Montag, 11. Februar 2008

(2)42.

Sitzung der EinSatzLeitung

Sitzungsleitung: Leitung Öffentlichkeit
Protokoll: Praktikant

Die Sitzung ist dünn besetzt. Der Chef ist noch nicht wieder da, die Assistentin der Kreativleitung bittet, ihre Chefin krankheitshalber zu entschuldigen, und der Kollege mit der Karomütze schickt auch nur dann und wann eine SMS, die Gattinnen mit ihrem Mutterwitz und ihrer Wärme fehlen richtig (findet der Protokollant), und zwei von niemandem hereingebetene Beobachter mit ziemlich schwierigem Akzent erregen allgemeines Mißtrauen, werden aber geduldet.

Die den Chef vertretende Demokratiebeauftragte hat die Sitzungsleitung an den Leiter der Abteilung Öffentlichkeit delegiert und sieht selbst sehr müde aus. Die Assistentinnen wirken maulig, die Mehrheitler benehmen sich wie undisziplinierte Oberschüler, die Minderheitler noch schlimmer. Der Buchhalter hat sich in eine der hinteren Reihen gesetzt, anstatt den für ihn vorgesehenen Platz am Vorstandstisch einzunehmen, und wartet darauf, daß am Vorstandstisch Fehler gemacht werden, die er dann von hinten zu Protokoll geben und tadeln kann. Der stille Theologe sieht aus, als habe der kurze Vitalitätsschub ein schlimmes Nachspiel gehabt.

Es gibt keinen Tagesordnungspunkt außer: Verschiedenes.
Der Leiter der Abteilung Öffentlichkeit eröffnet bei abschwellendem Gemurmel lahm die Sitzung und fragt, ob jemand der Awesenden etwas zu besprechen wünsche. Nach einer längeren Pause ergreift die Demokratiebeauftragte das Wort und berichtet, daß sie ursprünglich über die Frage, welche Gebiete bei Veröffentlichungen im Interesse von Jugend, Freiheit, Fortschritt und Frieden grundsätzlich zu meiden seien, habe sprechen wollen, es seien aber vom Chef und vom Sicherheitsbeauftragten deutliche Signale gegen eine solche Absprache zum gegenwärtigen Zeitpunkt eingegangen. Der Sicherheitsbeauftragte habe längst die Schweiz verlassen und sei in unaussprechliche Landstriche weitergereist, um sich am Studium unausdenkbarer Gestalten, die durchaus in Anzügen an wichtigen Plätzen ein und aus gehen, ein Bild von der Lage der Welt und der der EinSatzLeitung in ihr zu machen, und er sei zu immer noch erschreckenden Ergebnissen gekommen, die – da offenkundig eine „Gegenseite“ keine Hemmungen kenne – es geboten erscheinen ließen, evtl. alle Zurückhaltung aufzugeben und alle Texte, die irgend zu einer Wendung der Sache beitragen könnten, eher früher als später zur Welt zu bringen. Der Chef sei etwas zurückhaltender, aber sehr überzeugt vom Ernst der Lage gewesen. Die Demokratiebeauftragte, die sich alles einfacher vorgestellt hatte, niemandem wehtun und dennoch volle Redefreiheit haben wollte und nicht verstand, warum das so unmöglich sei, habe aber erreichen können, daß so lange nichts unternommen werde, wie keine Erhöhung des Drucks seitens der Gegenseite in deutlicher Sicht sei. Hier nickte ihr der stille Theologe tapfer zu, der es im Grunde genau so sah und noch stets für Friedlichkeit, Freundlichkeit und Offenheit gegen jedermann plädiert hatte und im übrigen ähnlich wie seine Protektorin nicht das geringste Verständnis für den Wunsch, Dinge unter Teppiche zu kehren, aufbringen konnte, dafür aber – wie sie – umso mehr Verständnis für die Fehlerhaftigkeit alles Menschlichen, welche man stets nur durch (in gegebenenfalls aufzubauenden Schutzräumen zu führende) Gespräche zum Besseren wenden könne, nie aber durch Überwältigungen und Manipulationen. Denn deren Kehrseite sei langfristig immer stärker als ein an der Oberfläche evtl. erzielter „günstiger Effekt.“ Indessen sei diese Haltung in der Welt weit davon entfernt, mehrheitsfähig oder durchgesetzt zu sein.
Die Kreativleitung, die auf Anraten des Chefs vor Tagen eine bestimmte Begegnung mit nach ihrem Bericht völlig unbeschreiblichen Menschen gesucht hatte, sei von dieser tiefgrün und mit einem erneut gänzlich erstorbenen Mo im Bündel zurückgekehrt, habe dann angesichts eines umgekrempelten Büros, aus dem wieder einmal Datenträger entwendet worden waren, selbst einen Zusammenbruch erlitten, seither kein wirkliches Wort mehr gesprochen (von winzigen Antworten auf die Reden anderer abgesehen), werde aber gemeinsam mit dem Mo, das sie, um es warmzuhalten bis es sich wieder rege, ständig an sich gepreßt halte, gegenwärtig von den beiden Gattinnen im Hause des Chefs umsorgt. Bevor nun der Chef, der seinerseits in der Hauptstadt unterwegs sei, und der Sicherheitsbeauftragte, dessen Kurznachrichten unverständlich blieben, ihre Recherchen nicht abgeschlossen hätten, könne man sich in der Restbesetzung der EinSatzLeitung nur so von Tag zu Tag weiter schleppen und den Kräften des AußenEinSatzes gutes Gelingen, der Kreativleitung gute Besserung und den Gattinnen ihre gewohnte milde Heiterkeit wünschen.

Betretene Stille. Nicht einmal die beiden Assistentinnen tuscheln, und auch die flegelhaften Anwandlungen der Mehrheitler und Minderheitler sind durchweg verebbt, die Augen der Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse etwas gerötet.

Nach einer Weile meldet sich der klitzekleine Forschungsminister, welcher auf der Fensterbank hockt, zu Wort und berichtet, er sei von den Gästen mit dem eigentümlichen Akzent namens ihrer Auftraggeber aufgefordert worden, wieder auf seinem ursprünglichen Arbeitsgebiet tätig zu werden. Sobald er das sagt, schauen ihn die beiden Gäste drohend an. Der klitzekleine Forschungsminister verstand nicht, warum drohend, sagte sich aber, was können die mir schon tun, das mir nicht bereits im und am Geiste widerfahren wäre, und er sagte den Versammelten, er habe höflich um Aufschub gebeten, man könne nicht dreihundert mal vor und zurück, er sei nicht mehr in den aktuellen Diskussionen seines Faches und an der Ausübung der langwierigen Techniken des „Anschlußhaltens“ nur umso weniger interessiert, je länger er sich mit diesen Dingen beschäftigt habe, ohne die permanente Bedrängnis seines Lebens auf diese oder eine andere Weise wirklich verringern zu können, und das Einzige, das ihm nach einer langen Strecke ein wenig Erleichterung verschafft habe, sei sein Schrumpfungsprozess gewesen. Er sehe nun auch in den bisherigen Angeboten einstweilen kein Potential für eine Aussicht auf Änderung der für ihn durch die betreffenden aufsaugenden Tätigkeiten erreichbaren Lebensbedingungen und sei im übrigen durch permanente Drainage seiner je neuesten Errungenschaften sowie durch eigene dadurch inganggesetzte Demotivierung und Dequalifikation zu klein geworden, um einen Seminarraum zu betreten oder an einer Konferenz teilzunehmen. Er werde aber allen guten Aktivitäten auf dem Gebiet der Bildungsarbeiten und -reformen seinen Rat und seine Unterstützung, sofern er sie (sich) leisten könne, nicht verweigern.
Während er alles dieses erzählte, lächelte der Forschungsminister fast zufrieden und nickte auch wohlwollend und aufmunternd den beiden für ihn gigantischen Gästen zu. In seinem winzigen Körperchen war kein Raum mehr für irgendein Bedauern, dafür konnte er immer noch sehr aufmerksam sein für die Fragen, die ihn wirklich interessierten, und im übrigen fühlte er sich an den besseren Tagen wohl in der EinSatzLeitung und lehnte sich an den schlechteren Tagen an das Bewußtsein, daß er bereits so und so lange so und so gut gelebt habe, und daß er zwar überaus gerne noch lange weiter leben würde, und dies möglichst groß und munter, daß er aber vielleicht aus demselben Grunde auch nicht allzu große Schwierigkeiten haben würde, das Leben selbst einfach loszulassen, wenn es zu unerträglich würde und seine Zeit nun einmal gekommen sein würde.
Die Gäste hingegen knurrten einander zu, so hätten sie nicht gewettet, erhoben sich und verließen polternd den Saal. Assistentin Ö warf ihnen mit schiefem Gesicht eine Kußhand hinterher, die Demokratiebeauftragte wollte wissen, wer die Typen überhaupt eingeladen hätte, erhielt aber von niemandem eine Antwort, weil alle durcheinander redeten, und bevor das allgemeine Durcheinander völlig unüberschaubar wurde, brach der Leiter der Öffentlichkeit die Sitzung in aller Form ab, wobei sein Gesicht nicht weniger verdrossen aussah als das des Buchhalters, der wieder einmal keine Plattform für seine Beschwerden bekommen hatte.

Alle strebten schon zum Ausgang, da ergriff die Demokratiebeauftragte noch einmal das Wort und sagte: „Wir danken dem geschrumpften und gelassenen klitzkleinen Forschungsminister für seine Rede, den Gästen für ihren Besuch, dem Leiter der Abteilung Öffentlichkeit für die einer schweren allgemeinen Erschöpfung abgerungene Sitzungsleitung, dem Chef und dem Sicherheitsbeauftragten für den mutigen AußenEinSatz, der Kreativleitung für ihren Mut zur Begegnung mit jenen Gestalten, den Gattinnen für ihre freundliche Nachsorge und den Assistentinnen für die Atmosphäre von Jugendfrische, die sie auch unter den gegenwärtigen Bedingungen noch verbreiten, dem Protokollanten gilt unser besonderer Dank für seine Verschriftung auch dieser Sitzung, und dem Buchhalter danken wir für seine Zurückhaltung an diesem Tage. Bitte nehmen Sie als letzten Satz zu Protokoll: ‚Wir, die inneren und die äußeren EinSatzKräfte, werden auch weiter alles uns mögliche tun, um uns nicht in den Strudel der totalen Destruktion ziehen zu lassen, der gerade wieder besonders stark zu sein scheint, während sich seine Aufstrudler mächtig blähen;’ und nun haltet ihr nur eure Köpfe hoch und macht euch an eure Arbeiten, seid gnädig mit euren Schwächen und mit denen der anderen, und ausdauernd stark, wo ihr es könnt, habt eine gute Woche und laßt an der Güte eurer Woche alle teilhaben, die das wünschen und euch nicht bedrängen.“

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Jetze warnseaba pathetisch jewesn.

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