Dienstag, 18. November 2008

523.

Die Kreativleitung hatte sich auf ihre Weise für die Debatte mit dem Kwaliteitswart durchaus präpariert, erstens, indem sie an diesem Tag keinen Kaffee anbot, sondern kaltes Wasser, und zweitens, indem sie viele Stunden darüber nachgedacht hatte, wie es in jenem Archivstück zu der eigentümlichen Gebremstheit und Verflachung der Bewegungen gekommen sei, durch welche sich ihrer Ansicht nach die Delta Rhythm Boys trotz guter Ausgangslage, perfekter Beherrschung und glatter Stimmführung bei ebenfalls gutem Stimmmaterial schon dem ersten Blick als Bewohner der zweiten Reihe auswiesen; es war dies eine ihrer typischen Gedankenfolgen, und beim ersten Hinsehen hatte sie mal wieder überhaupt nichts zu tun mit der vom seiner Natur nach eher ordentlich und zielstrebig vorgehenden Kwaliteitswart aufgeworfenen Frage nach "happy ends," ein Umstand, welcher der Kreativleitung natürlich völlig bewußt war, aber sie war etwas kühner geworden und sagte dazu nur in Klammern, das ist es doch im Grunde, oder, Sie glauben, "modern" und "wahr" kann nur sein, was kein "happy end" hat, oder (und der Kwaliteitswart wunderte sich etwas über ihre fast patzige Gereiztheit, das hätte er bei ihrem üblichen Geschmolzensein in seiner Anwesenheit gar nicht mehr erwartet, er wollte sich eben huldvoll ein wenig darüber amüsieren, fand dazu aber nicht die Zeit, denn sie setzte, nun ihrerseits schon wieder fast zärtlich lächelnd, sogleich nach) es kommt aber, wenn wir ehrlich sind, bei der Beurteilung eines "Kunstwerk" (oder auch "Kunsthandwerk," das ist mir übrigens völlig egal, sagte sie) genannten Gedankendings doch schließlich nicht darauf an, ob es eine konsistente Handlung hat oder nicht, ob es glücklich endet oder nicht, ob es einen kräftigen Heroen hat oder einen Verlierer, nein, sagte sie, es kommt am Ende erstens darauf an, ob die Stimmen eine Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit haben, und zweitens, ob sie kraftvoll genug sind, die Decke einer bestimmten selbstverständlichen Zeitgenössischkeit auch mal zu durchstoßen oder eben nicht, und wenn Sie sich durch die Archive jener Jahre zappen, dann sehen Sie sofort, wo das erreicht wird und wo nicht, und nun müssen Sie sich - gerade Sie, in Ihrer Aufgabe als Kwaliteitswart - eben in die Situation zukünftiger Archiv-Flaneure begeben, es wenigstens versuchen, und gucken: was würde mich da anspringen, und was bliebe einfach unter der Decke, und, o Gott, sagte der Kwaliteitswart, da muten Sie mir aber was zu, das kann doch keiner, und die Kreativleitung sagte, natürlich nicht, aber können wir uns wenigstens darauf einigen, daß es auf "happy end" oder nicht eben keineswegs ankommt?

9 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ich, äh, möchte wenigstens anmerken, daß üblicherweise nicht die Dame Kreativleitung etwas anbot, sondern daß ich höchstselbst noch stets den Kaffee mitgebrungen habe, der bei unseren Unterredungen verzehrt wurde.

Anonym hat gesagt…

Mitgebrungen? Wo ist sein gutes Deutsch geblieben.

Anonym hat gesagt…

Im Polder, er hatte etwas länger Heimaturlaub.

Anonym hat gesagt…

Kann es sein, daß es besser wäre, die übrigen EinSatzKräfte würden sich aus diesem im Grunde spannenden Dialog mal heraushalten? Er hat wirklich immer den Kaffee mitgebracht, niemand hatte etwas dagegen, und heute wird eben bei uns zur Abwechslung mal kaltes Wasser angeboten, wo ist das Problem?

Anonym hat gesagt…

Das fragt man sich, in der Tat.

Anonym hat gesagt…

Guckt lieber mal in unsere Archive, da liegt auch noch jede Menge Zeug rum.

Anonym hat gesagt…

Da sagt aber der Archivar, liegt das Problem bei den Zwischenhändlern, erst bietet man ihnen Sachen an, die vielleicht durchaus in die erste Reihe passen, sagt er, dann kaufen sie nicht, sagt er, dann vergräbt mans halt wieder, sagt er, dann holt mans Jahre später bei irgendeiner Gelegenheit wieder hervor, sagt er, dann schnauzen sie einen an, warum man es nicht früher angeboten hat, sagt er, und können sich partout nicht erinnern, daß man es ihnen ja mal angeboten hatte, daß sie es aber nicht gewollt haben, sagt er.

Anonym hat gesagt…

Wo ist der denn zur Schule gegangen?

Anonym hat gesagt…

Irgendein Stadtstaat, vermutlich.

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