr, als hätte sich plötzlich die Farbe des Tages ebenso geändert wie die Farben der Möbel und der Klang der Motoren der Elektrogeräte, mit deren Hilfe sie dem Haushalt stets recht gründlich auf den Grund zu gehen pflegte, und als sie ihre Freundin sah, wußte sie für einen Augenblick nicht, ob sie diese zum Bleiben laden oder zum Gehen auffordern sollte, aber wer wäre sie gewesen, wenn ihr nicht eingefallen wäre, daß sie ja zu einem gemeinsamen Spaziergang laden könne, um alle die Sorgen zu drehen und zu wenden oder unbesprochen in die Böschung zu schicken, die ihr und allen ihresgleichen zufielen, während die Herren Gatten sich wie völlig unangefochten von allem diesem über die öffentlichen Angelegenheiten ereiferten, in denen es wahrhaftig auch viel zu ereifern gab, aber doch auch manches zu loben, bemerkte die Gattin des Chefs, wir haben immer noch viel für die Befreiung der Menschen in aller Welt zu tun, aber manchen wird auch von erstaunlicher Seite geholfen, Freunde aus aller Welt helfen etwa den Burmesen, und - nun, sagte sie dann, aber du siehst doch bedrückt aus, meine Liebe, wie können wir denn hier etwas Befreiendes finden?

Montag, 12. Mai 2008

333.

Die Kreativleitung saß an ihrem Schreibtisch, Mo hockte auf dem Schreibtisch im Schneidersitz, und beide unterhielten sich hochangeregt über das Nisten von Mensch und Tier in allen seinen Aspekten, ferner über das Behocken und das Beflüchten von Nestern, über Nestausbau und Nestentmistung, und alle ihre Sätze perlten so ineinander und aneinander, daß es eine wahre Freude war, als mit heftigem Klopfen der dynamische Herr Buchhalter in das Büro kam, um sie zum Nachsitzen aufzufordern und lautstark zu beschimpfen, weil sie in den letzten Tagen (mehr als eine volle Woche lang!) die Zahlen verdreht und überdies auch noch die Einberufung einer ordentlichen Sitzung der EinSatzLeitung versäumt hatten, nur weil er krankheitshalber einmal wirklich nicht zugegen gewesen sei und dieser schlampige Praktikant ihn nicht habe ersetzen können, Karomütze mal wieder im Ausland weile und der Chef soweiso in Selbstmitleid versunken sei, und die Kreativleitung, der das Mo sofort ängstlich auf den Schoß gesprungen war, sagte mit freundlich beherrschtem Entsetzen, ja was denn, ist das denn so schlimm, sind wir denn hier im Krisengebiet, und ist nicht Pfingsten, worauf der Buchhalter, der durch eine kleine Auseinandersetzung mit dem stillen Theologen auf eine derartige Antwort natürlich wohlvorbereitet gewesen war, antwortete, nun man hätte wenigstens ankündigen müssen, daß wegen der Pfingstfeiertage usw., und die Kreativleitung räumte das Versäumnis und den Fehler ein, drückte das Mo an sich und sagte freundlich, wenn Sie jetzt bitte wieder gehen würden, sehen Sie in Ihre Buchhaltung, Sie werden finden, daß wir derartig viel Nachsitzen guthaben, daß Sie sich daran delektieren können, mit Herrn Karomütze oder ohne, und Mo reckte ihr Köpfchen hervor und fragte mit halb kindlichem, halb diabolischem Gesichtsausdruck, wie denn so die letzten Nächte gewesen seien, ob man ihn etwa nicht zu seiner Zufriedenheit,,, und der Buchhalter legte seine Stirn in Zornesfalten, hatte aber beschlossen, sich jetzt nicht weiter in irgendwelchen Streitereien zu exponieren (denn dies fürchtete er mehr als alles andere, daß er selbst exponiert sein könne) und knallte die Tür hinter sich zu, nicht ohne mit einer gewissen Entäuschung festzustellen, daß die Assistentin K gar nicht da war, wo war die denn jetzt bloß wieder...

Sonntag, 11. Mai 2008

332.

Die Gattin des Chefs brauchte eine kleine Pause von ihrem durch die Arbeit an seiner Abdankung in unentwegtes Sorgen verfallenen Gatten, er pflegte Stunde um Stunde in seinem Zimmer zu verbringen, vollkommen unansprechbar, nur um dann, wenn sie just entschieden hatte, sich darum nun auch nicht weiter zu kümmern, sondern dies oder jenes Liegengebliebene anzufangen, herauszukommen, als hätte er gespürt, daß sie jetzt in ihrem Geiste nicht mehr mit ihm beschäftigt sei, und sie, bald heftig bestürmend, bald hinhaltend zäh herumdrucksend, unwiderstehlich in seine Angelegenheiten zu ziehen; alles dieses fand die Gattin reichlich anstrengend, bei aller Liebe, sie habe schließlich auch etwas vor, und so hatte sie ihm, als er an diesem Morgen wieder einmal wirren Schopfes aus seiner Klause gekommen war, das Haar mit kühler Hand aus der ungesund erhitzten Stirn gestrichen, ihm empfohlen, sich vielleicht telefonischen Rat bei einem Freunde zu holen, und weiter ihr Täschchen gepackt, denn sie wollte die Freundin Ö besuchen, die an diesem Tage mit besonderem Beben einer Nachricht von dem auf einem fernen Kontinent weilenden Sohn des Hauses entgegenwartete - wie herrlich sind doch die fremden Kümmernisse, wenn man sie mal freiwillig aufsuchen kann, sagte sich die Gattin des Chefs, ging in den Garten, schnitt ein paar letzte Maiglöckchen, winkte dem verstörten Blicks am Fenster stehenden Chef noch einmal freundlich zu und schritt vergnügt von dannen.

Samstag, 10. Mai 2008

331.B.

Als er nun so die Stapel auf seinem Schreibtisch um und um wendete, bemerkte der Kwaliteitswart ein Blatt vom kleinen Mo aus der EinSatzLeitung, in dem wieder einmal von Kranichen die Rede war, und er fragte sich, wie es wohl gekommen sein mochte, daß er just an diesem Morgen die Abwesenheit der Kraniche bemerkt hatte. Etwas war doch merkwürdig mit Mo, sie schien noch aus der Ferne hier und da jemandem Gedanken gleichsam zustecken zu können. Dann wischte er diese leicht ins Abergläubische hinüberspielende Idee schnell wieder weg, indem er sich erinnerte, daß er schließlich selbst das Blatt aus der ihm irgendwie liebgewordenen Hand der Kreativleitung entgegengenommen und schon einmal flüchtig draufgeschaut hatte. Und dann las er:

"Du schuldest der Welt einen Flug, sprach ein majorer Brachvogel zum heute nicht erzählenden Kranich, als er diesen so durch die Lüfte taumeln und mit seinen überflüssig langen Beinen spielen sah, jetzt reiß dich mal zusammen und flieg uns was vor, aber der Kranich lachte von einem Bein zum anderen und so laut, daß der majore Brachvogel selbst ins Trudeln kam, denn er nahm für einen Moment seine Flügel an die Ohren, und die Spitzen der Schwungfedern des Kranichs schillerten vor Vergnügen, aber der majore Brachvogel zog schnell seine Halsfalten kraus und ließ die Federn sich sträuben und sagte zum spielenden Kranich, wir werden dich zwingen, wir werden dich isolieren und bedrängen, und dann wirst du schon fliegen wie es sich gehört, und der Kranich lachte weiter und sagte, habt ihr das nicht schon seit Jahren getan, und habe ich nicht gerade deswegen immer wieder meinen Flug unterbrechen müssen, um dann in kurzen unbeaufsichtigten Momenten eilends aufzuholen, und glaubt ihr wirklich, ich könnte noch glauben, euch nach allem etwas zu schulden, und der majore Brachvogel gewitterte und zitierte sich einen minoren Pestvogel herbei, welcher in reichlich durchsichtigem Manöver beklagte, wie sehr dieser ehemals so herrliche Vogel herabgekommen sei zu einem, der die Tölpel imitiere, und der Kranich flog, ein Fern-Ohr immer am häßlichen Schnabel des Pestvogels, ein kurzes Stück gerade und elegant durch die Luft wie um zu zeigen, daß er es könne, nur um dann wieder in sein Spiel mit dem Bein zu verfallen, und der Brachvogel und der Pestvogel zeterten und krächzten, aber der Kranich fragte, was wollt ihr, daß ich auch ein Brach- oder Pestvogel werde, der andere zwingen will, und als er versuchte, mit seinen langen Gliedmaßen die plumpen Bewegungen der Kurzen nachzumachen, wäre er fast vom Himmel gefallen, aber er fing sich wieder auf, und in großen Kreisen um die beiden mit besorgten und verdrossenen Gesichtern in der Luft herumrüttelnden und sich schüttelnden Vögel herumfliegend, sah er sie schließlich von allen Seiten an und wurde freundlicher, flog immer wieder ganz nah an sie heran, stippte sie gar mit seinem Schnabel ein wenig an, tippte auch einmal mit der Fußkralle in ihr Gefieder und fragte: wäre es nicht viel netter, ich hätte Grund zu Liebe und Dankbarkeit und würde aus Freude an euch einen schönen Flug vorfliegen, was sagt ihr mir immer, du schuldest uns noch, und der Pestvogel, der mittlerweile seinerseits versuchte, die Flugübungen des Kranichs zu imitieren, und der Brachvogel, der des stehend in der Luft Herumrüttelns auch allmählich müde wurde, sahen einander an und wußten nicht recht zu antworten, und als sie noch miteinander debattierten, wie sie es anstellen sollten, sahen sie den Kranich mit großen Schwüngen davonfliegen, und glaubten aus der Ferne zu hören, wie er seine kraniche Einsamkeit beklagte."

"Ach Mo, so geht das doch nicht," hatte die Kreativleitung gesagt, als sie diesen Zettel bekam, "wie soll ich das denn dem Kwaliteitswart erklären, du kannst auf der B-Ebene doch mal die Sätze zerlegen, ich finde, das liegt dir sowieso mehr, das Sprechen in kürzeren Sätzen, und dann will ich eigentlich auch von Pestvögeln weder in groß noch in klein viel hören, und dann immer diese lästige Einsamkeit, ach Mo!"

Wir wissen ja schon, wie Mo auf so eine Kritik zu reagieren pflegt und brauchen es jetzt nicht noch einmal zu erzählen: Sie legte sich schmollend auf ihr Fell und schlief ein. Die Kreativleitung, als sie das sah und ihre Meinung über den Text doch keineswegs geändert hatte, meinte, man könne ihn vielleicht retten, indem man ihm den folgenden Schluß anfügte, den der Kwaliteitswart nun also nahtlos mitlas:

"Der Kranich aber, nachdem er ein paar unbeschreibliche Laute von sich gegeben hatte, kam auf seinem Fluge an ein Flußtal an welchem andere Kraniche kürzlich gelandet waren und tanzten, und sachte flog er auf sie zu, verständigte sich vorsichtig, verwandelte seinen trudelnden Landeflug zu einer Art Tanz, und wie im Rausch entdeckte er, daß es möglich war, die Beine ganz tief in das Flußwasser zu tauchen und zeitgleich wieder herauszuziehen, einen kurzen Augenblick über dem Wasser zu schweben, ein paar Schritte mit den anderen zu tanzen und das Spiel zu wiederholen."

Der Kwaliteitswart blickte von dem Blatt auf und wußte nicht, was er dazu sagen sollte. Was ist denn bloß aus dem erzählenden Kranich geworden, dachte er. Wird er denn wieder erzählen?
Und er fand, es sei Zeit für einen kleinen Ausflug.

331.

Der Kwaliteitswart erwachte des Morgens in seiner Privatheit und fand Grund und Platz, sich behaglich zu recken und zu strecken, helles Sonnenlicht lag auf den dunkelgrünen Blättern eines Hibiskus auf seinem Balkon, allerlei Hausgeflügel kakelte und schnatterte im innerstädtischen Hinterhof, und am Himmel waren weit und breit keine Kraniche zu sehen - es war nicht die Jahreszeit für sie, und dann flogen diese etwas scheuen und vornehmen Tiere auch lieber über das flache Land hinweg, vermieden die Städte, durchaus mit seiner kwaliteitswartlichen Zustimmung, denn Städte, so dachte er, sind doch mehr etwas für Menschen, und sich wohlgefällig umsehend fand er, in dieser hier fehle ihm nicht viel außer dem Wasser, welches in seiner Heimatstadt so reichlich in Grachten um die Stadthäuser schimmerte, aber er hatte einen Balkon hoch über dem Hof, und nachdem er dort in der Sonne gefrühstückt und ein wenig in einer großen Zeitung geblättert hatte, ging er an seinen Schreibtisch, um wieder einmal inständig auf Kwaliteit zu warten.

Freitag, 9. Mai 2008

330.

Die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse traf im "Bistro" auf den Minderheitler mit den grünen Borsten, und sie sagte mit etwas zerknautschtem Gesicht, wenn dein ewiges Gemecker nicht wäre, würde ich heute sogar dir erzählen, wie unwohl mir immer ist, wenn meine Leute Geburtstag feiern und die anderen, die auch da leben, berichten, wie sie in derselben Zeit aus ihren Dörfern vertrieben wurden, und wenn diese anderen nicht ihre Raketen feuern und sich mit den letzten Idioten gegen uns, und letztlich gegen sich selbst, also gegen die Besseren unter ihren eigenen Leuten, verbünden würden, würde ich sowieso bloß immer Frieden Frieden Frieden rufen, Frieden gerne mit einem Zaun, der beiden Sicherheit und Vorteile böte und viele schöne Pforten hätte, aber irgendwie funktioniert das alles nicht, der Zaun wurde nötig wegen ihrer Idioten, und aus dem Zaun ist ganz was anderes als eine einfache Sicherheitsanlage geworden wegen unserer Idioten, und auf beiden Seiten werden alle die, die nicht so einen Sinn für kompakte Hassblöcke haben, in Schwierigkeiten gebracht im Namen von irgendwelchen Solidaritäten und Loyalitäten, dabei feiern wir doch Geburtstag mit etwas, das wir Kultur nennen wollen, und der Minderheitler mit den grünen Borsten fühlte sich durch diese freundliche und ratlose Anrede um jeden Schwung gebracht in seinen oft recht akkusatorischen Reden gerade gegen diese Minderheitlerin, und er fragte sich, wie er damit nun umgehen sollte, und holte erst einmal für beide einen Kaffee.

Donnerstag, 8. Mai 2008

329.

Mos Vorschlag für die B-Ebene, ein Text über Kranich, Brachvogel und Pestvogel, war nicht einmal zur Prüfung gelangt, weil andere Ereignisse sich ein wenig überstürzt hatten: die Kreativleitung hatte flüchtig draufgeschaut, dann in ihrer Sorge um die Demokratiebeauftragte gefragt, wo ist eigentlich heute der Chef, was treiben die von der Öffentlichkeitsabteilung - und dann hatte sie beim Blick auf den Kalender bemerkt, daß nicht nur der Tag war, an dem der deutsche Verbrecherkrieg mit bedingungsloser Kapitulation zuende gegangen war, sondern in diesem Jahr nun auch noch der 60. Geburtstag jenes komplizierten kleinen Landes, dessen Bewohnern aller Farben sie besonders herzlich Glück und Heiterkeit und Wohlergehen und Großzügigkeit wünschte, und sie wunderte sich, daß noch jemand im Büro war, denn, so sagte sie, Geburtstag ist Geburtstag, da wird gefeiert.

Dienstag, 6. Mai 2008

328.

Als die Kreativleitung und Mo der Demokratiebeauftragten den EinSatz Nr. 237 gebracht hatten, um sie ein wenig abzulenken von den Strapazen ihrer (vermuteten) Gedanken über die Chefnachfolge, und als diese das Blatt schmunzelnd zur Seite gelegt hatte, sagte sie, ihr seid wirklich süß, ich finde es so tapfer von euch, daß ihr euch an dem Geschnatter um Sieg und Niederlage nicht beteiligt, tatsächlich beschäftigen auch mich heute eher die Nachrichten aus dem Lande der geschätzten hausarretierten Kollegin, man denke nur, da hat eine Junta ganze Dörfer niedergebrannt, die Bauern enteignet und sie dann auf dem ehemals eigenen Land zur Zwangsarbeit rekrutiert, und dann wundert man sich, daß das Land bettelarm ist, und wie sie so sprach, sah die Kreativleitung ihre Freundin voller Sympathie an, dachte allerdings, wer so denkt, der braucht gute Unterstützung, wenn er mit jemandem wie dem Leiter der Abteilung Öffentlichkeit fertig werden will, vielleicht sollte man dem Chef beizeiten einen Hinweis geben, aber als sie dies dachte, wurde sie wiederum von Mo unterbrochen, die sagte, es müsse nun ein zweiter Teil zur Kranichgeschichte auf die B-Ebene gestellt werden, die beiden mögen das bitte prüfen.

327.

Während so in den irgendwo zwischen Niederungen und Höhen angesiedelten Räumlichkeiten der EinSatzLeitung die Folgen der Abdankungspläne des Chefs erkalkuliert, erspekuliert, ersonnen und ausgesponnen wurden, während in manchen gebeutelten Ländern der Welt das Seufzen der Unterjochten verschärft wurde durch das Seufzen unter dem Leid einer Naturkatastrophe, während in anderen sich bessere Verhältnisse abzuzeichnen schienen und in wieder anderen das Rad der Geschichte irgendwie zu trudeln schien, während Todeskandidaten auf ihre legale Ermordung warteten, gutsituierte Menschen unter Stress standenund kleinliche Kleinkrämer in allenTeilender Welt ihre Rachepläne rationalisierten und ausführten, während zur Erheiterung manch älterer Dame Kanarienvögel trotz ihrer Käfiglagen sangen und symbolisch aufgeladene Hähne neben vollkommen symbolfernen krähten, während Meisen wie Amsel, Drossel, Fink und Star ihre Nester bauten und ganze Radiostationen sich mit den Vögeln beschäftigten, um die erstaunlichsten Namen an das Gehör ihrer Hörer zu zaubern, überflog der erzählende Kranich auf der Suche nach ein wenig Kühle für seine kommende Brut alle Länder, in denen er in den Vorjahren genistet hatte, und fühlte sich dabei so rat- wie schwerelos, daß ihn plötzlich die Idee befiel, er könne sich doch einmal darin versuchen, während des Fluges eines seiner Beine, die ihm in der Luft so nutzlos vorkamen, ein wenig zu strecken und in eine Richtung zu lenken, die nicht dem Flugprojekt diente, und als er das tat, ins Strudeln geriet und sich dann kunstvoll wieder fing, dachte er bei sich, zu erzählen habe ich zwar heute nichts, aber dieses macht mir Spaß, und er tat es noch einmal.

Montag, 5. Mai 2008

326.

Im Büro der Kreativleitung angekommen, fiel Mo sogleich in einen kürzesten Tiefstschlaf, aus dem sie aber nach zehn Minuten hochagil wieder erwachte, um nun zu bemerken, daß ihr über lange Zeit der klitzekleine Forschungsminister den Eindruck vermittelt habe (und hier verfiel sie wie es ihre Gewohnheit war, in exzessives Nachahmen des Tonfalls desjenigen, dessen Rede sie wiedergab), die Wissenschaft als ganze, insonderheit aber die "Wissenschaft vom Menschen," verhalte sich in etwa wie ein Mensch im Verlauf von etwas, das diese selbe Wissenschaft wohl einen "psychotischen Schub" nennen würde: sie habe einen Schematismus im Kopf und suche sich mit äußerster Akribie die Fälle zusammen, die zu diesem Schema passen könnten, und wo jemand alle derartigen Verbindungen bestreite und sich dennoch die Freiheit zu wilder inspirierter und vielleicht manchmal sogar inspirierender Aktivität nehme, werde er schließlich (selbstredend in ewig guter Absicht) dahin gedrängt, dem Bilde zu entsprechen, indem sie so dränge und drücke verhalte sich also die Wissenschaft selbst in etwa so wie ein zu schweren Störungen neigender Mensch sich innerhalb einer von ihm selbst hochmanipulativ gebrauchten Beziehung verhalte, und darum sei es doch schön, daß der klitzekleine Forschungsminister seine Forschung nun seinerseits zu seinen Zwecken gebrauche, aber jetzt, fuhr sie fort, sollten wir auf einen Honigapfel zur Demokratiebeauftragten gehen und ihr was von Leitung Ö erzählen, und auch hier hatte sie sich also wieder auf einen geradezu didaktisch langweiligen Ton eingestellt, bevor sie noch der zu besuchenden Dame ansichtig wurde.

Sonntag, 4. Mai 2008

325.

Zufällig kam der Leiter der Abteilung Öffentlichkeit auf seinem Weg zur Demokratiebeauftragten am Chefzimmer vorbei, in welchem soeben die Assistentin K die Aufmerksamkeiten der Kreativleitung auf das Tischchen neben dem Sofa setzte, dabei die letzten Sätze der anrührenden Rechtfertigungsrede des klitzekleinen Forschungsministers aufschnappend, und er gedachte, einen Blick hineinzuwerfen und möglicherweise anzustreben, darauf hinzuwirken, daß die allzu sicher erscheinende Chefnachfolge der Demokratiebeauftragten noch einmal geändert würde, natürlich zu seinen Gunsten, denn er fand, die Demokratiebeauftragte werde über-, er selbst aber entschieden unterschätzt, und als Mo davon ein Windchen bekam, hatte sie (wie eigentlich schon während der Rede des Klitzekleinen) genug, verabschiedete sich in tapferer Höflichkeit und trippelte schnellstens wieder in das Büro der Kreativleitung.

Samstag, 3. Mai 2008

324.

Einige Leser schrieben uns, sie freuten sich, dass es nunmehr endlich ein wenig wärmer zugehe im EinSatzBuch, und vermuteten viele schöne Dinge über Mo und den klitzekleinen Forschungsminister, welche sich so traut in der hintersten Ecke des Chefbüros verschanzt hatten, aber natürlich sind wir ein virtueller Verein, und da geht es nicht saftig zu, sondern es werden auch hinter Sofaecken immer nur Gedanken, Gedanken Gedanken ausgetauscht, selbstverständlich, und der Gedanke, der unsere beiden Winzigkeiten beschäftigte, war der des Geldes, Mo hatte nämlich beim Forschungsminister nachgefragt, ob er nicht auch finde, daß manch unwürdige Konstellation, die menschlich unter allen Umständen und in jeder Hinsicht abgelehnt werden müsse, durch Verwandlung in eine Geschäftsbeziehung sozusagen eine würdige Sache werden könne, weil der Austausch von Geld und Leistung eine Art Wiederherstellung einer bürgerlichen Restwürde auch da erlaube, wo jemand aller bürgerlichen Attribute beraubt sei, und ob nicht dies die Leidenschaft mancher gedemütigter Minderheiten fürs Geld erkläre, da nun einmal in manchen Situationen allein der Austausch von Geld die Freiheit restauriere, die im Umgang mit der demütigenden Mehrheit anders nicht zu erlangen sei (aufgrund der Verhärtungen der Mehrheit), und ob nicht diese Dinge eine Entlastung letztlich für beide beteiligten Seiten ermögliche und natürlich die herzinnige Familiarität jener gedemütigten Minderheiten in einem wirklichen Innen auch gleich erkläre, eine Herzinnigkeit, die natürlich vor den Blicken irgendwelcher Mehrheitler sorgfältig geschützt werde - in allem diesem glaubte der klitzekleine Forschungsminister gewisse Theorien eines Herrn Simmel und eines Herrn Weber in erstaunlicher Weise zugespitzt zu finden, und er sagte, du darfst das aber auf keinen Fall laut sagen, du bringst die gesamte EinSatzLeitung in einen furchtbar vorhersehbaren Verruf, und Mo hatte gesagt, ich weiß, wie feige ihr alle seid, aber ich habe mir nicht das Geringste vorzuwerfen, und diesmal habe ich keine Lust, klein beizugeben, und der Klitzekleine war nervös geworden, denn er mochte das Mo, den Gedanken sowieso, aber er wußte wie sie, wie es im Leben zugeht, und er hatte den Wunsch, sich ihr gegenüber sehr zu rechtfertigen, dies aber eben im ohnehin ziemlich leeren Chefzimmer, denn irgendeine fade Intervention der Demokratiebeauftragten hätte ihn eher aus dem Konzept gebracht - oder auch nicht, vielleicht wäre beides ihm nicht recht gewesen.

Freitag, 2. Mai 2008

323.

Im "Bistro" fanden die beiden Assistentinnen und die Kreativleitung, es sei nun einmal genug gesagt worden über das Abdanken des Chefs (und das Fersenjucken irgendwelcher Sicherheitsbeauftragter mit Ansprüchen, bemerkte die Assistentin K, wofür sie sich ein "Na na" der Kreativleitung und ein mißbilligendes Augenrollen der Assistentin Ö zuzog), man habe die Tierwelt vernachlässigt, wann überhaupt sei der erzählende Kranich zuletzt aufgetreten, auf Pestvogels habe man ja gut verzichten können (hier sagte die Assistentin Ö naseweis, nein, man brauche auch immer einen Bösen, die Geschichte würde sich ohne einen grundbösen Pestvogel viel schlechter verkaufen, und die Assistentin K sagte, verkaufen, verkaufen, das ist alles, woran du denken kannst, und die Kreativleitung sagte, vielleicht könnt ihr euch im Büro der Demokratiebeauftragten weiter um so einen Unsinn zanken, aber eigentlich wollte sie diese Dame etwas schonen, denn ihr stand noch einiges bevor), aber die Kreativleitung gähnte laut und sagte, zu Tieren falle ihr derzeit einfach überhaupt nichts ein, sie beobachte nun einmal mit Anspannung die Reaktionen der EinSatzKräfte auf das sich leerende Chefzimmer, und wer wissen wolle, was der erzählende Kranich zu berichten habe, möge sich selbst auf die Suche machen oder Mo fragen, sie habe ja nichts dagegen, sprachs, richtete ein wenig Apfel und Honig für Mo her, drückte alles ihrer Assistentin in die Hand (wozu auch noch Nüsse, frage diese) und sagte, Mo und der klitzeleine Forschungsminister hätten sich im hintersten Winkel des Chefzimmers verschanzt und könnten einen Imbiß vertragen, verabschiedete sich knapp von der Assistentin Ö und ging in ihr Büro.

Donnerstag, 1. Mai 2008

322.

Vom Buchhalter hätte man es noch erwartet, im Falle der Karomütze war es zumindest für diesen Herrn Sicherheitsbeauftragten selbst überraschend, wie hart ihn die Ankündigung der Abdankung des Chefs ankam, hatte er doch immer wieder den Wunsch nach der Abwesenheit des Chefs verspürt, seit dieser in den vergangenen Monaten nach Jahren eher sporadischen Auftauchens öfter persönlich in der EinSatzLeitung erschienen war, und es war dem Sicherheitsbeauftragten bekanntermaßen stets äußerst unangenehm gewesen zu bemerken, welcher natürlichen Autorität und Anziehungskraft dieser Chef sich zu erfreuen schien, so daß er doch nun hätte frohlocken müssen - aber er frohlockte nicht, vielmehr wurde ihm eng und bänglich zumute, er schlief schlecht, sein Bier schmeckte ihm nicht mehr so, die Damen innerhalb und außerhalb der EinSatzLeitung hatten plötzlich diese oder jene Eigenheit, die ihm sehr unangenehn auffiel, hier zog eine dauernd ihre Bluse glatt, da hatte eine einen bitteren Zug um den Mund, wieder einer anderen standen die Zähne schief oder ihre Stimme paßte irgendwie nicht, und alles dieses fiel ihm erst jetzt auf, obwohl die Damen diese Eigenheiten doch schon immer gehabt haben mußten, und nicht einmal die Gespräche mit der von ihm wegen ihrer unterhaltenden und überwiegend freundlichen Unnahbarkeit ein wenig beschwärmten Assistentin K erschienen ihm besonders attraktiv, und als er an einem grauen Morgen das "Bistro" betrat und sie dort sitzen sah, fühlte er sich einen winzigen Augenblick lang versucht, ihr seine Sorgen um die EinSatzLeitung und natürlich auch um sich selbst mitzuteilen, aber dann sagte er sich, ach nein, sie wird mich auslachen, sie wird mich auch nicht verstehen, sie wird mich für eine Memme halten oder "selbst schuld" sagen, dabei kann ich doch nichts dafür, daß der Chef abdankt, ich habe mich doch immer gut mit ihm verstanden, mag es mich auch dann und wann in der Ferse gejuckt haben, nach ihm zu treten.

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