Donnerstag, 30. April 2009

687.

Kannst du mir ein zuverlässiges Mittel sagen, um eigentlich so gut wie möglich zu sein, aber so übel wie möglich auf die Schnauze zu fallen, fragte der Oberassistent, welcher sich selbst nicht gefiel, da er sich irgendwie harmlos und unverdient glücklich vorkam, den Kollegen von der Sicherheit, der gerade einerseits ein Bestiarium des Polders zum gefälligen Gebrauch der Chefin skizzierte (die muß doch ein bißchen den Überblick behalten, sagte er), andererseits auf einem zweiten Blatt mit gespitztem Bleistift erwog, wo er wohl einen neu erworbenen 70er-Jahre-Globus am geschicktesten aufstellen solle, und - in einem dritten Schritt mal am Bleistift knabbernd- zischte Karomütze dem Oberassistenten zu: tue moderat Schlechtes und rede unentwegt darüber, pass aber auf, daß auch einer da ist, der das alles zu Protokoll nimmt...

Mittwoch, 29. April 2009

686.

Der erzählende Kranich überflog wieder einmal die Niederungen der minderen Sprachen und hörte, wie sich ein paar Enten glucksend über verschiedene Arten von Antrieben unterhielten, welche man hier brauche, welche da, und was von dem einen, was von dem anderen Antriebstyp zu erwarten sei, wie sie zu funktionieren hatten und wie nicht, vor allem aber, wie über sie zu sprechen sei, und schwebend über den Wolken, auf welche er ganz ohne Antrieb jederzeit zu gelangen glaubte, staunte er sehr über die Sorgen der Enten im Tale.

Dienstag, 28. April 2009

685.

Ha, sagte Karomütze im "Bistro" zu ein paar maulig herumhängenden und wie er in irgendwelchen minderwertigen (natürlich, Mehrheitler lesen immer Minderwertiges) Zeitungen herumblätternden Mehrheitlern, das würde den Ehemaligen Chef so richtig freuen, wieder Ordnung und Disziplin bei den Fußballern in Bayern, wenn das nichts ist, und sein Gesicht verzog sich zur Unglaubwürdigkeit.

Montag, 27. April 2009

684.

Es war unter sehr heller Sonne, als die Chefin nach unverdorbenem Sonntag in ihr Büro kam und dort eine von der Leitung Öffentlichkeit noch am Abend hinterlegte Nachricht fand, in welcher zu lesen stand, daß das EinSatzBuch sehr achtgeben müsse, nicht männerfeindlich zu wirken, es gingen so viele in der Ausdrucksweise ziemlich polymorphe Beschwerden ein, wie man es eigentlich seit den Kampagnen gegen Alice Schwarzer damals gar nicht mehr für möglich halten mochte, und es sei sicher geraten, dieses anscheinend alle Leute in seltsame Erregungen versetzende Thema in der Weise einfach gar nicht mehr zu behandeln, sondern nur noch positive Darstellungen... - an dieser Stelle ließ die Chefin die Nachricht sinken und dachte, nun gut, das ist so einer dieser Stürme, wie man sie wohl wird überleben müssen, wenn man bei seiner Sache bleiben und sich nicht in die Eifereien der anderen oder die unterstellten eigenen, die man so gar nicht hat, nötigen lassen will, und ärgerlich ist nur, dachte sie, daß auf der ganzen Welt und eben gerade auch hier bei uns so sehr viel Energie mit den Aggressionen von Leuten vergeudet werden muß, die andere für ihre Ehrpusseligkeiten zahlen lassen, gelegentlich reichlich teuer, und sie bestellte den Buchhalter ein.

Sonntag, 26. April 2009

683.

Man muß Schönes zerstören, um es nützlich zu machen, man muß Menschen zu ihrem Glück zwingen, man muß kommende Führungskräfte rituell demütigen, damit sie was taugen und hart werden, ohne das geht es nicht, man muß Menschen, die etwas Verschontes und Reines oder Glückliches an sich haben, aber trotzdem nicht immer lächeln und tun, was man ihnen sagt, so zerschlagen, daß die Zerschlagenen hinterher das Hohelied des Positivdenkens singen, dann wird es was, man braucht weder Literatur noch Philosophie, alles Spökenkiekerei und dummes Zeug, ganz nett, aber nicht nützlich, und feine Menschen, die keine Projektanträge können, brauchen wir nirgends, alles muß in geregelten Bahnen gehen, darum geht es in der Demokratie, dozierte der etwas korpulent gewordene Herr X. auf einem Klappstuhle sitzend und sich hin und wieder mit der Hand durch den Bart fahrend, seiner neuen jungen Begleiterin, welche vor ihm im Grase lag und nicht recht bei der Sache, aber doch aufmerksam genug zu sein schien, um den Redefluß des Meisters nicht zu unterbrechen und den Stolz auf seine Eroberung somit zu rechtfertigen, über den Kopf hinweg, und er dachte, eigentlich sollte sie mitschreiben, sage ich denn hier nicht Wertvolles, geh man los, sagte er dann, und hol schnell was zu schreiben, das ist doch wichtig, was ich hier sage, und so ganz verstand er nie, warum die jungen Dinger das dann auch immer noch taten, aber sie taten es regelmäßig, und damit, die Sache zu beenden, bevor sie schließlich doch erwartungsgemäß nöhliger oder unwilliger wurden, war er eigentlich immer schneller, was den großen Vorteil hatte, daß sie ihm manchmal sogar noch nachweinten; wenn seine Frau früher was gerochen hatte, hatte er meistens gesagt, das bildest du dir nur ein, und wenn sie zickig wurde, hatte er einmal offen gesagt, es tut uns nun einmal niemand so wohl, wie ein niedliches junges Mädchen, das uns zu Füßen liegt - da hatte er dann wenige Wochen später den Scheidungsantrag auf dem Tisch gehabt, sich bloß gewundert, warum sie darum nicht mehr Aufhebens gemacht hatte, aber irgendwie sind sie nun einmal undankbar, die Frauen, je älter sie werden, desto undankbarer, und nun wollte er nicht mehr daran denken, sondern lieber fortfahren, seine großartige soziale Vision auszubreiten, aber irgendwie kam das Mädchen nicht zurück, und so ganz ohne...

Samstag, 25. April 2009

682.

Was also würdest du unten an die Tür schreiben und was auf deine Internetseite, wenn du neuerdings Sprechstunden abhalten wolltest, fragte die Chefin ihre Freundin in jener Unterredung, und sie bemerkte gerade noch rechtzeitig an sich selbst, wie sie innerlich plötzlich jene Haltung des tiefen Zweifels annahm, welche in früheren Zeiten (als sie selbst noch Demokratiebeauftragte und also zuständig für die Aufdeckung und Bearbeitung destruktiver Tendenzen im Team gewesen war) die damals noch „etablierteren“ EinSatzKräfte gegen die Kreativleitung regelmäßig zu unerfreulichen Verhaltensweisen verleitet hatte, eine Abwehrhaltung, die immer aufgetreten war, sobald die Kreativleitung eine ihrer merkwürdigen Ideen im Ton eines gewissen Unglücks vorzubringen unternommen hatte, aber da die Chefin selbst nun eine gleichsam historisch informierte innere Distanz zu dieser Haltung aufbauen konnte, da die Kreativleitung ihrerseits zwar den Unglückston nicht ganz vermeiden, aber doch mit dem ihr eigenen Lächeln ein wenig überzeugender übereinzubringen verstand, kam es zwischen den Damen zu einem freundlichen Gedankenaustausch über die Idee, eine Art Jammersprechstunde einzurichten, welchen die Kreatvleitung mit den folgenden Worten eröffnete: ja, meine Damen und Herren, wird die Leitung Öffentlichkeit bei der Präsentation der Sache sagen müssen, Sie haben richtig gehört, wir haben neuerdings eine Jammersprechstunde eingerichtet, und dieses nun nicht, um das Jammern ein für allemal abzuschaffen und mit Stumpf und Stiel auszurotten und durch ein durch und durch generalüberholtes positives Denken zu ersetzen, sondern um es selbst zu kultivieren, „Jammern gerne, aber richtig“ wird unser Motto sein, denn wissen Sie, Jammern ist am Ende sozialer als offiziell positives Denken, welches sich unter den Tischen regelmäßig seine Entlastungen im gemeinschaftlichen Lästern und Mobben sucht, die Jammerkur ist in gewisser Weise eine Maßnahme gegen das Mobben, denn sie faßt das Phänomen des Mobbens einmal nicht von der Opferseite, sondern von der Täterseite an, indem sie alle Lästerer und Mobber auf die Dinge bringt, von denen sie sich in ihren Mobbing-Prozessen gemeinschaftlich zu entlasten vermeinen, und indem sie aus diesen Leute so ihre eigenen Beschwerden hervorkitzelt, schafft sie zugleich in ihnen einen Raum der Aufmerksamkeit für die anderen Menschen und ihre Jammergründe, denen sie sich als geübte Jammerer deswegen freundlicher zuwenden können, weil sie ihr Suhlen nicht mehr an die Fehler der anderen binden müssen, denn unsere Jammersprechstunde, meine Damen und Herrn, gibt jedem sein Problemchen mit nachhause und dazu auch noch die wunderbare Botschaft, daß man diese nicht durchaus verschweigen und beschönigen muß, und schon hatte sich die Kreativleitung in ein fast begeistertes Funkeln hineingeredet, welchem sich die Chefin nicht durchaus zu entziehen wünschte, mochte sie auch die Zweifel in ihrem Herzen keineswegs beruhigt sehen, Mo aber in ihrem Bündel kicherte munter vor sich hin.

Freitag, 24. April 2009

681.

Als die Kreativleitung aus dem Büro der Chefin kam, fand sie Mo und den klitzekleinen Forschungsminister in ein emsiges Gespräch vertieft, das sich an des Forschungsministers Beobachtung einer auch teppichtauglichen Konstellation knüpfte, denn während Mo gefangengenommen worden und aus Protest geschrumpft war, war der klitzekleine Forschungsminister erst geschrumpft und dann mit Vertreibung bedroht worden (man glaubte überaus fürsorglicherweise, er werde sich auf die für ihn vorgesehene Größe besinnen, wenn er nur erst von seinen Kumpels in der Hauptstadt weg wäre, er selbst aber hatte vehement gegen diese Maßnahme und die ungeheuerliche Anmaßung, die darin steckte, protestiert, an seinen Freunden festgehalten und in der EinSatzLeitung um Asyl nachgesucht), interessant im Gespräch der beiden war nun aber, daß die Kreise, die jeweils für diese Maßnahmen verantwortlich zu zeichnen hätten, sehr verschiedene und einander nicht durchaus wohlgesonnene waren, daß aber die, wie der Klitzekleine sich auszudrücken beliebte, ubiquitären Mittel, mit deren Hilfe diese Sache jeweils zum Problem und zur Krise der Betroffenen umgedeutet und zur Legitimation einer gigantischen Ausbeutungsmaschine (deren Hebelbeweger freilich neuerdings nicht genug klagen konnten, das mußte man sich dann auch noch anhören) wurden, sämtlich aus den Arsenalen derer Pestvögel stammten, wodurch sich denn auch Mos Panik und des Forschungsministers Widerwillen gegen just diese species ebenso erklärten wie die völlige Unbeugsamkeit der freundlichen Chefin gegenüber gewissen korruptionsbeschönigenden Schwafeleien von Auftraggebern, Kleinkrämern und selbsternannten Allweisen, und während Mo sich nun an der mit albernem Ernste dahin geraschelten Analyse des Klitzekleinen vergnügte, freute dieser sich darüber, wie Mo aus dem Gewölle, das Pestvögel auszuspucken pflegen, wenn sie ein Beutetier durch ihren Verdauungstrakt gejagt haben, einige etwas bizarre Gebilde baute, die zwar weiterhin vor keinem Übergriff sicher sein würden, wenn Karomütze nicht bald etwas einfiele, die aber doch in sich und für den Moment etwas hatten, das selbst ihm, dem ästhetisch kaum ansprechbaren Klitzekleinen, nun (freilich zum ersten Male) schön erschien.

Donnerstag, 23. April 2009

680.

Na, du brütest doch etwas aus, ich seh es genau, Mo, mach mir nichts vor, summte die Kreativleitung, als das Mo ein Zettelchen in der Tasche des grauen Kittelchens, welchen es gelegentlich wieder trug, weil der sehr blaue Mantel seine Bewegungsfreiheit gar zu sehr eingeschränkt und auf die Fusseln vom Fell irgendwie komisch reagiert hatte, verschwinden ließ, aber Mo zog nur ihre Mundwinkel nach unten und sagte, fängst du auch schon so an, zog sich den karierten Schal über den Kopf und war, so schien es, für den Rest des Tages endlich mal wieder nicht zu sprechen; die Kreativleitung aber biß sich auf die Lippen und begab sich an ihren Schreibtisch, um die Arbeit an einer höchstlangweiligen Expertise fortzusetzen, in der sie des Pestvogels simples Schema zu exponieren hatte, nach welchem ein Mensch, der unter Quälerei schreie, keine Impulskontrolle habe, ein Mensch, dem die Lebensgrundlage entzogen werde, den Übermächtigen, die das tun, nicht danke, sondern sich entziehe, keine Herzensbindungsbereitschaft zeige, nach welchem ein Mensch, dem man, um ihn zum Einsatz für etwas, das ihm ohnehin am Herzen liegt, das Rückgrat zu brechen versuche, auf diese Maßnahme antwortet, daß er dann natürlich auch das Rückgrat, dessen man sich so gerne bedienen wolle, daß man es sicherheitshalber erst einmal brechen zu müssen glaube, nicht mehr haben würde, um es für ihre große Sache einzusetzen, nicht wahr, irrational handele und Wohltaten vergesse, also vermutlich dement sei, und schließlich hörte sie mit der Arbeit einfach wieder auf und sagte, ach was, auch von dieser Mühsal werde ich mir nicht leisten können, mal wieder irgendwohin zu fahren, wo es einfach schön ist, von den fälligen neuen Klamotten zu schweigen, der Pestvogel wird seine Ansichten nicht ändern, die Leute werden ihm weiter glauben, und im Grunde kann man den wenigen, die das nicht tun, auch sagen, sie sollen doch bitte in meine Sprechstunde kommen, wenn sie Fragen haben, Vorkasse wie beim Schuster, ich werde diesen Gedanken der Chefin vortragen, und da Mo im Schlaf ein wenig schwitzte und seltsam schnaufte, strich sie ihr noch einmal über das Köpfchen und begab sich dann allein in das Büro der Chefin.

Mittwoch, 22. April 2009

679.

Mama, wie verkörpert man bitte weibliche Werte, fragte das Kind der Chefin am Morgen, bevor es sich auf den Weg zur Schule begab, und die Chefin lachte, denn das unbestechliche Gefühl des Kindes für Phrasen erfüllte sie mit einem Stolz, dessen Grundlage dieses selbe Kind früh gelegt hatte, indem es der ganzen neu zu entdeckenden Welt immer neue Namen gab - und als sie die Tür hinter dem als Kind nicht mehr eigentlich zu bezeichnenden Wesen geschlossen hatte, las sie bei der dritten Tasse Kaffee selbst mit großem Wohlgefallen etwas über den Regierungswechsel in Island, jener Insel, durch deren schwarzen Strand sie sich schon angezogen gefühlt hatte, als sie zum ersten Mal mit den weißblonden Kindern eines isländischen Freundes der Eltern am sehr weißen Ostseestrand Schleswig-Holsteins davon reden hörte.

Dienstag, 21. April 2009

678.

Die ehemals chefliche Häuslichkeit wurde über die Ostertage sträflich vernachlässigt, und so verabsäumte es die Leserschaft, zu bemerken, was für eigenartige Szenen sich dort zwischen der Dame des Hauses und ihrem Sohne abspielten: „Chere Maman,“ utterte der Sohn nicht ohne eine gewisse Verzweiflung in das liebliche Gesichtsoval der Fau Mutter, wobei er sich außer dem französischen Idiom auch noch die welsche Neigung zur Vernachlässigung von Speisepartikeln in und um den Lippenbereich angewöhnt hatte, „chere Maman, was würde eigentlich genügen, um dich von meiner Dankbarkeit für alle mir erwiesenen Wohltaten zu überzeugen, müßte ich auf diesen meinen Knien (hier rückte er seinen Stuhl ein wenig von der festlich gedeckten Tafel ab und lüpfte mit nur geringfügig theatralischer Geste seine recht locker geschnittene Hose, um ein mittleres Knie herzuzeigen, welches er ohne größere Mühen durchaus oberhalb der Tischkante hin und her bewegen konnte) vor dir im Staube herumrutschen, müßte ich dich im Schweiße meines Angesichts aus Nöten retten, in welche ich dich zuvor höchstselbst gebracht haben würde, da du von dir aus einfach nicht in Nöte zu geraten pflegst, müßte ich bettelarm sein und mit den Störchen auf dem Dache eines Dir allein gebührenden Hauses nisten, von dort Deine lebenslangen Mühen um mein Glück besingend, oder wie hast du dir das vorgestellt,“ und die Mutter antwortete ohne besondere Rührung, „ach mein liebes Herz, ich wäre schon hochzufrieden, wenn du dir bitte wieder angewöhnen könntest, mit vollem Munde eher nicht zu sprechen und gelegentlich die Krümel aus deinen Mundwinkeln zu wischen.“

Montag, 20. April 2009

677.

Während in seiner Funktion als Sonntagsschichtleiter der Demokratiebeauftragte den hellen und sonnig-kühlen Sonntag inhäusig in den Räumen der EinSatzLeitung eher gelangweilt verbracht hatte (der Besuch des Diskurswartes war jetzt nicht DIE Erfrischung gewesen, wenngleich eine willkommene kleine Abwechslung), hatte der klitzekleine Forschungsminister endlich einmal wieder aushäusig einen Ausflug mit dem naseweisen Sinologen unternommen und auf seinem gelben Einkaufswagen sitzend, den Spielzeugpapagaeienluftballon über sich wippend, dem im Schieben schnaufenden Sinologen eine Theorie über Verschwörungstheorien an den Kopf doziert, die sich gewaschen hatte und ihrem Entwickler zugleich Gelegenheit bot, sich ein wenig über Freund Karomütze auszusprechen, welchem Sie nämlich, so sagte er dem Freunde, den er gewohnheitsmäßig siezte und außerdem mit einem über den spitzen Stein gestolperten hamburgischen "st" anzusprechen und besonders zu ehren pflegte, nur ein bestimmtes Reizwort in beliebigem Kontext hinhalten müssen (je pseudo-verborgener, desto besser), und schon setzt er es in seinem Kopfe zu einer Verschwörungstheorie zusammen, nach der Sie selbst, sein Stichwortgeber der besonderen Art, eine Verschwörungstheorie bestimmten Inhalts haben, durch die Sie a priori verdächtig sind, eine Verdrehung, die bei schwächeren Naturen regelmäßig dazu führt, daß sie sich tatsächlich mit den Anhängern der ihnen unterstellten Verschwörungstheorie zusammentun und so gefährlich werden wie sie angesehen werden, bei stärkeren hingegen dazu, daß sie alle Stichworte dieser Art auswendig lernen und inkünftig vermeiden, wodurch sie sich lediglich ein bißchen debilitieren, und bei Menschen, die irgendwie einen Sinn für ihre Würde und Autonomie bewahren wollen, führt Karomützens Verhalten dazu, daß sie entweder in unendlichen Erklärungen erläutern, wie sie wann welchen Ausdruck benutzen, oder aber dazu, daß sie diese gewissen Ausdrücke (zum Beispiel eine Redewendung, die zufällig auch der Titel einer sagen wir links- oder rechtsgerichteten, in jedem Fall aber regierungskritischen Zeitung irgendwo in ihrem Wortbestand wiedergibt) geradezu testweise benutzen und jeweils prüfen, ob die Hunde der Verschwörungstheoretiker zweiten Grades (so nennen wir in der Forschung diejenigen Verschwörungstheoretiker, die losgeschickt werden, um Verschwörungstheoretiker ausfindig und "unschädlich" zu machen und dabei selbst paranoischen Strukturen anheimfallen, durch die sie für unschuldige Bürger und die Freiheit im Lande extrem gefährlich werden können) anschlagen - und mancher hat sich so schon ziemlich tödliche Bisse eingefangen, wenn man von Bissen in diesem Zusammenhange denn sprechen darf, ohne wiederum einer Verschwörungstheorie bezichtigt zu werden.

Sonntag, 19. April 2009

676.

Also ein ästhetisches Verhältnis zu Zahlen hat er, der Buchhalter, sagte der Diskurswart, und schmunzelte, denn irgendwie hatte er es zum ersten Mal aus der Kommentarebene in den Hauptteil geschafft, ohne zu wissen, wieso eigentlich, und er sah sich - geführt von und ins Gespräch vertieft mit dem Demokratiebeauftragten - in den Räumen der EinSatzLeitung aufmerksam um, hatte bereits einen grantigen Blick von dem Foto der Dame Ö, das diese an ihrem Arbeitsplatz aufgestellt hatte, um sich stets würdig vertreten zu wissen, aufgefangen und ließ sich, soeben am Schreibtisch des Buchhalters verweilend, erläutern, daß sein beherztes Eingreifen gegen weitere Abkanzelungen von Altkanzlern (im letzten Fall hatte es Karomütze und sogar manche weibliche und schwangere EinSatzKraft in den Fingern gejuckt, einmal einen Jung-Alt-Kanzler abzukanzelne) trotz üppiger Gelegenheit die Chefin bewogen habe, ihn einmal näher mit der eigentlichen Arbeit der EinSatzLeitung bekannt zu machen, wenn auch vorläufig nur am Sonntag bei leeren Räumlichkeiten und unter wachsamer Begleitung durch die diensthabende Kraft.

Samstag, 18. April 2009

675.

Ab und an konnte die Kreativleitung ihre Sarkasmen völlig vergessen und sich ganz und gar für etwas begeistern, so auch an diesem Morgen, als sie mit einem gleichsam frommen Zug in ihren Augen und einer Tasse Kaffee für den Kwaliteitswart in der Hand sich an den Tisch im „Bistro“ setzte, an welchem der schlaksige Kerl aus den Niederlanden schon saß, und sagte: ich war noch nie so dankbar für die in den Medien berichteten Koinzidenzien, wie wäre es uns (nach diesem Fehler gestern) nur ergangen, wenn es gewisse Auffahrunfälle nicht gegeben hätte und wenn nicht ausgiebig darüber berichtet worden wäre, es hat mir nur leid getan, daß sie von einem verletzten Zugfahrer berichten mußten, bitte können Sie ihm nicht Blumen bringen und einen lieben Gruß von uns und etwas für seine Angehörigen tun, denn im Grunde – und dabei konnte sie es einfach nicht unterlassen, die Hand des Kwaliteitswarts zu berühren - liebe ich die Lokführer über die Maßen, ich sehe sie in allen Altersklassen vor mir, diese kleinen Abenteurer, wie sie sich schon als Kinder freuen, was sie einmal für große Züge durch die Gegend fahren werden, wie anders dann die Züge aussehen, auf denen sie wirklich unterwegs sind, wenn sie groß sind, wie schwierig und traurig auch oftmals ihre Aufgabe ist, und ... okay okay, sagte der Kwaliteitswart, und legte die Hand der Kreativleitung freundlich wieder zur Seite (ganz ohne rot zu werden - und auch sie wurde nicht rot, denn sie hatte sich so sehr für die Lokführer begeistert, daß sie erst viel später bemerkte, was für eine Geste das gewesen war, und da hatte sie sich glücklicherweise schon ein wenig vom Kwaliteitswart erholt), wir fangen noch einmal von vorne an, die Lokführer fallen doch gar nicht in Ihre Zuständigkeit.

Freitag, 17. April 2009

674.

Es ist etwas schiefgegangen mit der Zählung, sagte der Buchhalter, und diesmal versteh ich es echt nicht, auf unserer Uhr war längst Freitag, als die Kreativleitung den letzten Text über Karomütze und Pestvogels abgesetzt hat, aber erscheinen tut der EinSatz als DonnerstagsEinSatz, und jetzt ist der Freitag fast rum und wir scheinen zum ersten Mal mit nichts da zu stehen, das geht doch so nicht.

Donnerstag, 16. April 2009

673.

Als Karomütze sichtlich erleichtert, weil er von einem eher riskanten AußenEinSatz zur Rettung der Freiheit wildfremder Frauen unversehrt zurück war und sogar einen Parkplatz ganz in der Nähe gefunden hatte, vor der Tür der EinSatzLeitung auf einen durch den Schrah-Streit noch ein wenig verwirrten Pestvogel traf und diesen mit nur leicht ironischem Schuhschnippen grüßte, da juckte es ihn angesichts von Pestvogels' sichtlicher Derangiertheit ein wenig, den alten Intermeddler und Nörgler zusätzlich anzupesten, um ihm endlich mal wieder zu zeigen, was eine Harke ist, und so rief er ihm zu: Mann, Pestvogels, wie ist das eigentlich bei euch, ab wann glaubt ihr wirklich, daß ein Nein auch ein Nein ist und bleiben wird und durch keine eurer Zudringlichkeiten und Umdeutungen zu einem Ja wird, ab wann traut ihr sagen wir mal einem Menschen, den ihr einmal unter euren Schnabel genommen habt, zu, daß er könne, was die Brachvögel empfehlen, wenn sie immer sagen "in eurer Rede sei ein Ja ein Ja und ein Nein ein Nein," und unter den gespannt zwinkernden Blicken des ein wenig müden Sicherheitsbeauftragten bewegte sich des Pestvogels Schnabel rasend abwärts, als wäre plötzlich etwas wie Blei in seiner Spitze gebunkert und zöge sie unwiderstehlich hinab, aber mit großer Anstrengung riß der alte räudige Knabe ihn wieder nach oben und schrasterte entnervt, wann wird man mich endlich mit den Brachvögeln in Ruhe lassen, erst schmeicheln sie einem, daß es einem ganz schlecht wird, um sich die pestvogelige Methode für ihre speziellen missionarischen Zwecke anzueignen, dann machen sie einen plötzlich nach, und schraaaah - welch jammervoller Schrei entrang sich dem mühselig hochgerissenen pestvogeligen Großschnabel, er hätte einen hartgesotten züchtigenden Brachvogel irritieren können, von denen war aber keiner zugegen, nur hatte es den Anschein, als wollte das Blei, welches zuerst den Schnabel des Pestvogels versenkt hatte, nunmehr unauffällig in Karomützens Handrücken hinüberrutschen, weshalb dessen Fäuste sich unweigerlich tief und tiefer in seine Hosentaschen bohrten, eine höchsteigenmächtige Maßnahme seiner Hände, welche ihn immerhin daran hinderte, Pestvogels gebeutelten Unkopf zu tätscheln und zu sagen, lass gut sein, Junge, reg dich nicht auf, in Wahrheit liebst du die Brachvögel, und das wehrst du nur ab, ist es nicht so, wegen des Bleis aber ließ Karomütze dies alles lieber stecken wie seine Fäuste in den Hosentaschen und ging, einen knapp mitleidigen Gruß ausspuckend, in das Haus, in dem sich recht weit oben die EinSatzLeitung befand, den Pestvogel mit seiner kleinen und durchaus unvollendeten Lektion einstweilen allein lassend.

672.

In der Kreativabteilung, deren Leitung sich für die Aufregungen um das Protokoll des Minderheitlers mit den grünen Borsten herzlich wenig scherte, klingelte unterdessen dauernd das Telefon, Nachfragen der absurdesten Art gingen ein, und schließlich antwortete sie nur noch genervt, haben wir denn keine Leitung Öffentlichkeit, wieso wird neuerdings alles zu mir direkt durchgestellt, und als sie nach einem dieser Anrufe völlig verzweifelt auf ihr Mo schaute, das angelegentlich in einem bedruckten Buche herumkritzelnd auf der Fensterbank hockte, wobei es trotz des Frühjahreswetters seinen nun doch ein wenig dicklichen und schweißtreibenden blauen Mantel keineswegs ablegen wollte, da ließ dieses selbe Mo nur ein winziges Lächeln über sein Gesichtchen huschen und sagte, du weißt doch, daß die Leitung Öffentlichkeit Urlaub genommen hat, sieh es einfach mal als Unterhaltung an, wenn man dich anruft, in einer Woche wird es doch wieder damit vorbei sein.

Mittwoch, 15. April 2009

671.

Am anderen Morgen war im "Bistro" einiges los, denn der Minderheitler mit den grünen Borsten hatte es offenbar mit seinem betont schlampig beschriebenen Protokoll darauf angelegt, vorgeladen zu werden und die Chefin zu brüskieren, eine Sache, mit der so niemand mehr gerechnet hatte, so daß sie ausgiebig besprochen werden konnte; die Chefin freilich ließ sich mit irgendwelchen Disziplinarverfahren Zeit durchaus, vom Buchhalter glaubte sie wohl einstweilen nichts befürchten zu müssen, auch den Blick in die anderen Richtungen ertrug sie gelassen, und von dem, was sie im einzelnen mit dem Demokratiebeauftragten in ihrem Büro verabredete, um wieder etwas Ordnung in den Laden zu bringen, drang nichts nach außen.

Dienstag, 14. April 2009

670.

Sitzung der EinSatzLeitung

Sitzungsleitung: Chefin
Protokoll: Minderheitler mit grünen Borsten

Ich zeig euch jetzt mal, wie man ein richtiges Protokoll schreibt.
Tagesordnung, okay, Feststellung der Anwesenden usw. geschenkt.

Wichtig: Die Hälfte der EinSatzKräfte fehlt, mindestens, und das ist meine Chance. Denn sonst kommen bei uns die Minderheitler nie zum Zuge, auch wenn die mit der ewigen blauen Bluse hartnäckig optimistisch das Gegenteil behauptet.

Die Sitzung ist zu spät anberaumt worden, und obwohl es Sache des Buchhalters gewesen wäre, sie rechtzeitig gegen 658 an die Sitzung 660 zu erinnern, auf dem langen Dienstweg über den Oberassistenten, den Demokratiebeauftragten und die Dame Ö, versteht sich, hat die Chefin anständigerweise die Verantwortung übernommen. Eigentlich müßte ich aus meiner minderheitlerischen Perspektive etwas zu mäkeln finden, aber mir erscheint es höchst anständig, was kann ich machen?

Ja, dann haben wir ein wenig über die Sache mit den Zahlen geredet, die Assistentin K in ihrer neuen Rolle als allgemeinste Verteidigung war echt gut gewesen, aber der Bauch ist mir allmählich doch ein bißche dicke, und einmal konnte sie ein Bäuerchen nicht unterdrücken, ab und zu wirft der Bauch Beulen, und irgendwie kann sie es sich nicht verkneifen, trotzdem eng anliegende Hängerchen zu tragen. Die Leitung Öffentlichkeit, in bauchmäßiger Hinsicht gleichauf, ist da bißchen dezenter, hat aber wohl auch mehr Schotter zur Verfügung für ordentliche Kleidung.

Ja, was haben wir noch so geredet? Da war noch was, aber ich habs vergessen. Das gibt Ärger, nehm ich an. Aber sollen sie doch sehen, wie sie klar kommen.

Protokoll ist Protokoll.

Und Tschüß.

Montag, 13. April 2009

669.

Die Auseinandersetzung zwischen der Chefin und der Kreativleitung in dieser Frage waren nicht abgeschlossen, sondern lediglich auf die nächste Sitzung vertagt worden, welche mit zehn Tagen Verspätung würde stattfinden müssen, und als die Chefin dies entdeckte, erwog sie ernsthaft, den Buchhalter umfänglich und vor der gesamten EinSatzLeitung zur Rechenschaft zu ziehen; als sie sich jedoch vorsichtig bei Karomütze erkundigte, was denn dieser Buchhalter über Ostern so treibe, da erhielt sie zur Antwort, er habe sich - in Ermangelung präziser Kenntnisse der englischen Idiomatik - bei einer Firma mit dem Namen "Self-storage" angemeldet, um sich selbst ein wenig zu lagern, einzulagern, abzulagern, was auch immer, denn da er sonst nichts mit sich anzufangen wisse, sei ihm die Idee der Selbstlagerung als eine einleuchtende Möglichkeit erschienen, und als die Chefin das hörte, entschied sie sich dafür, seine Verfehlungen lieber gnädig zu bedecken und den Minderheitler mit den grünen Borsten um die Erfindung einer plausiblen Rechtfertigung für die Verschnarchtheiten des Buchhalters zu bitten (die Verteidigung K wollte sie dafür nicht zuständig sein lassen, denn diese würde voraussichtlich auch in Zukunft etliche EinSatzKräfte gegen den Buchhalter zu verteidigen haben, da mußte man sich ja nun nichts vormachen).

Sonntag, 12. April 2009

668.

Findest du es nicht ein bißchen übertrieben, um nicht zu sagen übergriffig, das Design des EinSatzBuches ausgerechnet zu Ostern eigenmächtig zu verändern, fragte die Kreativleitung ihre Freundin, bei der sie zu einem opulenten Frühstück eingeladen war, und die Chefin sagte, nun sei nicht so, es sieht doch wirklich hübscher aus, und während Mo zustimmend nickte und ausnahmsweise einmal nicht nur Honig, sondern auch ein bißchen Eigelb zu sich nahm, dabei begeistert die Bewegungen der Katze der Chefin mit den Augen verfolgend, murrte die Kreativleitung, man hätte das wenigstens mit ihr abstimmen sollen, so etwas falle doch nun wirklich in ihr Ressort.

Samstag, 11. April 2009

667.

Nun ist es also heraus, der Buchhalter kann nicht rechnen, sein Kopf ist leer wie ein nichtmessianisches Grab, und so hübsch es wäre, wenn wir jetzt schon aufhören könnten, wir müssen leider weitermachen und den Buchhalter mal wieder in eine Fortbildung schicken, sagte die Chefin, die über die Feiertage höchstselbst die Aufsicht über die Angelegenheiten der EinSatzLeitung führte, da alle anderen sich wenn nicht physisch, so doch immerhin mental verabschiedet zu haben schienen, und dann mußte sie ein wenig schmunzeln, denn an sich wäre es doch ein schönes Ende gewesen, dachte sie, mit einem Buchhalter, der sich verrechnet und deswegen die ganze Sache vor die Wand und an ihr Ende fährt, dazu an genau diesem Feiertage, da hätte man das konzeptionelle Straucheln ziemlich gut auf den Punkt und an denselben gebracht, und eine große Leserschaft hätte Trauer getragen, sich dafür aber fieberhaft nach einer Nachfolgeattraktion umgesehen, und die Chefin lächelte still.

Freitag, 10. April 2009

666.

"...yet him for this, my love no whit disdaineth; suns of the world may stain when heaven's sun staineth," beendete die Dame Ö ihre heutige Shakespeare-Deklamation, denn irgendetwas Feierliches muß der Mensch an so einem "glorious morning" doch tun, fand sie, selbst wenn er im übrigen nichts weiter vor hat, als wieder den ganzen Tag zu arbeiten, selbst wenn er wieder nur am Schreibtisch sitzen und übersetzen wird, um irgendwann wieder Zeit für die Mode-Schneiderei herauszuschinden, und sie öffnete das Fenster, um noch für einen Moment der Stadt zu lauschen, welche sich auf alle Weisen zu Gehör brachte: außer den unablässig vorbeirollenden Autos war eine ferne S-Bahn zu erkennen, dazu das hier und da aufkrächzende Geschrei der Krähen, die zu anderem nun einmal nicht imstande sind, das allmählich zu einem Grundgesumm werdende Lärmverhalten der kleineren Vögel, wenig Gegurre von Tauben, aber in etwas größerer Ferne wieder und wieder die Signalgeräusche von EinSatzFahrzeugen, die immer von irgendwem zitternd erwartet werden.

Donnerstag, 9. April 2009

665.

Die Sonne schien, Vögel machten ihren süßen Lärm, ein Schornsteinfeger wedelte mit seinen Seilen auf dem gegenüberliegenden Dach, und die Chefin machte sich bei bester Laune daran, die Briefe und Presseerklärungen zur Abweisung von Mißverständnissen, welche ihr von der Leitung Öffentlichkeit und der allgemeinsten Verteidigung vorgelegt worden waren, durchzusehen und abzuzeichnen: sobald mal eine Religion auch nur gestreift wird, ist ja gleich der Teufel los, da fühlen sich die einen durch irgendeine in ihrer Ironie nicht verstandene Bemerkung beleidigt, die anderen nicht ernstgenommen in ihrer großen Bedeutung für die Welt, wieder andere in höchst aggressiver Weise bestätigt in dem, was sie immer schon über die schlechte Verfassung der Welt zu vermelden hatten, und in alledem "ein gut weltlich Regiment" zu erhalten, das wird nie eine kleine Sache sein, dachte sie, bis sie auf einen Bericht stieß, von dem sie glaubte, in dieser Sache müsse man nun doch den mäßigenden, wohlwollenden, gleichbleibend freundlichen Ton durch einen anderen ersetzen, nicht in der offiziellen Diplomatie, aber doch wenigstens hier, in der EinSatzLeitung, und sie rief empört die Kollegin Verteidigung an und fragte, wissen Sie nicht, was ein iranisches Gefängnis ist, Verhandlungen mit der Regierung, klar, neue Tonlage, sicher, aber wo es keinen Rechtsstaat in unserem Sinne gibt, da muß ein Land seine Bürger herausholen, wenn sie in das Gefängnis geraten sind, mit allen Mitteln, da muß laut gesagt werden, befreit Roxana Saberi, und die Verteidigung sagte, sie sind doch schon da dran, sie versuchen es doch schon mit allen Mitteln, wer weiß, wie die Dame dahin gebracht wurde, die angeblich zugegebenen Delikte zuzugeben, da sorgt man sich nicht nur hier, aber Sie wissen ja wie das ist, "Einmischung in innere Angelegenheiten" etc., der Haustyrann, wenn man ihn nennt wie er genannt zu werden verdient, fühlt sich herausgefordert, nun erst recht zu zeigen, was er kann, man braucht also wieder einmal irgendetwas, das ihn substantiell motivieren kann, die Gefangene herauszugeben, wir hoffen in dieser Sache alle auf die amerikanische Außenministerin, also: befreit Roxana Saberi.

Mittwoch, 8. April 2009

664.

Wieder einmal erhielt die Chefin ein Bulletin mit umständlichsten Ausführungen eines Herren, der hinsichtlich einer Problemperson empfahl, erst einmal ganz zu reduzieren, dann werde sich da in der Seelenwüste dieses widerborstigen Menschen schon etwas regen, das dann ganz wunderbar prächtig sich entfalten werde zu großer Blüte des Geistes, und dann werde man in dieser Problemperson usw., und die Chefin hatte nach zwei Seiten irgendwie genug, nahm den Hörer in die Hand (heute kommt ja dann immer der ganze Apparat mit, warum dachte sie das immer noch jeden Tag, fragte sie sich und tätschelte die Blüte ihrer stillen Orch-Idee freundlich und gedankenverloren am Kinn), wählte die Nummer dieses Herren, der am anderen Ende der Leitung auch direkt anweste, und fragte nach kürzestem Dank für die Sendung: warum sind Sie eigentlich so sicher, daß es unter abgeräumten Bedingungen allen Menschen gleich ergehen und daß sie, bei entsprechender Zurichtung, tatsächlich so reagieren - bzw. "agieren" - und streben werden, wie Sie das erwarten, die zur Häuslichkeit bestimmte Frau ins Haus, der zum Regieren bestimmte Mann in regierende Ämter, der Moslem in die Moschee, der Jude in die Synagoge, der Christ in die Kirche und der Buddhist auf sein Meditationskissen, der Banker in die Bank und die Verkäuferin an ihren Stand, aber alle nunmehr grundgereinigt und in tiefer Zustimmung zu ihrem Schicksal, und wie verträgt sich eigentlich ihr laut bekannter Gottglaube damit, daß Sie selbst für andere so sehr gern Gott spielen?

Dienstag, 7. April 2009

663.

Da ist ein längerer Entwurf über atomaren Overkill und das Adoptionsproblem von Madonna, sollten wir den nicht einmal ins Netz stellen, fragte die allgemeinste Verteidigung die Kreativleitung, welche indes antwortete, erstens bist du nicht mehr meine Assistentin (obwohl ich das sehr bedauere), zweitens würdest du als allgemeinste Verteidigung aus dem Verteidigen gar nicht wieder herauskommen, wenn du diesen Beitrag absetztest, und drittens habe ich hier etwas von Karomütze, das auch nett ist, er hat angefangen, in seinem Alfa ein kleines "Radio Karomütze" einzurichten, indem er, sobald er losfährt, Reden an die Nation hält, mit allem möglichen Blödsinn, der ihm gerade so einfällt, und dabei immer so tut, als wäre er jemand wie dieser, wie heißt er nochmal, aus dem Münsteraner Tatort, der immer so viel quatscht und einen Porsche fährt, heißt der nicht wie einer von den durchgeknallten Megaliberalen des 19. Jahrhunderts, dem Heine noch zu rechts und zu bürgerlich war, Börne war das doch, der "Menzel, der Franzosenfresser" geschrieben hat, ja, genau, also darüber wollte ich heute eigentlich schreiben, wie Karomütze Radio Karomütze erfindet und Börne und Börne in einer Person zu imitieren und vielleicht auch zu überführen versucht, weil das Überführen nun einmal sein Job ist.

Montag, 6. April 2009

662.

Selten hatte man sie so strahlen sehen, die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse, wie an diesem sonnigen Montagmorgen im April, denn die Chefin, nachdem sie den klitzekleinen Forschungsminister befriedet hatte, war doch tatsächlich zu ihr gekommen und hatte sie gefragt, was wären denn die wirklich wichtigen Themen, die man zu diskutieren hätte, und die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse hatte, ein wenig stotternd noch vor Überraschung, gesagt, es ging doch mal um Gefangene, um öffentliche Gefangene und um private Gefangene, und es ging doch mal darum, in den Ländern, in denen man sich einsetzt, die zu unrecht Gefangenen zu befreien und denen, die in bezug auf Frauen Schutz mit Knebelung verwechseln, vorzustellen, wie wenig dies langfristig zum Gedeihen eines Landes beitragen kann, und, sich in eine kleine Begeisterung redend, die sie selbst nicht ganz verstand, hatte sie ausgemalt, wie wunderbar es hingegen nach ersten Übergangsschwierigkeiten sein könne, wenn man Würde und Wünsche der Damen gleich hoch achte wie die der Herren, wenn man durch das Recht auf freie Wahl der Partner und schadensbegrenzte Ehescheidungen die gewünschten Ehen oder nichtehelichen Verbindungen von Zwang entlaste und glücklicher mache (da hätte man auch hierzulande noch einiges zu tun, ergänzte sie, wieder etwas fahler um die ewig rot geränderten Augen werdend, fing sich aber sofort wieder und sagte), es ging doch mal darum, Sicherheit durch die Arbeit an friedlichen Kooperationen statt an der Produktion von Schlafmitteln herzustellen und den Hass der radikaleren Kräfte sozusagen "pointless" zu machen, ja, hatte sie ihre Rede enden lassen, und wo ist das bitte alles geblieben, die Chefin aber hatte gesagt, sie danke für dieses Gespräch, und dann hat sie sich tatsächlich an die Arbeit gemacht, sagte die Minderheitlerin zum grünborstigen Minderheitskollegen, als sie diesen nun mit seinem ewigen Kräutertee im "Bistro" traf, sie muß von allen unseren Einwendungen wirklich etwas aufgenommen haben, das faßt man doch nicht, sagte sie, und der Minderheitler mit den grünen Borsten sagte, wir wollen es mal nicht übertreiben mit unserer Begeisterung, wie.

Sonntag, 5. April 2009

661.

Was ist eigentlich der Unterschied zwischen den Seelenweisheiten der Pestvögel und denen der Kreativleitung (die ja schließlich davon geradezu zu leben scheint), fragte die Chefin wie nebenbei den klitzekleinen Forschungsminister, um ihn von seinen finsteren Erwägungen über deutsche Sprache und Polizei abzulenken, Sie können so etwas doch immer so schön genau sagen, und der klitzekleine Forschungsminister, welcher sich nicht lange bitten zu lassen pflegte, zupfte ein wenig an seinem schütteren Haar herum, knackte ein wenig mit seinen Fingerchen und sagte dann, ähäm, außer dem Evidenten, also: hier Freihändigkeit, da Schematismus, hier Empathie, da Objektbetrachtung, hier Würde und Gegenseitigkeit als Methode, da Entwürdigung als nicht einmal bemerkter Kollateralschaden der Einseitigkeit der Perspektive, nehme ich an, die Kreativleitung weiß einfach und stellt in Rechnung, daß die Reaktionen eines Menschen auf äußeren Druck sich von denen auf inneren auf der sichtbaren Oberfläche und wenn man den Menschen isoliert als Objekt betrachtet, nicht wesentlich unterscheiden, und die Pestvögel wissen dieses in der Regel nicht, so daß ihre Betrachtungen und ihre Maßnahmen sehr häufig die Menschen, die unter äußerem Druck leiden, nicht befähigen, diesem besser standzuhalten, sondern umgekehrt selbst zu einem Faktor in wachsendem äußeren Druck werden, und die Reaktionen, die sie auslösen, nehmen sie zum Anlaß, den Druck eher noch zu verstärken, etc. sie erzeugen also oftmals einen circulus vitiosus oder eine Absurdität wie die der Wattestäbchen - aber eigentlich mag ich die Kreativleitung gar nicht, wie Sie wissen sollten, und im übrigen ist heute Sonntag.

Samstag, 4. April 2009

660.

"Wie wollen wir ein Produkt verkaufen, wenn wir so dermaßen alle Welt provozieren und gegen uns aufbringen, unsere letzten Fürsprecher brüskieren und unsere Produktionen geradezu auf mißverständliche und uns selbst nur schädliche eins-zu-eins-Anwendungen, die wichtigste Persönlichkeiten beleidigen können, zuschneiden, dadurch gefährdet dieses durchgeknallte Mo auf seinen neuerlichen B-Ebenen doch alles," ereiferte sich die Leitung Öffentlichkeit und hielt sich den Bauch in ernster Besorgnis um ihren Job, der immerhin am Schicksal der EinSatzLeitung hing, aber die Chefin lächelte ruhig und sagte, "wann werden Sie endlich verstehen, daß man gar nichts produzieren und tun kann, wenn man immer schon die Empörungen der anderen antizipiert, die man - da ja andere auch souverän sein wollen könnten - möglicherweise gar nicht auslösen wird, und wie wollen Sie die Leute dahin bewegen, ihre eins-zu-eins-Anwendungen und ihre jammervoll expertösen Vorurteile aufzugeben, wenn Sie nicht einmal einen halben Tag lang imstande sind zu ertragen, daß die Leute nun einmal das denken und sagen, was sie sowieso immer denken und sagen, wenn man Ihren Befürchtungen glaubt?"

Freitag, 3. April 2009

659.B

Ein übersättigter alter Brachvogel, welcher auf seinem Kopfe oftmals einen edlen Putz und an seinen Krallen feine rote Schuhe trug, nahm einem jämmerlich sich mausernden Huhn die Beichte ab. Das Huhn sagte, Bracher, ich habe gesündigt. Was ist deine Sünde mein Kind, flötete der zweitoberste Brachvogel, und das Huhn antwortete: als man mich wieder einmal abtastete, ob endlich ein erwartetes Ei kommen würde (ein Vorgang, der unter manchen Menschen übrigens als Tierquälerei gilt und verboten ist), wurde ich zornig und drückte das Ei so heraus, daß es platzte.
Das ist eine schwere Sünde, Hühnchen, sagte der Pater, dafür wirst du viele Rosenkränze beten müssen und dein Leben lang in einem Käfig sitzen und nur noch zerborstene Eier legen. Da legte das Huhn dem Brachvogel ein zerborstenes Ei direkt vor den Schnabel, drehte sich um, und ging, die restlichen seiner Federn ausschüttelnd, davon. Sein linkes Auge mußte dabei beständig lachen, während das rechte unentwegt traurige Tränen weinte.
Der übersättigte alte Brachvogel ließ das Ei von einem bediensteten Brachvogel wegräumen und rief den nächsten Beichtling zu sich, einen Hahn, der sich vorgenommen hatte, sein permanentes Zusammenkrähen der Nachbarschaft zu bestreiten und lieber Sünden beichtete, welche er gar nicht begangen hatte. Der alte Brachvogel hörte die gut zubereiteten Sünden geduldig an, gab dem Hahn drei Rosenkränze und einen Hilfsgang für eine arme alte Nachbarin auf und sagte ihm dann in ermahnenden Worten, er müsse nun zusehen, daß er seine bemerkenswerten Fähigkeiten recht bald zum Wohle aller einsetze. Der Hahn zog davon und definierte sofort sehr eifrig das Wohl aller.
Der übersättigte alte Brachvogel war überglücklich, denn er glaubte, nun habe er die Welt wieder ein bißchen mehr in Ordnung gebracht.

659.

"Komm in die Puschen!" schrie Karomütze gerade einem vor ihm fahrenden Fahrschulauto zu, als ein Wasserbeutel, den irgendein Idiot von einer der etwas vielen Yorckbrücken in seinen endlich wieder mit offenem Dach fahrenden schwarzen Alfa geworfen hatte, genau die Hand traf, mit welcher er die verschiedenen Gänge so kunstvoll wie gedankenverloren einzulegen pflegte - und das gefiel ihm eher nicht so.

Donnerstag, 2. April 2009

658.

"They often sandpaper over the names and file off the registry numbers, doing their best to render the boats, and themselves, untraceable," las der Kwaliteitswart laut auf seinem Palm, als er auf Anweisung der Dame Ö vor dem Chefinnenbüro wartete, wo er angemeldet war, um gemeinsam mit der erheblich angeschwollenen Leitung der Abteilung Öffentlichkeit, dem klitzekleinen Forschungsminister und dem Demokratiebeauftragten über die Frage "Plan oder Nichtplan" zu diskutieren, und die Dame Ö sagte im Schwunge des einzigen Frühjahrsgefühles, das sie sich in diesen Tagen erlaubte, sie liiiebe diese Fähigkeit der englischen Sprache, aus wirklich jedem Substantiv ein unmittelbar einleuchtendes Verbum zu machen, selbst noch aus so etwas Abscheulichem wie Sandpapier.

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