Sehr geehrter Herr,
höflichst möchte ich mich für Ihren freundlichen Brief und Ihr Angebot, bei der Erbauung der Truppe mitzuwirken, bedanken. Ich weiß die Ehre zu schätzen und bin gerührt zu bemerken, daß Sie bemerken, wie sehr uns hier in unserer etwas abseitigen Einrichtung das Wohl und Wehe des Armeewesens unter Bedingungen der Demokratie am Herzen liegt.
Dennoch möchte ich mit einigen Bemerkungen zu Ihren Formulierungen Ihrer Anliegen nicht hinter den Berg halten:
1. Einspruch:
Sie schreiben, daß in einer Kampfeinheit Tag und Nacht trainiert werden müsse, damit jede Bewegung sitze und auch im Kampffall alle füreinander einstehen. Sie sagen ferner, dies passe nicht zu meiner Auffassung von der Entmenschung der Menschen, auch der Soldaten, durch totale Verkaderung.
Dazu erlauben Sie mir bitte folgende Fragen und Anmerkungen:
Was macht man, wenn man die Probleme, die in den Kampfeinsätzen gelöst werden müssen, sieht und dennoch absolut dagegen ist, daß irgend jemand wegen der Liebe zum Frieden und dem in Friedenszeiten entwickelten Individualismus (den ich nach wie vor für eine gute Sache halte, Antiintellektualismus und Antiindividualismus sind die Kernpunkte aller Faschismen, nicht ohne Grund, und sie spielen eine große Rolle in den klassischen Antisemitismen, das hat sich erst in den letzten Jahren geändert, in denen Israelis durch die Erfordernisse ihres Staatswesens selbst eine Armee brauchen und Kaderschulungen für nötig halten müssen, insofern für dieses Element des Antisemitismus keine kommode Angriffsfläche mehr bieten, während andererseits ein Antisemitismus ohne Israelkritik nicht mehr auskommt) verunglimpft werden kann?
Man hat also das Problem, daß die Menschen, die den Individualismus schätzen, nicht dieselben sein können, die ein Land, das ihn erlaubt, in militärischen Kadern schützen. Wenn gilt, was Sie über die militärische Ausbildung schreiben, ist der Mensch als Militär keiner mehr. Vom ersten Augenblick der Ausbildung an. Drill als Barbarei, radikale Entindividualisierung, Funktionalisierung. Das darf man Menschen nicht antun. Und doch tun wir es und erteilen politisch den Auftrag, es zu tun. Selbst noch Friedenshelden wie Ghandi haben sich auf ihre Weisen in diesem Sinne als menschliche Individuen im Durchgang durch das Nadelöhr der Verkaderung entmenscht (für seine Frau war der Mann der Horror, das geht ziemlich deutlich aus allem hervor, was über ihn geschrieben wurde).
Ich habe hier keine Lösung und keinen Ausweg. Ich weiß keine, wirklich nicht. Ich glaube, das Militärwesen wie viele dieser Einrichtungen, ohne die in der Welt nichts zu gehen scheint, wird immer ab irgendeinem Punkt zu dem Problem, für dessen Lösung es sich hält. Diese Einsätze zeigen das mit brutaler Deutlichkeit.
Wenn ich lese, was Sie schreiben, denke ich: Nein, diesen Menschen, diesen Institutionen, habe ich nichts zu sagen, sie wären eher ein Grund, Menschen wie mich aus der Welt zu verjagen. Ich wünsche in keiner Form, in solchen Kadern zu sein, und ich wünsche auch nicht, das weibliche, von der Funktionalisierung in Würfeln entlastete, dafür aber mit der Aufgabe, den rohen Jungs wieder ein bißchen Zartheit beizubringen, betraute Komplement zu diesen Kadern zu sein.
Diese Art von emotionaler Arbeitsteilung und radikaler Integration finde ich monströs. Und meine Arbeit, die Arbeit meiner Einrichtung, verstehe ich völlig anders.
2. Exkommunizierung und Friedenstraumatisierung
Alle diese Systeme (die militärischen wie die ihrer organisierten Kritiker) funktionieren nur, indem sie Wesen oder Fremdkollektive produzieren, die außerhalb leben und bearbeitet werden müssen, damit sie hineingehen, und die etwas Fremdes übrigbehalten müssen, damit man weiter was zu tun hat. Sobald etwa eine EinSatzLeitung (die niemandem schaden will und deswegen, nicht trotzdem, marginalisiert ist) erledigt wäre, sei es durch radikale Integration, sei es durch Elemination, müßte man wen neues finden, durch den man die eigene radikale Verkaderung rechtfertigen könnte.
Das alles wissen wir. Oder wir können es jedenfalls wissen. Ich reproduziere hier nur in Kürzestform Stoff, der an den philosophischen Fakultäten unserer Universitäten gelehrt wird, ebenso an den soziologischen und politologischen und psychologischen. Es gibt auch Theologen, die in ihren Reflexionen so weit kommen.
Angenommen wir wollen uns dieses gelehrte Denken erhalten, weil es für unsere Freiheit steht und die Freiheit denkt: und angenommen wir meinen wirklich, wir müßten unsere Freiheit am Hindukush verteidigen. Dann gehen da eben Soldaten hin und kämpfen nach allen Regeln der "Kriegskunst."
Wenn sie zurückkommen, haben sie also getötet und dürfen nicht verurteilt, dürfen sogar, müssen sogar ausgezeichnet werden, und müssen, wegen des Kaders, darauf verzichten, darauf stolz zu sein. Sie sollen sich danach hier in eine Welt wieder einfügen, in der ganz andere, nicht weniger eisenhart durchgesetzte Normalitätskriterien gelten: der Einzelne und seine Stellung im Team: lüge "Team" und kämpfe damit für Dich aussichtsreich, tust du es nicht, wirst du marginalisiert, und keine Kameraden stehen für dich ein. Da sind diese Leute dann gerade ganz hilflos, weil sie so gelernt haben, sich auf ihre Kameradschaft zu verlassen, daß sie mit dem brutalen Wettkampf des zivilen Lebens gar nicht mehr klar kommen. Das ist auch eine Seite der Kriegstraumatisierung, die eigentlich eine Friedenstraumatisierung ist. Denn man ist nur entweder Kadermaschine, oder ziviler Einzelner, der sich durch Scheinkader beißt, indem er als bester Kadereinpeitscher am effizienten am Kader vorbei seinen Vorteil nimmt.
3. Die speziellen Funktionsweisen dieser Systeme in den Kulturfakultäten
Literatur und Dichtung und Philosophie und auch öffentliche Debatten arbeiten sich an Krieg und Frieden und den Themen von Marginalisierungen ein wenig ab. Dabei geben immer die Marginalisierten die Themen vor, die dann von den Mainstream-Kavalleristen zu Tode geritten werden, bis wieder einer das nächste Thema vorgibt. Wenn man Glück hat, hat man irgendwann so viele Themen vorgegeben, daß man leben bleiben darf und einen der heißbegehrten Plätze besetzen darf, an denen der zunächst Marginalisierte als Ausgezeichneter sitzt.
Zwei gegensätzliche Auszeichnungen haben wir jetzt: die des perfekten Kaderkameraden, und die des grandiosen Marginalen, der aus der eigenen Kaderuntauglichkeit einen Glanz schlägt, den die Kader brauchen, um sich als Kader sinnvoll zu fühlen.
Die einen können nicht anders als die anderen zu tadeln. Das ist ihren jeweiligen Systemen immanent. Sie können einander auch nicht wirklich anerkennen. Und ob und inwiefern sie einander brauchen, ist außerhalb der überschaubaren Kraals, in denen man beide Systemtypen hat, reichlich vermittelt, aber dann immerhin möglich. Zufallsbegegnungen hier und da, Komplexität als Rettung, wenigstens für ein paar gute Momente im Leben von Einzelnen, die ohne das völlig bestimmt wären von ihren mehr oder weniger totalitären Gemeinschaften und den Funktionen, die man ihnen darin zugewiesen hat. Stadtluft macht frei bedeutet nichts anderes als daß eine gewisse Unübersichtlichkeit kleine Winkel bereitstellt, in denen man von seinen Funktionen ausruhen darf.
Die Frage ist, ob aus den so beschriebenen Dilemmata auch ein Ausweg nach vorne möglich ist.
Ich habe hier nur eine - vollkommen banale - Antwort: Think global, act local. Und das bedeutet: Natürlich müssen wir anstreben, alles, wirklich alles auf dem fairen Verhandlungswege zu lösen. Unbedingt, es gibt dazu keine Alternative. Und wenn nicht um der Leben unserer möglicherweise hassenswerten Feinde willen, dann deswegen, weil wir uns in unseren eigenen Gesellschaften solche Kaderleichen nicht leisten wollen, die Tag und Nacht gedrillt werden, bis alles wie am Schnürchen klappt. Das mögen wir an den Terroristenausbildungslagern nicht, das sollten wir auch bei uns nicht mögen.
Wir sollten eine Weltgesellschaft bauen wollen, in der die Menschen menschlich sein dürfen. Nein? Arbeit ja, aber bitte mit Pausen.
So, und wenn wir das wollen, dann müssen wir auch die Zicken und Macken und Eigenwilligkeiten ebenso wie den Kadertrieb, den besonders bestimmte, von Reflexion leicht etwas überforderte Typen von Menschen haben, irgendwie kanalisieren und erlauben. Also den gemäßigten Kader, der auch Individualität ermutigt, wenn in bestimmten nötigen Situationen Loyalität und Geschlossenheit doch geübt werden. Und also:
Keine Rationalisierungen der Intoleranz, auch nicht durch Führungs- und Vorbildtheorien, würde ich sagen. Offene Foren wo immer es geht, Abgrenzungen wo nötig.
4. Ziele also:
Natürlich wäre es gut, diesen Geist der Offenheit und der Freiheit und der fairen Verhandlungen überall zu verbreiten - auch in der Armee. Natürlich soll eine demokratische Armee anders aussehen und ein Friedenseinsatz anders als ein Killerkommando.
Aber wie das in der Realität ist, darüber kann man nur im Einzelfall sprechen, und immer und immer wieder im Einzelfall, denn die allgemeinen Gesetze, an denen man sich dabei orientieren muß, sind letztlich eindeutig: ihr oberstes ist der kategorische Imperativ.
Die Armee selbst ist davon die Ausnahme. Das muß man auch wissen. Und wie man damit umgeht, ohne die allgemeinsten Gesetze, für die man vielleicht wirklich nach bestem Wissen und Gewissen kämpft, zu verraten, das ist ein Problem. Das kann man nicht wegdrücken, indem man eigene Regeln aufstellt, die für "Führungskraft-" und "Vorbilderzeugung" gelten, sondern umgekehrt wird eine Sache daraus:
Ein überzeugender Mensch ist der, der den Unterschied zwischen allgemeiner Regel und den Erzählungen aus dem brüchigen Leben kennt. Ein solcher hält vielleicht die Zwischenstellung aus, die jeder einnimmt, der da, wo es keine Verhandlungen gibt, doch Verhandlungen zu etablieren versucht, möglichst nicht aus einer Position der Schwäche, sondern aus einer der Stärke. Der Stärke, die ihm erlaubt, selbst auch etwas zu relativieren.
Um das zu können, muß man sich abgrenzen dürfen, sich frei bewegen dürfen, die Grenzen des eigenen Verhaltens lockern dürfen oder fester ziehen. Dann - und nur dann - erlaubt man auch den anderen diesen Spielraum, ohne den Verhandlungen schlechterdings nicht und nirgends gelingen können. Hat einer Spielraum, der andere nicht, ist die Verhandlung schon gescheitert. Ersieht man sich aber zur Interessenvertretung Menschen aus, denen man zuerst jeden Handlungsspielraum genommen hat, damit sie dann als funktionierende Kadergeräte in ein Feld gehen, hat man alles versaut, bevor es angefangen hat.
Wir dürfen uns hier tatsächlich nicht auf schlechte Traditionen, die immer nur zu Kriegen und Opfermechanismen geführt haben, berufen, sondern müssen wirklich Neues wagen, meine ich.
Sehr geehrter Herr,
ich nehme an, nach diesen Äußerungen werden Sie sich dreimal überlegen, ob Sie jemanden wie mich vor Ihren Foren ernsthaft sprechen lassen wollen. Subjektiv kann ich sagen:
Mir liegt daran, die Ergebnisse langer zivilisatorischer Prozesse, wie wir sie in diesen Gegenden der Welt mit vielen schrecklichen Rückschlägen hinter uns gebracht haben, ernsthaft zu verteidigen und die Bestimmung der Menschen zur Freiheit weiter zu befördern. Ich weiß, daß man dazu leider auch etwas so schreckliches wie Armeen gelegentlich zu brauchen scheint, je nach geographischer Lage und politischer Großwetterlage mehr oder weniger dringend. Diese Armeen sollen selbst trotz der schrecklichen Ratio, der sie folgen müssen, so demokratisch und menschlich wie möglich sein.
Ich kenne Menschen, die daran arbeiten. Ich kenne andere, die sind so wütend auf Leute, die im zivilen Leben eine innere und geistige Freiheit haben, daß sie nicht ruhen werden, bevor sie diese Menschen nicht radikal "eingebunden" haben, was nichts ist als eine schwache Rationalisierung für ein emotional starkes, aber geistesschwaches Ressentiment.
Ich würde sehr gern, wo immer ich kann, effizient dagegen arbeiten. Mir liegt wirklich daran, daß wir eine offene Gesellschaft sind, die die Freiheit der Einzelnen wahrt und achtet und mit den Menschen, die sie zum Schutz der Freiheit in Einsätze schickt, wirklich sehr verantwortungsvoll umgeht.
In diesem Geiste weiß ich mich Ihnen, wie immer Sie nun über unsere Angebote entscheiden mögen, aufrichtig verbunden,
mit freundlichen Grüßen,
die Chefin der EinSatzLeitung
Die EinSatzLeitung schreibt mit Gästen ein Buch. Pro Tag darf jede Person einen Satz einsetzen, die EinSätze werden fortlaufend numeriert. Auf der B-Ebene gibt es längere narrative Stücke. Die EinSatzKräfte und ihre Texte sind sämtlich rein fiktiv und frei erfunden. Alle Rechte bei der Autorin.
7 Kommentare:
Also das ist nun wirklich zu lang.
Das macht sie doch nur alle drei Jahre mal.
Ist trotzdem zu lang.
Sie ist die Chefin.
Ich bin ganz froh, daß es mal so da steht.
Freude ist nicht die Aufgabe eines Diskurswartes.
Ich glaube, sie haben alle einen Knall.
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