Dienstag, 29. Dezember 2009

930.

Das Gespräch im Chefinnenbüro verlief sehr anders als die Kreativleitung es sich vorgestellt hatte, die Chefin war verärgert, sagte, du mußt dich mal um Mo kümmern, man erkennt so nicht, daß sie weiter gegen den Fanatismus an schreibt, mit dem die Leute auch in unserer Kunst schon wieder alles durch Blut beglaubigen wollen und ihre Messerleidenschaften für pädagogisch halten, ich weiß, du redest von China, zum Beispiel (Liu wird verhaftet, prompt "ist ein Stern geboren" - das ist dort vielleicht etwas wie Trost, nur hier ist es immer begleitet von der Botschaft von der Verhaftung als Wertschöpfung) aber unseren Provinznasen leuchtet es so nicht ein, man hält sie - und dabei verwies die Chefin auf einen Stapel von Stellungnahmen und Expertisen und Gutachten und Einwendungen - für eine Narzißmus-Figur usw., du kennst dich gut genug aus um zu wissen, welche Folgen das hat, und die Kreativleitung nickte grünlich --- schwierig, da eine Verteidigung zu finden, sagte sie schließlich, apropos, wo bleibt denn eigentlich die allgemeinste Verteidigung, aber dann erinnerte sie sich ihres eigenen Schwurs und sagte, okay, also einen Haken, wir machen heute mal was anderes: zum Beispiel erklären wir einem Redakteur von der FAZ, der ein anonymes Tagebuch in seinem Büro gefunden hat, sich über dessen Unzulänglichkeit mokiert und sich nun wundert, daß niemand für dieses Tagebuch die Verantwortung übernehmen will, in dem die deutsche Geschichte nicht vorkomme, diesem Herren Redakteur also halten wir einen Vortrag über Gattungen und erklären ihm, daß Tagebücher keine Tageszeitungen sind und daß man in ihnen nur das unterbringt, was man entweder mit Datum erinnern will, weil es - anders als die Tagesereignisse - dem Vergessen anheimfallen wird, und oftmals vor allem das, was man anders als das politische Tagesgeschehen nicht mit den Bekannten und Verwandten am Tisch besprechen und auch nicht in die Artikel, an denen man im Büro gearbeitet hat, schreiben kann, daß Tagebücher, m.a.W., nicht die wahren Gedanken des Schreibers mitteilen (er hielte sich denn für besonders bedeutend und schriebe immer schon für die Nachwelt), sondern Beiprodukte sind, Abfallhaufen, die der "Eigenethnologe" auch nicht sofort beseitigen wird, die aber auch nicht gerade vollumfänglich Auskunft geben über sein Leben und seine Gedanken, sondern eben nur über den Müll derselben.

6 Kommentare:

Chefin hat gesagt…

Und was soll das bringen?

kreativleitung hat gesagt…

1. ist es gut für den Narzißmus derer, die sich hauptberuflich für mit der Welt verbunden halten: ihnen wird in Gestalt dessen, was sie für die Welt und also ihre eigene Extension mit Ansprüchen halten, die gebührende Aufmerksamkeit zuteil, 2. dreht es das Teleskop um, und 3. gewinnen wir Zeit, um unter uns zu klären, welchen Status wir Mos blutiger werdenden Geschichten geben wollen.

Demokratiebeauftragter hat gesagt…

Brauchen wir diese Zeit?

Karomütze hat gesagt…

Ich finde die Idee gut, sie ist offensiv, so geben wir ihnen was zu tun anstatt uns weiter durch solche Expertisen und wie hieß das alles aufhalten und vor ihnen her treiben zu lassen, nein?

Diskurswart hat gesagt…

Er kann doch mehr als kurzfristigste Sicherheit, sieh mal an.

Oberassistent hat gesagt…

Ick vastehe nur Bahnhof.

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