Freitag, 17. Juli 2009

765.

Neuerdings - seit er von der Erkrankung der Chefin gehört hatte - litt der ehemalige Chef unter Schlafstörungen, und regelmäßig erschienen ihm im Traume die Gesichter von Menschen, deren Leben er und seine Parteifreunde in der Absicht, sie für den politischen Dienst zu rekrutieren, systematisch, wie ihm heute schien, zerstört hatten, die Gesichter hielten ihm immer seinen früheren Leitspruch "Jeder ist seines Glückes Schmied" vor und grinsten anklagend zu seiner schwitzenden Schlaflosigkeit, er versuchte dann, sich zu rechtfertigen und sagte, bei manchen hat ein bestimmtes Rezept hervorragend funktioniert, bei anderen hat es sich eben leider katastrophisch ausgewirkt, bis hin zur Entwicklung tödlicher Krankheiten, und in einem Falle schließlich - so sagte er sich, wenn er dann gesichterlos und wach auf seinem Bette saß - war ihm aufgegangen, daß bereits gezielte Gespräche, in denen man, anstatt aus dem Off zu prüfen, einfach mal gesagt hätte, was man von der Person wolle, eine Klarheit geschaffen hätten, durch welche die weitere Entwicklung in ihrem schrecklichen Verlauf hätte aufgehalten werden können, und er grämte sich so, daß er zuweilen nicht einmal vor den immer noch gelegentlich auftauchenden Gästen mehr sein "Gesicht des nachdenklichen Elder Statesman" recht zustande brachte, stattdessen brach er gerade bei diesen Besuchen immer häufiger in regelrecht missionarisches Eifern aus, sobald einer sprach wie seine ehemaligen Apparatschiks, vom Schleifen und Pressen und Ecken Abschlagen, und sagte, so dürft ihr mit Menschen nicht umgehen, bedenkt, daß ihre Zeit läuft, und daß es oft die Besten sind, die sich diesen Maßnahmen indigniert und mit für sie selbst furchtbaren Nebenwirkungen widersetzen, und erst wenn er das gesagt hatte, kehrte jene Selbstzufriedenheit wieder in sein Gesicht zurück, welche sich außer aus dem Bewußtsein, eine gute Tat vollbracht zu haben, wohl auch aus dem kleinen Triumph dessen speist, der sich vor langem schon als zäh genug erwiesen hat, noch ganz anderes zu überleben.

9 Kommentare:

karomütze hat gesagt…

Ha, er wird auch nicht ewig leben!

Gattin des ehemaligen Chefs hat gesagt…

Na für Sie hat er aber wirklich nur Gutes getan, junger Mann.

Oberassistent hat gesagt…

Jedem sein Triümphchen.

Ein Niedergeschmetterter hat gesagt…

Das macht uns nicht wieder lebendig.

Ein Apparatschik hat gesagt…

Wir sind keine Apparatschiks, wir sind kluge Leute, und da wir nun einmal kein anderes Glück in der Welt haben, als Leute vom hohen Ross zu holen, muß man uns dankbar sein, daß wir es tun.

Chefin hat gesagt…

Man schlägt immer den falschen das ab, was man für Ecken hält, während andere lebenslänglich mit ihren Eckchen und Käntchen durch die Gegend kollern und sich auf sie als das einzige, was sie auszeichnet, etwas einbilden, hoch lebe die Kleinkrämerei, aber vielen Dank an meine EinSatzKräfte für den Genesungsblumenstrauß.

Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse hat gesagt…

Schlimmer als mit den zu Rekrutierenden verfährt man überall und allemal mit denen, die in autoritären Regimen noch widersprechen.

eine andere chefin hat gesagt…

Jetzt bin ich aber doch froh, daß nicht ich hier gemeint bin, denn ich bin nicht nur gesund, ich bekomme trotzdem Blumen, und zwar zum Geburtstag, und kein einziger Knochen tut mir weh.

Leitung Öffentlichkeit hat gesagt…

Von uns hat sie auch ein Glückwunsch-Telegram bekommen, jawohl, ein ehrwürdiges altmodisches Glückwunschtelegramm.

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