Freitag, 1. Januar 2010

933.

Die Feier wurde dann trotz allem auch sehr fröhlich - und am anderen Morgen, der wegen der nächtlichen Dinge sehr in den Mittag hineinverlegt worden war, sagte die Chefin, indem sie vor einer improvisierten Kamera ihren Blazer zurechtrückte, um deutlich zu machen, daß es nunmehr eine Neujahrsansprache gebe, sie sei hocherfreut, daß sie keine die ganze Welt betreffenden Dinge zu wiederholen habe, die seien wie immer überall schon besser gesagt als sie es je können werde (bei dieser Gelegenheit verdrehte die Leitung Öffentlichkeit, die ein ziemlich gewachsenes Kind im Schoß hielt, die Augen, der Kniff erschien ihr gar zu bekannt), sie habe aber einen Vorschlag oder eine Anregung an alle, die sich für ernste Vertreter der Idee der Menschenrechte und der Freiheit hielten: einfach mal ein Jahr alle Anfragen, die man an jemanden habe, alle Anklagen, die man gegen ihn vorzubringen habe, alle Verdächte, die man gegen ihn hege, alle Bedenken, die man ihm gegenüber habe, offen und mit der Möglichkeit des Einspruchs dem Betreffenden vorlegen, einfach mal ein Jahr lang wirklich die Verantwortung für Dinge, die man "um jemandes willen" oder "um jemanden zu erreichen" oder "gegen jemanden" unternommen habe, dem Betreffenden gegenüber zu übernehmen, einfach, mit anderen Worten, denjenigen gegenüber, auf deren Leben man in der einen oder anderen Weise einwirke, direkt die Verantwortung zu übernehmen und ihnen damit den gebührenden Respekt zu erweisen, und, fügte sie abschließend hinzu, Sie werden staunen, wie schwer Ihnen das fällt, wie viele Gründe Sie suchen und sich erfinden werden, um es doch so nicht zu tun; sollten Sie es jedoch einmal wagen, mindestens mal gegenüber den halbwegs intelligenten und zivilisierten Personen (mit wagen meine ich, sich wirklich auch dem Widerspruch, der Klage und der Ablehnung aussetzen, die Ihnen ja, wenn bestimmte Dinge klar werden, entgegenkommen könnten), werden Sie staunen, wie gut es Ihnen selbst dann tut, wenn Sie nicht das erreichen, was Sie sich erhofft haben mögen, Sie werden plötzlich ein von Schuldabwehr entlasteter Mensch sein.

12 Kommentare:

karomütze hat gesagt…

Jetzt predigt sie, also wirklich, und ich meine, das sollte man doch da lassen, wo es hingehört, mit dem Zeug wird sie weder eine Kirche noch eine Partei noch sonst wen überzeugen.

Mr. Precuneus hat gesagt…

Also ich bin da nicht so sicher, es gibt doch Leute in der Welt, die von den Mächtigeren genau so ein Verhalten wünschen, die nur darauf warten, um das Gefühl wieder zu gewinnen, sie könnten doch etwas an ihrem Leben selbst und mit anderen zusammen gestalten, nein? Bei uns gibt es solche Leute, da bin ich sicher.

Demokratiebeauftragter hat gesagt…

Das geht an die ganz Reichen, oder?

Kumpel von Karomütze hat gesagt…

Det jeht an meinen Cheff, würdicksahren.

Der ehemalige Chef hat gesagt…

Es ist ein riskanter Unsinn, der nie funktioniert hat in der Welt, ich bin sehr enttäuscht.

Dame Ö hat gesagt…

Haben Sie nicht schön gefeiert?

Gattin des ehemaligen Chefs hat gesagt…

Er braucht kein Kindermädchen.

Sohn des ehemaligen Chefs hat gesagt…

Er hat schon eins.

Minderheitlerin mit der ewigen blauen Bluse hat gesagt…

Das Jahr ist noch keinen Tag alt, und schon zanken sie sich wieder über Pillepalle.

Ein oberer Brachvogel hat gesagt…

Was die Chefin empfiehlt, erreicht man auch durch eine Beichte bei uns, und dann hat man den Vorteil, seinen Einfluß weiter segensreich ausüben zu können, ohne den zu Beeinflussenden zu stören.

Pestvogels hat gesagt…

Im übrigen werden doch auch Menschen durch einen Bekenntniszwang oft eher belästigt.

Chefin hat gesagt…

Dieses sind die klassischen Gründe, die sich Leute immer suchen, die gleichzeitig mafiös und gut sein wollen - es ging hier aber weder um Erlösung von Sünden noch um Bekenntniszwang, es ging um die Bedingungen der Möglichkeit einer Wiederherstellung von wechselseitigem Respekt, wenn sich eine wohlgemeinte Einflußnahme auf ein "verdächtiges Subjekt" als total destruktiv und obstruktiv erwiesen hat; es war ein guter Rat an Menschen, die es gut meinten und gezwungen wurden, einen Fehler einzusehen, ernsthaft Kriminelle und Mafiöse wird man mit solchen Empfehlungen nie erreichen, gegen die muß man wirklich vorgehen - aber als EinSatzLeitung sprechen wir hier doch zu anderen.

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