Sonntag, 30. November 2008

535.

Nun, man muß ja nicht gleich soo zimperlich reagieren, wenn ich mal einen zu frühen EinSatz kritisiere, und dann erst nach Einbruch der Dunkelheit mit einem EinSatz rausrücken, sagte der Buchhalter, als er endlich etwas gefunden hatte, das aussah wie ein kleiner Bericht von einer kleinen Unterredung zwischen der Chefin und ihrem Kind im Nachgang zu einer kleinen familiären Feierlichkeit, bei der alle gefragt hatten, was die liebe Kleine denn zu tun gedenke nach ihrem Abiturium, aber er guckte dann gleich wieder nicht mehr so genau hin, denn die Nachrichten auf dem anderen Schirm überschlugen sich, und er erhielt den Auftrag, stellvertretend einer Geiselfamilie das Beileid für umgekommene Angehörige auszusprechen, was ihm gar nicht recht war, so daß er es lieber in einem seiner besonders beliebten nörgelig-dringlichen Anrufe an Dame Ö übergab, welche es ungern übernahm, denn sie war an jenem letzten Novembersonntag stundenlang in einer Ausstellung gewesen und wollte eigentlich einmal recht gemütlich ihre Beine hochlegen und irgendeinem blöden Fernsehprogramm gestatten, auf sie einzuwirken, mochte es auch ein wenig nach dem Pfefferminztee schmecken, den sie nebenher zu sich zu nehmen gedachte, so war es doch gut genug, meinte sie, um belästigende Nachrichten für den Augenblick auszublenden.

Freitag, 28. November 2008

534.

Nach einigen - wiederum im "Bistro" veranstalteten - gemeinsamen Spekulationen über den um die Würde der Pestvögel und die abwesende GSG 8 besorgten Passanten mit den sehr sinnigen Großbuchstaben und dem beklagenswerten Auge (übrigens wirklich unsere tief empfundene Solidarität, sagten beide einvernehmlich und evtl. sogar dankbar) vertrugen sich Karomütze und die Assistentin K wieder so leidlich, und Karomütze rückte damit heraus, daß er eigentlich die Polderfahrt für überflüssig hielt, er wisse auch so, daß die in gemeinsamer Invasion ausgeheckte Kooperation von Pest- und Brachvögeln der Pathologisierung, Maßregelung und Einpassung des kleinen Abweichlers dienten, und als die Assistentin ihn mit ihrem "jetzt bist du doch wieder paranoid" Blick ansah, da sagte er, ich habe doch schon einiges gehört, und als die Assistentin dann mit diesen Nachrichten ins Büro zurückkehrte, wo die Kreativleitung unverändert über ihre Papiere gebeugt saß, während Mo mit eingezogenen Flügelchen und knittrigem Gesicht auf der Fensterbank kauerte und Ausschau hielt nach etwas Neuschnee, fragte sie, was sollen wir jetzt bitte zu dieser Fahrt auf die B-Ebene schreiben, worauf Mo mit knittrigem Schmunzeln antwortete: Man kann die Fahrt mit dem Kumpel beschreiben, irgendeine schöne Musik dazu, den Ford Granada, Baujahr 1977, den Zank ums Kiffen während der Fahrt ab der holländischen Grenze, und dann haben wir doch noch das Nest des kleinen Abweichler-Brachvögelchens, vor dem ist ein Schild aufgepflanzt mit einem Zitat von Sigmund Freud: "Es sind nicht alle Menschen liebenswert."

533.

Da die Kreativleitung so beschäftigt war, hatte Assistentin K die Bereitstellung wenigstens eines kleinen Rahmens für Mos B-Ebene übernommen und sammelte nun Material für die Beschreibung einer Erkundungsfahrt, welche Karomütze und sein Kumpel von der GSG 9 in die Polder machen wollten, wo ein großer Schwarm von Pestvögeln (als Invasionsvögel bekannt und verschnuckt auf die Beeren von Ebereschen) in Begleitung eines Brachvogelschwarms und jenes pestvogeligen Mutanten mit dem Pfefferfresserschnabel und dem belgisierten Namen eingetroffen war, sie hatte schon alles mögliche zusammen, das Fahrzeug, die sonstige Ausrüstung usw., und dann bemerkte sie, daß sie völlig gereizt war, als sie diese Dinge mit Karomütze besprach, der an allem etwas auszusetzen hatte, sie sagte schließlich, Mo wird sowieso etwas völlig anderes schreiben wollen, die braucht diesen ganzen Scnickschnack nur zu sehen, zack, wird sie die Sache umleiten und eure Polderfahrt gründlich versemmeln, und als sie von der Unterredung, welche im "Bistro" stattgefunden hatte, wieder ins Büro zurück kam, fragte sie die Kreativleitung, wieso man eigentlich bei manchen Texten so sehr grantig werde, wenn sie einem anderen nicht gefielen, und bei anderen überhaupt nicht, mit der aufgewandten Arbeit könne das doch nicht zusammenhängen, womit also dann, worauf die Kreativleitung mit ihren übermüdeten Augen aufschaute und sagte, nun ja, bei mir hängt es von dem Ausmaß ab, in dem ich mich verbiegen mußte, um etwas zu schreiben, wenn ich mich sehr verbiegen mußte, dann liegt von vornherein sehr viel Macht bei dem, der es beurteilt, wenn ich mich nicht verbiegen mußte, übergebe ich es freundlich lächelnd an die Welt, bin natürlich traurig, wenn man es nicht will, aber es ärgert mich irgendwie nicht richtig.

Donnerstag, 27. November 2008

532.

Sitzung der EinSatzLeitung

Sitzungsleitung: Chefin
Protokoll: Dame Ö

Tagesordnung:

1. Die B-Ebenen
2. Umgang mit der Verwertungsgemeinschaft
3. Verschiedenes

Die Chefin eröffnet nach Feststellung der Anwesenheit aller EinSatzKräfte die Sitzung, indem sie ihrer Freude darüber Ausdruck gibt, daß der Oberassistent wieder da ist, der nun helfen soll, die Aufarbeitung liegengebliebener Arbeiten sowohl in der Abteilung Ö als auch in der Demokratieabteilung zu beschleunigen. Der (nur wenig schlanker gewordene) Obersassistent bedankt sich artig für alle Besuche, die ihm in der Zeit seines Klinik-Aufenthaltes abgestattet wurden.

TOP 1:
Die B-Ebenen-Produktion hat nachgelassen, etliche Freunde haben nachgefragt, wo die B-Ebenen bleiben. Die Kreativleitung wird um Stellungnahme gebeten und bemerkt tonlos, daß die B-Ebenen-Produktion völlig in den Händen von Mo liege, diese aber bei allgemein gebessertem Befinden gegenwärtig doch etwas unterversorgt sei, während sie selbst und ihre Assistentin überbeschäftigt seien mit den neuen Großproduktionen, so daß man mit dieser Stockung einstweilen werde leben müssen. Ferner trage der Buchhalter mit seinen permanenten Kürzungen in der Honig-Versorgung nicht gerade dazu bei, Mo ans Kritzeln zu bringen, und sie bitte die EinSatzLeitung zu beschließen, einen festen Honigetat für Mo festzulegen, der nicht vom Buchhalter willkürlich und nach Laune beeinflußt werden könne. Der Buchhalter erhebt sich und behauptet, man müsse ganz andere Saiten aufziehen, es gehe so alles einfach nicht, man könne Mos Fehlverhalten nicht dauernd belohnen, die Kreativleitung sei ja erheblich umgänglicher geworden, aber die Verhätschelung des Mo sei nicht nur seiner eigenen Ansicht nach unhaltbar. In dieser Frage sei er der Ansicht, man müsse mal wieder den Herrn Pestvogels zu Rate ziehen, dieser werde allgemein unterschätzt, er aber habe ihn neulich auf der Straße getroffen und sich von ihm glaubhaft versichern lassen, daß ein heilsamer Schreck genau das Richtige für diese gesamte lahme Kreativabteilung wäre, insbesondere aber für das schläfrige Mo. Die Chefin beendet - nach kurzem Blickwechsel mit der Kreativleitung und empörtem Tuscheln der Assistentin K - die Suada, indem sie den Buchhalter beauftragt, sich lieber wieder um seine eigenen Zuständigkeiten zu kümmern, buchzuhalten und die Verteilung des Etats ordnungsgemäß der Versammlung der EinSatzKräfte zu überlassen. Mit knapper Mehrheit wird beschlossen, daß unabhängig von der B-Ebenen-Produktion eine Grundversorgung mit Honig gewährleistet sein müsse, man habe, murmelt der Demokratiebeauftragte, schließlich auch feste Sätze für die Kaffeeversorgung der anderen EinSatzKräfte und gebe davon sogar noch jenen Besuchern von der Verwertungsgemeinschaft etwas ab, was diese sich in ihre Haifischgesichter schütten würden, ist doch wahr, sagt er, und die Protokollantin kann sich nicht enthalten, diese Zwischenbemerkung zu notieren, denn sie erscheint in Ansehung der sonstigen Gelassenheit des Demokratiebeauftragten bemerkenswert engagiert. Der Job des Buchhalters freilich erscheint ein wenig undankbar.

TOP 2:
Die Chefin bemerkt, daß man mit dem Nebengegrummel ja bereits beim zweiten Tagesordnungspunkt angekommen sei, Umgang mit der Verwertungsgemeinschaft. Sie erteilt dem Demokratiebeauftragte also das Wort, seine Rede auf die Verwertungsgemeinschaft umzulenken und an alle zu richten. Der Demokratiebeauftragte sagt, es gebe eigentlich nichts Neues, man müsse sich nur seiner Ansicht nach neu überlegen, wie man sich dazu verhalten wolle, denn die Verwertungsgemeinschaft betrage sich gegenwärtig überaus lästig, indem sie permanent Signale aussende, mit denen sie mitteile, daß sie gern an der Leitungsebene der EinSatzLeitung vorbei ein erwartungskonformes Verhalten der EinSatzLeitung erwirken wolle, welches diese selbst nach Möglichkeit noch (wieder einmal gegen alle ihre eigenen Pläne und Arbeitsergebnisse) als eigenes Interesse zu betreiben hätte. Die mittlerweile wechselseitige Beobachtung von EinSatzLeitung und Verwertungsgemeinschaft ergebe also folgendes Bild: Die EinSatzLeitung betreibe ihre eigenen Geschäfte so gut sie könne. Desgleichen die Verwertungsgemeinschaft. Diese aber, in ihren untereinander unterschiedlichen Strömungen, habe gerade wieder eine Hauptströmung nach vornde gebracht, welche im Prinzip nach dem immerselben Muster vorgehe: Man werde nicht etwa vorstellig und frage nach, ob dieses und jenes vertraglich zu regeln sei, man setze sich nicht ernsthaft mit den Produktionen auseinander, sondern teile die auf allen möglichen Wegen zur Kenntnis gelangten Produktionen auf in solche, die unfreiwillig etwas preisgäben (nämlich die Gründe für die Verweigerung des erwartungskonformen Verhaltens, die man zentral bei der Kreativabteilung suche, die betreffende Dame hört den Bericht unbewegten Gesichts an), und andere, welche den Erwartungen fast entsprächen, aber noch korrekturbedürftig und deswegen nicht anständig in einen fairen Handelsverkehr zu ziehen seien, von dem man ja vor allem wolle, daß er von der EinSatzLeitung als Eigeninteresse formuliert werde. Bei alledem vermeide die Verwertungsgemeinschaft also trotz beobachtbarer besserer Ansätze konsequent weiter - wie seit Jahren - ihrerseits ein anständiges, den Erwartungen der EinSatzLeitung entsprechendes Verhalten und ziehe es vor, aus irgendeinem "Off" zu Tests zu machen, Auswege abzuschneiden etc. Dabei habe die Leitung Öffentlichkeit sich durchaus darum verdient gemacht, ihrerseits die Erwartungen der EinSatzLeitung zu formulieren, nämlich: anständige Angebote, geregeltes Anhören von Meinungen, Belohnung von Leistung (und nicht etwa Bestrafung). Alles dieses aber scheine man in der Verwertungsgemeinschaft weiter nicht zu wollen, so daß im Grunde weiterhin nichts anderes übrig bleibe, als mit Hilfe von Karomütze und Leitung Ö alle Interventionsversuche abzuweisen, keine zugespielten Bälle aufzufangen etc. Denn was für die Kreativleitung innerhalb der EinSatzLeitung, und für Mo innerhalb der Kreativabteilung gelte, das müsse nun einmal auch in der Welt zur Geltung gebracht werden. Der Forschungsminister verzieht sein Gesicht, und die Kreativleitung, die dies sofort bemerkt, gibt zu bedenken, daß man doch längst geständig gewesen sei und gesagt habe, für eure Verwendungen taugen wir leider nicht mehr, eure Erwartungen können wir wegen einer ausgewachsenen Bibliographienphobie unseres Forschungsministers nicht mehr erfüllen, aber hier bieten wir euch dies und das, was daran denn so schwer zu verstehen sei, und der Demokratiebeauftragte sagt, das müssen Sie als Frage einmal direkt in so ein Haigesicht sagen, vielleicht bewirkt es etwas, wenn Sie es sagen, vielleicht müssen wir die Leitung Öffentlichkeit darauf ansetzen, ich weiß es nicht. Die Leitung Öffentlichkeit sagt tapfer, wir arbeiten in unserer Abteilung doch nach Kräften daran.
Die Chefin, die vor allem keine allgemeine Ratlosigkeit ausbrechen lassen will, schlägt die Bildung einer internen Kommission vor. Ich will wieder in mein Krankenhaus, sagt der Oberassistent.

3. Die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse schlägt vor, in der Raumaufteilung einen eigenen Schreibtisch für die Protokollantin zu bestimmen, es sei doch unangenehm, daß diese immer im "Bistro" ihre Arbeiten erledigen müsse, und es wird für dieses Problem eine schnelle Lösung gefunden, für das die Protokollantin ihren Dank bekundet, sie wird nun im Büro der Abteilung Öffentlichkeit einen Schreibtisch haben.

Ende der Sitzung.

Mittwoch, 26. November 2008

531.

Dame Ö hatte nach Feierabend einen Anruf vom ehemaligen Projektleiter erhalten, welcher sich auf einer neuen Stelle und mit einer neuen Dame recht wohl befand und glaubte, der in ihrer Unzeitgemäßheit ohne seinen Beistand besonders hilflosen Ehemaligen gegenüber eine gewisse Fürsorgepflicht zu haben, weshalb er sich nach etwas erkundigte, was ihm als eine falsche Assoziation in ihrem Leben zugetragen worden war, und er gab sich jovial und sagte, merkst du denn nicht, daß diese Leute dich die ganze Zeit verarschen, und die Dame Ö sagte höflich, sie freue sich, daß er, der Projektleiter, nun wieder ganz bei sich angekommen sei, es tue ihr aufrichtig leid, ihn so lange in eine derartige Selbstentfremdung gezogen oder genötigt zu haben, wie es der Umgang mit ihr offenbar unvermeidlich mache, es ehre ihn in gewisser Weise, daß er sich dieser Anstrengung so lange ausgesetzt habe, aber nun sei es doch recht wohltuend zu wissen, daß ihn alle diese Dinge so gar nichts mehr angingen, nicht wahr, und als sie aufgelegt hatte, war ihr dennoch eher unwohl zumute, weniger, weil ihr diese Rede von irgendwelchen Verschaukelungen ernsthaft Sorgen bereitet hätte - sie pflegte keinen Wert auf Durchschauereien zu legen, mochten die Leute Motive haben wie sie wollten, mochten sie Dame Ö für blöder halten als sie war und sich selbst für sehr schlau und durchtrieben und geschickt, für sie war das alles lästig lächerliches Gehampel, wenn sie den Eindruck hatte, einen oder mehrere Menschen einer ernsten Zuneigung würdigen zu dürfen, so tat sie das, ungeachtet alles dessen, was sie auch noch sehen mochte (und sie pflegte durchaus tief zu blicken, oft vielleicht wie sie sich schmeichelte sogar ein bißchen tiefer als die Durchschauer von Verschaukelungen) und wenn sie wirklich einmal den Eindruck hatte, jemand sei im Einzelfall einer einmal frei verschenkten Zuneigung doch nicht so würdig, so verabschiedete sie sich eben wieder, man ist schließlich nicht mehr 15, sagte sie sich, aber meistens hat man doch Gründe, und fast immer andere, als die Leute (insbesondere aber Menschen, die lebenslänglich über Klassenkameraderien und deren Spiele nicht hinauskommen) denken, so müsse man dergleichen wohl auch anderen mindestens als eine Möglichkeit zugestehen und eben darauf achten, daß man notfalls den Absprung schaffe, bevor es zu schlimmeren Verletzungen komme - sondern mehr, weil sie in dem Anrufen und Eingreifen des Ehemaligen eine Übergriffigkeit empfand, die ihr insbesondere in Ansehung seiner neuen Arbeitsstelle durchaus mißfiel, und über dieses hätte sie schon gern einmal mit irgendwem gesprochen, so daß sie schließlich die Gattin des ehemaligen Chefs anrief, um diese nach ihrer Meinung zu fragen, denn die jungen Leute, die leben ja alle selbst noch in ihren Schulklassen, sagte sie sich, da kann man ja mit keiner vernünftigen Ansicht rechnen, man soll sie auch nicht von ihnen verlangen, und die Gattin des ehemaligen Chefs sagte, interessant wäre zu wissen, wer ihm da was zugetragen hat, und die Dame Ö sagte, meinst du wirklich, daß man danach fragen sollte, ich denke immer, man gibt in solchen Fällen der Intrige schon viel zu viel Raum, aber ich mag ja naiv sein (o ja, sagte die Gattin des ehemaligen Chefs, das bist du wahrhaftig) und dann erkundigte die Dame Ö sich trotzdem einfach nur noch nach dem Befinden im Haushalt des ehemaligen Chefs und wie denn die Studien des Herren Sohn vorankämen, und was sie dabei erfuhr, war von Interesse durchaus, dazu auch noch ein wenig bekömmlicher.

Dienstag, 25. November 2008

530.

Als der Kwaliteitswart und Karomütze sich am Morgen im Hof trafen, konnten sie sich nicht enthalten, etwas Schnee von der kleinen Überdachung der Mülltonnen zu nehmen und sich gegenseitig damit zu bewerfen, Karomütze fing an, das wurde von oben genau gesehen, aber die Bälle flogen dann sehr schnell hin und her, die schwarze Katze mit dem Glöckchen am roten Bande sprang schnell auf einen Baum, und so dauerte es etwas, bis die Herren prustend und kichernd oben angekommen waren, ihre nasse Kleidung abgelegt, sich dann in der Bürokleidung wieder etwas zurechtgerückt hatten und im "Bistro" an einem Tisch Platz nahmen, an welchem die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse und der Minderheitler mit den grünen Borsten abwechselnd auf Assistentin K und die Kreativleitung einsprachen, während der Oberassistent am Fenster stand und versonnen hinaus schaute, da ihn der Zank um die Kommentarebene, in den der Kwaliteitswart sich umgehend eingemischt hatte, nicht sonderlich interessierte, du lieber Himmel, sagte er, als er sich nach längerem Winken schließlich doch wieder zu den anderen bequemte, natürlich wäre es eleganter gewesen, wenn gestern der "honni sois"-Satz des Mädchens den Abschluß gebildet hätte, aber dann hätten die Politfreaks die Philippika der Chefin verpaßt und nach Führung gegreint, die Leitung Ö hätte spätestens heute noch viel mehr richtig stellen müssen, und überhaupt, Komposition, Kürze, Kwaliteit, wird doch alles überschätzt...

Montag, 24. November 2008

529.

Die B-Ebene konnte nur begonnen werden, der für sie vorgesehene Ausflug von Karomütze und seinem Kumpel in einen Polder mußte wegen des Wintereinbruchs abgebrochen werden, denn erstens war die Schleuder, die der Kumpel aufgetrieben hatte, ein alter Ford Granada in Metallic-Blau, nicht winterfest, zweitens waren die vor dem Wochenende im Polder eingeflogenen Pestvögel vor dem Winter schnellstens wieder geflohen, dies alles hatte die Kreativleitung etwas aus dem sonntäglichen Konzept gebracht, und so lag nichts weiter vor, als am Montag im "Bistro" der erste Kaffe gezapft wurde, man traf neben der üblichen Arbeit nur Vorverabredungen für die auf den Donnerstag verschobene Sitzung der EinSatzLeitung, im übrigen war es ein richtig langweiliger Montag, keine besonderen Vorkommnisse, kein Krankheiten, keine Konflikte, ein Anruf vom Oberassistenten, der nachhause entlassen worden war und von seiner Schwester betreut wurde, das war alles, was aus der EinSatzLeitung zu vermelden blieb.

Sonntag, 23. November 2008

528.

Nachdem Mo wieder so weit hergestellt war, daß sie ein wenig Minztee und sogar ein Stück Apfel mit Ingwerhonig hatte bei sich behalten können, schlief sie friedlich schnaufend und ein wenig schwitzend auf ihrem Fell unter dem karierten Schal, und die Kreativleitung dachte, es wäre vielleicht Zeit für eine kleine B-Ebene, die sich möglicherweise mit der Vogelwelt und der Welt der Ornithologen zu beschäftigen hätte, und so schritt sie in ihrer Wohnung auf und ab, schaute immer wieder in den erstaunlich hellen Winterhimmel, auf die dünne kleine Schneedecke, die Mo bereits in helles Entzücken versetzt hatte, und suchte in all ihren Hinterzimmern nach Material, eine hochintensive, wenngleich keinem offiziellen controlling sichtbare Beschäftigung, und als sie unterwegs auf ein Briefchen stieß von jemandem, der - in einem im Grunde rührenden Anlauf, denn immerhin hatte er sie mal direkt gefragt, anstatt in irgendwelchen Spuren, welche sie in der Welt hinterlassen haben mochte, zu forschen, was ihr eine gewisse Sympathie entlockt hatte - sie gefragt hatte, ob sie sich für eine sinnliche Frau halte, mußte sie kurz überlegen, ob sie geruhen wolle, das zu beantworten, indem sie ihn etwa darüber belehrte, daß dies eine für Menschen, die einander und das, was man so "Sinnlichkeit" zu nennen pflegt, ernstnehmen, komplett falsche und unzulässige Frage sei, oder ob sie das in solchen Fällen eigentlich korrekte Schweigen auffahren sollte, und sie dachte, erst die B-Ebene, dann wird über diese Sache hier entschieden, und sie legte den Brief auf einen Stapel und setzte ihre kleine häusliche Wanderung fort, dann und wann dem kleinen Mo die Schweißperlen von der Stirn tupfend.

Samstag, 22. November 2008

527.

Natürlich wurde die Sitzung nicht am Wochenende nachgeholt, fast alle waren in ihren Häuslichkeiten geblieben, nur der klitzekleine Forschungsminister hockte an den Geräten, um im Notfall die anderen zusammenrufen zu können oder einen eigenen EinSatz abzusetzen, und er befand sich in regem Chat mit dem naseweisen Sinologen, welchem beigefallen war zu fragen, warum sein ehemalige Kollege eigentlich als "Forschungsminister" gelte, er sei doch früher nichts weiter als ein kleiner Forscher gewesen, und um Minister zu werden, müsse man doch völlig andere Kompetenzen haben, dann sei er bei seiner Größe auch nicht gerade eine repräsentative Erscheinung usw., und der klitzekleine Forschungsminister sagte, dies alles habe sich ja noch zu Zeiten des ehemaligen Chefs so entwickelt, welcher nun einmal die Idee gehabt habe, man könne vor so einer gewaltigen großen Sache, wie die Forschung an sich sie darstelle, in jedem Falle stets nur in Ehrfurcht erstarren und sehr klein werden, entweder, indem man sich in sie einfüge als mehr oder weniger kleines Rädchen, das dennoch mit seiner unermüdlichen Geschäftigkeit und mit der Hilfe des Getriebes, in dem es nun einmal funktioniere, alles Menschliche aus seiner Umgebung zu terrorisieren habe, um seine Rädchenposition und sich in ihr "wettbewerbsfähig" zu halten, oder man müsse sich ihr von außen zuwenden und die diversen Widersprüche, die sie so mit sich herumschleppe und bewege, ordnen und verwalten und zugleich einer Instanz wie der EinSatzLeitung immer wieder einmal ein paar Forschungserbegnisse zuführen, so in etwa habe jener Chef in der Gründungsphase der EinSatzLeitung sich das vorgestellt, da er aber ein vor- und umsichtiger Mann sei (übrigens immer noch, auch wenn er gegenwärtig ja mehr in die Zeitung und in den heute gar verschneiten Garten seines Hauses starre), habe er eben gerade einen rädchenkleinen Kollegen gesucht, welcher ihm den Umgang mit jenem gewaltigen und beeindruckenden Ding Forschung verwalten solle, und so sei es also gekommen, daß er als klitzekleiner Forschungsminister auf seinen Posten berufen worden sei, den er nun so gut wie möglich auszufüllen sich bemühe, immer noch unglücklich, wie er zugeben müsse, besonders bei den Wochenendschichten, aber insgesamt doch erheblich zufriedener als zuvor, als er in dem gewaltigen und beeindruckenden Ding selbst gewesen sei, obwohl, sagte er dann, obwohl, naja, denken wir besser nicht darüber nach, sagte er, man muß manche Kapitel einfach schließen, und dann unterbrach er sein Chatten, denn es piepste sein Handy und die Kreativleitung rief an, um zu fragen, ob er ein Mittel wisse, mit dem Brechreiz gestoppt werden könne, Mo habe auf der Straße geglaubt, in das hämische Gesicht ihres Wächters zu gucken, und erbreche sich seither in einem Fort, so daß der Klitzekleine nun sehr Unforscherliches zu regeln hatte, indem er Karomütze fernmündlich zur Apotheke schickte, um ein bestimmtes Medikament zu besorgen und in die Wohnung der Kreativleitung zu befördern, und als alles veranlasst war, chattete er dem Sinologen zu, jetzt muß ich hier auch manchmal Arzt spielen, nur weil ich ein paar pharmazeutische Kenntnisse habe...

Freitag, 21. November 2008

526.

Heute ist wieder Sitzung, sagte die Chefin, als sie ins "Bistro" kam, aber niemand antwortete, niemand war da, alle waren entweder krank oder im Chaos des ersten Schneefalls steckengeblieben, dabei war der Schnee nur im Fallen zu sehen gewesen und auf den Dächern und Scheiben der Autos mit ihrem ewigen kalten Metall, unzählige kalte Sternschnuppen vor aller Augen, Nässe auf allen Schirmen, Kapuzen und Haaren, auf der Straße aber nichts als Wassermassen, und nicht einmal die Kreativleitung war in ihrem Büro, nur ein kleiner Zettel von Mo, dessen Entzifferung jetzt doch zu viel Geduld erfordert hätte, lag auf ihrem Schreibtisch, die Chefin seufzte "die Chefin regiert, aber niemand ist da, sich regieren zu lassen, die Selbstverwaltung funktioniert nur noch als verwaltete Abwesenheit, so geht das doch nicht," und sie ging an ihren Computer, der mit gewohntem Gongen seinen Schirm anbot, öffnete das Mailprogramm und fand brave Absagen sämtlicher EinSatzKräfte, strich sich die Haare aus der Stirn, tippte eine kleine Rundmail, in der sie einen Ersatztermin vorschlug, und dachte, wie lange hatte ich schon keine Zeit mehr, selbst ein bißchen über Demokratie nachzudenken, und sie ging an eines der Bücherregale, nahm sich eines der Bücher, die da standen, setzte sich mit dem Blick über die Stadt ans Fenster und genehmigte sich eine halbe Stunde mit "Menschen in finsteren Zeiten," jeder Satz bei aller beschriebenen Finsternis so, daß man ihn immer wieder "lucide" nennen wollte.

Donnerstag, 20. November 2008

525.

Am andern Morgen fand das Kind, es wäre besser, Mo zu sein und weiter zu schlafen, und wenn einem das zu langweilig wäre, wäre es besser, bei der GSG 9 zu sein oder in irgendeiner Truppe im Süden, da wäre wenigstens das Wetter gut, aber die Chefin sagte, das willst du nicht ernsthaft, da in diesen Wüsten herumtoben und nie wissen, was als nächstes passiert, innerhalb der Festung immer schön Disziplin und all dieser bundesrepublikanische Krempel, Fernsehen, Handies und Konflikte um Klamotten, Essen und Programme, am nächsten Tag wieder raus, oder auch nicht, plötzlich Verletzte, Tote usw., das kannst du nicht wollen, und das Kind überlegte einen Augenblick und sagte, meinst du, da sitzen Leute und denken, wie schön wäre es, jetzt noch einmal in Berlin zur Schule zu fahren, mit der U-Bahn, und mit diesen ganzen Leuten in der U-Bahn, und dann im Regen zu der Schule zu gehen und die Leute zu treffen, mit denen du ein bißchen Quatsch machen kannst, und dann mit nassen Füßen am Tisch zu sitzen und die Lehrer zu sehen, eine Klausur zu schreiben, und in der Freistunde wegen Stundenausfall erzählt deine Freundin ihren Liebeskummer oder wie toll gerade alles ist, und in der PW-Stunde der Lehrer labert über die EU, und du selbst möchtest am liebsten wieder schlafen, kämpfst aber tapfer deine Halsschmerzen nieder, meinst du, das wünschen sich die zurück, die jetzt in diesen Wüsten herumtoben, und die Chefin sagte, man müßte sie vielleicht mal fragen.

Mittwoch, 19. November 2008

524.

Während im Kreativbüro die Debatte zwischen den K-Menschen ihren Lauf nahm, hockte die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse und den ewig rotgeränderten Augen gemeinsam mit Karomütze im "Bistro" und verwickelte diesen Knaben zum wiederholten Male in ein Gespräch über die Frage, was man recht eigentlich unter Sicherheit verstehen wolle, aber sie kamen nicht über ihre üblichen Streitereien hinaus, in denen es, wie die Minderheitlerin meinte, am Ende immer nur um die Frage ging, wie lange man sich auf die Wirkung des Respekts verlassen dürfe und ab wann man den Zusammenbruch der Respektsverhältnisse riskieren müsse, um gegen drohende Gewalt mit wirksamen Mitteln vorzugehen, wie immer positionierten die beiden sich auf recht unterschiedlichen Punkten der Skala und gingen verdrossen wieder auseinander an ihre jeweiligen Arbeiten.

Dienstag, 18. November 2008

523.

Die Kreativleitung hatte sich auf ihre Weise für die Debatte mit dem Kwaliteitswart durchaus präpariert, erstens, indem sie an diesem Tag keinen Kaffee anbot, sondern kaltes Wasser, und zweitens, indem sie viele Stunden darüber nachgedacht hatte, wie es in jenem Archivstück zu der eigentümlichen Gebremstheit und Verflachung der Bewegungen gekommen sei, durch welche sich ihrer Ansicht nach die Delta Rhythm Boys trotz guter Ausgangslage, perfekter Beherrschung und glatter Stimmführung bei ebenfalls gutem Stimmmaterial schon dem ersten Blick als Bewohner der zweiten Reihe auswiesen; es war dies eine ihrer typischen Gedankenfolgen, und beim ersten Hinsehen hatte sie mal wieder überhaupt nichts zu tun mit der vom seiner Natur nach eher ordentlich und zielstrebig vorgehenden Kwaliteitswart aufgeworfenen Frage nach "happy ends," ein Umstand, welcher der Kreativleitung natürlich völlig bewußt war, aber sie war etwas kühner geworden und sagte dazu nur in Klammern, das ist es doch im Grunde, oder, Sie glauben, "modern" und "wahr" kann nur sein, was kein "happy end" hat, oder (und der Kwaliteitswart wunderte sich etwas über ihre fast patzige Gereiztheit, das hätte er bei ihrem üblichen Geschmolzensein in seiner Anwesenheit gar nicht mehr erwartet, er wollte sich eben huldvoll ein wenig darüber amüsieren, fand dazu aber nicht die Zeit, denn sie setzte, nun ihrerseits schon wieder fast zärtlich lächelnd, sogleich nach) es kommt aber, wenn wir ehrlich sind, bei der Beurteilung eines "Kunstwerk" (oder auch "Kunsthandwerk," das ist mir übrigens völlig egal, sagte sie) genannten Gedankendings doch schließlich nicht darauf an, ob es eine konsistente Handlung hat oder nicht, ob es glücklich endet oder nicht, ob es einen kräftigen Heroen hat oder einen Verlierer, nein, sagte sie, es kommt am Ende erstens darauf an, ob die Stimmen eine Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit haben, und zweitens, ob sie kraftvoll genug sind, die Decke einer bestimmten selbstverständlichen Zeitgenössischkeit auch mal zu durchstoßen oder eben nicht, und wenn Sie sich durch die Archive jener Jahre zappen, dann sehen Sie sofort, wo das erreicht wird und wo nicht, und nun müssen Sie sich - gerade Sie, in Ihrer Aufgabe als Kwaliteitswart - eben in die Situation zukünftiger Archiv-Flaneure begeben, es wenigstens versuchen, und gucken: was würde mich da anspringen, und was bliebe einfach unter der Decke, und, o Gott, sagte der Kwaliteitswart, da muten Sie mir aber was zu, das kann doch keiner, und die Kreativleitung sagte, natürlich nicht, aber können wir uns wenigstens darauf einigen, daß es auf "happy end" oder nicht eben keineswegs ankommt?

Montag, 17. November 2008

522.

Die am Wochenende zuständige Assistentin K hätte dem Oberassistenten gern einen netten Besuch verabreicht, am liebsten Karomütze, um diesen von seinem mißhandelten Straußenei abzulenken, und mindestens auf der Kommentarebene hätten dann noch andere dazu kommen können, gern hätte sie auch ein paar Gäste des Zimmernachbarn in näheren Augenschein genommen und einen Unfall mit Blumenvase inszeniert, aber es kam nicht dazu, sie erhielt von der Kreativleitung die "Anweisung," lieber mal aus dem Haus zu gehen, den Oberassistenten notfalls selbst und in Person zu besuchen, im übrigen aber etwas zu tun, das sie in eine heitere und gelassene Grundverfassung würde bringen können, denn für Montag war eine Debatte mit dem Kwaliteitswart vorgesehen, welche etwas härter zu werden drohte, hatte doch dieser per Mail wissen lassen, daß man sehr grundsätzlich darüber zu beraten habe, ob ein Blog wirklich eine Einrichtung sei, in der den Leuten stets und ständig eine harmonische Auflösung aller Schwierigkeiten und ein irgendwie heiteres "es-ist-alles-gut" zugerufen werden müsse, oder ob man sich nicht doch wieder an alte Ansprüche und ein Mahnendes und Warnendes erinnern solle usw., und die Assistentin hatte geseufzt, heilige Chefin, wird die denn wenigstens dabei sein, und die Kreativleitung hatte gesagt, ich werde mit ihr sprechen, aber eigentlich ist doch der Kwaliteitswart nett genug, und es geht hier um Kernangelegenheiten unserer Abteilung, die Chefin müssen wir doch erst hinzu ziehen, wenn wir uns nicht einigen, also wenn jetzt der Buchhalter derjenige wäre, dann würde ich auch sagen ... darüber wurde es Montag.

Sonntag, 16. November 2008

521.

Unterdessen befand sich der Oberassistent zunehmend besser, seit er in einem gewöhnlichen Krankenzimmer residierte und die Intensivstation nicht mehr brauchte, seine Kabelanschlüsse wurden nur noch selten benutzt, so daß er mit seinem freilich wenig gesprächigen und schon gar nicht heiteren Zimmernachbarn plaudern konnte; Glück gehabt haben Sie, sagte der Oberarzt jedes Mal, wenn er zur Visite kam, ganz großes Glück haben Sie gehabt, und in Zukunft werden Sie alles mit Maß und mit Ziel machen, Sie dürfen Marzipan essen, aber nicht so viel, Sie dürfen Sport treiben, aber maßvoll und regelmäßig, uswusw., und der Oberassistent übte sich sehr im Maßhalten, indem er nicht maulte, sondern wartete, bis die Visite vorbei war, um dann zu dem grantigen älteren Zimmergenossen zu sagen, also das alles hätten wir uns auch selber sagen können, habe ich nicht seit Jahren versucht, meine Massen zu reduzieren, und dann sitzt du da in einer deiner Diätphasen, knabberst an deinem Salatblatt, und neben dir im "Bistro" sitzt so eine übermütig plappernde schlanke Schönheit aus dem Assistenzbereich, die nach einer üppigen Fleischmahlzeit mit Sahnesoße noch einen Schokopudding mit Sahne niedermacht und trotzdem aussieht wie ein halber Hahn, ja Teufel nochmal, solange du keine Herzinfarkte kriegst, denkst du doch, was solls, jedem wie er kann, und gibst die Diät wieder auf, verdrehst die Augen, wenn die Kleene wieder futtert was das Zeug hält, packst dir noch ein Marzipan aus und hinter die Binde, und außerdem bekommen auch solche Schlankies immer öfter Herzinfarkte, Cholesterin, pah, Maß und Ziel, wenn ich das schon höre, und bei diesen Worten räkelte er sich wohlig, schaute an die Decke des Krankenzimmers und hoffte, endlich mal wieder einen lustigen Besuch zu bekommen, denn der Bettnachbar zeigte ein ausgesprochen verdrießliches Gesicht und antwortete nicht einmal mit einem höflichen Knurren.

Samstag, 15. November 2008

520.

Karomütze saß tief betrübt vor seinem Lieblingsglobus, denn bei einem seiner Party-Exzesse hatte einer seiner Kumpels Rotwein über das älteste Stück seiner Sammlung geschüttet, welches aus einem mit verschiedenen Papierschichten beklebten Straußenei bestand, dessen Lack schon rissig geworden war, so daß aufgrund einer einzigen falschen Bewegung des Kumpels von der GSG 9 der Rotwein ausgerechnet über den gesamten Mitttelmeerraum geflossen und diverse Inseln bis zur Unkenntlichkeit besudelt hatte, in feinen Spuren unter dem Lack vorkriechend bis ins Innere Afrikas, eine Katastrophe, sagte Karomütze, eine echte Katastrophe, und ich glaube, ich werde nie mehr zwischen meinen schönen Globen Rotwein ausschenken, ich hätte es nie tun dürfen, ich habe es nicht getan, aber ich habe den Raum mit den alten Globen nicht abgeschlossen, kann ich denn ahnen, daß sie auch dahin gehen würden, und er ärgerte sich und grämte sich und seufzte und schnaubte, und es half doch alles nichts, der Globus hatte es hinter sich, und Karomütze verbrachte einen der traurigsten Samstage seines bisherigen jungen Lebens.

Freitag, 14. November 2008

519.

Im Chefinnenbüro plagte sich die Chefin im Gespräch mit dem Demokratiebeauftragten und der Dame Ö wieder einmal mit der Frage ab, wie ein Machtwort zu sprechen sei gegen eine Gewaltandrohung, eine Zwangsmittelanwendung usw., ohne daß man sich den Gewalttätern gleichmache, die haselnußbraunen Augen der Chefin waren müde, ihr Chefsessel mißfiel ihr, sie war in Versuchung, ihn zu räumen und dem Demokratiebeauftragten nahezulegen, ihn einzunehmen, denn sobald sie überall die Aufforderungen "führe" las, hatte sie den Eindruck, auf einem Exerzierhof Stimmen zu hören, die "zurück ins Glied" schnarrten, "daß du führen sollst," sagte sie seufzend, "das nimmt dir doch die Kraft, es noch als deine eigene Sache aufzufassen, und wie machen das denn andere," fragte sie, "und was machen die denn, wenn man ihnen jede nüchtern vorgetragene Befürchtung als Wunsch auslegt und jeden Wunsch so interpretiert, daß man ihn als den eigenen nicht wieder erkennt," und die Dame Ö sagte, "jetzt reden Sie fast wie die Kreativleitung, bevor sie wieder etwas raushaut, nehmen Sie das als gutes Zeichen," und der Demokratiebeauftragte sagte, "die reden doch immer vom 'ersten Diener eines Staates,' und also schreien sie, wenn sie 'führe' schreien, eigentlich 'diene,' und wenn Sie dagegen vielleicht einen kleinen Protest entwickeln, vielleicht haben Sie dann das kleine bißchen Lust wieder, das man zum Führen braucht," und die Chefin hätte fast angefangen zu weinen, denn in dieser drolligen Idee war doch sehr viel Freundlichkeit, so lächelte sie und sagte, "ob ihr dabei seid, muß ich also nicht mehr fragen, wie schön," und sie straffte ihren Rücken und sagte, "gut, dann jetzt zu Karomützens Bericht über das traurige Schicksal seines Lieblingsglobus..."

Donnerstag, 13. November 2008

518.

Oben öffnete die Assistentin K ein Fenster und rief dem vom Himmel gefallenen Paraglider zu, er könne sich im "Bistro" gern einen Kaffee genehmigen und sich auf diese Weise einmal nicht im Vorbeischauen am Anblick der EinSatzLeitung gütlich tun, sondern sich wie es sich unter Menschen gehöre mit einigen EinSatzKräften unterhalten, man sei ihm auch gern behilflich, wenn er zuvor aus irgendwelchen Schirmverstrickungen gelöst werden müsse, aber der Paraglider fühlte sich durch diese freundlichen Worte nur verhöhnt, weshalb er anstatt zu antworten den zweitobersten Brachvogel (der sich in 87 von 113 Minuten durchaus zu verwechseln pflegte mit dem obersten Brachvogel) zu seiner Hülfe anrief, und dieser gewährte es gern, denn seiner stets gefällig zuhandenen Idee, daß M. Flügelblüh recht eigentlich die Chefin der EinSatzLeitung und eine versteinerte Frau sei, welche Tränen über einen Mord an irgendeinem höchst liebreizenden Brachvogelei, den sie selbst begangen habe, nicht weinen könne, weshalb man sie knacken und an sie rankommen müsse, arbeitete dieser Hülferuf gar sehr in die Hände, und da er als zweiter der Brachvögel (der gesonnen war, das Alter von 113 Jahren zu erreichen und deswegen seine Zeitrechnung von der Prozentrechnung ein wenig abgerückt und grundsätzlich umgestellt hatte, dennoch aber dann und wann von der Frage heimgesucht wurde, was er wohl machen werde, wenn eines genau datierbaren Tages das 113. Lebensjahr auch noch abgelaufen sein würde) selbst sehr versteinert war und nicht im Traum daran dachte, alle Brachvögel und alle anderen Vögel nebst Eiern, die er schon gequält und erlegt hatte, zu beweinen, lag ihm die Idee, daß andere Menschen zu wenig weinten, selbstverständlich sehr nahe - er schickte also Boten aus, um den Paraglider schnellsten aus seiner Verstrickung zu lösen und wieder an den Himmel zu lupfen, damit dieser An- und Ableger seiner Brachvogeligkeit nicht etwa mittelfristig auf die Idee verfiele, sich zu fraternisieren mit etwas, das nun einmal bearbeitet gehöre, damit endlich ein Ziel erreicht werde, welches Ziel, nun, darüber können wir heute nicht auch noch Auskunft geben, es liegt doch auf der Hand.

Dienstag, 11. November 2008

517.

Ein Eins-zu-Einsler, der sich von einigen extrem geblähten EinSätzen und einer Realbegegnung mit einer völlig ins Mausgraue heruntergekleideten Dame Ö endlich hatte weglangweilen lassen vom EinSatzBuch, hatte angefangen, sich nunmehr ohne EinSatzBuch erheblich zu langweilen, und so dachte er, nach einem seiner mit stinklangweiligen Terminen bis zum Abwinken gefüllten Arbeitstage, er könne doch mal wieder mit seinem Paraglider an den Fenstern der EinSatzLeitung vorbei-, ja was, vorbeiflanieren, wohl kaum, vorbei-gliden, geht auch nicht, also sagen wir vorbeischauen, und als er am Fenster des Projektbüros vorbeisegelte, fand er an diesem selbst ein Transparent mit der Aufschrift: THIS SITE IS UNDER DECONSTRUCTION, NO SIGN, da mußte er vor Schreck niesen und fiel vom Himmel, es ging aber langsam genug, er tat sich nicht weh.

516.

Die Kreativleitung und ihre Assistentin hatten sich sehr in den Anblick eines spektakulären Morgenhimmels versenkt, als nach energischem Anklopfen die Tür von der Leitung Öffentlichkeit geöffnet wurde, welche mit bedeutungsvollem Gesicht die Kreativleitung bat, ins Ö-Büro zu kommen, es liege ein Brief vor, der dringender und zunächst einmal vielleicht vertraulicher Besprechung bedürfe, die Kreativleitung ahnte nichts Gutes, drückte der Assistentin ohne es zu merken die Hand sehr fest und folgte der Leitung Öffentlichkeit in ihr Büro, wo diese ihr erläuterte, es handele sich um das Schreiben eines Herrn Wächter, welcher in reichlich scharfem Ton behaupte, es halte sich in der EinSatzLeitung eine äußerst gefährliche Person versteckt, welche üblicherweise unter dem Namen M. Flügelblüh bekannt sei, diese Person sei eine notorische Betrügerin usw., und während sie zitierte und referierte (Herr Wächter hatte sich recht umständlich und ausführlich zur Kenntnis gegeben, in einer Tonlage, die auch der Leitung Öffentlichkeit etwas zu pöbel- und zugleich zu wächterhaft war) flocht die Leitung Öffentlichkeit immer wieder kleine Räuspereien ein und irgendein Gemurmel, durch das sie den Eindruck vermittelte, diese Sache müsse wirklich, wenn es sich so und so verhalte, sehr ernsthaft erwogen werden, insbesondere da der Herr Wächter anscheinend nichts anderes wolle, als sich zu gegenseitigem Nutzen und Frommen einmal einfach in Ruhe und zu zweit und ganz entspannt mit der Frau Flügelblüh zu unterhalten, bei der es sich ja wohl um Mo handeln müsse, wenn diese auch in höchst unwahrscheinlichen Farben, Größen und Eigenschaften hier geschildert werde, man müsse nun nicht immer so zimperlich mit diesem Tier (Verzeihung, aber das ist sie doch!) sein, ein bißchen Dialog sei nach allem, was der gute Mann hier schreibe, durchaus angemessen und zumutbar, auch sei er durch vielerlei Zeugnisse als ein überaus liebenswerter, nur manchmal ein wenig polteriger Mann ausgewiesen, und man solle jetzt mal zur Vernunft kommen, woraufhin sich die Kreativleitung (die sich ein wenig langweilte angesichts des immerselben Anblicks, der sich ihr hier wir so oft bot, wenn einer etwas Mieses initiiert, ein anderer erst zögert, dann aber doch eigentlich usw., aber man entwickelt schließlich auch damit Routinen) von ihrem Sitz erhob, sich artig dafür bedankte, daß man immerhin Mo selbst nicht geweckt und nicht hervorgezogen habe, um sie diesen Perfidien auszusetzen, fragte die Leitung Öffentlichkeit, ob ihr noch nie in den Sinn gekommen sei, daß manchmal, wenn ein Mensch (das ist sie nämlich) sich weigere, mit einem anderen in einem Raume allein zu sein, der, der sich dessen weigere, möglicherweise ganz ernsthafte Gründe dafür habe, und ob sie im Ernste der wie sie sich ausdrückte beknallten und widerwärtigen Insinuation dieses Herrn Wächter Glauben schenke, als könne es nach der Totalüberwältigung, die sich auf äußerst asymmetrische Weise zwischen dem Wächter und dem winzigen Mo ereignet habe, irgendetwas wie einen Dialog geben, welcher dann nicht die Überwältigung nur vollende und aus Mo das absolute Nichts mache, das dann sein Nichtssein auch noch bestätigend heraussprechen sollte, und sie sagte, man möge den Herrn Wächter erst einmal abweisen, und wenn er dann insistiere und irgendwelche Gründe vorbringe, von denen man meine, sie sollten gehört werden, dann solle man ihn in eine Konferenz laden, und wenn er sich da anständig betrage und ein Anliegen vorbringe, das an Mo zu übermitteln sei, dann könne man das ja tun, und wenn Mo auf solche Weise der Solidarität der EinSatzLeitung versichert geruhe, in Anwesenheit mindestens einer EinSatzKraft mit diesem Herrn Wächter zu sprechen, dann sei das sicher das Äußerste an Entgegenkommen, im übrigen solle man sich mit ihr die Schmonzetten sparen und sie nicht schlechter stellen als jeden beliebigen Chef oder dergleichen, welche man trotz ihrer in der Regel nicht beraubten, sondern privilegierten Stellung in der Welt auch nicht zwinge, sich mit jedem beliebigen ihnen Unerträglichen unter Absehung von aller Geschichte in einen Raum zu begeben, um nun mal hübsch drauflos zu dialogisieren, dabei möglichst eine Person unbekleidet und am Boden, die andere bekleidet und sitzend und mit aller Information im Hintergrund, im übrigen solle der klitzekleine Forschungsminister mal etwas über den gräßlichen Mißbrauch schreiben, welcher mit diesem an sich so hoffnungsvollen Wort allenthalben getrieben werde, und der stille Theologe, ach ne, der Demokratiebeauftragte, könne sich doch bemühen, ein paar Argumente beizubringen, sie jedenfalls werde Mo ganz sicher diesem Herrn Wächter nicht zur weiteren Mißhandlung überlassen, und wenn dies nicht auf die Zustimmung der anderen EinSatzKräfte wie selbstverständlich rechnen könne, müsse man eben eine Sondersitzung einberufen, sie selbst freilich finde, daß man damit dem Herrn Wächter ein bißchen viel der Ehre erweise, da sie aber, wo man selbst nicht ehrabschneidend behandelt werde, keine Einwände gegen wildes Herauswerfen von Ehrbekundungen an andere habe, würde sie dies noch mittragen, und sie sagte, nun ist es weg, das schöne Morgenrot, wie geht es dir eigentlich mit deinem Bäuchlein, und nach weiteren Plaudereien sagte die Leitung Öffentlichkeit, sie werde die Dinge noch einmal mit der Chefin besprechen, die Kreativleitung sagte, tu das, und ging wieder in ihr Büro und an ihre Arbeit und schüttelte den Kopf darüber, wie wenig Realitätssinn sich oft gerade bei Menschen findet, die sich selbst in Gemeinschaft mit anderen für die realistischsten aller Realisten halten.

Montag, 10. November 2008

515.

Der Buchhalter, welcher zuerst die ungewohnte Freiheit eines nur von ihm allen bespielten Büros sehr genossen hatte, fing an, sich angesichts der wachsenden Berge auf seinen Schreibtisch ein wenig verdrießlicher zu stimmen bei dem Gedanken, daß er nun nicht nur dauerhaft ohne den Projektentwickler, gegen den er im Grunde nichts hatte, (der brachte mit seinen Eifereien doch wenigstens so etwas wie Leben in die Bude, und unter Männern pflegte er auch die eine oder andere kräftige Zote zu reißen, das hatte ein ganz klein wenig Überhand genommen in der Zeit nach seiner Trennung, diese Dinge werden ja durch Wiederholung nicht wirklich besser, aber es war doch lustiger, als nur und nur und nur Zahlen) würde auskommen müssen, sondern auch eine ganze Weile ohne den Oberassistenten, dessen massive physische Präsenz ihn zwar stets genervt hatte, der aber doch einiges, wie er gesagt haben würde, beschicken konnte, und er dachte, Marzipan sollte man ihm ja wohl besser nicht mitbringen, wenn man ihn besucht, wir wollen ja nicht gleich den nächsten Herzinfarkt provozieren.

Sonntag, 9. November 2008

514.

Es wäre natürlich sehr passend gewesen, wenn nun am Morgen ein Anruf des kämpferischen und stets stattlichen Herrn X. erfolgt wäre, aber item, dem war nicht so, und die Räume der EinSatzLeitung waren sowieso leergefegt, keine EinSatzKräfte, keine Schmuggler, keine Schubkarren unterwegs, alles leer, und der unstete Blick, welcher von oben auf allem und auf gar nichts zu ruhen oder drüberhinzuschweifen pflegt, dieser Blick heftete sich schließlich an die schlanken Fersen der Assistentin K, welche sich auf den Weg machte, die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse zu treffen, mit welcher sie am Museumsufer ein wenig bummeln wollte, in der Hoffnung, dort den Stand einer Hutmacherin vorzufinden, an dem sie ganz außerordentliche Hüte vor Jahren einmal bewundert hatte, und dann war sie auch auf der Suche nach einem neuen Ring, der ihre Hand zieren würde, so dachte sie, aber als sie die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse in jenem Café traf, in dem sie vor ihren Rundgängen über den Markt zusammen zu kommen pflegten, vergaß sie alle ihre Pläne recht schnell, denn die Minderheitlerin kam stürmisch auf sie zu gerannt, drückte sie heftig, und sagte, heute gehen wir nicht über den Markt, heute gehen wir in eine Ausstellung, und die Assistentin sah einfach keinen Grund, dagegen zu protestieren.

Samstag, 8. November 2008

513.

Die Kreativleitung hatte die Nacht versehentlich rücklings auf dem Teppich liegend verbracht, die Füße waren ihr vom Drehstuhl gefallen, bevor sie aufspringen konnte, um sich ordentlich schlafen zu legen, und so schrak sie verfroren aus unmöglicher Lage auf, als das Telefon klingelte und ausgerechnet Herr Y. an der Leitung war, welcher, in seinem Hochhausbüro in jener fernen Stadt in seiner neuen Heimat sitzend und sich soweit ganz wohl befindend sagte, es sei vielleicht eine ungünstige Zeit für einen Anruf, aber er habe nicht gewußt, an wen wenn nicht an sie er sich wenden solle mit einem Ärger, der ihn überfallen habe am Morgen beim Lesen der Nachrichten aus der fernsächsischen alten Heimat, und die Kreativleitung verstand überhaupt nicht und fragte, worüber haben Sie sich denn so geärgert, hat man Ihnen Unrecht getan, und er sagte, nein, mir nicht, aber ich habe mich über die Leute in eurem Hessen da geärgert, und über ihre Berliner Genossen, erst zerlegen sie mit allem Medienpomp eine Frau (über deren persönliche Qualitäten ich übrigens gar nichts weiß, ich weiß nicht, ob ich sie mag oder nicht, ich kenne sie gar nicht) so lange, bis wieder mal eine weibliche SPD-Größe aufgibt, dann machen sie Neuwahlen, und da treten sie dann genau mit derselben Idee an, die sie ihr vorher als schlimmsten Tabubruch vorgeworfen haben, sie sind also nicht besser als die Jungs von der CSU, die ihren Stoiber stürzen lassen von einer Gaby Pauli, die sie dann, nachdem sie ihren Job erledigt hat, genüßlich zerkleinern und versenken, um dann irgendeinen Seehofer, der alles darf, an die Spitze zu gockeln, und fast möchte man meinen, in Amerika seis auch so gelaufen, ich selbst würde das alles vielleicht gar nicht so auffällig finden, wenn ich nicht eine Tochter hätte, der ich dergleichen eigentlich nicht wünsche, ich habe ihr davon erzählt, und sie hat zu meinem Schreck nur abgewunken und gesagt, ich kenne die Literatur dazu, man braucht wirklich nicht viel mehr als Alice Schwarzer zu lesen, hat sie gesagt, es ist immer dasselbe Schema, hat sie gesagt, und dann hat sie gesagt, man muß eben noch härter sein als sie alle zusammen, dann kommt man vielleicht sogar dagegen auf, dann hat sie mit dem Fuß aufgestampft, die Tür zugeknallt und nochmal aufgemacht, um kalt grinsend zu sagen, draußen werde ich natürlich sprechen, wie man es muß, um mit diesen Männerrotten klarzukommen, und als ich das hörte, war ich sehr erschrocken, denn eigentlich ist sie mir lieber, wenn sie lieb ist, und die Kreativleitung mußte sehr lachen über diesen Redefluß des Herrn Y., den sie als so traurig und schweigsam kennengelernt hatte, daß sie sogar einmal fast mit ihm geweint hätte, und sie sagte dankbar schnurrend, was für ein herrlich erfrischender Anruf am Morgen, viel mehr als diese besorgte Solidarität von Männern, die Töchter haben, haben Leute wie meine Chefin in der Männerwelt leider immer noch nicht, und ich selbst wüßte den Damen in der Politik wirklich immer noch keinen Rat außer dem, nicht nachzulassen in jenem ergebenen Widerstand, in den wie eh und je in der gesamten Welt jede gezwungen wird, die politisch etwas erreichen, aber ihr Herz nicht verraten will, und vielleicht wird ja Ihre Tochter einmal ein Beispiel dafür sein, daß man es auf diese Weise am Ende doch für alle zu einem besseren Ergebnis bringen kann, und ich selbst werde weiter nur ein paar Geschichten schreiben, die ihr in der einen oder anderen traurigen Minute vielleicht den Rücken stärken könnten, und dann fragte sie abschließend nach dem Wetter dort, um nicht über den grauen Himmel in Berlin sprechen zu müssen, schüttelte ihre lästig langen Glieder kräftig aus, schaute nach, ob Mo schon wach und bereit für etwas Honig wäre, und ging ins "Bistro," um einen Kaffee zu suchen.

Freitag, 7. November 2008

512.

In der EinSatzLeitung wurde die Nachricht von der beginnenden Genesung des Oberassistenten mit Freude aufgenommen, und sogar Karomütze, der sich bei einem Besuch im Hause des ehemaligen Chefs knapp wieder gefangen hatte, meinte, daß er nun vielleicht doch mal ins Krankenhaus fahren könne, vielleicht mehr aus Ehrgefühl als aus einem anderen Grunde, denn die Gattin des ehemaligen Chefs hatte ihm bei Tee und Keksen kopfschüttelnd vorgestellt, wie merkwürdig sie es finde, daß gerade diese jungen Kerle, die in ihrem Job so viel mit der Zerbrechlichkeit der menschlichen Gewebe zu tun haben und mit Menschen, die nur ausgeschickt werden, um notfalls anderer Menschen Gewebe zu zerpflücken, daß diese so völlig ausflippen können, wenn einer, den sie zuvor als Weichei und Warmduscher bespöttelt haben, weil er nur seinen Bürojob machte und nicht gerade zum Drängeln auf der Autobahn neigte, sich als sterblich und anfällig erweise; erscheint Ihnen das so unwahrscheinlich, fragte sie, weil er doch "einer von uns" ist, und nicht einer von "denen da," deren Sterblichkeit sozusagen "unser" Beruf ist, oder hat es noch einen anderen Grund, und Karomütze hatte nicht geantwortet, sondern nur verlegen gelacht und an seine Rückenschmerzen gedacht, der ehemalige Chef aber hatte die Stirn gerunzelt und seine Frau gefragt, ob sie neuerdings Pazifistin sei, und die Frau hatte ihn angelächelt und gesagt, das könnte dich so schocken, wie, und sie hatte das Gespräch mit dem Gatten, das fast so kompliziert zu werden drohte wie dieser Satz, erst einmal verschoben.

Donnerstag, 6. November 2008

511.

Als der Oberassistent aus seinem Koma erwachte, hörte er den Satz "wir sind, mit dem irdisch befleckten Auge gesehn, in der Situation von Eisenbahnreisenden, die in einem langen Tunnel verunglückt sind und zwar an einer Stelle wo man das Licht des Anfangs nicht mehr sieht, das Licht des Endes aber nur so winzig, daß der Blick es immerfort suchen muß und immerfort verliert wobei Anfang und Ende nicht einmal sicher sind," und er schlug seine Augen auf und sah neben seinem Bette die Dame Ö sitzen, gekleidet in ein moderates Tweed-Kostüm, in ihrem Schoß ein Bändchen mit Schriften Franz Kafkas aus dem Nachlass, und er wunderte sich, wie sie dazu kam, neben seinem Bett zu sitzen und ihm diesen Text vorzulesen, in welchem sie nun an der Stelle "Höchstempfindlichkeit der Sinne lauter Ungeheuer und ein je nach Laune und Verwundung des Einzelnen entzückendes oder ermüdendes kaleidoskopisches Spiel" angekommen war, und erst als sie den Punkt gelesen hatte und sich fragte, welches Stück sie nun lesen sollte, bemerkte sie, daß sie bisher gar nicht bemerkt hatte, daß er erwacht war, und sie legte ihm eine Hand auf die seine, schaute kurz und aufmerksam in sein noch verwirrt aussehendes Gesicht, und entschied dann, noch ein Weilchen davon wieder abzusehen und an anderer Stelle weiterzulesen..."und tatsächlich sangen, als Odysseus kam, diese gewaltigen Sängerinnen nicht, sei es, daß sie glaubten, diesem Gegner könne nur noch das Schweigen beikommen, sei es, daß der Anblick der Glückseligkeit im Gesicht des Odysseus, der an nichts anderes als an Wachs und Ketten dachte, sie allen Gesang vergessen ließ."

Mittwoch, 5. November 2008

510.

Es stellte sich heraus, daß Karomütze durch den Zusammenbruch des Oberassistenten in schwere Turbulenzen geraten war, er war, wie schon sein Einwurf vom Vortag zeigte, aufgewühlt und durcheinander, redete wieder einmal geradezu delirante Dinge, sprang höchst auffällig in der EinSatzLeitung herum und verlor anscheinend jedes Maß, ja, er fühlte sich von der Gesamtwelt verraten und verkauft, bloßgestellt und ignoriert, er phantasierte die erstaunlichsten Dinge, er glaubte, jemand habe einen Cholesterol-Vergiftungsanschlag auf seinen Kollegen verübt und wolle diesen ausschalten, er fürchtete andererseits, man werde ihn mit irgendwem verkuppeln, er glaubte, an allem sei der Papst schuld, und dann auch noch der eine oder andere Spion von anderer Seite, er rannte in seiner Wohnung zwischen den Globen auf und ab und versetzte hier und da eine der Nadeln, mit denen er sich relevante Orte zu markieren pflegte, er kam in die EinSatzLeitung, er weigerte sich, wie die anderen noch einmal zum Krankenhaus zu fahren, war im Büro dann aber außerstande, sich auch nur für eine Minute auf irgendeine Sache zu konzentrieren, die ihn abgelenkt hätte, und weder der Versuch einer begütigenden Einrede der Assistentin K noch gar ein Anruf seiner Mutter konnten ihn beruhigen (diese beiden konnten immerhin den Buchhalter von ihm ablenken, welcher ihn nur mehr verwirrt haben würde): einzig der Dame Ö gelang es, ihm zu einem Spaziergang zu raten, bei dem er sich ein wenig Luft würde verschaffen können, indem sie ihm sagte, Junge, Sie sind durcheinander, Junge, Sie brauchen frische Luft, hier ist nichts mit Ihnen anzufangen, verschaffen Sie sich Luft, gehen Sie nach draußen, wenn Sie wiederkommen, werden wir alle Daten, die Ihnen durch den Kopf gehen, überprüfen, und Sie werden mir ein wenig aus Ihrem Elternhaus erzählen, und sie griff gleich noch nach der Tasche mit seinen Trainingsklamotten und sagte, ein wenig Training in Ihrer Muskelbude wird Ihnen auch gut tun, wobei sie sich sehr verbeißen mußte zu sagen, daß es ihn auch stählen würde für den abschließenden Kampf mit irgendeinem seiner bösen Feinde – es gelang ihr aber, sich diese Bemerkung zu verkneifen, denn sie hatte ein untrügliches Gefühl für die Stimmung, in der der Arme sich befand, und sie mußte keine Lehrgänge machen um zu wissen, wie sie ihre Zuwendung zu dosieren hatte, um für Karomütze eine Verschlimmerung und bei den Kollegen einen Skandal zu vermeiden, und die Chefin fragte besorgt, könnte es nicht sein, daß er in einer derartigen Verfassung einmal gefährlich wird?

Dienstag, 4. November 2008

509.

Karomütze wußte wie immer alles: daß du keine Musik heimlich hören, keinen Brief an Freunde schreiben und glauben kannst, er wäre dein privater Brief, daß du dir nun einmal keine Schwachheiten erlauben kannst als EinSatzKraft, wenn du durchkommen willst, sonst wirst du zurückgestuft, du mußt jeden Augenblick alles unter Kontrolle halten, den Klimaanlagen nie entkommen, die dir alles kaputtkühlen sollen, nur dann bist du ein guter Agent im Dienste ihrer Majestät und so weiter, und er breitete dies des längeren und breiteren im "Bistro" aus, in dem man den komatösen Oberassistenten relativ schnell auch wieder vergaß, den Buchhalter hatte Karomütze mit seiner Redenschwingerei binnen kurzem wieder bei seinen Alfa-Träumen gepackt, den klitzekleinen Forschungsminister bei seiner Lust, die primitive Strickart aller Bond-Filme zu analysieren, die Leitung Öffentlichkeit, die kurz stehengeblieben war, um zu kontrollieren, was der Sicherheitsbeauftragte zu sagen hatte, wenn er aus seiner Rolle fiel, flirtete er einfach mal ein wenig an, er dachte, das brauchen werdende Mütter doch auch, die Dame Ö schüttelte nur dann und wann den Kopf über diese ungeheuer jugendliche Coolness, diese gespielte und professionell beinharte, im übrigen hatte sie den neuen Bondfilm schick gefunden, etwas wild, aber doch gut, der Minderheitler mit den grünen Borsten war abwesend, was der machte, wußte im Grunde sowieso keiner, die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse hörte nicht zu, sondern beschäftigte sich angelegentlich mit irgendwelchen Notizen, und dann und wann fiel Karomützens Blick mit einer kleinen Verlegenheit auf Assistentin K, die zuzuhören schien mit ihren Augen, welche denen Mos plötzlich ähnlich sahen (Mo selbst war in der Kreativabteilung wieder in tiefsten Schlaf verfallen, die Kreativleitung in heftige Weberei), und er wunderte sich, wie wenig diese Assistentin zu protestieren schien gegen die erbarmungslose Feststellung, daß sie nun einmal nicht vorgesehen war, nicht als selbsttäige, nicht als fühlende, nicht als denkende, schon gar nicht als bleibende, und das fing an, ihn ein wenig zu ärgern, aber als er vorwärts palavernd, rückwärts planend seine Aktivitäten bedachte, bemerkte er, daß er sich viel zu lange aufgehalten hatte, die Assistentin schmunzelte, sagte, wieder ein Fehler, wer soll den eigentlich bemerken, drückte ihm kurz die Hand, als er aufsprang um zu gehen, und binnen kurzem war das "Bistro" leergefegt, kein Wort übrig zwischen Kekskrümeln und Kaffeeflecken.

Montag, 3. November 2008

508.

Im Verlaufe des Sonntags war der Oberassistent auf der Wachstation von einigen EinSatzKräften, auch der Chefin, besucht worden, ohne doch wirklich zu erwachen: man hielt es für besser, ihn noch ein wenig im Koma zu lassen, machte den nachfragenden Angehörigen und Freunden aber gute Hoffnungen auf vollständige Genesung, und so konnte am Montag trotz aller Erschütterung durch den Zwischenfall die EinSatzLeitung ihre Arbeit wieder aufnehmen und die Gespräche über den Oberassistenten auf die "Bistro"- Runden beschränken.

Sonntag, 2. November 2008

507.

Als die Chefin am Sonntagmorgen ihre Zeitung las, seufzte sie entsetzt und sagte zum Kind, was machen die nur in den USA, das Kind sagte wieso, machen sie was Neues, und die Chefin sagte, wohl nicht wirklich, und ich dachte, diesmal hätten sie es rundum geschickt angestellt in der Kampagne von Obama, aber dann haben sie die Sache mit der Farbe aufs Medientablett gehoben und daß die breite Masse eigentlich noch nicht bereit sei für einen farbigen Präsidenten und daß man eigentlich den Umfragen nicht glauben könne, erst machen sie diesen ganzen Unsinn mit der armen Hilary, dann hat man sich gerade daran gewöhnt, den Obama halbwegs gut zu finden, dann kommt dieser ganze lächerliche Fallensteller- und Bloßstellungsjournalismus mit der Palin, bei dem doch jedem ernsthaften Demokraten schlecht werden muß, egal, was man von der halten mag, und nun dieses Geunke über die, die nicht reif sind für die Farbe eines Präsidenten, das mag ja alles richtig sein, aber vielleicht hätten es manche aus Versehen einfach vergessen, wenn man es ihnen nicht gesagt hätte, wäre das nicht besser gewese...da wurde sie von einem Anruf unterbrochen, und Karomütze informierte sie in knappen Worten über den Infarkt des Oberassistenten.

Samstag, 1. November 2008

506.

"Man stellt sich die Wochenenden marzipanversessener Obersassistenten im allgemeinen etwas zu beschaulich vor: man denkt, ein solcher würde behaglich seine Massen von seinem (selbstverständlich einsamen, bei der Figur wird er ja wohl keine Freundin finden, unser Dickerchen, das wäre ja noch schöner, nein heute müssen auch Männer sich entscheiden, Bauch oder Freundin, sagt jedenfalls die Assistentin K, die öfter mal da war, und wer es besser weiß, schweigt lieber, man darf den Leuten das 'Weltbild' nicht in einem Satz zertrümmern) Bette erheben und sich ein Käffchen brauen und in der Gelassenheit, welche er tagtäglich in der EinSatzLeitung zur Schau stellt, nun auch in seiner etwas herabgekommenen Häuslichkeit im zweiten Stock eines Kreuzberger Seitenflügels die Wollmäuse Wollmäuse sein lassen, sich nach einem herzhaften Frühstück auf den Weg zur Marzipanbeschaffung machen, jeden Bäcker und jede Metzgereifachverkäuferin rings um die Bergmannstraße grüßen, und dann den Tag verdösen, um am Abend sich in einer Kneipe mit Freunden, die er bequemlichkeitshalber seit seiner Schulzeit allwöchentlich trifft (wozu neue, die alten sind doch gut genug, man kennt sich, man wiederholt seine Sprüche, wer will mehr, wer braucht das), ein Bierchen oder auch zwei zu genehmigen, den Sonntag ähnlich verbracht, vielleicht ein halbes Stündchen am Computer was nachgearbeitet und doch einmal das Waschbecken durchgewischt, aber nein, so ist das gar nicht," sagte die Schwester des Oberassistenten, als sie neben der Dame Ö im Krankenhausflur saß und auf das Ergebnis der Notoperation wartete, "tatsächlich hat er unermüdlich an jedem Wochenende versucht, gegen sein Übergewicht zu kämpfen, er ist in Fitness-Studios gegangen, hat sich die ganzen abschätzigen Bemerkungen und Blicke gefallen lassen, immer auf der Suche nach dem einzigen dort, der auf irgendeine Weise nicht den Respekt verlor, nicht vor der Stirn, und wie es schien auch nicht dahinter, hat sich im Spiegel angeschaut und Fratzen gezogen und sich selbst zugerufen, na, wo ist sie nun hin, deine Gelassenheitsmaske, hat natürlich eine Freundin gehabt, die ihn aber verlassen hat, und natürlich hat er das auf seinen Bauch zurückgeführt, obwohl sie ihm immer gesagt hat, wie süß sie das findet, und nach wenigen Wochen Glück ist er nun also völlig unglücklich wieder ins Laufrad gegangen, hat sich gesagt, diesmal aber richtig, und ja, da haben wir den Salat," und die Dame Ö nahm die Hand der aufgeregten jungen Frau, in der sie ohne den Anruf, den sie erhalten hatte, niemals die Schwester des dicken Oberassistenten vermutet hätte, und sie drückte sie ein wenig und sagte, "wir müssen jetzt beide sehr tapfer sein, und wenn wir in den Aufwachraum gehen dürfen, dann werden Sie ihn, egal wie er aussieht, ein wenig streicheln, an der Hand oder im Gesicht, und Sie werden ihm sagen, wie sehr Sie ihn immer gemocht haben und wie Sie sich um sein Aquarium kümmern und was Sie alles schönes gemeinsam machen werden, wenn er sich wieder erholt haben wird," und die Schwester des dicken Oberassistenten war froh, daß sie bei ihrem Anruf in der EinSatzLeitung statt des Anrufbeantworters Dame Ö erreicht hatte, und fragte nicht weiter und sagte mit einem kleinen Schniefen, so machen wir das, und lehnte unversehens ihren Kopf an die hagere Schulter dieser Dame, von der der Oberassistent eigentlich nicht viel Gutes erzählt hatte, denn wie Karomütze hielt er sie, solange er noch draufloshalten konnte, für unmäßig streng und dünkelhaft.

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