Die EinSatzLeitung schreibt mit Gästen ein Buch. Pro Tag darf jede Person einen Satz einsetzen, die EinSätze werden fortlaufend numeriert. Auf der B-Ebene gibt es längere narrative Stücke. Die EinSatzKräfte und ihre Texte sind sämtlich rein fiktiv und frei erfunden. Alle Rechte bei der Autorin.
Sonntag, 30. Mai 2010
1080.
Ein elektronischer Unfall hatte zu dem skandalösen Vorfall eines mehrtägigen Ausfalls der EinSatzLeitung geführt - und die Chefin selbst sah sich nach einem Wochenende voller hektischer Telefonate, nach Ortsterminen mit diversen Technikern und an völligem Irrsinn auf allen Leitungen scheiternden Versuchen, wenigstens die heißesten Feuer zu löschen, erst am Sonntagabend in der Lage, an die neu installierte Tastatur eines neu installierten Computers zu gehen und der Kreativleitung per E-Mail aufzugeben, irgendwie den Satz "wir bitten unsere Leserinnen und Leser, unsere Besucherinnen und Besucher, unsere Fans und unsere Foes allerhöflichst um Vergebung für die entstandenen Enttäuschungen aller Art," und während die an der Behebung des Schadens beteiligten EinSatzKräfte schnellstens auseinander und in den Rest ihres Wochenendes strebten, lachte der naseweise Sinologe ins Telefon des klitzekleinen Forschungsministers darüber, wie Westler sich verzweifelt in "chinesischer Höflichkeit" versuchten, anstatt cool über diese kleine Panne, die wahrscheinlich ohne den Hinweis niemand jemals bemerkt haben würde, hinwegzugehen.
Donnerstag, 27. Mai 2010
1079.
Richtig vorangekommen war die Leitung Öffentlichkeit in ihrem Gespräch mit dem Kwaliteitswart eigentlich nicht, es war, als wäre in dem Gespräch irgendetwas schief, dabei waren sie beide hochtrainierte Kommunikatoren, er ein lehrender Profi der Kommunikationslehre, sie eine erfahrene PR-Frau, und sie war zudem, wie man es doch muß, mit klaren Zielen ins Gespräch gegangen - er aber war in seiner coolen uneinnehmbaren Reserve geblieben, die sie in der Regel eher zum Zorn als zu sonstwas reizte, und auch diesmal konnte nur ihr Ziel, ihn auf die Seite der Conspiratores (so nannte der ehemalige Chef "seine" Truppe) zu ziehen, sie veranlassen, sich ihres Anti-Aggressionstrainings zu erinnern, anstatt gleich los zu pesten: aber ob es nun daran lag, daß sie mittlerweile Mutter war, oder daran, daß er nicht mehr an Öl denken mußte, wenn er sie sah, das Gespräch kam nicht über die allgemeinste Konversation hinaus, denn sobald die Leitung Ö auch nur einen Anflug von Unmut gegen die Chefin oder die Kreativleitung erkennen ließ, setzte der Kwaliteitswart sein gewinnendes Lächeln auf und sagte, wissen Sie, das sind Ihre Interna, wir Warte gehören ja im Grunde gar nicht dazu, ich darf Ihnen aber sagen, daß ich weder der Chefin noch der Kreativleitung meinen Respekt jemals ernsthaft versagen könnte, da hatte die Leitung Öffentlichkeit ganz plötzlich das Bedürfnis, sich ausnahmsweise mal in die ewigen Selbstzweifel der Kreativleitung einzufühlen.
Mittwoch, 26. Mai 2010
1078.
Wann wird eigentlich Denklust zu krankhaftem Grübeln, fragte der kleine Pestvogel seinen mürrischen Vater, und der kleine Brachvogel, der als sein Freund neben ihm hockte, tuschelte, ist doch klar, wenn sie in die Hände von Pestvögeln fällt natürlich, aber der kleine Pestvogel wollte das nicht einsehen und schaute bittend auf zu seinem Vater, welcher mit mühselig gespielter Freundwilligkeit sagte, man kann es quantifizieren, mein Sohn, und dann auch gucken, ob das Denken eines angeblich Denklustigen noch strategisch ist oder ob es ihn nur ins Abseits führt – wie Stauffenberg zum Beispiel, tuschelte der kleine Brachvogel, und wieder schaute der kleine Pestvogel bittend auf zu seinem Vater, aber der war eingeschlafen und antwortete nicht.
Dienstag, 25. Mai 2010
1077.
Der gleichbleibend korpulente Oberassistent lustwandelte an den Ufern der Spree, denn er hatte sich über Pfingsten ein paar Tage Urlaub genommen, um ein wenig nachzudenken und an einer Auffrischung von Körper und Geist zu arbeiten, wobei ihn schon nach den ersten zwanzig Schritten vor allem die Frage beschäftigte, ob eigentlich irgendjemand, auch nur EINER von denen, welche in ihren Pfingstpredigten, -gesängen und -gebeten so sehr nach einem neuen Geist ge"yearnt" hatten, ernsthaft froh und dankbar wäre, wenn er am anderen Tage mit einem neuen Geist tatsächlich erwachen würde, und ob wohl diejenigen, von denen er ahnte, daß sie für ihn trotz all seines Leidens vor allem unter seinen physischen Schwerpunkten schwerpunktmäßig einen neuen Geist erfleht hätten (er dachte hier vor allem an seine übermäßig fürsorgliche und immer etwas zu sehr frömmelnde Schwester), ernsthaft froh wäre, wenn er in der kommenden Woche zackig bei der Arbeit, forsch im Reden und witzig in der Bewegung seiner Korpulenz aufträte, etwa mit der Bemerkung: 'die negativen Folgen einer ökonomischen Überschätzung werden in der Regel unterschätzt,' und er considerte sich selbst als eher doubting.
Montag, 24. Mai 2010
1076.
Von einem Ausflug zurückgekehrt, mußte Mo als erstes etwas über Gerüche schreiben: den milden Geruch von Leinöl auf dem Parkett eines gut geführten Hauses, den etwas zu starken Geruch von den Rapsfeldern, in dessen Süße sich immer etwas wie ein feiner Uringeruch mischte (es stimmt, sagte sie trotzig, als Dame Ö, welche ihr über die Schulter guckte, den Kopf schüttelte), und den Geruch von Kaffe, den die Kreativleitung während der Fahrt in großen Mengen zu sich genommen und leider auch im Auto verschüttet hatte.
Samstag, 22. Mai 2010
1075.
Am anderen Tage fragte die Kreativleitung bei der Chefin an, wie es ihr denn gehe, und sie erhielt die nicht unfrohe Antwort, sie habe sich des Abends an den Ausspruch eines ehemaligen universitären Lehrers erinnert, welcher in Fällen massierter Angriffe zu bemerken pflegt, es gibt kein Mitleid mit dem Starken, und dann entschieden sie im Verlauf des Gespräches, die EinSatzLeitung wenigstens mal bis zum Abend des Pfingstmontag zu schließen, so lange muß es möglich sein, sagte die Chefin, auch ohne vorherige Absprachen, die EinSatzKräfte werden zufrieden sein - und so kam es.
Freitag, 21. Mai 2010
1074.
Die Chefin brachte es fertig, eine ganze Sitzung der EinSatzLeitung durchzuhalten, in der verschiedene Persönlichkeiten nichts unterließen, um sie zu provozieren und aus irgendeiner Reserve zu locken, mit dem Ergebnis, daß nichts außer ein paar minoren Beschlüssen protokolliert wurde - und die kleine Verschwörung (die in Wahrheit ja fast ein Drittel der EinSatzKräfte umfasst hatte im ersten Auflodern) verwickelte sich vor lauter Langeweile angesichts der gleichbleibend freundlichen Geduld der Chefin und des Demokratiebeauftragten in innere Widersprüche, welche sie durch lautstarkes Beschwören ihres Zusammenhaltes im "Bistro" und im Korridor zu übertönen versuchten, Karomütze, der mit dem Protokoll betraut war, versagte komplett, die Warte waren bei der Sitzung nicht zugegen, und die allgemeinste Verteidigung fand plötzlich Mr. Precuneus auffallend schön.
Donnerstag, 20. Mai 2010
1073.
Weißdorn, Rotdorn, Flieder, Kastanien, Goldregen, Blaukissen, Tulpen, Rhododendren, gibt es etwas, das nicht blüht, haben wir etwas vergessen, wir haben etwas vergessen, die blauen Vergissmeinnicht haben wir vergessen, murmelte die allgemeinste Verteidigung vor sich hin und ans Kind, als sie mit diesem durch den Park wanderte, sie hielt es für richtig, immer, wenn das Kind auf eine Blüte zeigte (das tat es ausgiebig), den Namen dazu zu sagen, und nebenher weiter zu sprechen und zu lauschen, was das Kind sprach, und nebenbei fragte sie sich, mit was für Nachrichten der Kwaliteitswart wohl aus dem für heute angesetzten Gespräch mit Leitung Ö kommen würde, denn es war ihr klar, daß sich da etwas zusammenbraute, nur was, das wußte sie nicht so recht, aber es sah nach viel künftiger Arbeit aus.
Mittwoch, 19. Mai 2010
1072.
Die Kreativleitung lächelte gerührt, als sie sah, mit welcher Aufregung Mo dem erzählenden Kranich und Mr. Precunues mitteilte, daß ein Paul Gerhardt sich unter strikter Wahrung seiner Anonymität gemeldet und diesen herrlichen Satz zur hochbegabten Nachtigall auf die Kommentarebene gesetzt hatte, und als Mo sie drängte, sich endlich einmal wieder auf den Teppich zu legen, um Mos Pirouetten auf der Kniescheibe ihrer Beschützerin zu erlauben, da ließ sie sich nicht lange bitten, sollten der erzählende Kranich und Mr. Precuneus ruhig gucken, man hat eben so seine kleinen Rituale, wenn man länger miteinander zu tun hat, nicht Mo, sagte sie, und der erzählende Kranich unterhielt sich mit Mr. Precuneus angelegentlich über die Frage, wie wohl die Verwicklung der Pest- und Brachvögel in die Pläne der Leitung Ö und des ehemaligen Chefs zu bewerten sei, denn der erzählende Kranich hatte tiefe Kenntnis von den Gewohnheiten jener Vögel, während Mr. Precuneus einerseits ein großer Sicherheitsfachmann war, andererseits aber immer unter dem Eindruck litt, die Menschen in dieser seltsam großmassig grauen Stadt nicht gut genug zu verstehen in ihren fundamentalen Interessen und Desinteressen.
Dienstag, 18. Mai 2010
1071.
Es war eine unpassend kühle Maiennacht, durchregnet durchaus, als der Kwaliteitswart mit seinem alten Fahrrad durch die Stadt fuhr, sein Licht leuchtete nur wackelig, das Schmutzwasser spritzte gegen die hellen Schöße seines Trenchcoats, war man immerhin Nachtigall, so schwieg man und träumte vermutlich von Goretex-Jacken, und da dachte er, es wäre doch vielleicht nicht das Schlechteste, einfach mal zu hören, was die Leitung Ö zu sagen haben würde, über ihr Gehabe würde man schon kommen, und wie man sich entscheiden würde, könnte man immer noch offen lassen, es war doch interessant genug, könnte nur etwas schöneres Wetter sein.
Montag, 17. Mai 2010
1070.
Die Zwistigkeiten sprachen sich herum bis in die Niederungen der minderen Sprachen, in denen ein Pestvogel allmählich wieder aus seinem verlassenen Trübsinn erwachte, und eigenartigerweise war er gleich überzeugt, daß er sich mit den Brachvögeln würde verständigen müssen, von deren oberstem er noch nie ein persönliches Wort vernommen, von dessen zweithöchstem er aber immer wieder höchst Bemerkliches erlauscht hatte, und er war, er sann, was konnte - die Flötentöne, richtig, die Flötentöne sind das, was man der unwürdigen Chefin beibringen müsse, wenn sonst nichts helfe, schrasterte er vor sich hin, und er rieb sich mit den äußersten Schwungfederchen seines rechten Flügels den großen Schnabel, denn die Idee, nach jener unvergessenen Kränkung durch die damals noch als Demokratiebeauftragte Beschäftigte nun endlich mit Hilfe einer Intrige innerhalb der EinSatzLeitung und mithilfe der Brachvögel dort zu übernehmen, erschien ihm nach wie vor zwingend, zwingender auch als jenes Robin Hood Konzept, das zwar manchen zu manchem Besitzstück gebracht, aber letztlich doch um alle Beteiligten den unangenehmen Geruch einer gewissen Schäbigkeit gelegt hatte, den man ursprünglich gerade hatte loswerden wollen, nun aber, nun galt es die wirkliche Erhebung, und das war ein großes Projekt!
Sonntag, 16. Mai 2010
1069.
Ein Trick gegen die Spekulanten und ihre klein-charismatischen Zwischenhändler wäre zum Beispiel, zurückzustehlen, sagte die Chefin, als sie am Telefon im Gespräch mit der Gattin des ehemaligen Chefs in enttäuschender Geschwindigkeit von der Intrige der EinSatzKräfte auf die alten Robin-Hood-Probleme zurückgekommen war, allerdings behauptet Precuneus, daß in demselben Augenblick, in dem wir damit begönnen, unsererseits schamlos auf die Formulierungen anderer zurückzugreifen - was ja in gewisser Weise ständig passiert und in jeder Kommunikation - die wahrscheinlich anfangen würden, ihrerseits die absurdesten kleinen Irrtümer auszustreuen und hier und da, und ich komme einfach immer wieder zu dem Schluß, daß die Gegenwehr gegen all dieses dumme, aber wirksame und immer irgendwelche Leute zusammenschweißende Zeug intelligenter sein muß als solche Tricks, und ich fürchte, daß es eine intelligentere und effiziente Gegenwehr nur durch dieselbe Sache gibt, die wir immer schon gewußt haben, also ich meine wir berufstätigen Frauen: wir müssen einfach immer auf allen Gebieten besser sein, denn wie schon die Klassiker lehren, die Frauen bereuen ihre eineinhalb Untaten und werden trotzdem bestraft, die Männer bereuen keine von ihren viereinhalb oder mehr Untaten und werden trotzdem gerettet, davon müssten wir doch mal lernen können, und die Gattin des ehemaligen Chefs sagte mit schwächelnder Stimme, ich weiß nicht, ich meine, es ist doch auch so schön, zu retten, da dachte die Chefin, die wird mir also auch nicht helfen, wenn ihr Mann gegen mich loszieht, allenfalls mal ein Informatiönchen, ein halbes, who's next?
Samstag, 15. Mai 2010
1068.
Wir sind also mit dem Kapitel "ich denke nicht an dich, sondern - anders als du, der du nie an mich denkst - sehr viel an dich, vor allem daran, daß du zu viel an dich denkst, was ich dir dann unentwegt sagen muß" relativ glatt durchgekommen, das freut mich, sagte der Kwaliteitswart zufrieden zu den Teilnehmern seines Kurses, denn es bestätigte ihn in der in einem langen Abwägen getroffenen Entscheidung, nach Versagen aller Teilnehmer vor dem Problem des roten Ferrari erst einmal eine Übung machen zu lassen, bei der die Erfolge leichter zu erzielen waren: das hätte sehr schief gehen können, wenn niemand den rettenden Satz gefunden hätte, da dieser aber gefunden worden war, sogar von mehreren Teilnehmern unabhängig voneinander, war es eben gut gegangen, und er sagte, um dieses schöne Ergebnis nicht gleich zu gefährden durch ein Zurückgehen auf die offenbar zu schwierige Ferrari-Frage, schlage ich vor, daß wir in unserer nächsten Sitzung Texte analysieren nach ihren normativen und ihren deskriptiven Gehalten, das befestigt die Grundlagen, und ich darf Ihnen schon heute versprechen, daß Sie an einigen Stellen sehr überrascht sein werden, ich stelle Ihnen was Schönes zusammen, wir werden viel zu diskutieren haben, und er erhob sich, nahm sein Lap-Top salopp unter den Arm, grüßte alle noch einmal sehr freundlich, bedankte sich beim technischen Assistenten und fragte sich, ob er nicht, bevor er nun in sein Heim eilte, noch irgendwo einen kleinen Kaffee trinken könne.
Freitag, 14. Mai 2010
1067.
Der ehemalige Chef war indes zu voller Überzeugtheit angeschwollen, es interessierten ihn plötzlich sogar die Schlafgewohnheiten der Chefin, denn, je mehr wir wissen, desto klarer können wir auch handeln, so lautete seine Devise, und seine Gattin merkte, daß sie sich nunmehr zu schicken habe in ihre alte Arbeit der Begütigung eines hochexplosiven Herren, der ziemlich viel Unheil anrichten konnte, wenn er wollte, und da es diesmal richtig ernst zu werden schien, so griff sie zum Hörer und tätigte einen Anruf…
Donnerstag, 13. Mai 2010
1066.
Der Vatertag oder Herrentag oder Himmelfahrtstag war in diesem Jahre nicht so ein Erfolg, da der Winter direkt in die Eisheiligen übergegangen war, die Leiterwägelchen auf dem Glatteis ausrutschten, der Kirchentag unter einer gelegentlich tröpfelnden Wolkendecke stattfand und niemand wirklich Lust hatte, so richtig einen drauf zu machen - dafür hatten dann doch die meisten EinSatzKräfte wie andere auch relativ gute Laune, selbst Mr. Precuneus, der mit seinem Bericht einfach nicht zu Potte kam, beschwerte sich im Grunde nicht über einen am Schreibtisch verbrachten Tag, und die Chefin freute sich auch über eine Atempause, denn manchmal ist es ja ganz nett, sich ein bißchen zu keilen, aber eine richtig gefährliche Intrige innerhalb der EinSatzLeitung erschien ihr nicht nur wenig konstruktiv, sondern auch furchtbar uninteressant und lästig - sie hätte sich gewünscht, daß das anderen auch so gehen würde, und irgendwie dachte sie sogar daran, diesem Wunsch ein wenig Nachdruck zu verleihen.
Mittwoch, 12. Mai 2010
1065.
Der kurze Blick auf den Nebenkriegsschauplatz konnte auf die Dauer die Lage der Chefin mit der Intrige aus dem eigenen Hause nicht auflösen, und den Kopf in den Sand zu stecken, war allenfalls tauglich für eine mitteldemonstrativ zur Schau getragene Geste des Kleinkochens, schließlich mußte doch gehandelt werden - freilich so, daß auf die Energie der Intrige nicht sogleich mit entsprechender Eigenenergie geantwortet wurde, das geht nie gut, versicherte die Chefin Mr. Precuneus, der einer der wenigen geblieben war, auf die sie sich ohne jeden in irgendeiner Vertrautheit gelegten Grund verließ, und Mr. Precuneus meinte, das stimme sicher, aber man müsse doch ein Mittel haben, diese Energie des Angriffs der anderen zu deren eigenen Schaden auf sie zurück zu lenken, sicher, sagte die Chefin, aber man sagt besser nicht welches, nicht wahr, und wieder gab ihr Mr. Precuneus recht und insistierte nicht darauf, daß sie nun preisgebe, wie sie es zu tun gedenke.
Dienstag, 11. Mai 2010
1064.
Die Braue der Dame Ö zuckte und wackelte in ungewöhnlichen Ausschlägen, als der Herr Pestvogel an ihr trotz des unsäglich untertemperierten Wetters offenes Fenster geflogen kam und aufgeregt herum schrasterte, man höre, sie reagiere irgendwie negativ auf eine Nachricht, die man ihr nun auf allen Kanälen sehr schonend habe beibringen wollen, daß es nämlich dem von ihr Verstoßenen ehemaligen Projektentwickler außerordentlich gut gehe mit seiner … erleichtert unterbrach ihn die Dame bei nun, da er die sogenannte Katze aus ihrer Plastiktüte gelassen hatte, vollkommen gleichmäßig ruhender Braue, ach das meinen Sie, sagte sie, ich habe mich über diesen gewaltigen Zwergenaufstand schon gewundert, ich habe mir ernsthafte Sorgen gemacht, da werde irgendwas von mir gewollt, nun verstehe ich, da macht sich jemand Sorgen, ach Gottchen, sagte sie dann, bringen Sie der jungen Frau doch bitte ein Blümchen von mir und sagen sie ihr, sie möge sich bitte nicht meinen Kopf zerbrechen, wenns recht wäre, ich zerbräche mir auch nicht den ihren, aber wir kennen ab einem gewissen Alter natürlich manche Situation aus mancherlei Perspektive, also können Sie Blümschen transportieren, oder können Sie in Ihrem gewaltigen Schnabel nur Zettel unterbringen, und sie schrieb ihre kleine Botschaft sicherheitshalber noch einmal auf und sagte, ich wäre Ihnen und Ihren Genossen sehr dankbar, wenn Sie mich damit nun bitte nicht mehr behelligen wollten, besten Dank.
Montag, 10. Mai 2010
1063.
Einstweilen schien nichts durchzusickern von den verschwörerischen Plänen der Leute um Leitung Ö und den ehemaligen Chef, und so schien es nur normal zu sein, daß man sich im "Bistro" zurief "Mai kühl und nass füllt dem Bauern Scheuer und Fass," als wäre das die einzige Sorge, die eine Chefin und ihre Freunde im team haben könnte.
Sonntag, 9. Mai 2010
1062.
Während die irgendwie doch immer nach Kalender funktionierende Chefin am anderen Tage ein paar familiäre Gäste, die Kreativleitung nebst Mo, den erzählenden Kranich, Dame Ö und Mr. Precuneus geladen hatte, welche sie auch trotz zergrübelter Nacht mit frischem Selbstgebackenem bewirtete, saßen in der Häuslichkeit der Leitung Öffentlichkeit ein bis in das Nasenspitzchen hinein verärgerter klitzekleiner Forschungsminister, ein vor Tatendrang glühender Buchhalter, Karomütze, der seine Poldertour noch ein wenig aufgeschoben hatte, der ehemalige Chef, der Diskurswart und der Oberassistent, um zu beraten, wie sie nach dieser Sache am elegantesten die Chefin zu Fall bringen könnten, denn die letzte B-Ebene hielten sie nun doch für eine unverantwortlich fehlerhafte Politik (so der ehemalige Chef), einen Mißbrauch von kostbarem Gedankengut (so der klitzekleine Forschungsminister), eine typische Blödheit, wie sie beim ehemaligen Chef nie passiert wäre (so sehnsüchtig auf die cheflichen Hände blickend Karomütze), ein Anzeichen für Handlungsbedarf, (so die Leitung Ö, die ihr Kind zu seiner Großmutter geschickt hatte und dank eifrigen Trainings wieder gut in Schuß und Standing war), einen Offenbarungseid (so der Diskurswart, welcher gestern noch nicht zu erkennen gegeben hatte, daß er der Sturzchance wegen so froh war, daß hier nun einmal aufgeschrieben war, wo die Chefin wirklich stand), und der Oberassistent maulte, es ist eben blöd, wenn man überskrupulöse Leute ans Ruder läßt, die im Zweifelsfall immer wieder in ihre überkomplizierte Schreibe zurückfallen, bei der dann niemand mehr versteht, was das noch soll, aber alle mal beleidigt sind, sowas können wir uns nicht leisten, und erstaunt bemerkten alle, daß er just in diesem Zusammenhange die längste Folge zusammenhängender Worte von sich gegeben hatte, und sie klatschten spontan, bis sie sich eifrig daran machten zu erwägen, wie sie nun weiter vorgehen könnten.
Samstag, 8. Mai 2010
1061.B
Sehr geehrter Herr,
höflichst möchte ich mich für Ihren freundlichen Brief und Ihr Angebot, bei der Erbauung der Truppe mitzuwirken, bedanken. Ich weiß die Ehre zu schätzen und bin gerührt zu bemerken, daß Sie bemerken, wie sehr uns hier in unserer etwas abseitigen Einrichtung das Wohl und Wehe des Armeewesens unter Bedingungen der Demokratie am Herzen liegt.
Dennoch möchte ich mit einigen Bemerkungen zu Ihren Formulierungen Ihrer Anliegen nicht hinter den Berg halten:
1. Einspruch:
Sie schreiben, daß in einer Kampfeinheit Tag und Nacht trainiert werden müsse, damit jede Bewegung sitze und auch im Kampffall alle füreinander einstehen. Sie sagen ferner, dies passe nicht zu meiner Auffassung von der Entmenschung der Menschen, auch der Soldaten, durch totale Verkaderung.
Dazu erlauben Sie mir bitte folgende Fragen und Anmerkungen:
Was macht man, wenn man die Probleme, die in den Kampfeinsätzen gelöst werden müssen, sieht und dennoch absolut dagegen ist, daß irgend jemand wegen der Liebe zum Frieden und dem in Friedenszeiten entwickelten Individualismus (den ich nach wie vor für eine gute Sache halte, Antiintellektualismus und Antiindividualismus sind die Kernpunkte aller Faschismen, nicht ohne Grund, und sie spielen eine große Rolle in den klassischen Antisemitismen, das hat sich erst in den letzten Jahren geändert, in denen Israelis durch die Erfordernisse ihres Staatswesens selbst eine Armee brauchen und Kaderschulungen für nötig halten müssen, insofern für dieses Element des Antisemitismus keine kommode Angriffsfläche mehr bieten, während andererseits ein Antisemitismus ohne Israelkritik nicht mehr auskommt) verunglimpft werden kann?
Man hat also das Problem, daß die Menschen, die den Individualismus schätzen, nicht dieselben sein können, die ein Land, das ihn erlaubt, in militärischen Kadern schützen. Wenn gilt, was Sie über die militärische Ausbildung schreiben, ist der Mensch als Militär keiner mehr. Vom ersten Augenblick der Ausbildung an. Drill als Barbarei, radikale Entindividualisierung, Funktionalisierung. Das darf man Menschen nicht antun. Und doch tun wir es und erteilen politisch den Auftrag, es zu tun. Selbst noch Friedenshelden wie Ghandi haben sich auf ihre Weisen in diesem Sinne als menschliche Individuen im Durchgang durch das Nadelöhr der Verkaderung entmenscht (für seine Frau war der Mann der Horror, das geht ziemlich deutlich aus allem hervor, was über ihn geschrieben wurde).
Ich habe hier keine Lösung und keinen Ausweg. Ich weiß keine, wirklich nicht. Ich glaube, das Militärwesen wie viele dieser Einrichtungen, ohne die in der Welt nichts zu gehen scheint, wird immer ab irgendeinem Punkt zu dem Problem, für dessen Lösung es sich hält. Diese Einsätze zeigen das mit brutaler Deutlichkeit.
Wenn ich lese, was Sie schreiben, denke ich: Nein, diesen Menschen, diesen Institutionen, habe ich nichts zu sagen, sie wären eher ein Grund, Menschen wie mich aus der Welt zu verjagen. Ich wünsche in keiner Form, in solchen Kadern zu sein, und ich wünsche auch nicht, das weibliche, von der Funktionalisierung in Würfeln entlastete, dafür aber mit der Aufgabe, den rohen Jungs wieder ein bißchen Zartheit beizubringen, betraute Komplement zu diesen Kadern zu sein.
Diese Art von emotionaler Arbeitsteilung und radikaler Integration finde ich monströs. Und meine Arbeit, die Arbeit meiner Einrichtung, verstehe ich völlig anders.
2. Exkommunizierung und Friedenstraumatisierung
Alle diese Systeme (die militärischen wie die ihrer organisierten Kritiker) funktionieren nur, indem sie Wesen oder Fremdkollektive produzieren, die außerhalb leben und bearbeitet werden müssen, damit sie hineingehen, und die etwas Fremdes übrigbehalten müssen, damit man weiter was zu tun hat. Sobald etwa eine EinSatzLeitung (die niemandem schaden will und deswegen, nicht trotzdem, marginalisiert ist) erledigt wäre, sei es durch radikale Integration, sei es durch Elemination, müßte man wen neues finden, durch den man die eigene radikale Verkaderung rechtfertigen könnte.
Das alles wissen wir. Oder wir können es jedenfalls wissen. Ich reproduziere hier nur in Kürzestform Stoff, der an den philosophischen Fakultäten unserer Universitäten gelehrt wird, ebenso an den soziologischen und politologischen und psychologischen. Es gibt auch Theologen, die in ihren Reflexionen so weit kommen.
Angenommen wir wollen uns dieses gelehrte Denken erhalten, weil es für unsere Freiheit steht und die Freiheit denkt: und angenommen wir meinen wirklich, wir müßten unsere Freiheit am Hindukush verteidigen. Dann gehen da eben Soldaten hin und kämpfen nach allen Regeln der "Kriegskunst."
Wenn sie zurückkommen, haben sie also getötet und dürfen nicht verurteilt, dürfen sogar, müssen sogar ausgezeichnet werden, und müssen, wegen des Kaders, darauf verzichten, darauf stolz zu sein. Sie sollen sich danach hier in eine Welt wieder einfügen, in der ganz andere, nicht weniger eisenhart durchgesetzte Normalitätskriterien gelten: der Einzelne und seine Stellung im Team: lüge "Team" und kämpfe damit für Dich aussichtsreich, tust du es nicht, wirst du marginalisiert, und keine Kameraden stehen für dich ein. Da sind diese Leute dann gerade ganz hilflos, weil sie so gelernt haben, sich auf ihre Kameradschaft zu verlassen, daß sie mit dem brutalen Wettkampf des zivilen Lebens gar nicht mehr klar kommen. Das ist auch eine Seite der Kriegstraumatisierung, die eigentlich eine Friedenstraumatisierung ist. Denn man ist nur entweder Kadermaschine, oder ziviler Einzelner, der sich durch Scheinkader beißt, indem er als bester Kadereinpeitscher am effizienten am Kader vorbei seinen Vorteil nimmt.
3. Die speziellen Funktionsweisen dieser Systeme in den Kulturfakultäten
Literatur und Dichtung und Philosophie und auch öffentliche Debatten arbeiten sich an Krieg und Frieden und den Themen von Marginalisierungen ein wenig ab. Dabei geben immer die Marginalisierten die Themen vor, die dann von den Mainstream-Kavalleristen zu Tode geritten werden, bis wieder einer das nächste Thema vorgibt. Wenn man Glück hat, hat man irgendwann so viele Themen vorgegeben, daß man leben bleiben darf und einen der heißbegehrten Plätze besetzen darf, an denen der zunächst Marginalisierte als Ausgezeichneter sitzt.
Zwei gegensätzliche Auszeichnungen haben wir jetzt: die des perfekten Kaderkameraden, und die des grandiosen Marginalen, der aus der eigenen Kaderuntauglichkeit einen Glanz schlägt, den die Kader brauchen, um sich als Kader sinnvoll zu fühlen.
Die einen können nicht anders als die anderen zu tadeln. Das ist ihren jeweiligen Systemen immanent. Sie können einander auch nicht wirklich anerkennen. Und ob und inwiefern sie einander brauchen, ist außerhalb der überschaubaren Kraals, in denen man beide Systemtypen hat, reichlich vermittelt, aber dann immerhin möglich. Zufallsbegegnungen hier und da, Komplexität als Rettung, wenigstens für ein paar gute Momente im Leben von Einzelnen, die ohne das völlig bestimmt wären von ihren mehr oder weniger totalitären Gemeinschaften und den Funktionen, die man ihnen darin zugewiesen hat. Stadtluft macht frei bedeutet nichts anderes als daß eine gewisse Unübersichtlichkeit kleine Winkel bereitstellt, in denen man von seinen Funktionen ausruhen darf.
Die Frage ist, ob aus den so beschriebenen Dilemmata auch ein Ausweg nach vorne möglich ist.
Ich habe hier nur eine - vollkommen banale - Antwort: Think global, act local. Und das bedeutet: Natürlich müssen wir anstreben, alles, wirklich alles auf dem fairen Verhandlungswege zu lösen. Unbedingt, es gibt dazu keine Alternative. Und wenn nicht um der Leben unserer möglicherweise hassenswerten Feinde willen, dann deswegen, weil wir uns in unseren eigenen Gesellschaften solche Kaderleichen nicht leisten wollen, die Tag und Nacht gedrillt werden, bis alles wie am Schnürchen klappt. Das mögen wir an den Terroristenausbildungslagern nicht, das sollten wir auch bei uns nicht mögen.
Wir sollten eine Weltgesellschaft bauen wollen, in der die Menschen menschlich sein dürfen. Nein? Arbeit ja, aber bitte mit Pausen.
So, und wenn wir das wollen, dann müssen wir auch die Zicken und Macken und Eigenwilligkeiten ebenso wie den Kadertrieb, den besonders bestimmte, von Reflexion leicht etwas überforderte Typen von Menschen haben, irgendwie kanalisieren und erlauben. Also den gemäßigten Kader, der auch Individualität ermutigt, wenn in bestimmten nötigen Situationen Loyalität und Geschlossenheit doch geübt werden. Und also:
Keine Rationalisierungen der Intoleranz, auch nicht durch Führungs- und Vorbildtheorien, würde ich sagen. Offene Foren wo immer es geht, Abgrenzungen wo nötig.
4. Ziele also:
Natürlich wäre es gut, diesen Geist der Offenheit und der Freiheit und der fairen Verhandlungen überall zu verbreiten - auch in der Armee. Natürlich soll eine demokratische Armee anders aussehen und ein Friedenseinsatz anders als ein Killerkommando.
Aber wie das in der Realität ist, darüber kann man nur im Einzelfall sprechen, und immer und immer wieder im Einzelfall, denn die allgemeinen Gesetze, an denen man sich dabei orientieren muß, sind letztlich eindeutig: ihr oberstes ist der kategorische Imperativ.
Die Armee selbst ist davon die Ausnahme. Das muß man auch wissen. Und wie man damit umgeht, ohne die allgemeinsten Gesetze, für die man vielleicht wirklich nach bestem Wissen und Gewissen kämpft, zu verraten, das ist ein Problem. Das kann man nicht wegdrücken, indem man eigene Regeln aufstellt, die für "Führungskraft-" und "Vorbilderzeugung" gelten, sondern umgekehrt wird eine Sache daraus:
Ein überzeugender Mensch ist der, der den Unterschied zwischen allgemeiner Regel und den Erzählungen aus dem brüchigen Leben kennt. Ein solcher hält vielleicht die Zwischenstellung aus, die jeder einnimmt, der da, wo es keine Verhandlungen gibt, doch Verhandlungen zu etablieren versucht, möglichst nicht aus einer Position der Schwäche, sondern aus einer der Stärke. Der Stärke, die ihm erlaubt, selbst auch etwas zu relativieren.
Um das zu können, muß man sich abgrenzen dürfen, sich frei bewegen dürfen, die Grenzen des eigenen Verhaltens lockern dürfen oder fester ziehen. Dann - und nur dann - erlaubt man auch den anderen diesen Spielraum, ohne den Verhandlungen schlechterdings nicht und nirgends gelingen können. Hat einer Spielraum, der andere nicht, ist die Verhandlung schon gescheitert. Ersieht man sich aber zur Interessenvertretung Menschen aus, denen man zuerst jeden Handlungsspielraum genommen hat, damit sie dann als funktionierende Kadergeräte in ein Feld gehen, hat man alles versaut, bevor es angefangen hat.
Wir dürfen uns hier tatsächlich nicht auf schlechte Traditionen, die immer nur zu Kriegen und Opfermechanismen geführt haben, berufen, sondern müssen wirklich Neues wagen, meine ich.
Sehr geehrter Herr,
ich nehme an, nach diesen Äußerungen werden Sie sich dreimal überlegen, ob Sie jemanden wie mich vor Ihren Foren ernsthaft sprechen lassen wollen. Subjektiv kann ich sagen:
Mir liegt daran, die Ergebnisse langer zivilisatorischer Prozesse, wie wir sie in diesen Gegenden der Welt mit vielen schrecklichen Rückschlägen hinter uns gebracht haben, ernsthaft zu verteidigen und die Bestimmung der Menschen zur Freiheit weiter zu befördern. Ich weiß, daß man dazu leider auch etwas so schreckliches wie Armeen gelegentlich zu brauchen scheint, je nach geographischer Lage und politischer Großwetterlage mehr oder weniger dringend. Diese Armeen sollen selbst trotz der schrecklichen Ratio, der sie folgen müssen, so demokratisch und menschlich wie möglich sein.
Ich kenne Menschen, die daran arbeiten. Ich kenne andere, die sind so wütend auf Leute, die im zivilen Leben eine innere und geistige Freiheit haben, daß sie nicht ruhen werden, bevor sie diese Menschen nicht radikal "eingebunden" haben, was nichts ist als eine schwache Rationalisierung für ein emotional starkes, aber geistesschwaches Ressentiment.
Ich würde sehr gern, wo immer ich kann, effizient dagegen arbeiten. Mir liegt wirklich daran, daß wir eine offene Gesellschaft sind, die die Freiheit der Einzelnen wahrt und achtet und mit den Menschen, die sie zum Schutz der Freiheit in Einsätze schickt, wirklich sehr verantwortungsvoll umgeht.
In diesem Geiste weiß ich mich Ihnen, wie immer Sie nun über unsere Angebote entscheiden mögen, aufrichtig verbunden,
mit freundlichen Grüßen,
die Chefin der EinSatzLeitung
höflichst möchte ich mich für Ihren freundlichen Brief und Ihr Angebot, bei der Erbauung der Truppe mitzuwirken, bedanken. Ich weiß die Ehre zu schätzen und bin gerührt zu bemerken, daß Sie bemerken, wie sehr uns hier in unserer etwas abseitigen Einrichtung das Wohl und Wehe des Armeewesens unter Bedingungen der Demokratie am Herzen liegt.
Dennoch möchte ich mit einigen Bemerkungen zu Ihren Formulierungen Ihrer Anliegen nicht hinter den Berg halten:
1. Einspruch:
Sie schreiben, daß in einer Kampfeinheit Tag und Nacht trainiert werden müsse, damit jede Bewegung sitze und auch im Kampffall alle füreinander einstehen. Sie sagen ferner, dies passe nicht zu meiner Auffassung von der Entmenschung der Menschen, auch der Soldaten, durch totale Verkaderung.
Dazu erlauben Sie mir bitte folgende Fragen und Anmerkungen:
Was macht man, wenn man die Probleme, die in den Kampfeinsätzen gelöst werden müssen, sieht und dennoch absolut dagegen ist, daß irgend jemand wegen der Liebe zum Frieden und dem in Friedenszeiten entwickelten Individualismus (den ich nach wie vor für eine gute Sache halte, Antiintellektualismus und Antiindividualismus sind die Kernpunkte aller Faschismen, nicht ohne Grund, und sie spielen eine große Rolle in den klassischen Antisemitismen, das hat sich erst in den letzten Jahren geändert, in denen Israelis durch die Erfordernisse ihres Staatswesens selbst eine Armee brauchen und Kaderschulungen für nötig halten müssen, insofern für dieses Element des Antisemitismus keine kommode Angriffsfläche mehr bieten, während andererseits ein Antisemitismus ohne Israelkritik nicht mehr auskommt) verunglimpft werden kann?
Man hat also das Problem, daß die Menschen, die den Individualismus schätzen, nicht dieselben sein können, die ein Land, das ihn erlaubt, in militärischen Kadern schützen. Wenn gilt, was Sie über die militärische Ausbildung schreiben, ist der Mensch als Militär keiner mehr. Vom ersten Augenblick der Ausbildung an. Drill als Barbarei, radikale Entindividualisierung, Funktionalisierung. Das darf man Menschen nicht antun. Und doch tun wir es und erteilen politisch den Auftrag, es zu tun. Selbst noch Friedenshelden wie Ghandi haben sich auf ihre Weisen in diesem Sinne als menschliche Individuen im Durchgang durch das Nadelöhr der Verkaderung entmenscht (für seine Frau war der Mann der Horror, das geht ziemlich deutlich aus allem hervor, was über ihn geschrieben wurde).
Ich habe hier keine Lösung und keinen Ausweg. Ich weiß keine, wirklich nicht. Ich glaube, das Militärwesen wie viele dieser Einrichtungen, ohne die in der Welt nichts zu gehen scheint, wird immer ab irgendeinem Punkt zu dem Problem, für dessen Lösung es sich hält. Diese Einsätze zeigen das mit brutaler Deutlichkeit.
Wenn ich lese, was Sie schreiben, denke ich: Nein, diesen Menschen, diesen Institutionen, habe ich nichts zu sagen, sie wären eher ein Grund, Menschen wie mich aus der Welt zu verjagen. Ich wünsche in keiner Form, in solchen Kadern zu sein, und ich wünsche auch nicht, das weibliche, von der Funktionalisierung in Würfeln entlastete, dafür aber mit der Aufgabe, den rohen Jungs wieder ein bißchen Zartheit beizubringen, betraute Komplement zu diesen Kadern zu sein.
Diese Art von emotionaler Arbeitsteilung und radikaler Integration finde ich monströs. Und meine Arbeit, die Arbeit meiner Einrichtung, verstehe ich völlig anders.
2. Exkommunizierung und Friedenstraumatisierung
Alle diese Systeme (die militärischen wie die ihrer organisierten Kritiker) funktionieren nur, indem sie Wesen oder Fremdkollektive produzieren, die außerhalb leben und bearbeitet werden müssen, damit sie hineingehen, und die etwas Fremdes übrigbehalten müssen, damit man weiter was zu tun hat. Sobald etwa eine EinSatzLeitung (die niemandem schaden will und deswegen, nicht trotzdem, marginalisiert ist) erledigt wäre, sei es durch radikale Integration, sei es durch Elemination, müßte man wen neues finden, durch den man die eigene radikale Verkaderung rechtfertigen könnte.
Das alles wissen wir. Oder wir können es jedenfalls wissen. Ich reproduziere hier nur in Kürzestform Stoff, der an den philosophischen Fakultäten unserer Universitäten gelehrt wird, ebenso an den soziologischen und politologischen und psychologischen. Es gibt auch Theologen, die in ihren Reflexionen so weit kommen.
Angenommen wir wollen uns dieses gelehrte Denken erhalten, weil es für unsere Freiheit steht und die Freiheit denkt: und angenommen wir meinen wirklich, wir müßten unsere Freiheit am Hindukush verteidigen. Dann gehen da eben Soldaten hin und kämpfen nach allen Regeln der "Kriegskunst."
Wenn sie zurückkommen, haben sie also getötet und dürfen nicht verurteilt, dürfen sogar, müssen sogar ausgezeichnet werden, und müssen, wegen des Kaders, darauf verzichten, darauf stolz zu sein. Sie sollen sich danach hier in eine Welt wieder einfügen, in der ganz andere, nicht weniger eisenhart durchgesetzte Normalitätskriterien gelten: der Einzelne und seine Stellung im Team: lüge "Team" und kämpfe damit für Dich aussichtsreich, tust du es nicht, wirst du marginalisiert, und keine Kameraden stehen für dich ein. Da sind diese Leute dann gerade ganz hilflos, weil sie so gelernt haben, sich auf ihre Kameradschaft zu verlassen, daß sie mit dem brutalen Wettkampf des zivilen Lebens gar nicht mehr klar kommen. Das ist auch eine Seite der Kriegstraumatisierung, die eigentlich eine Friedenstraumatisierung ist. Denn man ist nur entweder Kadermaschine, oder ziviler Einzelner, der sich durch Scheinkader beißt, indem er als bester Kadereinpeitscher am effizienten am Kader vorbei seinen Vorteil nimmt.
3. Die speziellen Funktionsweisen dieser Systeme in den Kulturfakultäten
Literatur und Dichtung und Philosophie und auch öffentliche Debatten arbeiten sich an Krieg und Frieden und den Themen von Marginalisierungen ein wenig ab. Dabei geben immer die Marginalisierten die Themen vor, die dann von den Mainstream-Kavalleristen zu Tode geritten werden, bis wieder einer das nächste Thema vorgibt. Wenn man Glück hat, hat man irgendwann so viele Themen vorgegeben, daß man leben bleiben darf und einen der heißbegehrten Plätze besetzen darf, an denen der zunächst Marginalisierte als Ausgezeichneter sitzt.
Zwei gegensätzliche Auszeichnungen haben wir jetzt: die des perfekten Kaderkameraden, und die des grandiosen Marginalen, der aus der eigenen Kaderuntauglichkeit einen Glanz schlägt, den die Kader brauchen, um sich als Kader sinnvoll zu fühlen.
Die einen können nicht anders als die anderen zu tadeln. Das ist ihren jeweiligen Systemen immanent. Sie können einander auch nicht wirklich anerkennen. Und ob und inwiefern sie einander brauchen, ist außerhalb der überschaubaren Kraals, in denen man beide Systemtypen hat, reichlich vermittelt, aber dann immerhin möglich. Zufallsbegegnungen hier und da, Komplexität als Rettung, wenigstens für ein paar gute Momente im Leben von Einzelnen, die ohne das völlig bestimmt wären von ihren mehr oder weniger totalitären Gemeinschaften und den Funktionen, die man ihnen darin zugewiesen hat. Stadtluft macht frei bedeutet nichts anderes als daß eine gewisse Unübersichtlichkeit kleine Winkel bereitstellt, in denen man von seinen Funktionen ausruhen darf.
Die Frage ist, ob aus den so beschriebenen Dilemmata auch ein Ausweg nach vorne möglich ist.
Ich habe hier nur eine - vollkommen banale - Antwort: Think global, act local. Und das bedeutet: Natürlich müssen wir anstreben, alles, wirklich alles auf dem fairen Verhandlungswege zu lösen. Unbedingt, es gibt dazu keine Alternative. Und wenn nicht um der Leben unserer möglicherweise hassenswerten Feinde willen, dann deswegen, weil wir uns in unseren eigenen Gesellschaften solche Kaderleichen nicht leisten wollen, die Tag und Nacht gedrillt werden, bis alles wie am Schnürchen klappt. Das mögen wir an den Terroristenausbildungslagern nicht, das sollten wir auch bei uns nicht mögen.
Wir sollten eine Weltgesellschaft bauen wollen, in der die Menschen menschlich sein dürfen. Nein? Arbeit ja, aber bitte mit Pausen.
So, und wenn wir das wollen, dann müssen wir auch die Zicken und Macken und Eigenwilligkeiten ebenso wie den Kadertrieb, den besonders bestimmte, von Reflexion leicht etwas überforderte Typen von Menschen haben, irgendwie kanalisieren und erlauben. Also den gemäßigten Kader, der auch Individualität ermutigt, wenn in bestimmten nötigen Situationen Loyalität und Geschlossenheit doch geübt werden. Und also:
Keine Rationalisierungen der Intoleranz, auch nicht durch Führungs- und Vorbildtheorien, würde ich sagen. Offene Foren wo immer es geht, Abgrenzungen wo nötig.
4. Ziele also:
Natürlich wäre es gut, diesen Geist der Offenheit und der Freiheit und der fairen Verhandlungen überall zu verbreiten - auch in der Armee. Natürlich soll eine demokratische Armee anders aussehen und ein Friedenseinsatz anders als ein Killerkommando.
Aber wie das in der Realität ist, darüber kann man nur im Einzelfall sprechen, und immer und immer wieder im Einzelfall, denn die allgemeinen Gesetze, an denen man sich dabei orientieren muß, sind letztlich eindeutig: ihr oberstes ist der kategorische Imperativ.
Die Armee selbst ist davon die Ausnahme. Das muß man auch wissen. Und wie man damit umgeht, ohne die allgemeinsten Gesetze, für die man vielleicht wirklich nach bestem Wissen und Gewissen kämpft, zu verraten, das ist ein Problem. Das kann man nicht wegdrücken, indem man eigene Regeln aufstellt, die für "Führungskraft-" und "Vorbilderzeugung" gelten, sondern umgekehrt wird eine Sache daraus:
Ein überzeugender Mensch ist der, der den Unterschied zwischen allgemeiner Regel und den Erzählungen aus dem brüchigen Leben kennt. Ein solcher hält vielleicht die Zwischenstellung aus, die jeder einnimmt, der da, wo es keine Verhandlungen gibt, doch Verhandlungen zu etablieren versucht, möglichst nicht aus einer Position der Schwäche, sondern aus einer der Stärke. Der Stärke, die ihm erlaubt, selbst auch etwas zu relativieren.
Um das zu können, muß man sich abgrenzen dürfen, sich frei bewegen dürfen, die Grenzen des eigenen Verhaltens lockern dürfen oder fester ziehen. Dann - und nur dann - erlaubt man auch den anderen diesen Spielraum, ohne den Verhandlungen schlechterdings nicht und nirgends gelingen können. Hat einer Spielraum, der andere nicht, ist die Verhandlung schon gescheitert. Ersieht man sich aber zur Interessenvertretung Menschen aus, denen man zuerst jeden Handlungsspielraum genommen hat, damit sie dann als funktionierende Kadergeräte in ein Feld gehen, hat man alles versaut, bevor es angefangen hat.
Wir dürfen uns hier tatsächlich nicht auf schlechte Traditionen, die immer nur zu Kriegen und Opfermechanismen geführt haben, berufen, sondern müssen wirklich Neues wagen, meine ich.
Sehr geehrter Herr,
ich nehme an, nach diesen Äußerungen werden Sie sich dreimal überlegen, ob Sie jemanden wie mich vor Ihren Foren ernsthaft sprechen lassen wollen. Subjektiv kann ich sagen:
Mir liegt daran, die Ergebnisse langer zivilisatorischer Prozesse, wie wir sie in diesen Gegenden der Welt mit vielen schrecklichen Rückschlägen hinter uns gebracht haben, ernsthaft zu verteidigen und die Bestimmung der Menschen zur Freiheit weiter zu befördern. Ich weiß, daß man dazu leider auch etwas so schreckliches wie Armeen gelegentlich zu brauchen scheint, je nach geographischer Lage und politischer Großwetterlage mehr oder weniger dringend. Diese Armeen sollen selbst trotz der schrecklichen Ratio, der sie folgen müssen, so demokratisch und menschlich wie möglich sein.
Ich kenne Menschen, die daran arbeiten. Ich kenne andere, die sind so wütend auf Leute, die im zivilen Leben eine innere und geistige Freiheit haben, daß sie nicht ruhen werden, bevor sie diese Menschen nicht radikal "eingebunden" haben, was nichts ist als eine schwache Rationalisierung für ein emotional starkes, aber geistesschwaches Ressentiment.
Ich würde sehr gern, wo immer ich kann, effizient dagegen arbeiten. Mir liegt wirklich daran, daß wir eine offene Gesellschaft sind, die die Freiheit der Einzelnen wahrt und achtet und mit den Menschen, die sie zum Schutz der Freiheit in Einsätze schickt, wirklich sehr verantwortungsvoll umgeht.
In diesem Geiste weiß ich mich Ihnen, wie immer Sie nun über unsere Angebote entscheiden mögen, aufrichtig verbunden,
mit freundlichen Grüßen,
die Chefin der EinSatzLeitung
1061.
Eigentlich wartete die Kreativleitung in dezentem Blassgrün auf eine B-Ebene von der Hand des Mr. Precuneus, es sollte doch endlich der Bericht vorgelegt werden, durch welchen Precuneus seiner Polizeihochschule bewies, wie gut er in Europa recherchieren konnte, und die EinSatzLeitung würde damit beweise, wie graciously und souverän sie es nahm, ihrerseits ausgeforscht zu werden durch die Kräfte eines Landes, welches von Rating-Agenturen nicht einmal mit dem Etikett "Schwellenland" geehrt werden würde, oder doch nur von einigen wenigen, aber es kam an diesem Wochenende alles ganz anders, die Chefin selbst fuhr in die EinSatzLeitung und sagte, man hat mir einen Brief geschickt, den ich beantworten mußte mit einem Bekenntnis, das heute bitte auf einer B-Ebene stehen sollte, und wenn es da steht, mag passieren, was passieren wird, ich habe dann jedenfalls gesagt, was ich zu sagen habe, und die EinSatzLeitung mag in der kommenden Sitzung sagen, ob sie damit noch hinter mir steht, dein Gesicht ist ja ganz fleckig, sagte die Kreativleitung, ja, sagte die Chefin, das alles hat mich doch sehr mitgenommen, aber du siehst ganz okay aus, nur ein bißchen grünlich, manchmal wünsche ich mir, auch ich würde grün werden bei Ungeduld und nicht nur immer so blöde rötlich.
Freitag, 7. Mai 2010
1060.
Während Karomütze seinen Alfa aufrüstete, weil er auf eine Wochenendspritztour in seinen Lieblingspolder fahren wollte (und diesmal wollte er nicht beim Kwaliteitswart und der allgemeinsten Verteidigung vorbeischauen, nein-nein), rief er bei Mr. Precuneus an, um zu fragen, ob er nicht mitkommen wolle, aber der sagte, ich würde zu gern, aber ich habe auch schon die Brunch-Einladung beim ehemaligen Chef abgesagt, weil ich meinen Bericht immer noch nicht abgeschlossen habe, so ist es mir noch nie gegangen, der Fall ist einfach nicht abzuschließen, und aus der Polizeihochschule drängen sie so!
Donnerstag, 6. Mai 2010
1059.
Der Regen wusch die Pollen aus der Luft, so mußte die Dame Ö nicht niesen, und die Augen der Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse und den ewig rotgeränderten Augen waren gar nicht so rotgerändert wie sonst, wenn der lila Flieder wieder blühte.
Mittwoch, 5. Mai 2010
1058.
In diesem Monat ist es unbedingt empfehlenswert, nachts die Grünanlagen aufzusuchen, wisperte Mo Mr. Precuneus zu, und ihre Augen leuchteten tiefgelb aus dem grauen Gesicht, Sie werden da etwas hören, das in ganz Europa legendär ist, Sie werden die Nachtigall schlagen hören, was ist das, sagte Mr. Precuneus, der sich an das Sie allmählich gewöhnte, ist das eine Schlägertruppe, o nein, lachte Mo, das ist ein winziger Vogel, dessen Stimme in den Menschen, wie man sagt, Saiten anschlägt, die… fahren Sie einfach los, Tiergarten, Hasenheide, völlig egal, man weiß nicht warum, aber diese Tiere scheinen ein völlig unerklärliches Motiv zu haben, Menschen, welche nachts unterwegs sind, zu beglücken, und Mr. Precuneus fand das immer noch irritierend, wegen des Schlagens und der vielen Bedeutungen dieses Wortes, ein kleiner schlagender Vogel, ein schlagendes Herz, ein Kind wird geschlagen, und im Fußball schlagen die einen die anderen, wenn man aber in einen Kampf zieht, schlägt man sich wacker, und wenn nicht, dann wenigstens auf eine Seite, die spinnen doch, die Deutschen, tun sie auch, sagte Mo, aber die Nachtigallen sollten Sie wirklich nicht versäumen, vielleicht darf ich in Ihrem Fahrradkorb mitfahren, ich zieh auch die Krallen ein, Krallen, fragte Mr. Precueneus, Mo soll Krallen haben?
Dienstag, 4. Mai 2010
1057.
"Natürlich Zwei-Staaten-Lösung, für wen halten Sie unseren Gast aus Ghana, er würde sich nicht einfallen lassen, in einer Angelegenheit, die so klar ist, anders als die Mehrheit der betroffenen Völker…" sagte die Chefin soeben ins Telefon, und sie schüttelte noch den Kopf in verdutzt-empörter Zurückweisung einer externen Unterstellung, als die Leitung der Abteilung Öffentlichkeit nach weniger als der Andeutung eines Anklopfens in ihr Büro gestürmt kam, um Unverschämtheiten auszustoßen, die locker auf zehn Minuten hätten gestreckt werden können, ohne den geringsten Schaden zu nehmen an ihrer kompakt unpassenden Heftigkeit, aber die Chefin wäre natürlich nicht die Chefin gewesen, wenn sie nicht durch einen Blick und eine Geste die stürmische Kollegin hätte aufhalten können, bis diese sich schließlich auf dem Platze gegenüber der Chefin wieder fand und zugab, daß die Abmahnung angemessen gewesen war, und ja, sie hatte Informationen an der falschen Stelle herausgegeben und an der falschen Stelle zurück gehalten, und ja, es war dadurch ein Schaden für die Kreativabteilung entstanden, und ja, sie hatte es aus Neid und Eifersucht getan, und ja, es hatte ihr auch ordentlich Gewinn gebracht, welchen sie nun womöglich der EinSatzLeitung schulde, und nein, sie habe dabei kein Unrechtsbewußtsein gehabt, da sie ihr Standing für gesichert genug gehalten und im übrigen sich andererseits immer zurückgesetzt gefühlt habe - so war es denn abermals an der Chefin, sich in Selbstbeherrschung zu üben und die Fassungslosigkeit über die Erkenntnis, daß eine Mitarbeiterin ihrer EinSatzLeitung so etwas getan hatte und dann auch noch gegen sie, die Chefin selbst, hatte unverschämt werden wollen, ein wenig aufzuschieben, sie entließ die Kollegin, die nun ja immerhin geständig, wenn schon nicht reumütig war, in einen Kurzurlaub, kündigte Konsequenzen an und sagte, als die Tür geschlossen war, zu sich selbst - es ging auch wirklich sonst niemanden etwas an - ich hab sie immer gern gehabt, ich würde sie noch gern behalten, aber so etwas geht doch nicht, und nach einem kleinen Getrommel auf der Schreibtischplatte, wenn ich sie aber nicht behalte, wird man mir die Freundschaft mit der Kreativleitung übel auslegen und sie wird draußen feindselig und mit interner Kenntnis weiter agitieren, da kann die sicher richtig gefährlich werden, und nach einem weiteren Getrommel, ich muß den Demokratiebeauftragten zu Rate ziehen, wahrscheinlich ist es sogar etwas für die Sitzung, und für einen Moment schloss sie die haselnußbraunen Augen, lehnte den Kopf an den oberen Teil ihrer sehr hoch gezogenen Stuhllehne, und seufzte in Erinnerung an die Zeit, in welcher sie selbst noch nichts weiter gewesen war als eine alleinerziehende Demokratiebeauftragte, trotzdem, sagte sie dann, ich wäre dem Chef doch nie soo gekommen!
Montag, 3. Mai 2010
1056.
Ich sehe hier ein Potential, summte der Chefunterhändler des Alfa-Romeo-Ladens an der Hauptstraße der Provinzmetropole, als der Vertreter eines expandierenden Batterie-Unternehmens ihm Visionen von einem Elektro-Alfa vorstellte, und schloß genießerisch die Augen.
Sonntag, 2. Mai 2010
1055.
"…has a lot to do with how you live today…" brummte Mr. Precuneus und schüttelte den Kopf, denn in dieser BBC Diskussionsrunde, "all male, of course," waren alle sehr engagiert für den Frieden und die große Sache, und man konnte genau sehen, wer wirklich aus den kritischen Gebieten kam, und wer für sie sorgte, denn die Sorgenden trugen feine Stoffe und manikürte Hände, und wenn sie schlecht rasiert waren, dann mit Absicht, aber der aus den kritischen Gebieten war schlecht rasiert, weil er vielleicht gerade erst angekommen war, "third class," seine Jacke war ein bißchen bunter und ein bißchen billiger, und obwohl er nichts Böses sagte, wurden sie mit ihm schnell ungeduldig, oder - der Moderator, all male - betont geduldig, "es geht nie anders," sagte der Diskurswart, der die Schicht mit schob, "was regen Sie sich da noch auf, ach Sie sind ja sch…" "you're most welcome," sagte Mr. Precuneus, und, "was ich am Deutschen so schön finde ist, daß man, wenn es einem langt, jemandem eine langen kann," aber er tat es natürlich nicht und war nicht so sicher, ob das nun wieder richtig gewesen war, denn irgendwann geht sowas nach innen los, dann sind sie doch auch nicht zufrieden.
Samstag, 1. Mai 2010
1054.
Meinen Sie, wir könnten vielleicht heute, am 1. Mai, mal wieder ganz vorsichtig über die eigentlich relevanten Probleme sprechen, fragte in eigentümlicher Schüchternheit die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse den Kollegen Demokratiebeauftragten, mit welchem sie an diesem Tage gemeinsam Schicht hatte, was meinen Sie denn, fragte der Demokratiebeauftragte, der schon ahnte, daß es unangenehm werden könnte, denn die stellte immer so blöde Fragen, na dieses höchst ambivalente Burka-Verbot zum Beispiel, sagte die Minderheitlerin, wird es nicht, wenn man es auch hier einführt, nur dazu führen, daß mehr Migrantinnen mitten unter uns eingesperrt werden in Häuser und Hinterhöfe, und der Demokratiebeauftragte sagte, aber wie will man denn klar machen, daß man solche Symbole der Gefangennahme und Anonymisierung mißbilligt, wenn man es nicht in Gesetzen ausdrückt, da sagte die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse, das ist es ja gerade, darüber will ich ja gerade sprechen, bringt doch nichts, sagte der Demokratiebeauftragte, bringt nur Ärger, und den betroffenen Frauen tut man damit auch keinen Gefallen, ach, seufzte die Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse, immer diese quietistischen Argumente, selbst noch am 1. Mai, und er dachte, sie ist schon ganz schön repressiv, diese Person, aber irgendwie würden die Stunden herumgehen.
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