Samstag, 31. Januar 2009

597.

Der erzählende Kranich hatte eigentlich vorgehabt, eine hübsche kleine Fabel von Wolf und Kranich in schönstem Lutherdeutsch mitzubringen und auf der B-Ebene abzusetzen, aber als die Lüfte ihm wenngleich verdünnt zutrugen, was der klitzekleine Forschungsminister an Unverschämtheit über ihn verbreitet hatte - und zwar unwidersprochen, jawohl, rief er klagend in die Luft, niemand in dem Laden hat mich oder Mo oder die freundliche Kreativleitung verteidigt, alle haben irgendwas gemurmelt, aber verteidigt wurde nicht, ihr braucht einen allgemeinsten Verteidiger in eurem Laden, dachte der Kranich an die EinSatzLeitung hin - da fühlte er, wie er dabei war, beizudrehen und lieber gen Süden zu fliegen, oder einfach westwärts, und wäre nicht die Erinnerung an Mos dringliches Wünschen und die allgemeinste Freundlichkeit des K-Büros gewesen, er hätte an diesem Tage die Geschichte womöglich irgendwo fallenlassen und sich auf den langen und beschwerlichen Weg in eine Gegend gemacht, welche, obwohl auf einem etwas südlicheren Breitengrade als die deutsche Hauptstadt gelegen, doch im Winter erheblich kälter zu sein pflegte.

Freitag, 30. Januar 2009

596.

Wir sollten einmal wieder eine recht ordentliche B-Ebene haben, sagte der klitzekleine Forschungsminister, und wir sollten sie nicht von Mo mit ihren primitiven Sehnsüchten und nicht von der Kreativleitung mit ihren gutmenschlichen Weinerlichkeiten und schon gar nicht von jenem unverschämten Kranich, der dann und wann sein Mütchen bei uns kühlt und alle Vögel gegen sich aufbringt, bespielen lassen, sondern mal ein solides Stück Text aus der Tradition draufsetzen, sagte er, denn das muß auch gemacht werden, und falls ein wenig Jugend sich auf unserem blog tummelt, so soll sie doch einmal etwas Anständiges zu lesen bekommen, etwas, das sie an die gute Literatur und an die großen Philosophen bringt, und könnte man nicht einmal Kant zitieren mit dem Satz "Lust und Unlust machen allein das Absolute aus, weil sie das Leben selbst sind."

Donnerstag, 29. Januar 2009

595.

Daß er sich immer noch als Agent sieht, nicht zu fassen, dachte kopfschüttelnd die Assistentin K, denn sie konnte sich beileibe nicht vorstellen, daß so ein Typ wie Karomütze mit seinem Faible für Spionageromane und seinen Spinnereien auch nur einen halben Tag lang die Nerven aufbringen könne, eine ernsthaft geheime Mission zu verfolgen, und so hatte sie seine Fernreisen eher unter der Rubrik "ganz normale Berichterstattung, Erkundigungen zur Vorbereitung cheflicher Visiten, was diese Sicherheitstypen eben so machen," abgebucht und oft genug darüber gestaunt, nach welchen Schemata Risiken abgeschätzt und "unberechenbare Leute" in Augenschein genommen und beobachtet wurden, und sie selbst fand immer, daß eher Karomütze selbst und sein plötzlich aus dem Off der Kommentarebene aufgetauchter Agentenführer mal einer genaueren Beobachtung gewürdigt werden sollten, aber die Chefin sagte bei entsprechenden Anfragen immer, das haben wir doch vor vielen Jahren schon gemacht, er ist okay, etwas nervig, aber loyal usw., und die Assistentin pflegte dann zu antworten, nun ja, die Leute ändern sich mit der Zeit alle, nicht nur die, bei denen man es dringlich wünscht, sondern auch andere, aber sie wollte dem Kollegen natürlich selbst keine Hunde auf den Hals hetzen, und so versuchte sie eher, den Buchhalter, welcher sich über die versicherungstechnischen Folgen von Karomützens Unfall so ereiferte, daß er darüber seinen Werbevorschlag vergaß, ein wenig zu beruhigen.

Mittwoch, 28. Januar 2009

594.

Wäre Karomütze einer von diesen hypersensiblen Typen, die ihre Ohren und Nerven überall haben und zugleich vor lauter Präzisionswut nicht mehr klar denken, geschweige denn sprechen können, wäre er natürlich nicht auf seinem Posten gewesen, auf welchem man nun einmal coole Nerven und energisches Auftreten gleichermaßen braucht, aber die seltsamen Vorstellungen des Buchhalters hätten ihn auf irgendwelchen geheimnisvollen Wegen erreicht, und manchmal dachte er, das wäre doch auch schön - Karomütze war aber nicht so, er war nur ein durch und durch rationalistischer Kerl, dessen Vernunft den dieser Fakultät eigenen Hang ins Paranoische in einem gewissen Übermaß ausgebildet hatte, um für eine bestimmte Aufgabe zu taugen, und er war in geheimer Mission unterwegs, freilich keinewegs in den Alpen, wo im übrigen, lieber Herr Buchhalter, die Temperaturen im Januar natürlich auch nicht so sind, daß man mit offenem Verdeck fahren könnte, außerdem klemmte sowieso etwas an dem fraglichen Mechanismus, und vor Mai würde er sicher nicht dazu kommen, sein Fahrzeug reparieren zu lassen, so war auf seiner langen Fahrt tatsächlich das Dach seines Alfa fest über ihm, von den Werbeideen des Buchhalters ahnte er nichts, und die Last des geheimen Auftrags drückte ihn schwer, denn vor denen, die auszuspähen er unterwegs war, fürchtete er sich etwas, und es gab weit und breit niemanden, mit dem er darüber hätte sprechen können, von wegen Agentenführer, davon haben die in meiner EinSatzLeitung doch keine Ahnung, brummelte er, das macht doch unglücklich, sowas, murmelte er vor sich hin, während er nach einer neuen CD suchte, und wozu das Ganze, nur damit die Geschichte sich trotzdem immer wiederholt, und er seufzte und sagte, an mir ist doch ein Philosoph verloren gegangen … Mensch pass doch auf, wo du hinfährst!

Dienstag, 27. Januar 2009

593.

Der Tag war grau und eher für den Buchhalter gemacht, zumal dann auch noch Dienstag dranstand, wirklich bestes Wetter zum Muffeln, dachte er, Matsch und schwarzgraue Steinchen auf den längst wieder schneelosen Straßen, und man mußte schon sehr starke Bilder im Kopf haben, um sich irgendwie abzulenken, also stellte der Buchhalter, indem er einige der Steinchen, die sich im Sohlenprofil seiner nach einem Trampeltier benannten Schuhe verkeilt hatten, auf den Treppenstufen loszuwerden versuchte, sich vor, wie Karomütze mit offenem Verdeck im schwarzen Alfa durch den sonnigen Süden fuhr, nach einer Alpenüberquerung in ein herrliches Tal blickend, Musik hörend (aber der Buchhalter stellte sich keineswegs Punk-Musik vor, er hatte seine eigenen Präferenzen), seinerseits vielleicht von goldenen Kuppeln träumend - und plötzlich sprang der Buchhalter die Treppen hinauf (während die Steinchen nur so die Treppen hinabkullerten) und hatte eine Idee: "ich habs, ich habs," schrie er, als er die Tür zur EinSatzLeitung aufriß und vor lauter Begeisterung - fast - den unglaublichen Dreck übersah, den die anderen mit ihren Schuhen schon auf dem Boden hinterlassen hatten, "wir werden werben für Alfa Romeo, wir lassen sie bezahlen dafür, daß wir sie in unserem Werk so oft nennen, jawohl, jawohl," schrie er, drehte sich trampelnd und stampfend um sich selbst und hörte erst wieder auf zu tanzen, als die Leitung der Abteilung Öffentlichkeit, welche, von der Toilette kommend, soeben über den Flur zu ihrem Büro gehen wollte, ihn festhielt und sagte, sagen Sie mal sind Sie bescheuert, wie sollen wir das denn bitte rechtfertigen, die Chefin wird das nie mitmachen, und erst die Kreativtucke, was glauben Sie, wie lange wir dem Alten damals schon in den Ohren gelegen haben mit der Idee, die ich eigentlich immer ganz dynamisch fand, aber Sie, also Sie mit Ihrem ohnehin nicht besonders guten Ruf, Sie sollten sich nun wirklich nicht unbeliebt machen mit SO einem Vorschlag, ich rate dringend davon ab.

Montag, 26. Januar 2009

592.

Der erzählende Kranich hoch einsam in seinen noch ziemlich kühlen Lüften mußte irgendwie bemerkt haben, daß in einer fernen Hauptstadt ein Mo wieder einmal eine Geschichte von ihm brauchte, denn wie manche Menschen ihr Herz als eine überströmende Rede auf ihren Zungen tragen, so tragen andere Wesen ihre Herzen gleichsam als Ohren auf den äußersten Rändern ihrer Schwungfedern, und seufzt irgendwo eine (mehr oder weniger) gequälte Kreatur, so hören diese Wesen es, um gleich darauf zu spüren, wie ihre Flugrichtung sich wie von selbst ein wenig justiert, während ihr neu erwachendes Auge sich öffnet, damit aus allem, was dies Auge nun aufmerksam unter sich sieht, eine Geschichte werde, denn ein erzählender Kranich trägt doch immerhin etwas wie ein Versprechen im Namen, und ein Mo, mag es auch noch so munter sich recken und strecken und einherschreiten in seinem neuen blauen Mäntelchen, es wünscht nun einmal dann und wann eine Geschichte für seine Ohren, auch gefällt ihm natürlich der Anblick des langsam landenden Kranichs außerordentlich gut.

Sonntag, 25. Januar 2009

591.

Mißmutig machte sich die Kreativleitung an die Arbeit, um etwas über Karomützens neueste Aufgaben herauszubringen, aber ihr Mißmut wurde durch den des Befragten weit überboten, so daß sie nur erfuhr, wie ungeheuer geheim sein Auftrag sei, und als sie nach dem unerfreulichen Telefonat, das sie mit einem offenbar mal wieder in seinem beliebten schwarzen Fahrzeug umhersausenden Sicherheitsbeauftragten (was für Nebengeräusche, dachte sie, anscheinend mag der neuerdings Punkmusik, oder er fährt gerade durch eine befreite Punkerstadt mit Straßenbeschallung, entsetzlich, entsetzlich) geführt hatte, wiederum den Demokratiebeauftragten anrief, um ihn mit der Ergebnislosigkeit ihres Anrufs zu konfrontieren, sagte der, Sie werden ihn schon falsch gefragt haben, wie man in den Wald ... genau, antwortete die Kreativleitung, und sagte, wie wäre es, wenn Sie mir jetzt noch empfehlen, mir was auszudenken, nicht wahr, wozu trage ich schließlich diesen abscheulichen Namen Kreativleitung usw., und sie beendete das Gespräch, indem sie ihm durch zusammengebissene Zähne einen schönen Sonntag wünschte, nur um sogleich wieder in Lachen auszubrechen, als sie sah, wie Mo, welche die Lehne des Drehstuhls erklommen hatte, sich schon am frühen Vormittag bei Festbeleuchtung in ihrem neuen Mäntelchen vor dem Spiegelschrank drehte und maulte, sie brauche nun aber auch noch ein kleines türkises Kissen, damit sie noch etwas besser zu dem wundervollen Bild passe, das neuerdings im Kreativbüro hing.

Samstag, 24. Januar 2009

590.

In der Wohnung der Kreativleitung besaß Mo ein eigenes kleines Schränkchen mit vielen kleinen Schubladen, in denen alte Manuskripte lagen, welche alle darauf warteten, nach und nach überführt zu werden in neue Texte, und, beflügelt durch ihr schönes neues Mäntelchen, war Mo emsig damit beschäftigt, nach einem ganz bestimmten Textlein zu suchen, in dem sie vor langer langer Zeit einmal eine Art Gebrauchsanleitung zum Umgang mit männlichen Musen zu Nutzen und Frommen der kulturschaffenden Damen geschrieben hatte, damals, als sie selbst noch ausgesehen hatte wie eine, die man leicht als Muse sich zu schnappen versucht sein konnte, aber sie wurde in ihrem Wühlen, Suchen und Scharren und all ihrer herrlichen Geschäftigkeit sehr abgelenkt durch eine Kreativleitung, welche sorgenvoll und genervt mit dem Telefon in der Hand auf und abwanderte und in dieses Telefon hineinsprach, sie wisse wirklich nicht, was sie diesen talibanischen Drohungen entgegenhalten könne, man müsse doch eher langfristig darauf bedacht sein, den Leuten mehr Freude am Leben zu geben, Mo zum Beispiel... aber sie schien unterbrochen zu werden, und ihr Gesicht, das sah Mo genau, wurde immer länger, bis sie sie schließlich sagen hörte, na gut, ich werde sehen, daß ich morgen etwas über Karomütze und seinen Kumpel schreibe, wenn das dem lieben Frieden dient.

Freitag, 23. Januar 2009

589.

Als die Kreativleitung ein plötzlich sehr tief eingeschlafenes Mo auf sein Fell gebettet und mit dem karierten Schal zugedeckt hatte, suchte sie einen Satz für Mos passive und schweigsame Aktivität der diesem Tiefschlaf vorausgegangenen Stunden, in welchen das kleine Wesen ein neues Kleidungsstück mit Prangen und siegreicher Freude am Leibe getragen hatte, ein Mäntelchen, von dem es offenkundig zu glauben schien, es müsse nun doch das schönste in der ganzen Welt sein, und sie fand, das Wort für diese Tätigkeit gebe es nur in der englischen Sprache: "Mo gloried in a very new and very blue little coat."

Donnerstag, 22. Januar 2009

588.

Na, das ist ja alles ganz gut und schön, was die Chefin da verlauten läßt, sagte der Minderheitler mit den grünen Borsten, als er sich des Morgens ins "Bistro" begab, ein paar Bio-Äpfel aus dem Laden nebenan in einem Körbchen mit sich führend, aber manchmal gehen einem diese Gutmenschen doch sehr auf die Nerven, habt ihr es nicht ein bißchen lustiger; aus der Kreativabteilung jedoch, der er das allenfalls hätte sagen können, war niemand zu sprechen, und die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse, die mit der Dame Ö am Tische saß, sahen nicht wirklich amüsiert aus, offenbar unterhielten sie sich über eine Fernsehsendung, die beide gesehen hatten, und während die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse sich in vielen Fragen verfing wie: wieso kriegen die Leute hier die Dinge einfach nicht auseinander, wieso muß man in Deutschland mindestens im diplomatischen Dienst und da dann möglichst auch direkt in Israel gewesen sein, um halbwegs verantwortlich und ohne Eifer und Zorn eine Position darzulegen, die nicht verschwafelt ist, und wieso merken die Leute nicht einmal, daß sie unentwegt Israel kritisieren, indem sie zugleich dazu sagen, sie dürften es nicht kritisieren, warum insistieren sie so, anstatt einfach ohne weitere Vergleiche etc. zu sagen, was sie zu sagen wünschen, kann man doch machen, zu diesem wie zu allen anderen Problemen, und die Dame Ö sagte, es ist eben für jeden Menschen neu und von vorne eine mühselige Sache, seine innere Hütte in Ordnung zu halten und zwischen privat und öffentlich, Begriff und gemeinter Sache, anständigen und unanständigen Vergleichen und allen diesen Dingen zu unterscheiden, wer glaubt, irgendeine "Meinung" oder "Fraktion" könne ihm das Denken abnehmen, der bleibt eben sein Leben lang ungezogen, und wenn er damit nicht durchkommt, wird er gern fanatisch, und wenn er durchkommt, vollkommen verschlagen und sittenlos, und wie schwer man einem einmal in wichtige Position geratenen Deppen eine kleine Grenze setzen kann, das können wir doch täglich erfahren.

Mittwoch, 21. Januar 2009

587.

Wozu sollte eigentlich die Wahrheitskommission gut sein, Mama, fragte das Kind die Chefin, denn es hatte darüber gerade im Schulunterricht gehört und verstand nicht, warum man etwas so sehr wissen wollen kann, daß man dafür nach einem Sieg der guten Sache sogar Amnestie anbietet, und die Chefin sagte: die Idee war, daß Leute, die durch sehr schlimme Verbrechen den Lebensmut anderer und deren Achtung für die Menschen überhaupt gebrochen hatten, sich dazu bekannten und dadurch nicht nur bei sich, sondern auch bei den Opfern und damit für alle das wiederherstellten, was eben nur durch eine solche Übernahme von Verantwortung wiederhergestellt werden kann, aber das Kind verstand immer noch nicht, da wandte die Chefin ein wenig den Kopf ab, schaute aus dem Fenster und sagte, weißt du, komischerweise verliert man im Angesicht feiger Verbrecher oder als Opfer von hinterhältigen Verbrechen oder sogar schon von noch so wohlgemeinten Manipulationen und Manipulatiönchen ja meistens vor allem die Achtung vor denen, die Menschen zu Gegenständen ihrer Maßnahmen degradieren, und wenn man wie die Herrschleute damals in Südafrika mordet und raubt und foltert und verschleppt, dann ist es noch lange nachher für die, mit deren Angehörigen so etwas passiert ist, ganz schwer damit zu leben, daß sie nie wissen, ob sie sich vielleicht gerade mit dem Mörder des eigenen Bruders unterhalten – und so haben Mandela und die klugen Leute um ihn damals gemeint, die einzige Alternative zu Rache ist, daß Verbrecher daran gewöhnt werden, zu ihren Verbrechen zu stehen und zu ertragen, daß sie das getan haben, was sie getan haben, zu ertragen und anzusehen, was das für Folgen bei den anderen hat, und ich glaube, Mandela und die klugen Leute um ihn hatten recht, und ich glaube, selbst wenn es nicht ganz so ausgegangen ist wie man gehofft hatte und überall häßliche Flecken bleiben - daß man es überhaupt versucht hat, ist immer noch eines der größten Ereignisse in der Geschichte des letzten Jahrhunderts, denn nur die Aufrichtigkeit stellt die Freiheit der Opfer und womöglich sogar die der Täter wieder her, und komisch, wie die Leute bei uns diese historische Sensation doch überwigend verschlafen oder allzu schnell in die Schubladen ihres üblichen Geschwafels gelegt haben, in die es nicht passt und nicht gehört.

Dienstag, 20. Januar 2009

586.

Der ehemalige Chef hatte sich überhaupt erst eingeschossen, und er donnerte gleich noch eine sms an die Assistentin hinterher, in der er ihr nahelegte, einfach mal kurz und bündig Klartext zur Weltlage zu reden, und die Assistentin K, plötzlich schlechter gelaunt als seit Monaten, textete zurück: "Klartext."

Montag, 19. Januar 2009

585.

Irgendwann hören auch die schönsten Zahlen auf, das Herz zu erfreuen, seufzte der Buchhalter, als er des Morgens in den langsam sich lichtenden Himmel blickte und sich fragte, ob heute nun wohl endlich über die Lage am Hindukusch gesprochen werden würde, denn das hätte doch vielleicht die herzhaft-kernige Männerfreundschaft mit Karomütze wieder beleben können, so daß Karomütze von ernsten Lagen und lustigen Abenteuern erzählen könnte, während er, der Buchhalter, ihn nach dem Alter seines schwarzen Alfa fragen und auf Dinge aufmerksam machen würde, die dem immer in die falschen Richtungen überoffenen Auge des Sicherheitsbeauftragten womöglich entgangen wären - aber wie er dann hoffnungsfroh in den Korridor trat, weil er Karomützens Stimme gehört hatte, da wurde er nur Zeuge eines einfach unsäglichen Gesprächs zwischen Karomütze und der Assistentin K, in dem diese sagte, man könne doch mal wieder die "Clergies" aller Welten und Religionen provozieren, indem man ein bißchen Wilhelm Busch zitiere, etwa mit: "es lebte zu Padua ein Weib, bös von Seele, gut von Leib," und dann einen sehr bösen Brachvogel (die oberen von denen oder die, die es werden wollen, sind doch eigentlich immer böse, sagte sie, oder etwa nicht?) sich bei einem minderen Pestvogel medizinischen Rat holen lasse, welcher darauf hinauslaufe, daß man der Schönheit künstlich und heimlich ein paar Schwangerschaftshormone füttere in dem Glauben, daß dieses sie von ihren sündigen Gelüsten kurieren werde, doppelt naiv ist das nämlich, sagte die Assistentin, indem sie sich schäkernd der Schulter des Bemützten näherte, weil erstens natürlich nicht die Gelüste das paduanischen Weibes, sondern eher die verdrängten und verschobenen der Brachvögel das Problem sind, und weil zweitens diese Hormone natürlich, wie ich soeben zuverlässig erfahre, keineswegs die gewünschte Wirkung haben, und während dies alles trotz seiner offenkundigen Lächerlichkeit dem Sicherheitsbeauftragten ganz lieb und recht war, konnte der Buchhalter seinen sich schüttelnden Kopf kaum noch stillstellen und wollte immer nur die Hände über demselben zusammenschlagen.

Sonntag, 18. Januar 2009

584.

Als die Dame Chefin am Sonntagmorgen das Haus verließ, um sich auf den Weg in die Häuslichkeit der Kreativleitung und ihres Mo zu machen, da war der Himmel sehr hoch und hell und grau, und es waren außer sehr vielen Vögeln auch Glockenklänge unterwegs, die Chefin schritt munter aus und legte sich in ihrem Kopf belobigende und beruhigende Worte zurecht, sie rechnete damit, eine eher bedrückte und abweisende Kreativleitung und ein hysterisches Mo anzutreffen, denn die Kreativleitung hatte die Eigenschaft, sehr lange sehr geduldig, ausführlich, einfallsreich und geschmeidig zu argumentieren, so sehr, daß man sie in der Regel schon für besorgniserregend gestört halten mußte angesichts dessen, was sie alles an unverständlichen und komplizierten und wohlerwogenen, aber schwer nachvollziehbaren Wendungen probierte, wenn sie in das ihr im Grunde nicht liegende Gebiet der Argumentationen und Proklamationen und Deklarationen und Resolutionen und Legitimationen gezwungen worden war, auf dem sie sich ungern bewegte, trotz guter Kondition; die Kreativleitung pflegte nämlich, wenn ein bestimmter Punkt überschritten wurde und sie sich trotz all ihrer Mühe in den Grundfesten ihrer Person befremdet und befehdet und auf schlimmere Weise aus welchen Motiven auch immer genötigt sah (wenn man diese ihr selbst so unangenehme Mühe, welche sie sich aus schierer Freundlichkeit mit den weniger elaborierten Menschen machte, um ihnen das eine oder andere verständlich zu machen, mißachtete und gar gegen sie verwendete, da sie gewissen eindeutigen Schematismen zuwiderlief) sich rigoros und unwiderruflich abzuwenden, ein Punkt, der bei ihr angesichts der Idee, die Pestvögel einzuladen, offenkundig fast schon erreicht war, weshalb also eine Lösung gefunden werden mußte, die diese Abwendung noch würde verhindern können, eine Aufgabe, die nicht leichter wurde dadurch, daß ein hochrangiger Brachvogel seine üblichen Empfehlungen gegeben hatte, und indem sie trotz des auflockernden Spazierganges ihr Hirn fast verkrampfte, klingelte die Chefin an der Tür, den Rücken gestrafft, ein Lächeln im Gesicht, natürlich, aber entschieden beklommen.

Samstag, 17. Januar 2009

583.

Nach einer derartigen Begrüßung, die wohl ein wenig die gute alte Schule der Dame Ö verriet, war es Karomütze nicht schwergefallen, seine Mitteilungen über, wie er sich ausdrückte, "das merkwürdige Verhalten der Kreativleitung" vorzubringen, welche aber von der Chefin sogleich vom Tisch gewischt wurden mit dem Bescheid, sie werde noch am Wochenende mit der Freundin sprechen, er müsse sich keine Gedanken machen, man werde ein Arrangement finden, das den berechtigten Bedenken der Kreativleitung Rechnung tragen und weitere Schwierigkeiten nicht aufkommen lassen werde, es gehe hier nicht darum, irgendwelchen Ermächtigungswünschen jenes unerfreulichen Vogels und seiner Kollegen entgegen zu kommen, sondern lediglich darum, die Gebote der Fairness auch noch gegenüber ehemaligen oder sogar noch aktiven Gegnern walten zu lassen, selbstverständlich so, daß alle empfindlichen Arbeitsbereiche sicher vor destruktiven (und in der Regel nur reichlich durchsichtig rationalisierten) Übergriffen geschützt blieben, sie sei da zu allen Varianten des Entgegenkommens gegenüber der Kreativabteilung, die für dieses Haus Priorität habe, bereit - und nun solle er doch endlich erzählen, was man denn aus den Auswärtigen Abteilungen höre, wie die Stimmung unter den Leuten sei, ob man überhaupt noch Gelegenheit habe, sich durch Schulungen und Schulbauten nützlich zu machen, usw., und Karomütze dachte wieder genervt: wie naiv sie doch ist, glaubt sie denn wirklich alles, was man ihr berichtet, hat sie wirklich nicht begriffen, was draußen wirklich vorgeht, ist denn ein Chefbüro ein Raum, der bei längerem Gebrauch dumm macht?

Freitag, 16. Januar 2009

582.

Hinter einem hohen Turme von Akten, Dossiers und Bulletins saß frühmorgens die Dame Chefin am großen Schreibtisch im einstweilen noch künstlich beleuchteten Büro ( in ihr zwitscherte es wie an jedem Wintermorgen fröhlich: wie gut, daß ich nicht eine von denen bin, denen die dunklen Tage aufs Gemüt schlagen, wie herrlich mein künstliches Tageslicht aus allen Scheinwerfern) und erlebte beim stetigen Abarbeiten der Papierberge ungewohnte Stürme von Heiterkeit, hatte man ihr doch einen äußerst bizarren kleinlichen Streit um Namen und Benennungen vorgelegt, welcher Wellen geschlagen hatte in die höchsten Ebenen der Hauptstadt und der Auswärtigen Politik, bis schließlich ausgerechnet ihre EinSatzLeitung den Auftrag bekommen hatte, schlichtend tätig zu werden, um Beruhigung und produktive Heiterkeit wieder einkehren zu lassen in alle vom Fieber dieses seiner Substanz nach lächerlichen Streites befallenen Institutionen und Einrichtungen, zu welchem Zwecke zunächst einmal der Sachverhalt geklärt werden sollte: es lagen pestvogelige Gutachten, brachvogelige Einreden und einige hübsche Kabinettstückchen der erzählenden Sicherheitskräfte vor, dazu ein paar Mitteilungen aus den human resource departments bekannter Großkonzerne sowie eine Stellungnahme desjenigen Institutes für forensische Prognostik, das neuerdings vom ehemaligen Leiter der Abteilung Öffentlichkeit und ehemaligen Projektentwickler geleitet wurde - na siehst du, Junge, hast du es doch zu was gebracht, murmelte die Chefin zufrieden und heiter vor sich hin, und wenn ich deine Texte lese, wird mir nur klarer, wieso du in diese EinSatzLeitung wirklich nicht passen konntest - und sie vertiefte sich, immer wieder von Lachreizen unterbrochen, in die Akten und bemerkte erst gar nicht, daß es an der Tür ihres Büros klopfte, als aber Freund Karomütze hereinkam, mit dem bei ihm nicht ungewöhnlichen bedenklichen und beunruhigten Gesichtsausdruck, da stand sie auf, ganz joviale Chefin, die sie mittlerweile zu werden gelernt hatte, strahlte ihn an, begrüßte ihn freundlichst und sagte, wie froh ich bin, daß gerade Sie unser Sicherheitsbeauftragter sind, mit denen, aus deren Aufzeichnungen ich mir hier gerade mühselig dasjenige heraussuche, was für den neuen Auftrag brauchbar ist, würde ich doch keine drei Tage Freude haben, und nichts ist der Arbeit hinderlicher als Langeweile, meinen Sie nicht?

Donnerstag, 15. Januar 2009

581.

Das Schlimmste am Protestantismus, schnarrte der klitzekleine Forschungsminister gerade ans Ohr des Demokratiebeauftragten (welcher sich durchaus gewünscht hätte, daß er eher in der Sitzung selbst gesprochen hätte, aber der klitzekleine Forschungsminister sprach eben lieber von seiner auf dem Schreibtisch sitzenden Position aus, was willst du machen) ist nicht die Ablehnung der Werkgerechtigkeit, die man säkular gut als Ablehnung von Selbstgerechtigkeit - einer ja nun in der Tat hervorragend verzichtbaren Untugend - weiterführen kann, sondern das Schlimmste daran ist die Einführung der Glaubensgerechtigkeit, die sich historisch durchaus schon bei Luther selbst als schrecklich genug erwiesen hat, wenn wir an gewisse häßliche Aufrufe denken, und die, wenn wir den Lessing-Goeze-Streit bedenken, umso furchtbarer war, je mehr sie etwas zu glauben verlangte, was nach menschlichem Ermessen schlechterdings niemand ernsthaft würde glauben können, wer es doch tat, gegen den hatte ja niemand was, aber wer zugab, daß er das nicht könne, gegen den hatte man umso mehr, je weniger man selbst glauben konnte, und nun ja, Herr Kollege, diese positive Forderung der Glaubensgerechtigkeit wird nun einmal um nichts besser, wenn man sie säkular weiterführt als den Psychologismus des "positiven Denkens," denn dieser bewehrt den Glaubensgehorsam gegen sich selbst so scharf, daß nicht einmal mehr das gegen den offenen Gesinnungsterror wenigstens der Form nach hilfreiche Institut der Menschenrechte und der Menschenwürde einen Menschen, der zugibt, nicht alles super zu finden und in gewisse Gemeinplätze kein Vertrauen zu haben, vor dem Zugriff der Gesinnungskontrolleure schützt, und froh, am Ende dieses gehaltvollen und komplizierten Satzes (den er, wie sich der Demokratiebeauftragte zu erinnern vermeinte, auch nicht zum ersten Male in dieser oder einer anderen Form von sich gegeben hatte) angekommen zu sein, fuhr sich der Klitzekleine durch sein schütteres Haar, als Karomütze etwas verunsichert von seinem Gespräch mit der Kreativleitung den Raum betrat und ungewöhnlich ratlos aussah.

Mittwoch, 14. Januar 2009

580.

Am anderen Morgen, als Karomütze völlig verdrossen in der EinSatzLeitung ankam, etwas später als üblich, da ihm sein Alfa einen Streich gespielt hatte und nicht angesprungen war, traf er auf eine fast noch verdrossener wirkende Kreativleitung, die ihm genervt vortrug, was sie davon hielt, daß die Chefin die Pestvögel einladen wollte, sie sollte sich doch daran erinnern, sagte sie, wie deren oberster Protagonist sich seinerzeit übergriffigst an den Abfallkörben der EinSatzLeitung zu schaffen gemacht habe, wie er trotz aller Bemühungen, ihm seine Grenze zu weisen, an welchen doch auch die Chefin selbst früher energischsten Anteil genommen, alle aufrichtige Kommunikation untergrabe, indem er stets davon überzeugt sei (und in gut geöltem Propagandaapparat herumschrastere), besser als irgendjemand zu wissen, was "echt" und was "prätendiert" sei, wie er für Fakten erkläre, was Fiktion sei, und für Fiktion, was factum, und wie er kurzum kein Wesen sei, das man ernsthaft in ein Gespräch einbeziehen könne, ohne daß damit sofort das ganze Gespräch unter seine Dominanz falle, und sie selbst erwäge, sich allen Veranstaltungen, zu denen diese Figur geladen werde, ganz einfach zu verweigern und zu entziehen, auch wenn sie wisse, daß sie damit den Schrastereien des Untiers schließlich auch innerhalb der EinSatzLeitung das Feld überlasse, man könne einfach von ihr nicht erwarten, sich einer derart destruktiven Macht, welche alle anderen durch nichts als ihr aalglatt machtförmiges Auftreten zu absurden Bewunderungsstürmen verleite, noch einmal auszusetzen, und selbstverständlich werde Mo ohnehin nicht zu beruhigen sein, wenn man von ihr verlange, die Anwesenheit jenes Vogels zu ertragen, sie erwäge, ihren Abschied von der EinSatzLeitung zu nehmen und habe Fluchtpläne entworfen, völlig verzweifelt sei das Wesen gewesen, sagte die Kreativleitung, und ich konnte sie nicht trösten, und Karomütze, obwohl er keine besonderen Sympathien für die Kreativleitung hatte, hatte doch seine eigenen Erinnerungen an Begegnungen mit Pestvogels, und obwohl er selbst eher zur Heißspornigkeit neigte, meinte er, die Kreativleitung habe vielleicht einfach in jenen öden Sitzungen mit dem Demokratiebeauftragten vergessen, daß sie doch mit der Chefin auch ein wenig befreundet gewesen sei, sogar sehr, und ob sie nicht ihre und Mos Panik wenigstens so weit überwinden könne, daß sie sich zu einem Gespräch mit der Chefin verstehen könne, es sei doch nicht so, daß ihr in Gesprächen gar nichts mehr einfalle, worauf die Kreativleitung sagte, im Prinzip nicht, aber wenn deine beste Freundin dir den Boden zu entziehen droht, indem sie mit so einer Figur wie dem Pestvogel und seinem Freund, jenem Wächter, plötzlich gemeinsame Sache macht, dann ist einfach alles vorbei, und sie bat Karomütze, für sie zu sprechen, sie könne das gegenwärtig gar nicht mehr, sprachs, nahm das Tellerchen, das sie für Mo vorbereitet hatte, und ging in ihr Büro.

Dienstag, 13. Januar 2009

579.

Zum Ende der demokratischen Belehrung ergriff die Chefin das Wort und sagte in die wenigstens teils noch einmal erwachenden Gesichter, es müsse leider festgestellt werden, daß auch dort, wo demokratische Leitsätze in den Schulen und Betrieben gelehrt würden und wo die Armeen als Bürgerarmeen gelten, die elementarsten Regeln des erwachsenen, würdigen, mitmenschlichen Umgangs aufs leichtfertigste immer wieder außer Kraft gesetzt würden, unter diesen und jenen Begründungen, man versuche, auf alle Weisen einzudringen in die Leben und die Herzen und Seelen solcher Menschen, von denen man entweder Großes erwarte oder Schlimmes befürchte, und wieviel Schaden an den tierischen Geweben solcher Menschen, wenn diese mehr fühlten als das, was man ihnen sage und zuschreibe, angerichtet und billigend in Kauf genommen werde, das sei immer noch in vielen Fällen, die der EinSatzLeitung bekannt seien, rundweg skandalös, sie bitte insofern darum, in der nächsten Veranstaltung der Demokratieabteilung einmal ausführlicher zu entfalten, warum es den entwickeltsten Köpfen des Abendlandes als die größte Schande und als das schwerste Zeichen sittlicher (oder auch psychologischer) Unreife gegolten habe, "das Herz" eines anderen erforschen und mithin kontrollieren zu wollen, und wie auf kaltem Wege sich just diese Herzensinquisition seit geraumer Zeit wieder breit durchgesetzt habe zum Schaden nicht nur der unter solche Mühlen fallenden Einzelnen, sondern letztlich zum Schaden der Würde der Gemeinschaft überhaupt, die in dem Augenblick, in dem sie keinen Privatbereich mehr respektiere, sich um den letzten legitimierenden Unterschied zu denjenigen Gesellschaften, deren "totalitäre Tendenzen" sie angeblich bekämpfe, längst gebracht habe, und während der Oberassistent durch ein kluges Koreferat zu glänzen versuchte, in welchem er den Fall eines Mannes, welcher keiner Fliege etwas zuleide getan habe, umständlichst berichtete und analysierte, stellte Mo sich eine Parade unversehrter Fliegen vor, die aufmarschierten, ihre heilen Gliedmaßen vorstreckend und mit den Flügelchen schlagend, um zu sagen: "Mir hat er nichts getan."

Montag, 12. Januar 2009

578.

In der EinSatzLeitung hatte man den Eindruck gewonnen, der Abstand zwischen der anberaumten künftigen und der lange zurückliegenden letzten Sitzung sei doch etwas groß geworden, Kritik an der Chefin murmelte sich durch die Flure und drohte schon, nach außen zu dringen, so daß diese kurzfristig entschieden hatte, zwar keine eigentliche Sitzung durchzuführen (dies hätte doch gar zu sehr nach einem Zickzackkurs ausgesehen, das konnte sie sich gegenwärtig nicht leisten) aber doch etwas wie eine kleine für alle verbindliche "Fortbildung" anzubieten, und so sah man nun seit Stunden den Demokratiebeauftragten seine Leitsätze auf ein Papier kritzeln, das unter dem Namen "flipchart", "flip-chart" oder "flip chart" an etwas wie einer Tafel befestigt war, und der dicke Stift machte unangenehme Geräusche auf dem Papier, das Tafelquietschen unter Kreide früher, das war doch eine andere Sache, dachte der Buchhalter, der in der ersten Reihe saß, als der Demokratiebeauftragte schrieb und erklärte, erklärte und schrieb, erläuterte und skizzierte und was man so macht, während die EinSatzKräfte nach vielen Stunden im Seminarraum der EinSatzLeitung (jawohl, auch das hat die EinSatzLeitung, das muß man ja nicht gleich im ersten Satz herausposaunen, aber was glauben Sie wohl, wo die Sitzungen immer stattfinden, na sehen Sie) nur noch mit Mühe ihr Gähnen unterdrückten, die Augen kaum offenhalten konnten und überhaupt trotz vieler Kekse und einiger Ladungen Kaffee einfach nicht mehr so recht bei der Sache waren; diesmal konnte wirklich jeder verstehen, warum das Mo, das von seinem Bündel aus lange geduldig aus dem Fenster und auf die verschneiten Dächer geschaut hatte, gegen Ende der Ausführungen des Demokratiebeauftragten quengelig wurde, ja, man übertreibt nicht, wenn man sagt, am Ende hätten alle am liebsten selbst richtig gequengelt, bis auf, merkwürdigerweise, die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse, welche fand, daß endlich mal etwas Substantielles besprochen werde, völkerrechtlich Relevantes um die Frage, wie sich eine Bürgerarmee von anderen Armeeformationen unterscheide, ein Unterschied, so hatte sie bisher gemeint, der in der Sache und im Armee-Alltag eher geringer zu veranschlagen sei, und der Demokratiebeauftragte, froh, daß wenigstens eine auf seine Ausführungen einstieg, belehrte sie nun darüber, daß er "gefühlt" doch von enormer Bedeutung sei.

Sonntag, 11. Januar 2009

577.

Dein Gesicht ist heute etwas grünlich, konstatierte der Minderheitler mit den grünen Borsten, als er draußen auf der Straße die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse und den ewig rotgeränderten Augen traf, und sie wunderte sich, denn ihr erschien ihr eigenes Gesicht bei Kälte immer eher violett, aber dann antwortete sie und sagte, ja klar, wenn ich in diesen Tagen losgehe, um trotz allem für meine Leute auf eine Demo zu gehen, dann möchte ich mich am liebsten in eine Rolle aus Text wickeln, und in dem Text müßte stehen, wofür ich genau bin und wogegen, und wieso ich finde, daß wir sicher wohnen sollten, und wieso ich die Haßprediger und Geiselnehmer und Raketenschießer fürchte, und wieso ich dennoch finde, daß das palästinensische Volk sicher und in Würde wohnen und sich versorgen können soll, und wie ich diese Grenzfrage und jene Aktion sehe, das alles müßte sichtbarlich auf der Rolle stehen, welche ich um mich gewickelt trüge, wenn ich in diesen Tagen auf die Straße gehe, aber du kannst nicht davon ausgehen, daß die Leute so etwas lesen, sie sehen grün oder blau, und sie wollen klare und eindeutige Rufe schreien und hören, aber sie haben längst alles wieder so zugespitzt, daß man keinen Ruf mehr mitrufen kann, und wenn man dann trotzdem zu seiner Minderheit geht, weil man auch nicht feige zuhause sitzen möchte, dann kann man schon einmal die Gesichtsfarbe der anderen Minderheit annehmen in der Hoffnung, daß das am Ende doch ein wenig hilft gegen die schrecklichen Entdifferenzierungen, vielleicht ist es das, und der Minderheitler mit den grünen Borsten sagte, vielleicht sind meine Stacheln in der Spitze auch schon ein wenig bläulich, und sie mußten beide lachen, bis die Minderheitlerin sagte, wie unverschämt gut wir es hier haben, wir können einander ansehen und lachen, und der Minderheitler mit den grünen Borsten sagte, wir sehen uns dann morgen in der EinSatzLeitung, und die Minderheitlerin sagte, ja, dann reden wir weiter, und sie setzten ihre Wege in unterschiedliche Richtungen fort.

Samstag, 10. Januar 2009

576.

Eine etwas müde und immer noch mit ihrer Erkältung kämpfende Kreativleitung saß, in Gedanken über die Frage, wie ein neues Stück in den Wandteppich integriert werden könne, versunken, an ihrem Küchentisch, auf dem Mo mit großem Genuß ihre tägliche Portion von ihrem Weihnachtsgeschenk, dem einzig wahren Rapshonig (der allerdings nicht so weiß war wie der, den die Kreativleitung erinnerte, und gar nicht klumpig, aber doch fester und weißer als alles, was sonst unter dem Namen Rapshonig zu bekommen war), verspeiste, und während die Kreativleitung über ihrem Teppich brütete und während die ganze übrige Welt über Armeen, asymmetrische Kriegführung, die Finanzkrise und Moll Morgengrau nachdachte, holte an diesem ersten Arbeitswochenende im Januar ein hochzufriedenes Mo aus der Tasche seines alten Kittelchen, welchen es im Winter über seine solide wollene Unterkleidung zu hängen pflegte, einen zerknautschten Zettel und sagte mit listigem Gesicht, die anderen (welche anderen, seit wann redet Mo mit den anderen EinSatzKräften, dachte die Kreativleitung) haben mich gebeten, eine Heiratsanzeige für dich zu formulieren, damit du mal wieder auf den Teppich kommst (ausgerechnet, dachte die Kreativleitung, als würde auch nur ein Mensch in der Welt ertragen können, daß ich manchmal die Nacht auf dem Teppich verbringe mit den Füßen auf dem Drehstuhl und Mo kreiselnd auf meiner Kniescheibe), und hier habe ich eine entworfen, fuhr Mo unbeirrt durch die Gedanken der Kreativleitung fort, und sie las, jede Silbe betonend, vor, was sie geschrieben hatte: nicht mehr ganz junge Dame, las sie, würde sich gern wieder verlieben, es muß aber, damit das möglich ist, einer sein, der imstande ist, sie wirksam abzuschirmen vor einer dann und wann zudringlichen Öffentlichkeit, ohne ihr die Freiheit zum Spiel mit der Öffentlichkeit zu nehmen, allerhöchste Duldsamkeit gegen ein bei ihr lebendes Mo erforderlich, Bewerbungen von Alteigentümern, Exxen und Echsen sinnlos (daß sie sich um sich sorgt, dachte die Kreativleitung gerührt, ist ja okay, aber was soll das mit den Eigentümern, den Exxen und den Echsen, wie kommt sie auf so eine Idee, nun gut, sie kannte nur Eigentümer, aber woher die Echsen, nur ein Wortspiel vielleicht, und sie schüttelte leise den Kopf), was hältst du davon, fragte sie, provozierend aufsehend, aber die Kreativleitung war sehr abgelenkt, denn in diesem Augenblick hatte sie eine sms vom Kwaliteitswart bekommen, der sich auf seinem Boot in Amsterdam (von dem er erst im Februar zurückzukehren gedachte) so sehr zu langweilen schien, daß er sich über den häufigen Gebrauch der „reichlich überdeterminierten Schneemetapher“ beklagte, und das leichte Erröten der Kreativleitung erklärte sich wohl eher aus dieser sms als aus dem einigermaßen überzeugenden Wortlaut der Anzeige, die niemals aufgegeben werden würde, wenn man die Kreativleitung fragte, da man 1. so etwas nun einmal nicht mit Anzeigen machte, und 2. es überhaupt einen derartigen, wie sie sich heute bürokratischerweise auszudrücken beliebte, "Bedarf" ihrerseits gar nicht gebe, und sie entschuldigte sich kurz, um im Nebenzimmer die sms des Kwaliteitswart zu beantworten (höflich, freundlich, was gehts dich an, wenn ich rot werde, dachte sie), und als sie in die Küche zurückkehrte, fragte sie das Mo, fühlst du dich denn so einsam, habe ich dich vernachlässigt?

Freitag, 9. Januar 2009

575.

Was würden Sie eigentlich als das schlimmste Erbe des christlichen Abendlandes ansehen, fragte der Demokratiebeauftragte den klitzekleinen Forschungsminister, als dieser von seinen Untersuchungen und Papieren aufsah, und der Klitzekleine antwortete raschelnd, früher habe er geglaubt, es wäre die Inquisition, aber mittlerweile sei er hier ein wenig präziser geworden, es sei in neuerer Zeit vor allem die inquisitorisch durchgesetzte und auf fatale Weise mit dem allgemeinen Psychologismus und Ökonomismus durchsetzte Fetischverwendung der Rede von "Vertrauen," welche zuverlässig und regelmäßig das erzeuge, was sie vorgeblich zu überwinden trachte, nämlich das böse böse Mißtrauen, und mit einem Seitenblick auf die soeben den Raum betretende Assistentin K und ihren wachsenden Bauch sagte er, ich könnte Ihnen ein paar Kandidaten nennen, die mit ihrem Gewäsch womöglich sogar das Vertrauen, das diese Dame hier offensichtlich in ihr heranwachsendes Kind hat, noch zu erschüttern vermöchten, indem sie sich fett draufsetzten und bei jeder Kleinigkeit herumschwadronierten, wie wichtig doch das Vertrauen sei, und die Assistentin fragte indigniert, reden Sie über mich, ich höre bei sowas gar nicht mehr hin, das würde mich nur nerven...

Donnerstag, 8. Januar 2009

574.

Üblicherweise war die Dame Ö nicht diejenige, die ausgerechnet für Mo oder gar den seit seinem Herzanfall ewig mauligen und allzu betont coolen Oberassistenten ihr Herz besonders erwärmen konnte, aber als sie in die Debatte 573 kam auf der Suche nach einer Atempause von Propagandaschlachten, in denen sie endlich einmal eine Stellungnahme gefunden hatte, die ihr wirklich verantwortlich und richtig vorkam, da bemerkte sie nicht ohne eine gewisse Verwunderung, daß es gerade diese beiden Personen waren, die ihr am ehesten aus der Seele sprachen, und sie wunderte sich.

Mittwoch, 7. Januar 2009

573.

Mo schaute in den Schnee und war enttäuscht, denn es war sehr kalt, die Scheiben beschlagen, niemand ging mit ihr nach draußen, und überhaupt hatte sie sich alles ganz anders vorgestellt, denn sie konnte wohl fühlen, aber in keiner Weise verstehen, wie ein Ereignis in der Welt mit einem anderen zusammenhing, und warum das eine alle so sehr beschäftigte und das andere nicht, und die Kreativleitung sagte, siehst du, wegen dieser deiner Verständnislosigkeit bist du so lange gefangen gewesen und so klein geworden, und Mo machte große runde Augen, denn das hatte sie von der Kreativleitung nun nicht erwartet, aber vielleicht hatte sie es auch gar nicht wirklich verstanden?

Dienstag, 6. Januar 2009

572.

Der Demokratiebeauftragte war mal wieder dabei, ein paar Leitsätze zum Thema Demokratie zu formulieren, das muß man ja immer wieder aufs Neue machen, sagte er zum Oberassistenten, welcher meinte, das werde doch alles überschätzt, und, wie willst du denn bitte mit ein paar müden Leitsätzen irgendwen dahin bringen, einen Vorteil, den er haben könnte, nicht zu nehmen, im Grunde bist du doch ein verhinderter Klosterbruder, sagte der Oberassistent gerade, als die Dame Ö, wie ihr Nachwuchs gesagt haben würde, in der EinSatzLeitung "aufschlug" (und sie würde in Erwiderung vielleicht gesagt haben, wie niedlich, bin ich denn ein Komet, noch besser erschien es ihr freilich meist, so zu tun, als merke sie gar nicht, wie diebisch so ein Nachwuchs sich freuen kann, wenn er denkt, es sei ihm mal wieder gelungen, die Alte zu verlaunen und ein Modewort an ihr vorbei zu schmuggeln, während die nämliche Alte gerade in solchen Momenten, in denen sie die diebische Freude auf dem Gesicht des Nachwuchses sah, den Eindruck hatte, am meisten über ihren Nachwuchs zu erfahren, ein Nähe- und Erkenntniserlebnis, für das sie manche Unterschätzung ihrer Aufmerksamkeit mit allenfalls leicht bewegter Braue gern in Kauf nahm), ihre Handschuhe von den Fingern zog, den Mantel aufhängte, ihre Ohren in Richtung des Oberassistenten aufsperrte, um dann resoluten Schrittes in das Demokratiebüro zu gehen und zu sagen: jetzt hört ihr bitte mal einen Augenblick an, was eine ältere Dame zum Frieden zu bemerken hat, da wäre erstlich zu sagen, daß ein veritabler Friedensengel nicht mit dem Make-up und nicht einmal mit den Flügeln zuerst gebaut wird, sondern wie jeder gute Mensch mit den Knochen, und die Knochen einer Friedensbotschaft bestehen aus Wahrheit, Respekt und fairem Handel, ist das nicht so, wenn man aber stattdessen Friedenswimpelchen schwenkt und sagt, schaut wie schön ich aussehe in meinem neuen Friedensdesign, aber nebenher weiter dem Gegenüber heimlich in die Taschen langt und ihm bei der Versorgung das Wasser abgräbt, dann hat man wohl kaum Grund zu der Annahme, daß man bei einem halbwegs intelligenten Gegenüber auf irgendein Interesse treffen werde mit dem Wunsch, er möge in Zukunft immer sagen Brutus is an honorable man, mein Vorschlag lautet also, wenn Sie mal wieder Leitsätze formulieren, mein lieber junger Kollege Demokratiebeauftragter, empfehlen Sie den Grundsatz eines bedeutenden Mannes, welcher zu sagen pflegte "Tun, was man sagt, und sagen, was man tut," das ist die erste Regel aller Politik, Sie werden sehen, wie sich über eine gesunde Handelsbeziehung und ein aufrichtiges Wort (etwa: ja, ich habe dir hier etwas weggenommen, und ja, ich wollte das auch gern haben, aber ich will doch nicht, daß du deswegen im Elend lebst, und können wir nicht eine Lösung finden, die uns beiden das Gesicht wieder herstellt, auch wenn deine verständliche Wut einstweilen nicht wirklich durch irgendeinen "Sympathiezauber" zu überbrücken ist) unter halbwegs vernünftigen Menschen ganz zwanglos neue Ideen einstellen und manchmal sogar ein überraschend freundschaftliches und dem Verzeihen günstiges Klima - aber dazu, meine Herren, muß man natürlich erwachsen genug sein zu verstehen, daß man manche Dinge nicht festhalten kann, daß man Fehler macht, daß man sich selbst täuscht - und daß keine Selbsttäuschung dadurch besser wird, daß man allen anderen abverlangt, diese Täuschung nun auch zu ihrer eigenen zu machen, mit anderen Worten, das Ende der Demokratie beginnt da, wo man selbst unehrlich ist und andere auch dazu zwingen will, die eigenen Unehrlichkeiten zur ganz ehrlich und authentisch formulierten eigenen Sache zu machen, oder so ähnlich, und sie überschlug sich immer mehr, fiel sich ins Wort, und ... ach, sagte sie dann, war wohl nichts, ich bin nicht zur Rednerin geboren, aber Sie verstehen, was ich meine, erst die Knochen, dann das Make-up, das war eigentlich die Regel, die ich meinte, und der Oberassistent schwieg verblüfft, während der Demokratiebeauftragte den Kopf schüttelte, sagte, ich komme später auf Sie zu, und weiter an seinen Leitsätzen bastelte, für die er einen gewissen Bausatz in seinem Kästchen hatte, den er durchaus wertvoll fand.

Montag, 5. Januar 2009

571.

Eine der ersten, die sich am Montagmorgen in der EinSatzLeitung wieder einfanden, war die Assistentin K, die im "Bistro" mit Karomütze zusammentraf, welcher sich freiwillig bereit erklärt hatte, die Räumlichkeiten der EinSatzLeitung zwischen den Jahren zu warten, und ihr nun beim Morgenkaffee erzählte, wie er am Tag vor Sylvester mit einem befreundeten Techniker nebst Werkzeugkoffer in den Geräteraum der EinSatzLeitung gegangen war, um zu klären, warum es zu dem Absturz des Kommunikationssystems gerade vor Weihnachten hatte kommen können – es habe sich jedoch sogleich herausgestellt, daß alle Werkzeuge völlig überflüssig waren, denn irgendjemand hatte ganz einfach ein paar Anschlüsse herausgerissen, die nun wieder zusammengesteckt werden mußten, das war alles, und der befreundete Techniker habe gesagt, das hättest du wirklich selbst herausfinden können, Karomütze aber habe bemerkte, er sei nur telefonisch darüber informiert worden und hätte eigentlich sogleich gemeint, es höre sich für ihn weniger nach Zufall und technischem Defekt und mehr nach „intelligent design“ an, ein Ausspruch, welchen der Demokratiebeauftragte sofort völlig humorfern nicht als einen Scherz, sondern als ein weiteres Zeichen für Karomützens paranoide, in den religösen Wahn spielende Unzurechnungsfähigkeit aufgefaßt habe, woraufhin Karomütze das Gespräch erstmal abgebrochen habe, denn was willst du mit so einem reden, sagte er nun zu Assistentin K, es ist nicht einmal klar, ob der überhaupt einen Führerschein hat, sagte Karomütze, also mir jedenfalls nicht, und auch die Sache mit dem Techniker, der ihn des falschen Alarmismus geziehen hatte, habe er nur wieder hinbiegen können, indem er mit diesem gemeinsam zur Party des Kumpels von der GSG 9 gegangen sei, wo man bis zum Mittag des Neujahrstages in wechselnden Besetzungen durchgefeiert habe, und ob das nun so der ideale Jahresanfang war, weiß ich ja nicht, sagte er, aber die Assistentin sagte, hört sich doch insgesamt amüsanter an, als was wir hier (dabei schaute sie auf ihren Bauch) erlebt haben, wir waren nämlich einfach krank im Bettchen, völlig unintelligentes Design, fügte sie hinzu, immerhin war immer jemand da, der einen kleinen Tee gebraut hat, das macht dann doch auch schon Spaß, sagte sie, und irgendwie fanden sie es ganz nett, einander milde zu bedauern und zu ermuntern angesichts ihrer schweren Feiertagsschicksale.

Sonntag, 4. Januar 2009

570.

Im Grunde, sagte der ehemalige Chef zu seine Gattin, als sie nach dem sonntäglichen Mittagsmahle und der ihn doch beunruhigenden Lektüre seiner Zeitungen behaglich auf ihren Garten hinausblickten in den langsam und dünn fallenden Schnee, der sich zwischen den Grashalmen sammelte, im Grunde finde ich sie sympathisch, die Tschechen, sollen sie sich doch ein wenig streiten mit ihrem Präsidenten, sie werkeln tapfer an ihrem Ratsvorsitz und ihren EU-relevanten Einsätzen herum, sie wirken so unverbraucht auf dem uns allzu vertrauten Parkett und haben diesen speziellen osteuropäischen Humor und Charme, ich wüßte gar nicht zu sagen, warum ich den so erfrischend finde, und die Gattin antwortete mit hintergründigem Lächeln, vielleicht ist es einfach, daß sie das Leben im Schatten einer zum Finstern neigenden Autorität gut und lange kennen, und ebenso gut und lange die Sehnsucht nach westlichen Freiheiten festzuhalten gelernt haben, etwas lacht doch in denen darüber, daß sie nun zu ihrer eigenen Überraschung wirklich tanzen dürfen, und sie scheinen sich auf hinreißende Weise aller merkwürdigen Dinge, die noch an ihnen kleben, gar nicht zu schämen, wie kämen sie auch dazu, haben sie doch schon ganz lange ganz viel gelesen und geschrieben und alle, was am Westen gut ist, so sehr geliebt, vielleicht wissen sie sogar, daß jede der westlichen Idiotien und Selbstgefälligkeiten und Verlogenheiten, die sie in ihren Wäldern und altmodischen Industrieanlagen ebenso verschlafen haben wie irgendeinen rechthaberischen kleinspießig "werteorientierten" Dumpfprahlsinn, sie eher schöner machen, und der ehemalige Chef fand, dies habe seine Gattin wieder einmal sehr klug beobachtet, fühlte sich aber (etwas an ihrem Lächeln bei der Kombination der Wörter "Schatten" - "Finster" - "Autorität" störte ihn empfindlich im Hintergrund seines Ohres) doch bemüßigt zu bemerken, daß "wir" es auch nicht so schlecht gemacht haben, und daß nicht einmal Supersarko es geschafft habe, im Nahen Osten abschließend noch einen großen Erfolg einzufahren, das sei schließlich nicht dessen Schuld, sicher, antwortete seine Gattin, seine Schuld ist es nicht, ich tu mich da sowieso ein bißchen schwer mit Schuld, aber ich teile deine hoffnungsvolle Freude am Anblick der Neuen aus Prag durchaus.

Samstag, 3. Januar 2009

569.

"Going on dedoubling, dedoubling," summte das Kind, das gemeinsam mit seiner Mutter und dem Demokratiebeauftragten die genesende Kreativleitung besuchte und mit Mo zusammen an einer Liste von Wörtern mit "Doppel-" saß, sie hatten schon den Doppelwhopper und den doppelten Rittberger, den einfachen Doppeldecker und die Doppelhaushälfte, und nun fragte das Kind, Mama, was ist eigentlich Doppelmoral, worauf die Chefin zu einer längeren Erklärung ansetzte: Doppelmoral ist, wenn einer - zum Beispiel - immer dann mit Recht oder Zwang kommt, wenn es gut für ihn ist, sobald es schlecht für ihn wäre, aber sehr großzügig an allen Rechten vorbeischaut, also nehmen wir mal an, einer verweigert sich einer außergerichtlichen Einigung in einer Sache, in der er Grund hat zu vermuten, daß ein Gericht ihn besser stellen würde als ein irgendwie mediiertes Gespräch im außergerichtlichen Vergleich, daraufhin geht die erwartungsgemäß gerichtlich besiegte Seite davon aus, daß dieser "Gegner" auch in allen anderen Fragen ausschließlich in gerichtlicher Sprache vorstellig werden würde, und bemüht sich, da es sich um eine sehr empfindliche Angelegenheit handelte, nicht weiter um irgendein beschönigendes pseudokommunikatives Getue, erst recht nicht um Person und Ergehen der zur Gerichtsinstanz gewordenen Person, der Sieger scheint einstweilen zufrieden mit seinem Sieg und stellt keine weiteren Forderungen, die er doch, wenn er das Recht voll ausreizen wollte, durchaus stellen könnte, kommt dann aber Jahre später auf die Idee, es sei ihm mächtig etwas entgangen, und, bestärkt in dieser Idee von wohlmeinenden anderen, die immer gern dabei sind, wo kollektiv Steine zu werfen sind, bedient er sich nunmehr einiger hochillegaler Methoden des Raubes an einer vollkommen entrechteten Person, unter der Prätention, sich als eine Art Robin Hood das zu holen, was ihm immer schon zugestanden habe, zugleich aber mit der Hilfe eines reichen Tycoons, der für den echten Robin Hood, von dem man nie gehört hat, daß er irgendwelche Prozesse geführt habe, eher ein zu Beraubender als ein immer schon freigesprochener Miträuber gewesen wäre - das ist Doppelmoral, und wenn du willst, kannst du dazu den Tycoon als einen ordentlichen Doppelwhopper malen, sagte sie noch, aber dann sah sie, daß ihr Kind etwas verständnislos dreinschaute, während Mo schon eifrigst kritzelte, und guckte ihrerseits hilfesuchend den Demokratiebeauftragten an.

Freitag, 2. Januar 2009

568.

Die Helligkeit eines verschneiten Januarmorgens, was kann es besseres geben, dachte die Kreativleitung, als sie nach mehreren Tagen im Krankenbett beschloß, einen ersten Wutanfall, welchen sie in der Nacht ihren Wänden zu hörbarem Protokoll gegeben hatte, als Zeichen für eine ausreichende Kräftigung zu nehmen, um sich heute für "genesen" zu erklären, das Bett und den Nachtschrank mit den Medikamenten aus dem Sichtfeld zu verbannen und sich ernsthaft an den Schreibtisch zu setzen; als sie diesen Beschluß "umzusetzen" begann (so ein bescheuertes Wort, ausgerechnet das kommt den Leuten immer erstaunlich leicht von den Lippen) fühlte es sich noch etwas seltsam an, aber die bloße Idee von Kaffee war Anreiz genug um durchzuhalten, und als sie, während das Wasser in der Küche heißer wurde, mit Schal und dem dicksten Pullover, den sie finden konnte, auf den Balkon trat, hörte sie zu ihrer Überraschung seltsames Vogelzwitschern wie von einem Starenschwarm, wo kommen die denn jetzt her, dachte sie, aber nirgends waren die deutlich hörbaren Tiere zu sehen, und als sie wieder in ihr Zimmer zurücktrat, klingelte es an der Wohnungstür, vor der eine verschmitzt dreinschauende Dame Ö stand, in der einen Hand das Bündel, aus der ein rotnasiges Mo sein bemütztes Köpfchen streckte, in der anderen Hand eine kleine Christrose, und die Kreativleitung bat beide erfreut herein, Dame Ö inspizierte sofort die herumliegenden Medikamentenschachteln und bemerkte beiläufig: gestern nacht war die Assistentin K schon einmal hier, um nach Ihnen zu schauen, hat eine Weile vor der Wohnungstür gestanden, ist dann aber wieder abgedreht, weil sie hörte, wie unflätig Sie hier vor sich hin geschimpft haben auf alle möglichen speziellen Objekte Ihres Zorns, deren Beleidigung sehr zu fürchten wäre, wenn die das gehört hätten, und die Kreativleitung lächelte und sagte, man wird ja wohl zuhause noch einmal seinen Schimpfkanonadenvorrat besichtigen dürfen, diese Dinge gehören schließlich auch zum Arbeitsmaterial, und wenn es keiner hört, kann auch keiner beleidigt sein, möchte ich meinen, der Lauscher an der Wand freilich, der hört womöglich auch 2009 noch seine eigene Schand, und ja, sagte sie, die Leute, die reine Herzen wollen, habe ich schon immer für "dirty dreamers" gehalten, sehen Sie einen Anlaß, hier ernsthaft hinter gewisse Fortschritte der Aufklärung über uns selbst zurückzugehen (selbstverständlich schüttelte Dame Ö verneinend den Kopf) und wenn ich selbst oder dieses Wesen hier - und dabei kraulte sie das Mo ein wenig unter dem Kinn, was dieses sich gern gefallen ließ - oder irgendwer anders doch irgendwo etwas wie ein reines liebevolles Herz haben sollten, dann würden wir das den Herrschaften, die in absentia zu beschimpfen ich mir nächtens die häusliche Freiheit genommen habe, sicherlich zu allerletzt andienen, nicht wahr, man freut sich unserer unreinen Liebe oder läßt es bleiben, sagte sie, und sie setzten sich zu fröhlicher Runde an ihren Frühstückstisch und freuten sich über den Blick in den verschneiten Hof, und wer an Bedrückendes denken mochte, sprach es für diesmal nicht aus, zu kostbar erschien ein Augenblick, in dem im Schneelicht Heiteres zu beplaudern sein mochte.

Donnerstag, 1. Januar 2009

567.

"Ergänzen Sie die Zahlenreihe, indem Sie bei 1 anfangen," dachte der Buchhalter, und fragte sich, ob er dann auf eine Reihe 123-567-9.10.11 usw.setzen sollte oder eher auf eine andere, punktlose Form der Rotation, etwa 123-567-912-456-891-345 usw., und so wäre das Ordentliche und Regelmäßige wieder einmal fast an ihm gescheitert, der doch just dafür zuständig war, aber die Chefin hatte sich gut vorbereitet, schob seine Unterlagen leise zur Seite, nahm das Mikrophon an sich und setzte dazu an, eine kleine Neujahrsrede zu halten, nichts Großes, sagte sie, nichts Spektakuläres, an die Abschieds-Sylvesterrede unseres ehemaligen Chefs vom letzten Jahr kommt doch nichts heran, sagte sie, Tiere sind wir alle geblieben, der Respekt gegenüber dem Tierischen in uns hat sich im Weltmaßstab nicht wesentlich verbessert, mögen sich auch hier und da kleine Lichter gezeigt haben, und so habe ich mir gedacht, ich erzähle den Menschen lieber von einem seltsamen Traum, den ich hatte, als ich, müde wie heute sicher alle hier, doch an meinen Schreibtisch gehen mußte und also wenigstens im Traum schon einmal den Computer einschaltete, der Computer stand auf einem Tisch seltsam über mir, und als ich ihn aufklappte (ich benutze ein Lap-Top) rieselte mir unerhört viel kalter Schnee ins Gesicht und ich sah, daß der Tisch, an den ich gegangen war, unter einem riesigen Flugzeug stand, und dieses Flugzeug, auf einer Rollbahn vor einem tief verschneiten Wald stehend, hielt nicht allen Schnee fern, sondern gab selbst noch weiteren Schnee ab, und während ich im Computer trotz des Schnees und der fürchterlichen Kälte, die mir zusetzte, nach den neuesten Nachrichten suchte, hörte ich eine seltsame Stimme aus einer gewissen Ferne, die mir sagte, daß die Kampfhandlungen allerorten beendet seien - nun, jeder, der mich kennt, wird wissen, daß so etwas eben immer nur ein Traum ist in dieser Welt, aber alles, was ich den Menschen heute und zum Neuen Jahr zu sagen wünsche, ist eigentlich, daß mit Schnee und ohne Schnee solche Träume doch nicht vergessen werden dürfen, wenn man immer wieder den Mut zu den kleineren realen Schritten zu finden wünscht, und als ich aus dem Traum erwachte und meinen wirklichen Schreibtisch in alter Höhe und meinen wirklichen Computer unverschneit fand, ein wenig Schnee auf den Dächern der Nachbarhäuser und in feinen Flocken in der Luft sah, und als ich dann hörte, wie in der Nachbarschaft ein kleines Baby weinte, da habe ich meine vorbereitete Rede vergessen und gedacht, ich kann Ihnen ebenso gut meinen Traum erzählen und allen ein Gutes Neues Jahr wünschen, und mit diesen Worten knipste sie das Mikrophon wieder aus, raschelte ein wenig mit ihren Papieren herum, belustigte sich über den wieder in seine Zahlenreihen vertieften Buchhalter und erhob sich, um nachhause zu gehen und nachzuschauen, ob das Kind schon aus seinem schweren Post-Party-Schlaf erwacht und ansprechbar für ein gutes Frühstück wäre.

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