Samstag, 1. November 2008

506.

"Man stellt sich die Wochenenden marzipanversessener Obersassistenten im allgemeinen etwas zu beschaulich vor: man denkt, ein solcher würde behaglich seine Massen von seinem (selbstverständlich einsamen, bei der Figur wird er ja wohl keine Freundin finden, unser Dickerchen, das wäre ja noch schöner, nein heute müssen auch Männer sich entscheiden, Bauch oder Freundin, sagt jedenfalls die Assistentin K, die öfter mal da war, und wer es besser weiß, schweigt lieber, man darf den Leuten das 'Weltbild' nicht in einem Satz zertrümmern) Bette erheben und sich ein Käffchen brauen und in der Gelassenheit, welche er tagtäglich in der EinSatzLeitung zur Schau stellt, nun auch in seiner etwas herabgekommenen Häuslichkeit im zweiten Stock eines Kreuzberger Seitenflügels die Wollmäuse Wollmäuse sein lassen, sich nach einem herzhaften Frühstück auf den Weg zur Marzipanbeschaffung machen, jeden Bäcker und jede Metzgereifachverkäuferin rings um die Bergmannstraße grüßen, und dann den Tag verdösen, um am Abend sich in einer Kneipe mit Freunden, die er bequemlichkeitshalber seit seiner Schulzeit allwöchentlich trifft (wozu neue, die alten sind doch gut genug, man kennt sich, man wiederholt seine Sprüche, wer will mehr, wer braucht das), ein Bierchen oder auch zwei zu genehmigen, den Sonntag ähnlich verbracht, vielleicht ein halbes Stündchen am Computer was nachgearbeitet und doch einmal das Waschbecken durchgewischt, aber nein, so ist das gar nicht," sagte die Schwester des Oberassistenten, als sie neben der Dame Ö im Krankenhausflur saß und auf das Ergebnis der Notoperation wartete, "tatsächlich hat er unermüdlich an jedem Wochenende versucht, gegen sein Übergewicht zu kämpfen, er ist in Fitness-Studios gegangen, hat sich die ganzen abschätzigen Bemerkungen und Blicke gefallen lassen, immer auf der Suche nach dem einzigen dort, der auf irgendeine Weise nicht den Respekt verlor, nicht vor der Stirn, und wie es schien auch nicht dahinter, hat sich im Spiegel angeschaut und Fratzen gezogen und sich selbst zugerufen, na, wo ist sie nun hin, deine Gelassenheitsmaske, hat natürlich eine Freundin gehabt, die ihn aber verlassen hat, und natürlich hat er das auf seinen Bauch zurückgeführt, obwohl sie ihm immer gesagt hat, wie süß sie das findet, und nach wenigen Wochen Glück ist er nun also völlig unglücklich wieder ins Laufrad gegangen, hat sich gesagt, diesmal aber richtig, und ja, da haben wir den Salat," und die Dame Ö nahm die Hand der aufgeregten jungen Frau, in der sie ohne den Anruf, den sie erhalten hatte, niemals die Schwester des dicken Oberassistenten vermutet hätte, und sie drückte sie ein wenig und sagte, "wir müssen jetzt beide sehr tapfer sein, und wenn wir in den Aufwachraum gehen dürfen, dann werden Sie ihn, egal wie er aussieht, ein wenig streicheln, an der Hand oder im Gesicht, und Sie werden ihm sagen, wie sehr Sie ihn immer gemocht haben und wie Sie sich um sein Aquarium kümmern und was Sie alles schönes gemeinsam machen werden, wenn er sich wieder erholt haben wird," und die Schwester des dicken Oberassistenten war froh, daß sie bei ihrem Anruf in der EinSatzLeitung statt des Anrufbeantworters Dame Ö erreicht hatte, und fragte nicht weiter und sagte mit einem kleinen Schniefen, so machen wir das, und lehnte unversehens ihren Kopf an die hagere Schulter dieser Dame, von der der Oberassistent eigentlich nicht viel Gutes erzählt hatte, denn wie Karomütze hielt er sie, solange er noch draufloshalten konnte, für unmäßig streng und dünkelhaft.

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