Die EinSatzLeitung schreibt mit Gästen ein Buch. Pro Tag darf jede Person einen Satz einsetzen, die EinSätze werden fortlaufend numeriert. Auf der B-Ebene gibt es längere narrative Stücke. Die EinSatzKräfte und ihre Texte sind sämtlich rein fiktiv und frei erfunden. Alle Rechte bei der Autorin.
Mittwoch, 19. August 2009
798.
Bei einem der Frühstücksgespräche auf der sommerlichen Veranda fragte die Gattin des ehemaligen Chefs den Herrn Precuneus, was seiner Ansicht nach der Grund sei, aus dem bei manchen Menschen tatsächlich das Prinzip "Wahrheitskommission" funktioniere, und sie erwartete eine Antwort von Versöhnung, Mitmenschlichkeit usw., sie sagte, es sei ihr auch klar, daß alle möglichen Chefstrategen und -strateginnen sich berufen fühlen würden, vom Zwang zu Frieden und Kooperation zu reden, und daß der ehemalige Chef versuchen würde, seine Nachfolgerin zu überbieten, indem er sagen würde, dabei müsse man eben auch mal langfristig denken, aber ihn bitte sie um eine ehrliche Antwort, es heiße ja auch nicht Versöhnungskommission; da bekam Mr. Precuneus ein ganz blankes Gesicht und sagte, es gibt mehr Menschen als man denkt, die durch nichts als die Tatsache, daß man an ihnen etwas vornimmt, ohne sie darüber aufzuklären, was, so schwer gekränkt sind, daß sie entweder, wenn sie friedlich geneigt sind, einfach sterben, oder daß sie, wenn sie aggressiv sind, eben auf Rache sinnen, in Unwahrheit gehalten zu werden, aus welchen Gründen auch immer, unter dem Satz "du sollst nicht merken, aber mitmachen" bezwungen zu werden, ist ein Krebs, den ein freier Mensch hassen muß - und es gibt nur ein einziges Mittel dagegen, lange bevor man anfängt, von Versöhnung zu sprechen, (es war übrigens einer Ihrer ehemaligen Präsidenten, Verehrteste, der dieses Mittel nicht weniger konsequent benannt hat als unser Mandela), und dieses Mittel heißt Klarheit und Wahrheit, Tun, was man sagt, und Sagen, was man tut, denn nur dann hat ein Mensch, "an dem" und "mit dem" und "für den" man vermeintlich etwas tut, die Freiheit, ja oder nein zu sagen, und nur wer diese Freiheit wirklich hat, kann auch sagen, so weit verzeihe ich, und hier fordere ich rechtliche oder sonstige Schritte, und jeder, der eine Untat verziehen haben möchte, muß erst einmal eine solche Lage wieder herstellen, wer eine andere Art von Versöhnung erschleichen oder erzwingen oder erstrategiseieren will, wird die Freiheit im Menschen oder, wo ein Mensch sie sehr liebt, diesen Menschen ermorden oder sterben oder beides, denn bei uns geht es um nicht weniger, und nun, zum zweiten Teil Ihrer Frage, daß die Kommissionen Wahrheitskommissionen heißen, hat seinen Grund darin, daß die Opfer nichts wieder bekommen können, aber immerhin das Wissen über ihre Lage und ihre Verursacher, und ohne das kommen sie nie wieder zur Welt - mich hat, fuhr er nach einer kurzen Unterbrechung und einem Blick auf das erstaunte Gesicht der Gattin des ehemaligen Chefs, fort, eher gewundert, daß es bei vielen Tätern irgendeine minimale Einsicht oder gar so etwas wie den Wunsch nach einer solchen Klärung gegeben hat, manche waren wirklich erstaunt über die Wirkung der Wahrheit auch auf sie selbst, andere blieben unüberzeugt und dachten sich Gründe aus, aus denen sie ihre Untaten weiter beschönigen und zu Großtaten umdeuten konnten, und was alles nach oben kam, ist für viele wirklich hart gewesen, aber wer eines der Opfer wiederum um die Wahrheit betrog, würde bei uns jedenfalls geächtet sein, also bei denen, die Wert darauf legen, aus den alten tabubesetzten Verhältnissen herauszugehen, ohne den Respekt vor den Ahnen aufzugeben.
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22 Kommentare:
Was meinen Sie mit "Zur Welt kommen"?
Man kann für sich eine Ahnung haben, was gespielt wird, was geschehen ist usw., aber man kann erst wieder Menschen in seiner Nähe dulden und für sie ein Interesse entwickeln, wenn diese Menschen einen nicht mit Ahnungen über die von ihnen in bestimmten verletzenden Zusammenhängen gespielte Rolle allein lassen, sondern deutlich sind - so schwer es ihnen auch fallen mag, und in der Tat ist das das Schwerste, einem anderen ins Gesicht zu sagen, übrigens habe ich damals oder eben noch dies und jenes getan, und die meisten konnten es nur unter dem Zwang der Strafandrohung bei Verweigerung, unter der Lockung von Amnestie bei Mitarbeit, denn sie waren ja Täter geworden aus menschlicher Unverständigkeit und Feigheit oder Unbedachtheit.
Manche werden nie so menschlich, und für die sind wir dann da, oder wie?
Na, junger Mann, unser Metier ist das nicht so, was?
Manche Opfer oder Angehörige von Opfern wollten die Gesichter der Täter nicht sehen.
Man nötigte sie ja nicht, mit ihnen allein zu sein, das war wohl essentiell.
Man empfahl ihnen auch nicht, die Dinge einfach mal umzubewerten und beide Seiten zu sehen - man verließ sich auf die Kraft der Wahrheit und der Gerechtigkeit und faselte nicht von Vertrauen usw., sondern tat das, was nötig war, es wieder herzustellen.
Jedenfalls so war es der Idee nach, real ist wohl viel Bitternis geblieben.
Die wird man nicht per decret beseitigen.
Schnarch.
Am Ende ist Mo doch ein Schläfer.
Mo war in einer solchen Kommission, darum ist sie müde, wißt ihr, wie anstrengend das ist, es ist ja nicht so, daß man dann irgendwelche Wächter hinterher sympathisch fände oder mit dem Wissen, wie es war, gleich wunderbar zurechtkäme - sie könnte allerdings mal wieder einen Zettel herausrücken für eine B-Ebene.
Der Kumpel von Karomütze soll erstmal Manieren lernen.
See who's speaking!
Ist nicht das wichtigste Problem, dann auch klare Fragen und die richtigen Fragen zu stellen?
Sure.
Regelbruch!
Es ist noch nie jemand an der Wahrheit oder Unwahrheit über die Taten seiner Mitmenschen gestorben, es ist auch noch nie jemand an der Wahrheit genesen.
Vielleicht doch.
Das fällt nicht in meinen Zuständigkeitsgbereich.
Darum hat Sie auch niemand gefragt.
In den Zuständigkeitsbereich derer Brachvögel fällt es nun freilich auch nicht, ich finde die Ausführungen des neuen Kollegen sehr interessant.
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