Samstag, 7. Mai 2011

1400.B.

Der Text, welchen die Chefin in ihrem Postfach gefunden hatte, schilderte eine Begebenheit aus ihrem Leben als Vortragende. Tatsächlich hatte eine Mediengruppe sie eingeladen, über die EinSatzLeitung zu berichten. Es waren vornehmlich Damen dort gewesen, die einmal etwas anderes über weibliche Führung hoeren wollten als das Übliche, und die Chefin hatte sich viele Gedanken gemacht. Tatsächlich hatte sie ihr geschätztes Publikum "abgeholt" mit einem kleinen "Teaser," wie diese Leute es ja zu nennen pflegten: Heidi Klum, so sagte sie, verkoerpert mit ihrer Model-Dressur im Grunde die perfekte Phallokratie. Und dies nicht, weil sie etwa die Mädels zu Objekten männlicher Lüste herrichtet, wie es eine altfeministische Lehre nicht ohne Recht und Grund zu bemerken pflegt, sondern vielmehr deswegen, weil sie in der Tiefenstruktur selbst phallisch ist und dieses auch einfordert. Zugleich ist sie freilich eine Bienenkoenigin. Wie dieses? Nun, hatte die Chefin ihre Ausführungen fortgesetzt, ich will Ihnen sagen, was ich unter Phallokratie in der Tiefenstruktur verstehe, gern ohne tiefer einzusteigen in die Lacanianische Theorie, denn für diese wird Ihnen die Zeit fehlen, Sie haben Unternehmen zu führen: Eben als Unternehmerinnen sind Sie aber phallische Frauen der neueren Art. Mit Phallisch meinen wir ungefähr: Jeder hat alle seine Handlungen am erigierten Gliede zu orientieren. Wenn Ihnen etwa der Auktionator eines Kunstwerkes sagt, wichtig ist mir nicht der Preis, wichtig ist mir, dass derjenige das Werk bekommt, der es unbedingt haben will. Dann ist für ihn die Phallizität des Käufers entscheidend. Sie ist ihm wichtiger als das Geld, das er bekommt. Er sagt, das sei so, weil er selbst das Kunstwerk besonders liebe. Und nun prüft er also die Kunden auf ihr Unbedingtwollen. So macht es auch Heidi Klum. Die Mädels oder Models sollen nicht so sehr perfekte Objekte sein, sondern sie sollen unbedingt perfekte Objekte sein wollen. Darauf geht der Drill. An dieser Stelle erhob sich Murren im Auditorium, denn die Damen hatten sich just diese Haltung selbst mit Mühe angeprügelt, und was sollte nun daran schlecht sein? Das Phallische an sich ist ja nicht unbedingt schlecht, lächelte die Chefin, nicht ohne mit winzigen Mienenspielen anzudeuten, dass im Hintergrund ihrer gusseisernen Freundlichkeit eine Kraft saß, von der sie durchaus nur gelegentlich Kenntnis zu geben wünschte. Im Gegenteil, wir müssen begrüßen, wenn die Menschen etwas sehr wollen und uns dadurch in ein Spiel ziehen, das wir genießen koennen, und auch auf der Bildebene wird eine Dame kein groeßeres Kompliment kennen, als wenn ein Herr, den sie selbst faszinierend findet, in ihrer Gegenwart die betreffende Beunruhigung zeigt, die uns hier als Symbol dient, nicht wahr. Da wurde wieder ein wenig wissend geschmunzelt oder sehnsüchtig geseufzt, und einer der wenigen Herren im Auditorium erroetete leicht (es konnte natürlich einen anderen Grund haben, den Blutdruck oder was auch immer). Warum aber ist die Heidi denn nun eine Bienenkoenigen, wollte eine der ungeduldigeren Damen wissen, nun ja, sagte die Chefin, weil sie entscheiden kann, wessen unbedingtes Wollen sie am unbedingtesten überzeugt. Das ist an sich nicht weiter ungewoehnlich bei Lehr- und Auswahlveranstaltungen. Aber was mich interessiert ist die Konsequenz für die Frage, was Heidi selbst eigentlich will. Und ich meine, sie will nicht wollen müssen. Das finde ich ziemlich interessant.
Den Damen gefiel es nicht so, denn es war irgendwie nicht operationalisierbar, und außerdem hatte es auch nicht den Schatten eines Versprechens bei sich, dass die besprochene Heidi Klum es etwa selbst so gesehen haben würde.

Also gut, sagte die Chedin schließlich lachend, das moegen Sie nicht? Dann machen wir jetzt das Übliche: ein Rollenspiel zu Team und Wertschätzung, intrinsischer Motivation usw. Da waren sie alle schnell wieder bei ihr, und als der Tag beendet war, waren sie wieder fest davon überzeugt, in der kommenden Arbeitswoche alles sehr viel richtiger zu machen und ihren Laden besser in den Griff zu kriegen. Sie äußerten sich in der feed-back-Runde entsprechend.

Nur eine drückte ihr am Ende die Hand, zog ihre feingezupften und korrekt eingefärbten Brauen zusammen und sagte strahlend: Wissen Sie, am Anfang habe ich gedacht, das ist so eine intellektuelle Schnepfe, die voellig durchdreht und nichts auf die Reihe kriegt. Aber dann haben Sie mich doch überrascht. Ja, sagte die Chefin, und dankte herzlich. Zum Glück habe ich irgendwann in meiner Laufbahn begriffen, dass die Menschen immer das als neu und überraschend und bereichernd empfinden, was sie schon ganz lange kennen und auf allen Kanälen täglich hoeren. Und sie verabschiedete sich mit einer angedeuteten yogischen Verbeugung.

Immerhin kein Wort über die EinSatzLeitung verloren, dachte sie auf dem Heimweg, ich würde es doch vermissen.

3 Kommentare:

Ein Herr von Goethe hat gesagt…

Wie ich mit der Figur des Eduard in meinen Wahlverwandtschaften schlüssig dargethan habe, verschlägt übrigens die Länge der Wartezeit und die Härte des Kampfes nichts für die Liebe, denn indem er nach so langer Zeit in den Besitz der Charlotte geraten ist und mit ihr eine äußerst reife Beziehung führt, verfällt der Mann der Liebe zu Ottilie.

karomütze hat gesagt…

Wat willn der hier?

Chefin hat gesagt…

Mit meinen Ausführungen steht dies jedenfalls in keinerlei Zusammenhang.

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