Dienstag, 11. November 2008

516.

Die Kreativleitung und ihre Assistentin hatten sich sehr in den Anblick eines spektakulären Morgenhimmels versenkt, als nach energischem Anklopfen die Tür von der Leitung Öffentlichkeit geöffnet wurde, welche mit bedeutungsvollem Gesicht die Kreativleitung bat, ins Ö-Büro zu kommen, es liege ein Brief vor, der dringender und zunächst einmal vielleicht vertraulicher Besprechung bedürfe, die Kreativleitung ahnte nichts Gutes, drückte der Assistentin ohne es zu merken die Hand sehr fest und folgte der Leitung Öffentlichkeit in ihr Büro, wo diese ihr erläuterte, es handele sich um das Schreiben eines Herrn Wächter, welcher in reichlich scharfem Ton behaupte, es halte sich in der EinSatzLeitung eine äußerst gefährliche Person versteckt, welche üblicherweise unter dem Namen M. Flügelblüh bekannt sei, diese Person sei eine notorische Betrügerin usw., und während sie zitierte und referierte (Herr Wächter hatte sich recht umständlich und ausführlich zur Kenntnis gegeben, in einer Tonlage, die auch der Leitung Öffentlichkeit etwas zu pöbel- und zugleich zu wächterhaft war) flocht die Leitung Öffentlichkeit immer wieder kleine Räuspereien ein und irgendein Gemurmel, durch das sie den Eindruck vermittelte, diese Sache müsse wirklich, wenn es sich so und so verhalte, sehr ernsthaft erwogen werden, insbesondere da der Herr Wächter anscheinend nichts anderes wolle, als sich zu gegenseitigem Nutzen und Frommen einmal einfach in Ruhe und zu zweit und ganz entspannt mit der Frau Flügelblüh zu unterhalten, bei der es sich ja wohl um Mo handeln müsse, wenn diese auch in höchst unwahrscheinlichen Farben, Größen und Eigenschaften hier geschildert werde, man müsse nun nicht immer so zimperlich mit diesem Tier (Verzeihung, aber das ist sie doch!) sein, ein bißchen Dialog sei nach allem, was der gute Mann hier schreibe, durchaus angemessen und zumutbar, auch sei er durch vielerlei Zeugnisse als ein überaus liebenswerter, nur manchmal ein wenig polteriger Mann ausgewiesen, und man solle jetzt mal zur Vernunft kommen, woraufhin sich die Kreativleitung (die sich ein wenig langweilte angesichts des immerselben Anblicks, der sich ihr hier wir so oft bot, wenn einer etwas Mieses initiiert, ein anderer erst zögert, dann aber doch eigentlich usw., aber man entwickelt schließlich auch damit Routinen) von ihrem Sitz erhob, sich artig dafür bedankte, daß man immerhin Mo selbst nicht geweckt und nicht hervorgezogen habe, um sie diesen Perfidien auszusetzen, fragte die Leitung Öffentlichkeit, ob ihr noch nie in den Sinn gekommen sei, daß manchmal, wenn ein Mensch (das ist sie nämlich) sich weigere, mit einem anderen in einem Raume allein zu sein, der, der sich dessen weigere, möglicherweise ganz ernsthafte Gründe dafür habe, und ob sie im Ernste der wie sie sich ausdrückte beknallten und widerwärtigen Insinuation dieses Herrn Wächter Glauben schenke, als könne es nach der Totalüberwältigung, die sich auf äußerst asymmetrische Weise zwischen dem Wächter und dem winzigen Mo ereignet habe, irgendetwas wie einen Dialog geben, welcher dann nicht die Überwältigung nur vollende und aus Mo das absolute Nichts mache, das dann sein Nichtssein auch noch bestätigend heraussprechen sollte, und sie sagte, man möge den Herrn Wächter erst einmal abweisen, und wenn er dann insistiere und irgendwelche Gründe vorbringe, von denen man meine, sie sollten gehört werden, dann solle man ihn in eine Konferenz laden, und wenn er sich da anständig betrage und ein Anliegen vorbringe, das an Mo zu übermitteln sei, dann könne man das ja tun, und wenn Mo auf solche Weise der Solidarität der EinSatzLeitung versichert geruhe, in Anwesenheit mindestens einer EinSatzKraft mit diesem Herrn Wächter zu sprechen, dann sei das sicher das Äußerste an Entgegenkommen, im übrigen solle man sich mit ihr die Schmonzetten sparen und sie nicht schlechter stellen als jeden beliebigen Chef oder dergleichen, welche man trotz ihrer in der Regel nicht beraubten, sondern privilegierten Stellung in der Welt auch nicht zwinge, sich mit jedem beliebigen ihnen Unerträglichen unter Absehung von aller Geschichte in einen Raum zu begeben, um nun mal hübsch drauflos zu dialogisieren, dabei möglichst eine Person unbekleidet und am Boden, die andere bekleidet und sitzend und mit aller Information im Hintergrund, im übrigen solle der klitzekleine Forschungsminister mal etwas über den gräßlichen Mißbrauch schreiben, welcher mit diesem an sich so hoffnungsvollen Wort allenthalben getrieben werde, und der stille Theologe, ach ne, der Demokratiebeauftragte, könne sich doch bemühen, ein paar Argumente beizubringen, sie jedenfalls werde Mo ganz sicher diesem Herrn Wächter nicht zur weiteren Mißhandlung überlassen, und wenn dies nicht auf die Zustimmung der anderen EinSatzKräfte wie selbstverständlich rechnen könne, müsse man eben eine Sondersitzung einberufen, sie selbst freilich finde, daß man damit dem Herrn Wächter ein bißchen viel der Ehre erweise, da sie aber, wo man selbst nicht ehrabschneidend behandelt werde, keine Einwände gegen wildes Herauswerfen von Ehrbekundungen an andere habe, würde sie dies noch mittragen, und sie sagte, nun ist es weg, das schöne Morgenrot, wie geht es dir eigentlich mit deinem Bäuchlein, und nach weiteren Plaudereien sagte die Leitung Öffentlichkeit, sie werde die Dinge noch einmal mit der Chefin besprechen, die Kreativleitung sagte, tu das, und ging wieder in ihr Büro und an ihre Arbeit und schüttelte den Kopf darüber, wie wenig Realitätssinn sich oft gerade bei Menschen findet, die sich selbst in Gemeinschaft mit anderen für die realistischsten aller Realisten halten.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Sie sind Realisten: Begriffsrealisten, sie sagen "herrschaftsfreier Dialog" und glauben, weil sie es sagen, ist es das auch, egal wie die Verhältnisse sind.

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