Samstag, 19. Juni 2010

1100.B

In einem Vogelkloster weit hinter Berg und Meer lebte einst ein alter weiser Brachvogel. Er hatte in jungen Jahren viel mit den hübschesten Brachvogelweibchen herumgeturnt, aber oftmals war er am anderen Tage erwacht mit dem Bewusstsein, dass er solches wohl nicht so sehr aus eigener Leidenschaft, denn aus dem Wunsche getrieben, zu beweisen, dass er sei wie alle anderen Brachvögel. Wirkliches Erglühen mit innerem Nachschwärmen und äußerem Einsatz und allem, was in allen Berichten über die Liebe ihm zu Ohren gekommen war, hatte er indes nur bei wenigen Individuen empfunden, die sich durchaus voneinander unterschieden nach Geschlecht und äußerer Form, aber eines miteinander gemeinsam hatten: sie waren sehr erwachsen und hatten außerordentlich wohlklingende Stimmen sowie eine ungewöhnliche Attraktivität in ihren Bewegungen gehabt. Tatsächlich ging er erst in ein Kloster, als seine große Liebe zu einer ganz besonderen Brachvogeldame aus vielen schwer auf einen Begriff zu bringenden Gründen gescheitert war. Und nun lebte er also in dem Brachvogelkloster, seine Geschichte unterschied sich nur in wenigen Nuancen von der Geschichte anderer Brachvogelmönche, die sehr häufig in Resignation auf ihre gleichgeschlechtlichen oder anders abweichenden Wünsche und ihre Erfüllbarkeit oder in Resignation auf die Erwartung, den Wünschen anderer zu entsprechen, ihr Gelübde abgelegt hatten. Er lebte bereits an zwanzig Jahre in seinem immer mehr zu einer Einsiedelei herabkommenden Kloster, ein Bruder nach dem anderen war verstorben, und mancher war erkrankt, weil irgendeine frühere Geschichte aufgeflogen war, eine Jugendsünde oder eines dieser ernsten Vergehen an jungen Brachvögeln, die immer erst mit großem Aufwand vertuscht werden und bei Auffliegen den einen oder anderen Kopf, mindestens aber ein Brachvogelbauernopfer erforderten - niemals aber den Ausweg in die Brachvogelei und die unangefochtene Autorität des Mönchtums mit seiner Spitze im zweithöchsten Brachvogel, dem obersten Herrscher in der Brachvogelei, welcher im Namen des obersten Brachvogels regierte und als sein Stellvertreter galt, antasten durften. Mit den Jahren hatten sich die Verhältnisse unter den Brachvögeln und in den übrigen Welten verändert, und wer ein gleichgeschlechtliches Begehren an sich feststellte, musste nicht mehr durchaus ins Kloster ausweichen. Als dies lange genug etabliert war, wurden die Brachvögel kritischer gegen das Klosterwesen und mancher, der als Brachvogelknabe unter den Zudringlichkeiten erwachsener Brachvögel gelitten, kam hervor, die Stimmung schien eine Weile recht bedrohlich zu werden selbst für den zweithöchsten Brachvogel. Immer öfter erreichten unseren alten weisen Freund in seinem Kloster fast am Ende der Welt Fragen nach dem richtigen Verhalten dazu, denn er galt als gelassener Mann und als unangefochtene und unbestechliche Autorität, da er stets sehr freimütig über seine Jugend gesprochen, in Offenheit für Offenheit plädiert, das Prinzip Wahrheit gegen Vergebung und andere Hilfsmittel allgemein angewandt und Jagdstimmungen entgegengearbeitet hatte, wo er sie gesehen, da er gegen sich selbst streng war und gleichzeitig niemanden mit unmäßigen Forderungen überhäuft hatte, und da er also kurzum eine gewisse Milde mit einer gewissen Konsequenz verband, die er mühsam errungen hatte. Diese seine unangefochtene Autorität begann nun einige Günstlinge des zweitobersten Brachvogels zu wurmen und zu ärgern und sie dachten, es müsste doch mit dem Pestvogel zugehen, wenn es uns nicht gelingen könnte, ihn einer widerlich kleinlichen Sünde zu überführen. Und so machten sie einen Plan. Er soll doch früher kein Kostverächter gewesen sein, sagten sie, und wenn wir ihn nun mit einem Objekt seines heißesten Begehrens konfrontieren, dann wird er doch entweder zusammenbrechen vor Bedauern, oder einen Übergriff wagen, oder sich wenigstens in sich selbst solidarisieren mit .… an dieser Stelle hörten sie erst einmal auf zu denken, denn zu bereden, wie sie es anstellen würden, machet ihnen viel mehr Spaß als das Zuendedenken der Konsequenzen. Und sie schickten eine hübsch aufgebrezelte Brachvogelin, die sich gut gehalten hatte und mit der er zu einer sehr viel früheren Zeit einmal eine länger Affäre gehabt hatte, welche freilich mit einem gewaltigen Verrat durch diese Brachvogelin geendet hatte, zu ihm, nicht ohne diese Entsendung zu flankieren durch allerlei geheimnisvolle Hinweise, aus denen er - der sich in einer gewissen Bedrängnis doch wähnen sollte - entnehmen könnte, dass, wenn er sich nur öffnete für diese Dame, der er doch wohl wenigstens sein ansonsten breit gestreutes Wohlwollen nicht versagen werde, es ihm und allem, was ihm wichtig sei, sogleich sehr viel besser gehen werde, und dass diese Dame sich mittlerweile auch um ihn übrigens sehr verdient gemacht habe. Der alte weise Brachvogel in seiner Einsiedelei prüfte alle diese immer frecher vorgebrachten Insinuationen und Suggestionen systematisch, wie es seine Art war, durch, versuchte seinerseits, die angemessenen Antwortsignale zu senden, welche lauteten: wenn diese Person irgendwelche Fragen hat und sie in angemessener Form zu stellen weiß, werden die hier sicher nicht anders behandelt werden als die Fragen anderer Personen, und so wie wir hier gern aufklären, sind wir auch unsererseits stets empfänglich für aufrichtige Aufklärung. Er hielt die Angelegenheit damit für beendet und staunte nicht schlecht, als ihn die Dame nun eines Tages in seiner Einsiedelei aufsuchte, in einem Zustand, den man nach brachvogeligen Kriterien durchaus als aufgebrezelt bezeichnen konnte, und mit einer Geste, die sagen sollte: "sieh mich endlich an, ich bin da, ich gehöre zu dir, ich bin toll." Ach Mädchen, dachte der alte weise Brachvogel, und sagte es wohl auch. Was soll das denn. Haben wir das nicht hinter uns gebracht, und tun wir nicht besser daran, es zu vergessen, du auf deine Weise, mit allen zusammengebrezelten Erfolgen, die du bei deinesgleichen einfahren kannst, und ich auf meine Weise, indem ich bitte da mein Glück ergreife, wo ich es noch finden kann, und den augenblicklich reichlich aufgeplustert herumflötenden Brachvögeln dann und wann sage, was ihnen vielleicht helfen könnte? Empört flog die Brachvogelin, welche sich abgewiesen fühlte, zurück zu den Günstlingen des zweitobersten Brachvogels, welche sie entsandt, behauptete, der alte weise Brachvogel habe versucht, sich ihr unsittlich zu nähern und sei geradezu eingeknickt in Verzweiflung über ihre ihm (er sehe sehr gerupft aus) nunmehr unerreichbare Schönheit und sein eigenes Elend, und es müsse in der Tat etwas dagegen unternommen werden, dass ein solcher Lump noch als Autorität gelte.

14 Kommentare:

Kwaliteitswart hat gesagt…

Wie, und da endet die Geschichte jetzt, oder was?

Karomütze hat gesagt…

Kann er nicht mal sein ewiges oranges T-Shirt ausziehen, verdammt!

Der Lutheraner hat gesagt…

Es klingt bisher ein bißchen nach einer Neuauflage der Geschichte von Potifars Weib.

Der erzählende Kranich hat gesagt…

Wir haben die Geschichte bewußt offen gelassen, der kleine Brachvogel ist noch jung, ihm ist es gut, die Anfänge zu wissen, nicht die Enden.

Mo hat gesagt…

Du bist doof.

Mutter Brachvogel hat gesagt…

Mir wäre lieber, die Brachvogelweibchen würden eine bessere Rolle bekommen, ich habe schließlich auch noch eine Tochter.

Verteidigung K hat gesagt…

Und ich hätte gern, dass wenig später ein anderes Brachvogelwesen zu dem alten Weisen kommt und ihm wirklich gefällt und dass die beiden dann bitte happy ever after sind.

brachvogel hat gesagt…

Ja, aber was wird denn dann aus dem Gelübde?

kreativleitung hat gesagt…

Tja.

Mr. Precuneus hat gesagt…

Ich hätte hier einen schicken Blazer für den Kwaliteitswart, um sein oranges T-Shirt wenigstens ein bißchen zu bedecken, geht das vielleicht?

Der naseweise Sinologe hat gesagt…

Ich habe sie durchschaut, sie haben wegen Christopher Street Day die Geschlechter vertauscht!

Buchhalter hat gesagt…

Donnerwetter, der ist aber schlau!

Dame Ö hat gesagt…

Ich glaube, sie vermischen in ihrer Schmuddelecke alles mit allem.

Nachwuchs Ö hat gesagt…

Mama, manchmal bist du echt peinlich!

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