Die EinSatzLeitung schreibt mit Gästen ein Buch. Pro Tag darf jede Person einen Satz einsetzen, die EinSätze werden fortlaufend numeriert. Auf der B-Ebene gibt es längere narrative Stücke. Die EinSatzKräfte und ihre Texte sind sämtlich rein fiktiv und frei erfunden. Alle Rechte bei der Autorin.
Sonntag, 21. Februar 2010
984.B
"Das Frühjahr kommt," sang Mr. Precuneus mit voller Stimme und aus vollem Halse, als er zu einer kleinen Abschlußsitzung in die sonntägliche Runde am Küchentisch der Kreativleitung kam, "der Schnee schmilzt weg, die Toten ruhn," und die Kreativleitung, die sich angewöhnt hatte, ihn bei diesen kleinen Sitzungen mit Wangen-Küsschen zu begrüßen, welche das französische Norm-Maß um ein Winziges überschritten, dazu eine kleine "falsche" Drehung der Hüfte, und schon war alles wieder vorbei, lachte, denn diesmal hatte er einfach seinen Gesang nur kurz unterbrochen, um durchaus angemessen zu antworten, dann waren sie an den Küchentisch gegangen, um den sich der für diese Sonntagsrunden übliche Anblick bot: Dame Ö saß an einem Ende des Tisches, welches durch dieses ihr Dasitzen als Kopfende definiert war. Ihr gegenüber saß der Lutheraner, an den treue Leser sich aus früheren Kommentaren erinnern werden. Er war ein Mann von hoher Gestalt, nicht gerade filigran, aber in seiner nicht mehr jugendlichen Massigkeit doch kraftvoll und stattlich anzusehen, er äußerte sich nicht allzu oft, aber wenn, dann dröhnte seine Stimme, daß die Wände zu wackeln schienen, mindestens aber wanderten Mos Händchen an ihre Ohren, sobald er anhob. Mo saß in ihrem blauen Mantel, unter dem sie Sonntags keinen Kittel zu tragen pflegte, sondern lediglich irgendwas Hemdartiges, auf dem Tisch in gleichsicherem Abstand von Dame Ö und dem Lutheraner. Nahe bei ihr war der erzählende Kranich, welcher auf einem Beine zwischen zwei Stühlen zu stehen pflegte, das andere angezogen. Er war etwas müde vom langen Winter, und so fiel ihm oftmals ein Auge zu. Stand er auf dem rechten Bein, so fiel ihm dann auch das rechte Auge zu, stand er hingegen auf dem linken Beine, so fiel ihm eben zuweilen das linke Auge zu. Aber ein Bein und ein Auge waren immer aktiv, so war er im großen ganzen doch dabei, also bei der Sache und bei einer gewissen Aufmerksamkeit auch für das Frühstück. Ferner saßen am Tisch die Chefin, direkt neben dem erzählenden Kranich, und ihr Kind. Ebenfalls am Tische, recht nah bei der Dame Ö, saßen die allgemeinste Verteidigung mit ihrem Kindchen und ihnen direkt gegenüber, auf der anderen Seite und also auch gleichsam neben Dame Ö, saß Freund Karomütze. Na, sagte Mr. Precuneus, als er sich neben den Lutheraner setzte, kennen Sie diesen herrlichen Brechtsong? Aber natürlich, sagte der Lutheraner, und das ist ja eben das Kennzeichen des Zuhauseseins in einer Kultur, daß man zwischen Klassikern und Nichtklassikern wohl zu unterscheiden weiß. Da warf die Dame Ö ein, Sie wollen doch nicht etwa Brecht die Klassizität absprechen, was natürlich der Lutheraner niemals im Sinne gehabt hatte. Auch die Dame Ö hatte es keineswegs ernsthaft geglaubt, vielmehr stritt sie einfach gern mit dem alten Knaben am anderen Kopfende des Tisches, und so warfen die beiden einander ihre Flötentöne um die Ohren. Karomütze hatte soeben angefangen, etwas sentimentalisch den Zeiten hinterher zu trauern, in denen er noch als bester Freund der damaligen Assistentin K mit dieser gemeinsam Brechtlieder geträllert hatte, aber dann wurde er Zeuge, wie die jetzige allgemeinste Verteidigung dem Balg des Kwaliteitswarts, das soeben herzhaft nieste, einige Flüssigkeiten von um-den-Mund wischte, und er war froh, nicht in der Haut des Vaters zu stecken und das nun täglich sehen zu dürfen, so mischte er sich schnell in die Debatte zwischen Dame Ö und dem Lutheraner, die mittlerweile auch Mr. Precuneus in Bedrängnis gebracht hatte: dessen Vorschlag, mal etwas über Calvinisten und Protestanten überhaupt in einem Film zu machen, wurde vom Lutheraner nämlich wie folgt beantwortet: "Passen Sie bloß auf mit den Calvinisten! Anticalvinistischen und antiprotestantischen Kitsch haben wir schon genug. Ich meine immer, das können wir Nestbeschmutzer am Ende besser als die, die von außen kommen. Es sei denn, man möchte einfach ein paar Klischees bedienen - dann natürlich kann man so weitermachen wie bisher mit den fanatischen, lustfeindlichen, beichtunfrohen, verklemmten und dazu auch noch geistfeindlichen Protestanten, die durch alle Filme und Romane humpeln müssen, wenn sonst niemand mehr übrig ist, ein etwas zu ausgeschlafenes postkoloniales Mütchen an ihnen zu kühlen." Mr. Precuneus war in Gefahr, sich ernsthaft gekränkt zu fühlen, denn natürlich bedeutete ihm der postkolonialistische Diskurs viel, aber er war doch nun wirklich nicht auf die Produktion von Klischees aus, und schließlich, sagte er, sei ihm der Lutheraner immer eher als ein notorischer Nestreiniger erschienen, ein Stichwort, welches wiederum den erzählenden Kranich aus seinem einseitigen Halbschlafe weckte, denn ein Nest, danach sehnte er sich schon lange, besonders, wenn es dann auch noch gereinigt wäre, aber Mo fütterte ihm ein Stück Apfel und sagte, wir müssen mal weiter weben, finde ich, eine Bemerkung, der die Kreativleitung begeistert zustimmte, denn das große Stück, das sie hier in lange verschworener Runde für den Teppich vorbereiteten, war kurz vor der Fertigstellung, es sollte nun nicht in müßigem Geplauder untergehen.
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11 Kommentare:
Man kommt immer schlecht zu Wort in diesen Runden, finde ich, wenn man wohlerzogen ist, besonders schlecht.
Aber dein Goldfädchen möchten wir nicht entbehren, mein Herz.
Diese Runde wird ganz entschieden überschätzt.
Sie wird unterschätzt in ihrer Gefährlichkeit, man mache sich bitte klar, was die da singen!
Ja Brecht, O weh!
Aufforderung, sich zum Sterben zu stellen!
Es muß schmuddelig dort sein, wenn selbst der Kranich sich nach einem gereinigten Nest sehnt.
Ich möchte wenigstens beim Curling nicht belästigt werden durch ausführliche Berichte über die Körpersekrete meines kleinen Lieblings.
Ich frage mich, wieso sie die Leute gerade soo zusammengestellt hat, die Kreativleitung, und dann finde ich auch, daß man mit manchen Fragen etwas zuu diskret umgeht.
Der Demokratiebeauftragte, hört hört!
http://www.youtube.com/watch?v=0U5-73jW_dw
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